Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands - Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (3)
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Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (3) Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands Reptilien
Europäische Sumpfschildkröte Ringelnattern kommen in allen deutschen Bundeslän- dern vor. Bei uns leben zwei Arten, von denen die hier gezeigte Barrenringelnatter (Natrix helvetica) in Nord- rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Westen von Hessen und Baden-Württemberg sowie in Südbayern nachgewiesen ist. Da die Datenlage für eine getrennte Bewertung der beiden Arten noch nicht aus- reicht, wurde die Barrenringelnatter weiterhin gemein- Schildkröten, die an den Binnengewässern Deutsch- sam mit der Ringelnatter im engen Sinn eingeschätzt: lands beobachtet werden können, sind in der Regel Sie wird in der vorliegenden Roten Liste als „Gefährdet“ ausgesetzte Terrarientiere amerikanischer Schmuck- eingestuft. (Foto: Ulrich Schulte) schildkröten. Die einheimische Europäische Sumpf- schildkröte (Emys orbicularis) hat nur an ganz wenigen, schwer zugänglichen Gewässern in Nord- ostdeutschland überlebt. Heute ist sie „Vom Ausster- ben bedroht“. Andere Vorkommen in der Mitte und im Südwesten Deutschlands stammen aus Ansiedlungs- projekten. In früheren Jahrhunderten war die Sumpf- schildkröte nicht selten, sie wurde sogar massenhaft gefangen und als Fastenspeise auf Märkten verkauft. Nur ein strenger Schutz und spezielle Artenschutz- maßnahmen können ein Erlöschen ihres Bestandes in Deutschland verhindern. (Foto: Norbert Schneeweiß) Barrenringelnatter Waldeidechse Erst in jüngerer Zeit wurde festgestellt, dass die euro- päischen Blindschleichen zu mehreren unterschied- lichen Arten gehören. In Deutschland kommt nur die Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis) vor. Sie ist hier zwar noch die häufigste Reptilienart und wird nach wie vor als „Ungefährdet“ eingestuft, aber auch ihre Be- stände sind merklich zurückgegangen. Wegen ihrer ver- steckten Lebensweise sind Blindschleichen nicht leicht nachzuweisen. Ihre Nahrung – Nacktschnecken, Regen- würmer und Asseln – finden sie sowohl in Wäldern als Die Waldeidechse (Zootoca vivipara) hat ein sehr auch in Wiesen, Gärten und Brachen. Blindschleichen großes Verbreitungsgebiet. So lässt sich die Art können über 40 Jahre alt werden. Da sie viele Fressfein- von Irland bis Japan nahezu in ganz Eurasien nach- de haben und durch Fahrzeuge gefährdet sind, sterben weisen. Selbst im Norden Norwegens kommt die sie meist früher. (Foto: Ulrich Schulte) Waldeidechse vor und ist damit die Reptilienart, die den Polarkreis am weitesten überschreitet. Trotz ihrer enormen Anpassungsfähigkeit gerät die klei- ne Eidechsenart hierzulande jedoch zunehmend in Gefahr. Insbesondere die starken Veränderungen in Westliche Blindschleiche der Bewirtschaftung von Feuchtwiesen, Mooren und Waldrändern haben zu Bestandsabnahmen geführt. Die früher ungefährdete Art wird jetzt auf der „Vor- warnliste“ geführt. (Foto: Ulrich Schulte)
Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 170 (3) Rote Liste und Gesamtartenliste der Reptilien (Reptilia) Deutschlands Bundesamt für Naturschutz Bonn - Bad Godesberg 2020
Titelfoto: Jungtier der Kreuzotter (Vipera berus). (Foto: Ulrich Schulte) Redaktion (Rote-Liste-Zentrum): Katja Rohde-Fingerle, Günter Matzke-Hajek, Tino Broghammer, Jonas Bunte und Margret Binot-Hafke Rote-Liste-Zentrum (RLZ) DLR Projektträger, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. Heinrich-Konen-Straße 1, 53227 Bonn www.rote-liste-zentrum.de Redaktion (Bundesamt für Naturschutz): Fachgebiete II 1.1 „Zoologischer Artenschutz” und II 1.2 „Botanischer Artenschutz” Layout: Andrea Nolte und Konstanze Krüger (beide RLZ) Gestaltung Piktogramm: Natalie Hofbauer (BfN) und Anja Addis Zitierhinweis: Rote-Liste-Gremium Amphibien und Reptilien (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Reptilien (Reptilia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (3): 64 S. Zitierhinweis Artkapitel (Beispiel): Lenz, S.; Fritz, K. & Schulte, U. (2020): Westliche Smaragdeidechse (Lacerta bilineata). – In: Rote-Liste-Gremium Amphibien und Reptilien: Rote Liste und Gesamtartenliste der Reptilien (Reptilia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (3): 28–29. Diese Veröffentlichung wird aufgenommen in die Literaturdatenbank DNL-online (www.dnl-online.de). Institutioneller Herausgeber: Bundesamt für Naturschutz (BfN) Konstantinstraße 110, 53179 Bonn www.bfn.de Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und Vollständigkeit der Anga- ben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten und Meinun- gen müssen nicht mit denen des Herausgebers übereinstimmen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Nachdruck, auch in Auszügen, nur mit Genehmigung des BfN. Druck: Westermann Druck Zwickau GmbH, Zwickau Aus technischen Gründen wurde auf die Dar- stellung der Legende auf den Umschlagssei- Bezug über: ten gegenüber der Printversion verzichtet. BfN-Schriftenvertrieb – Leserservice – im Landwirtschaftsverlag GmbH 48084 Münster Gedruckt auf „Vivus silk“, Tel.: 02501 801-3000 | Fax: 02501 801-204 hergestellt aus 100 % Recyclingmaterial, E-Mail: service@lv.de FSC® zertifiziert und mit dem oder im Internet: https://bfn.buchweltshop.de EU Ecolabel ausgezeichnet. ISBN 978-3-7843-3773-9 DOI 10.19213/972173/ Bonn - Bad Godesberg 2020
Rote Liste der Reptilien Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung ................................................................................................................................................................................7 Abstract......................................................................................................................................................................................................7 1 Einleitung .............................................................................................................................................................................................8 1.1 Vorbereitungen durch die AG Feldherpetologie und Artenschutz der DGHT e.V. ...........................................8 1.2 Gründung eines Rote-Liste-Gremiums ...........................................................................................................................8 2 Grundlagen..........................................................................................................................................................................................8 2.1 Taxonomie, Nomenklatur und Zahl der Taxa................................................................................................................8 2.2 Prozess der Gefährdungsanalyse ......................................................................................................................................9 2.3 Datengrundlagen ................................................................................................................................................................ 11 2.4 Neozoen/Paraneozoen ...................................................................................................................................................... 11 2.5 Bezugszeit und Zeiträume für die Ermittlung von Vorschlagswerten .............................................................. 13 2.6 Aktuelle Bestandssituation.............................................................................................................................................. 14 2.7 Bestandstrends .................................................................................................................................................................... 16 2.8 Risiko/stabile Teilbestände............................................................................................................................................... 17 2.9 Verantwortlichkeit .............................................................................................................................................................. 17 2.10 Abhängigkeit von Naturschutzmaßnahmen............................................................................................................. 18 3 Gesamtartenliste, Rote Liste und Artkapitel ......................................................................................................................... 19 3.1 Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) ................................................................................................... 22 3.2 Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis)................................................................................................................... 24 3.3 Zauneidechse (Lacerta agilis) .......................................................................................................................................... 26 3.4 Westliche Smaragdeidechse (Lacerta bilineata) ....................................................................................................... 28 3.5 Östliche Smaragdeidechse (Lacerta viridis) ............................................................................................................... 30 3.6 Mauereidechse (Podarcis muralis) ................................................................................................................................. 32 3.7 Waldeidechse (Zootoca vivipara).................................................................................................................................... 34 3.8 Schlingnatter (Coronella austriaca)............................................................................................................................... 36
Inhaltsverzeichnis 3.9 Ringelnatter i. w. S. (Natrix [Superspezies natrix]).................................................................................................... 38 3.10 Würfelnatter (Natrix tessellata)...................................................................................................................................... 40 3.11 Aspisviper (Vipera aspis) .................................................................................................................................................... 42 3.12 Kreuzotter (Vipera berus) .................................................................................................................................................. 44 3.13 Äskulapnatter (Zamenis longissimus)........................................................................................................................... 46 4 Auswertung ...................................................................................................................................................................................... 48 4.1 Auswertung der Kategorien ............................................................................................................................................ 48 4.2 Auswertung der Kriterien................................................................................................................................................. 48 4.3 Auswertung der Kategorieänderungen....................................................................................................................... 51 4.4 Verantwortlichkeit .............................................................................................................................................................. 52 5 Gefährdungsursachen und notwendige Hilfs- und Schutzmaßnahmen ............................................................. 53 6 Danksagung...................................................................................................................................................................................... 54 7 Literatur.............................................................................................................................................................................................. 56 Anhang .................................................................................................................................................................................................. 62 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Übersicht über die jeweils aktuellsten Landesherpetofaunen bzw. verfügbaren Nachweiskarten mit Erfassungszeitraum sowie Rastergröße ...................................................................................................................... 12 Tab. 2: Einstufung in die Kriterienklassen der aktuellen Bestandssituation auf Basis der Rasterfrequenz....... 14 Tab. 3: Kriterienklassen und Klassengrenzen des kurzfristigen Bestandstrends ........................................................ 17 Tab. 4: Gesamtartenliste und Rote Liste.................................................................................................................................... 21 Tab. 5: Bilanzierung der Anzahl etablierter Taxa und der Rote-Liste-Kategorien........................................................ 48 Tab. 6: Auswertung der Kriterien zu den bewerteten Taxa ................................................................................................ 50 Tab. 7: Kategorieänderungen gegenüber der früheren Roten Liste (Kühnel et al. 2009) und ihre Bilanzierung ........................................................................................................................................................ 52 Tab. 8: Einstufung in die Verantwortlichkeitskategorien .................................................................................................... 53
Rote Liste der Reptilien Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Weibchen der Barrenringelnatter. Kröv, Rheinland-Pfalz.......................................................................................... 10 Abb. 2: Räumliche Verteilung aller Erfassungsdatensätze von Reptilientaxa auf der Ebene von TK25-Quadranten ab dem Jahr 2000 ................................................................................................................................ 15 Abb. 3: Weibchen der Europäischen Sumpfschildkröte auf der Wanderung zur Eiablage ...................................... 23 Abb. 4: Gelegeplatz der Europäischen Sumpfschildkröte, Brandenburg........................................................................ 23 Abb. 5: Aquatischer Sumpfschildkröten-Lebensraum in der Uckermark, Brandenburg ......................................... 23 Abb. 6: Westliche Blindschleiche bei Töging am Inn, Bayern............................................................................................. 25 Abb. 7: Lebensraum der Westlichen Blindschleiche bei Wesel, Nordrhein-Westfalen ............................................. 25 Abb. 8: Weibchen der Westlichen Blindschleiche mit neugeborenen Jungtieren im Taunus, Hessen................ 25 Abb. 9: Bahnanlage als Sekundärlebensraum der Zauneidechse .................................................................................... 27 Abb. 10: Zauneidechsen-Paar .......................................................................................................................................27 Abb. 11: Primärlebensraum der Zauneidechse in der Muldeaue, Sachsen..................................................................... 27 Abb. 12: Lebensraum der Westlichen Smaragdeidechse am Kaiserstuhl, Baden-Württemberg............................. 29 Abb. 13: Westliche Smaragdeidechse .......................................................................................................................................... 29 Abb. 14: Lebensraum der Westlichen Smaragdeidechse im Nahetal, Rheinland-Pfalz .............................................. 29 Abb. 15: Sukzession als Ursache für den Verlust geeigneter Lebensräume der Östlichen Smaragdeidechse, Brandenburg................................................................................................................................... 31 Abb. 16: Primärlebensraum der Östlichen Smaragdeidechse bei Jochenstein, Bayern .............................................. 31 Abb. 17: Paar der Östlichen Smaragdeidechse.......................................................................................................................... 31 Abb. 18: Flurbereinigung eines Weinbergs an der Mosel, Rheinland-Pfalz..................................................................... 33 Abb. 19: Männchen der Mauereidechse – Unterart Podarcis muralis brongniardii...................................................... 33 Abb. 20: Primärlebensraum der Mauereidechse im Südschwarzwald, Baden-Württemberg.................................. 33 Abb. 21: Waldeidechse ...................................................................................................................................................................... 35 Abb. 22: Lebensraum der Waldeidechse im Kulturland, Brandenburg ............................................................................. 35 Abb. 23: Lebensraum der Waldeidechse an einem Waldweg in Nordostdeutschland ............................................... 35 Abb. 24: Lebensraum der Schlingnatter an der Ahr, Rheinland-Pfalz................................................................................ 37
Inhaltsverzeichnis Abb. 25: Schlingnatter ....................................................................................................................................................................... 37 Abb. 26: Trockenmauer als Teillebensraum der Schlingnatter ............................................................................................ 37 Abb. 27: Altarm eines Flusses als Lebensraum der Ringelnatter ........................................................................................ 39 Abb. 28: Lebensraum der Ringelnatter an einem Waldsee................................................................................................... 39 Abb. 29: Weibchen der Ringelnatter bei Ammelshain, Sachsen ......................................................................................... 39 Abb. 30: Lebensraum der Würfelnatter im Nahetal, Rheinland-Pfalz............................................................................... 41 Abb. 31: Lebensraum der Würfelnatter im Lahntal, Rheinland-Pfalz................................................................................ 41 Abb. 32: Würfelnatter-Paar.............................................................................................................................................................. 41 Abb. 33: Blockhalde im Südschwarzwald, Baden-Württemberg, als Lebensraum der Aspisviper .......................... 43 Abb. 34: Lichter Eichenwald als Lebensraum der Aspisviper................................................................................................ 43 Abb. 35: Männchen der Aspisviper................................................................................................................................................ 43 Abb. 36: Rotes Exemplar der Kreuzotter am Altwarmbüchener See, Niedersachsen.................................................. 45 Abb. 37: Lebensraum der Kreuzotter im Günnemoor, Niedersachsen.............................................................................. 45 Abb. 38: Lebensraum der Kreuzotter im Spessart, Bayern .................................................................................................... 45 Abb. 39: Lebensraum der Äskulapnatter im Odenwald, Hessen......................................................................................... 47 Abb. 40: Lebensraum der Äskulapnatter bei Passau, Bayern ............................................................................................... 47 Abb. 41: Äskulapnatter...................................................................................................................................................................... 47 Abb. 42: Kreuzotter............................................................................................................................................................................. 49 Abb. 43: Anteile der jeweils bewerteten Taxa in den Rote-Liste-Kategorien im Vergleich zu Kühnel et al. (2009) .......................................................................................................................................................................... 51
Naturschutz und Biologische Vielfalt | 170 (3) | 2020 | 64 S. | Bundesamt für Naturschutz Rote Liste und Gesamtartenliste der Reptilien (Reptilia) Deutschlands Stand: 8. Juni 2019 Rote-Liste-Gremium Amphibien und Reptilien1 Zusammenfassung In der vorliegenden Roten Liste und Gesamtartenliste der Reptilien Deutschlands, welche die Liste von 2009 ersetzt, werden 13 Taxa bewertet. Den zahlreichen Experten und Expertinnen, die an der Gefährdungsanalyse beteiligt waren, standen Auswertungen bundesweiter Rasterverbreitungsdaten zur Verfügung. Durch die Anerkennung der Barrenringelnatter und der Ringelnatter im engen Sinn als jeweils eigene Spe- zies hat sich die Artenzahl gegenüber der vorherigen Gesamtartenliste von 13 auf 14 erhöht. Hinsichtlich ihrer Gefährdung werden allerdings beide Arten noch gemeinsam bewertet. Insgesamt werden 9 Taxa als bestandsgefährdet (in die Kategorien 1, 2 und 3) eingestuft. Davon sind 4 Ar- ten „Vom Aussterben bedroht“. Die Reptilien sind die Wirbeltiergruppe mit den höchsten Anteilen bestands- gefährdeter Taxa und einer besonders alarmierenden Gefährdungssituation. Deutschland ist für die weltwei- te Erhaltung der Westlichen Blindschleiche in hohem Maße verantwortlich und hat eine Verantwortlichkeit besonderen Maßes für hochgradig isolierte Vorposten weiterer 6 Reptilienarten (Äskulapnatter, Europäische Sumpfschildkröte, Mauereidechse, Östliche Smaragdeidechse, Westliche Smaragdeidechse, Würfelnatter). Für jedes Taxon wird in einem eigenen Kapitel die Gefährdungsanalyse detailliert erläutert und es werden spezifische Gefährdungsursachen genannt. Des Weiteren gibt diese Rote Liste Hinweise, wie die Situation der Taxa durch Schutzmaßnahmen verbessert werden kann. Abstract In the present Red List and checklist of reptiles, which replaces the 2009 edition, 13 established taxa are assessed. Analyses of national grid distribution data were available for the numerous experts contributing to the threat assessment. Compared to the previous edition, the number of species in the checklist has increased from 13 to 14 be- cause the barred grass snake and the common grass snake are now accepted as separate species. However, the threat situation of both species is still being assessed collectively. In total, 9 taxa are classified as “Threatened” (in the categories 1,2, and 3). Among these, 4 species are classi- fied as “Critically Endangered”. Therefore, reptiles are the group of vertebrates with the highest ratio of threat- ened taxa and a particularly alarming overall threat situation. Germany is highly responsible for the worldwide conservation of the western slow worm and has a particular responsibility for highly isolated outposts of fur- ther 6 reptile species (Aesculapian snake, common wall lizard, dice snake, European green lizard, European pond turtle, western green lizard). For each taxon, the risk assessment and specific threats are presented in detailed chapters. Furthermore, this Red List provides guidance on how to improve the situation of the taxa through conservation measures. 1 Eine vollständige Liste aller Autorinnen und Autoren befindet sich auf S. 63 – 64. 7
Einleitung 1 Einleitung 3511861100) durch, das alle bundesweit verfügba- ren Verbreitungsdaten der Amphibien und Reptilien Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in einer Datenbank zusammenführte (Schulte et al. wurden vor dem Jahr 1989 insgesamt drei Rote Listen 2015, Podloucky & Geiger 2018). Im Rahmen eines der Reptilien erstellt (Blab & Nowak 1976, Blab & No- Anschlussvertrages zwischen der DGHT und dem wak 1977, Blab & Nowak 1984). In der DDR gab es für BfN („Unterstützungsleistungen zur Vorbereitung diese Artengruppe bis auf einzelne Regionallisten mit der bundesweiten Roten Listen der Amphibien und Schutzempfehlungen keine staatsgebietsumfassen- Reptilien – Aktualisierung des Verbreitungsatlas so- de Rote Liste. Die erste gesamtdeutsche Rote Liste der wie Analyse von Bestandstrends“, Förderkennzeichen Reptilien nach der Wiedervereinigung wurde von Blab 351586030E) wurde die Datenbank zwischen Mai et al. (1994) veröffentlicht. Nur zwei Jahre später gab 2017 und August 2018 mit Datensätzen aus sieben das von Günther (1996) herausgegebene Standard- Bundesländern aktualisiert. Das vorrangige Ziel des werk „Die Amphibien und Reptilien Deutschlands” Aufbaus der Datenbank mit über einer Million Daten- den ersten auf Rasterdaten basierenden Überblick zur sätzen war – neben der Publikation eines Online-At- Verbreitung der Amphibien und Reptilien in der Bun- las in der Auflösung von TK25-Quadranten (DGHT desrepublik Deutschland. 1998 erschien die zweite 2018) – die Schaffung einer Datenbasis zur Erstellung gesamtdeutsche Rote Liste für die Reptilien (Beutler der vorliegenden Roten Liste. et al. 1998). Weitere elf Jahre später veröffentlichten Kühnel et al. (2009) die dritte Rote Liste der Reptilien Deutschlands. Die Bewertung der aktuellen Be- 1.2 Gründung eines Rote-Liste-Gremiums standssituation basierte darin bereits auf den von Günther (1996) veröffentlichten Verbreitungskarten Am 20.02.2018 wurde in einer konstituierenden auf Ebene ganzer TK25-Rasterfelder (Topografische Sitzung durch 22 Experten und Expertinnen ein Karte im Maßstab 1 : 25.000). Die Bestandstrends Rote-Liste-Gremium zur Erstellung der vorliegenden wurden in allen bisherigen Roten Listen der Reptilien sowie zukünftiger Roter Listen der Amphibien und in erster Linie auf der Grundlage von Expertenwissen Reptilien der Bundesrepublik Deutschland gegrün- und Experteneinschätzungen bewertet. det. Da das Gremium ausschließlich auf eine Bünde- Die Kriterieneinschätzung für die vorliegende Rote lung der Expertise zu den Amphibien und Reptilien Liste wurde mithilfe von aktuellen Verbreitungskar- Deutschlands ausgerichtet ist, vertreten die Mitglie- ten und Atlanten, die auch Funddaten aus der Ver- der innerhalb des Gremiums keine Verbände, Ini- gangenheit darstellen, quantitativ unterstützt. Diese tiativen oder andere Organisationen. Das Gremium Verbreitungsdaten sind im Gegensatz zu anderen wählte Ulrich Schulte zum Leiter und Ulrich Scheidt taxonomischen Gruppen bei den Reptilien umfang- und Arno Geiger zu stellvertretenden Leitern. Die vor- reich vorhanden. Allerdings waren die Datensätze liegende Rote Liste ist ein Gemeinschaftswerk dieses zunächst nicht zentral verfügbar, sondern lagen regi- Rote-Liste-Gremiums, an dem 31 Autoren und Auto- onal verstreut in den Datenbanken der Bundesländer rinnen mitgearbeitet haben. und der Fachverbände vor. 2 Grundlagen 1.1 Vorbereitungen durch die AG Feldherpetologie und Artenschutz der DGHT e.V. 2.1 Taxonomie, Nomenklatur und Zahl der Taxa In Vorbereitung der vorliegenden Roten Liste führ- Die Artenvielfalt der Reptilien in Deutschland ist mit te die Arbeitsgemeinschaft Feldherpetologie und nur 14 indigenen Arten, darunter sechs Echsen, sie- Artenschutz der Deutschen Gesellschaft für Herpe- ben Schlangen und einer Schildkröte, gering. Zum Ver- tologie und Terrarienkunde e.V. (DGHT) in Koope- gleich: In Frankreich kommen 38, in Spanien 65 und in ration mit der Universität Trier von 2012 bis 2014 ganz Europa über 150 Arten vor (Cox & Temple 2009). ein durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) ge- In der vorliegenden Liste werden 2 Arten zu einer fördertes Forschungs- und Entwicklungsvorhaben Superspezies zusammengefasst, sodass sich wie bei (F+E-Vorhaben „Vorbereitung der Roten Listen 2020 Kühnel et al. (2009) 13 taxonomische Einheiten erge- der Amphibien und Reptilien Deutschlands – Aufbau ben. Für diese hat sich der Umfang der betrachteten einer bundesweiten Datenbank“, Förderkennzeichen Bestände in Deutschland nicht geändert. 8 NaBiV | 170 (3) | 2020 | 64 S. | BfN
Rote Liste der Reptilien Taxonomie und Nomenklatur richten sich wie bei künftigen Studien erhöht werden, um genetische Li- der letzten Roten Liste (Kühnel et al. 2009) nach nien und deren Verbreitungsgebiete aufzudecken. Günther (1996). Die einzige Ausnahme bildet Bei der Blindschleiche Anguis fragilis Linnaeus, die Waldeidechse (Zootoca vivipara). Ihr Erstbe- 1758 ändert sich zwar innerhalb Deutschlands nichts schreiber war nicht Jacquin, sondern Lichtenstein am taxonomischen Konzept, das bekannte Verbrei- (Schmidtler & Böhme 2011). Auf Grundlage gene- tungsareal in Europa ist aber kleiner als bisher an- tischer Analysen wurden in den letzten zehn Jahren genommen, da die früher als Unterart A. f. colchica neue Erkenntnisse gewonnen, die sich teilweise in geführte Östliche Blindschleiche auf Artebene als geänderten Unterartnamen ausdrücken. Diese neu- Anguis colchica (Nordmann, 1840) sowie drei weite- en Details werden im Folgenden kurz geschildert. Für re Arten (A. cephallonica, A. graeca und A. veronensis) diese Rote Liste bleiben jedoch die wissenschaftlichen abgetrennt wurden (Gvoždík et al. 2010, Gvoždík et Namen der bewerteten Taxa gegenüber der letzten al. 2013, Jablonski et al. 2016). Um die engere taxo- Liste unverändert. nomische Umgrenzung auch im Namen deutlich zu machen, wird die in Deutschland vorkommen- Echsen (Sauria) de Art als „Westliche Blindschleiche“ bezeichnet. Genetische Analysen zur Mauereidechse Podarcis muralis (Laurenti, 1768) (Schulte et al. 2012 b, Salvi Schlangen (Serpentes) et al. 2013) belegen, dass in Deutschland zwei auto- Den beiden bisher als Unterarten betrachteten chthone Unterarten heimisch sind. Der Südwesten Ringelnattertaxa wird nach neueren Untersuchun- des Landes (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, gen (siehe Kindler et al. 2017) Artstatus zuerkannt Saarland, Hessen und Nordrhein-Westfalen) wird von (Abb. 1). Damit sind in Deutschland zwei Spezies hei- der Unterart P. m. brongniardii (Daudin, 1802) be- misch: die Ringelnatter Natrix natrix (Linnaeus, 1758) siedelt. Sie dürfte vom Rhonetal über die Burgundi- im engen Sinne und die Barrenringelnatter Natrix sche Pforte und das Rheintal eingewandert sein. Eine helvetica (Lacépède, 1789). Sie konnten für die vor- weitere früher angegebene Unterart P. m. merremius liegende Rote Liste jedoch nicht getrennt bewertet (Risso, 1826) („merremia“) im Bereich von Moseltal werden, da die Kenntnisse zur Verbreitungsgrenze und Nordeifel ist von P. m. brongniardii genetisch zwischen beiden Taxa derzeit noch nicht für eine se- nicht verschieden, der Name wird deshalb als taxo- parate Gefährdungsanalyse ausreichen (siehe Kindler nomisches Synonym betrachtet (Gassert et al. 2013). et al. 2017, Glaw et al. 2019). Deshalb werden in die- Die zweite autochthone Unterart, P. m. maculiventris ser Roten Liste beide gemeinsam als „Superspezies“ (Werner, 1891), ist nach der Eiszeit von Süden her Natrix natrix und damit im gleichen Umfang wie in durch das österreichische Inntal eingewandert und der Roten Liste von Kühnel et al. (2009) bewertet. besiedelt in Deutschland ein eng begrenztes Gebiet in Oberbayern. Diese Vorkommen gehören zu einer genetischen Linie, die im westlichen Oberitalien, 2.2 Prozess der Gefährdungsanalyse dem Tessin (Schweiz), den Südalpen und dem Inntal (Österreich) verbreitet ist und zur Unterscheidung Zur Koordinierung der Arbeiten für die Gefähr- weiterer genetischer Linien als „Podarcis muralis dungsanalyse wurden ein enger Kreis aus Bearbeiter- maculiventris-Südalpen-Linie“ bezeichnet wird. Alle innen und Bearbeitern sowie ein erweiterter Kreis als gebietsfremd (= allochthon) erkannten Mauerei- von Fachleuten innerhalb des Gremiums gebildet. dechsen-Vorkommen in Deutschland, von denen sich Der enge Bearbeiterkreis der vorliegenden Roten Liste die meisten außerhalb, einige jedoch auch innerhalb bestand aus neun Artkoordinatoren und Artkoordi- des natürlichen Verbreitungsgebiets etabliert haben, natorinnen, die hauptverantwortlich sowohl für die wurden in der vorliegenden Roten Liste nicht bewer- Gefährdungseinschätzung einer oder mehrerer Arten tet. als auch für die Texterstellung der jeweiligen Artka- Neuere genetische Analysen zur Zauneidechse pitel waren (Dirk Alfermann, Ina Blanke, Klaus-Detlef Lacerta agilis Linnaeus, 1758 zeigen nur geringe ge- Kühnel, Hubert Laufer, Sigrid Lenz, Richard Podloucky, netische Distanzen zwischen unterschiedlichen Vor- Norbert Schneeweiß, Ulrich Schulte, Michael Waitz- kommen aus dem Bundesgebiet, sodass der Unter- mann). Der erweiterte Kreis aus 22 Artexperten und artstatus von L. a. argus (Laurenti, 1768) zweifelhaft Artexpertinnen gab zusätzlich Einzeleinschätzungen erscheint (Andres et al. 2014). Andererseits sollte die zur Gefährdung einer Art regional oder bundesweit ab bislang geringe Anzahl an untersuchten Proben in zu- (Otto Aßmann, Birgit Blosat, Daniel Bohle, Arne 9
Grundlagen Abb. 1: Die Barrenringelnatter (Natrix helvetica) wurde unlängst nach Untersuchungen von Kindler et al. (2017) in den Artrang erhoben. Das Foto zeigt ein Weibchen aus Kröv, Rheinland-Pfalz. (Foto: Ulrich Schulte) Drews, Manfred Drobny, Kerstin Elbing, Klemens Fritz, wurden entweder deutschlandweite oder regionale Uwe Fritz, Wolf-Rüdiger Große, Günter Hansbauer, Einschätzungen abgegeben, die für alle Teilnehmen- Andreas Malten, Andreas Nöllert, Falk Ortlieb, Ulrich den in einer Tabellenansicht angezeigt wurden. Scheidt, Sascha Schleich, Martin Schlüpmann, Marcel Im Anschluss wurden die Einschätzungen aller Ex- Seyring, Burkhard Thiesmeier, Heiko Uthleb, Norman perten und Expertinnen von den Artkoordinatoren Wagner, Christian Winkler, Annette Zitzmann). und Artkoordinatorinnen zu einer Gesamteinschät- Als Arbeitshilfe für die Zusammenarbeit sowie zung für Deutschland zusammengefasst. Dabei galt für die Zusammenführung der zahlreichen Einzel- es, die vorliegenden Teilflächen-Bewertungen im Kon- bewertungen entwickelte der DLR (Deutsches Zen- text der Verbreitung der jeweiligen Art in Deutsch- trum für Luft- und Raumfahrt e.V.) Projektträger im land zu betrachten und zu gewichten. So war z. B. Rahmen des vom BfN geförderten F+E-Vorhabens die Bewertung von Teilgebieten innerhalb des natio- „Forschung Rote-Liste-Zentrum“ (Förderkennzeichen nalen Verbreitungsschwerpunktes einer Art stärker 351586030A) ein IT-Tool zur Gefährdungsanalyse für zu gewichten als von Teilgebieten am Arealrand. Die die Artengruppe. Dieses als Online-Tool konzipier- Gesamteinschätzungen wurden in einer für den Ex- te Werkzeug unterstützte den Prozess der gemein- pertenkreis sichtbaren Tabellenansicht eingetragen. samen Bewertung. Für die drei Kriterien „Aktuelle Die Verantwortlichkeitsbewertung für die einzelnen Bestandssituation“, „Langfristiger Bestandstrend“ Arten wurde zwischen den Artkoordinatoren und Art- und „Kurzfristiger Bestandstrend“ wurden zuvor auf koordinatorinnen diskutiert (Kriterien gemäß Gruttke Grundlage der Analyse der Rasterfrequenzen berech- et al. 2004, siehe Kap. 2.9). Am 26.11.2018 trafen sich nete Vorschlagswerte (siehe Kap. 2.6 und 2.7) ange- alle neun Artkoordinatoren und Artkoordinatorinnen zeigt. Diese Werte dienten als grober Ausgangspunkt im LWL-Museum für Naturkunde in Münster und für die Bewertung der Kriterien. Alle Experten und Ex- stimmten die Gesamteinschätzungen für die Rote- pertinnen gaben ihre Einschätzungen zu denjenigen Liste- und Verantwortlichkeitsbewertungen ihrer je- Taxa ab, deren Bestände und Trends sie gut kannten weiligen Arten miteinander ab. bzw. für die sie als Bearbeiter oder Bearbeiterinnen vorgesehen waren. Je nach persönlichem Überblick 10 NaBiV | 170 (3) | 2020 | 64 S. | BfN
Rote Liste der Reptilien 2.3 Datengrundlagen herpetofaunen und den Roten Listen der Bundeslän- der, vorzugsweise den seit 2010 erschienenen. Die ersten bundesweiten Verbreitungskarten, die auf einer Zusammenführung von Länderdaten be- ruhten, wurden im Standardwerk „Die Amphibien 2.4 Neozoen/Paraneozoen und Reptilien Deutschlands“ von Günther (1996) auf der Ebene TK25 veröffentlicht. Die Daten basier- In Deutschland kommen neben den indigenen ten schwerpunktmäßig auf Erfassungen der Jahre Reptilienarten auch neozoische Taxa vor. Nach der 1975 bis 1993, lagen aber nicht in digitaler Form vor. Definition von Ludwig et al. (2009) gilt bisher aber Für das Gebiet der ehemaligen DDR war ein detail- keine gebietsfremde Reptilienart als dauerhaft eta- lierter Verbreitungsatlas bereits durch Schiemenz & bliert. Die im Folgenden erwähnten Vorkommen von Günther (1994) publiziert worden. 20 Jahre danach Neozoen-Arten haben sich zwar seit mindestens drei gab der Online-Atlas der Arbeitsgemeinschaft Feld- Generationen reproduziert, konnten sich jedoch von herpetologie und Artenschutz der DGHT e. V. einen den Orten ihrer ersten Ansiedlung aus nicht über den bundesweiten Überblick zur Verbreitung der Am- Nahverbreitungsradius hinaus ausbreiten. phibien und Reptilien in Deutschland in der Auflö- Ein 2017 entdecktes und sich reproduzierendes sung von TK25-Quadranten (TK25-Q) (DGHT 2018). Vorkommen der Zornnatter Hierophis carbonarius Technische Grundlage ist nun eine Datenbank (Post- (Bonaparte, 1833) ist von einem Deponiegelände aus greSQL-Datenbank mit PostGIS-Erweiterung), welche Rheinland-Pfalz bekannt (Laufer 2019). Es wird davon die im Atlas präsentierten aggregierten Daten sowie ausgegangen, dass die Population auf Individuen aus weitere Informationen enthält. Zwischen allen Pro- Süditalien zurückgeht, die vermutlich mit Abfall an- jektpartnern wurde eine Vereinbarung zur Nutzung geliefert wurden (Laufer 2019). des Online-Atlas (DGHT 2018) mit seinen aggregier- Von der Ruineneidechse Podarcis siculus ten Daten sowie eine Vereinbarung zur Nutzung der (Rafinesque, 1810) existiert in Deutschland eine lo- bundesweiten Datenbank formuliert. Während der kale Population bei Karlsruhe (Baden-Württemberg), Online-Atlas und die dahinter liegenden aggregierten die sich seit mindestens zehn Jahren regelmäßig re- Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, dient produziert und sympatrisch mit Mauereidechse und die Nutzung der Einzeldatensätze ausschließlich na- Zauneidechse vorkommt (Waitzmann, schriftl. Mitt. turschutzfachlichen Auswertungen im Kontext der Er- 2019). Die Art kommt ursprünglich in Italien, auf vie- stellung Roter Listen. Im Zuge der vorliegenden Revisi- len umgebenden Inseln, auf Korsika sowie an der öst- on der Roten Listen wurden die Datenbank sowie der lichen Adriaküste vor und wurde auch an andere Orte Atlas mit Daten aus sieben Bundesländern zwischen im Mittelmeerraum, in die Schweiz und nach Nord- 2017 und 2018 aktualisiert. Die Auswahl beschränkte amerika verschleppt. sich auf diejenigen Bundesländer, in denen umfang- Von der Katalonischen Mauereidechse Podarcis reiche aktuellere Daten nach Ende des F+E-Vorhabens liolepis (Boulenger, 1905) existiert eine seit längerem zur Vorbereitung der Roten Listen 2020 vorhanden bekannte kleine Population (etwa 50 Individuen) bei waren. Damit befinden sich in der Datenbank ins- Nörten-Hardenberg (Niedersachsen), die sich repro- gesamt 181.455 Reptilien-Datensätze auf der Ebene duziert und sympatrisch mit der dort ebenfalls ein- TK25-Q aus allen Bundesländern (Stand 08.07.2018). geschleppten Mauereidechse (P. m. brongniardii) so- Der Datenschluss liegt bei den Bundesländern Berlin, wie der dort einheimischen Zauneidechse vorkommt Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rhein- (Schulte et al. 2012 a). Die Art kommt ursprünglich land-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thürin- in Nordostspanien, den Pyrenäen und Südfrankreich gen zwischen 2012 und 2014. In den Bundesländern (Region Languedoc-Roussillon) vor. Genetische Ana- Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklen- lysen lassen darauf schließen, dass sie vermutlich zu- burg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen sammen mit der Mauereidechse aus den Ost-Pyrenä- und Sachsen-Anhalt liegt der Datenschluss aufgrund en in Nörten-Hardenberg ausgesetzt wurde (Schulte der durchgeführten Aktualisierung im Zeitraum et al. 2012 a). 2017/2018 (siehe Kap. 2.7). Die zahlreichen gebietsfremden neuweltlichen Zur Bewertung der Gefährdungssituation dienten Schildkröten (Fam. Emydidae) – vor allem Unterar- daneben auch Fachpublikationen und unveröffent- ten von Trachemys scripta (Thunberg in Schöpf, 1792) lichte Erkenntnisse aus dem Kreis der Experten und –, die immer öfter in Gewässern im urbanen Raum Expertinnen sowie Einschätzungen aus den Landes- ausgesetzt wurden, reproduzieren sich bisher nicht 11
Grundlagen Tab. 1: Übersicht über die jeweils aktuellsten Landesherpetofaunen bzw. verfügbaren Nachweiskarten mit Erfassungs- zeitraum (Schwerpunktzeitraum) sowie Rastergröße (aktualisiert nach Geiger et al. 2016). Erfassungszeitraum Darstellungs- Raumbezug Quelle (Schwerpunktzeitraum) form Schiemenz & Günther (1994): Gebiet der ehemaligen DDR 1960 – 1990 TK25-Q Günther (1996) 1975 – 1993 TK25 Deutschland DGHT (2018) 1975/1980 – 2014/2018, TK25-Q je nach Bundesland Laufer et al. (2007 a) 1990 – 2005 Baden- LUBW (ab 2014): https://www.lubw. ab 2014 TK25-Q Württemberg baden-wuerttemberg.de/natur-und-landschaft/ landesweite-artenkartierung-lak Andrä et al. (2019) 1980 – 2015 TK25-Q & Bayern fundpunkt- (Karten: LfU (o. D.), https://www.lfu.bayern.de/natur/ genau artenschutzkartierung/reptiliendaten/index.htm) fundpunkt- Berlin DGHT LV Berlin, NABU Berlin, Naturschutz Malchow 1978 – 2018 genau Agena e. V. (Karten: wp111.de/kunden/agena_neu/Seiten/ 1960 – 1989, Brandenburg TK25-Q verbreitung.php) 1990 – 2015 Bremen Nettmann (1991) 1981 – 1984 1 km x 1 km 2 km x 2 km & Hamburg Brandt et al. (2018) 1981 – 2017 fundpunkt- genau Hessen AGAR & FENA (2010) 1998 – 2009 TK25-Q Mecklenburg- Schiemenz & Günther (1994) 1960 – 1990 TK25-Q Vorpommern Podloucky & Fischer (1991) 1981 – 1989 Niedersachsen TK25-Q Vollzugshinweise für FFH-Arten: NLWKN (2011) bis 2009 Nordrhein- Arbeitskreis Amphibien & Reptilien in Nordrhein-Westfalen 1981 – 2010 TK25-Q Westfalen (2011) (1993 – 2010) Rheinland- TK25, TK25-Q Bitz et al. (1996) 1978 – 1994 Pfalz & Minutenfeld Delattinia e. V. (o. D.) (Karten: https://www.delattinia.de/ Saarland 1980 – 1997 2 km x 2 km verbreitungskarten/reptilien) TK25-Q & Sachsen Große (2019) 2002 – 2019 fundpunkt- genau TK25-Q & Sachsen- Große et al. (2015) 2000 – 2014 fundpunkt- Anhalt genau Schleswig- fundpunkt- Klinge & Winkler (2005) 1991 – 2004 Holstein genau Thüringen Schiemenz & Günther (1994) 1960 – 1990 TK25-Q 12 NaBiV | 170 (3) | 2020 | 64 S. | BfN
Rote Liste der Reptilien erfolgreich in Deutschland. Demnach handelt es teilweise genetisch so stark wie Arten voneinander sich nicht um Bestände im populationsbiologischen differenziert sind und fast alle Vorkommen die Etab- Sinne, sondern um Ansammlungen ausgesetzter Tie- lierungskriterien nach Ludwig et al. (2009) erfüllen, re (Kordges & Schlüpmann 2011). werden sie hier weder einzeln bewertet noch in die Anders als die oben erwähnten Arten sind in Gefährdungsanalyse der einheimischen Mauerei- Deutschland zahlreiche eingeschleppte Unterarten dechsen einbezogen. oder genetische Linien (sogenannte Paraneozoen, Geiter 1999) nach den Kriterien von Ludwig et al. (2009) etabliert und haben sich ausgebreitet. Ein- 2.5 Bezugszeit und Zeiträume für die schleppungen von Paraneozoen werden aufgrund Ermittlung von Vorschlagswerten morphologischer Ähnlichkeiten zu einheimischen Unterarten oftmals verspätet oder gar nicht wahr- Im Rahmen der Gefährdungsanalyse wurden vor- genommen, obwohl sie durchaus häufig sein können. zugweise Informationen und Kenntnisse berück- Paraneozoen treten bei der Europäischen Sumpf- sichtigt, die etwa bis zum Beginn des 20. Jahrhun- schildkröte (Emys orbicularis) und vor allem bei der derts zurückreichen. Für einzelne Arten, wie z. B. die Mauereidechse (Podarcis muralis) auf (Fritz et al. Europäische Sumpfschildkröte, konnten zudem In- 2004, Schulte & Deichsel 2015). formationen aus dem Zeitraum vor dem 18. Jahrhun- Die Europäische Sumpfschildkröte wurde bis ins dert herangezogen werden. Die Datenbank enthält 20. Jahrhundert häufig als Fastenspeise sowie als Nachweise aus einem Zeitraum von 1749 bis 2018. zierendes Element herrschaftlicher Garten- und Zur Bewertung der aktuellen Bestandssituation auf Teichanlagen und später über den Tierhandel ver- Grundlage der Rasterfrequenz wurden ausschließ- breitet (Schneeweiß 2003). Bei den Vorkommen lich Daten ab 2000 berücksichtigt. Derselbe Zeitraum außerhalb des eng begrenzten rezenten Areals der (2000 – 2018), allerdings unterteilt in zwei Zeitschnit- Art im Osten Deutschlands handelt es sich sehr te (2000 – 2008 und 2009 – 2018), wurde zur Bewer- häufig nur um allochthone Kleinstvorkommen (sie- tung des kurzfristigen Bestandstrends betrachtet. Zur he Kap. 3.1) bzw. die Sichtung von ausgesetzten Bewertung des langfristigen Bestandstrends sollen Einzelindividuen. Darüber hinaus laufen kontrol- den methodischen Grundlagen entsprechend Daten lierte Ansiedlungsprogramme in Rheinland-Pfalz, aus den letzten 50 bis 150 Jahren betrachtet werden. Hessen und Niedersachsen. Keines der Vorkommen Da die ersten systematischen Erfassungen von Repti- außerhalb von Brandenburg und Mecklenburg-Vor- lien vielfach erst vor etwa 40 Jahren begannen (zwi- pommern wurde in die Gefährdungsanalyse der hei- schen 1975 und 1980), wurden die Informationen für mischen Sumpfschildkröten einbezogen. den langfristigen Bestandstrend zunächst aus den Die ersten Aussetzungen von Mauereidechsen „mittelalten” (1975/1980 – 2000) und den aktuellen sind bereits Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert Daten abgeleitet. Sie wurden durch Erkenntnisse zu (Dürigen 1897, Laufer et al. 2007 b, Schulte 2008), doch früheren Bestandsentwicklungen ergänzt und teil- häufen sich insbesondere seit den letzten zehn Jahren weise ersetzt, die indirekt u. a. aus dem Landschafts- die Entdeckungen allochthoner Vorkommen sowohl wandel im vergangenen Jahrhundert ermittelt wur- außerhalb als auch innerhalb des natürlichen Areals den. der Art. Bis dato sind in Deutschland insgesamt über 110 allochthone Mauereidechsen-Populationen acht Räumliche und zeitliche Unterschiede in verschiedener genetischer Linien, die fünf Unterarten Erfassungsintensität und Meldehäufigkeit (P. m. brongniardii, P. m. maculiventris-Ost, P. m. ma- Ein generelles Problem ergibt sich aus den räumli- culiventris-West, P. m. muralis, P. m. nigriventris) zuzu- chen und zeitlichen Unterschieden in der Erfassungs- ordnen sind, bekannt geworden. Sie sind entweder intensität und Meldehäufigkeit in den Bundeslän- gezielt angesiedelt oder über den Güterverkehr ein- dern. Diese Unterschiede sind häufig hervorgerufen geschleppt worden (Schulte & Deichsel 2015, Schul- durch die asynchrone Erarbeitung und Herausgabe te, unveröffentl.). In der Oberrheinebene zwischen von Landesfaunen. Einen Überblick über die entspre- Freiburg und Mannheim wurde eine schnelle und chenden Werke bzw. die verfügbaren Nachweiskarten gründliche genetische Verdrängung natürlicher Popu- der Reptilien unter Angabe ihres Erscheinungsjahres, lationen durch eine dominante Einkreuzung einge- des Erfassungszeitraums (Schwerpunktzeitraum) schleppter italienischer Linien nachgewiesen (Schulte sowie der Darstellungsform gibt Tabelle 1. Beispiels- et al. 2012 c). Auch wenn diese Linien untereinander weise aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen liegen 13
Grundlagen Tab. 2: Einstufung in die Kriterienklassen der aktuellen Bestandssituation auf Basis der Rasterfrequenz im Zeitraum 2000 bis 2018 auf Ebene TK25-Q. (1) bedeutet, dass die Rasterfrequenz bei diesen Taxa aufgrund von Erfassungs- defiziten in der Realität vermutlich höher liegt. (2) bedeutet, dass die tatsächliche Häufigkeit vermutlich geringer ist, als es die Rasterfrequenz nahelegt. Rasterfrequenz Kriterienklasse Schwellenwerte Taxon TK25-Q (2000 – 2018) Aspisviper 0,03 % ≤ 0,1 % oder extrem selten es Europäische Sumpfschildkröte 0,06 % ≤ 10 Vorkommen Östliche Smaragdeidechse 0,10 % Würfelnatter 0,19 % sehr selten ss > 0,1 – < 1 % Westliche Smaragdeidechse 0,29 % Äskulapnatter 0,48 % Mauereidechse 4,78 % selten s ≥ 1 – < 14 % Kreuzotter 11,90 % Schlingnatter 17,96 % mäßig häufig mh ≥ 14 – < 40 % Ringelnatter 42,95 % (2) Waldeidechse 40,22 % (1) häufig h ≥ 40 – < 60 % Westliche Blindschleiche 42,18 % (1) Zauneidechse 50,01 % ab dem Jahr 2000 besonders für die häufigeren Arten 2.6 Aktuelle Bestandssituation nur sehr wenige Datensätze vor. Zudem wurden ak- tuellere Daten (ab 2013) aus ehrenamtlichen Artmel- Um die aktuelle Bestandssituation der Arten ein- deportalen aus den genannten Bundesländern nicht schätzen zu können, wurden zunächst anhand berücksichtigt, da sie im Rahmen der vorbereitenden der Rasterfrequenzen Schwellenwerte für die je- F+E-Vorhaben nicht bearbeitet wurden. Demgegen- weiligen Kriterienklassen festgelegt (Tab. 2). Die über haben vor allem die östlichen Bundesländer Vorschlagswerte wurden anschließend von den Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-An- Experten und Expertinnen geprüft und die Kriterien- halt, aber auch die süddeutschen Bundesländer Ba- einstufungen ggf. angepasst. Generell wurden bei den-Württemberg und Bayern in jüngerer Zeit große den Amphibien und Reptilien die gleichen Schwel- Anstrengungen unternommen, aktuelle Daten, ins- lenwerte verwendet. Bei den Reptilien fällt aller- besondere zu den Arten der Anhänge der Fauna-Flo- dings keine Art in die Klasse „sehr häufig“. Für die ra-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG der Euro- Einstufung in die Klasse „extrem selten“ wurde nach päischen Union, im Weiteren kurz FFH-Richtlinie), zu Ludwig et al. (2009) ein Richtwert von zehn Vorkom- erheben. In Abbildung 2 ist die räumliche Verteilung men bzw. zehn belegten TK25-Q vereinbart, was im aller Erfassungsdatensätze für Reptilien sowie der gut Quadrantenraster einer Frequenz von 0,0997 % ent- untersuchten Rasterzellen für Reptilien und Amphibi- spricht. Vor allem für die extrem seltenen und sehr en gemeinsam dargestellt. Dies hat den Hintergrund, seltenen Reptilienarten des Anhangs IV der FFH- dass die Erfassung beider Organismengruppen in der Richtlinie, wie Äskulapnatter, Europäische Sumpf- Regel von den gleichen Experten und Expertinnen schildkröte, Östliche Smaragdeidechse, Westliche durchgeführt wird. Außerdem erleichtert die größe- Smaragdeidechse und Würfelnatter, ist durch das re zugrunde liegende Artenzahl das Identifizieren der FFH-Monitoring (Totalzensus, d. h. Monitoring aller re- besser untersuchten Rasterzellen. zenten Vorkommen in der kontinentalen biogeografi- schen Region, siehe Weddeling et al. 2009) die Anzahl 14 NaBiV | 170 (3) | 2020 | 64 S. | BfN
Rote Liste der Reptilien Abb. 2: Räumliche Verteilung aller Erfassungsdatensätze (graue Quadrate) von Reptilientaxa auf Ebene von TK25-Quad- ranten ab dem Jahr 2000 sowie gut untersuchte Rasterzellen, die für den kurzfristigen Bestandstrend betrachtet wurden (schwarz umrandete Quadrate der Rasterzellen). Die orangefarbenen Linien stellen die naturräumlichen Grenzen nach Ssymank (1994) dar. QGIS Version 3.12, Naturräumliche Haupteinheiten: BfN 2009, nach Ssymank 1994; Quellkartenbezug © GeoBasis-DE / BKG (2020). 15
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