Schlafverhalten und -auff älligkeiten von Kindern und Jugendlichen einer teilstationären kinder- und jugendpsychiatrischen Inanspruchnahme ...
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Originalarbeit Schlafverhalten und -auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen einer teilstationären kinder- und jugendpsychiatrischen Inanspruchnahmepopulation: Ergebnisse und Anforderungen an eine systematische Diagnostik Saskia Hader, Oliver Kratz, Anna Eichler, Gunther H. Moll und Viktoria Irlbauer-Müller Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Erlangen Zusammenfassung: Schlafstörungen sind im Erwachsenen- wie auch im Kindes- und Jugendalter weit verbreitet. Kinder und Jugendliche in kinder- und jugendpsychiatrischer (KJP) Behandlung sind insbesondere davon betroffen. Die kognitive Verhaltenstherapie ist die Behandlung der ersten Wahl bei Schlafstörungen, der eine standardisierte Schlafdiagnostik vorangehen sollte. Im deutschsprachigen Raum fehlen bislang systematische Untersuchungen zur Schlafdiagnostik im teilstationären (TK) KJP-Setting. Für N = 46 Kinder/Jugendliche in TK-KJP-Behand- lung wurde ein Schlafprotokoll (7 Tage), ein Schlafanamneseschema (Eltern & Kind/Jugendlicher) sowie ein klinisches Urteil zum Schlafverhal- ten (Diagnostiker_in) erhoben. Zudem wurde die Eltern-, Selbst- und klinische Beurteilung der psychischen Störung erfasst. Bei 52 % der Kin- der/Jugendlichen wurden Schlafauffälligkeiten (= Schlafstörungssymptome im Rahmen komorbider Störungen) oder Schlafstörungen festgestellt, insbesondere Einschlafstörungen oder Ein- und Durchschlafstörungen (26 %). Zudem berichteten 33 % Albträume. Das Schlafver- halten korrelierte signifikant mit externalen Auffälligkeiten (r = .38 bis .61, p = 02 bis .04), auch beeinflussten Geschlecht (weiblich: p = .01 bis ≤ .001, |d| = 1.57 bis 2.50) und Alter (Ältere: p = .05, |d| = 0.78) das Schlafverhalten signifikant. Es scheinen insbesondere externale Auffälligkei- ten einen Zusammenhang zu Schlafstörungen in der teilstationären Population aufzuweisen. Für die systematische Diagnostik der im TK-KJP- Setting vielfach vorliegenden Schlafauffälligkeiten, empfiehlt sich zusammenfassend ein Multi-Informant-Multi-Method-Vorgehen mit einer anschließenden individualisierten kognitiven Verhaltenstherapie der Schlafstörungen – gehäuft bei externalen Auffälligkeiten. Schlüsselwörter: Schlafverhalten,Schlafauffälligkeiten,psychisch/verhaltensauffällige Kinder/Jugendliche,KJP,teilstationäre Behandlung/Tagesklinik Sleep behavior and problems in children and adolescents of a psychiatric day clinic sample: results and requirements for systematic diagnostic Abstract: Sleep disorders are common in adults as well as children and adolescents. Children and adolescents in psychiatric treatment (CAP) are especially affected by sleep problems. Cognitive behavioral therapy represents the first-line treatment, preceded by a standardized proce- dure for sleep diagnostics. To date, no study has investigated sleep behavior in CAP day clinics in Germany. In this study, N = 46 children/adoles- cents receiving CAP treatment in a day clinic completed a sleep diary (7 days) and a sleep anamnesis scheme with the help of their parents, and their sleep behavior was assessed by a clinician. Furthermore, a parent- and a self-report questionnaire plus a clinical assessment of the mental disorders in the children/adolescents were collected. 52 % of the children/ adolescents exhibited sleep disorders or sleep abnormalities (= sleep disorder symptoms in the context of comorbid disorders), in particular problems falling asleep or to falling asleep and sleeping through the night (26 %). In addition, 33 % reported having nightmares. Their sleep behavior correlated significantly with their external behavior prob- lems (r = .38 .61, p = .02-.04); their sex (female: p = .01–≤ .001, |d| = 1.57–2.50) and their age (older: p = .05, |d| = .78) also significantly influenced sleep behavior. Particularly external behavior problems were associated with sleep problems in this day-care population. In summary, a multi- method-multi-informant procedure should be established for the systematic diagnostics of sleep abnormalities, together with individualized cognitive-behavioral therapy of sleep problems, especially in patients with external behavior problems. Keywords: Sleep behavior, sleep abnormalities, children/adolescents with symptoms of psychiatric/behavioral disorders, mental health treat- ment, day clinics © 2021 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 Hogrefe OpenMind article under the license https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000815 CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
388 S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher Der menschliche Schlaf zeigt seinen Stellenwert für die Techniken wie Psychoedukation, Schlafhygiene-Regeln, körperliche und psychische Gesundheit des Einzelnen Stimuluskontrolle, Schlafrestriktion, Entspannungstrai- nicht zuletzt durch seine beachtliche Quantifizierung über ning und die Veränderung negativer Gedanken (Sorgen, die Lebensspanne: So verbringt ein Mensch durchschnitt- Grübeln). Dabei sollte entsprechend der Leitlinie bei Er- lich etwa 3000 Stunden pro Jahr und 24 Jahre seines Le- wachsenen mit nichtorganischer chronischer Insomnie als bens damit, zu schlafen (Marx, 2016). erster Baustein eine kognitive Verhaltenstherapie erfolgen Schlafschwierigkeiten sind vielfach erforscht, da ge- (Riemann et al., 2017). Für Kinder und Jugendliche zeigte sundheitliche Konsequenzen für die Betroffenen weitrei- sich ebenso eine kognitive Verhaltenstherapie als wirksam chend sein können und Schlafstörungen damit hohe Kos- (Review siehe Blake, Sheeber, Youssef, Raniti & Allen, ten für das Gesundheitssystem verursachen (Riemann et 2017). Neue Behandlungsansätze, wie transkranielle Mag- al., 2015). netstimulation bei Erwachsenen und mindfulnessbasierte Nach DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Men- Psychotherapie für Kinder und Jugendliche, sind Gegen- tal Disorders) besteht bei Schwierigkeiten beim Einschla- stand aktueller Forschung. fen, Durchschlafen sowie bei morgendlichem Früherwa- Prävalenzschätzungen von Schlafstörungen im Jugend- chen mit tagsüber negativen Folgen wie Müdigkeit, alter schwanken. Laut Ohayon und Roberts (2001) leiden Aufmerksamkeitsdefiziten und Stimmungsschwankungen etwa 30 % der Jugendlichen an einer Schlafstörung. Unge- eine chronische Insomnie. Fricke-Oerkermann (2009) be- fähr 8 bis 11 % der Jugendlichen erfüllen die diagnostischen schreibt Insomniemerkmale bei Kindern aus subjektiver Kriterien für Insomnie (Dohnt, Gradisar & Short, 2012). In Sicht: Sie klagen nur selten über eine schlechte Schlafqua- Erhebungen an gesunden Kindern und Jugendlichen in lität und fühlen sich tagsüber nicht beeinträchtigt. Jugend- Deutschland zeigten 20 % unspezifische Schlafschwierig- liche leiden dagegen häufiger unter der Beeinträchtigung keiten, 13 % Einschlafschwierigkeiten und 9 % Durch- ihrer Alltagsaktivitäten infolge gestörten Schlafs, auch schlafschwierigkeiten (Schlarb, Gulewitsch, Weltzer, El- grübeln sie mehr über ihren Schlaf als jüngere Kinder. lert & Enck, 2015). Im kinder- und jugendpsychiatrischen Ein neurobiologisches Entstehungsmodell der chroni- (KJP) Kontext treten Schlafstörungen in etwa 52 % der Fälle schen Insomnie beschreiben Riemann et al. (2015): In Fa- gleichzeitig mit psychischen Störungen auf (Stuck, Maue- milien- und Zwillingsstudien konnte eine genetische Kom- rer, Schlarb, Schredl & Weeß, 2018). Dabei sind Schlafstö- ponente nachgewiesen werden, die mit einer höheren rungen sowohl mit externalisierenden Störungen wie Auf- Stressanfälligkeit nach belastenden Lebensereignissen ein- merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als hergeht. Die Untersuchung von Parametern des autonomen auch mit internalisierenden Störungen wie Depression as- und zentralen Nervensystems zeigte zudem, dass ein Zu- soziiert (Gregory & Sadeh, 2016). So sind Kinder mit einer stand von Hyperarousal der Pathophysiologie zugrunde ADHS-Symptomatik häufig „schlechte Schläfer“ und eine liegt. Die Autor_innen schlussfolgern eine Dysbalance der obstruktive Schlafapnoe tritt überzufällig auf (Cortese, Fa- Schlaf-Wach-Regulation, die sich aus einer Hyperakti- raone, Konofal & Lecendreux, 2009; Sadeh, Pergamin & vierung der Erregungssysteme und einer Hypoaktivierung Bar-Haim, 2006). Metaanalysen zeigten zudem, dass von der schlafinduzierenden Systeme zusammensetzt. Allge- ADHS betroffene Kinder im Vergleich zu gesunden Kont- mein wird bezüglich der nichtorganischen Insomnie ein rollen eine niedrigere Schlafeffizienz (Anteil der geschlafe- multifaktorielles Entstehungsmodell angenommen (Abbil- nen Zeit ohne Wachzeiten an der gesamten im Bett ver- dung 1): Es bestehen Zusammenhänge zwischen den Fakto- brachten Zeit) sowie mehr Wechsel zwischen den ren Körper, Kognition, Emotion, Verhalten und Umgebung Schlafstadien aufweisen (Cortese et al., 2009). Im interna- sowie den Schlafstörungen, welche im Sinne einer Bidirek- len Störungsspektrum zeigte sich bei Kindern und Jugend- tionalität in beide Richtungen wirken können (Fricke-Oer- lichen, dass mehr depressive Symptomen mit mehr selbst- kermann, Frölich, Lehmkuhl & Wiater, 2007). berichteten Schlafschwierigkeiten einhergingen und dass Eine chronische Insomnie hat diverse gesundheitliche Schlafstörungen ein wichtiger Indikator für die Schwere Konsequenzen und eine geringere Lebensqualität zur Fol- einer Depression (Liu et al., 2007) und das Berichten suizi- ge (Kyle, Morgan & Espie, 2010). Es konnte häufig ein Zu- daler Gedanken (Urrila et al., 2012) waren. Kinder und Ju- sammenhang zu psychischen Störungen nachgewiesen gendliche in allgemeinpsychiatrischer Behandlung sind werden – auch für Kinder und Jugendliche (Gregory & Sa- dementsprechend vermehrt von Schlafschwierigkeiten be- deh, 2016). troffen, wenn man sie mit einer Kontrollgruppe aus der All- Evaluierte Behandlungsbausteine der chronischen In- gemeinbevölkerung vergleicht (Ivarsson & Larsson, 2009). somnie bei Erwachsenen sind nach Riemann et al. (2015) Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Un- medikamentöse (z. B. Benzodiazepin-Agonisten) sowie tersuchung davon ausgegangen, dass eine kinder- und ju- psychotherapeutische (kognitive Verhaltenstherapie) gendpsychiatrische teilstationäre (TK) Behandlungspopu- Maßnahmen. Die Verhaltenstherapie beinhaltet dabei lation von Schlafstörungen betroffen ist. Der in früheren Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 © 2021 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher 389 Abbildung 1. Modell zum bidirektionalen Zusammenhang der ätiologischen bzw. aufrechterhaltenden Faktoren und der Schlafstörungen. Studien aufgezeigte Zusammenhang zwischen Schlaf- und chischen Störungen sowie mit weiteren Merkmalen der Schulschwierigkeiten (Hochadel, Frölich, Wiater, Lehm- Patient_innen sollen beantwortet werden. kuhl & Fricke-Oerkermann, 2014) – die nach klinischer Erfahrung vorwiegend TK-KJP-behandelt werden – sollte die Auftretenswahrscheinlichkeit von Schlafstörungen im TK-Setting weiter erhöhen. Methode Im deutschsprachigen Raum fehlen in (TK-)KJP-Versor- gungseinrichtungen bislang systematische Untersuchun- Seitens der Ethikkommission der Friedrich-Alexander- gen: 1. zur Häufigkeit von Schlafstörungen sowie 2. zur Universität Erlangen-Nürnberg wurden keine Einwände Beschreibung möglicher Diagnosetools, innerhalb derer gegen die Durchführung der Untersuchung erhoben. subjektive (Schlaftagebücher, Fragebögen, Interviews) und objektive Verfahren (Aktigrafen = Bewegungsauf- zeichnungen des Schlaf- und Wachzustandes, Polysomno- Stichprobe grafien = Ableitung elektrophysiologischer Messwerte während des Schlafes im Schlaflabor) unterschieden wer- Die Stichprobe umfasste N = 46 Kinder und Jugendliche den (Tarokha, Saletin & Carskadon, 2016). im Alter zwischen 11 und 18 Jahren (M = 14.69, SD = 2.09) Entsprechende Studien sind allerdings Voraussetzung, mit mindestens einem Erziehungsberechtigten, bei denen um die Qualität der Diagnostik als fundierte Grundlage zwischen November 2015 und Juni 2016 eine TK-Behand- der Behandlung zu sichern. So zielt die vorliegende Ar- lung in der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische beit auf die Implementation und Evaluation einer Gesundheit des Universitätsklinikums Erlangen durchge- schlafspezifischen Diagnostik für TK-KJP-behandelte führt wurde. Darunter waren n = 27 Mädchen (59 %) mit Kinder und Jugendliche. Die Fragen nach der Häufigkeit einem Durchschnittsalter von M = 14.92 Jahren (SD = 2.01), von Schlafstörungen, deren Zusammenhängen mit psy- welches sich von dem der n = 19 Jungen (41 %) mit © 2021 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
390 S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher M = 14.36 Jahren (SD = 2.20) nicht signifikant unterschied Tabelle 1. Psychiatrische Diagnosen in der Stichprobe. (t[44] = –.89, p = .38). Zwischen den Geschlechtern fand Psychiatrische Diagnose nach ICD-10 (N = 46) n % sich eine Gleichverteilung: χ2(1, 46) = 1.39, p = .24. Die psy- chiatrischen (Haupt-)Diagnosen (jeweils zuerst genannte Mittelgradige depressive Episode (F32.1) 14 30 Diagnose auf Achse I des MAS; Remschmidt, Schmidt & Soziale Phobie (F40.1) 1 2 Poustka, 2017) zeigt Tabelle 1. Die zusätzliche psychologische Testdiagnostik mittels Spezifische Phobie (F40.2) 1 2 standardisierter Fragebögen zu den psychischen Auffällig- Umfassende Angststörung (F41.1) 3 7 keiten im Fremd- und Selbsturteil ergab die in Tabelle 2 Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) 1 2 dargestellten Ergebnisse (T-Werte mit M = 50, SD = 10). Anpassungsstörung (F43.2) 10 22 Dissoziative Bewegungsstörungen (F44.4) 1 2 Vorgehen der Datenerhebung Sonstige dissoziative Störungen (F44.8) 1 2 Abbildung 2 verdeutlicht das Vorgehen der Datenerhe- Anorexia nervosa (F50.0) 1 2 bung. Dabei erfolgte die Datenerhebung im Rahmen der Sonstige Essstörungen (F50.8) 1 2 KJP-Standarddiagnostik, entsprechend der geltenden Leitlinien. Asperger-Syndrom (F84.5) 1 2 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung 4 9 (F90.0) Erhobene Daten und Erhebungsinstrumente Emotionale Störung mit Trennungsangst (F93.0) 1 2 Umfassende Angststörung des Kindesalters (F93.80) 4 9 Im Zuge der KJP-Standarddiagnostik wurden deskriptive Merkmale des Kindes bzw. des Jugendlichen und seines Kombinierte vokale und multiple motorische Tics 1 2 Erziehungsberechtigten strukturiert erfasst. Die psychi- (F95.2) schen Auffälligkeiten wurden mittels einer Selbst- und Nichtorganische Enkopresis (F98.1) 1 2 Fremdbeurteilung im Fragebogen erhoben (Deutsche Schulalter-Formen der Child Behavior Checklist von Thomas M. Achenbach: Elternfragebogen über das Verhalten von Kin- Tabelle 2. Psychische Auffälligkeiten laut Selbst- und Elternurteil. dern und Jugendlichen [CBCL/6-18R] und Fragebogen für Ju- gendliche [YSR/11-18R]; Döpfner, Plück & Kinnen, 2014), T-Wert die psychiatrische Hauptdiagnose, vergeben durch die Kli- M SD n niker_innen (s. o.), wurde der Akte entnommen. Das Schlafverhalten und die -auffälligkeiten/-störungen Elternurteil 41 der Kinder und Jugendlichen wurden mit folgenden Ver- Gesamtauffälligkeit 68.02 10.33 fahren erhoben: • Schlaftagebuch/-protokoll über 7 Tage (je abends vor Externale Probleme 59.29 12.67 dem Einschlafen und morgens nach dem Erwachen) be- Internale Probleme 70.17 10.06 züglich der Gesamtschlafdauer in Minuten, der Ein- Selbsturteil 42 schlaflatenz in Minuten, der Häufigkeit nächtlichen Er- wachens, der Dauer des nächtlichen Wachseins in Gesamtauffälligkeit 64.33 10.17 Minuten, der Schlafeffizienz in Prozent, des Schlafinde- Externale Probleme 54.98 9.67 xes (Mittelwert über die fünf vorab genannten Schlaf- Internale Probleme 66.81 12.23 maße nach Durchführung eines Mediansplits innerhalb der jeweiligen Variable), der Einschätzung der Erhol- Anmerkungen: Eltern- und Selbsturteil (CBCL/6-18R und YSR/11-18R; samkeit des Schlafes, der Häufigkeit des Tagesschlafes Döpfner, Plück & Kinnen, 2014); es wurden alters- und geschlechtsorien- tierte Normen angewandt. und der Mediennutzung vor dem Schlafen. Die Kinder und Jugendlichen führten selbst das Schlafprotokoll, ihre Eltern wurden entsprechend angeleitet, ihre Kinder zu unterstützen. Prozent, der Häufigkeit des nächtlichen Erwachens, • Anamneseschema in Anlehnung an Fricke und Lehm- der Parasomnien, der subjektiven Erholsamkeit des kuhl (2006) bezüglich der Einschlaflatenz in Minuten, Schlafes sowie der Häufigkeit des Tagesschlafes mit- der Gesamtschlafzeit in Minuten, der Schlafeffizienz in tels der Vorgabe von Ja-/Nein-Antworten, Ratingska- Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 © 2021 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher 391 Abbildung 2. Ablauf der Datenerhebung (CBCL/6-18R und YSR/11-18R; Döpfner et al., 2014). len, Stundenangaben sowie Mehrfachwahlformaten. terschiede bei Gruppenvergleichen (p ≤ .05) wurde je Erhoben durch erfahrene Diagnostiker_innen (klinisch Cohens d als Effektstärke bestimmt. arbeitende Psycholog_innen/Pädagog_innen/Ärztin- Dem Schlafprotokoll wurden die Mittelwerte der Ge- nen bzw. Ärzten) mit den Kindern/Jugendlichen sowie samtschlafdauer, der Einschlaflatenz, der Häufigkeit deren Eltern. nächtlichen Erwachens sowie der Dauer nächtlichen • Klinische Beurteilung gemäß Diagnostikereinschät- Wachseins entnommen, die Schlafeffizienz wurde aus zung: Eine Schlafauffälligkeit wurde als klinisch bedeut- dem Anteil der geschlafenen Zeit ohne Wachzeiten an der sam eingeordnet, wenn das Kind/der oder die Jugendli- gesamten im Bett verbrachten Zeit berechnet (je höher der che angab, unter der Beeinträchtigung zu leiden, und Wert, desto besser der Schlaf). Für den Schlafindex erfolg- diese wiederholt/regelmäßig auftrat. te zunächst ein Mediansplit für die fünf genannten Schlaf- maße. In der Folge wurde der Schlafindex als Mittelwert aus den fünf Kategorien der Merkmalsausprägungen für Datenauswertung alle fünf Ergebnisgrößen berechnet (Werte 0 bis 1, je hö- her der Wert, desto besser die Schlafqualität). Als Ein- Bei fehlenden Angaben in den Erhebungsinstrumenten schlafstörungen wurden Einschlafzeiten von länger als wurden deren Auswertungsrichtlinien beachtet und die Da- 30 Minuten definiert (Schlarb, 2016). Als Maß für Durch- ten soweit möglich in die statistischen Analysen (SPSS für schlafstörungen wurde der Median der Dauer des nächtli- Windows Version 24) einbezogen. Für das Eltern- und das chen Wachseins verwendet. Selbsturteil wurde die zugehörige elektronische Auswer- Für das Anamneseschema erfolgte eine Berechnung tungssoftware verwendet. Die übergeordneten Skalen „In- der Schlafmaße analog zum Schlafprotokoll (s. o.). Die ternale Probleme“, „Externale Probleme“ und „Gesamtauf- Häufigkeit nächtlichen Wachseins wurde von erfahrenen fälligkeit“ wurden entsprechend der Software als mittlere Diagnostiker_innen abgefragt und unter Berücksichti- Summenwerte berechnet und in alters- und geschlechts- gung der individuellen Dauer (Wachphasen > 10 Minu- spezifische T-Werte transformiert. Bei fehlendem Item im ten) als Durchschlafstörung gewertet, wenn das Ereignis Schlafprotokoll wurde für den entsprechenden Tag der Mit- regelmäßig jede Nacht auftrat. Auch fragte das Anamne- telwert (des Schlafmaßes) aus den verbleibenden sechs Ta- seschema nächtliche Aktivitäten ab (z. B. Toilettengang, gesangaben des Kindes berechnet. Bei fehlendem Item im Nahrungsaufnahme), die den Diagnostiker_innen weite- Anamneseschema wurde die Variable als fehlend kodiert. re Hinweise auf eine Durchschlafstörung geben konnten. In folgenden Fällen wurden die Bögen nicht ausgefüllt und Die Einordung des nächtlichen Erwachsens/Wachseins als fehlend kodiert: in fünf Fällen ein CBCL, in zwei Fällen als Durchschlafstörung unterlag dem klinischen Urteil ein YSR, in 28 Fällen ein Schlafprotokoll, in einem Fall ein der erfahrenen Diagnostikerin bzw. des erfahrenen Diag- Anamneseschema. Die Stichprobengröße variiert folglich nostikers. Eine somatische Erkrankung, die ursächlich und wird jeweils gesondert angegeben. für nächtliches Wachsein hätte sein können, lag bei kei- Die statistischen Verfahren wurden entsprechend der ner Person vor. Testvoraussetzungen gewählt. Für sämtliche Prüfstatisti- Für die Berechnungen der Zusammenhänge zwischen ken wurde eine α-Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 % (zwei- den wie angeführt ausgewerteten Schlafmaßen und Ma- seitige Testung) festgelegt. Für statistisch bedeutsame Un- ßen psychischer Auffälligkeiten wurden Korrelationen © 2021 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
392 S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher nach Pearson (r) berechnet. Für die Berechnungen des Tabelle 3. Häufigkeiten der klinischen Schlafauffälligkeiten. Einflusses von Ätiologiefaktoren auf das Schlafverhalten Klinische Schlafauffälligkeiten (N = 46) n % erfolgte für die zu prüfenden Faktoren entweder eine Gruppierung mittels Mediansplit (Alter, Geschlecht, Über- Einschlafstörungen 7 15 gewicht gemessen am Body-Mass-Index [BMI], Medien- Einschlaf- und Durchschlafstörungen 5 11 nutzung) oder anhand der natürlichen Ausprägungen Einschlafstörungen und gestörter Schlaf-Wach- 4 9 (Geschlecht: männlich/weiblich). Es wurden dann Mittel- Rhythmus wertvergleiche der Gruppen mittels t-Tests für unabhängi- ge Stichproben berechnet. Für die Berechnung von multip- Einschlaf- und Durchschlafstörungen, gestörter 2 4 Schlaf-Wach-Rhythmus und Albträume len Regressionen wurden als Prädiktorvariablen die Variablen der psychischen Auffälligkeiten und Ätiologie- Albträume 1 2 faktoren eingeschlossen, die einen signifikanten Zusam- Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus 1 2 menhang zum oder entsprechend der Effektgröße von d ≥ 0.50 einen bedeutsamen Einfluss auf die Schlafmaße Durchschlafstörungen und Albträume 1 2 (abhängige Variablen) des Schlafprotokolls und Anamne- Einschlaf- und Durchschlafstörungen, gestörter 1 2 seschemas aufwiesen. Im Zuge der Berechnungen von Schlaf-Wach-Rhythmus multiplen Regressionen wurde der Determinationskoeffi- Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Albträume 1 2 zient R2 (Werte 0 bis 1) als Schätzer des Varianzanteils der Keine Schlafauffälligkeiten 23 50 abhängigen Variablen angegeben, der durch die unabhän- gigen Variablen vorhergesagt werden kann. Anmerkungen: Schlafauffälligkeiten laut Arztbrief. Tabelle 4. Deskriptive Ergebnisse und Häufigkeiten der Bewertung Ergebnisse und der Erholsamkeit des Schlafes im Schlafprotokoll und Anamnese- schema. Das Schlafverhalten im TK-KJP-Setting Gesamtbewertung Erholsamkeit Schlaf Schlaf N = 1 (2 %) Jugendlicher litt unter einer Schlafstörung nach ICD-10 (hier: Nichtorganische Störung des Schlaf-Wach- Schlafprotokoll M = 3.57 (SD = 0.82) M = 3.25 (SD = 0.98) Rhythmus), bei n = 45 (98 %) Kindern und Jugendlichen N = 18 Range = 2.14–5.71 Range = 1.57–5.86 lag keine klinische Schlafstörungsdiagnose vor. N = 23 (50 %) Personen litten jedoch seit mindestens mehreren Anamnese- „schlecht“: 5 (11 %) – schema Wochen unter klinisch relevanten Schlafauffälligkeiten. N = 43 „mäßig“: 18 (42 %) Die Prävalenz der Schlafauffälligkeiten bzw. der Kombina- „gut“: 20 (47 %) tion mehrerer Schlafauffälligkeiten ist in Tabelle 3 zu se- hen. Die Bewertungen des Schlafverhaltens sowie die Ein- Anmerkungen: Schlafprotokoll Gesamtbewertung und Erholsamkeit nach schätzung zur Erholsamkeit des Schlafes zeigt Tabelle 4 Schulnoten, „Erholsamkeit Schlaf“ wurde in der Anamnese nicht gefragt. für Schlafprotokoll und Anamneseschema im Vergleich. Weiter erläutert Tabelle 5 die Häufigkeiten der Parasomni- en und nächtlichen außergewöhnlichen Ereignisse, wel- der, die Schwierigkeiten beim Durchschlafen hatten, be- che die Kinder und Jugendlichen angaben. richteten mehr psychische Auffälligkeiten. Es lagen für das Schlafprotokoll bedeutsame Zusammenhänge zwischen mehreren Schlafmaßen und selbst- bzw. fremdberichteten Zusammenhänge Schlafverhalten und externalen psychischen Auffälligkeiten vor: So wurden psychische Auffälligkeiten hohe signifikante Zusammenhänge zwischen der Gesamt- schlafzeit (r = –.52, p = .026) und den externalen Problemen Wie in Tabelle 6 verdeutlicht, lag ein bedeutsamer Zusam- im Elternurteil sowie jeweils zwischen der Einschlaflatenz menhang zwischen der klinischen Beurteilung des Schlaf- (r = .61, p = .016) und dem Schlafindex (r = –.50, p = .043) verhaltens und dem Selbsturteil psychischer Auffälligkeiten mit externalen Problemen im Selbsturteil festgestellt. Die vor: Es zeigte sich ein signifikanter mittlerer Zusammen- Dauer des nächtlichen Wachseins im Anamneseschema hang zwischen Durchschlafstörungen und internalen war analog zur klinischen Beurteilung des Schlafverhaltens (r = .36, p = .02) sowie externalen Problemen (r = .38, signifikant mit selbstberichteten psychischen Auffälligkei- p = .015) und der Gesamtauffälligkeit (r = .42, p > .001). Kin- ten verbunden: Es lagen signifikante mittlere Zusammen- Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 © 2021 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher 393 hänge zu internalen Problemen (r = .38, p = .034), externa- Ätiologiefaktoren des Schlafverhaltens len Problemen (r = .40, p = .026) und der Gesamtauffälligkeit (r = .41, p = .021) im Selbsturteil vor. Insgesamt ähneln die Die Ergebnisse des Einflusses der untersuchten Ätiologie- Ergebnisse zur Schlafeffizienz des Anamneseschemas den faktoren auf das Schlafverhalten sind Tabelle 7 und 8 zu Ergebnissen im Schlafprotokoll mit einem Unterschied: entnehmen. Es zeigte sich ein signifikanter Einfluss der Hier lag ein bedeutsamer mittlerer Zusammenhang zu Faktoren Geschlecht und Alter: Für die Jungen konnte ein fremdberichteten externalen psychischen Auffälligkeiten signifikanter Unterschied für den Schlafindex (t[16] = 3.83, vor (r = –.43, p = .03). p < .001, d = 2.50) und die Schlafeffizienz (t[14] = 2.91, Tabelle 5. Häufigkeiten der Parasomnien und außergewöhnlichen Ereignisse im Schlaf laut Anamneseschema (N = 43). n (%) Gesamtdauer gar nicht einmal/ mehrfach/ täglich Woche Woche Schlafprotokoll 5 (11 %) 3 (7 %) – 9 (20 %) – N = 17 Anamneseschema 27 (59 %) 1 (2 %) 5 (11 %) 7 (15 %) M = 136.59 N = 43 SD = 232.55 Anmerkungen: Gesamtdauer in Minuten. Die Antwortalternative „mehrfach/Woche“ war in der Anamnese nicht vorhanden, die Gesamtdauer wurde im Schlaf- protokoll nicht berechnet. Tabelle 6. Zusammenhänge zwischen Maßen des Schlafverhaltens (klinische Beurteilung, Schlafprotokoll, Anamneseschema) sowie Maßen der psychischen Störung/psychischen Auffälligkeiten (allgemeine psychiatrische Diagnose, Eltern- und Selbsturteil). Klinische Beurteilung Schlafprotokoll Anamneseschema gestörter Schlaf- Wach-Rhythmus Einschlaflatenz Einschlaflatenz Schlafeffizienz Schlafeffizienz Dauer nächtl. Dauer nächtl. Durchschlaf- Schlafindex Albträume Einschlaf- störungen störungen schlafzeit schlafzeit Wachsein Wachsein Gesamt- r r r r r r r r r r r Gesamt- r r Allg. psychiatr. Diagnose –.10 .01 –.17 –.23 –.22* –.16 –.04 .34 .17 –.13 –.08 .19 .18 Elternurteil Internale Probleme –.01 .22 .10 .27 –.43 .18 –.15 .04 .06 .15 .05 –.18 –.19 Externale Probleme .02 .14 –.09 –.02 –.05 .10 –.52* –.14 –.12 .25 .27 –.27 –.43* Gesamt –.06 .16 .07 .12 –.40 .18 –.32 .06 .07 .21 .07 –.18 –.31 Selbsturteil Internale Probleme .33* .36* .12 .07 .23 .09 –.06 –.31 –.42 .13 .38* –.16 –.26 Externale Probleme .22 .38* –.05 –.05 .61* .19 –.24 –.48 –.50* .09 .40* –.16 –.38 Gesamt .30 .42** .13 .12 .40 .20 –.15 –.42 –.51* .15 .41* –.16 –.38 Anmerkungen: r = Pearson-Korrelationskoeffizient; klinische Einschätzung = Diagnostikerurteil im Arztbrief, Allg. psychiatr. Diagnose = Diagnostikerurteil Arztbrief; Selbsturteil = YSR/11-18R (Döpfner et al., 2014); Elternurteil = CBCL/6-18R (Döpfner et al., 2014). N (= Anzahl Personen): für Klinische Beurteilung: Allgemeine psychiatr. Diagnose bei allen Schlafstörungen n = 46; Elternurteil bei allen Schlafstörungen n = 41, Selbsturteil bei allen Schlafstörungen n = 42; für Schlafprotokoll: Allg. psychiatr. Diagnose und Elternurteil bei Einschlaflatenz/Schlafeffizienz n = 16, Dauer nächtl. Wachsein/Gesamtschlafzeit/Schlaf- index n = 18; Selbsturteil bei Einschlaflatenz/Schlafeffizienz n = 15, Dauer nächtl. Wachsein/Gesamtschlafzeit/Schlafindex n = 17; für Anamneseschema: Allg. psychiatr. Diagnose: Einschlaflatenz n = 41, Dauer nächtl. Wachsein n = 34, Gesamtschlafzeit n = 42, Schlafeffizienz n = 30; Elternurteil: Einschlaflatenz n = 36, Dauer nächtl. Wachsein n = 30, Gesamtschlafzeit n = 37, Schlafeffizienz n = 26; Selbsturteil: Einschlaflatenz n = 37, Dauer nächtl. Wachsein n = 31, Gesamtschlafzeit n = 38, Schlafeffizienz n = 27. *p ≤ .05 zweiseitig, **p ≤ .01, zweiseitig. © 2021 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
394 S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher p = .01, d = 1.57) im Schlafprotokoll nachgewiesen werden, verhalten besitzen. Alle Ergebnisse stellt Tabelle 9 dar. Als für die Gruppe der jüngere Teilnehmer war der Unter- bedeutsam in der Vorhersage von Schlafverhalten im schied in der Schlafeffizienz im Anamneseschema signifi- Schlafprotokoll stellte sich insbesondere das Ausmaß ex- kant (t[24] = 2.09, p = .05, d = 0.78). Somit schliefen die ternaler Probleme im Selbst- wie Fremdurteil heraus Gruppe der Jungen sowie der jüngeren Teilnehmer besser. (standardisiertes β = –.41 bis .81). Multiples Vorhersagemodell für das Schlafverhalten Diskussion Im Weiteren wurden multiple Regressionen berechnet, Schlafstörungen im Sinne einer chronischen Insomnie um die Frage zu beantworten, welche der Variablen der sind ein weitverbreitetes Phänomen (Überblick bei Rie- psychischen Auffälligkeiten und allgemeinen Ätiologiefak- mann et al., 2015). Sie haben Auswirkungen auf die psy- toren einen signifikanten Vorhersagewert für das Schlaf- chische und körperliche Gesundheit. Zusammenhänge Tabelle 7. Deskriptive Statistik für die Gesamtgruppe und die Ätiologiefaktoren Geschlecht & Alter mit t-Tests zum Vergleich der gruppierten Ätio- logiefaktoren hinsichtlich der Schlafmaße laut Schlafprotokoll und Anamneseschema. Gesamt- Geschlecht Alter gruppe weiblich männ- t(df) p ältere jüngere t(df) p lich d d M M M M M (SD) (SD) (SD) (SD) (SD) Schlaf- Einschlaflatenz 141.06 158.58 101.46 –1.05 .31 130.27 154.47 .47 (14) .65 protokoll (101.11) (116.17) (42.08) (14) (61.04) (142.15) .24 –.57 Gesamtschlafzeit 467.17 478.09 439.03 –1.19 .25 453.30 484.31 –.90 (16) .38 (63.26) (62.50) (62.15) (16) (49.12) (77.46) –.43 –.63 Schlafindex 0.49 0.33 0.88 3.83** ≤.001 0.37 0.63 1.59 (16) .13 (0.36) (0.29) (0.18) (16) (0.38) (0.29) .75 2.50 Schlafeffizienz 68 62.30 80.30 2.91* .01 65.56 70.97 .75 (14) .32 (14.04) (12.86) (6.88) (14) (15.41) (12.52) .38 1.57 Anamnese- Einschlaflatenz 214.40 224.50 200.18 –.37 (39) .71 261.57 165.00 –1.55 .14 schema (206.24) (205.16) (213.27) –.12 (255.34) (125.57) (29.4) –.48 Gesamtschlafzeit 505.28 500.24 512.54 .55 (40) .59 492.39 518.16 1.16 (40) .25 (71.38) (79.00) (60.43) .17 (81.06) (59.58) .36 Schlafeffizienz 71.00 68.73 73.51 .55 (28) .59 63.11 79.25 2.09* .05 (22.96) (25.70) (18.92) .21 (26.28) (15.15) (24) .78 Anmerkungen: Die Ätiologiefaktoren wurden durch Mediansplit oder anhand natürlicher Dichotomisierung in je zwei Gruppen eingeteilt. M (SD) = Mittelwerte (Standardabweichung), n = Anzahl Personen, t(df) = Mittelwertvergleiche für unabhängige Stichproben, d = Effektstärke nach Cohen. N (= Anzahl Personen): für Gesamtgruppe: Schlafprotokoll: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 16, Gesamtschlafzeit/Schlafindex: n = 18; Anamneseschema: Einschlaflatenz n = 41, Gesamtschlafzeit: n = 42, Schlafeffizienz: n = 30; für #: weiblich: Schlafprotokoll: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 11, Gesamtschlafzeit/Schlafin- dex: n = 13; Anamneseschema: Einschlaflatenz n = 24, Gesamtschlafzeit: n = 25, Schlafeffizienz: n = 18; männlich: Schlafprotokoll: n = 5 für alle Schlafmaße; Anamneseschema: Einschlaflatenz/Gesamtschlafzeit: n = 17, Schlafeffizienz: n = 12; für Alter: ältere: Anamneseschema: Einschlaflatenz n = 24, Gesamt- schlafzeit: n = 25, Schlafeffizienz: n = 18, Anamneseschema: Einschlaflatenz/Gesamtschlafzeit: n = 21, Schlafeffizienz: n = 16, jüngere: Schlafprotokoll: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 7, Gesamtschlafzeit/Schlafindex: n = 8; Anamneseschema: Einschlaflatenz n = 20, Gesamtschlafzeit: n = 21, Schlafeffi- zienz: n = 14. *p ≤ .05 zweiseitig, **p ≤ .01. zweiseitig. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 © 2021 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher 395 Tabelle 8. Deskriptive Statistik für die Gesamtgruppe und die Ätiologiefaktoren Übergewicht & Mediennutzung mit t-Tests zum Vergleich der grup- pierten Ätiologiefaktoren hinsichtlich der Schlafmaße laut Schlafprotokoll und Anamneseschema. Übergewicht/BMI Mediennutzung hoch niedrig t(df) p hoch niedrig t(df) p d d M M M M (SD) (SD) (SD) (SD) Schlaf- Einschlaflatenz 120.28 167.36 .92 (14) .37 172.55 100.10 –1.48 .16 protokoll (64.02) (136.38) .46 (117.00) (62.11) (14) –.75 Gesamtschlafzeit 471.07 462.30 –.28 (16) .78 470.41 463.53 .78 (16) .45 (53.23) (77.51) –.13 (63.13) (67.18) .37 Schlafindex 0.35 0.66 1.92 (16) .07 0.56 0.42 –.78 (16) .45 (0.35) (0.32) .91 (0.41) (0.31) –.37 Schlafeffizienz 64.66 72.13 1.06 (14) .31 66.90 69.24 .32 (14) .75 (14.00) (13.96) .53 (16.54) (11.15) .16 Anamnese- Einschlaflatenz 218.17 212.28 –.09 (38) .93 217.08 192.51 –.21 (13) .84 schema (217.48) (204.38) –.28 (212.22) (239.53) –.11 Gesamtschlafzeit 500.27 509.53 .41 (39) .68 499.54 491.26 –.21 (14) .84 (85.13) (55.55) .13 (42.35) (100.36) –.11 Schlafeffizienz 69.77 71.78 .24 (28) .82 64.05 74.80 .89 (9) .40 (26.38) (18.54) .01 (19.95) (20.16) .51 Anmerkungen: Die Ätiologiefaktoren wurden durch Mediansplit oder anhand natürlicher Dichotomisierung in je zwei Gruppen eingeteilt. M (SD) = Mittelwerte (Standardabweichung), n = Anzahl Personen, t(df) = Mittelwertvergleich für unabhängige Stichproben, d = Effektstärke nach Cohen, N = Anzahl Personen: für Übergewicht/BMI: hoch: Schlafprotokoll: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 9, Gesamtschlafzeit/Schlafindex: n = 10, Anamneseschema: Einschlaflatenz n = 21, Gesamtschlafzeit: n = 22, Schlafeffizienz: n = 17, niedrig: Schlafprotokoll: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 7, Gesamtschlafzeit/Schlafindex: n = 8, Anamneseschema: Einschlaflatenz/Gesamtschlafzeit: n = 19, Schlafeffizienz: n = 13; für Mediennutzung: hoch: Schlafprotokoll: n = 9 für alle Schlafmaße, Anamneseschema: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 8, Gesamtschlafzeit: n = 7, niedrig: Schlafprotokoll: Einschlaflatenz/Schlafeffizienz: n = 7, zwischen Schlafstörungen und psychischen Störungen Prävalenz sind vielfach nachgewiesen (Gregory & Sadeh, 2016). Dennoch wird die Bedeutung von im Kindes- und Ju- Bei 50 % der untersuchten Kinder und Jugendlichen fanden gendalter auftretenden Schlafstörungen (Fricke-Oerker- sich klinisch relevante Schlafauffälligkeiten. Das lässt zwei mann, Plück et al., 2007; Schlarb et al., 2015) häufig Schlussfolgerungen zu: Zum einen fungiert bei der Hälfte unterschätzt, sodass eine adäquate Diagnostik als Be- der Kinder und Jugendlichen gestörter Schlaf als Risikofak- handlungsgrundlage oft ausbleibt und Chronifizierungs- tor und erhöht die Wahrscheinlichkeit psychischer Sympto- tendenzen dieser Störungen nicht entgegengewirkt wird me (Seo, 2009). Zum anderen fungiert bei der anderen (Wyatt, Stepanski & Kirkby, 2006). Innerhalb einer KJP- Hälfte der Kinder und Jugendlichen ein unbeeinträchtigter Population scheint eine teilstationäre Population be- Schlaf als Schutzfaktor und kann Auswirkungen psychi- sonders häufig unter Schlafauffälligkeiten/-störun- scher Symptome abpuffern (You & Lee, 2014). Die Bedeu- gen zu leiden, da auch eine Korrelation zwischen tung des Schlafverhaltens in der Kinder- und Jugendpsychi- Schlafauffälligkeiten/-störungen und schulvermeiden- atrie liegt damit in beiderlei Hinsicht auf der Hand. dem Verhalten besteht (Hochadel et al., 2014), welches Die häufigsten klinischen Schlafauffälligkeiten in der nach Empfehlung von Borchardt, Giesler, Bernstein und vorliegenden Stichprobe waren Ein- und Durchschlaf- Crosby (1994) mindestens teilstationär behandelt wer- störungen. Die Ergebnisse zu bedeutsamen Schlafauf- den sollte. Zudem sollte für eine Behandlung von fälligkeiten aus den beiden Erhebungsinstrumenten – Schlafauffälligkeiten/-störungen eher ein teilstationäres Schlafprotokoll und Anamneseschema – deckten sich und damit naturalistisches Setting angestrebt werden. weitgehend: So lag die mittlere Gesamtschlafzeit unter dem Folglich steht die teilstationäre KJP-Population im Fokus empfohlenen Wert nach Meltzer und Mindell (2006), die dieser Arbeit, es werden Prävalenzen in dieser Populati- mittlere Einschlaflatenz überstieg die bei Schlarb (2016) ge- on sowie Zusammenhänge zwischen Schlafstörungen nannte Grenze von 30 Minuten und die mittlere Schlafeffi- und weiteren psychischen Störungen untersucht. zienz war geringer als die gesunder Personen, die etwa zwi- © 2021 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
396 S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher Tabelle 9. Vorhersage der Schlafmaße anhand ausgewählter Prädiktoren. Schlafmaß Variable/Prädiktor Beta βa T R (R2) 1 Schlafindex Geschlecht –.71 –4.05** .78 (.60) Schlafprotokoll Alter –.30 –1.68 BMI –.01 –.06 2 Schlafindex Geschlecht –.71 –4.01* .86 (.74) Schlafprotokoll Alter –.36 –1.95 BMI .11 .60 Internale Probleme Selbsturteil .18 .80 Externale Probleme Selbsturteil –.41 –2.37* 1 Einschlaflatenz Geschlecht .27 .94 .27 (.07) Schlafprotokoll Mediennutzung .16 .54 2 Einschlaflatenz Geschlecht –.08 –.30 .75 (.56) Schlafprotokoll Mediennutzung –.12 –.49 Externale Probleme Selbsturteil .81 3.31** Allgemeine psychiatrische Diagnose –.52 –1.95 1 Gesamtschlafdauer Geschlecht .28 1.19 .28 (.08) Schlafprotokoll 2 Gesamtschlafdauer Geschlecht .11 .45 .53 (.28) Schlafprotokoll Externale Probleme Elternurteil –.48 –2.06 1 Schlafeffizienz Alter –.51 –1.68 .53 (.28) Anamneseschema Mediennutzung .18 .60 2 Schlafeffizienz Alter –.59 –2.57* .80 (.64) Anamneseschema Mediennutzung .40 1.66 Externale Probleme Elternurteil –.64 –2.64* 1 Dauer nächtliches Erwachen Alter .11 .55 .30 (.09) Anamneseschema Geschlecht .27 1.43 BMI –.01 –.04 2 Dauer nächtliches Erwachen Alter .04 .21 .46 (.21) Anamneseschema Geschlecht .10 .48 BMI –.06 –.32 Internale Probleme Selbsturteil .21 .94 Externale Probleme Selbsturteil .26 1.24 Anmerkungen: a Standardisierter Koeffizient; T = T-Wert, R/R2 = Modellgüte, Modell 1: allgemeine Ätiologiefaktoren als Prädiktoren, Modell 2: allgemeine Ätiologiefaktoren und psychische Störung/Auffälligkeiten im Selbst- und Fremdurteil als Prädiktoren, standardisiertes Beta: Range: (–1 bis +1); *p ≤ .05, **p ≤ .01, zweiseitig. schen 85 und 90 % liegen sollte (Stuck et al., 2018). an. Die Erholsamkeit des Schlafes wurde mehrheitlich als Parasomnien in Form von Albträumen gaben laut dem Ana- „mittelmäßig“ bewertet. Bezüglich des Tagesschlafes ga- mneseschema etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen ben die meisten Personen an, fast täglich tagsüber zu schla- Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 © 2021 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher 397 fen. Es fällt jedoch im Vergleich der Erhebungsinstrumente dementsprechend vom Umfeld möglicherweise als weniger auf, dass Gesamtschlafzeit und Schlafeffizienz im Anamne- schwerwiegend oder bedeutsam eingeschätzt und damit seschema höher sowie die Einschlaflatenz niedriger ange- insgesamt unterschätzt, insbesondere bei älteren Kindern geben wurde als im Schlafprotokoll. Dies kann auf metho- und Jugendlichen, deren Eltern weniger Einblick in das dische Unterschiede zwischen den Instrumenten und Schlafverhalten sowie das emotionale Erleben und Verhal- somit unterschiedliche Beurteilerperspektiven zurückge- ten dieser haben. Da Schlarb (2016) darauf hinweist, dass führt werden (Schlafprotokoll von Kind/Jugendlichem aus- bereits Kinder ab dem Alter von 5 Jahren recht zuverlässig gefüllt vs. Anamneseschema von Kind und Eltern im Ge- Auskunft über ihr Schlafverhalten geben können, erschei- spräch mit der Diagnostikerin oder dem Diagnostiker). nen die Informationen des selbstständig ausgefüllten Dabei stellt sich die Frage, welches Messinstrument zuver- Schlafprotokolls und dessen Zusammenhänge mit dem lässigere Ergebnisse liefert: Eltern könnten im Anamnese- Selbsturteil als sehr relevant. schema die Schlafauffälligkeiten ihrer Kinder unterschät- Wir fassen zusammen, dass in der TK-KJP-Populati- zen, auch könnte das Schlafprotokoll durch einen zeitnahen on – wie bereits für andere psychiatrische Populationen Report der Daten verlässlichere Ergebnisse liefern als das gezeigt – Schlafstörungen häufig auftreten und diese mit Anamneseschema, wie es auch bei Margraf, Taylor, Ehlers, weiteren psychischen Symptomen zusammenhängen. Roth und Agras (1987) sowie De Beurs, Lange und Van Dyck Die deutlichsten Zusammenhänge waren im Bereich ex- (1992) für Angstsymptome beschrieben ist. Da in der vorlie- ternaler Symptome zu finden, was die Wichtigkeit einer genden Arbeit beide Schlafmessinstrumente weitgehend systematischen Schlafdiagnostik bei Kindern und Ju- ähnliche Ergebnisse lieferten, kann aufgrund der genann- gendlichen mit externalen Störungen wie ADHS beson- ten Verzerrungstendenzen in der Anamneseerhebung ein ders unterstreicht. Frühzeitige sowie schlafspezifische von Kindern/Jugendlichen im Alltag selbstständig geführ- Behandlungsinterventionen scheinen aussichtsreich, um tes und damit zugleich für die Therapeutin bzw. den Thera- sowohl bezüglich der Schlafstörung als auch bezüglich peuten zeitlich ökonomischeres Schlafprotokoll als geeig- der psychiatrischen Primärdiagnose eine Wirkung zu er- neter für ein Screening von Schlafauffälligkeiten bewertet zielen. Darauf weist auch eine Studie von Kallestad et al. und einem Anamneseschema vorgezogen werden. (2012) hin, die Erwachsene in psychiatrischer Behand- Zudem konnten statistisch bedeutsame Zusammenhän- lung untersuchte und feststellte, dass ein höheres Maß an ge zwischen externalen psychischen Störungen/externale Schlafstörungen mit höherem Leidensdruck und funktio- Probleme im Selbst- und Elternurteil mit Schlafauffälligkei- neller Beeinträchtigungen sowie einem geringerem Be- ten nachgewiesen werden. Für internale Probleme konnte handlungsoutcome verbunden war, unabhängig von der dagegen nur im Selbsturteil ein Zusammenhang zu Schlaf- psychiatrischen Primärdiagnose. Eine Schlafstörung auffälligkeiten/Schlafverhalten festgestellt werden, nicht kann somit eine psychiatrische Behandlung anderer Stö- aber im Elternurteil. Die Zusammenhänge zwischen dem rungen negativ beeinflussen und sollte daher eine spezi- Schlafverhalten nach klinischer Beurteilung und insbeson- elle schlafspezifische Behandlung (und vorausgehende dere externalen psychischen Auffälligkeiten im Selbst- und Diagnostik) beinhalten. Frühzeitige und individualisierte Elternurteil/externalen Störungen als allgemeine psychiat- Interventionen scheinen für eine erfolgreiche Schlafbe- rische Diagnosen wird durch die Forschungsliteratur ge- handlung bei Kindern und Jugendlichen am aussichts- stützt (Dahl & Lewin, 2002; Sadeh, Tikotzky & Kahn, reichsten (Blake et al., 2017; 2018). 2014). Studien von Aronen, Paavonen, Fjällberg, Soininen und Törrönen (2000) sowie Gregory und O’Connor (2002) stellten zudem heraus, dass Schlafauffälligkeiten (wie eine Ätiologiefaktoren und multiples geringe Gesamtschlafzeit) mit externalen Problemen ver- Vorhersagemodell bunden sind und dass externale Probleme auch Schlafprob- leme vorhersagen konnten. Jedoch sollte auch bedacht Von den untersuchten Ätiologiefaktoren beeinflussten die werden, dass Kinder sowie Eltern „sichtbare“ externale Faktoren Geschlecht und Alter das Schlafverhalten der Kin- Probleme generell häufiger wahrnehmen als internale Pro- der und Jugendlichen bedeutsam, nicht jedoch die Faktoren bleme, da sich auch ein erhöhter Leidensdruck ergibt. Dies BMI und Mediennutzung. Im Einzelnen zeigten in Hinblick deckt sich damit, dass ein Zusammenhang zwischen inter- auf den Faktor Geschlecht Mädchen geringere Werte von nalen Problemen und dem Schlafverhalten seltener sowie Schlafindex und Schlafeffizienz laut Schlafprotokoll als Jun- nur für das Selbsturteil nachgewiesen werden konnte, je- gen und damit mehr Schlafauffälligkeiten. Der Faktor Alter doch nicht für das Elternurteil, was dazu passt, dass inter- nahm einen Einfluss auf die Schlafeffizienz laut Anamnese- nale Störungen von den Betroffenen oft als höhere Belas- schema, nicht jedoch auf die Schlafmaße laut Schlafproto- tung erlebt werden als vom Umfeld (Angold et al., 1987). koll. Es wiesen ältere Jugendliche eine geringere Schlafeffi- Damit zusammenhängende Schlafauffälligkeiten werden zienz auf als jüngere Kinder. Die geschlechts- und © 2021 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
398 S. Hader et al., Schlaf teilstationär behandelter Kinder und Jugendlicher altersspezifischen Ergebnisse stehen in einer Linie mit Be- lation insbesondere externale Störungen vorausgehen und funden der Forschungsliteratur (z. B. Walsemann, Ailshire, damit als Risikofaktor gesehen werden können, der eine Fisk & Brown, 2017). Das häufiger beeinträchtigte Schlaf- frühzeitige spezifische Schlafbehandlung indiziert. Ein verhalten von Mädchen könnte dabei mit hormonellen Ver- solcher Mechanismus wurde bereits von Lovato und Gra- änderungen in Verbindung stehen, wie sie mit der Menarche disar (2014) sowie von McMakin und Alfano (2015) für in- auftreten (Takeuchi, Oishi & Harada, 2003). Zudem wurde ternale Störungen angenommen (Blake et al., 2017). in der Literatur oft auf einen altersspezifischen Unterschied Die zentrale Rolle der externalen Probleme im Zusam- im Schlafverhalten hingewiesen (Laberge et al., 2001; Seo et menhang mit Schlafstörungen scheint eine Besonderheit al., 2010). Dies wird in Zusammenhang mit einem zeitlich der TK-KJP-Population zu sein. Dahingehend sollte ein Di- nach hinten verschobenen circadianem Rhythmus gebracht, agnostik- und Behandlungskonzept dies berücksichtigen welcher sich im Verlauf der Pubertät ausbildet. und Kinder mit externalen Störungen routinemäßig hin- Es widerspricht jedoch der fehlende Einfluss der Faktoren sichtlich Schlafstörungen anhand eines Schlafprotokolls BMI und Mediennutzung den meisten Befunden: So wei- und der Erhebung eines Anamneseschemas screenen so- sen Owens (2014) sowie Tarokh et al. (2016) auf einen wie ggf. frühzeitig eine schlafspezifische Intervention ein- Zusammenhang von reduzierter Schlafdauer und einem leiten. Eine kognitive Verhaltenstherapie stellt die Be- erhöhten Risiko für Adipositas hin. Dieser Zusammen- handlung der ersten Wahl dar (Riemann et al., 2015). hang konnte im untersuchten Kollektiv nicht beobachtet Aufgrund der externalen Störungen (wie z. B. ADHS) werden. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass könnte es bei dieser speziellen Population jedoch zu mög- die Mehrheit der untersuchten Kinder und Jugendlichen lichen Schwierigkeiten in der schlafspezifischen kogniti- einen BMI im Normalbereich aufwies und lediglich 6 von ven Verhaltenstherapie kommen (z. B. durch geringe Moti- 46 Personen einen grenzwertigen BMI zum Bereich des vation in der Mitarbeit bei Protokollen und Hausaufgaben). Übergewichtes hatten. Damit könnte der statistische Zu- Dem könnte durch zusätzliche Unterstützung der Betrof- sammenhang aufgrund der geringen Anzahl an Personen fenen von Bezugspfleger_in sowie Bezugstherapeut_in in mit Übergewicht in der Stichprobe nicht bedeutsam ge- motivierenden Einzelgesprächen begegnet werden. worden sein. Auch weicht der Befund, dass eine höhere Mediennutzung vor dem Schlafen hier keinen Effekt auf das Schlafverhalten nahm, von anderen Forschungsarbei- Methodische Einschränkungen ten ab (siehe Owens, 2014; Van den Bulck, 2004). Ein möglicher Grund könnte sein, dass aufgrund weiterer Ein- Die vorliegende Arbeit wurde mit einer klinischen Stich- flussvariablen auf die Mediennutzung, wie z. B. gemäß probe und den Ressourcen einer KJP-Versorgungseinrich- Hale und Guan (2015) die Art des genutzten Mediums, tung durchgeführt. Damit ergeben sich für diese Arbeit welche in der vorliegenden explorativen Arbeit nicht erho- alle methodischen Einschränkungen von Feldstudien. ben wurde, der Einfluss einer stärkeren Mediennutzung Auch wurden in die Auswertung Ausreißerwerte einge- auf das Schlafverhalten statistisch unterschätzt wurde. schlossen, da diese das klinische Bild darstellen. Dadurch Weiter wiesen multiple Vorhersagemodelle für das könnten jedoch Ergebnisse verzerrt und statistische Zu- Schlafverhalten auf die Faktoren Geschlecht, Alter sowie ex- sammenhänge unterschätzt worden sein. ternale Probleme im Selbsturteil als bedeutsame Prädikto- Aufgrund des eigenen Zeitmanagements als auch der ren hin: Mädchen sowie Ältere zeigten geringere Werte von zeitlichen Ressourcen in der Institution belief sich die Schlafindex und Schlafeffizienz, welche zudem negativ mit Stichprobengröße auf N = 46. Dies ermöglichte die An- externalen Problemen im Selbsturteil korrelierten. Dies si- wendung parametrischer Verfahren bei gleichzeitiger Er- chert die vorab beschriebenen Ergebnisse zu Prävalenz und fassung einer repräsentativen Stichprobe teilstationär KJP- Ätiologiefaktoren erneut ab und weist auf die zentrale Rolle behandelter Kinder und Jugendlicher. von externalen Problemen in der Varianzaufklärung von Zudem wurde im Auswertungsvorgehen ein klinischer Schlafauffälligkeiten für die untersuchte Stichprobe hin. Als Ansatz (Dichotomisierung entsprechend Cut-off-Werten Grund kann eine validere (Selbst-)Wahrnehmung von exter- oder Störungskategorien) einem statistischen Ansatz (Be- nalen Problemen für Kinder und Jugendliche angeführt wer- trachtung eines kontinuierlichen Merkmals mit allen Aus- den im Vergleich zu internalen Problemen (s. o.). prägungen) vorgezogen, da dies für die klinische Stichpro- Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie kann al- be praktisch relevanter erschien. Weiter wurden die lerdings nicht auf einen kausalen Zusammenhang zwi- Erhebungsinstrumente aus Gründen der Ökonomie und schen Schlafstörungen und externalen psychischen Stö- Verfügbarkeit in der Alltagsroutine der Einrichtung ausge- rungen sowie dessen Richtung geschlossen werden, da es wählt oder adaptiert. Zusätzliche Erhebungsinstrumente sich um korrelative Auswertungen handelt. Dennoch wie objektive Schlafmessinstrumente hätten jedoch weite- scheint es plausibel, dass Schlafstörungen in dieser Popu- re Fragen beantworten können. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2021), 49 (5), 387–400 © 2021 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article under the license CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0)
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