Ärzteschwemme versus Ärztemangel in Österreich - Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre

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Ärzteschwemme versus Ärztemangel in Österreich - Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre
ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE                                   NEUE WEGE

                          Ärzteschwemme
                          versus Ärztemangel in Österreich
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                        Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre
                        Im Auftrag des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger
                        wurde von APA-DeFacto eine objektive quantitative Präsenzanalyse erarbeitet,
                        welche die medial geführten Diskurse der Themen Ärzteschwemme und Ärzte-
                        mangel in Österreich zwischen 1. Jänner 1995 und 14. Dezember 2014 abbildet.
                        Als zugrundeliegendes Mediensample wurden alle österreichischen Tageszeitungen,
                        Wochenzeitungen und Magazine aus dem Bestand der Datenbanken von APA-
                        DeFacto herangezogen. Die Präsenzanalyse basiert auf einer Recherche des
                        Begriffspaares Ärzteschwemme und Ärztemangel (inkl. Wortkombinationen,
                        Synonyme und signifikanter Verknüpfungen). Die damit einhergehenden Akteure
                        wurden anhand automatischer Suchläufe herausgearbeitet und fünf vorweg
                        definierten Akteursgruppen zugeordnet: Hauptverband inkl. aller Träger-
                        organisationen, Ärztekammern in Österreich, politische Akteure, Medizin-
                        Universitäten sowie Patientenvertretungen. Über diese definierte Präsenzerhebung
                        hinaus wurden Co-Occurrence-Personenakteure bzw. Geodaten der medialen
                        Berichterstattung erhoben. Abgerundet wird die quantitative Präsenzanalyse
                        durch eine Einbettung der Diskurse in medial transportierte Politikfelder und
                        Sachthemen.

                        „Die Damen und Herren Studenten [sollten] unbe-         öffentliche Medizin-Universität in Linz schaffen. Es
                        dingt vor einem Medizin-Studium gewarnt [wer-           „besteht dringender Handlungsbedarf“.
                        den]“, meint ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Ra-          Im Auftrag des Hauptverbandes der österreichi-
                        singer am 16.9.1998 in der Kronen Zeitung. Er se-       schen Sozialversicherungsträger wurde von APA-
                                                                                                                                         Mag. Edith Maria

                        he darin eine „gute Idee“, die bereits „vor zehn Jah-   DeFacto eine objektive quantitative Präsenz-
                                                                                                                                         Rehberger

                        ren passend gewesen wäre“. Knapp 15 Jahre später        analyse erarbeitet. Ziel der Untersuchung ist es, die
                                                                                                                                         ist Politikwissenschaftlerin

                        attestiert Peter Niedermoser, Präsident der Ärzte-      printmedial geführten Diskurse der Themen
                                                                                                                                         und Medienanalystin der

                        kammer für Oberösterreich, im Neuen Volksblatt          Ärzteschwemme bzw. Ärztemangel im Zeitraum
                                                                                                                                         APA-DeFacto Datenbank
                                                                                                                                         & Contentmanagement

                        vom 4.4.2012: „Fachärzte fehlen, Turnusstellen          von 1995 bis 2014 im Vergleich aufzurollen. Der
                                                                                                                                         GmbH.

                        sind nicht besetzt.“ Abhilfe könnte nur eine vierte     Fachbeitrag soll anhand von Themenkarrieren,

                                                                                            5/2015      S O Z I A L E           S I C H E R H E I T             215
Ärzteschwemme versus Ärztemangel in Österreich - Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre
NEUE WEGE            ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE

                              Präsenzspitzen, regionalen Verteilungen der Be-
                              richterstattung sowie ausgewählten Zitaten eine
                                                                                        1.1 Jahrtausendwende:

                              Einordnung der Diskurse in Politikfelder ermögli-         Am Beginn des Untersuchungszeitraums baut sich
                                                                                             Bildungspolitik im Fokus

                              chen. Anhand einer chronologischen Aufarbeitung           die Debatte zum Thema Ärzteschwemme langsam,
                              der beiden Themen ist weiters eine Identifizierung        aber kontinuierlich auf. Ab 1997 zeigen sich in der
                              der Bruchlinien und Kontinuitäten der Diskurse            österreichischen Medienlandschaft erste markante
                              möglich. Durch die Analyse der zentralen Bericht-         Ausschläge in der Berichterstattung: Ärztekam-
                              erstatter wird zudem die geografische Verteilung          mern und medizinische Universitäten warnen vor
                              der medialen Berichterstattung erkennbar. Schließ-        einem bevorstehenden Ärzteüberschuss und for-
                              lich bilden die Ergebnisse die involvierten Akteure       dern, mittels Quotenregelung die Anzahl der Stu-
                              und deren Positionierung ab, geben Hinweise               dierenden einzudämmen. Wolfgang Schütz, Dekan
                              auf den potenziellen Emotionalisierungsgrad               der Medizinischen Fakultät der Universität Wien,
                              der einzelnen Themenstränge und zeigen die Ver-           spricht z. B. von einer möglichen Studieneingangs-
                              änderungen der medialen Diskurse am Zeitstrahl            phase. Die Österreichische Ärztekammer geht in
                              auf.                                                      diesem Zusammenhang noch einen Schritt weiter
                                                                                        und fordert eine „Anpassung der Ausbildungsplät-
                                                                                        ze an den prognostizierten Ärztebedarf“ (Die Pres-
                                                                                        se, 27.5.1997).
                              1 Chronologie des Diskurses

                              Ausgehend von Deutschland findet seit den 1980er          Im selben Jahr lässt eine Studie des Österreichi-
                                zum Thema Ärzteschwemme
                              Jahren das Phänomen Ärzteschwemme Eingang in              schen Bundesinstituts für Gesundheitswesen
                              die mediale Öffentlichkeit. Während das Thema im          (ÖBIG), welche vor 20.000 arbeitslosen Ärzten bis
                              Nachbarland bereits intensiv diskutiert wird und          2010 warnt, den seit 15 Jahren regelmäßig wieder-
                              u. a. die Beschränkung von Studienplätzen an Me-          holten Wunsch der Stadt Salzburg nach einer eige-
                              dizin-Universitäten einen vieldiskutierten Lösungs-       nen medizinischen Fakultät „platzen“. SPÖ-Ge-
                              ansatz darstellt, bleibt die Debatte in dieser Intensi-   sundheitssprecher Walter Guggenbichler warnt da-
       Die Debatte beginnt.

                              tät in Österreich aus. Erst rund ein Jahrzehnt später     bei vor der Errichtung einer zusätzlichen Medizin-
                              findet das Schlagwort Ärzteschwemme auch in der           Fakultät und den damit einhergehenden Anreizen
                              österreichischen Medienlandschaft seinen Nieder-          für weitere Studierende (vgl. Kurier, 15.12.1997).
                              schlag. Der Zeithorizont ist dabei deutlich auszu-        Ab 1998 steigt die mediale Präsenz von ÖVP-Ge-
                              machen: Von Mitte der 1990er Jahre bis zum Höhe-          sundheitssprecher Erwin Rasinger, einem der wich-
                              punkt der Debatte im Jahr 2001 verdreifacht sich          tigsten Kommunikatoren zum Thema Ärzte-
                              der mediale Output zu diesem Thema. Nach 2001             schwemme, erkennbar an. Gemeinsam mit Vertre-
                              flaut die Diskussion medial merkbar ab und erlebt         tern der Ärztekammern wird er zu einem der zen-
                              erst Mitte der 2000er Jahre in Zusammenhang mit           tralen Player in den späten 1990er und 2000er Jah-
                              einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Zu-         ren hinsichtlich der Regulierung des Medizinstudi-
                              gangsregelungen an österreichischen Universitäten         ums.
                              nochmals kleinere Präsenzausschläge. Zu Beginn            Im Vorfeld des Superwahljahres 1999 zeichnen sich
                              der 2010er Jahre zeigen sich noch einzelne Rand-          im österreichischen Politikbetrieb Umbrüche und
                              erwähnungen zu diesem Thema, die aber im                  Veränderungen ab, die bis dahin etablierte Politik-
                              Rahmen der bis dahin entbrannten Ärztemangel-             landschaft beginnt sich zu transformieren. 1999
                              Debatte zu verorten sind.                                 wird nicht nur der österreichische Nationalrat neu
                              Gesamt gesehen stellen die Ärztekammern mit               gewählt, sondern auch die Vertretung der Ärzte-
                              einem Anteil von rund 34 % den wichtigsten Ak-            schaft. So warnt der Präsident der Wiener Ärzte-
                              teur in der Berichterstattung zum Thema Ärzte-            kammer, Walter Dorner, im September 1999 – kurz
                              schwemme dar. Politische Akteure besetzen das             vor der Nationalratswahl – vor dem Beginn eines
                              Thema zu 31 % und dominieren damit gemeinsam              Medizinstudiums: „Wir wollen niemanden vom
                              mit den Kammern zu knapp zwei Drittel den Dis-            Studium abhalten, müssen aber auf die geringen Be-
                              kurs.                                                     rufsaussichten aufmerksam machen. […] wir war-
                              Der Hauptverband mit allen Trägerorganisationen           nen seit zehn Jahren vor einer Medizinerschwem-
                              folgt auf Rang drei und nimmt einen Anteil von            me“ (Die Presse, 16.9.1999).
 Manuel Kerzner, BA

                              22 % ein. Während die Medizin-Universitäten               Im Rahmen dessen stellt Dorner erstmals eine Kam-
 ist Politikwissenschaftler

                              noch 12 % an der Gesamtberichterstattung zum              pagne vor, in der potenzielle Studierende vor dem
 und Medienanalyst der

                              Thema Ärzteschwemme abdecken (vor allem bis               Beginn eines Arztstudiums gewarnt werden sollen.
 APA-DeFacto Datenbank

                              ins Jahr 2007), sind Patientenvertretungen über die       Die mediale Berichterstattung dazu findet im Früh-
 & Contentmanagement

                              gesamten 20 Jahre nur marginal am Diskurs betei-          jahr 2000 ihren Höhepunkt: „Die Mediziner-
 GmbH.

                              ligt (ca. 1 %).                                           schwemme macht Ärztekammer und Stadtschulrat

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Ärzteschwemme versus Ärztemangel in Österreich - Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre
ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE                                 NEUE WEGE

                                Übersicht „Ärzteschwemme“ inkl. Akteure

Kopfzerbrechen: Nun startet eine Info-Kampagne.        zählige vergeudete Steuermilliarden und keines-
[…] ‚Die Situation ist nicht lustig‘, erklärt Walter   wegs eine Verbesserung der medizinischen Versor-
Dorner, Präsident der Wiener Ärztekammer. Mit ei-      gung, erklärte Kammerpräsident Otto Pjeta [...], und
ner Informationskampagne – Kostenpunkt 1,5 Mil-        stellte fest: ‚Das ist ein zynischer Luxus. Man muss
lionen Schilling – wollen Kammer und Stadtschul-       nun endlich der laufenden Illusionszerstörung der
rat in Maturaklassen darstellen, was es bedeutet,      Jugend ein Ende setzen‘“ (Kärntner Tageszeitung,
sich fürs Medizinstudium zu entscheiden“ (Die          25.1.2001).
Presse, 28.4.2000).                                    Abseits des von ÖVP und FPÖ sowie den Ärzte-
Unter der schwarz-blauen Regierung Schüssel I          kammern forcierten bildungspolitischen Themas
                                                                                                              Regulierung als Lösung?

werden die Pläne zur Regulierung des Medizinstu-       „Studierendenzahlen“ knüpft am Ende der 1990er
diums konkret. FPÖ-Gesundheitsstaatssekretär           Jahre ein zweiter, medial schwächer ausgeprägter
Reinhart Waneck, der quantitativ wichtigste Kom-       Themenstrang an das Thema Ärzteschwemme in
munikator im Diskurs, fordert einerseits gemeinsam     Österreich an: die Vergabe von Kassenverträgen.
mit Ärztekammerpräsident Otto Pjeta die Einfüh-        ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger ist aber-
rung von Zugangsbeschränkungen zum Medizin-            mals einer der zentralen Kommunikatoren in der
studium und warnt gleichzeitig mit Nachdruck vor       Debatte. Den Hauptkritikpunkt stellt dabei die
einer drohenden Ärztearbeitslosigkeit (vgl. Neue       quantitative Beschränkung der Kassenverträge und
Kärntner Tageszeitung, 24.1.2001). Untermauert         die damit einhergehende lange Wartezeit von Jung-
wird der Argumentationsstrang durch eine erneute       medizinern auf die zu vergebenden Kassenplanstel-
Studie des ÖBIG, welche ein teils dramatisches Bild    len dar. Unterstützt wird Erwin Rasinger in seiner
von der zu erwartenden Ärzteschwemme zeichnet:         Forderung u. a. von Wiens Ärztekammerpräsident
ÖBIG-Chefin Michaela Moritz spricht sogar von ei-      Walter Dorner, der die Chancen wartender Ärzte auf
ner „beginnenden Verelendung einzelner Bereiche        Verträge als „schlecht“ einstuft. Nicht zuletzt wer-
der Mediziner“ und dem Entstehen eines „ärztlichen     den in diesem Zusammenhang die Kosten von
Proletariats“ (Salzburger Nachrichten, 9.10.2000).     Gruppenpraxen bzw. die Sparpolitik der Kranken-
Im Folgejahr setzt sich das Regulierungsthema fort:    kassen medial thematisiert.
„Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck (FP),       Im Jahr 2001 finden sich erstmals vermehrt Stim-
Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Otto       men in der Berichterstattung, welche die Ärzte-
Pjeta, sowie die Chefin des Bundesinstituts für Ge-    schwemme anzweifeln. Die Kronen Zeitung OÖ
sundheitswesen, Michaela Moritz, schlagen Alarm:       startet im Spätsommer eine Aktion, die die Leser-
Tritt keine Verringerung der Zahl der jährlichen Me-   schaft dazu auffordert, ihre Erfahrungen in puncto
dizin-Promovenden ein, wird es bis zum Jahr 2020       „ewiges Warten auf Arzt-Termine“ bzw. „überfüllte
in Österreich ein Überangebot von rund 9.500 fer-      Wartezimmer“ zu schildern: „Von wegen Ärzte-
tig ausgebildeten Ärzten geben. […] Für die Allge-     schwemme! Im Großraum Lambach haben frus-
meinheit bedeute ein Überangebot an Ärzten un-         trierte Mitbürger die Nase voll und eine Unter-

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Ärzteschwemme versus Ärztemangel in Österreich - Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre
NEUE WEGE            ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE

                             schriftenliste initiiert: Binnen kurzer Zeit wurde sie   tekammerpräsident Reiner Brettenthaler (Kurier,
                             von nicht weniger als 3.617 Leuten unterschrieben.       13.7.2005). Die Bundesregierung hält zu dieser Zeit
                             Alle fordern dringend eine Augenarztpraxis, weil         medial noch stark dagegen, Gesundheitsministerin
                             sie die Wartezeiten bis zu einem halben Jahr satt ha-    Maria Rauch-Kallat zerstreut die Bedenken der
                             ben“ (Kronen Zeitung, 18.09.2001).                       Ärztekammern und meint, es bestehe „kein Grund
                                                                                      zur Sorge“, die Ärztekammern würden „maßlos
                                                                                      überziehen“ (Neues Volksblatt, 13.7.2005). Den-
                             Während sich die Berichterstattung in den Jahren         noch reagiert die Bundesregierung mit einer
                             1.2 Der Wendepunkt: 2005/2006

                             2002 bis 2004 zusehends beruhigt, kann in den Jah-       Beschränkung der Studienplätze in insgesamt acht
                             ren 2005 und 2006 von einem Wendepunkt in der            Fächern, darunter Human- und Zahnmedizin.
                             Debatte gesprochen werden. Im Jänner 2005 fordert        Anfang 2006 präsentiert Bildungsministerin Elisa-
                             Ärztekammerpräsident Reiner Brettenthaler nach           beth Gehrer eine Lösung gegen den Medizineran-
                             wie vor vehement die Beschränkung des Medizin-           sturm aus Deutschland: Mittels Quotenregelungen
                             studiums, wenngleich sich v. a. an den Medizin-          soll gewährleistet werden, dass 75 % der Anfänger-
                             Universitäten Unmut über ein aufkommendes                plätze an österreichische Studierende vergeben
                             Nachwuchsproblem breitzumachen beginnt. Bret-            werden.
                             tenthaler dazu wörtlich: „Jetzt werden zu viele aus-     Der Begriff Ärzteschwemme wird ab 2005/2006
                             gebildet, deswegen fahren Kollegen jahrelang Taxi        nur noch überwiegend in Zusammenhang mit einem
                             und vergessen, was sie gelernt haben. Diese Planlo-      bevorstehenden Ärztemangel thematisiert. Einzig
                             sigkeit ist zynisch“ (Die Presse, 22.1.2005).            das ÖBIG veröffentlicht Mitte 2006 noch eine Stu-
                             Nahezu zeitgleich nimmt auf regionaler Ebene             die mit der Conclusio: „Österreich bildet wesentlich
                             allmählich das Thema Ärztemangel im Vergleich            mehr Ärzte aus, als im heimischen Gesundheits-
                             zum Thema Ärzteschwemme überhand: Ausge-                 system gebraucht werden“ (Salzburger Nachrich-
                             hend von Oberösterreich konstatieren ÖVP-                ten, 24.5.2006).
                             Bezirksfunktionäre einen Fachärztemangel im              Aufgrund der Fokussierung der Ärzteschwemme-
                             Raum Vöcklabruck. Mit den OÖ Nachrichten bzw.            Debatte auf eine relativ kleine Gruppe von Betrof-
      Ärzteschwemme: ein

                             der OÖ Rundschau werden im Zuge dessen erst-             fenen (Maturanten, Studierende, Jungmediziner)
       bildungspolitisches

                             mals Medien mit regionalem Schwerpunkt brei-             und einer mehrheitlich überregionalen Ausprägung
              Elitenthema.

                             tenwirksam und meinungsbildend aktiv. Neben              der Berichterstattung lässt sich attestieren, dass das
                             Oberösterreich regen sich zudem Stimmen in               Thema Ärzteschwemme spätestens am Höhepunkt
                             regionalen Tageszeitungen von weiteren Bezirks-          des Diskurses im Jahr 2001 zu einem bildungspoli-
                             funktionären zum Thema Ärztemangel in Spitälern          tischen Elitenthema wird. Der überregionale Anteil
                             (Tiroler Tageszeitung, Kleine Zeitung, Salzburger        der Berichterstattung liegt bei rund 40 %. Dies ist
                             Nachrichten).                                            darauf zurückzuführen, dass unter den Top-5-Be-
                             Mitte des Jahres, im Juli 2005, kommt es aufgrund        richterstattern (Salzburger Nachrichten, Die Presse,
                             eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs über         Kronen Zeitung, Kurier, Der Standard) nur eine re-
                             die gemeinschaftswidrigen Zugangsbeschränkun-            gionale Tageszeitung zu finden ist und regionale
                             gen an österreichischen Universitäten zu einem me-       Mutationen eine untergeordnete Rolle im Diskurs
                             dial attestierten „Ausnahmezustand“ an heimischen        einnehmen. Damit einhergehend lässt sich eine auf
                             Hochschulen. Aufgrund der urteilsbedingten Öff-          niedrigem Niveau befindliche, homogene Vertei-
                             nung des Hochschulzugangs für Studierende aus            lung der einzelnen Bundesländer beobachten: Ein-
                             dem EU-Ausland entwickelt sich in der Voranmel-          zig das Bundesland Salzburg bewegt sich, v. a. auf-
                             dungsphase ein veritabler Ansturm deutscher Stu-         grund der jahrelang präsenten Forderung nach einer
                             dierender. Die daraufhin abgebrochene Anmel-             eigenen medizinischen Fakultät, über der 15%-
                             dungsphase an der Medizinischen Universität Wien         Schwelle. Alle weiteren Bundesländer weisen
                             lässt Boulevardmedien u. a. titeln: „Deutsche Stu-       durchschnittlich einen Anteil von 6 % an der Ge-
                             denten stürmen die heimischen Universitäten“             samtberichterstattung auf.
                             (News, 14.7.2005).                                       In den analysierten Jahren 1995 bis 2014 werden in
                             Wenngleich die Ärztekammern im Jänner 2005               Summe 284 Beiträge zum Thema Ärzteschwemme
                             noch von „zynischer Planlosigkeit“ hinsichtlich der      verzeichnet. Im Vergleich zum Ärztemangel lässt
                             Medizinerschwemme sprechen, wird nun aufgrund            sich dabei ein quantitativ erhebliches Ungleichge-
                             der neuen Tatsachen erstmals deutlich ein potenziell     wicht ablesen: Mit 3.697 Beiträgen ergibt sich
                             bevorstehender Ärztemangel thematisiert. „Wenn           ein unverhältnismäßig größerer Anteil am Gesamt-
                             wir künftig überwiegend Deutsche ausbilden und           diskurs. 93 % der Gesamtberichterstattung behan-
                             diese nach dem Studium nach Deutschland gehen,           deln den Mangel an Ärzten in Österreich, wo-
                             haben wir in sechs Jahren zu wenige Ärzte“, so Ärz-      bei der Fokus eindeutig auf den letzten vier Jahren

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Ärzteschwemme versus Ärztemangel in Österreich - Eine Analyse der medialen Öffentlichkeit der vergangenen 20 Jahre
ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE                                                                         NEUE WEGE

des Untersuchungszeitraums liegt. Allein im Jahr
2014 werden dazu 896 Beiträge bzw. knapp ein
Viertel der gesamten Präsenz verzeichnet.

2 Chronologie des Diskurses

Das bis 2006 unterschwellig transportierte Thema
  zum Thema Ärztemangel
Ärztemangel ist aufgrund einer Europäisierung der
Thematik ab Mitte der 2000er Jahre medial präsent

                                                        © WavebreakmediaMicro - Fotolia.com
und wird in weiterer Folge ab 2011 durch eine Re-
gionalisierung der Berichterstattung geprägt.
Im Unterschied zur Ärzteschwemme-Thematik,
welche in erster Linie von den Ärztekammern ge-
tragen wird, dominieren die Debatte zum Thema
Ärztemangel zu 40 % politische Akteure. In rund je-
dem zehnten Beitrag zum Thema Ärztemangel fin-                                                sabeth Gehrer dazu: „Mit der Quote ist der Medizi-
det z. B. der oberösterreichische Landeshauptmann                                             ner-Nachwuchs gesichert“ (Kleine Zeitung,
Josef Pühringer Eingang in die Berichterstattung,                                             14.2.2006). Die Bundesregierung wähnt sich mit
womit er den wichtigsten Kommunikator des Dis-                                                der sogenannten „Safeguard-Regelung“ auf der
kurses darstellt. Zudem finden sich unter den Top-                                            rechtlich sicheren Seite.
10-Personenakteuren neben LH Pühringer noch                                                   Anders sieht dies die EU-Kommission: Im Jänner
fünf weitere Landes- bzw. Bundespolitiker.                                                    2007 strengt sie erneut ein Vertragsverletzungsver-
Die Ärztekammern stellen mit einem Anteil von                                                 fahren gegen Österreich an, welches durch eine sei-
rund 27 % den zweitwichtigsten Akteur zum Thema                                               tenstarke, studiengestützte Argumentationsschrift
dar. Die Medizin-Universitäten werden in rund                                                 von der österreichischen Bundesregierung Mitte des
18 % der Beiträge thematisiert und nehmen somit                                               Jahres beantwortet wird. Wissenschaftsminister Jo-
im Vergleich zur Ärzteschwemme einen höheren                                                  hannes Hahn argumentiert dahingehend, dass eine
                                                                                                                                                      Politik-Akteure als

Stellenwert in der Berichterstattung ein. Der Haupt-                                          akute „Gefährdung unseres Gesundheitssystems bei
                                                                                                                                                      führende Kommunikatoren.

verband mit allen Trägerorganisationen folgt auf                                              einer Freigabe des Uni-Zugangs“ bestünde, die
Rang vier mit einem Anteil von 14 %. Patienten-                                               Quotenregelung deshalb „notwendig, korrekt und
vertretungen besetzen erneut eine untergeordnete                                              richtig“ sei (Salzburger Nachrichten, 26.5.2007).
Rolle im Ärztemangel-Diskurs.                                                                 Diese Aussagen basieren auf der Annahme eines be-
                                                                                              vorstehenden Ärztemangels, der ausschließlich
                                                                                              durch eine Quotierung des universitären Zugangs
                                                                                              eingedämmt werden kann. Kanzler Alfred Gusen-
2.1 Mitte der 2000er:

Während das Thema Ärzteschwemme hauptsäch-                                                    bauer übernimmt den Argumentationsgang und tritt
     Europäisierung der Thematik

lich in einem rein österreichischen Rahmen medial                                             in Verhandlungen mit EU-Kommissionspräsident
thematisiert wird, stellt sich das Thema Ärzteman-                                            Barroso, um das eingeleitete Strafverfahren abzu-
gel als ein Problem europäischen Umfangs dar.                                                 wenden. Im Oktober 2007 kündigt die EU-Kom-
Dementsprechend ändern sich auch die involvierten                                             mission schließlich an, das Strafverletzungsverfah-
Akteure bzw. auch deren Argumentationsstil. Die                                               ren für fünf Jahre (bis 2012) auszusetzen. Voraus-
Debatte findet in der Mitte der 2000er Jahre mehr-                                            setzung für diesen Aufschub ist ein regelmäßiger
heitlich auf anderen politischen Ebenen statt, als                                            Nachweis eines Ärztemangels in Österreich.
dies noch beim Medizinerüberschuss der Fall war.                                              Der wiederholte Beleg eines potenziellen Mangels
Die erste Präsenzspitze im Ärztemangel-Diskurs ist                                            an Ärzten wird somit ab 2007 zur notwendigen Vor-
in den Jahren 2005 und 2006 erkennbar. Wie bereits                                            raussetzung, um längerfristig eine Mediziner-Quote
erläutert, geraten die österreichischen Universitäten                                         auf EU-Ebene rechtfertigen zu können. Damit ein-
aufgrund des EuGH-Urteils in einen „Ausnahmezu-                                               her geht eine Institutionalisierung der Thematik, die
stand“. Neue, vermeintlich gemeinschaftsrechts-                                               für alle weiteren Bundesregierungen – bis heute –
konforme Zugangsregelungen kommen ins Ge-                                                     aufrecht ist. In den Jahren 2008 und 2010 flacht die
spräch. First come – first serve, Numerus clausus,                                            Thematik quantitativ etwas ab, um ab 2011 förmlich
Studieneingangsphasen, Herkunftsprinzip und wei-                                              zu „explodieren“. In dieser Phase findet die regio-
tere Konzepte werden parlamentarisch und medial                                               nale Verortung der Berichterstattung mehrheitlich in
intensiv debattiert und führen im Jahr 2006 zur Ein-                                          Westösterreich, sprich Oberösterreich, Salzburg, Ti-
führung einer Quotenregelung an Medizin-Univer-                                               rol und Vorarlberg, statt, was in weiterer Folge als
sitäten. Bildungs- und Wissenschaftsministerin Eli-                                           Indikator für die 2010er Jahre zu verstehen ist. Die

                                                                                                          5/2015      S O Z I A L E           S I C H E R H E I T          219
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NEUE WEGE              ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE

                                                                Übersicht „Ärztemangel“ inkl. Akteure

                              Salzburger Volkszeitung etwa meint am 19.4.2008:       Pühringer eine von SP-Gesundheitslandesrätin Sil-
                              „Immer mehr heimische Ärzte wandern nach               via Stöger beauftragte Studie, die einen drohenden
                              Deutschland ab. Im Vorjahr gingen rund 350 öster-      Fachärztemangel in Oberösterreich belegt. „Wenn
                              reichische Mediziner ins Nachbarland, heuer sollen     nicht umgehend wirksame Gegenmaßnahmen ge-
                              es noch mehr werden. Und der Bedarf in dem an          troffen werden, wird sich die medizinische Versor-
                              Ärztemangel leidenden Nachbarstaat ist längst nicht    gung der Bevölkerung spätestens in 10 bis 15 Jah-
  Medizin-Universität Linz:

                              gedeckt.“ Der Verweis auf Deutschland scheint be-      ren deutlich verschlechtern“, so Stöger (Kronen
 Absage oder Umsetzung?

                              rechtigt und wichtig, da eine zeitliche Verschiebung   Zeitung, 9.1.2009). Die Warnung geht mit der For-
                              bereits bei der Thematik Ärzteschwemme zu attes-       derung nach einer eigenen Ausbildungsstätte in
                              tieren war. Im überregionalen Medium medianet ist      Oberösterreich einher und untermauert deren Dring-
                              dazu bereits am 11.4.2008 zu lesen gewesen: „Vor       lichkeit. Unmittelbar nach Präsentation dieser Stu-
                              allem in ländlichen Regionen und den neuen Bun-        die erteilt Wissenschaftsminister Hahn einer Medi-
                              desländern herrsche enormer Bedarf. Derzeit gebe       zin-Universität in Linz eine vorläufige Absage und
                              es rund 16.800 ausländische Ärzte in Deutschland,      sorgt damit für Empörung bei Ärztekammer und
                              […] die meisten davon kommen aus Russland,             Landespolitik. Für Silvia Stöger ist Hahns Absage
                              Griechenland und Österreich. Gesucht werden so-        „inakzeptabel und kurzsichtig“, auch „Grüne
                              wohl Assistenzärzte zur Facharztausbildung als         (‚Hahns Argumente sind unlogisch‘), FPÖ (‚eine
                              auch Oberärzte und leitende Ärzte.“ Die Verlage-       richtige Ohrfeige‘) und BZÖ (‚zentralistische Ab-
                              rung der Berichterstattung nach Westen wird auch       gehobenheit‘) sparen nicht mit Kritik. Der gemein-
                              durch die vermehrte Kommunikation von Peter Nie-       same Tenor: Wenn nicht umgehend die Weichen für
                              dermoser, dem Präsidenten der oberösterreichischen     eine Medizin-Uni in Linz gestellt würden, drohe in
                              Ärztekammer, deutlich, der im September 2008           den kommenden vier bis fünf Jahren ein akuter
                              konstatiert: „Es droht in zehn bis zwölf Jahren ein    Ärztemangel“ (Österreich, 24.1.2009).
                              Ärztemangel in Oberösterreich“ (OÖ Nachrichten,        Die quantitative Medienpräsenz zum Thema Ärzte-
                              24.9.2008). Niedermoser sieht in diesem Zusam-         mangel verläuft zu Ende der 2000er Jahre auf kon-
                              menhang die Attraktivierung der Arbeitsplätze für      stantem, überschaubarem Niveau: Unter anderem
                              Jungärzte bzw. die Erhöhung des Studienangebots        wiederholt sich die stetige Forderung nach einer
                              für angehende Mediziner als Voraussetzung, um die      Medizin-Hochschule in Linz, es werden weitere
                              Gesundheitsversorgung im Land Oberösterreich zu        Gründe für die Abwanderung (wie z. B. Wegfall der
                              sichern. Als Lösungsansatz knüpft Niedermoser an       Hausapotheken, Landflucht) thematisiert sowie die
                              den bereits 2002 formulierten Gedanken von LH          seit 2007 aufrechte Quotenregelung debattiert. Die
                              Josef Pühringer an, der eine eigene Medizin-Uni-       bis dato erhobenen Präsenzen stehen vor dem Jahr
                              versität in Linz vorsieht. „Es gibt nur positive Ar-   2011 in keiner Relation zu den Entwicklungen der
                              gumente für eine Medizin-Uni in Oberösterreich“,       Folgejahre. Das Thema Ärztemangel wird ab 2011
                              so Peter Niedermoser (OÖ Rundschau, 21.12.2008).       in einem davor nicht erkennbaren Ausmaß virulent:
                              Zu Beginn des Jahres 2009 präsentiert LH Josef         In Zahlen ausgedrückt ergeben sich zwischen An-

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ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE                                   NEUE WEGE

fang 2011 und Ende 2014 mehr als zwei Drittel der      verbandes der Sozialversicherungsträger, Hans Jörg
Gesamtberichterstattung der vergangenen 20 Jahre       Schelling, betreibt die Ärztekammer bezüglich
zum Thema Ärztemangel.                                 der Gesundheitsreform „Fundamentalopposition“
                                                       (Vorarlberger Nachrichten, 19.6.2012). Als Antwort
                                                       auf die Kritik der Ärztekammer legt Schelling der
                                                       Ärzteschaft einen 10-Punkte-Katalog mit Forderun-
2.2 2011 bis 2014: Regionalisierung und

Die letzten vier analysierten Jahre in der medialen    gen vor – zentraler Punkt dabei: die Ärztekammer
     Emotionalisierung der Thematik

Debatte rund um das Thema Ärztemangel konzen-          solle Jungärzte bei ihrer Niederlassung im ländli-
trieren sich im Wesentlichen auf zwei zentrale Poli-   chen Raum unterstützen. „Angesichts des von der
tikfelder: Bildungspolitik und Gesundheitspolitik.     Ärztekammer herbeigeredeten Ärztemangels [sei
Medial beinhaltet die bildungspolitische Debatte       gerade dieser Punkt] ein besonderes Anliegen“, so
hauptsächlich die Themen Quotenregelung und Me-        Schelling. Dazu weiter: Von einem Mangel könne
dizin-Universität Linz, wobei hervorzuheben ist,       überdies „keine Rede sein“ (Wiener Zeitung,
dass die Uni-Thematik der stärkste Präsenztreiber      23.11.2012). Mit den ersten Maßnahmen der Ende
im gesamten Untersuchungszeitraum ist. Die ge-         2012 beschlossenen Gesundheitsreform bricht die
                                                                                                                Ärztemangel: Beitrags-

sundheitspolitische Dimension des Diskurses um-        direkte mediale Konfrontation ab. In den Folgejah-
                                                                                                                menge explodiert.

fasst einerseits die österreichische Gesundheitsre-    ren bleibt das Thema Gesundheitsreform zwar Teil
form und andererseits, quantitativ weit dominanter,    des Diskurses, wird aber nahezu ausschließlich in
drohende Versorgungsengpässe im Gesundheits-           Zusammenhang mit den attestierten Versorgungs-
system.                                                engpässen thematisiert.
Im Jahr 2011 setzen sich Wissenschaftsministerin       Die mehrheitlich in Westösterreich geführte Debat-
Beatrix Karl und Bundeskanzler Werner Faymann          te zum Thema Versorgungsengpässe beginnt bereits
auf EU-Ebene für eine Verlängerung der Quotenre-       2011 virulenter zu werden. So wird z. B. in Vorarl-
gelung bzw. für ein weiteres Aussetzen des Ver-        berg die Abwanderung heimischer Mediziner als
tragsverletzungsverfahrens gegen Österreich ein.       Folge einer klaffenden Gehaltsschere zwischen
Die Argumentation der Bundesregierung baut dar-        österreichischen und Schweizer bzw. süddeutschen
auf auf, dass „man erst 2015 ausreichend Zahlen-       Ärzten dargestellt. „In Süddeutschland liegt das mo-
material zur Verfügung habe, um einen drohenden        natliche Einkommen eines Spitalsarztes um ein
Medizinermangel nachweisen [zu können]“ (Wie-          Drittel über dem seiner Vorarlberger Kollegen. Die
ner Zeitung, 8.10.2011). Karlheinz Töchterle, Karls    Schweizer Krankenhäuser greifen noch tiefer in die
Nachfolger im Wissenschaftsministerium, kann           Taschen und zahlen um das Doppelte mehr“ (Vor-
rund ein Jahr später bekannt geben, dass das Ver-      arlberger Nachrichten, 2.3.2012).
tragsverletzungsverfahren gegen Österreich für wei-    In Tirol ist die Diskussion um den Landärztemangel
tere vier Jahre ausgesetzt und die Quotenregelung      präsent: In den Tiroler Bezirksblättern vom
im Medizinstudium bis 2016 verlängert wird. Da-        21.3.2012 spricht der Präsident der Ärztekammer
von lässt sich ableiten, dass im Jahr 2016 entweder    für Tirol, Artur Wechselberger, über die Notwen-
ein weiteres Aussetzen des Vertragsverletzungsver-     digkeit von Hausapotheken für das Überleben von
fahrens eintritt oder alternative Maßnahmen in der     Tiroler Landärzten – nicht nur in entlegenen Tälern,
Regelung des Hochschulzugangs getroffen werden         sondern auch in Tourismusgebieten und im Raum
müssen.                                                Innsbruck komme es bereits zu Engpässen.
Mit der im Jahr 2012 vereinbarten Gesundheitsre-       In Oberösterreich werden 2011 v. a. in Innviertler
form eröffnet sich eine präsenzstarke gesundheits-     Spitälern fehlende Turnusarztstellen beklagt: „Frü-
politische Dimension der Ärztemangel-Debatte. Die      her gab es acht bis zehn Ärzte, die sich um eine Stel-
Österreichische Ärztekammer sieht in der Umset-        le beworben haben, heute sind es einer oder maxi-
zung der Gesundheitsreform eine Gefährdung der         mal zwei“ (OÖ Nachrichten, 9.12.2011). Besonders
medizinischen Versorgung. Laut Ärztekammer stellt      im ländlichen Raum wird die Qualität der ärztlichen
die geplante Gesundheitsreform nichts weiter als       Versorgung öffentlich in Frage gestellt. 2012 sollen
ein massives Sparpaket dar, es drohen Zentralisie-     erstmals bereits 30 Turnusärzte an oberösterreichi-
rung, Verstaatlichung und rein ökonomische Leis-       schen Spitälern fehlen. Peter Niedermoser attestiert
tungskürzungen – eine Verschärfung des Ärzte-          dazu im Standard vom 13.2.2013: „In Oberöster-
mangels mit einhergehenden Versorgungsengpässen        reich mangelt es derzeit vor allem an Turnusärzten.
sei die logische Konsequenz. Mit einem Protest-        Dadurch werden uns im Jahr 2020 zwischen 180
konvent der Österreichischen Ärztekammer gegen         und 200 Fachärzte fehlen.“ Als Hauptgründe des
die geplante Gesundheitsreform beginnt ein media-      ärztlichen Nachwuchsproblems werden hauptsäch-
ler Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und            lich folgende Punkte angeführt: Durch die Arbeit-
Hauptverband. Laut dem Vorsitzenden des Haupt-         nehmerfreizügigkeit eröffnet sich die Möglichkeit

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NEUE WEGE                                 ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE

                                                    der Abwanderung ins europäische Ausland, unat-        rie“ und „Panikmache“ rund um den Begriff Ärzte-
                                                    traktive Arbeitsbedingungen in Österreich (z. B.      mangel: „Wir haben kein Mengenproblem, sondern
                                                    Turnusärzteausbildung, Ärztegehälter, Arbeitszei-     ein Strukturproblem“ (Kronen Zeitung, 17.4.2014).
                                                    ten) forcieren die Abwanderung noch zusehends         Der Vorstandsvorsitzende des Hauptverbandes, Pe-
                                                    und eine Überalterung der bestehenden Ärzteschaft     ter McDonald, stellt dazu in einem Presse-Interview
                                                    sowie limitierte Studienplätze an österreichischen    vom 23.10.2014 klar, dass „Österreich [...] eine der
                                                    Hochschulen beschränken den Nachwuchs. „Ärzte-        höchsten Ärztedichten weltweit [hat]“.
                                                    kammer-Chef Peter Niedermoser wundert sich nicht      Hinsichtlich der jahrelang attestierten Bedrohung
                                                    über den zunehmenden Ärztemangel und sieht vor        der Versorgungssicherheit befindet sich der Diskurs
                                                    allem ‚schlechte Arbeitsbedingungen‘ von Ärzten       nun erstmals auf einer für die breite Leserschaft
                                                    und Turnusärzten als Hauptursache des Problems.       erkennbaren, emotionalisierenden Ebene. Im Ver-
                                                    Lange Dienstzeiten, der Stressfaktor Bürokratie und   gleich zur Ärzteschwemme-Debatte, welche sich
                                                    schlechte Ausbildung würden viele abschrecken“        auf eine relativ kleine Gruppe von Betroffenen be-
                                                    (Kronen Zeitung, 9.10.2013).                          schränkt, betrifft das Thema Ärztemangel unver-
                                                    Auch in den weiteren Bundesländern West- und          hältnismäßig viele Adressaten, nämlich alle Patien-
                                                    Südösterreichs regt sich Unmut über den vermeint-     tinnen und Patienten. Als Ausweg aus der von den
        Pühringer: Wir haben

                                                    lichen Ärztemangel: So versucht z. B. die Salzbur-    Ärztekammern sowie Bezirks- und Landespolitik
              ein Recht nicht

                                                    ger Gemeinde Großarl mittels eines „Marsches nach     bescheinigten Bedrohungslage für das Gesundheits-
      übergangen zu werden.

                                                    Wien“ einen Jungmediziner nach Salzburg zu            system erscheint nun seit den frühen 2010er Jahren
                                                    „locken“ (vgl. Kurier, 12.11.2014). Drastisch for-    v. a. in Oberösterreich die Ausbildung von zusätzli-
                                                    muliert dies der Präsident der Kärntner Ärztekam-     chen Ärzten als Ultima Ratio der Debatte: die Me-
                                                    mer, Josef Huber, der die gesundheitliche Versor-     dizin-Universität in Linz.
                                                    gung der Kärntner Bevölkerung bedroht sieht. Er       LH Josef Pühringer und der Präsident der Ärzte-
                                                    spricht von einer „dramatisch schlechten“ Ausbil-     kammer für Oberösterreich, Peter Niedermoser,
                                                    dungssituation, einem Missbrauch der Turnusärzte      engagieren sich hierbei gemeinsam für die Errich-
                                                    als „System-Erhalter“ und „unzumutbaren Perspek-      tung einer vierten öffentlichen Ausbildungsstätte für
                                                    tiven“ für Jungärzte (vgl. Kärntner Tageszeitung,     Medizin und erreichen mit diesem Thema spätes-
                                                    30.3.2013). Hinsichtlich der wiederkehrenden          tens ab 2011 eine breite Öffentlichkeit in Ober-
                                                    Wortwahl der Ärztekammern warnt die OÖ Ge-            österreich. Darüber hinaus macht der oberösterrei-
                                                    bietskrankenkasse im April 2014 vor einer „Hyste-     chische Landeshauptmann auch Druck auf der Bun-
                                                                                                          desebene und appelliert in diesem Zusammenhang
                                                                                                          am 7.2.2011 im Neuen Volksblatt: „Die Medizin-
                                                                                                          Universität ist eines der größten Anliegen der Lan-
                                                                                                          despolitik, [wir] gehen diesen Weg konsequent wei-
                                                                                                          ter.“ Die Initiative der OÖ Nachrichten namens
                                                                                                          „Ärzte für Oberösterreich“ unterstützt die Forde-
                                                                                                          rung nach einer eigenen Medizin-Fakultät – mehr
                                                                                                          als 136.000 Unterschriften werden u.a. an Wissen-
                                                                                                          schaftsminister Karlheinz Töchterle übergeben (vgl.
                                                                                                          OÖ Nachrichten, 6.4.2012). In Folge spricht Peter
                                                                                                          Niedermoser davon, dass „es vom Bund gar unver-
                                                                                                          antwortlich“ wäre, „das in den Startlöchern stehen-
                                                                                                          de Projekt in Linz nicht zu realisieren“ (Neues
                                                                                                          Volksblatt, 21.7.2012).
                                                                                                          Ende 2012 werden mit der Präsentation des soge-
                                                                                                          nannten „Linzer Modells“ die Pläne für eine Medi-
                                                                                                          zinische Fakultät in Oberösterreich konkret. Lan-
                                                                                                          deshauptmann Josef Pühringer, Landeshauptmann-
                                                                                                          Stv. Josef Ackerl (SP), der Linzer Bürgermeister
                                                                                                          Franz Dobusch (SP) und der Rektor der Johannes
                                                                                                          Kepler Universität, Richard Hagelauer, stellen ein
                                                                                                          von Stadt, Land, Universität und Medizinischer Ge-
                     © Daniel Ernst - Fotolia.com

                                                                                                          sellschaft ausgearbeitetes Modell zur medizinischen
                                                                                                          Fakultät vor (vgl. OÖ Nachrichten, 14.12.2012).
                                                                                                          Pühringer erhebt dabei Anspruch auf die Mediziner-
                                                                                                          ausbildung im eigenen Bundesland, um die medizi-

222        S O Z I A L E                            S I C H E R H E I T           5/2015
ÄRZTESCHWEMME- UND ÄRZTEMANGELDEBATTE                                                             NEUE WEGE

nische Versorgung der oberösterreichischen Bevöl-
kerung gewährleisten zu können: „,Daran führt kein
Weg vorbei, wir werden daher im nächsten Jahr den
politischen Druck verstärken.‘ Oberösterreich sei
der bedeutendste Wirtschaftsstandort, man sei in al-
len Bereichen Nettozahler — ‚wir haben daher ein
Recht, von der Republik nicht übergangen zu wer-
den‘“ (Neues Volksblatt, 15.12.2012).
Anfang des Jahres 2013 wird erstmals für eine brei-
te Leserschaft die baldige Umsetzung und Finan-
zierung des Projektes ersichtlich. Wie die Tiroler
Tageszeitung am 24.4.2013 schreibt, sei laut Kanz-
ler Werner Faymann die Medizin-Uni „auf guter
Schiene“. Auch Karlheinz Töchterle spricht von ei-
                                                         © Kzenon - Fotolia.com

ner baldigen Entscheidung, betont aber, dass für ei-
ne finale Entscheidung noch „wesentliche Fragen“
beantwortet werden müssen. Gegenwind erfährt das
Projekt zu dieser Zeit nur noch von Gesundheitsex-                                Mutationen statt. Die zentrale Region stellt dabei
perten wie Ernest Pichlbauer, der die Fakultät für ei-                            das Bundesland Oberösterreich dar: Hier werden al-
nen „PR-Gag“ hält und von einem „reinen Prestige-                                 leine ein Viertel aller Beiträge verbucht. Im Ver-
objekt“ spricht (vgl. Kurier, 26.4.2013). Auch der                                gleich zum Thema Ärzteschwemme nimmt der
gebürtige Linzer Genetiker Markus Hengstschläger                                  überregionale Anteil um elf Prozentpunkte auf ei-
sowie der Rektor der Medizin-Uni Wien Wolfgang                                    nen Anteil von rund 29 % ab. Unter den Top-15-Be-
Schütz bezweifeln, dass mehr Studienplätze auto-                                  richterstattern finden sich alleine zehn rein regional
matisch das Problem des Ärztemangels lösen wür-                                   verortete Tages- und Wochenzeitungen (v. a. OÖ
den. Einer der zentralen Sätze ihres Gastkommen-                                  Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten, Neues
tars in der Presse vom 28.3.2013 lautet: „Ziel muss                               Volksblatt, Tiroler Tageszeitung, OÖ Rundschau).
sein, Abwanderungen, Berufsniederlegungen und
vorzeitige Pensionierungen im Arztberuf zu ver-
meiden. Dazu muss auch Oberösterreich beitragen.                                  Abschließend lassen sich in Anbetracht der vorlie-
                                                                                  3 Fazit

Aber ein vierter medizinischer Uni-Standort wird                                  genden Untersuchung wesentliche Unterschiede der
                                                                                                                                           Reines Prestigeobjekt

zum Erreichen dieses Ziels nichts beitragen.“                                     beiden analysierten medialen Diskurse festmachen.
                                                                                                                                           oder "Erleichterung,

Medial präsenter sind jedoch, mit einem deutlich                                  So sind beide Stränge in klar auszumachende Poli-
                                                                                                                                           Stolz und Freude"?

höheren Anteil, die Befürworter und Initiatoren                                   tikfelder einzuordnen: Während sich die Ärzte-
der neuen Medizin-Universität. Das lange Warten                                   schwemme-Thematik überwiegend mit bildungspo-
auf eine Entscheidung nimmt mit dem 13.8.2013,                                    litischen Aspekten beschäftigt, zeigt sich die Ärzte-
dem finalen Beschluss im Ministerrat, ein Ende.                                   mangel-Debatte ausdifferenzierter und multidimen-
Das Neue Volksblatt titelt dazu am 14.8.2013                                      sionaler. Mit dem Wendepunkt der Jahre 2005/2006
mit „Geburtsurkunde für Linzer Med-Fakultät“                                      kann das Thema Ärzteschwemme medial als abge-
und spricht von „Erleichterung, Stolz und Freude“.                                schlossen bezeichnet werden. Ärztemangel hinge-
Im letzten Jahr des analysierten Untersuchungszeit-                               gen stellt eine in den letzten Jahren kontinuierlich
raums fällt der Startschuss für die ersten 60 Studie-                             wachsende Thematik dar, bei der neben bildungs-
renden der Medizin-Universität Linz. LH Josef Püh-                                und europapolitischen Aspekten auch ganz maß-
ringer bekräftigt im Zuge der Gründungsfeier erneut                               geblich Gesundheitspolitik eine zentrale Rolle in
die Notwendigkeit der neu beschlossenen Universi-                                 der Berichterstattung einnimmt. Die Ärzteschwem-
tät: „Wir setzen mit der Realisierung der Medizin-                                me-Problematik kann darüber hinaus als „Eliten-
Fakultät den ersten wichtigen Schritt gegen den                                   thema“ identifiziert werden, Ärztemangel hingegen
Ärztemangel. Um Oberösterreichs Medizinstuden-                                    betrifft potenziell eine breite Bevölkerungsschicht.
tinnen und -studenten auch nach Abschluss ihres                                   Daraus abgeleitet ergibt sich aufgrund der gefühlten
Studiums im Bundesland halten zu können, müssen                                   Nähe des Themas Ärztemangel ein deutlich höheres
sie daher auch in Oberösterreich studieren können“                                Emotionalisierungspotenzial. Dies belegt auch die
(Neues Volksblatt, 27.9.2014).                                                    starke Regionalisierung der Berichterstattung, wel-
Es kann festgehalten werden, dass der Diskurs zum                                 che eine unmittelbare Betroffenheit vor Ort aufzeigt
Thema Ärztemangel eine überwiegend regionale                                      und im Vergleich zum Thema Ärzteschwemme die
Dimension aufweist. Nahezu 50 % der Berichter-                                    überregionale Medienpräsenz prozentuell und zah-
stattung findet in westösterreichischen Medien bzw.                               lenmäßig bei weitem übersteigt.

                                                                                              5/2015       S O Z I A L E          S I C H E R H E I T              223
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