SCHLANK UND SCHLAU - MARKTNAH UND MOBIL - Welche Perspektiven haben multinationale Osteuropazentralen in Österreich? - BCG

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BCG   The Boston Consulting Group

             S CHLANK
                    UND SCHLAU                          –
             MARKTNAH UND MOBIL

Juni         Welche Perspektiven haben multinationale
2003         Osteuropazentralen in Österreich?
Als weltweit führende strategische Unternehmensberatung entwickeln wir mit unseren
K u n d e n i n n o v a t i v e S t r a t e g i e n , d i e i h n e n s p ü r b a r e We t t b e w e r b s v o r t e i l e v e r s c h a f f e n u n d d a s
Unternehmensergebnis nachhaltig verbessern. Unser Beratungsansatz basiert auf maßge-
s c h n e i d e r t e n K o n z e p t e n , d i e w i r i n s i c h t b a r e Ve r ä n d e r u n g u m s e t z e n . 1 9 6 3 i n d e n U S A
gegründet, arbeiten heute mehr als 2.600 Berater weltweit für uns – 590 davon in den sie-
ben deutschen Büros sowie den Büros in Wien und Athen.
M e h r ü b e r u n s e r f a h r e n S i e u n t e r : w w w. b c g . a t

© 2 0 0 3 T h e B o s t o n C o n s u l t i n g G r o u p G m b H. A l l e R e c h t e v o r b e h a l t e n .

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INHALT

VORWORT                                                               3

ZUSAMMENFASSUNG                                                       5

EINLEITUNG – MOTIVATION UND ZIEL DER STUDIE                           9

TEIL 1: DIE ZUKUNFT DER ÖSTERREICHISCHEN OSTEUROPAZENTRALEN           15
     Das Profil einer typischen Osteuropazentrale in Österreich       15

     Die zukünftigen Aufgaben der Osteuropazentralen                  18

     Positionierung des Standortes Österreich                         24

     Ausblick: Die österreichische Osteuropazentrale in fünf Jahren   28

TEIL 2: EMPFEHLUNGEN                                                  33
     Empfehlungen für Unternehmen                                     33

     Empfehlungen für die Politik                                     36

                                                                       1
V         ORWORT

Die bevorstehende EU-Osterweiterung rückt Österreich in den Mittelpunkt des zukünftigen europäischen
Wirtschaftsraumes. Einerseits besteht dadurch für Österreich die Chance, in noch engeren wirtschaftlichen
Kontakt mit seinen osteuropäischen Nachbarländern zu treten. Andererseits entstehen Herausforderungen,
denen sich sowohl der Standort Österreich als auch in Österreich ansässige Unternehmen aktiv stellen müssen.
Schwerpunkt dabei ist die Frage, ob Österreich seine traditionelle Rolle als Brückenkopf zu Osteuropa verliert
oder ausbauen kann.

Geographisch und historisch bedingt war Österreich ein begünstigter Standort für den Aufbau von
Osteuropazentralen multinationaler Unternehmen. Für die österreichische Volkswirtschaft ist dieser
Wirtschaftszweig mit knapp 10.000 Arbeitsplätzen von erheblicher Bedeutung.

Die Faktoren, die Unternehmen in der Vergangenheit zu einer Ansiedelung in Österreich veranlassten, sind
durch die EU-Erweiterung und die volkswirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa jedoch weitgehend obsolet.
Sowohl der Standort Österreich als auch österreichische Osteuropazentralen müssen sich daher neu definie-
ren. Ziel der vorliegenden Studie ist es, Unternehmen auf die zu erwartenden Herausforderungen vorzube-
reiten.

In der vorliegenden Untersuchung wurden Status quo und geplante Strukturveränderungen mittels einer
Firmenumfrage und Einzelinterviews bei 25 Osteuropazentralen erfasst.

Unser besonderer Dank gilt den Umfrage- und Interviewpartnern, die uns bereitwillig ihr Know-how und ihre
Erfahrungswerte weitergegeben haben. Herzlichen Dank auch dem BCG-Team – Christian Artmann, Gerald
Prinzhorn, Susanne Riedler, Vanessa Sternak-Heider und Ellen Treml –, ohne dessen Einsatz diese Studie nicht
zu Stande gekommen wäre.

Dr. Antonella Mei-Pochtler                              Dr. Rainer Reich
Geschäftsführerin                                       Geschäftsführer
The Boston Consulting Group                             The Boston Consulting Group

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Z         USAMMENFASSUNG

Im Zuge der Globalisierung und der anstehenden            Das Thema dieser Studie ist von erheblicher Brisanz
EU-Osterweiterung erscheint Österreichs besondere         für die österreichische Volkswirtschaft. Schon ein
Funktion als regionale Zentrale für den osteuropäi-       paar Fakten verdeutlichen dies:
schen Wirtschaftsraum akut gefährdet. Einerseits
zwingt der erhöhte Kostendruck im globalen                ■     Rund 300 internationale Unternehmen koor-
Wettbewerb Unternehmen zu größerer Effizienz und                dinieren ihre Osteuropageschäfte von Öster-
Transparenz ihrer Organisationsstrukturen. In der               reich aus, darunter 28 Fortune-500-Firmen.
Folge werden regionale Zwischenstufen in den
Aufbaustrukturen eines Unternehmens vermehrt in           ■     Die Osteuropazentralen multinationaler
Frage gestellt. Andererseits wird auch Österreichs his-         Unternehmen haben am Standort Österreich
torischer Standortvorteil als "Tor zum Osten" im Zuge           bis zu 9.000 Arbeitsplätze und etwa 15 Prozent
der Öffnung und Erweiterung hinfällig. Westliche                der Arbeitsplätze für leitende Angestellte in
Unternehmen können sich nun direkt vor Ort in                   Wien geschaffen.
Osteuropa positionieren, und Städte wie Budapest
und Prag machen ihre historischen Standortnachteile
gegenüber Österreich Schritt für Schritt wett.            90 Prozent der in Österreich ansässigen Osteuropa-
                                                          zentralen konzentrieren sich in ihrer Arbeit auf die
                                                          benachbarten Länder Tschechien, Ungarn, Slowe-
Trotz dieser Entwicklungen herrscht in Österreich         nien, Slowakei und Kroatien. Knapp ein Drittel der
großer Optimismus hinsichtlich der Rolle Wiens als        Zentralen stammt aus Deutschland und der Schweiz,
einer regionalen Zentrale für den osteuropäischen         rund 50 Prozent aus Übersee. Knapp 90 Prozent die-
Markt. Einzelne Ansiedlungen scheinen diesen              ser Zentralen sind aus bestehenden österreichischen
Optimismus auch zu rechtfertigen.                         Landesorganisationen hervorgegangen.

Wie ist es also wirklich um die Chancen Wiens und         Wie werden sich die in Österreich ansässigen
Österreichs als Standort für regionale Osteuropa-         Osteuropazentralen zukünftig entwickeln? Unsere
zentralen bestellt? Nicht zuletzt weil diese Frage auch   Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:
insgesamt für den Standort Österreich von außer-
ordentlicher Bedeutung ist, hat sich The Boston           ■     Trotz einer relativen Standortverbesserung
Consulting Group entschieden, das Zukunfts-                     Osteuropas gegenüber Österreich und einer zu
potenzial in Österreich ansässiger Osteuropazentra-             erwartenden weiteren Straffung der Orga-
len noch einmal von Grund auf neu zu analysieren.               nisationsstrukturen multinationaler Unter-
Empirische Basis der Studie sind eine standardisierte           nehmen ist eine breite Abwanderungs-
Firmenumfrage bei 25 Unternehmen sowie                          bewegung der Osteuropazentralen aus Öster-
Einzelinterviews bei neun führenden Osteuropa-                  reich kurzfristig relativ unwahrscheinlich.
zentralen.                                                      Abwanderungs- und Expansionspläne halten
                                                                sich derzeit in etwa die Waage.

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■    Allerdings wird es zu einer erheblichen           arbeitende Osteuropazentrale hat die Chance, als sol-
     Verschlankung der bestehenden Zentralen           che erhalten zu bleiben. Schwerpunkt muss dabei die
     kommen. Folgende Faktoren sind dafür ver-         Optimierung aller Zentralen-Funktionen sein, mit
     antwortlich:                                      dem Ziel, sowohl die Kosteneffizienz als auch die stra-
                                                       tegische Wettbewerbsposition der Zentrale zu ver-
      – Nach Abschluss der Aufbauphase ihrer Ost-      bessern. Die bestehenden in Österreich ansässigen
        europageschäfte werden internationale          Osteuropazentralen sollten außerdem eine gemeinsa-
        Unternehmen ihre Kapazitäten in der fol-       me Lobbyingoffensive in Erwägung ziehen, um ihre
        genden Konsolidierungsphase wieder             Interessen und Anliegen gemeinsam noch stärker ver-
        abbauen.                                       treten zu können.

      – Skalierbare Funktionen werden auf der
        überregionalen Ebene gebündelt, um die         Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet wer-
        Kosteneffizienz zu steigern.                   den, dass die noch existierenden Standortvorteile
                                                       Österreichs aufrechterhalten und gestärkt werden.
      – Alle Funktionen, die größtmögliche Markt-      Besonderes Augenmerk sollte dabei auf den Ausbau
        nähe voraussetzen, werden direkt vor Ort in    der Infrastruktur (vor allem im Hinblick auf das
        den Landesorganisationen durchgeführt          Verkehrsnetz – Flug, Bahn und Straße) und der "kul-
        werden.                                        turellen Nähe" zu Osteuropa ("Ost"-Know-how – ins-
                                                       besondere Sprachenkenntnisse) gelegt werden.
      – Weiterhin regional auszuführende Funktio-      Weiters sollten die steuerlichen Rahmenbedingungen
        nen werden an die dafür optimalen              wie beispielsweise die Expatriate- und Holding-
        Standorte verlagert.                           besteuerung optimiert werden. Im neuen Standort-
                                                       wettbewerb der "virtuellen Zentralen" wird es darüber
      – Durch die Standortoptimierung der Zen-         hinaus noch stärker als bisher darauf ankommen,
        tralen-Funktionen wird es verstärkt zu einer   nicht nur insgesamt als Standort attraktiv zu sein, son-
        "Virtualisierung" der Osteuropazentralen       dern auch für einzelne Funktionen als Kompetenz-
        kommen: Verschiedene regionale Funktio-        zentrum akzeptiert zu werden. Dabei besteht im
        nen werden nicht mehr an einem, sondern        Bereich der know-how-intensiven Zentralen-
        an verschiedenen Standorten ausgeführt.        Funktionen (z. B. regionale Forschung und Ent-
                                                       wicklung, Finanzfunktionen) die sicherste Aussicht,
                                                       den Lohnkostenvorteilen anderer Standorte eigene
Was folgt aus diesen Ergebnissen für Unternehmen       Vorteile entgegenzusetzen. So besitzt auf Grund der
und Politik?                                           erwähnten zunehmenden "Virtualisierung" der regio-
                                                       nalen Osteuropazentralen der Standort Österreich
                                                       die Chance, in Fällen, in denen keine Osteuropa-
Im Zuge der genannten Entwicklungen müssen alle        zentrale in Österreich existiert, zumindest einzelne
Unternehmen ihre bestehende Osteuropasteuerung         Zentralen-Funktionen nach Österreich zu bringen.
von Grund auf neu überprüfen. Nur eine effizient

6
E                     INLEITUNG – MOTIVATION UND ZIEL DER STUDIE

Auf Grund seiner Geschichte und geographischen                                                                         Standort für eine Osteuropazentrale. Bei durch-
Lage sieht sich Österreich gern als Brückenkopf zu                                                                     schnittlich 25 Mitarbeitern pro Zentrale resultieren
Osteuropa. Österreich gilt als "ideales Sprungbrett"                                                                   daraus direkt bis zu 7.500 Arbeitsplätze für den
für die wirtschaftlichen Aktivitäten multinationaler                                                                   Standort Österreich. Die meisten dieser Arbeitsplätze
Unternehmen in Osteuropa.                                                                                              sind Managementpositionen mit überdurchschnittli-
                                                                                                                       chem Einkommen. So schaffen Osteuropazentralen
                                                                                                                       rund fünf Prozent der Arbeitsplätze für leitende
Und tatsächlich: Eine solche Brückenkopffunktion                                                                       Angestellte in Österreich und umgerechnet sogar 15
existiert, und sie ist für die österreichische Volks-                                                                  Prozent am Standort Wien. Zusätzlich entstehen
wirtschaft von nicht zu vernachlässigender Bedeu-                                                                      Sekundäreffekte durch die Auslagerung von Dienst-
tung. 28 Fortune-500-Unternehmen betreiben – wie                                                                       leistungen und Beratungsfunktionen. Die für unsere
bereits erwähnt – ihre Osteuropageschäfte von Öster-                                                                   Studie durchgeführte Umfrage zeigt: Die in Öster-
reich aus. Darunter befinden sich weltweit führende                                                                    reich ansässigen Osteuropazentralen beschäftigen
Firmen wie Coca-Cola, McDonald's, Eli Lilly, Hewlett-                                                                  durchschnittlich rund fünf externe Vollzeitkräfte
Packard, IBM, Siemens und BASF. Insgesamt nutzen                                                                       (VZK): typischerweise eine VZK für Rechtsberatung,
rund 300 multinationale Unternehmen Österreich als                                                                     zwei VZK für IT-Dienstleistungen und zwei VZK aus

OSTEUROPAZENTRALEN SCHAFFEN BIS ZU 9.000 ARBEITSPLÄTZE IN ÖSTERREICH

            Abschätzung Arbeitsplatzschaffung durch Osteuropazentralen                                                                                Anteil an leitenden Angestellten
                                                                                                                                                   (Bruttobezüge > € 70.000 pro Jahr)
                                                                                                                                                                                       (4)

                                                                                                                                                                 Österreich insgesamt
            Ca. 25 Mitarbeiter pro
                                                                       Ca. fünf externe
          Zentrale, davon ca. zwei                                                           (2)                                                                                                Sonstige
                                      (1)                        Vollzeitkräfte pro Zentrale
         Drittel leitende Angestellte                                                                                                                                                           mindestens
                                                                                                                          Manager                                                               95 %
                                                                                                                          Osteuropa-
                                                                                                                          zentralen bis
                                        200 – 300 Zentralen(3)
                                                                                                                          zu 5 %                                      Standort Wien
                                                                                                                                                                                          (5)

                                   Bis zu 9.000 Beschäftigte,                                                                                                                                   Sonstige
                                   davon bis zu 1.500 extern                                                              Manager                                                               mindestens
                                                                                                                          Osteuropa-                                                            85 %
                                      Bis zu 5.000 leitend
                                      Bis zu 4.000 nichtleitend                                                           zentralen bis
                                                                                                                          zu 15 %
(1) Konservative Schätzung BCG auf Basis einer Firmenumfrage sowie Experteninterviews
(2) Annahme basiert auf Firmenumfrage: Durchschnittlich 1 VZK Rechtsberatung, 2 VZK IT-Unterstützung und 2 VZK Agenturen (Werbung, Kreativ ...); Annahme: hauptsächlich nichtleitende Stellen
(3) Beste Schätzung BCG, 78 Zentralen individuell identifiziert, Presserecherche
(4) Basiert auf der Lohnsteuerstatistik für 2001 des Österreichischen Finanzministeriums
(5) Annahme: Die Mehrheit der Osteuropazentralen befindet sich in Wien und Umgebung; basiert auf Firmenumfrage
Quellen: BCG-Analyse; Firmeninterviews

                                                                                                                                                                                                             9
Agenturen im Werbe- und Kreativbereich. Damit sind                                                  Berücksichtigt man die Einkommen der in Ost-
Osteuropazentralen in Österreich noch einmal                                                        europazentralen Beschäftigten, so generieren die in
zusätzlich für rund 1.500 Arbeitsplätze (fünf externe                                               Österreich ansässigen Osteuropazentralen ein
VZK × 300 Zentralen) verantwortlich. Inklusive dieser                                               Gesamt-Lohneinkommen von bis zu 700 Millionen
Sekundäreffekte schaffen Osteuropazentralen also bis                                                Euro.
zu 9.000 Arbeitsplätze für den Standort Österreich.

OSTEUROPAZENTRALEN GENERIEREN EIN LOHNEINKOMMEN VON BIS ZU 700 MILLIONEN EURO

                                                          Gehaltsverteilung

                            Leitende Angestellte (Bruttobezüge > € 70.000 pro Jahr)
                                   68 %

                                                                                                              Bis zu 5.000
                                                             23 %                                                                 Bis zu € 500 Mio.
                                                                                                              Arbeitsplätze
                                                                                   5%          4%

                                 70 – 100       100 – 150        150 – 200             > 200
                                         Gehaltsstufen (Bruttogehalt pro Jahr, Tsd. €)

                            Nichtleitende Angestellte (Bruttobezüge € 30.000 – 70.000 pro Jahr)

                                                55 %

                                                                            25 %                              Bis zu 4.000
                                                                                        20 %                                      Bis zu € 200 Mio.
                                                                                                              Arbeitsplätze

                                              30 – 40          40 – 50            50 – 70
                                              Gehaltsstufen (Bruttogehalt pro Jahr, Tsd. €)                                    Gesamteinkommen
                                                                                                                                bis zu € 700 Mio.
 Quelle: Lohnsteuerstatistik 2001 des Österreichischen Finanzministeriums

Osteuropazentralen stellen also einen bedeutenden                                                   erzielen. Funktionen, die Marktnähe benötigen, wer-
Faktor für die österreichische Volkswirtschaft dar.                                                 den in die jeweiligen Landesorganisationen transfe-
Angesichts der stark wachsenden Märkte in                                                           riert. Regionale Zwischenstufen und "Middle-
Osteuropa scheint es fast, als könnte Österreichs                                                   Management"-Ebenen in den Aufbaustrukturen wer-
Rolle als Brückenkopf zu den neuen EU-Beitritts-                                                    den vermehrt in Frage gestellt.
kandidaten ebenfalls weiter wachsen. Doch eine der-
artig euphorische Sichtweise verkennt die Heraus-
forderungen, vor denen die in Österreich ansässigen                                                 Zweitens ist Österreichs historischer Standortvorteil
Osteuropazentralen stehen. Drei Entwicklungen sind                                                  als "Tor zum Osten" im Zuge der Ostöffnung und EU-
zu nennen:                                                                                          Osterweiterung in vielerlei Hinsicht hinfällig gewor-
                                                                                                    den. Seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs"
                                                                                                    1989/1990 sind westliche Unternehmen nicht mehr
Erstens zwingt der globale Wettbewerb multinationa-                                                 auf Österreich angewiesen, um einen Zugang zu den
le Unternehmen zu größerer Effizienz und Trans-                                                     osteuropäischen Märkten herzustellen. Ganz im
parenz in ihren Organisationsstrukturen. Einzelne                                                   Gegenteil: sie können nun direkt vor Ort in Ost-
Funktionen der Osteuropazentralen werden dabei so                                                   europa aktiv werden.
weit wie möglich zentralisiert, um Kostenvorteile zu

10
HISTORISCHE STANDORTATTRAKTIVITÄT ÖSTERREICHS BERUHTE AUF DER ROLLE ALS "TOR ZUM OSTEN" …

                                                  Kalter Krieg 1945 – 1990                                  Ostöffnung ab 1989                       EU-Osterweiterung ab 2004

          Betrachtungs-                Politisch getriebene                                       Politisch-ökonomisch getriebene            Ökonomisch getriebene
          weise                        Betrachtungsweise                                          Betrachtungsweise                          Betrachtungsweise
          Österreichs                    Österreich als politisches                                 Österreich als politisches "Tor zum        Österreich im ökonomischen Wett-
                                         "Tor zum Osten"                                            Osten" und als                             bewerb mit Ländern Zentral- und
                                         Marshallplan-Förderung                                     Ökonomische Plattform für die              Osteuropas
                                         maßgeblich an Investitionen                                Erschließung der neuen Märkte
                                         beteiligt

         Treiber für
                                                                                                                                                             Vorteil im
         Osteuropa-                          Politische Förderung
                                                                                                                                                             Standortwettbewerb
         zentralen in                        Persönliche Präferenz
         Österreich                          Geschichte

                                                                  … jedoch Trend zu einer rein ökonomischen Standortlogik erkennbar

Wien befindet sich damit in einem direkten Stand-                                                              Dienstleistungen wettmachen und so im Vergleich zu
ortwettbewerb mit dynamischen osteuropäischen                                                                  Wien immer weiter an Attraktivität gewinnen. Von
Metropolen wie Budapest und Prag. Diese werden im                                                              den noch 1996 in einer vom Österreichischen Institut
Zuge der EU-Osterweiterung Schritt für Schritt ihre                                                            für Wirtschaftsforschung durchgeführten Umfrage
einstigen Standortnachteile bei Bildungsniveau,                                                                genannten Standortvorteilen gegenüber osteuropäi-
Informationsbeschaffung, Transportinfrastruktur und                                                            schen Städten sind schon heute nahezu alle obsolet.

ÖSTERREICHS ROLLE ALS BRÜCKENKOPF ZU OSTEUROPA ERSCHEINT GEFÄHRDET

                                                    Ökonomische Vorteile
                 Traditionelle
                                                 Vor EU-         Nach EU-                                                            Kommentar
               Standortkriterien
                                              Osterweiterung Osterweiterung

                                                                                                     Nach Ostöffnung und EU-Osterweiterung nicht mehr relevant; Unternehmen
                  Zugang zum
                                                                                                     können sich direkt in Osteuropa positionieren
                   Ostmarkt

                 Informations-                                                                       Verliert nach EU-Osterweiterung an Bedeutung
                  beschaffung

                                                                                                     Besseres Management-Know-how in Osteuropa durch kontinuierlichen
                Bildungsniveau                                                                       Know-how-Transfer relativiert traditionelle Vorteile

                   Transport-                                                                        Infrastrukturanbindung alternativer EU-Standorte stark verbessert
                  infrastruktur                                                                      Infrastruktur innerhalb Osteuropas verbessert

                    Lokale                                                                           Ausbau der notwendigen lokalen Dienstleistungen in Osteuropa
               Dienstleistungen

Quellen: Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung 1996; BCG-Analyse; Firmeninterviews                                                             Hoch             Gering

                                                                                                                                                                                      11
Drittens können sich bestehende Osteuropazentralen                           listische Einschätzung von Österreichs Potenzial als
nach Abschluss der Aufbauphase ihrer Ostbear-                                zukünftiger Brückenkopf zu Osteuropa zu erstellen.
beitung (Aufbau von Landesorganisationen und                                 Eine Prognose der zukünftigen Entwicklung österrei-
Vertriebsnetzen etc.) verschlanken. Ausschließlich für                       chischer Osteuropazentralen dient dabei als Grund-
den Aufbau notwendige Kapazitäten werden in der                              lage, um Unternehmen und Politik konkrete Anre-
nun folgenden Konsolidierungsphase reduziert,                                gungen und Empfehlungen für Standort- und
marktnah auszuführende Funktionen an die in                                  Zentralen-Strategie zu geben. Die Studie ist daher in
Osteuropa direkt tätigen Landesorganisationen trans-                         zwei Teile gegliedert:
feriert. Der notwendige Leistungsumfang der beste-
henden regionalen Osteuropazentralen sinkt also.                             ■       Teil 1: Die Zukunft der österreichischen Ost-
                                                                                     europazentralen. Worin bestehen zukünftig die
                                                                                     Aufgaben für Osteuropazentralen? Worin liegt
Die volkswirtschaftliche Tragweite dieser Ent-                                       dabei die Chance für den Standort Österreich?
wicklungen darf nicht unterschätzt werden. Multi-                                    Wie wird sich eine typische Osteuropazentrale
nationale Unternehmen wurden für diese Studie zwar                                   in der Zukunft bezüglich ihres Wirkungs-
in besonderer Weise empirisch berücksichtigt, da sie                                 kreises, ihres Branchenfokus und der Funktio-
den Standort Österreich besonders nüchtern beurtei-                                  nen, die sie ausübt, entwickeln?
len. Doch auch heimische Unternehmen werden ihre
Zentralen-Strategie für Osteuropa im Hinblick auf                            ■       Teil 2: Empfehlungen. Wie können sowohl
Standortveränderungen und Geschäftsverlagerungen                                     internationale als auch österreichische Unter-
kritisch hinterfragen müssen. Damit wird die volks-                                  nehmen die Strategie für ihre Osteuropa-
wirtschaftliche Bedeutung verstärkt.                                                 zentralen optimieren? Wie kann Österreich die
                                                                                     sich ergebenden Chancen nutzen?

Mit Hinblick auf die erhebliche Brisanz und
Tragweite des Themas hat sich The Boston Con-                                Der Studie liegen eine Firmenumfrage bei 25 Unter-
sulting Group entschieden, die Rolle Österreichs als                         nehmen sowie Einzelinterviews bei neun führenden
Brückenkopf noch einmal von Grund auf neu zu ana-                            Osteuropazentralen zu Grunde.2
lysieren. Ziel der vorliegenden Studie ist es, eine rea-

2    Da ein Großteil der befragten Unternehmen eine Osteuropazentrale in Österreich unterhält, kann angenommen werden, dass die Antworten generell
     etwas positiver gegenüber dem Standort Österreich ausfallen.

12
T          EIL 1: DIE ZUKUNFT DER ÖSTERREICHISCHEN
                      OSTEUROPAZENTRALEN

Das Profil einer typischen Osteuropazentrale in Österreich   Slowakei, Ungarn, Slowenien und Kroatien. Öster-
                                                             reich investiert in diese Länder nicht nur durch-
In unserer Studie wurden ausschließlich operative            schnittlich eine Milliarde Euro pro Land, sondern
Osteuropazentralen multinationaler Unternehmen               hält auch einen hohen Anteil an den gesamten aus-
berücksichtigt. Eingeschlossen wurden dabei alle             ländischen Investitionen (10 – 50 Prozent). In
Zentralen, die mehr als ein osteuropäisches Land             Nordosteuropa (Polen und ehemalige UdSSR) sind
betreuen – wobei auch einige Zentralen, welche nicht         die österreichischen Investitionen dagegen sehr viel
mehr in Österreich sind, miteinbezogen wurden. Die           geringer, sowohl absolut (durchschnittlich unter
Erfüllung einer strikten juristischen Definition von         einer halben Milliarde Euro pro Land) als auch rela-
Osteuropazentralen war keine Bedingung für die               tiv (0 – 5 Prozent der gesamten ausländischen
Aufnahme in unsere Studie.                                   Investitionen). Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass
                                                             Österreichs Ostinfrastruktur und Know-how vor allem
                                                             auf die Nachbarregion konzentriert sind. Daher ist es
Die Osteuropazentralen österreichischer Unter-               wahrscheinlich, dass multinationale Unternehmen
nehmen wurden in unseren Umfragen nicht berück-              Österreich auch weiterhin besonders im Hinblick auf
sichtigt, da sie auf Grund des Zusammenfallens der           Österreichs Nachbarregion bevorzugen werden. Stark
regionalen und der globalen Zentrale nur über ein-           wachsende österreichische Direktinvestitionen in
geschränkte Gestaltungsmöglichkeiten verfügen.               Südosteuropa (75 – 300 Prozent Wachstum pro Jahr
Trotzdem sind die Ergebnisse unserer Analyse auch            je nach Land) deuten jedoch auf eine mittelfristige
für österreichische Unternehmen relevant.                    Ausweitung des Wirkungskreises österreichischer
                                                             Osteuropazentralen hin. Insbesondere Bulgarien,
                                                             Rumänien, Bosnien-Herzegowina und Serbien-
Klare Schwerpunkte bei Herkunft und                          Montenegro werden zukünftig eine größere Rolle für
Wirkungskreis                                                die österreichischen Osteuropazentralen spielen.
Unter den in unserer Studie berücksichtigten                 Schon heute geben 59 Prozent der befragten
Osteuropazentralen sind sowohl hinsichtlich Her-             Unternehmen Südosteuropa als Wirkungskreis ihrer
kunft als auch Wirkungskreis eindeutige Schwer-              Osteuropazentralen an. Die durchgeführten Firmen-
punkte erkennbar. Fast ein Drittel der österreichi-          interviews zeigen jedoch, dass die tatsächliche
schen Osteuropazentralen stammen aus Deutschland             Präsenz der Unternehmen in Südosteuropa mit klei-
und der Schweiz, knapp die Hälfte aus Übersee.               nen Vertriebsbüros und Repräsentanzen zumeist
Relativ wenige Zentralen kommen aus den nicht                noch erheblich schwächer ausgebildet ist als in Öster-
deutschsprachigen Regionen Europas.                          reichs direkter Nachbarregion, wo häufig schon
                                                             Landesorganisationen als "Legal Entities" bestehen.

Bei 90 Prozent aller Osteuropazentralen in Öster-
reich konzentriert sich die Tätigkeit auf die unmittel-
bare Nachbarregion, bestehend aus Tschechien,

                                                                                                                   15
Vo r a u s exe mpl ar für di e Pr es s e

"NACHBARREGION" ALS WIRKUNGSKREIS DER HEUTIGEN OSTEUROPAZENTRALEN IM FOKUS

                                                                                                                                            "Nordosteuropa"
                                                                                                                                              Polen
                                                                                                                                              Russland
                                                                                                                                              Weißrussland
                                                                                                                                              Ukraine
                                                                                                                                              Estland
                                                                                                                                              Lettland
                                                                                                                                              Litauen
                 Übersee                              Deutschland/                                                 Nordosteuropa
                                                      Schweiz                                                                               "Nachbarregion"
                  46 %                                                                                                   33 %                 Tschechien
                                                                   29 %                                                                       Ungarn
                                                                                                                                              Slowakei
                                                                                                   88 %                                       Kroatien
                                                                                                  Nachbar-                                    Slowenien
                                    Sonstiges                                                      region
                                              25 %                                                                                          "Südosteuropa"
                                    Europa
                                                                                                     59 % Südosteuropa                         Bosnien
                                                                                                                                               Serbien
                                                                                                                                               Mazedonien
                                                                                                                                               Albanien
 Quellen: (a) Herkunftsland: BCG-Research, Hochrechnung auf Basis von 28 identifizierten Fortune-500-Zentralen                                 Bulgarien
          (b) Wirkungskreis: BCG-Firmenumfrage, Mehrfachnennung erlaubt; Aussage deckt sich mit einer Studie des Österreichischen              Rumänien
          Instituts für Wirtschaftsforschung (1996)

HOHE DIREKTINVESTITIONEN BESTÄTIGEN STARKE AFFINITÄT ÖSTERREICHS ZUR "NACHBARREGION"
       Wachstum österreichischer Direktinvestitionen in den Jahren 1999 – 2001 (%)

         300 Serbien                                                                                                                 (x.)    Ranking Österreichs,
                                    Bosnien (8.)                                                                                             wo angegeben

                                           Rumänien (6.)                                                                                     € 1.000 Mio.
                                                                                                             Kroatien (1.)
                                                                                                                                             Investitionsbestand
         100
                 Russland (13.)
                                             Bulgarien (5.)
                    Polen (10.)                                               Slowakei (3.)

                             Ukraine (10.)                                                                                                   "Nordosteuropa"
           50
                                                              Tschechien (3.)                                                                "Nachbarrregion"
                                                                                                                Slowenien (1.)               "Südosteuropa"

                   Lettland
             0     Weißrussland
                                                    Ungarn (3.)
                   (7.)

                   Estland
          -50
                                              10                            20                         30                       50
                                                                       Österreichischer Anteil an den Gesamtinvestitionen 2001 (%)

                    Österreichische Affinität zur "Nachbarregion" führt zu Fokussierung von Infrastruktur und Know-how auf diese Länder
                    Ausweitung des Infrastrukturangebots auf Südosteuropa auf Grund wachsender Investitionsbestände wahrscheinlich
                    Nordosteuropa auch weiterhin selten im Fokus österreichischer Zentralen

 Quelle: Österreichische Wirtschaftskammer (2003)

16
Marktbetreuung und -koordination im                                                                    Die Zielregion österreichischer Osteuropazentralen –
Wertschöpfungsfokus                                                                                    insbesondere die Länder Slowenien, Tschechien und
Regionale Osteuropazentralen stellen eine Mischung                                                     Ungarn – wird dank ihrer bereits relativ hohen Kauf-
aus zentraler und lokaler Wertschöpfung dar. Alle                                                      kraft (durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen pro
Funktionen, von Finanzierung/Investitionen über                                                        Jahr von rund $15.000) als Absatzmarkt immer attrak-
Marketing und Produktion bis zu Vertrieb und                                                           tiver. Marktbetreuung und -koordination stehen
Logistik, können regional gebündelt werden. Die tat-                                                   daher im Wertschöpfungsfokus der Zentralen.
sächlichen Funktionen einer regionalen Zentrale
sind aber stark von Zielmarkt und Unternehmens-
strategie abhängig.

"NACHBARREGION" BEREITS EIN ABSATZMARKT MIT HOHER KAUFKRAFT

               BIP pro Kopf 2002 (Index: Österreich = 100)
                70
                                                                                                                             Slowenien

                60                                                                                              Tschechien
                                                                                                                                              $ 150 Mrd. BIP 2002
                50                                                                                         Ungarn
                                                                                 Slowakei
                                                                                                                                              Strategischer Fokus:
                40                                                                                          Estland
                                                                                                                              Polen           Absatzmarkt
                                                                      Russland               Litauen
                                                                                                           Lettland                           Strategischer Fokus:
                30                                                                                                                            Beschaffungsmarkt
                                                                                    Rumänien                                    Kroatien
                20                            Ukraine                                                                                         Entwicklungspfad

                10

                  0
                                         10                    20                    30                 40              50              60
                                                                                             Lohnstückkosten 2002 (Index: Österreich = 100)
 Quellen: CIA Factbook 2002; Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche 2002

Die Ergebnisse unserer Firmenumfrage bestätigen                                                        ■         Supportfunktionen: IT-Dienstleistungen, Back-
diese Hypothese. Folgende Funktionen stehen im                                                                   office
Mittelpunkt der Arbeit österreichischer Osteuropa-
zentralen:
                                                                                                       Die Funktionen Produktion oder operatives Manage-
■          Managementfunktionen: Human Resources,                                                      ment bilden damit typischerweise keinen Schwer-
           Budgetierung/Controlling, Investitionsent-                                                  punkt für die Arbeit der Osteuropazentralen in Öster-
           scheidungen                                                                                 reich.

■          Marktbetreuungsfunktionen: Strategisches
           Marketing, Vertriebskoordination, Werbung/
           Vertrieb/Logistik

                                                                                                                                                                     17
MARKTBETREUUNG UND -KOORDINATION IM FOKUS ÖSTERREICHISCHER OSTEUROPAZENTRALEN

                                                                                                                         Wertschöpfungsfokus

                                                                                           Entwicklung/       Strate-
                                Über-                                        Finanzierung/                                                     Werbung
                                                                                            Produktions-      gisches         Produktion                         Vertrieb        Logistik
                              regionale                                        Investition                                                     und PR
                                                                                             vorgaben        Marketing
                               Zentrale

                                                                                             Die wichtigsten Funktionen der österreichischen Osteuropazentralen
                                                                                                                 (1)
                                                                            Anteil Einstufung als "wichtig" (%)
                                                                                    72                                          72                                                67
                                                                                                                                               55               50
                                                                                                 44             39
                        Regionale Zentrale

                                                                             Strategisches    Vertriebs-     Werbung,          Human       Budgetierung,   Investitions-       IT-Dienst-
                                                                               Marketing     koordination    Vertrieb,        Resources     Controlling    entscheidung         leistung
                                                                                                             Logistik
                                                                                      Marktbetreuungsfunktion                        Managementfunktion                     Supportfunktion

                                                                                           Entwicklung/       Strate-
                     Landesorganisationen                                    Finanzierung/ Produktions-                                        Werbung
                                                                                                              gisches         Produktion                         Vertrieb        Logistik
                                                                               Investition  vorgaben                                           und PR
                                                                                                             Marketing
 (1) Einstufung von mindestens 7 auf einer Skala von 0 bis 10
 Quelle: Firmenumfrage der Boston Consulting Group bei 25 Unternehmen, Mai bis Juni 2003
                                                                                                                                                      Fokus                     Kein Fokus

                                                                                                            regionale Zentrale die kulturelle und sprachliche
Die zukünftigen Aufgaben der Osteuropazentralen                                                             Verflechtung mit dem Zielmarkt und fördert so ver-
                                                                                                            tiefte Geschäftsbeziehungen und Networking-Akti-
Eine regionale Steuerung bietet nachhaltige                                                                 vitäten, die speziell im Hinblick auf eine Wachstums-
strategische Vorteile                                                                                       strategie nutzbringend sein können. Ein weiterer
Multinationale Unternehmen können über eine                                                                 Vorteil einer regionalen gegenüber einer überregio-
regionale Steuerung je nach Produkt- und Markt-                                                             nalen Steuerung besteht durch den aktiven Know-
strategie nachhaltige Vorteile im Vergleich zu einer                                                        how-Transfer von der regionalen Zentrale zu den
überregionalen oder lokalen Steuerung erzielen. Dies                                                        Landesorganisationen. Dies ist für Investitionen in
gilt vor allem in der Phase des Aufbaus neuer Märkte,                                                       die osteuropäischen "Transition-Economies" von
in der die Landesorganisationen noch keine kritische                                                        erheblicher Bedeutung. Nach wie vor besteht, insbe-
Größe erreicht haben.                                                                                       sondere in der Aufbauphase osteuropäischer
                                                                                                            Landesorganisationen, ein hoher Bedarf für einen
                                                                                                            Transfer von westlicher Unternehmenskultur und
Gegenüber einer überregionalen Steuerung bietet                                                             Managementexpertise.
eine regionale Zentrale bedeutend mehr Marktnähe.
Im Vergleich beispielsweise zu einer in London täti-
gen Osteuropazentrale ist die Marktkenntnis einer                                                           Auch im Vergleich zu einer lokalen Steuerung – z. B.
regionalen Osteuropazentrale etwa in Wien wesent-                                                           Landesorganisation Tschechien mit eigener Zentrale
lich höher. Die Entscheidungen des Managements                                                              in Prag, welche direkt an eine Produktdivision berich-
orientieren sich enger an der Realität des lokalen                                                          tet – bietet eine regionale Zentrale zahlreiche strate-
Marktes ("enge Führung"). Zusätzlich begünstigt eine                                                        gische Vorteile sowohl im Hinblick auf Kostenopti-

18
mierungen als auch für einen verbesserten Know-                                                           Die Ergebnisse unserer Firmenumfrage unterstützen
how-Transfer. So können unterschiedliche Funktio-                                                         diese Einschätzung der strategischen Vorteile regio-
nen, die auf der lokalen Ebene (noch) keine kritische                                                     naler Zentralen.
Größe erreichen, regional gebündelt werden
("Regional Shared Services"). Regionale Synergie-
und Skaleneffekte einzelner Funktionen können
dadurch optimal genutzt werden, was zu einer Quali-
tätsverbesserung und Kostensenkung führt.

NACHHALTIGE VORTEILE IN DER GESCHÄFTSLOGIK DURCH REGIONALE ZENTRALEN IDENTIFIZIERT

               Die wichtigsten Vorteile gegenüber überregionalen Zentralen                                        Die wichtigsten Vorteile gegenüber Landesorganisationen
                                                                                             (1)                                                                               (1)
                         Vorteile                              Einstufung als "wichtig"                                  Vorteile                   Einstufung als "wichtig"

       Marktnähe
                                                                                                          Kritische Größe
         Region wird mit einem                                                                     83 %                                                                      78 %
                                                                                                              Landesorganisationen noch nicht
         Vertriebsteam bearbeitet
                                                                                                              groß genug für Zentralen-Funktionen
         Standardisierte Marketingstrategie

       Kulturelle/sprachliche                                                                             Synergien
       Verflechtung                                                                                          Qualitätsverbesserung durch
                                                                                         67 %                                                                         56 %
          Ähnlicher Kundenaufbau                                                                             zentrale Nutzung vor allem von
          Gemeinsames Markenverständnis                                                                      administrativen Tätigkeiten

       Know-how-Transfer                                                                                  Hohe Zentralen-Kompetenz
         Regionale Präsenz erleichtert                                                                      Landesorganisationen noch ohne
                                                                                      56 %                                                                     44 %
         Know-how-Transfer an die                                                                           ausreichendes Management-
         Landesorganisationen                                                                               Know-how

       Enge Führung                                                                                       Skaleneffekte
         Kurze Entscheidungswege                                               44 %                          Kostenoptimierung durch Nutzung                 39 %
         Kleine Führungsspanne                                                                               von Skaleneffekten

       Networking                                                                                         Historischer Marktzugang
         Regionale Präsenz erleichtert                                       39 %                            Vor 1989 Zugang zum Ostmarkt nur       15 %
         Networking-Aktivitäten                                                                              über lokale Distributoren möglich

 (1) Einstufung von mindestens 7 auf einer Skala von 0 bis 10
 Quelle: Firmenumfrage der Boston Consulting Group bei 25 Unternehmen, Mai – Juni 2003

Aber: Tendenz zu einer Straffung der                                                                      verantwortlich: der erhöhte Kosten- und Ergebnis-
Organisationsstrukturen                                                                                   druck der letzten Jahre sowie der Trend zu divisiona-
Die grundsätzlichen Vorteile einer regionalen                                                             len Unternehmensstrukturen.
Steuerung sollten nicht darüber hinwegtäuschen,
dass multinationale Unternehmen ihre Organi-
sationsstrukturen vermehrt straffen. Die Existenz geo-                                                    Der erhöhte Kosten- und Ergebnisdruck der letzten
graphischer Zwischenstufen und damit auch regiona-                                                        Jahre rückt Aspekte der Effizienz und Transparenz in
ler Osteuropazentralen wird damit zunehmend in                                                            den Mittelpunkt der Organisationsstrategien interna-
Frage gestellt. Dafür sind vor allem zwei Tendenzen                                                       tionaler Unternehmen. Zwischen dem Wunsch nach

                                                                                                                                                                                     19
größtmöglicher Marktnähe und der Notwendigkeit                   Regionale Steuerung nur bei klaren Vorteilen
der Kosteneffizienz müssen zunehmend pragmati-                   gegenüber überregionaler und lokaler
sche Kompromisse gefunden werden.                                Steuerung
                                                                 Regionale Zentralen können im Grunde alle
                                                                 Wertschöpfungsfunktionen regional bündeln – umge-
Im Zuge dieser Entwicklung kommt es zu einer                     kehrt gibt es aber kaum eine Wertschöpfungs-
immer stärkeren Divisionalisierung der Organisation              funktion, die nicht alternativ lokal oder überregional
multinationaler Unternehmen. Organisationsformen                 ausgeführt werden könnte. Da sowohl die überregio-
mit hauptsächlich geographischem Aufbau weichen                  nale Zentrale als auch die lokalen Landesorgani-
Strukturen, die sich an Funktionen oder Produkten                sationen zumeist unverzichtbar sind, ist bei einer
orientieren. Die Notwendigkeit regionaler Zwischen-              Straffung der Organisationsstrukturen am ehesten
stufen im Aufbau multinationaler Unternehmen ist                 die regionale Zwischenstufe gefährdet.
damit zusätzlich in Frage gestellt.
                                                                 ■     Bei synergie- und skalenlastigen Funktionen
                                                                       besteht die Tendenz zur Abwanderung in die
                                                                       überregionale Zentrale. Einkauf, Dienst-
                                                                       leistungen (z. B. IT) und Finanzfunktionen
                                                                       (z. B. Auditing, Controlling) werden daher ver-
                                                                       mehrt als "Central Shared Services" in einer
     BEISPIEL: ZENTRALISIERUNG EINES GLOBAL FÜHREN-                    überregionalen oder globalen Zentrale gebün-
     DEN ENERGIEUNTERNEHMENS                                           delt.
     In den frühen 90er Jahren war das Unternehmen haupt-
     sächlich regional orientiert und über regionale Zentralen   ■     Bei marktnah auszuführenden Funktionen
     aufgestellt. Zwischen 1996 und 1998 folgte eine über              besteht die Tendenz zur Abwanderung in die
     Komitees strukturierte Matrixorganisation, bis 1999 der           Landesorganisationen. Vertrieb, lokale Wer-
     geographische Aspekt nahezu gänzlich entfiel und einer            bung und Produktadaption, Human-Resource-
     Aufstellung über globale Geschäftsfelder wich. Heute              Management, Rechtsberatung und lokale PR
     unterstehen Landesorganisationen direkt den Geschäfts-            können zunehmend vor Ort durchgeführt wer-
     feldern, regionale Strukturen wurden nachhaltig ver-              den. Dabei gilt der Grundsatz: Je weiter die
     schlankt.                                                         Marktentwicklung pro Land fortgeschritten ist,
                                                                       desto eher ist die kritische Größe für eine
                                                                       lokale Ausführung der Zentralen-Funktionen
                                                                       erreicht.

20
REGIONALE ZENTRALEN GEFÄHRDET, DA NUR WENIGE FUNKTIONEN REGIONAL GEBUNDEN SIND

                                                     Mögliche Abwanderungstendenzen regionaler Funktionen
                                                Abwanderungstendenz in                        Abwanderungstendenz in
                                                 überregionale Zentrale                        Landesorganisationen

                                    Über-
                                  regionale     Einkauf
                                   Zentrale     Gebündelte Dienstleistungen
                                                (z. B. IT)
                                                Finanzfunktionen (Auditing,
                                                Controlling)
                                                                                               Vertriebskoordination
                           Regionale Zentrale                                                  Werbung
                                                                                               Produktadaption
                                                                                               Human Resources
                                                                                               Rechtliche Beratung
                                                                                               Kommunikation
                                                                                               Infrastruktur
                         Landesorganisationen

Quellen: BCG-Analyse; Firmeninterviews

Auf Grund dieser Abwanderungstendenzen werden                    ■            Landesorganisationen noch zu klein für eine
Best-Practice-Unternehmen in Zukunft Funktionen                               Steuerung vor Ort sind;
nur dann regional steuern, wenn dadurch klare
Vorteile sowohl gegenüber einer überregionalen als               ■            Skalen- und Synergieeffekte vorliegen.
auch gegenüber einer lokalen Steuerung ermöglicht
werden. Das heißt konkret: Funktionen werden nur
dann regional ausgeführt, wenn sie gleichzeitig ska-             Marktnähe ist notwendig, wenn kulturelle/sprachli-
lierbar sind und auch Marktnähe voraussetzen.                    che Verflechtung, Know-how-Transfer, enge Führung
Skalierbar sind Funktionen unter anderem dann,                   und Networking in der Bearbeitung des Marktes eine
wenn                                                             signifikante Rolle spielen.

                                                                                                                       21
REGIONALE STEUERUNG IN ZUKUNFT NUR BEI KLAREN VORTEILEN GEGENÜBER ÜBERREGIONALER
UND LOKALER STEUERUNG

                                                Notwendig

                                                                     Lokale Steuerung       Regionale Steuerung

          Vorteile gegenüber
            überregionaler               Marktnähe
              Steuerung
                                                                       Lokale oder
                                                                                                Überregionale
                                                                      überregionale
                                                                                                 Steuerung
                                                                        Steuerung
                                                Nicht notwendig

                                                                  Nicht vorhanden                         Vorhanden
                                                                                    Skalierbarkeit

                                                                                Vorteile gegenüber
                                                                                lokaler Steuerung

Quellen: BCG-Analyse; Firmeninterviews

Die entscheidenden Faktoren: Entwicklungs-                                      für den Funktionsaufbau der regionalen Zentrale.
phase, Branche und Geschäftsmodell                                              Unternehmen, die noch am Anfang ihrer Erobe-
Zentralen-Funktionen werden nur dann regional                                   rungsstrategie stehen, haben lokal noch nicht die kri-
durchgeführt, wenn dies Vorteile sowohl gegenüber                               tische Größe, um Zentralen-Funktionen in östlichen
überregionaler als auch gegenüber lokaler Steuerung                             Landesorganisationen ausführen zu können.
bietet. Drei Faktoren bestimmen, ob diese Voraus-                               Gleichzeitig ist eine überregionale Steuerung für eine
setzung gegeben ist:                                                            enge Betreuung des Osteuropaaufbaus in den meis-
                                                                                ten Fällen – speziell bei Berücksichtigung des not-
■           die Entwicklungsphase der Osteuropabearbei-                         wendigen Know-how-Transfers – zu marktfern. In der
            tung (Aufbau- versus Konsolidierungsphase),                         Aufbauphase des Osteuropageschäfts bietet eine
                                                                                regionale Steuerung daher über alle Funktionsstufen,
■           die Branchenzugehörigkeit,                                          Branchen und Geschäftsmodelle hinweg einschlägige
                                                                                Vorteile sowohl gegenüber lokaler als auch gegen-
■           das Geschäftsmodell.                                                über überregionaler Steuerung.

Die Frage, in welcher Phase des Osteuropageschäfts                              Nach Abschluss der Aufbauphase kommt es dann zu
sich ein Unternehmen befindet, ist mitentscheidend                              einer nach Branchen und Geschäftsmodellen diffe-

22
renzierten Sichtweise regionaler Zentralen. Nur sol-   nach Abschluss des Know-how-Transfers Bedarf für
che Funktionen sind nachhaltig auf regionaler Ebene    größtmögliche Marktnähe besteht, sind:
optimiert, die selbst nach dem Aufbau autonomer
Landesorganisationen                                   ■     F & E: Healthcare, Telekom-Betreiber

■     weiterhin skalierbar sind und                    ■     Einkauf: Konsumgüter (Perishable Goods)

■     trotz Abschluss des Know-how-Transfers immer     ■     Produktion: Konsumgüter (Perishable Goods),
      noch Marktnähe voraussetzen.                           Dienstleister, Zulieferer

                                                       ■     Marketing: Retailorientierte Geschäftsmodelle
Nachhaltig skalierbar sind Funktionen nur dann,
wenn sie einen hohen Fixkostenanteil besitzen. Je
nach Wertschöpfungsstufe trifft dies beispielsweise    Dagegen sind für Branchen der Großindustrie und
auf folgende Branchen zu:                              Wholesale-Geschäftsmodelle Marktnähe und enge
                                                       Führung generell weit weniger zwingend.
■     Forschung und Entwicklung (F & E): Konsum-
      güter, Healthcare, Automotive, High Tech
                                                       Skalierbarkeit und Notwendigkeit von Marktnähe
■     Einkauf: Schwerindustrie, Konsumgüter,           bestehen gleichzeitig beispielsweise bei folgenden
      Healthcare, Telekom (Geräte), Automotive,        Funktionsstufen, Branchen und Geschäftsmodellen:
      Utilities, High Tech
                                                       ■     F & E: Healthcare
■     Produktion: Schwerindustrie, Konsumgüter,
      Healthcare, Automotive, High Tech                ■     Einkauf: Konsumgüter (Perishable Goods)

■     Marketing: Konsumgüter, Healthcare, Telekom      ■     Produktion: Konsumgüter (Perishable Goods),
      (Geräte), Automotive, High Tech                        Zulieferer

                                                       ■     Marketing: Retailorientierte Geschäftsmodelle,
Relativ niedrige Fixkosten hingegen bestehen für die         insbesondere in den Bereichen Konsumgüter,
meisten Funktionen vor allem in der Dienstleistungs-         Healthcare und Automotive
branche. In dieser Branche existiert normalerweise
also kein nachhaltiger Vorteil einer regionalen
Steuerung, außer im Hinblick auf erforderlichen        Es ist zu beachten, dass diese Analyse fallspezifisch
Know-how-Transfer.                                     durchgeführt werden muss. Die obige Branchen- und
                                                       Geschäftsmodelleinteilung ist als beispielhafte
                                                       Illustration zu betrachten.
Die Notwendigkeit von Marktnähe ist je nach
Branchenzugehörigkeit und Geschäftsmodell unter-
schiedlich. Beispiele für Funktionen, bei denen auch

                                                                                                          23
ENTSCHEIDUNG FÜR REGIONALE STEUERUNG IN AUFBAU- UND KONSOLIDIERUNGSPHASE UNTERSCHIEDLICH

                                          Aufbauphase                                    Konsolidierungsphase

             Vorteile gegenüber überregionaler Steuerung?   Vorteile gegenüber überregionaler und lokaler Steuerung?

             Über alle Funktionen gegeben, da Marktnähe     Von Funktion, Branche und Geschäftsmodell abhängig
             beim Aufbau östlicher Landesorganisationen
             essenziell                                     Beispielhafte Darstellung:

                                                                                          Branche                    Geschäftsmodell

             Vorteile gegenüber lokaler Steuerung?               F&E                      Healthcare

             Über alle Funktionen gegeben, da östliche          Einkauf                  Konsumgüter
             Landesorganisationen noch zu klein und
             Steuerung damit skalierbar                                          Konsumgüter (Perishable
                                                               Produktion
                                                                                    Goods), Zulieferer
                                                                                                                Retailorientierte Geschäfts-
                                                               Marketing
                                                                                                                          modelle

                         Regionale Steuerung über alle                            Regionale Steuerung fallspezi-
                          Funktionen hinweg sinnvoll                                     fisch zu prüfen
 Quellen: BCG-Analyse; Firmeninterviews

Fazit                                                                       ■        In der Konsolidierungsphase sollte fallspezi-
■           Multinationale Unternehmen werden die                                    fisch nach Branchenzugehörigkeit und Ge-
            Wertschaffung ihrer regionalen Zentralen im                              schäftsmodell analysiert werden, ob eine regio-
            Zuge einer weiteren Straffung ihrer Organi-                              nale Steuerung der Funktionen sinnvoll ist.
            sationsstrukturen kritisch hinterfragen.

■           Dabei gilt der Grundsatz: Nur Funktionen mit
            klaren Vorteilen sowohl gegenüber überregio-
            naler als auch gegenüber lokaler Steuerung                      Positionierung des Standortes Österreich
            werden zukünftig regional ausgeführt werden.
            Mit anderen Worten: Nur Funktionen, die                         Drei Parameter bei der Standortwahl:
            gleichzeitig skalierbar sind und Marktnähe                      Zielmarkt, Standortbezug und Standortfaktoren
            voraussetzen, werden für multinationale Unter-                  Die erste Frage, die im Mittelpunkt von Teil 1 steht, ist
            nehmen auch weiterhin als regional auszufüh-                    damit beantwortet: Regionale Osteuropazentralen
            rende Funktionen in Frage kommen.                               sind nach wie vor durchaus sinnvoll – allerdings nach-
                                                                            haltig nur für einen engen Korridor von Funktionen,
■           In der Aufbauphase der Bearbeitung osteuro-                     Branchen und Geschäftsmodellen. Dies bedeutet
            päischer Märkte werden verstärkt bestehende                     jedoch nicht automatisch, dass der Standort Öster-
            Organisationsstrukturen genutzt. Eine regiona-                  reich gegen eine Abwanderung oder Verschlankung
            le Steuerung bietet dabei über alle Branchen,                   bestehender Osteuropazentralen abgesichert ist oder
            Geschäftsmodelle und Funktionsstufen hinweg                     sogar neue Zentralen anziehen kann. Schließlich bie-
            strategische Vorteile.                                          ten sich seit der Öffnung der osteuropäischen Märkte
                                                                            und verstärkt im Zuge der EU-Osterweiterung auch

24
Standorte wie Prag und Budapest für regionale            Neben Nähe zum Zielmarkt und bestehender wirt-
Zentralen an. Damit sind wir bei der zweiten zentra-     schaftlicher Verflechtung mit dem Standort der
len Frage unserer Analyse in Teil 1: Wie wird sich der   regionalen Zentrale sind die Standortfaktoren
Standort Österreich in diesem Standortwettbewerb         "Kompetenz" und "Effizienz" für die Entscheidung
behaupten können?                                        der Unternehmen ausschlaggebend. Folgende
                                                         Aspekte spielen bezüglich der Standortkompetenz
                                                         eine besondere Rolle:
Nachdem Österreichs historischer Vorteil als traditio-
neller Brückenkopf nach Osteuropa verloren gegan-        ■     Die Infrastruktur – sowohl hinsichtlich der
gen ist, sind heute drei Auswahlparameter für die              Transportanbindung an die Zielmärkte als
Ansiedlung oder den Ausbau von Osteuropazentralen              auch hinsichtlich der Dienstleistungen (Bera-
entscheidend:                                                  tungsunternehmen, Rechtsanwälte, IT) – ist
                                                               für 61 Prozent der befragten Unternehmen
■     die relative Nähe zum Zielmarkt,                         wichtig.

■     die bestehende wirtschaftliche Verflechtung        ■     Die Innovationsfreundlichkeit (speziell für
      mit dem Standort der regionalen Zentrale,                Unternehmen mit hoher Bedeutung von
                                                               F & E) ist für 44 Prozent der Unternehmen
■     Standortfaktoren, die sich in die Qualität des           wichtig.
      Standortes ("Kompetenz") und die Kosten am
      Standort ("Effizienz") aufteilen lassen.           ■     Standortproduktivität – insbesondere hinsicht-
                                                               lich unterstützender Dienstleistungen – und
                                                               Ausbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter
Die relative Nähe zum Zielmarkt ist sowohl in geogra-          – vor allem im Hinblick auf Kenntnis osteuro-
phischer Hinsicht als auch im Hinblick auf kulturelle          päischer Sprachen und Förderprogramme –
Verflechtung, vertiefte Geschäftsbeziehungen und               nannten 39 Prozent der befragten Unter-
damit besseres Marktverständnis zu sehen. Die ein-             nehmen als wichtig.
deutige geographische Schwerpunktsetzung österrei-
chischer Osteuropazentralen indiziert die Bedeutung      ■     Lebensqualität (Kultur und Freizeit, Schul-
dieses Parameters: 90 Prozent der Unternehmen                  ausbildung) wurde von 39 Prozent der befrag-
geben Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und              ten Unternehmen als wichtiger Aspekt der
Kroatien als Zielregion an, verglichen mit 59 Prozent          Standortkompetenz genannt.
für Südosteuropa und nur 33 Prozent für Nord-
osteuropa.                                               ■     Die politische und sozioökonomische Stabilität
                                                               des Standortes, Förderangebote und bürokrati-
                                                               sche Hemmnisse – etwa im Hinblick auf
Gleichzeitig ist auch eine starke wirtschaftliche und          Arbeitsgenehmigungen für Ausländer – gaben
organisatorische Verflechtung mit dem Standort der             28 Prozent der befragten Unternehmen als
regionalen Zentrale von großer Bedeutung. 90 Pro-              wichtigen Aspekt der Standortkompetenz an.
zent der befragten Unternehmen hatten vor Aufbau
der Osteuropazentrale bereits eine österreichische
Landesorganisation. Bei 50 Prozent der befragten         Bezüglich der Standorteffizienz spielen die folgenden
Unternehmen beträgt der Marktanteil in Österreich        Kostenfaktoren die wichtigste Rolle:
über 25 Prozent. Eine schon vorhandene lokale
Präsenz kann also als Voraussetzung für den Aufbau       ■     Steuerliche Belastung: Körperschaftssteuer,
einer regionalen Zentrale am Standort angesehen                Einkommenssteuer      (Fokus:   Expatriate-
werden.                                                        Besteuerung), Schachtelprivilege zum Ver-
                                                               rechnen von Verlusten mit osteuropäischen

                                                                                                            25
Tochterunternehmen – für 11 Prozent der             Doch im Zuge der EU-Osterweiterung wird der
     befragten Unternehmen wichtig.                      Standort Osteuropa, wie bereits ausgeführt, bezüglich
                                                         Produktivität, Management-Training, Innovations-
■    Faktorkosten (Lohn- und Lohnnebenkosten) –          freundlichkeit, politischer Stabilität, Verwaltungs-
     für 6 Prozent der befragten Unternehmen             kapazität und Infrastrukturangebot Schritt für Schritt
     wichtig.                                            zu Österreich aufschließen. Dieser Prozess wird durch
                                                         starke EU-Förderprogramme (PHARE, ISPA, Ziel-1-
■    Fixkosten (Grundstücke, Büros …) – für              EU-Förderungen) für fast alle Nachbarländer Öster-
     6 Prozent der befragten Unternehmen wichtig.        reichs noch einmal beschleunigt. So erhält Öster-
                                                         reichs Nachbarregion durchschnittlich vier- bis fünf-
                                                         mal so hohe EU-Förderungen pro Kopf wie Öster-
Der Standort Osteuropa holt im Zuge der                  reich.
EU-Osterweiterung auf
Historisch gesehen besitzt Österreich gegenüber
Osteuropa gerade bei der Standortkompetenz erheb-        Österreichs traditionelle Nachteile bei den Stand-
liche Vorteile:                                          ortkosten bleiben dagegen zumindest kurzfristig
                                                         unvermindert bestehen. Einer Körperschaftssteuer-
■    Die Infrastruktur der österreichischen Volks-       belastung von 34 Prozent und Lohnkosten von
     wirtschaft ist, was Transportanbindung und          20 Euro pro Stunde in Österreich stehen gerade ein-
     Dienstleistungen angeht, den osteuropäischen        mal 18 Prozent und 8 Euro in Ungarn gegenüber.
     Ländern traditionell eindeutig überlegen.           Mittelfristig werden die Faktorkosten der Ostländer
                                                         allerdings steigen, und bereits heute liegen Budapest
■    In der Vergangenheit hat Österreich für viele       und Prag bei den Fixkosten (z. B. bei Büromieten)
     Unternehmen als Innovationsstandort eine            gleichauf mit Wien.
     bedeutende Rolle gespielt, woraus eine beson-
     dere Kompetenz in diesem Bereich ableitbar
     ist.                                                Eine potenzielle Verlagerung des Geschäftsschwer-
                                                         punktes multinationaler Unternehmen in Richtung
■    Die Standortproduktivität ist noch immer um         Osten (z. B. Russland, Ukraine, Weißrussland) würde
     ein Drittel bis zur Hälfte höher als in Öster-      darüber hinaus Österreichs traditionelle Nähe zu den
     reichs osteuropäischer Nachbarregion. Auch          Zielmärkten Osteuropas abschwächen. Eine Tendenz
     bei der Ausbildung gibt es Vorteile zumindest       für eine solche Verlagerung ist bereits bei 17 Prozent
     hinsichtlich Management-Know-how und                der befragten Unternehmen erkennbar.
     -Training.

■    Österreich bietet mit seinem kulturellen
     Angebot, seinem Freizeitangebot sowie seiner
     sicheren Umgebung eine international aner-
     kannte Lebensqualität.

■    Politische Stabilität in Österreich steht politi-
     schem Umbruch und Neuanfang in Osteuropa
     gegenüber.

26
DURCH EU-OSTERWEITERUNG SUKZESSIVE SCHWÄCHUNG DER STANDORTVORTEILE ÖSTERREICHS VERSUS OSTEUROPA
                                                                              Bedeutung für Standort:                           Einschätzung Österreich versus Osteuropa
                                                                                                      (1)
                                                                              Einstufung als "wichtig"                 Status quo                         Entwicklung

         Nähe zum Zielmarkt                                                                                 61 %                              Mögliche Verlagerung der Zielmärkte Richtung Osten

         Bezug zum Zentralen-Standort
                                                                                                    44 %

                                              Produktivität                                                                                   Mittelfristig steigendes Produktivitäts- und
                                                                                                  39 %
                                               Ausbildung                                                                                     Ausbildungsniveau in Osteuropa

                                        Innovationsfreundlichkeit                                   44 %                                      Österreich mit fallender Attraktivität(2)
                            Kompetenz
                                                                                                                                              EU bringt politische und wirtschaftliche Stabilität,
                                           Politisches Umfeld                              28 %
                                                                                                                                              zusätzliche Förderung für Ostländer
         Standortfaktoren

                                              Infrastruktur                                                 61 %                              Bessere verkehrstechnische Anbindung an den Westen

                                             Lebensqualität                                       39 %                                        Österreich eventuell mit langfristigem Vorteil

                                                Steuern                       11 %                                                            Keine kurzfristige Veränderung absehbar

                                                                                                                                              Mittelfristig steigende Faktorkosten in Osteuropa zu
                            Effizienz         Faktorkosten                6%
                                                                                                                                              erwarten

                                               Fixkosten                  6%                                                                  Keine kurzfristige Veränderung absehbar

                                                                        Vorteil für Standort Österreich        Nachteil für Standort Österreich
 (1) Einstufung von mindestens 7 auf einer Skala von 0 bis 10
 (2) Industriellenvereinigung, Januar 2003
 Quelle: Firmenumfrage der Boston Consulting Group bei 25 Unternehmen, Mai bis Juni 2003

Eine Anmerkung soll noch dem Standortvergleich                                                                 sche Optimierung im Vordergrund steht, besteht
mit anderen westlichen Ländern gelten. Einerseits                                                              damit ein schlagkräftiges Argument, einen alternati-
besitzt Österreich überlegenes kulturelles Know-how                                                            ven westlichen Standort vorzuziehen.
in Bezug auf die östliche Nachbarregion und
Südosteuropa (für 50 Prozent der befragten Unter-
nehmen bedeutsam). Die Nähe zu Osteuropa ermög-
licht darüber hinaus eine bessere Infrastruktur-
anbindung im Vergleich zu sonstigen EU-Standorten,
der Schweiz und Liechtenstein (für 89 Prozent der                                                                   BEISPIEL FÜR DIE SELEKTIVE NUTZUNG DER
Unternehmen wichtig). Aus einer rein operativen                                                                     STANDORTVORTEILE
Sicht bietet Österreich also weiterhin gewisse Stand-                                                               Internationales Healthcare-Unternehmen nutzt Wien als
ortvorteile. Auf der anderen Seite locken speziell die                                                              Standort für eine kleine operative Osteuropazentrale mit
Schweiz und Liechtenstein mit weitaus niedrigeren                                                                   enger Anbindung an eine F&E-orientierte Landes-
Körperschaftssteuersätzen – 14 Prozent (pro Kanton                                                                  organisation in Österreich. Das juristische Headquarter
variabler Mindeststeuersatz) und 20 Prozent im                                                                      liegt jedoch aus steuerlichen Gründen in der Schweiz,
Vergleich zu 34 Prozent in Österreich. Und selbst                                                                   Finanzfunktionen werden als Shared Services in der
Deutschland liegt nach der Steuerreform mit einer                                                                   Europazentrale Brüssel ausgeführt.
Körperschaftssteuer von 25 Prozent mittlerweile deut-
lich unterhalb des österreichischen Satzes. Wenn
zusätzlich zur operativen Funktion auch steuertechni-

                                                                                                                                                                                                     27
zentralen eine Kapazitätsreduktion. Trotz
Aussicht: Die österreichische Osteuropazentrale in fünf                                                                       wachsenden Geschäfts schrumpft also die
Jahren                                                                                                                        Tätigkeit von Österreichs Osteuropazentralen.

Die Resultate der Firmenumfrage und Einzelinter-                                                                     ■        61 Prozent der befragten Osteuropazentralen
views vermitteln folgende Einblicke in die Perspek-                                                                           werden in Zukunft nach besseren Standort-
tiven bestehender Osteuropazentralen in Österreich:                                                                           bedingungen suchen. Dabei sehen nur
                                                                                                                              28 Prozent eine Verlagerung der gesamten
                                                                                                                              Zentrale vor (11 Prozent nach Osteuropa und
■           Nur 28 Prozent der befragten Firmen streben                                                                       17 Prozent in alternative EU-Länder bzw. die
            eine Expansion der Osteuropazentrale am                                                                           Schweiz). 33 Prozent der befragten Unter-
            Standort Österreich an, obwohl 72 Prozent                                                                         nehmen werden dagegen nur für einzelne
            eine weitere Expansion des Osteuropa-                                                                             Zentralen-Funktionen bessere Standort-
            geschäfts voraussehen. Dagegen planen                                                                             bedingungen suchen.
            44 Prozent der bestehenden Osteuropa-

STRAFFUNG UND "VIRTUALISIERUNG" DER REGIONALEN ZENTRALEN ZU ERWARTEN

                           Veränderungs-                                                                                                                                    Anteil Nennungen der
                                                                                                                                                                                               (1)
                             szenarien                                             Vorteile                                              Nachteile                          befragten Zentralen
                                                                 Ausnutzung der sukzessiven Standort-                    Switching-Costs bei Infrastruktur, Support-
                    Verlagerung der gesamten                     verbesserung Osteuropas versus Österreich               Services und Personal                                             11 %
                    Zentrale nach Osteuropa                      Evtl. zusätzlich gesteigerte Marktnähe                  Verlust von Kompetenzvorteilen Österreichs

                                                                 Evtl. fallspezifische Optimierung (z. B. Steuern)       Switching-Costs bei Infrastruktur, Support-
                    Verlagerung der gesamten                     Bei Zentralisierung Straffung der Organisations-        Services und Personal                                      17 %
                    Zentrale nach Westeuropa                     struktur mit möglichen Effizienzgewinnen                Verlust von Standortvorteilen Österreichs

                                                                 Taktische Nutzung von Standortvorteilen pro             Vermehrter Abstimmungsbedarf
                    Verlagerung einzelner                        Funktion
                    Funktionen                                                                                                                                                      33 %
                                                                 Bildung von standortoptimierten
                    ("Virtualisierung")                          Kompetenzzentren
                                                                 Switching-Costs bleiben gering

                    Straffung/Reduktion der                      Straffung der Organisation nach Abschluss
                    Osteuropazentrale                            der Aufbauphase und des Know-how-                                                                                  44 %
                                                                 Transfers

                    Expansion am Standort                        Skaleneffekte und Synergien werden                      Verstärkter "Lock-in"-Effekt in Österreich trotz
                    Österreich                                   vergrößert                                              fallender Standortattraktivität                            28 %

                                                                                                                                                 Schwerpunkte der zu erwartenden Veränderungstendenzen
 (1) Mehrfachnennungen möglich
 Quelle: Firmenumfrage der Boston Consulting Group bei 25 Unternehmen, Mai bis Juni 2003

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