ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011

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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
ROMEO & JULIA
     William Shakespeare

Hintergrundmaterial für den Unterricht

    Premiere > 17. Dezember 2010
         Spielzeit 2010/2011
ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
Liebe Lehrerinnen und Lehrer,

William Shakespeares Dramenklassiker „Romeo und Julia“ ist die wohl bekannteste
Liebestragödie der Weltliteratur überhaupt. Aber Romeo und Julia ist nicht nur ein Drama
über Liebe, sondern ein literarisches Werk, das eine ganze Reihe von Problemen diskutiert.
Es ist eine Ungeheuerlichkeit, aber auch ein Zeichen der Hoffnung, dass sich Romeo und
Julia, die Kinder der verfeindeten Familien Montague und Capulet, ineinander verlieben.
Als müsse der zermürbende Krieg der Eltern mit der aufkeimenden Liebe der Kinder
endlich ein Ende finden, als könne der Riss zwischen den Familien doch gekittet werden.
Aber je entschiedener sich die jungen Menschen in ihrer Liebe vergraben, damit
unausweichlich Tatsachen schaffen und durch die Kraft ihrer Liebe auf die Befriedung aller
Konflikte hoffen, umso mehr beharren die Eltern auf das vermeintliche Recht ihrer
Lebensplanung für die Kinder.
Vermittlung, das muss selbst der Vertraute der beiden Liebenden, Pater Lorenzo, begreifen,
ist nicht möglich. Und schließlich gerät die Fehde zwischen den Vätern auch zum blutigen
Gemetzel zwischen den Söhnen.
Romeo, gerade heimlich verheiratet mit seiner Julia, muss als Mörder von Julias Cousin
Tybalt Capulet die Stadt verlassen und in die Verbannung fliehen. Die ersehnte
Hochzeitsnacht der beiden muss zugleich auch ein Abschied auf immer sein.

Die junge Regisseurin Catja Baumann interessiert an Shakespeares Tragödie der sich
auftuende Konflikt zwischen den Generationen, zwischen Eltern und Kindern, zwischen den
festgefahrenen, unverrückbaren Lebensstandpunkten der Einen und der dagegen
aufbegehrende Sinnsuche der Anderen, die mit ihrer Radikalität die Weltsicht der älteren
Generation ins Wanken bringen.

Wir wünschen eine spannende Auseinandersetzung mit diesem Material
und ein anregendes Theatererlebnis!

Daniela Urban                                    Silke Klose
Theaterpädagogik                                 Schul- und Gruppenreferat
SCHAUSPIELSTUTTGART                              SCHAUSPIELSTUTTGART
daniela.urban@staatstheater-stuttgart.de         silke.klose@staatstheater-stuttgart.de
FON > 0711.2032-234                              FON > 0711.2032-526
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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
INHALTSVERZEICHNIS

ROMEO & JULIA > Zur Inszenierung                         4

WILLIAM SHAKESPEARE > Der Autor                          5

DAS ELISABETHANISCHE ZEITALTER                           7

SHAKESPEARE UND DAS GLOBE THEATER                        9

ROMEO & JULIA > Zur Aufführungsgeschichte               11

INTERVIEW MIT DER REGISSEURIN CATJA BAUMANN             12

LIEBESBEZIEHUNGEN > Verschwörung gegen den Rest der Welt 14

ROMANTISCHE LIEBE > Die Sehnsucht nach Utopie           15

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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
ROMEO & JULIA > Zur Inszenierung

Ein Schatten verdunkelt Romeos und Julias gerade erwachte Liebe: Seit Generationen
liegen ihre Familien in unversöhnlichem Streit. Wo ein Montague ist, kann kein Capulet
sein. Das ist ungeschriebenes Gesetz in Verona. Aber was wäre Liebe wert, könnte sie nicht
alle Hindernisse überwinden, unmenschliche Gesetze außer Kraft setzen und das, was auf
immer zerrissen scheint, neu zusammenfügen? Im Überschwang ihrer Gefühle trauen sich
die Liebenden genau das zu. Doch schnell wird aus der Hoffnung, die Welt durch Liebe zu
versöhnen, der hoffnungslose Kampf gegen sich unerbittlich auftürmende Familien-
konflikte, in dem sich die beiden mit ihrem Wunsch, zueinander zu kommen, immer tiefer
verstricken.
ROMEO UND JULIA ist die schönste und traurigste Liebesgeschichte der Welt: Jugendliche
Unbedingtheit mündet in todesmutige Radikalität, und der Selbstmord scheint
erstrebenswerter als ein Leben ohne den Menschen, den man begehrt. Solche
Entschiedenheit können Alltagsmenschen wie wir bestaunen, bewundern oder sogar fürs
eigene Dasein herbeiwünschen, in jedem Falle aber vermag die Erzählung von der
unsterblichen Liebe ein wenig an unsere Sehnsüchte zu rühren.

Besetzung:

                     Romeo                Till Wonka
                     Julia                Lisa Bitter
                     Amme                 Marietta Meguid
                     Lorenzo              Jonas Fürstenau
                     Capulet              Sebastian Kowski
                     Lady Capulet         Gabriele Hintermaier
                     Benvolio             Matthias Kelle
                     Mercutio             Sebastian Winkler
                     Paris                Sebastian Röhrle
                     Montague             Eberhard Boeck
                     Tybalt               Christian Schmidt

                     Regie                Catja Baumann
                     Bühne                Anja Koch-Kenk
                     Kostüme              Leah Lichtwitz
                     Dramaturgie          Beate Seidel

Premiere 17. Dezember 2010 | NORD

Regie > Catja Baumann

Catja Baumann, 1980 in Tübingen geboren, studierte Theater- und Medienwissenschaft,
Geschichte und Pädagogik in Erlangen und absolvierte ein Regiestudium am Mozarteum in
Salzburg. Von 2005 bis 2007 war sie Regieassistentin am Theater Heidelberg, wo sie u.a.
Regie führte bei der Soap FRIEDRICHSTRAßE. Von 2007 bis 2009 hat sie als
Regieassistentin am SCHAUSPIEL STUTTGART gearbeitet. Nach einer ersten Regiearbeit
im Erdgeschoss eröffnete sie mit LA LÍNEA die Spielzeit 2009/10 im Depot.

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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
WILLIAM SHAKESPEARE > Der Autor
Obwohl Shakespeares Leben besser bezeugt ist als das vieler seiner Zeitgenossen,
lässt sich seine Biographie nur in groben Umrissen rekonstruieren - besonders was die
Zeit seiner späten Jugend betrifft. William Shakespeare wurde laut Kirchregister am
26. April 1564 in Stratford-upon-Avon, Warwickshire, getauft, sein Geburtstag wird heute
der Einfachheit halber auf den 23. April datiert - ist Shakespeare doch am gleichen Tage
des Jahres 1616 verstorben.
Sein Vater, John Shakespeares, war ein angesehener
Landwirt und Händler. Er wurde 1565 zum Stadtrat
gewählt und war später Stadtverwalter. Aufzeichnungen
berichten von einigen Fehlschlägen in den Geschäften,
die zwischenzeitlich wohl zu einer Verarmung der
Familie führten. William´s Mutter, Mary Arden of
Wilmcote, entstand einem alten, aber unbedeutenden
Adels-geschlecht und war Erbin eines kleinen Stück
Landes. Entsprechend des damaligen sozialen Gefüges
dürfte die Heirat Mary Ardens für John einen Aufstieg in
der lokalen Hierarchie gleichgekommen sein.              Shakespeares Geburtshaus in Stratford.

Stratford-upon-Avon besaß eine Schule von gutem Rufe, die Teilnahme war frei, da der
Unterhalt der Schule vom Bezirk getragen wurde. Diese Tatsache und die Amtsposition des
Vaters lässt vermuten, das William eine gute Ausbildung erhielt. Diese konzentrierte sich
zur damaligen Zeit auf das Studium der lateinischen Sprache, Dichtung und Geschichte.
William besuchte keine Universität - ob dies finanzielle Gründe hatte, kann heute nicht
mehr beantwortet werden.
                    Im Jahre 1582 - im Alter von ganzen 18 Jahren - heiratete er die einige
                    Jahre ältere Anne Hathaway. Wann genau und wo ist nicht
                    detailliert bekannt, allerdings registrierte das bischöfliche Sekretariat
                    von Worcester eine Schuldverschreibung (verbürgt von zwei Stratforder
                    Bauern namens Sandells und Richardson) als Sicherheit für
                    eine Heiratslizenz von William Shakespeare und "Anne Hathaway
                    von Stratford". Am 26. Mai 1583 wurde in Stratford Williams Tochter
                    Susanna, am 2. Februar 1585 seine Zwillinge Hamnet und Judith
                    getauft. Hamnet, Shakespeares einziger Sohn, verstarb im Alter von
Anne Hathaway       11 Jahren. Seine Todesursache ist nicht bekannt.
Wann genau Shakespeare nach London übersiedelte, ist nicht bekannt. Es gibt einige
Berichte - diese wurden jedoch erst lange nach seinem Tod schriftlich niedergelegt -
die von Problemen mit dem lokalen Adel berichten, von Diebstählen oder einer Tätigkeit
als Schulmeister an der örtlichen Schule und verschiedenen Hilfstätigkeiten in seiner ersten
Zeit in London. Jedenfalls ist dem Autoren keine zuverlässige Dokumentation Shakespeares
Wirken in den Jahren zwischen 1585 und 1592 bekannt.
Jedenfalls hatte er es 1592 bereits geschafft, sich als Emporkömmling
den Neid anderer Dramatiker zuzuziehen. Graham Greene,
ein Dramatiker, verfasste auf seinem Sterbebett folgende Worte:
”There is an upstart crow, beautified with our feathers, that with his
Tygers heart wrapt in a Players hide supposes he is as well able to
bombast out a blank verse as the best of you; and, being an absolute
Johannes Factotum, is in his own conceit the only Shake-scene
in a country.”
Grob übersetzt bezieht sich Greene auf eine "Krähe, die sich mit
unseren Federn schmückt" und meint damit eindeutig Shakespeare.  William Shakespeare

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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
Diese Worte erschienen nach Greenes Tod, versehen mit einem Vorwort eines
beiderseitigen Bekannten, in dem dieser Shakespeare entschuldigt und dessen Begabung
betont. Dies zeigt auch, dass Shakespeare es durchaus verstand, sich wichtige
Freundschaften zu sichern, wie auch die spätere Freundschaft mit Henry Wriothesley, dem
3. Earl von Southhampton, bewies. Ihm widmet William Shakespeare auch seine ersten
veröffentlichten Gedichte, „Venus und Adonis“ und „The Rape of Lucrecia“.
                               Ab 1594 gehörte er als Schauspieler den "Lord
                               Chamberlain´s Men" (ab 1603 entsprechend einer Erlaubnis
                               James I. "King´s Men") an. Diese Truppe besaß mit Richard
                               Burbage den besten damaligen Schauspieler, später das
                               beste Theater, nämlich das Globe, und den besten
                               Dramatiker - William Shakespeare. Ein Beweis für den
                               steigenden Wohlstand Williams war 1596 die Bewilligung
                               eines Familienwappens. Das Wappen prangt auf dem
                               Shakespeare-Denkmal (in der vor 1623 errichteten Kirche
                               zu Stratford). Außerdem erwarb er ein großes Haus am
Das berühmte „Globe –Theatre“. Rande Stratfords. Dorthin zog er sich 1611 zurück.

Ab 1599 spielte die Truppe vor allem im eigenen, berühmten Globe-Theatre , bei dem
Shakespeare auch finanzieller Teilhaber war. Shakespeare galt als gewandter
Geschäftsmann. Aus seinem privaten Leben sind nur wenige Details bekannt, private Briefe
sind nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt.
Shakespeares letzter Wille, verfasst am
25. März 1616, liegt noch als Original vor.
Im ausführlichen und sehr detaillierten
Dokument hinterließ er den größten Teil
seines beträchtlichen Vermögens dem Sohn
seiner ältesten Tochter, die mit Thomas
Quiney verheiratet war, dem Sohn des
Shakespeare Freundes Richard Quiney.
Aber auch die zweite Tochter, die mit John
Halle, einem angesehenen Mediziner aus
Stratford, verheiratet war und natürlich Anne
Hathaway wurden entsprechend bedacht.         William Shakespeare, umgeben von seiner Familie.

Die Unterschrift unter dem Dokument war bereits mit zitternder Hand geschrieben - der
Erblasser war bereits schwer krank. William Shakespeare starb am 23. April 1616. Er wurde
im Chor der Gemeindekirche zu Stradford begraben. Seine Grabtafel schmückt kein Name -
nur folgende Zeilen (womöglich von ihm selbst):

                                               “Good frend, for Jesus' sake forbeare
                                               To digg the dust encloased heare.
                                               Blest be the man that spares thes stones,
                                               And curst be he that moves my bones.”
                                               (http://www.william-shakespeare.de/biographie1.html)

Shakespeares Grabstein in Stratford.

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DAS ELISABETHANISCHE ZEITALTER
Um Shakespeare und sein Publikum zu verstehen bedarf es eines kurzen Einblicks in das
Denken und Leben der Engländer jener Zeit. Die Menschen sahen die Welt als eine
gottgewollte Stufenleiter, die sich im Großen und im Kleinen überall widerspiegelte
(„ordo“). Betrachtet man die Stücke Shakespeares genauer, stellen wir fest, daß sich dieser
Gedanke durch fast alle seine Stücke zieht: Es geht um Störung und Wiederherstellung der
Ordnung.
Als gutes Beispiel lässt sich „Ulysses“ Rede an die Griechen in „Troilus und Cressida“
anführen. Shakespeare lässt Ulysses das Chaos ausmalen das eintritt, sollte die bestehende
Ordnung nicht respektiert werden.

                                                 „Wenn nicht der Feldherr gleicht dem Bienenstock,
                                                  Dem alle Schwärme ihre Beute zollen,
                                                  Wie hofft ihr Honig? Wenn sich Abstufung verlarvt,
                                                  Scheint auch der Schlechtste in der Maske edel.
                                                  Die Himmel selbst, Planeten und dies Zentrum,
                                                  Reihn sich nach Abstand, Rang und Würdigkeit,
                                                  Beziehung, Jahrszeit, Form, Verhältnis, Raum,
                                                  Amt und Gewohnheit in der Ordnung Folge;
                                                  Und deshalb thront der majestät'sche Sol,
                                                  Als Hauptplanet, in höchster Herrlichkeit
                                                  Vor allen andern; sein heilkräftig Auge
                                                  Verbessert den Aspekt bösart'ger Sterne,
                                                  Und trifft, wie Königs Machtwort, allbeherrschend
                                                  Auf Gut' und Böses. Doch wenn die Planeten
                                                  In schlimmer Mischung irren ohne Regel,...“
Das Weltbild des elisabethanischen Zeitalters.                     (Troilus und Cressida, I, 3 – Üb. Baudissin)

Kopernikus’ „De Revolutionibus Orbium Coelestium“, erschienen 1543, rückte erstmals
die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos und brach sich als „heliozentrisches“ System
Bahn. Shakespeare und seine Landsleute waren jedoch weiterhin der „geozentrischen“
Sichtweise verhaftet, in der sich buchstäblich alles um die im Mittelpunkt des Alls ruhende
Erde drehte. Dies war nach Ansicht der Elisabethaner das gottgewollte System.
Um die Erde spannten sich elf kristalline Sphären mit
dem regelmäßig erscheinenden Mond und den
wandernden Planeten. Oberhalb der Sphären befand
das Firmament, der Fixstern-Himmel und darüber das
„Primum Mobile“, das die Bewegungen des
himmlischen Systems überwachte. Den „Gipfel“ dieses
Systems bildete das „Empyreum“, der Feuerhimmel,
die Heimstatt Gottes und der reinen Seelen. Alles war
von Gott geplant und bindend.
Der Bereich unterhalb des Mondes gehörte den
Menschen und den Elementen: Erde, Wasser,
Feuer und Luft. Diese „sublunare“ Region war geprägt
durch Verfall und Vergänglichkeit. Shakespeare
übernahm in seinem Denken und Werken auch die
mittelalterliche Stufenlehre, nach dem die gesamte
Schöpfung in eine Hierarchie eingebettet ist („chain of
being“). Die Stufenlehre wird häufig als Leiter, Treppe
oder Pyramide dargestellt.                              Die mittelalterliche Stufenlehre.

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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
Auf der ersten, untersten Stufe befinden sich die Mineralien; unbelebte Existenz. Die zweite
Stufe ist bevölkert von den Pflanzen: Sie sind belebte Existenz. Das Tierreich der dritten
Stufe weist zusätzlich zu den Eigenschaften der Stufe I und II Gefühl und Bewegung auf.
Die vierte und höchste irdische Stufe gebührt dem Mensch: er hat alle Attribute der
vorangegangenen Stufen inne und besitzt zudem Verstand und Seele. Nach dem Menschen
folgen „nur noch“ die Engel und Gott als höchste Instanz.
                                                     Doch damit nicht genug. Innerhalb der
                                                     einzelnen Stufen gibt es zusätzliche
                                                     Abstufungen: so ist z. B. auf Ebene der
                                                     Mineralien Gold edler, also höher-
                                                     wertiger als Blei, die Rose als Pflanze
                                                     höher gestellt als schnödes Gras, der
                                                     Löwe ranghöher als alle anderen Tiere.
                                                     Unter den Menschen ist der König der
                                                     Höchste von allen, der Edelmann höher
                                                     gestellt als der Bürger, der Bürger steht
                                                     über dem Bauer, usw. Eine weiteres Bild
                                                     zu Verdeutlichung der hierarchischen
                                                     Struktur der Elisabethaner war der „body
                                                     politic“: Es stellte das Gesellschafts-
                                                     system als Körper dar: jedes Organ, jede
                                                     Extremität     hatte   eine    bestimmte
Der elisabethanische Mensch hatte einen festen Platz Funktion;     der    Kopf   war    selbst-
innerhalb der Hierarchie der Schöpfung.              verständlich der Herrscher.
Der elisabethanische Mensch selbst sah sich als Ebenbild Gottes, als das höchste
Körperwesen und als unterstes Geistwesen, er war „Spiegel und Modell der gesamten
Schöpfung“. Sein Körper setzte sich aus dem sublunaren Elementen Erde, Wasser, Feuer
und Luft zusammen. Dazu kamen noch die sogenannten Qualitäten: kalt, feucht, trocken
und heiß. Seine „Lebenssäfte“ „Schwarze Galle“, „Schleim“, „Rotes Blut“ und „Gelbe
Galle“ bestimmten seine Konstitution und sein Temperament, sprich Gemütszustand
(humours). Waren diese Säfte in einem ausgewogenen Verhältnis war der Mensch
ausgeglichen, gab es jedoch Missverhältnisse (und die gab es aufgrund der Erbsünde
immer) bildeten sich unterschiedliche Charaktertypen (Temperamente) heraus: Choleriker,
Phlegmatiker, Sanguiniker oder Melancholiker.

Element          Körpersaft               Temperament      Qualität
Erde             Schwarze Galle           Melancholiker    Kalt und trocken
Wasser           Schleim                  Phlegmatiker     Kalt und feucht
Feuer            Rotes Blut               Sanguiniker      Heiß und feucht
Luft             Gelbe Galle              Choleriker       Heiß und trocken

Nach elisabethanischem Weltbild lebte der Mensch als einziger in einer Art Gemeinwesen.
Anhand der Stufenlehre wurde er innerhalb der vierten Stufe mit ihren innewohnenden
weiteren Abstufungen eingegliedert und musste dort nach seinem sozialen Stand,
Berufsstand, Familienstand, Vermögensstand usw. verharren. Wurde diese Ordnung gestört
drohte die „Welt aus den Fugen zu geraten“ (Hamlet, I, 5).

http://www.dictadocta.de/html/shakespeare/weltbild.html

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ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
SHAKESPEARE UND DAS GLOBE THEATER
Die „Lord Chamberlain Men“ war die Theater-Company, mit der Shakespeare aufs engste
im Laufe seiner Karriere als Dramatiker und Schauspieler verbunden war. Die Chamberlain
Men“ sind wohl als die wichtigste Theatertruppe des elisabethanischen und jakobinischen
Englands anzusehen. Die Entstehungsgeschichte der Truppe ist etwas kompliziert. Eine
Theatertruppe namens „Hundson Men“, deren Gönner Henry Carey, 1. Lord Hundson war,
ist für die Jahre 1564 - 67 nachzuweisen. 1585 trat besagter 1. Lord Hundson das Amt des
Lord Chamberlain an in Folge dessen er sich als Patron einer weiteren Theatertruppe ab
1590 verantwortlich zeichnete, den „Chamberlain Men“.
                               Zwei Jahre später, also 1592, mussten alle Theater wegen der
                               umgreifenden Pest geschlossen werden. Bedingt durch den
                               enormen, täglichen Publikumsverkehr war die Gefahr einer
                               Ansteckung bzw. weiteren Verbreitung der Pest, zu groß.
                               Gerade die Zeiten der Pest waren für die Theatergegner eine
                               Zeit des Frohlockens. Puritanische Prediger und bürgerliche
                               Stadtautoritäten die die Theater ohnehin als „Brutstätten der
                               Sünde“, „des Laster“ und „der Verschwendung“ verdammten,
                               scheuten sich nicht, den Ausbruch der Pest als „Strafe Gottes“
                               zu erklären, da ihrer Forderung, sämtliche Theater für immer
                               zu schließen, nicht Folge geleistet worden war. Hielt der
                               Besuch einer Vorführung denn nicht von der Arbeit ab? Zogen
                               sie nicht den „sozialen Abschaum“ an? Waren die Theater
                               nicht Orte, in denen „sündiges Treiben“ öffentlich vorgeführt
                               wurde? Nach Ansicht dieser Herren war das Theater eine
Die „Chamberlain Men“.         Konzentration der Todsünden schlechthin.
Das Jahr 1594, als die Theater wieder geöffnet werden durften, war das Jahr der großen
Umstrukturierung und Zusammenlegung verschiedenster Theatergruppen. Eine er- und
verstärkte „Chamberlain‘s Men“ Truppe entstand, durch eine Fusion der „Hundson Men“
und „Chamberlain Men“. Nach dem Tod ihres Gönners im Jahre 1596, übernahm dessen
Sohn George Carey, 2. Lord Hundson die Patronage, was wiederum zu einer Umbenennung
in „Hundson Men“ führte. Dessen nicht genug, fand im Jahre 1597 eine - was wunder -
weitere Namensänderung in „Chamberlain Men“ statt, als besagter George Carey, das Amt
des Lord Chamberlain übernahm. Dankenswerterweise behielt die Truppe diesen Namen
bis März 1603, dem Zeitpunkt der Thronbesteigung James I. Eine Patenschaftsurkunde
dieser Zeit belegt, daß sich die Truppe königlicher Patronage erfreuen durften, was sich in
dem abschließenden Namen „King‘s Men“ Ausdruck verschafft.
Eine Aufführungsstatistik macht
deutlich, welch dominante Rolle
diese       Truppe      gegenüber
rivalisierenden    Theatergruppen
einnahm. Die einzige, namhafte
Konkurrenz waren die „Admiral‘s
Men“, die ihre Blütezeit während
der Regierung Elisabeth I. hatten.
Beginnend im Sommer 1594
scheinen die „Chamberlain’s Men“
fast ausschließlich in London
gespielt zu haben. Nur im Jahre
1597 gingen sie auf Tournee
durch die Provinz. Desweiteren
gaben sie 1603 Gastspiele über
Land, da in London wiedereinmal Die Bevölkerungsexpansion um 1600 machte die Existenz so
die Pest ausbrach.                 vieler Theater erst möglich – ebenso wie den Ausbruch der Pest.

                                                                                                 9
ROMEO & JULIA William Shakespeare - Premiere 17. Dezember 2010 Spielzeit 2010/2011
Die Truppe ihre Dramen in einem Theater in Newington Butts, einem Dorf südlich von
London auf und danach am wahrschein-lichsten in der Stadt selbst, im Cross Keys Inn,
vermutlich ein Gasthof. Später benutzten sie das Theater in Shoreditch, welches dem Vater
eines der Schauspieler (Richard Burbage) gehörte.

                                                       Im Herbst 1599 bezogen sie wohl ihr
                                                       berühmtestes Heim: das Globe Theatre,
                                                       welches, erbaut von Richard und Cuthbert
                                                       Burbage an der Southbank der Themse,
                                                       westlich der London Bridge bei Southwark
                                                       stand. Der Besitzer des Landes, auf dem
                                                       das Theater in Shoreditch stand, drohte
                                                       nach    Auslaufen    des    Pachtvertrages,
                                                       dass    Theater abzureißen. Daraufhin
                                                       demontierten Burbage und seine Kollegen
                                                       das Theater und errichten mit dem alten
                                                       Material das „Globe“, östlich des „Schwan“
Das Globe-Theater in Southwark , südlich von London.   und „Rose“ Theater.
Man vermutet, dass das „Globe“ zylindrisch in der Form, mit einem mit Reet gedeckten
Galeriedach, gewesen ist. 1613, während einer Aufführung von Henry VIII, fing das Reet
gedeckte Dach beim Abfeuern einer Kanone, die den Auftritt des Königs theatralisch
verstärken sollte, Feuer. Das ganze Theater wurde innerhalb einer Stunde zerstört. Bis Juni
1614 wurde es wieder aufgebaut, diesmal mit einem Ziegeldach. Desweiteren ging man zu
einer kreisförmigen, anstatt wie vordem zylindrischen Form über. 1644 wurde es von den
Puritanern geschleift, um an seine Stelle Mietskasernen zu errichten.
Die eingespielten Gewinne wurden zwischen den Mitgliedern der Schauspieltruppe und
den Besitzern des Globe (den sogenannten „Housekeepern“) aufgeteilt. 1608 bezogen die
„King‘s Men“ ein weiteres Theater als Winterquartier, dass ehemalige Kloster der
„Blackfriars“. Auch dieses Theater wurde von den Burbage‘s geleitet. Richard Burbage
starb im Jahre 1619, drei Jahre nach Shakespeare, John Heminge 1630. Das endgültige
Aus für die Theatergesellschaft kam nach Ausbruch der Englischen Bürgerkriege 1642,
als alle Theater geschlossen wurden.
Das ursprüngliche „Globe“ war eine architektonische
Mixtur verschiedenster traditioneller Theaterbauten.
Die kreisförmige Form assoziierte einen städtischen
Marktplatz. Die äußere, zwanzig-eckige Form, war
das maximalste zeitgenössischer Zimmermannskunst,
um möglichst dicht an eine Kreisform zu gelangen.
Im Inneren fand sich ein Gerüst, bestehend aus
Galerien in drei Ebenen, die einen runden Innenhof
umfassten, eine Kopie der beliebten Bärenhatz-
Arenen. Das „Globe“ war beinahe 10 Meter hoch und
vermochte an die 3000 Besucher zu fassen.
Das Publikum konnte es mittels zweier Passagen unter
den Galerien betreten, die in den Hof (oder die Arena)
mündeten. Die zwei äußeren Treppentürme führten
direkt zu den Galerien.                                Das Globe war fast ein Architekturwunder.

Die Bühne, auf ein ca. 1,50 m hohes Podest gesetzt, war ca. 14,50 m breit und 9 m tief und
ragte bis in die Mitte des Hofes hinein. Der vordere Teil war zu den Seiten und nach oben
offen, der hintere überdacht, den Abschluss bildete die Wand des Garderobenhauses,
in dem die Schauspieler ihre Kostüme, „playbooks“ und andere Utensilien verwahrten.
Diese Wand hatte zwei zweiflügelige Tore, durch die die Spieler auf die Bühne gelangen
konnten. Die Besucher des Theaters konnten sich im Hof stehend aufhalten oder über eine
der Treppen zu den Galerien hinaufgehen, wo sich aufsteigende Sitzreihen befanden.

                                                                                               10
Die Bühne war demnach von drei Seiten,
                                                 einzusehen.     Requisiten    fanden   nur
                                                 spärliche Anwendung, Kulissen oder
                                                 Aufbauten fehlten gänzlich. Gespielt wurde
                                                 in der Regel auf dem vorderen, offenen
                                                 Teil der Bühne. Die Aufführungen fanden
                                                 bei Tageslicht statt und dauerten zwischen
                                                 zwei und drei Stunden. Trompetenstöße
                                                 und Trommeln kündeten vom Beginn einer
                                                 Vorstellung, sowie eine gehisste Fahne,
                                                 während der Aufführung. Jeden Montag
                                                 bis Samstag wurde ein anderes Theater-
                                                 stück aufgeführt, und ca. alle drei Wochen
                                                 kam ein neues Stück hinzu. Ein Stehplatz
                                                 im Hof kostete 1 englischen Pfennig, ein
Kein Platz war weiter als 20 Meter von der Bühne Platz auf der Galerie 2 Pfennige und mit
entfernt – Schauspiel zum Greifen nah.           Sitzkissen 3 Pfennige.

http://www.dictadocta.de/html/shakespeare/theater.html

ROMEO & JULIA > Zur Aufführungsgeschichte

Romeo und Julia war von Anfang an ein sehr beliebtes Stück, worauf die vielen Zitate in
anderen Werken hinweisen. Der Erfolg setzte sich auch jenseits Englands fort: Romeo und
Julia wurde von wandernden englischen Schauspieltruppen in deutscher Fassung in ganz
Europa aufgeführt (für das ganze 17. Jahrhundert sind solche Aufführungen dokumentiert.)
Als die Theater in der Restaurationszeit wieder öffneten,
veranlasste William Davenant 1662 eine erste Aufführung von
Shakespeares Drama. Kurze Zeit später machte James Howard
aus dieser Aufführung eine Tragikomödie mit glücklichem
Ausgang; diese Fassung ist allerdings verschollen. 1679 hatte
Thomas Otways Adaptation The History and Fall of Caius Marius
ihre Erstaufführung. Das Stück spielt nicht mehr im
Renaissance-Verona, sondern im antiken Rom, Romeo heißt
Marius, Julia Lavinia, der Streit findet zwischen Patriziern und
Plebejern statt. Otways Fassung war ein großer Erfolg und
wurde über 70 Jahre lang aufgeführt. Theophilus Cibber (1744)
und David Garrick (1748) griffen bei ihren Bearbeitungen auf
Otways Ideen zurück.                                             Die berühmte Balkonszene.

Zum ersten Mal seit 1679 kehrte Shakespeares Originaltext (wenn auch stark gekürzt)
1845 auf die Bühne zurück. Die Aufführung am Londoner Haymarket Theatre ging auf die
Initiative der amerikanischen Schauspielerin Charlotte Cushman zurück, die Romeo spielte
(ihre jüngere Schwester Susan übernahm die Rolle der Julia). Seit dieser Aufführung
benutzte keine bedeutende Aufführung mehr eine Bearbeitung. Henry Irvings Produktion
von 1882 am Londoner Lyceum Theatre verdeutlicht sehr klar den damals bevorzugten
Ausstattungsstil (wertvolle Kostüme, lange Musik- und Tanzeinlagen, eindrucksvolle
Kulissen). Romeo und Julia blieb auch im 20. Jahrhundert eines der am häufigsten
aufgeführten Werke Shakespeares.
http://wapedia.mobi/de/Romeo_und_Julia?t=2.

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INTERVIEW MIT DER REGISSEURIN CATJA BAUMANN
                           > „Die Suppe auslöffeln, die wir uns einbrocken.“
Du inszenierst ROMEO UND JULIA. Wie schaust du auf die Geschichte dieser beiden jungen
Leute? Distanziert erwachsen oder mit identifikatorischer Nähe?
       So eindeutig ist das nicht zu beantworten. Zu Beginn der Vorbereitungen habe ich
       mich dabei ertappt, als Erwachsener auf diese große Liebe zu sehen. Ich gebe zu,
       dass ich die Naivität und die Bedingungslosigkeit, mit der sich die Beiden gegen
       alle Widerstände und in einer unglaublichen Ausschließlichkeit in dieses Gefühl
       werfen, anfangs belächelt und es als romantisches Ideal, als verklärte Teenieliebe
       abgetan habe.

                                                 Inzwischen glaube ich, dass mir, wie den
                                                 meisten anderen wahrscheinlich auch,
                                                 im Laufe des "Erwachsenwerdens",
                                                 die Fähigkeit abhanden gekommen ist,
                                                 mich einer Liebe in eben dieser Naivität
                                                 und Bedingungslosigkeit zu stellen,
                                                 ohne Erfahrungen, das meint ohne die
                                                 Angst vor Verletzungen, ohne den
                                                 Vorgeschmack der Wut, der Trauer, der
                                                 Enttäuschung oder der Ohnmacht, die
                                                 das Zerbrechen einer großer Liebe
                                                 immer begleitet, ohne Rücksicht auf alle
                                                 Konsequenzen.

       Deshalb habe ich in der Inszenierungsarbeit große Lust, mich als "Erwachsene"
       aufzumachen und mit diesen Beiden die Unschuld des ersten ganz großen echten
       Liebesgefühls, wenn schon nicht noch einmal erleben, dann doch zusammen mit
       den beiden Figuren erforschen zu können.

Der Konflikt, auf dem diese wohl weltberühmteste Liebestragödie beruht, erwächst aus dem
unerbittlichen Streit der Elternhäuser Capulet und Montague. Welcher Blickwinkel auf diese
Familienfehde interessiert dich heute – im Jahr 2010?
       Mich interessiert an diesem Stück die
       Frage nach der Verantwortung der
       Generationen füreinander. Wir haben es in
       Romeo       und     Julia    mit     einer
       gesellschaftlichen Situation zu tun, die,
       geschaffen von der Eltern- oder sogar der
       Großelterngeneration, komplett verfahren
       und erstarrt ist. Am Ende sind die Jungen
       tot und die Alten bleiben zurück, bereuen
       und beginnen über Veränderungen
       nachzudenken - zu spät.

       Das ist für mich angesichts der politischen, sozialen und ökologischen
       Weichenstellungen, denen wir uns als Gesellschaft derzeit gegenübersehen, eine
       zentrale Frage: Was für Bedingungen schaffen wir für zukünftige Generationen?
       In was für eine Welt werfen wir unsere Kinder? Gestalten wir sie so,
       dass Handlungsspielräume für zukünftige Generationen bleiben, oder werden die
       Jugendlichen von heute und morgen in verschiedenster Weise nur die Suppe
       auszulöffeln haben, die wir ihnen eingebrockt haben?

                                                                                       12
Zählst du dich schon, du bist gerade erst 30 geworden, zu denen, die anderen eine
unbekömmliche Suppe einbrocken werden?
                                               Die Verantwortung dafür, wie die Zukunft
                                               einer Gesellschaft aussieht, mit Verweis auf
                                               das eigene Alter auf später zu vertagen,
                                               finde ich generell feige. Angesichts der
                                               Tatsache, dass sich mein Freundeskreis
                                               gerade mehr und mehr in "mit mir
                                               befreundete junge Elternpaare" verwandelt,
                                               fürchte ich jedoch, ich muss mich mit dem
                                               Gedanken anfreunden, dass ich altersmäßig
                                               inzwischen     mehr    in    Richtung    der
                                               Einbrocker, als der Auslöffler wandere.
       Obwohl ich glaube, dass meine Altersgruppe gerade erst dabei ist, die Suppe
       zu kosten, die für uns gekocht wurde. Die Brocken liegen noch vor uns. - Es ist klar,
       dass jede Generation ihren persönlichen Scherbenhaufen für die kommenden
       hinterlässt. Die Aufgabe besteht darin, ihn möglichst klein zu halten.

Wer hat für wen Verantwortung in diesem Stück? Ausschließlich die Eltern für ihre Kinder?
Oder gibt es auch eine Verantwortlichkeit, die die Jungen in diesem Konfliktfeld wahrnehmen
müssen?
       Natürlich tragen die Eltern die Hauptverantwortung für die Bedingungen in dieser
       Gesellschaft, in der sich Romeo, Julia und ihre Altersgenossen zurechtfinden
       müssen. Schließlich wurden diese Bedingungen geschaffen, bevor die junge
       Generation dazu in der Lage war, zu widersprechen, oder sie mitzugestalten.
       Allerdings kann man dagegenhalten, dass
       es in der Verantwortung der jungen
       Generation liegt,       erstarrte Systeme
       aufzubrechen, neue Wege zu gehen und so
       neue Bedingungen für eine andere Zukunft
       zu schaffen. In gewissem Sinne versuchen
       Romeo und Julia das ja. Nicht bewusst
       politisch - aber in ihrer Entscheidung für
       die "konfliktübergreifende" Liebe gegen die
       Anforderungen der eigenen Familien liegt
       etwas Revolutionäres.

Wenn du dir für „Romeo und Julia“ ein Happyend ausdenken müsstest, wie sähe es aus?
       Romantisch-verklärt: Romeo und Julia schaffen es, auf eine einsame Insel zu fliehen.
       Romeo wird Philosoph, Julia bildende Künstlerin, sie bekommen mindestens drei
       Kinder und bauen sich ein neues Leben ohne Streit und Nachbarschaftskrieg auf.
                                       Politisch-Aktiv: Romeo kommt aus Mantua zurück,
                                       rechtzeitig wacht Julia auf, die beiden entscheiden
                                       selbstverständlich gelingt und dazu führt, dass
                                       Romeo in die Politik geht, Bundeskanzler wird, mal
                                       so richtig aufräumt, verantwortlich und sozial-
                                       politische Entscheidungen fällt - mit Julia als
                                       Außenministerin an seiner Seite.
       Im Ernst: Romeo und Julia mit Happyend? Liegt nicht im Glauben an die Liebe, in
       der Bereitschaft für diese bis in den Tod zu gehen, das eigentliche Versprechen
       dieses Paares an unsere schnelle Zeit der virtuellen Wegwerfbeziehungen?

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LIEBESBEZIEHUNGEN > Verschwörung gegen den Rest der Welt
Liebe ermöglicht die Ausgrenzung von Dritten aus der Liebesbeziehung.
Eine Liebesbeziehung kann sich nun einmal nicht im Kollektiv entwickeln. Dort, wo das
Kollektiv beginnt, endet das Liebespaar. Die Liebe ermöglicht Exklusivverhältnisse.
Sie erleichtert beispielsweise die Aus und Abgrenzung von Familie. Sowohl gegenüber den
Herkunftsfamilien der Liebenden wie gegenüber eigenen Kindern. Kinder können das
exklusive Liebesverhältnis eines Paares gefährden. Sie mischen sich ein und attackieren
damit die Liebesbeziehung.
Liebesbeziehungen grenzen sich über Geheimnisse von anderen und von anderem ab.
Liebende teilen Geheimnisse und gehorchen einem Verratsverbot. Der Verrat gegenüber
Dritten ist der Verrat an der exklusiven Liebesbeziehung, weil er die Liebesbeziehung für
andere öffnet. Das Geheimnis verbindet, der Verrat trennt das Liebespaar. Das Geheimnis
schließt Dritte aus, der Verrat schließt Dritte ein.
Das exklusive Geheimnis des Liebespaares kann außenstehenden Dritten wie eine Art von
Verschwörung vorkommen. Eine Verschwörung, die sich auch von herrschender Moral,
politischer Korrektheit, ja von Gesetz und Gebot abgrenzt. Die Liebesbeziehung, eine
kriminelle Vereinigung, organisiertes Verbrechen. Man muss nicht bis Adam und Eva
zurückgehen, die ihre Liebesbeziehung ja auf Ungehorsam und Verbots Verletzung
aufbauen. »Bonnie und Clyde« machen es ebenso.
Die Liebe kann aber nicht nur eine Abgrenzung gegenüber Personen, Normen, Gesetzen
und der Welt ermöglichen, sie kann auch eine neue und andere Art der Bezugnahme zur
Welt sein. Die Liebe kann Gegengewicht zu einer Weltsicht werden, die alles nur unter
Nützlichkeitsgesichtspunkten sieht und wertet. Die Liebe entbehrt der Nützlichkeit.
Nützlichkeit bindet an diese Welt; die unökonomische Liebe ist dagegen dazu da,
verschwendet, aufgeopfert, verspielt und verausgabt zu werden.
Der Liebe wird Selbst und Weltverzauberung zugetraut - oder zugemutet. Der Geliebte soll
zum Universum werden, indem man sich selbst als Liebendem und Geliebtem und damit
der Welt Sinn zuschreibt. Dem Geliebten glaubt man zu verdanken, dass man durch ihn und
durch die Liebe zu ihm das eigene Ich entfalten kann, Identität gewinnt und damit auch
die Welt wiederherstellen kann. Die Liebe wird zu einer Methode, um sich selbst und
die verlorene Welt hervorzubringen. Man möchte angesprochen und gesehen werden,
um zu sein.
Liebesbeziehungen stellen also Beziehungsformen dar, die sich mit bestimmten
Vorstellungen, Erwartungen und Befürchtungen verbinden. Sie unterliegen dabei
bestimmten Regeln, die sich beschreiben lassen: Die Regeln der Liebe Diese Regeln sind
nicht zu verstehen als Vorschriften, nach denen gehandelt werden muss. Es sind
Vorschriften, die in einem langen kulturellen Entwicklungsprozess entstanden sind und die
sich in unserer Vorstellungswelt fest etabliert haben. Sie sind zu beachten, will man in einer
Liebesbeziehung mitspielen.

Quelle: Arnold Retzer, Lob der Vernunftehe, Frankfurt a.M 2009

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ROMANTISCHE LIEBE > Die Sehnsucht nach Utopie
Die Vorstellung, romantische Liebe bilde einen Eckpfeiler der Kultur des Kapitalismus, ist
nicht neu. Die Liebe bleibt eine der wichtigsten Mythologien unserer Zeit. Ich möchte
deshalb an den Anfang dieser Untersuchung folgende Frage stellen: Warum haben die
romantische Liebe und die damit verbundenen Mythologien unsere kollektive
Vorstellungskraft so sehr im Griff?
In der ersten Hälfte dieses Buches behaupte ich, dass diese lange währende Macht der
Liebe sich wenn auch nur teilweise aus der Tatsache erklären lässt, dass die Liebe ein
bevorzugter Ort utopischer Erfahrung ist. In den kapitalistischen Gesellschaften enthält die
Liebe eine utopische Dimension, die sich nicht einfach auf »falsches Bewusstsein« oder auf
den angeblichen Einfluss der »Ideologie« auf die menschlichen Sehnsüchte reduzieren
lässt. Im Gegenteil, die Sehnsucht nach einer Utopie, die den Kern romantischer Liebe
bildet, weist tief reichende Affinitäten zur Erfahrung des Heiligen auf. Diese Erfahrung ist
nicht aus den säkularen Gesellschaften verschwunden, sondern hat sich aus der Sphäre der
Religion auf andere kulturelle Bereiche verlagert.
Einer dieser Bereiche ist die romantische Liebe. Paradoxerweise kam es gerade zu der Zeit
zur »Sakralisierung« einer säkularisierten Liebe, als die Liebesbeziehung diejenigen
Bedeutungen verlor, die sie lange aus der institutionellen Religion entliehen hatte. An der
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die romantische Liebe kein »Altar« mehr an dem
die Liebenden eine kultische »Weihehandlung« vollzogen, die man in Begriffe christlicher
Frömmigkeit fasste. Indem sie säkularisiert wurde, nahm die Liebesbeziehung die
Eigenschaften des Rituals an: Sie schöpfte zunehmend aus Themen und Bildern, die einen
temporären Zugang zu einer machtvollen kollektiven Utopie von Überfluss, Individualität
und schöpferischer Selbsterfüllung boten, und diese utopischen Bedeutungen erfuhr man
mittels des zyklischen Vollzugs von Konsumritualen.
Diese Themen, die die romantische Utopie bestimmen, gingen dem Aufstieg des
Kapitalismus voraus. Viele Autoren haben gezeigt, dass romantische Liebe in den meisten
Gesellschaften (und auch im vormodernen Europa) als subversive Macht galt, welche die
rechtliche und moralische Ordnung bedrohte. Doch nirgends spielt diese Beobachtung eine
größere Rolle als in der westlichen Kultur, wo die romantische Liebe von einer Aura der
Transgression umgeben war und zugleich in den Rang eines höchsten Wertes erhoben
wurde. Die Vorstellungen, die unsere romantische Imagination bestimmen, beharren auf
dem unteilbaren Recht auf Leidenschaft, sie widersetzen sich den üblichen Anordnungen
und Teilungen nach Geschlecht, Klasse oder nationaler Zugehörigkeit.
Ein Grund dafür, dass romantische Liebe als dermaßen destabilisierend gilt, liegt darin,
dass sie einen für jede soziale Gruppe grundlegenden Regulationsmechanismus in Frage
stellt, nämlich die Blutsverwandtschaft. In dem Maße, in dem romantische Liebe auf der
individuellen Partnerwahl beharrt, erkundet sie die Grenzen der Regeln, welche die Gruppe
zusammenhalten. Die romantische Liebe hat zumindest auf der Ebene der symbolischen
Repräsentation die Sehnsucht nach und das utopische Modell einer Souveränität des
Individuums jenseits und oftmals gegen die Forderungen der Gruppe zum Ausdruck
gebracht. Lange vor dem besitzgierigen Individualismus des kommerziellen und
industriellen Kapitalismus feierte die romantische Liebe den moralischen Individualismus,
einen Wert, der im Weltbild des industriellen Kapitalismus eine überragende Rolle spielt.
Darüber hinaus beschränkten die Heiratsvorschriften im vormodernen Europa nicht nur die
Autonomie des Individuums, sondern regelten auch den Austausch von Reichtum.
Angehörige des Landadels heirateten Menschen von ähnlichem oder höherem Stand und
Vermögen, um ihr Patrimonium und ihren sozialen Status zu erhalten. Der Historiker
Theodor Zeldin behauptet, dass die Hochzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf allen
gesellschaftlichen Ebenen (mit Ausnahme der untersten, die sich diese Zeremonie nicht
leisten konnte) als eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Finanzoperation des
gesamten Lebens galt.

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Weit entfernt von der modernen Vorstellung von Liebe, war die ideale Ehe dieses Zeitalters
diejenige, in der »die Vermögen beider Partner völlig gleichwertig waren: die ideale Ehe
war ein Geschäft unter Gleichen«. Zeldin weist darauf hin, dass in einem solchen Klima »die
Liebe der große Feind für die elterliche Autorität war, ein Rebell, der all ihre Vorhaben mit
ziemlicher Sicherheit in die Katastrophe führen würde«. Die romantische Liebe galt als
etwas, das den Strategien sozialer Reproduktion, die üblicherweise durch die Institution der
Ehe gesichert wurden, zuwiderlief. Sie stand für Werte wie Interesselosigkeit, Irrationalität
und Indifferenz gegenüber Reichtümern. In der populären Literatur jedoch galt die Liebe
ironischerweise als etwas, das auf magische Weise, ohne kaltherzige Berechnung
ökonomische Sicherheit und Überfluss verschafft.
Die romantische Liebe geht also dem Kapitalismus als solchem voraus, bringt aber zugleich
zwei Leitmotive zum Ausdruck, die später in den zentralen Ideologemen des Kapitalismus
ihren Widerhall finden. Das eine betrifft die Souveränität des Individuums gegenüber der
Gruppe; diese Souveränität zeigt sich in der unerlaubten Wahl des Sexualpartners und in
der Weigerung des Liebenden, sich gegenüber den von der Gruppe gesetzten Heiratsregeln
konform zu verhalten. Das andere Leitmotiv betrifft die für die bürgerliche Ideologie
zentrale Unterscheidung zwischen Interesse und Gefühlen, Selbstsucht und Selbstlosigkeit,
die in der Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre verkörpert ist.
In dieser Unterscheidung beharrt die romantische Liebe auf dem Vorrang der Gefühle vor
sozialen und ökonomischen Interessen, der Zuneigung vor dem Profit, des Überflusses vor
den durch die Akkumulation verursachten Verlusten. Indem sie den Supremat der
menschlichen Beziehungen, die geleitet sind von der interesselosen Hingabe der eigenen
Person, verkündet, feiert die Liebe nicht nur die Verschmelzung individueller Seelen und
Körper, sondern eröffnet auch die Möglichkeit einer anderen gesellschaftlichen Ordnung.
Die Liebe vermittelt damit eine Aura der Transgression, sie verspricht und fordert eine
bessere Welt.

Quelle:Eva Illouz, Der Konsum der Romantik, Frankfurt a.M. 2003

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