Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist

 
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Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Medizinische Fachinformation für Ärztinnen und Ärzte
Ausgabe 18 – Juli 2020

                                                       Drei Jubiläen

                                                       Rückblick
                                                       auf 111 Jahre
                                                       Medizin am
                                                       Balgrist
                                                       Seite 16

Augmented Reality                                      Neue IPS-Station
Pionierstudie zu Wirbelsäulenoperationen               Wegen Corona früher als geplant
mit holografischer Unterstützung                       fertiggestellt
Seite 18                                               Seite 22           update Ausgabe 18 – Juli 2020   1
Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Editorial

                                                   Geschätzte Kolleginnen
                                                   und Kollegen
                                                   Natürlich war auch der Betrieb in der Universitätsklinik Balgrist von
                                                   einschneidenden Massnahmen aufgrund der Corona-Pandemie
                                                   betroffen. Der eingesetzte Krisenstab beurteilte die Lage laufend
                                                   und traf situationsgerechte Entscheide. So wurde etwa die neue
                                                   Intensivpflegestation (IPS) im März vorzeitig in Betrieb genommen,
                                                   damit in der kritischen Phase der Pandemie zusätzliche Betten-
                                                   kapazität bereitstand. Nicht dringend notwendige Operationen
                                                   durften nicht durchgeführt werden, zahlreiche ambulante und
                                                   stationäre Patiententermine wurden verschoben, und die Sprech-
                                                   stunden wurden teilweise virtuell abgehalten.

                                                   Jetzt sind wir auf dem Weg zurück zum Normalbetrieb und dabei,
                                                   an die Vorjahres-Dynamik anzuknüpfen. 2019 stieg die Zahl der
                                                   Patientinnen und Patienten in allen Bereichen. Ebenso erfreulich
Prof. Dr. med. Mazda Farshad                       entwickelte sich der Geschäftsgang: Die Universitätsklinik
Medizinischer Spitaldirektor                       Balgrist steigerte den Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 3,5 %
der Universitätsklinik Balgrist,                   auf 183 Millionen Franken. Resultat des sehr guten Geschäftsgangs
Ordinarius für Orthopädie an                       ist ein Gewinn von 2,7 Millionen Franken.
der Universität Zürich
                                                   Der Balgrist feiert im 2020 gleich dreifach: 111 Jahre Balgrist,
                                                   75 Jahre universitäre Medizin und Engagement für die Evolution
                                                   der Medizin am Bewegungsapparat und Rückenmark und 30 Jahre
                                                   Zentrum für Paraplegie, wie wir es heute kennen. Auch in diesem
                                                   ausserordentlich geprägten Jubiläumsjahr legen wir unseren Fokus
                                                   auf die Stärkung der Orthopädie. Dazu beitragen wird nicht nur die
                                                   erwähnte neue IPS, die es uns als universitäre Tertiärversorgerin
                                                   ermöglicht, Menschen mit komplexesten Beschwerden am Bewe-
                                                   gungsapparat noch besser zu behandeln. Auch die im September
                                                   2019 eingeführten orthopädischen Sprechstunden und Operati-
                                                   onen am GZO Spital Wetzikon, die in der Kinderorthopädie erwei-
                                                   terte Zusammenarbeit mit dem Universitäts-Kinderspital Zürich
                                                   sowie die ab kommendem Herbst am Flughafen Zürich zur Verfü-
                                                   gung stehenden Sprechstunden im «The Circle» sind wichtige
                                                   Schritte auf unserem ambitionierten Weg – zum Wohle unserer
                                                   Patientinnen und Patienten.
                    Zum Titelbild
                    Das Titelbild stammt aus
                    der Anfangszeit des Balgrist
                                                   Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
                    (nach 1911). Es zeigt den
                    grossen Gymnastiksaal im
                    Poliklinikge­bäude mit den
                    Schulthess‘schen Übungs­
                    apparaten, vor allem für die
                    Skoliosetherapie, die die
                    ausgeklügelte «Maschinen­
                    orthopädie» dieser Epoche
                    repräsentieren.

2           update Ausgabe 18 – Juli 2020
Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Inhalt

                                                                                      Neues aus der Klinik

                                                                                      Drei Jubiläen
                                                                                      am Balgrist
                                                                                      Vom Schweizerischen Verein für krüppelhafte Kinder zur
                                                                                      Orthopädie-Spitzenklinik: Die wichtigsten Schritte der
                                                                                      Universitätsklinik Balgrist auf einer Doppelseite.

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                                                                                                                           Neues aus der Klinik
                                                                                                                           Neue IPS-Station
                                                                                                                           Die perfekte Infrastruktur für
                                                                                                                           hochkomplexe Orthopädie-Fälle

  18                                                                                                                       und Patientinnen und Patienten
                                                                                                                           des Zentrums für Paraplegie.

Neues aus der Klinik                                                                                       22
Pionierstudie zu
Wirbelsäulenoperationen
                                                                                  4   Wissenswertes
Augmented Reality ist ein Schlüsselelement für die                                    Kurznachrichten aus allen Bereichen der Universitätsklinik Balgrist
zukünftige Präzisionschirurgie. Prof. Dr. Mazda Farshad
                                                                                  6   Osteochondrale Läsionen am Talus
will die erweiterte Realität von der Forschung in den
                                                                                      Jede 2. Person zeigt persistierende Beschwerden, die häufig eine
Operationssaal bringen.
                                                                                      Operation erfordern. Dres. med. Stephan Wirth und Arnd Viehöfer
                                                                                      führen aus, wie sie dabei vorgehen.
                                                                                 12 Gewusst wie – Der Fall
                                                                                      Wiederherstellung des Knochens bei der Behandlung von Knochen­
                                                                                      tumoren – PD Dr. med. Daniel A. Müller.
                                                                                 16 Neues aus der Klinik
                                                                                      Drei Jubiläen am Balgrist
                                                                                      Pionierstudie über Wirbelsäulenoperationen mit Augmented Reality
                                                                                      Gesichtsschutz aus dem 3D-Drucker
                                                                                      Neue Intensivpflegestation (IPS) und Aufwachraum (AWR)
                                                                                      Neue Radiologie
Impressum                                                                             Neuer «Orthopädischer Notfall»
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nehmen wir gerne unter kommunikation@balgrist.ch oder                            23   Agenda
+41 44 386 14 15 entgegen.
                                                                                 28   Wussten Sie, dass ...?
Update Juli 2020 © Universitätsklinik Balgrist, www.balgrist.ch
                                                                                 29   Applaus
Redaktionsteam Susanne Bandi (sb) Katrin Haldemann (kh), Yves Kamber (yk),
Michael Mülli (mü), Petra Seeburger (sp), Kommunikationsteam Balgrist (ktb);     30   Gewusst wie – Die Auflösung
jeweilige Fachautoren und -abteilungen Leitung Franziska Ingold (ingf)
Design/Layout Atelier Kislig, atelierkislig.ch Lektorat Heidi Keller, itext.ch
Druck Fairdruck AG, fairdruck.ch
(Auflage: 7 325 Exemplare)

                                                                                                                  update Ausgabe 18 – Juli 2020             3
Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Wissenswertes

Jahresbericht Balgrist
jahresbericht.balgrist.ch
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                                              Gruppenbild mit Regierungsrätin Natalie Rickli und den Referenten des Schweizer Symposiums Spitzenmedizin.

                                              Tagung

Forschung
                                              Symposium Schweizer
Für die Chirurgie                             Spitzenmedizin
der Zukunft
                                              (ktb) Die Arbeitsgruppe Hochspezialisierte Medizin lud
(ktb) Die Forschungsprojekte der
Universitätsklinik Balgrist brin-             im September 2019 zum jährlichen Symposium Schweizer
gen die Spitzenmedizin am Be-                 Spitzenmedizin. Hochkarätige Rednerinnen und Redner referierten
wegungsapparat wesentlich wei-
                                              zum Thema «Zukunft der Medizin: minimal-invasiv» und
ter und machen die Chirurgie
noch präziser und sicherer. Das               präsentierten ihre Ansätze der modernen Medizin von morgen.
HSM2-Projekt, das Klinik und Cam-             Anhand konkreter Beispiele diskutierten die Teilnehmenden, was
pus 2019 erfolgreich abschlossen,
                                              dies für unsere Gesellschaft und das Gesundheitswesen bedeutet.
und das Flagship-Projekt «SUR-
GENT» der Hochschulmedizin Zü-
rich stehen in dieser Tradition und
weisen gleichzeitig in die Zukunft.
jahresbericht.balgrist.ch
                                                                                       Patienten-App
Kinderorthopädie
Erweiterte                                                                             «MyBalgrist»:
Zusammen­arbeit
mit dem Kinder­
                                                                                       Der digitale Begleiter
spital Zürich                                                                          (mü) Die Universitätsklinik Balgrist führt mit der App
                                                                                       «MyBalgrist» ein digitales Patientenportal ein. Darüber
(mü) Die Universitätsklinik Balgrist                                                   können die Patientinnen und Patienten mit der Klinik
und das Universitäts-Kinderspital                                                      in Kontakt treten. Sie haben so auf ihrem Smartphone
Zürich pflegen schon seit Langem                                                       jederzeit Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten. Die App
eine partnerschaftliche Koopera-                                                       befindet sich aktuell in der Testphase. Um die Daten­
tion. Seit 2019 arbeiten sie im Be-                                                    sicherheit zu gewährleisten, ist eine Registration vor Ort
reich der seltenen Krankheiten                                                         in der Klinik erforderlich. Die Universitätsklinik Balgrist
des Skelettsystems und des Binde-                                                      deckt damit ein weiteres digitales Bedürfnis ihrer
gewebes noch enger zusammen.                                                           Patientinnen und Patienten ab.
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Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Wissenswertes

«The Circle»                                                             Zentrum für Paraplegie
                                                                         EU Horizon 2020
Balgrist übernimmt                                                       NISCI-Projekt
Mietfläche beim                                                          (ktb) Eine neue Therapie mit Antikörpern gibt

Flughafen Zürich                                                         Patientinnen und Patienten mit einer akuten
                                                                         Verletzung des Rückenmarks Grund zur
(mü) Ein weiterer Meilenstein ist geschafft: Am 2. Juni                  Hoffnung.
2020 konnte die Universitätsklinik Balgrist ihre Mietflä-                jahresbericht.balgrist.ch
che im «The Circle» beim Flughafen Zürich in Empfang
nehmen. Sie ergänzt dort ab November das Angebot des
Universitätsspitals Zürich mit Sprech­stunden im Bereich
Orthopädie, Sportmedizin und Chiropraktik. Bis dahin
werden die Räumlich­keiten mit Medizintechnik und Mobi-
liar ausgestattet sowie Trainings und Simulationen durch-
geführt, um für die Inbetriebnahme optimal vorbereitet
zu sein. Wir freuen uns, bald schon die ersten Patientinnen
und Patienten im «The Circle» begrüssen zu dürfen.
balgrist.ch/circle

                                                                         Orthopädie

Radiologie                                                               Signifikant weniger
Neues Band am Knie entdeckt
(ktb) Forschende der Universitätsklinik Balgrist entdecken ein neues
                                                                         Schmerzen
Band im Kniegelenk: das «Accessory Iliotibial Band-Meniscal Ligament».   (ktb) In einer Langzeitstudie konnte die Wirksamkeit einer
jahresbericht.balgrist.ch                                                an der Universitätsklinik Balgrist angewandten Methode
                                                                         zur Behandlung des Gelenkknorpels am oberen Sprung­
                                                                         gelenk gezeigt werden. Bei dieser Studie handelt es sich
                                                                         um eine der grössten zu diesem Thema mit Langzeit-
                                                                         ergebnissen (bis zu acht Jahren nach der Operation). Es
                                                                         konnte gezeigt werden, dass die untersuchte Methode zu
                                                                         signifikanter Schmerzreduktion, zur Wiedererlangung der
                                                                         Funktion des oberen Sprung­gelenks und zu einer erfolg-
                                                                         reichen Rückkehr zur sportlichen Aktivität führt.
                                                                         jahresbericht.balgrist.ch

                                                                                       update Ausgabe 18 – Juli 2020             5
Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Medizin-Update

       Fuss- und Sprunggelenkchirurgie

       Osteochondrale
       Läsionen am Talus
       KD Dr. med. Stephan Wirth,
       Leiter Fuss- und Sprunggelenkchirurgie
       Dr. med. dipl.-phys. Arnd Viehöfer

       Einleitung
       Eine osteochondrale Talusläsion wird als fokaler Defekt des talaren Knorpels und des
       angrenzenden Knochens definiert. Betroffene Patientinnen und Patienten stellen
       sich typischerweise aufgrund belastungs- und bewegungsabhängiger Schmerzen
       im Sprunggelenk vor. Der Leidensdruck ist in vielen Fällen hoch und schränkt die
       Lebensqualität erheblich ein. Die korrekte Diagnose und Abklärung der zugrunde
       liegenden Ätiologie sind für eine erfolgreiche Behandlung von zentraler Bedeutung.

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Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Medizin-Update

Pathogenese                                Abklärungen
Die Zerstörung der Integrität der tala-    Eine konventionell radiologische und
ren Knorpeloberfläche ist überwiegend      MR-tomographische Abklärung des
traumatisch bedingt: bei 93–98 % der       Fusses und Sprunggelenks sind Stan-
lateralen und bei 61–70 % aller medi-      dards, um den Defekt und begleitende
alen osteochondralen Talusläsionen.        strukturelle Probleme zu diagnostizie-
Dabei kann ein einziges Trauma – bei-      ren. An der Universitätsklinik Balgrist
spielsweise eine Distorsion – eine         führen wir ergänzend eine CT-Arthro-
Knorpel­läsion bedingen. Ebenso kann       grafie durch, die uns ermöglicht, dank
eine chronische Instabilität mit rezidi-   ihrer sehr hohen Spezifität und guten
vierenden (Mikro-)Traumata einen zu-       Auflösung, den chondralen Defekt und
nehmenden Knorpelschaden hervor­           den subchondralen Knochen möglichst
rufen.                                     genau zu beurteilen.

Neben der traumatischen Genese treten
osteochondrale Läsionen selten idiopa­     Behandlung
tisch auf. Hier werden zusätzlich ande-    Eine osteochondrale Läsion am Talus
re Faktoren, wie etwa eine Ischämie des    wird primär konservativ behandelt.
Talus, als ursächlich angesehen. Zudem
scheint eine genetische Veranlagung zu     Die konservativen Modalitäten umfas-
bestehen.                                  sen die symptomatische Therapie mit
                                           Analgesie, temporärer Entspannung
Da der Knorpel selbst nicht innerviert     oder Teilbelastung und die physiothera-
ist, kann eine Knorpelläsion asympto-      peutische Mobilisation und Kräftigung
matisch verlaufen. Durch den Knor-         der das Sprunggelenk stabilisierenden
peldefekt wird jedoch der subchon-         Muskulatur sowie propriozeptiv koor-
drale Knochen durch die mit grossem        dinative Übungen. Durch geeignetes
Druck einwirkende Gelenkflüssigkeit        Schuhwerk kann das Gelenk zusätzlich
geschädigt, was zu belastungsabhängi-      entlastet werden.
gen Schmerzen und Schwellungen im
Sprunggelenk führt. Der erhöhte Fluss      Aufgrund der geringen Selbstheilungs-
und Druck von Flüssigkeit im subchon-      tendenz des Knorpels führt die konserva-
dralen Knochen kann so zu Osteolysen       tive Behandlung jedoch nur in etwa 50 %
und langfristig zur Entwicklung einer      der Fälle zum gewünschten Erfolg, so-
subchondralen Zyste führen.                dass bei entsprechendem Leidensdruck
                                           eine Operation notwendig werden kann.
Das Selbstheilungspotential des Knor-
pels ist stark limitiert, so dass eine     Es wurden unterschiedliche operati-
spontane Heilung bestehender grösse-       ve Behandlungsmodalitäten beschrie-
rer Knorpeldefekte nicht zu erwarten       ben, unter anderem das Microfractu-
ist. Wird zudem die subchondrale Kno-      ring, osteochondrale Autografts oder
chenfläche und schliesslich die Gelenk-    Allo­grafts, Knorpeltransplantation, die
kongruenz beschädigt, begünstigt dies      matrixinduzierte Chondrozytenimplan­­­
die weitere Degeneration des oberen        ta­tion und AMIC-Plastik (Autologous
Sprunggelenks.                             Matrix Induced Chondrogenesis).

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Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Microfracturing ist eine einfache Me-       (Kollagen I/III Bilayer Matrix-Chond-
                                             thode, die auch meist minimalinvasiv im     ro-Gide®; Geistlich Pharma AG), welche
                                             Rahmen einer Arthroskopie durchge-          die freigesetzten chondrogenen Zellen
                                             führt werden kann. Durch das Eröffnen       stabilisiert und schützt. Diese Technik
                                             des Knochens treten Stammzellen mit         überwindet die Nachteile der zuvor be-
                                             Blut aus dem Knochenmark aus, die den       schriebenen Verfahren durch einfache
                                             Defekt abdecken und schliesslich eine       Anwendung und einzeitige Versorgung
                                             Heilung mit Faserknorpel bewirken.          und vermeidet so die Morbidität an der
                                                                                         Entnahmestelle.
                                             Der Einsatz eines osteochondralen Au-
                                             tografts bietet ein einzeitiges Therapie-   In der Universitätsklinik Balgrist erfolgt
                                             verfahren: Dabei wird der Defekt mit        bei kleineren Defekten vorwiegend eine
                                             einem Zylinder aus hyalinem Knorpel         Mikrofrakturierung und bei grösseren
                                             mit adhärentem subchondralem Kno-           Defekten (> 1cm2) eine AMIC-Plastik.
                                             chen aufgefüllt. Jedoch wurde bei die-
                                             ser Technik eine erhöhte Schmerzrate        Über eine Arthroskopie kann das obere
                                             im Bereich der Transplantatentnahme         Sprunggelenk inspiziert und der Knor-
                                             am Knie beschrieben. Die Transplan-         peldefekt bilanziert werden. Kleinere
                                             tation von osteochondralen Allografts       Defekte können dabei durch eine allei-
                                             vermeidet zwar die Morbidität an der        nige Mikrofrakturierung behandelt wer-
                                             Entnahmestelle, jedoch schränken die        den. Dazu wird der geschädigte, instabile
                                             Knappheit und die hohen Kosten von          Knorpel entfernt und der subchondrale
                                             Transplantaten ihre Nutzung ein. Wei-       Knochen mittels Ahle eröffnet.
                                             ter kommen die meisten osteochondra-
                                             len Läsionen an der medialen oder late-     Wird aufgrund der Defektgrösse ein
                                             ralen Taluskante/-schulter vor, was eine    Verfahren mittels AMIC-Membran ge-
                                             passgenaue Einlage und stabile Fixie-       wählt, erfolgt in der Regel ein offe-
                                             rung der osteochondralen Transplanta-       ner Zugang zum Gelenk. Durch geziel-
                                             te erschwert.                               te Distraktionsverfahren können dabei
                                                                                         grosse Teile des Gelenkes eingesehen
                                             Die matrixinduzierte Chondrozytenim-        werden. Trotzdem kann bei erschwer-
                                             plantation, wodurch eine nur minimale       tem Zugang – je nach Grösse und Lo-
                                             Morbidität an der Entnahmestelle ent-       kalisation des Defekts – eine mediale
                                             steht, kann mit einem subchondralen         oder laterale Malleolarosteotomie not-
                                             autologen Knochentransplantat kom-          wendig sein. Nach Entfernen der insta-
                                             biniert werden. Es ist hierfür dennoch      bilen Knorpelschicht wird der darunter-
                                             ein zweizeitiges Verfahren erforder-        liegende subchondrale Knochen mittels
                                             lich: Entnahme der Spenderzellen, An-       Bohrer oder Ahle im Sinne einer Mi-
                                             züchtung in vitro und sekundär die          krofrakturierung eröffnet und etwai-
                                             Transplantation auf die osteochondra-       ge Zysten werden debridiert. Anschlies-
                                             le Läsion. Auch dieses Verfahren ist        send werden die Defekte mit autologem
Oben: Arthro-CT coronar mit deutlich         von hohen Kosten begleitet. Insgesamt       spongiösem Knochen gefüllt. Die pass-
erkennbaren Zysten, Knorpelfissuren          konnte für kein genanntes Verfahren         gerecht zugeschnittene und befeuchte-
und -Defekten im Bereich der medialen
                                             eine Überlegenheit gegenüber einem          te Matrix wird mit der porösen Seite auf
Talusschulter.
Unten: Röntgen OSG a/p mit sichtbaren        anderen gezeigt werden.                     den Knochen gelegt und mit Fibrinkle-
subchondralen Zysten an der medialen                                                     ber (Tissucol®; Baxter) befestigt. Der sta-
Talusschulter.                               Die Autologous Matrix Induced Chon-         bile Sitz der Matrix wird durch repetiti-
                                             drogenesis (AMIC) wurde erstmals            ve Dorsalextension und Plantarflexion
                                             2005 beschrieben. Die Behandlungs-          im OSG (oberes Sprunggelenk) über-
                                             option bei osteochondralen Talusläsi-       prüft. Schliesslich wird die Arthrotomie
                                             onen erzielte gute klinische Resultate.     verschlossen oder die Malleolarosteo-
                                             Diese Technik umfasst die Mikrofrak-        tomie wieder mittels zweier Malleolar-
                                             turierung des subchondralen Knochens        schrauben fixiert und die Gelenkkon-
                                             und die Auflage einer Kollagenmatrix        gruenz über Bildwandler überprüft.

8            update Ausgabe 18 – Juli 2020
Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Medizin-Update

Röntgen OSG lateral mit subchondralen Zysten im Talusdom.   MRI OSG sagittal T2-Wichtung mit deutlicher Ödembildung und Zysten
                                                            im Talusdom.

Wie bereits erwähnt, kann eine Sprung-                                                                           Bilayer­struktur der
                                                                                                                 Chondro Gide® Matrix
gelenkinstabilität eine Knorpelläsion                                                                            mit kompakter zell-
begünstigen, sodass diese bei geschei-                                                                           okklusiver und poröser
terter konservativer Therapie mit be-                                                                            zelladhäsiver Oberfläche
                                                                                                                 (Vergrösserung 150x).
handelt werden sollte. Auch eine unkor-
rigierte Fehlstellung der Rückfussachse
kann durch bleibende Mehrbelastung
die Heilung erschweren, sodass eine
gleichzeitige operative Korrektur in Er-
wägung gezogen werden sollte. Bei der
Indikationsstellung muss zudem beach-
tet werden, dass keine korrespondie-
rende Knorpelläsionen, also zusätzliche
Knorpeldefekte an der distalen Tibia,
vorliegen. In einem solchen Fall ist die
Prognose deutlich schlechter und die
genannten Knorpelverfahren am Talus
werden nicht empfohlen.

Die Nachbehandlung erfolgt mit gespal-
tenem Unterschenkelgips unter entlas-
tender Mobilisation für sechs Wochen.
Beginn von Bewegungsübungen in
Dorsalextension/Plantarflexion, passiv
geführt ab gesicherter Wundheilung.
Ab der 7. postoperativen Woche Beginn

                                                                                        update Ausgabe 18 – Juli 2020                  9
Rückblick auf 111 Jahre Medizin am Balgrist
Medizin-Update

                                             des schrittweisen Belastungsaufbaus.        bedingt, bilden sich aber nach der Ope-
                                             Alle Patientinnen und Patienten werden      ration zwangsläufig erneut aus und kön-
                                             sechs Wochen postoperativ klinisch und      nen so zu persistierenden Beschwerden
                                             radiologisch verlaufskontrolliert. Sport-   und einer Bewegungseinschränkung des
                                             liche Tätigkeiten mit geringer Kraft-       Gelenks führen. Hierbei können durch
                                             einwirkung (Radfahren/Schwimmen)            eine gezielte, meist arthroskopische Ent-
                                             dürfen (bei regulärem Verlauf) ab dem       fernung des Narbengewebes mit post-
                                             3. Monat postoperativ wieder aufgenom­      operativ intensiver Physiotherapie gute
                                             men werden, Kontaktsportarten ab dem        Resultate erzielt werden.
                                             6. Monat postoperativ.
                                                                                         Prognose
                                             Komplikationen                              Die Knorpelchirurgie am Talus zeigt bei
                                             Neben den allgemeinen Operationsrisi-       richtiger Indikation gute bis sehr gute
                                             ken sind, falls eine Malleolarosteotomie    Ergebnisse. Eine 2019 veröffentlichte
                                             durchgeführt wurde, Störungen durch         hausinterne Studie, in der retrospektiv
                                             das Osteosynthesematerial möglich. In       33 Patientinnen und Patienten mit ei-
                                             einem solchen Fall können die Schrau-       ner isolierten, medialen osteochondra-
                                             ben nach Knochenheilung entfernt wer-       len Talus­ läsion und darauf folgender
                                             den. Zudem beobachten wir manchmal          Versorgung mit einer AMIC untersucht
Operationstechnik: (A) Debridement           persistierende Beschwerden aufgrund         wurden, zeigte gute kurz- bis mittel-
des instabilen Knorpels, (B) Mikro-          von störender Narbenbildung der Ge-         fristige Ergebnisse (med. Follow-up 4,7
frakturierung der osteochondralen
                                             lenkkapsel und Bänder. Diese sind häu-      Jahre; min. Follow-up 2,3 Jahre) mit ho-
Läsion, (C) Auffüllen des subchon-
dralen Defekts und (D) Einpassen der         fig bereits durch das ursächliche Trauma    her Zufriedenheit bei Patientinnen und
Kollagenmembran und Fixierung mit
Fibrinkleber.

 A                                                                 B

 C                                                                 D

10           update Ausgabe 18 – Juli 2020
Medizin-Update

Patienten. 79 % aller Behandelten er-
reichten nach operativer Versorgung
den gleichen sportlichen Level wie vor
                                           Fallbeispiel
Symptombeginn.                             Der 51-jährige Patient stellte sich im Juli 2019 aufgrund persistierender
                                           Schmerzen am rechten OSG nach einem im Oktober 2018 erlittenen Mo-
Wie bereits angesprochen, ist bei korre-   torradunfall vor. Damals wurde mittels MRI eine osteochondrale Läsion
spondierenden Knorpelläsionen, soge-       der medialen Talusschulter diagnostiziert. Inspektorisch zeigte sich eine
nannten Kissing Lesions, die mit zusätz-   Schwellung auf Höhe des OSG. Klinisch imponierte eine Druckdolenz
lichen Knorpeldefekten an der distalen     über dem medialen OSG-Softspot.
Tibia einhergehen, die Prognose deut-            Wir veranlassten eine ergänzende Arthro-CT zur genaueren Beur-
lich schlechter und ein rekonstruktives    teilung des Knorpelzustandes. Diese zeigte subchondrale Zysten an der
Knorpelverfahren am Talus wird nicht       medialen Talusschulter mit tiefen Knorpelfissuren an der angrenzenden
empfohlen.                                 Talusrolle im Sinne einer ausgedehnten osteochondralen Läsion (siehe
                                           Bilder auf Seite 8). Bei persistierenden Beschwerden nach konservativer
                                           Therapie stellten wir die Indikation zur operativen Versorgung mittels
                                           AMIC-Plastik der medialen Talusschulter.
                                                 Der Eingriff konnte im Oktober 2019, nach Abheilung einer damals
                                           frisch operierten Schulterverletzung, komplikationslos durchgeführt wer-
                                           den. Es wurde nach medialem Zugang zum OSG und medialer Arthro-
                                           tomie, bei unzureichender Einsicht des osteochondralen Defekts, eine
                                           mediale Malleolarosteotomie und die anschliessende Versorgung der os-
                                           teochondralen Läsion mit AMIC (wie beim operativen Vorgehen beschrie-
                                           ben) durchgeführt. Die Verlaufskontrollen sechs Wochen (siehe Abbildung
                                           unten) und drei Monate postoperativ zeigten einen guten Verlauf.
                                                 Der Patient war nach konsequent teilbelasteter Mobilisation (bis
Key Messages                               15 kg) im Unterschenkelspaltgips und rein passiver Mobilisation des OSG
                                           beschwerdefrei. Es konnte plangemäss ab der 6. Woche postoperativ
                                           eine stufenweise Aufbelastung bis zur Vollbelastung während weiteren
1. Osteochondrale Talusläsionen
                                           sechs Wochen durchgeführt werden. Zum Zeitpunkt der Verlaufskont-
   sind mit Schmerzen und einge-
                                           rolle drei Monate postoperativ war der Patient vollbelastet ohne Gehhil-
   schränkter Funktionalität im All-
                                           fe mobil und nahezu beschwerdefrei. Er hat bereits wieder mit dem Rad­
   tag und damit reduzierter Lebens­
                                           fahren begonnen.
   qualität assoziiert.

2. Die konservative Therapie wird
   primär empfohlen. Jede 2. Person
   zeigt jedoch persistierende
   Beschwerden, die häufig eine
   Operation erfordern.

3. Die operative Behandlung mittels
   Mikrofrakturierung und AMIC
   stellt eine sichere und therapeu-
   tisch effektive Methode dar und
   ist mit einer signifikanten Verbes-
   serung der Schmerzen und einer
   hohen Rate an «Return to Sports»
   verbunden.

                                           Links: Röntgen OSG a/p intakte mediale Talusschulter, Schrauben nach Malleolar­osteotomie
                                           in situ, Mitte: Arthro-CT coronar mit gefüllten Zysten, intakter Knorpelüberzug im Bereich der
                                           medialen Talusschulter, rechts: Arthro-CT sagittal mit gefüllten Zysten, intakter Knorpelüberzug
                                           im Bereich der medialen Talusschulter.

                                                                                        update Ausgabe 18 – Juli 2020                   11
Gewusst wie – Der Fall

Wiederherstellung des Knochens bei
der Behandlung von Knochentumoren
Wir stellen Ihnen einen interessanten medizinischen Fall aus unserer
Klinik vor, Sie stellen die Diagnose und überlegen sich einen
Behandlungs­vorschlag. Die Auflösung und die von uns gewählte
Behandlung finden Sie auf Seite 30.                                De
                                                                                                                    —
                                                                                                                    r Fall
PD Dr. med. Daniel A. Müller, Leitender Arzt, Leiter Orthopädische Tumorchirurgie

                                                                     Die Ausgangslage
                                                                1    Ein 14-jähriger Teenager verspürte am Abend
                                                                     nach dem Fussballspielen starke Schmer-
                                                                     zen im Bereich des Unterschenkels. Als die
                                                                     Schmerzen trotz Entlastung am nächsten Tag
                                                                     zunahmen, stellten die Eltern ihren Sohn auf
                                                                     dem Notfall vor.

                                                                     In der klinischen Untersuchung fanden wir
                                                                     eine diskrete Schwellung mit einer fühlbaren
                                                                     Überwärmung des proximalen Unterschen-
                                                                     kels. Das Kniegelenk war frei beweglich und
                                                                     zeigte keinen Erguss.

                                                                     Im konventionellen Röntgenbild bestand
                                                                     eine unscharf begrenzte Osteolyse ohne
                                                                     Rand­sklerosierung dorsal in der Tibiameta-
                                                                     physe (Abbildung 1).

                                                                                                       2

                                                                                           Der Befund war nur diskret. Erst
                                                                                           auf dem MRI-Bildmaterial sah man
                                                                                           deutlich eine Raumforderung, die
                                                                                           intraossär in der Tibia lag und die
                                                                                           Kortikalis dorsalseits durchbrach. In
                                                                                           diesem Bereich bestand eine gros-
                                                                                           se extraossäre Komponente inner-
                                                                                           halb des M. popliteus mit Kontakt
Abbildung 1: Konventionelles Röntgenbild des linken Unterschenkels
                                                                                           zum tibialen Gefäss-/Nervenbündel
von a.p. und lateral.                                                                      (Abbildung 2).

12           update Ausgabe 18 – Juli 2020
Gewusst wie – Der Fall

Wie lautet die
Verdachtsdiagnose?
Radiologisch kam eine Osteo-
myelitis oder ein maligner Kno-
chentumor in Frage. Zur weiteren
Abklärung wurde eine CT-gesteu-
erte Biopsie durchgeführt und

                                                                      4
die Histologie diagnostizierte ein
Ewing-Sarkom – nach dem Osteo-
sarkom der zweithäufigste primäre,
maligne Knochentumor –, das vor
allem Jugendliche und junge Er-
wachsene betrifft [1].
                                                       Welche Behandlungs­optionen
                                                       bestehen nun?
                   3                                   Koordiniertes, interdisziplinäres Vorgehen
                                                       Das Staging wurde mittels eines PET-CT kom-
                                                       plettiert, wobei keine Fernmetastasen gefunden
                                                       wurden. Seit Anfang der 1990er-Jahre hat sich
                                                       folgende Therapiesequenz durchgesetzt [2]:

                                                       Neoadjuvante Chemotherapie, Lokaltherapie
                                                       (Operation, Bestrahlung) und adjuvante Che-
                                                       motherapie. Die gesamte Behandlungsdauer
                                                       beträgt acht bis zwölf Monate.

                                                       Chirurgische Therapie
                                                       Das Ewing-Sarkom muss in toto und mit Si-
                                                       cherheitsabstand entfernt werden – eine soge-
                                                       nannte Resektion im Gesunden (R0). Daraus
                                                       resultiert bei Knochentumoren ein grosser os-
                                                       särer Defekt, der zum Funktionserhalt der Ex­
                                                       tremität rekonstruiert werden muss. Im Bereich
                       Abbildung 2: MRI-Bildgebung     der proximalen Tibia gibt es hierfür zwei Mög-
                       des linken Unterschenkels. In   lichkeiten.
                       der sagittalen Ebene erkennt
                       man die intraossäre Ausdeh-
                       nung, im axialen Schnitt die
                       extraossäre Komponente mit
                       Kontakt zum tibialen Gefäss-/
                       Nervenbündel.

                                                                                      5

                                                                 update Ausgabe 18 – Juli 2020      13
Gewusst wie – Der Fall

                                                                                      «Biologische
                                                                                      Rekonstruktion»
                                                                                      Hierbei wird eine Wiederherstellung des
                                                                                      Knochens angestrebt. Man spricht des-
                                                                                      halb häufig auch von biologischer Rekons-
                                                                                      truktion. Bewährt hat sich die Kombina-
       Abbildung 3a: Ersatz der proximalen Tibia durch eine modulare Tumorprothese.
                                                                                      tion aus strukturellem Knochenallograft
                                                                                      und vaskularisierter Fibula (Capanna-
                                                                                      Technik [3]). Dabei wird die proxima-
                                                                                      le Tibia eines toten Spenders (Allograft)
                                                                                      eingesetzt. Da es sich um avitalen Kno-
                                                                                      chen (zur Lagerung typischerweise ge-
                                                                                      froren) handelt, dauert die Integration
                                                                                      mehrere Jahre. Deshalb wird dem Patien-
                                                                                      ten ein Teil seiner Fibula samt den dazu-
                                                                                      gehörigen Gefässen entnommen (meist
                                                                                      von der gesunden Gegenseite). Die Fibula
                                                                                      wird dann intramedullär in den Allograft
                                                                                      eingelegt (Abbildung 4) und das Blutge-
                                                                                      fäss an eine Beinarterie angeschlossen. So
                                                                                      bleibt die Fibula vital und beschleunigt
                                                                                      die Knochenheilung. Um den eingeleg-
                                                                                      ten Allograft und die Fibula mechanisch
         Abbildung 3b: Die Prothese und die refixierte Patellarsehne werden durch
         einen medialen Gastrocnemius-Muskellappen bedeckt.                           zu entlasten, erfolgt eine Plattenosteosyn-
                                                                                      these zur Überbrückung.

         Modulare Tumorprothese
         Das Kniegelenk wird durch eine Knietotalprothese er-
         setzt. Das spezielle Implantat besteht aus verschiede-
                                                                                                      6
         nen Komponenten in modularem System und wird in-
         traoperativ zusammengesetzt. Der Knochendefekt wird
         so passgenau durch das Implantat ersetzt (Abbildung 3a).

         Die Patellarsehne wird dabei von der Tuberositas tibiae

5        abgelöst und später mittels Fäden auf die Prothesenober-
         fläche refixiert. Das Einheilen der Sehne auf der Metall-
         oberfläche ist schwierig und unzuverlässig. Aus diesem
         Grund wird die Sehne durch einen medialen Gastroc-
         nemius-Muskellappen bedeckt (Abbildung 3b), um die
         Weichteilheilung zu unterstützen.

14       update Ausgabe 18 – Juli 2020
Gewusst wie – Der Fall

D
  —
    er Fa
               ll
                                                                             Welche Behandlung haben
                                                                             wir gewählt?
                                                                             Die Auflösung finden Sie auf Seite 30

             Was sind die möglichen                                                          Referenzen
             Komplikationen?
                                                                                             [1] Grünewald TGP, Cidre-Aranaz F, Surdez D,
             Die modulare Tumorprothese ist mechanisch zu-                                   Tomazou EM, de Álava E, Kovar H, et al. Ewing
             verlässig und nach kurzer Zeit voll belastbar. Lang-                            sarcoma. Nat Rev Dis Primers. 2018 Jul 5;4(1):5.
             fristig bestehen jedoch die bekannten Risiken einer
             Prothese, wie Lockerung des Implantats, Abnut-                                  [2] Gaspar N, Hawkins DS, Dirksen U, Lewis IJ,
             zung der Gelenkteile und hämatogene Infekte. Bei                                Ferrari S, Le Deley M-C, et al. Ewing Sarcoma: Cur-
             der biologischen Rekonstruktion dauert es mehre-                                rent Management and Future Approaches Through
             re Monate, bis die eingebrachten Knochen suffizi-                               Collaboration. J Clin Oncol. American Society of
             ent eingeheilt sind. Der Patient muss bis zur Einhei-                           Clinical Oncology; 2015 Sep 20;33(27): 3036–46.
             lung eine Stockentlastung einhalten, zudem besteht
             die Gefahr einer Fraktur oder einer Pseudarthrose                               [3] Capanna R, Campanacci DA, Belot N, Beltrami
             mit einer Lockerung der Osteosynthese. Sobald der                               G, Manfrini M, Innocenti M, et al. A New Recons-
             Knochen aber komplett eingeheilt ist, besteht eine                              tructive Technique for Intercalary Defects of Long
             normale anatomische Situation.                                                  Bones: The Association of Massive Allograft with
                                                                                             Vascularized Fibular Autograft. Long-Term Re-
                                                                                             sults and Comparison with Alternative Techniques.
                                                                                             Orthopedic Clinics of North America. 2007 Jan;38

                                  7                                                          (1): 51–60.

                                                                                                                  PD Dr. med. Daniel A. Müller
                                                                                                                  ist seit Januar 2017 Leiter des Teams
                                                                                                                  für orthopädische Tumorchirurgie
                                                                                                                  an der Universitätsklinik Balgrist und
                                                                                                                  seit Juni 2019 Co-Leiter des Sarkom-
                                                                                                                  zentrums am Comprehensive Cancer
                                                                                                                  Center Zürich. Nach dem Medizinstu-
                                                                                                                  dium in Bern absolvierte er die Fach-
                                                                                                                  arztausbildung zum orthopädischen
                                                                                                                  Chirurgen an den Universitätskliniken
                                                                                                                  Balgrist und Genf. Anschliessend folg-
                                                                                                                  te im Rahmen eines Fellowships eine
                                                                                                                  Spezialisierung zum Tumororthopäden
                                                                                                                  an der Universitätsklinik Careggi in Flo-
                                                                                                                  renz und am Memorial Sloan Kettering
                                                                                                                  Cancer Center in New York.

Abbildung 4: Die entnommene Fibula wird in den Allograft eingebracht und die dazugehörigen
Gefässe an eine Beinarterie angeschlossen.

                                                                                                         update Ausgabe 18 – Juli 2020                 15
1909                                                                     1945                                                                                      1990

   Neues aus der Klinik

       Drei Jubiläen                                                                    (kh/ps) Alles fing mit einer anonymen Spende und sozialer
                                                                                        Ungleichheit an. Der umtriebige Wilhelm Schulthess (1855–
                                                                                        1917) setzte sich für die Behebung des Schicksals körperbe-

       am Balgrist                                                                      hinderter Kinder in der Schweiz ein. Ein erster Schritt zur Ver-
                                                                                        wirklichung seiner hochgesteckten Ziele wurde eben durch
                                                                                        diese anonyme Spende von 50 000 Franken zur Schaffung ei-
                                                                                        ner gemeinnützigen Körperbehinderten-Fürsorgeinstituti-
       In Zeiten von Covid-19 geht fast vergessen,                                      on getan. Mit weiteren Spenden konnte dann 1909 – also vor
       dass die Uniklinik Balgrist dieses Jahr die                                      111 Jahren – Land auf dem «Balgrist-Hügel» erworben wer-
                                                                                        den. Dieses Gelände war als Bauplatz in mancherlei Hinsicht
       111/75/30-Jahre-Jubiläen feiern darf.
                                                                                        eine gute Wahl. Sonnig, wunderbare Aussicht auf den Zürich-
                                                                                        see und die Alpen, leicht mit dem Tram zu erreichen und in
                                                                                        der Nähe der Stadt. Von allem Anfang an war eine strenge Un-
                                                                                        terteilung zwischen Internat und Poliklinik vorgesehen. Das
                                                                                        blieb so bis zur Schliessung der Patientenschule im Jahr 2005.

                                                                                        Vor 75 Jahren – also 1945 – wurde die Anstalt zur Orthopädi-
                                                                                        schen Universitätsklinik und ihr Direktor zum ausserordent-
                                                                                        lichen Professor für Orthopädie an der Medizinischen Fakul-
                                                                                        tät Zürich ernannt und 1990 konnte das dritte Schweizerische
                         Hier erfahren Sie mehr über das Zentrum                        Zentrum für Paraplegie in einem grosszügigen speziell dafür
                         für Paraplegie: paraplegie.balgrist.ch                         eingerichteten Gebäudekomplex seinen Betrieb aufnehmen.

       1909                                                 1912                                                    1916
       Der «Schweizerische Verein für krüppelhafte          Wilhelm Schulthess wird erster Chefarzt
       Kinder» wird gegründet                                                                                       Handfertigkeitsunterricht wird eingeführt
                                                            Mit seiner persönlichen Autorität setzt sich Wil-
       Ende des 19. Jahrhunderts ist die Behandlung         helm Schulthess (1855–1917) für die Schicksale          Es stellt sich heraus, dass Patientinnen und Patien-
       Körperbehinderter geprägt von sozialer Ungleich-     körperbehinderter Kinder in der ganzen Schweiz         ten, die in den normalen Alltag entlassen wurden,
       heit. Arzt Wilhelm Schulthess, Pfarrer Joseph Kägi   ein. Er ist Gründer, erster Chefarzt und Direktor der   viel zu wenig ans Arbeiten gewohnt sind. Aus die-
       und der Sekretär des Zürcherischen Erziehungs-       Anstalt Balgrist. Mit seiner Erforschung der Skolio-    sen Erkenntnissen entsteht der Handfertigkeits-
       departements Friedrich Zollinger setzen sich ge-     se erlangt er Weltruf.                                  unterricht für Jungen und die Arbeitsschule für
       meinsam ein, um diese Missstände zu beheben.                                                                 Mädchen.
       Eine anonyme Spende von 50 000 Franken er-
       möglicht es im Jahr 1906 schliesslich, ein Komi-
       tee zur Fürsorge für gebrechliche und krüppel-
       hafte Kinder zu bilden. Drei Jahre später und mit
                                                                                                                    1917
       einem Spendenvermögen von 180 000 Franken                                                                    Das Operationsspektrum wird erweitert
       legt das Komitee den Grundstein für die heutige
                                                                                                                    Hans Hoessly (1883–1918), Nachfolger von Will-
       «Balgrist-Gruppe» und gründet den «Verein für
                                                                                                                    helm Schulthess, ist ein aussergewöhnlich viel-
       krüppelhafte Kinder». Zweck ist die Errichtung ei-
                                                                                                                    seitiger Wissenschaftler und von Haus aus Chi­
       ner Anstalt für ärztliche Behandlung, Erziehung,
                                                                                                                    rurg. Sein Bestreben, die Orthopädie im Bereich
       Schulung, und Berufsbildung für die damals rund
                                                                                                                    der Chirurgie auszubauen, erweitert das Spekt-
       4 500 «krüppelhaften» Kinder.
                                                                                                                    rum der chirurgischen Behandlungen am Balgrist
                                                                                                                    immens.

       1912                                                 1913
       Die Anstalt auf dem Balgrist-Hügel
                                                            Erste Spitalfürsorge in der Schweiz startet
                                                                                                                    1920
       wird gebaut
                                                            im Balgrist                                             Erste Operation einer Spondylolisthese
       Der Architekt E. Usteri (1858–1934) plant den Bau                                                            in Europa
                                                            Initiantin ist Ida Rein (gestorben 1936) von der
       der Anstalt mit 74 Betten im Stil eines altzürche-
                                                            Willhelm Fieder-Stiftung. Die Spitalfürsorge küm-       Richard Scherb (1880–1955) löst Hoessly als Chef-
       rischen Landhauses. Nach anderthalbjähriger
                                                            mert sich um die Berufsberatung, die berufliche         arzt ab. Er leitet den Balgrist während drei Jahr-
       Bauzeit kann der Betrieb am 12. November 1912
                                                            Ausbildung sowie die Suche nach Lehrstellen,            zenten. 1920 führt er die erste Spondylolis­these
       aufgenommen werden. Das Haupthaus enthält,
                                                            Arbeits- und Heimstätten. Ohne den Einsatz von          in Europa durch. 1924 wendet er sich der Myo­
       neben den benötigten Wirtschaftsräumen, einen
                                                            Ida Rein und ihren Nachfolgerinnen wären die            kinesiographie zu. Auf diesem Gebiet leistet er
       Operationssaal, helle Krankenzimmer, Schule und
                                                            meisten Patientinnen und Patienten bei der Wie-         Pionierarbeit und erwirbt sich einen internatio-
       Kindergarten sowie Wohn- und Spielzimmer. Im
                                                            dereingliederung nach erfolgreicher medizini-           nalen Ruf als Muskelphysiologe. Bekannt ist auch
       Poliklinikgebäude befinden sich Tages-, Ausbil-
                                                            scher Behandlung und schulischer Ausbildung             seine Arbeit mit dem Rollgehband und mit den
       dungs- und orthopädie-technische Werkstätten
                                                            gescheitert.                                            von ihm entwickelten Meridianapparaten.
       sowie der Gymnastik- und Übungssaal. Den Um-
       schwung nutzt man als Gemüsegarten.

       16           update Ausgabe 18 – Juli 2020
2020

                                                                                                                                Neues aus der Klinik

1923                                                   wichtige Forschungsdepartemente und treibt so
                                                       die orthopädischen Wissenschaften voran. Dank         2005
Der erste Erweiterungsbau wird in Betrieb              seiner Entscheidung, die traditionelle Archivie-      Die Patientenschule wird geschlossen
genommen                                               rung von Krankengeschichten und Bildmaterial
                                                       fortzusetzen, verfügt die Klinik heute über eines     Die Entwicklung in der orthopädischen Chirurgie
Der Balgristbau mit der Poliklinik wird schon bald     der grössten und vollständigsten Archive.             und Radiologie schreitet rasant voran. Dazu ver-
zu eng und entspricht nicht mehr den Anforde-                                                                kürzen sich die Hospitalisationszeiten so sehr, dass
rungen. Patientinnen und Patienten müssen oft                                                                sich ein Schulbesuch während der Behandlungs-
monatelang auf ihren Klinikeintritt warten. Durch                                                            dauer erübrigt. Die frei gewordenen Räume wer-
den Erweiterungsbau werden die internen Patien-
tenplätze von 74 auf 150 erhöht.
                                                       1973                                                  den für die Beschäftigungstherapie behinderter
                                                                                                             Patientinnen und Patienten umfunktioniert. Er-
                                                       Die Abteilung Rheumatologie und
                                                                                                             gänzend zur Ergotherapie entstehen dort nun
                                                       Physikalische Medizin wird eröffnet
                                                                                                             handwerkliche Gegenstände wie Kinderspielzeug
1945                                                   Nachdem sich die orthopädische Disziplin im-
                                                       mer stärker zu einer invasiv-chirurgischen Fach-
                                                                                                             und Lampenschirme.

Die Anstalt wird zur Orthopädischen                    richtung entwickelt, eröffnet 1973 die Abteilung
Universitätsklinik                                     für Rheumatologie und Physikalische Medizin, um
                                                       konservative Behandlungen am Bewegungsappa-
Kurz nach Kriegsende spezialisiert sich die Klinik     rat zu fördern.
auf die Orthopädie und ihr Direktor Richard
Scherb wird erster ausserordentlicher Professor
für Orthopädie an der Medizinischen Fakultät der
Universität in Zürich.                                 1990
                                                       Das Zentrum für Paraplegie wird eröffnet
                                                       In einer weiteren baulichen Erweiterung eröff-
                                                       net das dritte Schweizerische Paraplegikerzen-
                                                       trum mit insgesamt 46 Betten. Neben modernen,
                                                       medizinischen Einrichtungen verfügt es über alle
                                                       erforderlichen Räume für Hydro-, Elektro-, Tro-
                                                       cken- und Ergotherapie sowie über ein Therapie-
                                                                                                             2017
                                                       und Gehbad. Zur schonenden und raschen Ein-           Die patientenzentrierte, innovative
                                                       lieferung der Patientinnen und Patienten wird ein     Universitätsklinik
                                                       Helikopterlandeplatz erstellt.                        Der Orthopäde und Wirbelsäulenchirurg Mazda
                                                                                                             Farshad (*1982) wird aufgrund seines hervorra-
                                                                                                             genden Leistungsausweises als Forscher, Wissen-
                                                                                                             schaftler und Chirurg zum Ordinarius Orthopädie

1950                                                                                                         und zum medizinischen Spitaldirektor berufen. Er
                                                                                                             ist Mitgründer der Abteilung für klinische und an-
Die Ära Francillon beginnt                                                                                   gewandte Forschung, des Universitären Zentrums
                                                                                                             für Wirbelsäulenchirurgie Zürich sowie des Univer-
Max René Francillon (1899–1983) löst Richard                                                               sitären Zentrums für Prävention und Sportmedi-
Scherb im Amt ab und leitet die Klinik bis 1969.                                                             zin. Sein Innovationsdrang und Qualitätsanspruch
Speziell beschäftigt er sich mit der angeborenen                                                             bringen die Universitätsklinik Balgrist als schweiz-
Hüftluxation. Viele Schweizer Orthopäden die-                                                               weit führende orthopädische Klinik weiter.
ser Generation werden von ihm ausgebildet. Er
gestattet ihnen freies Arbeiten und Forschen. So

                                                                                                             2018
ist es nicht weiter erstaunlich, dass vier der fünf
Schweizer Lehrstühle für Orthopädie später durch
seine Schüler besetzt werden.                          1992                                                  Einweihung der neuen Forschungsstruktur
                                                       Das Team-System wird eingeführt                       Balgrist Campus AG.

1966                                                   Hans Zollinger (*1943) modernisiert den klini-
                                                       schen Betrieb als interimistischer Chefarzt. Unter
                                                                                                             Die neuen Einrichtungen stehen Forschenden
                                                                                                             aus der ganzen Schweiz wie auch internationa-
Ein weiterer Um- und Erweiterungsbau wird              seiner Führung lanciert die Arbeitsgemeinschaft       len Gruppen zur Verfügung. Sie dienen der Zu-
eingeweiht                                             für Rationalisierung und Organisation ein System,     sammenarbeit mit anderen Universitäten, aka-
                                                       das die Kommunikation der ambulanten und sta-         demischen Institutionen und der Industrie, um
Die Bettenkapazität wird weiterhin immer knap-         tionären Versorgungsbereiche verbessert.              Fortschritte in der Diagnose und Behandlung von
per. Für 24 Millionen Franken kommen schliesslich                                                            muskuloskelettalen Erkrankungen und Verletzun-
ein mehrgeschossiges Bettenhaus, ein Behand-                                                                 gen dem Patienten so rasch als möglich zugäng-
lungstrakt mit angegliedertem Hörsaal, ein Wirt-                                                             lich zu machen.
schaftstrakt sowie ein grosses Schwesternhaus
dazu. Nun bietet die Klinik 250 Betten, ändert ihre
                                                       1995
                                                       Das erste Forschungshaus wird eröffnet
                                                                                                             2019
Struktur und nennt sich um in «Schweizerischer
Verein Balgrist».                                      Es erfolgt eine Gesamtsanierung: Im Altbau 2
                                                       wird ein interdisziplinärer Forschungstrakt in Be-   Neue Klinikstrategie festgelegt
                                                       trieb genommen. In der letzten Projektetappe
1969                                                   ziehen 1996 das neu strukturierte Wohnheim
                                                       und die Verwaltung in den Altbau 1 ein. Christian
                                                                                                             Heute wird die Universitätsklinik Balgrist von ei-
                                                                                                             nem medizinischen Spitaldirektor, Mazda Farshad,
Neue Forschungsdepartemente entstehen                  Gerber (*1952) wird zum Klinikdirektor und ortho-     und einem operativen Spitaldirektor, Thomas
                                                       pädischen Chefarzt ernannt. Er leitet den Balgrist    Huggler, geleitet. Im Fokus all unserer Aktivitäten
Von 1969 bis 1993 leitet Adam Schreiber (*1930)        während der folgenden 22 Jahre.                       stehen unsere Patientinnen und Patienten sowie
die Klinik. Er beschäftigt sich speziell mit dem Er-                                                         die Auftrags­erfüllung als universitäre Tertiärver-
satz des Hüftgelenkes. Er erweitert die Klinik um                                                            sorgerin bei der Behandlung komplexester Fälle.

                                                                                                               update Ausgabe 18 – Juli 2020                 17
Genauestes Einsetzen von Implantaten
Ohne Blick durch die «HoloLens»-Brille fällt kaum ein Unterschied zum bisherigen Verfahren auf.

                                                                                                  (yk) Die von Swissmedic bewilligte Stu-
                                                                                                  die wird im Rahmen des Flagship-Pro-
                                                                                                  jekts «SURGENT» durchgeführt, gelei-
                                                                                                  tet vom Medizinischen Spitaldirektor
                                                                                                  des Balgrist, Prof. Dr. med. Mazda Fars-
                                                                                                  had. Er ist davon überzeugt, dass die
                                                                                                  Nutzung von Augmented Reality ein
                                                                                                  Schlüsselelement für zukünftige Präzi-
                                                                                                  sionsoperationen ist. Der Meinung ist
Pionierstudie über Wirbel­                                                                        auch Prof. Dr. Philipp Fürnstahl, Lei-
                                                                                                  ter des Balgrist ROCS (Research in Or-

säulenoperationen mit                                                                             thopedic Computer Science). Gemein-
                                                                                                  sam mit Incremed, einem universitären

Augmented Reality (AR)                                                                            Start-up der Balgrist Beteiligungs AG,
                                                                                                  testen und vergleichen sie komple-
                                                                                                  xe Wirbelsäuleneingriffe mit und ohne
                                                                                                  AR-technologische Unterstützung.

Mithilfe von sogenannten AR-Brillen sollen orthopädische                                          Vergleichsergebnisse der ersten Phase,
Eingriffe effizienter, präziser und für Patientinnen und Patien-                                  die voraussichtlich im Spätherbst 2020
ten sicherer werden. Damit dies möglichst bald Alltag wird,                                       vorliegen werden, sollen die Basis schaf-
erforscht ein interdisziplinäres Team aus Forschung, Ingenieur-                                   fen, um die AR-Technologie auf dem
                                                                                                  Weg von der Forschung in den Operati-
wesen und Chirurgie seit Jahren die Nutzung der erweiterten                                       onssaal weltweit einen wichtigen Schritt
Realität im Ope­rationssaal. Die Universitätsklinik Balgrist                                      voranzubringen. Microsoft Schweiz geht
startet nun die weltweit erste klinische Studie ihrer Art.                                        diesen Schritt mit. Von ihnen stammen

18            update Ausgabe 18 – Juli 2020
Neues aus der Klinik

                                                                                       Mit Augmented Reality: Der Opera-
                                                                                       teur sieht durch die Brille die exakte
                                                                                       Positionierung und den Winkel an,
                                                                                       in dem die Pedikelschraube ein-
                                                                                       geführt werden soll.

                                                                                       Anhand der erfassten Schrauben-
                                                                                       kopf-Positionen erhält das Stabim-
                                                                                       plantat die perfekte Passform.

die angewendeten «HoloLens»-Brillen.         Flagship-Projekt «SURGENT»
Microsoft CEO Marianne Janik weiss,          (Surgeon Enhancing Technologies)
dass Augmented Reality und Artificial
Intelligence bereits heute menschliche
                                             In diesem Vorhaben der Hochschulmedizin Zürich
Fähigkeiten und Expertise unterstützen
                                             arbeiten Spezialistinnen und Spezialisten aus Chirurgie,
und sogar ergänzen können.
                                             Bildgebung, Computer- und Ingenieurwissenschaften
                                             gemeinsam, um neue Standards für die patientenspezi-
Erweiterte Sinne für Chirurginnen
                                             fische Planung und Durchführung von Präzisionsopera-
und Chirurgen
                                             tionen im Bereich der Wirbelsäulen- und Neurochirurgie
Auf Basis von CT-Bildgebungen werden
                                             zu setzen. Modernste Technologien zur Verbesserung der
3D-Darstellungen der betroffenen Ana-
                                             chirurgischen Fähigkeiten werden entwickelt, integriert,
tomie generiert und während des Ein-
                                             optimiert und klinisch validiert, um sie in effiziente und
griffs direkt im Operationsfeld angezeigt.
                                             wirtschaftliche klinische Arbeitsabläufe einzubetten.
Chirurginnen und Chirurgen sehen die-
se 3D-Anatomie der operierten Person
mit Hilfe einer AR-Brille, während die
AR-Navigationssoftware sie durch jeden
                                                       Durch die «HoloLens 2»-Brille
Operationsschritt führt und dessen Aus-                eröffnet sich ihren Träger/
führung verifiziert, zum Beispiel das ex-              innen die Mixed-Reality-Welt.
akte Setzen einer Schraube am richtigen
Ort und im korrekten Winkel. Nebst der
präzisen Einbringung von Implantat-
komponenten wird etwa auch das Ver-
messen von Stabimplantaten und deren
individuelle Dimensionierung einfacher
und noch genauer als bisher.

                                                                                       update Ausgabe 18 – Juli 2020            19
Neues aus der Klinik

   Corona verlangt Ausser­­
ordentliches: Zum Beispiel
Masken aus dem 3D-Drucker
Die Corona-Pandemie hatte in der Schweiz zu einer aus-
serordentlichen Lage geführt. Es war zu befürchten,
dass auch hier das Gesundheitswesen an seine Kapazi-
tätsgrenzen stossen könnte. Dank rigoroser Massnah-
men kam es nicht soweit. Wie war die Universitätsklinik
Balgrist betroffen? Wie hat sie darauf reagiert, und wie
kehrt sie zum Normalbetrieb zurück? Ein Blick hinter
die Kulissen.
                   (mü) Am 25. Februar erreichte das Coronavirus
                   die Schweiz. Im Tessin wurde der erste Fall nach-
                   gewiesen. Damit hatte die Taskforce COVID-19
                   der Universitätsklinik Balgrist gerechnet. Entspre-
                   chend war sie darauf vorbereitet, sofort die ersten
                   pandemiebedingten Massnahmen zu treffen. Da-
                   bei ging es in erster Linie darum, die bereits gelten-
                   den, strengen Hygienemassnahmen zu prüfen. Im
                   ganzen Spital aufgehängte Plakate sorgten dafür,
                   dass auch die Patientinnen und Patienten immer
                   gut informiert waren. Der Zutritt zum Spitalge-
                   bäude wurde kanalisiert, die Seiteneingänge wur-         Die Grundhalterung für den Gesichtsschutz aus PA 2200 Polyamid
                   den geschlossen, und beim Haupteingang die nö-           steht nach dem Druckverfahren bereit für den nächsten Arbeits-
                   tigen Kontrollen durchgeführt. Alle Massnahmen           schritt.
                   hatten von Anfang an zwei Ziele: erstens Patientin-
                   nen und Patienten sowie Mitarbeitende vor Anste-
                   ckung zu schützen und zweitens die Verbreitung           oder Video direkt mit ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin
                   des Virus einzudämmen, um das Gesundheits­               kommunizieren konnten.
                   system vor einem Kollaps zu bewahren.
                                                                            Auch die Balgrist-Mitarbeitenden waren von
                   Einschneidende Massnahmen                                schwerwiegenden Massnahmen betroffen, etwa im
                   Schon früh erliess die Gesundheitsdirektion des          Zuge der Schulschliessungen. Übers Wochenende
                   Kantons Zürich ein Besuchsverbot. Einschneidend          stellte die Universitätsklinik Balgrist in einer Par-
                   für die Patientinnen und Patienten. Dann folg-           forceleistung einen internen Kinderhütedienst auf
                   te die Anordnung, auf nicht-dringende Behand-            die Beine. Ein Sitzungsraum wurde in ein Spiel-
                   lungen zu verzichten. Das war für hoffnungs­volle        zimmer verwandelt, eine Ludothek stellte Spiel-
                   Patientinnen und Patienten sowie für die Klinik          zeug zur Verfügung, und freiwillige Helferinnen
                   gleichermassen gravierend. Auch Sprechstunden            und Helfer meldeten sich reihenweise.
                   für ambulante Behandlungen mussten verschoben
                   werden. Dabei ging es beispielsweise um postope-         Neue IPS früher als geplant eröffnet
                   rative Kontrollen nach sechs oder zwölf Monaten.         Wie auch die anderen Spitäler erhöhte die Uni-
                   Als Alternative bot die Universitätsklinik Balgrist      versitätsklinik Balgrist die coronaspezifische Be-
                   mit Beginn des Lockdowns virtuelle Sprechstun-           handlungskapazität, um dem erwarteten Ansturm
                   den an, so dass die Patientinnen und Patienten (von      von COVID-19-Patientinnen und -Patienten ge-
                   denen viele einer besonders gefährdeten Gruppe           recht zu werden. Dies obwohl sie als spezialisier-
                   zuzurechnen sind) von zu Hause aus per Telefon           te Orthopädie-Klinik im Gegensatz zu den Akut-

20      update Ausgabe 18 – Juli 2020
Neues aus der Klinik

Gesichtsschutz-Maske,
gedruckt im Forschungs­
gebäude Balgrist Campus.

                              Die neue Intensivstation stand früher als geplant bereit, um nötigenfalls an COVID-19 erkrankte Personen behandeln zu können.

spitälern nicht zu den COVID-19-Spitälern                    typ der Masken überarbeitet worden und steht in
gehört – im Balgrist waren denn auch bis heu-                verbesserter Version zur Verfügung.
te keine COVID-19-Fälle zu behandeln. Das
oberste Ziel blieb indessen, immer genügend In-              Information schafft Vertrauen
tensivpflegeplätze und Beatmungsstationen be-                Ein wesentlicher Faktor zur Bewältigung der ausser­
reit zu halten, weshalb denn auch die neue In-               ordentlichen Lage war die Information der Mitar-
tensivpflegestation (IPS) früher als geplant den             beitenden. Systematische und regelmässige interne
Betrieb aufnahm. Bisher hatte die Universitätsklinik         Kommunikation hielt sie auf dem Laufenden. Aus-
Balgrist im Intensivpflegebereich über vier                  serdem stand ihnen eine Hotline für sämtliche me-
IMC-Plätze (Intermediate Care) verfügt, wo Perso-            dizinischen, betrieblichen und auch persönlichen
nen mit einem hohen Überwachungs- und Betreu-                Anliegen offen.
ungsaufwand versorgt werden konnten. Mit den
sechs neuen IPS-Betten ist nun die minimal vorge-            Wenn die Universitätsklinik Balgrist jetzt den
schriebene Grösse einer IPS geschaffen.                      Normalbetrieb wieder aufnimmt, lässt sie das ur-
                                                             sprüngliche Ziel der Corona-Bekämpfung nicht
Not macht erfinderisch                                       aus den Augen: den Schutz von Mitarbeitenden
Als Masken und Brillen zum Schutz vor dem                    und Patientinnen und Patienten. Deshalb werden
Coro­navirus weltweit Mangelware wurden, ging                gewisse Massnahmen sogar verschärft. Mit den ers-
das Forscherteam ROCS der Universitätsklinik                 ten Lockerungen ging z. B. eine generelle Masken-
Balgrist zusammen mit der Balgrist Campus AG                 tragpflicht im Spitalgebäude einher. Rückblickend
und der Balgrist Tec AG innovative Wege. Es pro-             hat sich gezeigt, dass wir eine ausserordentliche
duzierte eine Art «face shield» aus dem 3D-Dru-              Lage überstehen und die befürchteten Szenarien
cker. Dieser Gesichtsschutz ist sterilisierbar und           vermeiden konnten – dank vorausschauender Pla-
mit einer austauschbaren, sich nicht beschlagen-             nung, verbunden mit situationsgerechter Flexi-
den Spezialfolie versehen – ein Beitrag nament-              bilität und der aussergewöhnlichen Leistungsbe-
lich zum Schutz der Mitarbeitenden im Spital.                reitschaft der Mitarbeitenden aller Bereiche sowie
Nach ersten Einsatzerfahrungen ist der Proto-                zugezogener Fachleute.

                                                                                                         update Ausgabe 18 – Juli 2020                 21
Patientenempfang
                                                   der Tagesklinik.

                                                   Moderne Infrastruktur:
                                                   Eines der sechs neuen
                                                   Intensivpflegebetten.

Jetzt hat die Universitätsklinik
Balgrist eine richtige Intensiv­
pflegestation IPS
                                                                            chungs- und Betreuungsaufwand ver­­sorgt werden.
Seit Ende März sind die neue Intensivpflegestation                          Mit den sechs neuen IPS-Betten hat man jetzt die
(IPS) und der Aufwachraum (AWR) in Betrieb – früher                         minimal vorgeschriebene Grösse einer IPS ge-
                                                                            schaffen, um eine intensivmedizinische Behand-
als geplant. Anfang Mai konnte ergänzend die neue
                                                                            lung zu gewährleisten. Man mag sich fragen, wa-
Tagesklinik eröffnet werden.                                                rum eine auf Orthopädie spezialisierte Klinik
                                                                            eine IPS braucht. Professor Mazda Farshad, Medi­
                                                                            zinischer Spitaldirektor, erklärt: «Wir machen uni-
                  (mü) Mit der vorzeitigen Inbetriebnahme der neu-          versitäre Orthopädie, und deshalb brauchen wir
                  en IPS hatte sich die Universitätsklinik Balgrist da-     eine IPS, um die hochkomplexen Fälle behandeln
                  für gerüstet, allfällige COVID-19-Patientinnen            zu können.» Der Aufwachraum wurde zudem von
                  und -Patienten aufzunehmen. Soweit ist es nicht           sechs auf zehn Plätze vergrössert. «Die neue IPS
                  gekommen, bis heute musste an der Universitäts-           kommt ganz besonders auch unseren querschnitt-
                  klinik Balgrist kein COVID-19-Fall behandelt              gelähmten Patientinnen und Patienten zugute»,
                  werden. Anfang Mai wurde dann auch die Tages-             sagt Professor Armin Curt, Chefarzt und Direktor
                  klinik mit fünf Kojen und drei Behandlungsliegen          des Zentrums für Paraplegie (ZfP), «das sind oft
                  eröffnet. Die Tagesklinik gehört als Einheit zum          sehr anspruchsvolle Fälle, in denen eine Beatmung
                  Aufwachraum. Ambulante Patientinnen und Pa-               notwendig ist.
                  tienten, die bis anhin auf den Stationen unterge-
                  bracht waren, können so nun bedarfsgerechter be-          Kernaufgabe Kontrolle
                  handelt werden.                                           Die Kontrolle aller wichtigen Organfunktionen
                                                                            von kritisch kranken oder schwer verunfallten Per-
                  Was ist neu?                                              sonen ist eine der intensivmedizinischen Kernauf-
                  Bisher verfügte die Universitätsklinik Balgrist im        gaben. Sind lebenswichtige Organe beeinträchtigt
                  Intensivpflegebereich über vier IMC-Plätze (Inter-        oder ausgefallen, liegt es an der Intensivmedizin,
                  mediate Care). Hier konnten schon bisher Patien-          weitere Funktionseinbussen zu verhindern oder
                  tinnen und Patienten mit einem hohen Überwa-              die entsprechende Funktion zu ersetzen, bis das

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