Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW

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Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
INHALT

Schutzwald in Österreich –
Wissensstand und Forschungsbedarf

    Bundesforschungszentrum für Wald
Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
IMPRESSUM
ISBN 978-3-903-258419
Copyright 2021 by BFW
Juli 2021

Der Bericht "Schutzwald in Österreich - Wissensstand und Forschungsbedarf" wurde im Auftrag
des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus erstellt (GZ: 2020-0.560.379).

Nachdruck nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung seitens des Herausgebers gestattet.

Presserechtlich verantwortlich: DI Dr. Peter Mayer, Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum
für Wald, Naturgefahren und Landschaft Seckendorff-Gudent-Weg 8, 1131 Wien, Österreich;
Tel. +43-1-87838 0

Projektleitung: Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in Kooperation mit der Universität für
Bodenkultur Wien, Institut für Alpine Naturgefahren.

Inhaltlich verantwortlich für die einzelnen Kapitel sind die jeweiligen Erstautor*innen.

Layout: Johanna Kohl, BFW

Fotos: [1] F. Winter; [3] BMLRT/P. Gruber; [13, 63, 64, 73] G. Frank; [10] J. T. Fischer; [12] cls.fr;
[16] G. Wieser; [24] S. Smidt; [32, 41] BFW; [30, 34] FAST Greifenburg; [36, 37, 38] Ch. Scheidl;
[40] L. Lackoova; [48] pikist.com/free-photo; [52] Th. Cech; [26, 43, 58] A. Freudenschuß;
[7, 15, 29 47, 45, 55, 61, 62, 67, 69, 71, 77] Ph. Toscani; [21] G. Markart; [25] T.W. Berger;
[51] G. Hoch; [53] Th. Kirisits; [59] H. Fladenhofer; [69] shutterstock_1514664833

Bezugsquellen: Bibliothek des BFW; Tel.: 01-878 38 1216; Fax: 01-878 38 1250;
E-Mail: bibliothek@bfw.gv.at; Online-Bestellung und Download: bfw.ac.at/webshop

                                   Gedruckt nach der Richtlinie “Druckerzeugnisse“
                                   des Österreichischen Umweltzeichens,
                                   Gerin Druck GmbH, UW-Nr. 756

Zitierung:

Freudenschuß, A.; Markart, G.; Scheidl, C. und Schadauer, K. (Hrsg.). 2021: Schutzwald in
Österreich - Wissensstand und Forschungsbedarf. Bundesforschungszentrum für Wald, Wien:
80 S., ISBN 978-3-903-258419

Freudenschuß, A.; Markart, G.; Scheidl, C. und Schadauer, K. (Ed.). 2021: Protective Forest in
Austria – State of Knowledge and Research Needs. Austrian Research Centre for Forests, Vienna:
80 p, ISBN 978-3-903-258419

Bundesforschungszentrum für Wald
Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
INHALT
Vorwort ........................................................................................................................................................................3
Executive Summary ..................................................................................................................................................4
Zusammenfassung....................................................................................................................................................5

Schutzwald – Grundlagen
Michaela Teich, Frank Perzl, Sven Fuchs, Maria Papathoma-Köhle und Christian Scheidl
Schutzfunktion und Schutzwirkung des Waldes: Schutzgüter, Risikoanalyse und Bewertung ........8
Klemens Schadauer, Alexandra Freudenschuß, Ambros Berger und Thomas Gschwantner
Schutzwaldmonitoring und Geoinformation....................................................................................................11

Schutzwald – Ökologie
Michael Englisch, Eduard Hochbichler, Georg Kindermann, Klaus Klebinder, Ralf Klosterhuber, Roland Köck und Thomas Ledermann
Ökosystem Bergwald: Wachstums- und Standortfaktoren, Waldtypisierung und
Wachstumsmodelle ................................................................................................................................................16
Gerhard Markart, Herbert Hager, Klaus Katzensteiner, Helmut Schume und Bernhard Kohl
Wasserhaushalt und Bodenschutz....................................................................................................................20
Torsten W. Berger, Alfred Fürst, Herbert Hager und Robert Jandl
Schutzwald und Immissionen – Waldsterben ................................................................................................23

Schutzwald – Bewirtschaftung
Manfred J. Lexer, Christian Scheidl, Silvio Schüler, Harald Vacik, Norbert Putzgruber und Frank Perzl
Schutzwaldbau und Schutzwaldbewirtschaftung........................................................................................28
Kurt Ramskogler, Silvio Schüler, Raphael Klumpp und Matthias Hofer
Forstgenetik für Schutzwälder, Pflanzgut........................................................................................................31
Johann Zöscher, Nikolaus Nemestothy, Karl Stampfer und Dieter Seebacher
Forsttechnik und Waldarbeit im Schutzwald.................................................................................................33
Christian Scheidl, Jan-Thomas Fischer, Peter Höller, Frank Perzl und Michael Brauner
Schutztechnik zur Unterstützung der Schutzwirkung des Waldes.........................................................35
Thomas Weninger, Peter Strauß, Christian Steiner, Kerstin Michel und Erwin Szlezak
Windschutzanlagen ...............................................................................................................................................39
Philipp Toscani, Walter Sekot und Hermann Peyerl
Forstbetriebliche und steuerliche Aspekte der Schutzwaldbewirtschaftung .....................................42

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Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
Schutzwald – Klimawandel
    Marc Olefs, Katharina Enigl, Klaus Haslinger, Christoph Matulla und Georg Pistotnik
    Klimawandel mit Blick auf den Schutzwald ...................................................................................................46
    Harald Vacik und Mortimer Müller
    Waldbrandprävention, -bekämpfung und Nachbehandlung von Waldbrandflächen.........................48
    Gernot Hoch, Thomas Kirisits, Peter Baier und Thomas Cech
    Forstschutz im Schutzwald – biotische Schadfaktoren (Insekten, Pilze, Eipilze) ................................51

    Schutzwald – gesellschaftliche Aspekte
    Gerhard Weiß und Karl Hogl
    Governance von Nutzungskonflikten ...............................................................................................................56
    Heimo Schodterer, Friedrich Reimoser, Fritz Völk und Josef Zandl
    Wildökologie – Wildmanagement - Wildeinfluss im Schutzwald.............................................................58
    Georg Frank, Harald Vacik, Herfried Steiner, Matthias Kropf und Monika Kriechbaum
    Natur- und Landschaftsschutz ...........................................................................................................................61
    Gerhard Weiß, Walter Seher und Karl Hogl
    Raumordnerische Ansätze in der Schutzwaldpolitik ...................................................................................66

    Schutzwald – Internationales
    Gerfried Gruber und Stefanie Brandstetter
    Politische Einflussfaktoren der internationalen und europäischen Ebene auf den Schutzwald.....70

    Autor*innen-Verzeichnis
    Leadautor*innen......................................................................................................................................................74
    Co-Autor*innen .......................................................................................................................................................75

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Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
VORWORT
Der Schutzwald als sogenannte „grüne Infrastruk-
tur“ dient dem Schutz des Lebens-, Kultur- und
Wirtschaftsraumes in Österreich. Er ist ein we-
sentlicher Teil eines integralen Naturgefahren-
managements. Auf steilen, oft unzugänglichen
alpinen Lagen verhindert oder mindert er Natur-
gefahrenprozesse wie Muren, Lawinen, Stein-
schlag und Rutschungen. Zusätzlich dämpft der
Wald Hochwasserspitzen und kann vor allem im
Osten des Landes den Boden vor Winderosion Florian Rudolf-Miklau
schützen. Um diese vielfältigen Schutz- Leiter der Abteilung III/4 - Wildbach- und Lawinen-
wirkungen auch optimal erfüllen zu können, be- verbauung und Schutzwaldpolitik im Bundesministerium
darf es neben einer konsequenten Verjüngungs- für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus
strategie auch sehr häufig gezielter Pflege- und
Nutzungseingriffe. Ebenso wichtig ist der Schutz des Schutzwaldes vor biotischen und abiotischen
Schadensrisiken, wie Sturm, Schneedruck, Trockenheit, Waldbrand, Borkenkäfern oder hohen
Schalenwildständen.

Das Thema Schutzwald ist geprägt durch seine vielfältigen Verknüpfungen zu anderen Themen, die
eine integrale Betrachtungsweise bedingen. Das von der Bundesregierung 2019 initiierte Aktions-
programm „Wald schützt uns!“ beinhaltet daher nicht nur konkrete Meilensteine und Projekte, auch
das Thema Forschung ist zentral im Leuchtturm „Schutzwald beobachten und erforschen“ enthalten.
Erst das Aufzeigen von Forschungslücken, das Feststellen von Problemen und Herausforderungen
in vielen verschiedenen Thematiken und daraus abgeleitet der zukünftige Forschungs- und Ent-
wicklungsbedarf kann zur nachhaltigen Verbesserung des Schutzwaldes in Österreich beitragen.

Es ist mir daher eine besondere Freude, die österreichweit erste, umfassende und zukunfts-
gerichtete Analyse und Zusammenstellung des derzeitigen Standes der Forschung und Entwicklung
zum Thema Schutzwald präsentieren zu können. Er beinhaltet auch Forschungsfragen als Grundlage
für die Programmierung einer integralen Schutzwaldforschung und die Bereitstellung der er-
forderlichen Forschungsfinanzierung. Darüber hinaus sollen interdisziplinäre Wissenschafts-
netzwerke etabliert werden, welche die Forschungsfragen präzisieren und robuste Lösungen für
die zukünftigen Herausforderungen entwickeln. Grundlegende und angewandte Forschung leitet
nicht nur die Lehre und Ingenieurpraxis an, sondern berät auch die Politik in den Weichenstellungen
für den Schutzwald der Zukunft. Governance basierend auf wissenschaftlicher Evidenz ist der
einzige Weg, den globalen Herausforderungen des klimatischen und gesellschaftlichen Wandels
zu begegnen und gleichzeitig die regionalen Wirkungen und Ansprüche an den Wald zu balancieren.
Der Schutzwald ist auch Lebensraum, Eigentum und Umwelt vieler Personen in Österreich, die von
seiner Funktionsfähigkeit abhängig sind.

Besonderer Dank gilt dem hochkarätigen Redaktionsteam aus renommierten Vertreterinnen und
Vertretern aus Wissenschaft, Verwaltung und Praxis und damit einer beeindruckenden Zusammen-
schau aller Sektoren, die im und um den Schutzwald forschen, analysieren, Notwendigkeiten ent-
decken und Zukunftsfragen zur Lösung seiner Herausforderungen in den Raum stellen. Ebenso richte
ich meinen Dank an das Schutzwaldteam meiner Abteilung im BMLRT (Andreas Pichler, Alexander
Starsich und Christoph Lainer), welches dieses Projekt hervorragend koordiniert und rasch zur
Umsetzung gebracht hat.

Ihr Florian Rudolf-Miklau

                                                                                                      3
Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
EXECUTIVE SUMMARY
    In the present report "Protective Forests in          events - caused by natural hazards such as
    Austria - State of Knowledge and Research             floods, debris flows, snow avalanches or rockfall.
    Needs", 65 scientists from various Austrian           In Austria and South Tyrol, around 30% - and in
    research institutions have contributed their          Switzerland around 40% - of the forest area
    expertise. The report explains the current state      are designated as forests that have the
    of knowledge, describes knowledge deficits,           primary function to prevent these natural hazard
    and defines the future research needs for             processes.
    Austria's protective forests in a total of eighteen
    topical areas, divided into fundamentals, ecology,    Like all forests, protective forests are also in
    management, climate change, and socially              constant interaction with a changing biosphere.
    relevant aspects. The final chapter deals with        They are increasingly confronted with demands
    international framework conditions that affect        of renewable raw materials and resource-
    the protective forest.                                oriented technologies as well as societal
                                                          changes. In this sense, climate change in its
    Austria is inextricably linked with the landscape     various forms, such as extreme precipitation,
    of temperate forests. They are the basis for          drought, and an increase in disturbances,
    economic independence and prosperity, improve         represents a massive ordeal for our protective
    the quality of life, and offer protection from the    forests. It confronts us with challenges that can
    abrasive forces of nature. If forests are managed     only be mastered through a heuristic approach
    sustainably, they fulfil many socially relevant       including transdisciplinary and interdisciplinary
    functions such as soil protection, protection         efforts.
    from natural hazards, renewable raw materials
    and energy sources, job creation, climate             Furthermore, delayed reforestation in protective
    protection, preservation of ecosystems and thus       forests is a major problem in many places.
    the preservation of the alpine landscape.             Concepts are urgently required for optimizing
    Forests therefore also have a significant influence   the choice of tree species, timely rejuvenation
    on Austria's cultural identity.                       and optimal forest structure, minimizing the risk
                                                          of natural hazards, optimized wildlife manage-
    The present report regards the forest as a            ment, adapting and improving road construction
    defining element of the alpine landscape, which       and harvesting methods as well as for the
    offers natural protection against natural             development of appropriate handling and ma-
    hazards. For thousands of years, the mountain         nagement instructions and their anchoring
    forests have been subject to a variety of             through increased training in practice. Monitoring
    demands and uses (forest pasture, litter use,         and scientific studies on various topics, such as
    snowfall, temporary arable farming, intensive         origin tests of seeds, soil chemistry - substance
    use of wood for mining, etc.), which became par-      input, water balance, development after distur-
    ticularly intense at the end of the Middle Ages.      bances, review of the protective effect after na-
    It was not until the end of the 18th century that     tural hazard processes and the collection of
    French scientists recognized intensive use and        comprehensive data on protective forests, e.g.,
    clearing in the mountains as the cause of major       forest typification, should urgently be inten-
    floods “in the lowlands”. This knowledge was          sified. Above all, the proceeding in the legal
    soon generalized and applied to the entire Al-        domain on questions of forest policy, spatial
    pine region. Historically, the Alpine region has      planning and socio-economy will be crucial.
    been leading in dealing with protective forests
    since the 19th century. Management techniques
    can be seen as part of the European cultural he-
    ritage. Protective forests make an important
    contribution to protecting human life, infra-
    structure, and resources from catastrophic

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Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
ZUSAMMENFASSUNG
Im vorliegenden Bericht „Schutzwald in Österreich   Schutzwälder leisten einen wichtigen Beitrag
– Wissensstand und Forschungsbedarf” haben 65       zum Schutz von Menschenleben, Infrastruktur
Wissenschaftler*innen aus verschiedenen öster-      und Ressourcen vor katastrophalen Ereignissen
reichischen Forschungsinstitutionen ihre Fach-      - verursacht durch Gefahrenprozesse wie Hoch-
kompetenz eingebracht. Der Bericht erläutert den    wasser, Murgänge, Schneelawinen oder Stein-
aktuellen Wissensstand, beschreibt Wissens-         schlag. So sind in Österreich sowie Südtirol ca.
defizite und definiert den künftigen Forschungs-    30 % der Waldfläche und in der Schweiz um die
bedarf für Österreichs Schutzwälder in insge-       40 % der Waldfläche als Wälder ausgewiesen,
samt achtzehn Themenbereichen, unterteilt in        deren primäre Funktion die Verhinderung dieser
Grundlagen, Ökologie, Bewirtschaftung, Klima-       Naturgefahrenprozesse ist.
wandel sowie gesellschaftsrelevante Aspekte.
Im abschließenden Kapitel werden wesentliche        Wie alle Wälder stehen auch Schutzwälder in
internationale Rahmenbedingungen, die den           ständiger Wechselwirkung mit einer sich ver-
Schutzwald betreffen, behandelt.                    ändernden Biosphäre. Sie werden zunehmend mit
                                                    Anforderungen an nachwachsende Rohstoffe
Österreich ist untrennbar mit dem Landschafts-      und ressourcenorientierte Technologien sowie ge-
bild temperierter Wälder verbunden. Sie sind        sellschaftlichen Veränderungen konfrontiert. In
Grundlage für wirtschaftliche Unabhängigkeit        diesem Sinne bedeutet der Klimawandel in seinen
und Wohlstand, verbessern die Lebensqualität        unterschiedlichen Ausprägungen, wie Extrem-nie-
und bieten Schutz vor abtragenden Kräften der       derschläge, Trockenheit oder einer Zunahme von
Natur. Wenn Wälder nachhaltig bewirtschaftet        Störungen, eine massive Bewährungsprobe für un-
werden, erbringen sie viele gesellschaftsrele-      sere Schutzwälder. Er stellt uns vor Herausforde-
vante Leistungen wie Bodenschutz, Schutz vor        rungen, welche nur durch eine heuristische He-
Naturgefahren, erneuerbare Rohstoff- und            rangehensweise im Sinne trans- und interdiszipli-
Energiequelle, Schaffung von Arbeitsplätzen,        närer Anstrengungen bewältigt werden können.
Klimaschutz, Erhaltung von Ökosystemen und
damit den Erhalt der alpinen Landschaft. Wälder     Weiters stellt die verzögerte Wiederbewaldung
beeinflussen daher zu einem erheblichen Teil        im Schutzwald vielerorts ein großes Problem dar.
auch die kulturelle Identität Österreichs.          Konzepte für die Optimierung der Baumarten-
                                                    wahl, rechtzeitige Verjüngung und optimale
Der vorliegende Bericht betrachtet den Wald als     Waldstruktur, Minimierung des Naturgefahrenri-
prägendes Element der alpinen Landschaft, der       sikos, optimiertes Wildtiermanagement, Anpas-
einen natürlichen Schutz vor Naturgefahren          sungen und Verbesserungen bei Wegebau und
bietet. Diese Bergwälder unterliegen seit Jahr-     Ernteverfahren sowie für die Entwicklung ent-
tausenden, besonders intensiv aber seit dem         sprechender Handlungs- und Bewirtschaftungs-
ausgehenden Mittelalter, einer vielfältigen Be-     anleitungen und deren Verankerung über ver-
anspruchung und Nutzung (z.B. Waldweide,            mehrte Schulung in der Praxis sind dringend er-
Streunutzung, Schneitelung, temporärer Acker-       forderlich. Monitoring und wissenschaftliche
bau, intensive Holznutzung für Bergbau). Erst       Studien zu verschiedenen Themen, wie Saatgut-
Ende des 18. Jahrhunderts wurden intensive Nut-     Herkunftsversuche, Bodenchemie - Stoffeinträge,
zung und Rodung im Gebirge von französischen        Wasserhaushalt, Entwicklung nach Störungen,
Wissenschaftlern als Ursachen großer Über-          Überprüfung der Schutzwirkung nach Naturge-
schwemmungen „im Unterland“ erkannt. Bald           fahrenprozessen und die Erhebung flächen-
schon wurde diese Erkenntnis generalisiert und      deckender Daten zum Schutzwald, z.B. über die
auf den ganzen Alpenraum übertragen. Seit dem       Waldtypisierung, wäre dringend zu intensivieren.
19. Jahrhundert ist die Alpenregion im Umgang       Vor allem wird die Behandlung des legistischen
mit Schutzwäldern historisch führend und Be-        Bereiches zu Fragen der Forstpolitik, Raumplanung
wirtschaftungstechniken können als Teil des         und der Sozioökonomie entscheidend sein.
europäischen Kulturguts betrachtet werden.

                                                                                                        5
Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
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Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
INHALT

Schutzwald – Grundlagen

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Schutzwald in Österreich-Wissensstand und Forschungsbedarf - INHALT - BFW
SCHUTZWALD – GRUNDLAGEN
    Schutzfunktion und Schutzwirkung des Waldes:
    Schutzgüter, Risikoanalyse und Bewertung
    Michaela Teich, Frank Perzl, Sven Fuchs, Maria Papathoma-Köhle und Christian Scheidl

    Stand des Wissens und                                                                    Forschung und Praxis, um die Wirkung von Wald
    Kernaussagen                                                                             auf das Naturgefahrenrisiko zu quantifizieren.
                                                                                             Eine kürzlich veröffentlichte Literaturstudie hat
                                                                                             gezeigt, dass nur 60 von insgesamt 10.357
    Risiko ergibt sich aus der Schnittmenge von                                              zwischen 1980 und 2019 veröffentlichten
    Gefahr, Exposition und Vulnerabilität. Wald ist                                          peer-reviewten Publikationen, die sich mit dem
    eine effiziente Risikoreduktionsmaßnahme;                                                Risikomanagement von gravitativen Natur-
    jedoch werden technische Schutzmaßnahmen                                                 gefahren (Lawine, Steinschlag, flachgründige
    im integralen Risikomanagement zur Prävention                                            Hangrutschungen, Murgänge) beschäftigen,
    vor Schäden durch Naturgefahren bevorzugt                                                auch ökosystembasierte Risikoreduktions-
    eingesetzt, da sie allgemein als effektiver und                                          maßnahmen mit einbeziehen. Von diesen
    schneller umsetzbar angesehen werden. Ebenso                                             60 Studien wurde nur eine in Österreich
    existieren derzeit nur wenige Methoden in                                                durchgeführt.

                                            Klimawandel                                                                                   Sozio
                                                                                                                                       ökonomische
      Umweltbedingungen

                                                                 Natürliche
                                                                 Störungen                                                             Bedingungen
                          Bewirtschaftung
                                                                                                                                     Eigenschaften der
                                                                                                                                 gefährdeten Elemente, den
                                                                                                                                 Auswirkungen einer Gefahr
                            Wildeinfluß                Schutzwald       Schutzwald                                                zu widerstehen, diese zu
                                                       Baumarten         Struktur                                                bewältigen, und sich davon
                                                                                                                                         zu erholen
                                                                                               influsst                                        =
                                                                                            bee                 Vulnerabilität     Ausmaß der physischen,
                                                                                                                                  sozialen, wirtschaftlichen,
                                                           Wirkung des Waldes auf:                                                   institutionellen oder
         Naturgefahren-                   Eintrittswahr-       Ausbreitungs-                                                        ökologischen Verluste
             prozess                      scheinlichkeit    wahrscheinlichkeit Intensität       Gefahr        Risiko
            Lawinen                                                                                                                 Wahrscheinlichkeit, dass
                                               +                  (+)                (+)                                            Menschen, ihr Eigentum,
                !!
           Steinschlag                                                                                                           Infrastruktur, Umwelt-, Kultur-
                                               (-)                  +                +                                             oder Sozialleistungen zum
                 !                                                                                               Exposition
         Flachgründige                                                                                                              Zeitpunkt des Auftretens
        Hangrutschungen                        +                    +                (+)                                          einer Gefahr vorhanden sind
                !!!                                                                                                                            ×
            Murgänge                                                                                                               Gesamtwert potentieller
                                               (+)                (+)                (+)
                !!!                                                                                    usst                              Schäden
                                                                                               beeinfl

            + = positive Waldwirkung (Reduzierung)
           (+) = positive Waldwirkung in bestimmten Fällen
           (-) = negative Waldwirkung in bestimmten Fällen (Erhöhung)

    Konzeptionelle Darstellung der klimatischen, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die
    das Risiko von gravitativen Naturgefahrenprozessen im Gebirge beeinflussen, welches sich aus den Wechselwirkungen
    von Gefahren (dunkelblau) mit der Exposition (hellblau) und Vulnerabilität (blau) ergibt. Die Wirkungen des Waldes auf
    die drei Gefahrenkomponenten (Eintrittswahrscheinlichkeit, Ausbreitungswahrscheinlichkeit, Intensität) ist in grün
    (+/-) hervorgehoben und der Forschungsbedarf zu Wald-Prozess-Interaktionen in rot (!).

8
SCHUTZWALD – GRUNDLAGEN
Wald beeinflusst das Risiko in Abhängigkeit von      stellt vor allem die Abschätzung der Eintritts-
seiner Struktur und je nach Naturgefahren-           wahrscheinlichkeit eine große Herausforderung
prozess vor allem durch seine Wirkung auf eine       dar, weil Langzeitbeobachtungen fehlen und die
oder mehrere der drei Gefahrenkomponenten:           damit verbundenen statistischen Unsicherhei-
Eintrittswahrscheinlichkeit, Ausbreitungswahr-       ten groß sind. Numerische Simulationsmodelle
scheinlichkeit und Intensität. Aber auch Exposi-     oder empirische Vorhersagemodelle werden be-
tion und Vulnerabilität hängen zu einem gewissen     nutzt, um Intensität und Ausbreitungswahr-
Grad durch die Ausbreitungswahrscheinlichkeit        scheinlichkeit von Naturgefahren abzuschätzen.
bzw. die Intensität eines Gefahrenereignisses        Dies geschieht in der Regel durch Erhöhen (La-
vom Wald ab (siehe Abbildung).                       wine, flachgründige Hangrutschungen, Mur-
                                                     gänge) oder Hinzufügen von Rauigkeitsparame-
Im Risikokontext ist es dabei nicht nur entschei-    tern (Steinschlag), durch die Modellierung der
dend, wie ein Wald einen Naturgefahrenprozess        Energiedissipation (Steinschlag) oder dem Ent-
aufgrund seiner Struktur beeinflusst (Schutzwir-     zug von Masse (Detrainment; Lawine). Je nach
kung), sondern auch wo (Schutzfunktion). Mit der     Modellierungsansatz ist es mehr oder weniger
neuen Hinweiskarte Schutzwald in Österreich und      möglich, die Wirkung unterschiedlicher Wald-
der auf Modellierungen basierenden Ausscheidung      strukturen abzubilden; die Entscheidung für
von Wäldern mit Objektschutzfunktion wurde           einen Ansatz basiert oft auf einem Kompromiss
somit ein wichtiges Instrument zur risikobasierten   zwischen vollständiger Berücksichtigung der
Schutzwaldbewirtschaftung im Rahmen eines in-        Schutzwirkung (Genauigkeit) und dem damit
tegralen Naturgefahren-Risikomanagements ge-         verbundenem Rechenaufwand, wobei auch hier
schaffen, das vor allem hilft, Ressourcen best-      die „Genauigkeit“, mit der die Wechselwirkungen
möglich zu verteilen und Prioritäten zu setzen.      zwischen Wald und Naturgefahrenprozess
                                                     simuliert wird, von derzeitig verfügbaren physi-
Untersuchungen zur Schutzwirkung von                 kalischen Studien und Beobachtungen abhängt.
Wäldern vor Naturgefahrenprozessen haben
speziell im europäischen Alpenraum eine lange
Tradition. Deren Ergebnisse werden häufig für        Defizite
die Kartierung von Schutzwäldern und die Er-
stellung von zielgerichteten Bewirtschaftungs-       Die Berücksichtigung von Schutzwäldern im
konzepten verwendet. Für Österreich fehlt aller-     integralen Risikomanagement sowie die Ent-
dings bis heute eine umfassende bzw. offizielle      wicklung von risikobasierten Schutzwaldbewirt-
Schutzwaldbewirtschaftungsrichtlinie, wobei          schaftungskonzepten sind interdisziplinäre Auf-
ein kürzlich durchgeführter Vergleich der in den     gaben, die Wissen, Erfahrung und Methoden aus
Europäischen Schutzwaldbewirtschaftungs-             verschiedenen Forschungs- und Praxisbereichen
richtlinien veröffentlichten Zielvorgaben für        erfordern. Forschungsdefizite bestehen dabei
„schützende“ Waldparameter mit denen von tat-        vor allem in folgenden Bereichen:
sächlich aufgetreten Naturgefahrenereignissen        •  Quantifizierung der Wirkung von Bäumen
im Wald zeigt, dass die meisten Richtlinien die         und Wäldern auf Naturgefahrenprozesse;
Schutzwirkung des Waldes insbesondere gegen          •  Entwicklung von ganzheitlichen risiko-
Lawinen überschätzen. Dies kommt daher, dass            basierten Bewertungsverfahren/Risikoana-
je nach Naturgefahrenprozess der Stand des              lysen, welche die Wirkung des Waldes besser
(quantitativen) Wissens zur Wirkung des Wal-            einbeziehen/quantifizieren;
des sehr unterschiedlich ist und lässt sich vor      •  Berücksichtigung von Waldstandorten sowie
allem damit erklären, dass – je nach betrachte-         den sozio-ökonomischen Bedingungen als
tem Naturgefahrenprozess – der Aufwand von              dynamische (Öko-)Systeme, was länger-
Feld-, Labor- und Modellierungsstudien ver-             fristig dynamische Methoden und die Dar-
schieden und in der Umsetzung oft limitiert ist.        stellung der damit verbundenen Unsicher-
In Risikoanalysen, welche Wald einbeziehen,             heiten erfordert.

                                                                                                        9
SCHUTZWALD – GRUNDLAGEN
     Für die angeführten Punkte stellen fehlende,         •   Schutzwirkung und Klimawandel: Die Verän-
     inhomogene und nicht aktuelle Datengrund-                derung der Schutzwirkung nach natürlichen
     lagen die größte Herausforderung dar. Zum Bei-           Störungen wie Windwurf, Borkenkäfer oder
     spiel wurde beim Erarbeiten der Hinweiskarte             Feuer sollte in Feldstudien untersucht wer-
     Schutzwald in Österreich sehr deutlich, dass die         den, um daraus Handlungsempfehlungen ab-
     derzeit verfügbaren Geodaten nicht auf die Ab-           leiten zu können.
     leitung von Risiken vor Naturgefahrenprozessen       •   Zukünftige Entwicklung des Naturgefahren-
     ausgerichtet sind. Insbesondere sind die räum-           risikos: Risiko ändert sich fortlaufend durch
     lichen Daten zu den Schutzgütern zur Bestim-             sich ändernde klimatische (z.B. Niederschlag-
     mung der Exposition inhomogen, unvollständig             form und -intensität, natürliche Störungen),
     und oft nicht aktuell. Bestehende Planungs-              ökologische (z.B. Baumartenzusammenset-
     grundlagen und Bewirtschaftungsrichtlinien               zung, Wild), wirtschaftliche (z.B. Waldbewirt-
     basieren zwar auf dem derzeitigen Stand des              schaftung, Holzpreise), politische (z.B. Richt-
     Wissens, unterscheiden sich aber teilweise stark         linien, Subventionen) und soziale Bedingun-
     und könnten mit mehr Daten von gut dokumen-              gen (z.B. Bau neuer Infrastruktur, Ausweitung
     tierten Ereignissen überarbeitet werden bzw.             der Siedlungsfläche, Erweiterung von Skige-
     müssen mittel- bis langfristig an sich ver-              bieten), die alle Komponenten des Risikos
     ändernde Situationen angepasst werden.                   beeinflussen. Deshalb bedarf es dynamischer
                                                              Methoden auf unterschiedlichen räumlichen
     Fehlende Daten und Studien sind auch ein                 und zeitlichen Skalen, um Entwicklungs-
     Grund für bestehende Defizite im Prozessver-             szenarien darstellen und fortlaufend aktuali-
     ständnis - besonders in der Interaktion zwischen         sieren zu können.
     Naturgefahrenprozess und Wald. Ein fundiertes        •   Entscheidungshilfen für die Forstwirtschaft:
     Prozessverständnis ist jedoch notwendig, um              Praktische und anwendbare „Decision Support
     bestehende Modelle zu verbessern oder neue               Tools“ (Karten, Computermodelle, Richtlinien,
     Modellierungsansätze zu entwickeln.                      etc.) für ein risikobasiertes Schutzwaldmana-
                                                              gement müssen durch die Forschung in enger
                                                              Zusammenarbeit mit der Praxis erarbeitet und
     Forschungsthemen                                         von der Politik unterstützt werden.

     •   „Optimale“ Waldstruktur zur Risikominimierung:
         Vor allem für die Prozesse Lawine, flach-
         gründige Rutschungen und Murgänge fehlen
         Datengrundlagen, welche durch (länderüber-
         greifende) harmonisierte Aufnahmeprotokolle
         zur Datenerhebung und -dokumentation, ein-
         heitliche Datenspeicherung und Feldstudien
         ergänzt werden sollten.
     •   Bewertung von Schutzfunktion und Schutz-
         wirkung: Es fehlen Konzepte und Daten-
         modelle, um mit Hilfe der bestehenden Geo-
         dateninfrastruktur Schutzziele (Schadenspo-
         tenziale) standardisiert abzubilden. Diese
         gilt es zu entwickeln und zu implementieren
         und die erforderlichen Geodaten zu ver-
         bessern sowie Modelle zur großflächigen
         Schätzung der potenziell möglichen Prozess-
         ausbreitung und des Schadenspotenzials
         weiterzuentwickeln.

10
SCHUTZWALD – GRUNDLAGEN
Schutzwaldmonitoring und Geoinformation
Klemens Schadauer, Alexandra Freudenschuß, Ambros Berger und Thomas Gschwantner
Querschnittsmaterie mit Beiträgen aus den anderen Themenbereichen des Berichtes

Grundsätzliches                                          Wissensstand
Modernes Naturraummonitoring erfordert eine              Die Herausforderungen für ein effizientes
optimierte Nutzung und Kombination aller rele-           Schutzwaldmonitoring sind im Allgemeinen be-
vanten Datenquellen. Wichtig ist, dass die               kannt: Die Hauptfrage für jedes Naturraum-
Daten der Funktion eines Monitorings ent-                monitoring betrifft die Kombination aus räum-
sprechen, also Veränderungen über der Zeit ein-          licher, zeitlicher und sachlicher Skalierung der
heitlich abbilden können. Bei den klassischen            Daten.
Vorortmethoden ist das öfter gewährleistet als
beim Einsatz moderner Fernerkundungsmetho-               Welche Parameter werden auf welchen Flächen
den, deren Weiterentwicklung relativ rasch und           erhoben und wie oft werden die Erhebungen
oft ohne Einfluss der Nutzer*innen vor sich geht.        wiederholt? Im Normalfall stehen diese drei
Über das naturräumliche Monitoring des Schutz-           Skalen zueinander in Konkurrenz. Je feiner eine
waldes hinaus sind auch sozial- und wirtschafts-         Skala gewählt wird, umso gröber müssen die
wissenschaftliche Aspekte und entsprechende              anderen sein, da in der praktischen Umsetzung
Monitoringverfahren wesentlich. Diese sind in            eines Monitorings hauptsächlich die Kosten der
den jeweiligen Kapiteln dieses Berichtes behan-          limitierende Faktor sind. Daraus ergibt sich klar
delt und werden hier nicht weiter ausgeführt.            die Forderung nach einem Monitoringsystem,

                                                    Kolorierte 3D Punktewolken aus Luftbildern sind ein wichtiges
                                                    Werkzeug für ein flächendeckendes Schutzwaldmonitoring.

                                                                                                                    11
SCHUTZWALD – GRUNDLAGEN
     das aus verschiedenen Komponenten mit unter-           sätzliche Fachmonitoringverfahren eingesetzt
     schiedlichen Skalierungstiefen besteht und             werden. Wenn z.B. die Schutzwirkung des Waldes
     dabei die verfügbaren Mittel optimal einsetzt.         gegenüber Lawinen laufend evaluiert werden
                                                            soll, sind die entsprechenden Indikatoren und
     Moderne Technologien ermöglichen, die Skalierung       deren Schwellwerte in einem eigenen Monitoring
     der erhobenen Parameter relativ kostengünstig          zu erarbeiten bzw. zu schärfen, damit sie dann
     zu verbessern. So liefern z.B. die Sentinel2-          großräumig, z.B. bei der ÖWI, eingesetzt werden
     Satelliten pro Jahr zwischen 5 und 30 brauch-          können.
     bare Aufnahmen für jedes 10x10 m Pixel, wobei
     das gesamte Bundesgebiet abgedeckt ist. Die            Für ein Schutzwaldmonitoring gelten spezielle
     stichprobenbasierten Erhebungen der Österrei-          Bedingungen, da steile Lagen sowohl für Vorort-
     chischen Waldinventur (ÖWI) haben dagegen              methoden als auch für die Fernerkundung
     einen Erhebungszyklus von sechs Jahren und             Heraus forderungen mit sich bringen. So gelten
     decken mit den Probeflächen 0,08 Promille der          etwa 25 % der ÖWI-Probeflächen im Standort-
     Waldfläche ab. Dieser im Verhältnis zu Sentinel2       Schutzwald als unbegehbar. Für die spektrale
     relativ groben Skalierung in Raum und Zeit ste-        Fernerkundung mittels Luft- oder Satelliten-
     hen ein großer sachlicher Umfang mit hoher De-         bildern sind steile Gebiete aufgrund von
     tailliertheit und der Stichprobencharakter der         Schatten ebenfalls mit Schwierigkeiten verbun-
     Daten gegenüber. Mit Hilfe von statistischen           den, aber auch bei Laserscanningverfahren ist
     Modellen und künstlicher Intelligenz können            die Lagegenauigkeit im steilen Gelände geringer
     sachlich tiefgehende detaillierte Daten mit            als im Flachland.
     räumlich und zeitlich fein skalierten Daten ver-
     knüpft werden. Dadurch erhält man insgesamt                Eine weitere Besonderheit sind einerseits lang-
     ein Monitoringsystem, das in allen drei Skalen             sam ablaufende Pflanzenwachstums- oder Zer-
     hoch aufgelöst ist.                                        setzungsprozesse und andererseits abrupte und
                                                                täglich mögliche Ereignisse gravitativer Massen-
     Für ein adäquates Schutzwald-Monitoringsystem bewegungen. Dieses breite Band an zeitlicher
     ist der sachliche Umfang der ÖWI jedoch bei Skalierung muss für ein Schutzwald-Monitoring-
     weitem nicht ausreichend. Es müssen darüber konzept mitgedacht werden. Für eine feine
     hinaus für verschiedenste Themenbereiche zu- räumliche Skalierung spielen auch Luftbildbe-
                                                                                   fliegungen in Kombination
                                                                                   mit Image Matching und La-
                                                                                   serscanning eine wichtige
                                                                                   Rolle. Wie immer bei Ferner-
                                                                                   kundungsverfahren gibt es
                                                                                   hier einen Trade-off zwischen
                                                                                   räumlich extrem hochauflö-
                                                                                   senden Verfahren wie den
                                                                                   terrestrischen Methoden (z.B.
                                                                                   personengetragenes Laser-
                                                                                   scanning) oder den Groß-
                                                                                   raumbefliegungen mit gröbe-
                                                                                   rer Pixelauflösung aber einer
                                                                                   bundesweiten Abdeckung.
                                                                                   Die drohnengetragenen Sys-
                                                                                   teme stehen hier dazwi-
                                                                                   schen. Generell ist aber die
                                                                                   räumliche Auflösung auch
     Satellitenbilder liefern zeitnahe Informationen über den Waldzustand          schon bei der österreichwei-

12
SCHUTZWALD – GRUNDLAGEN
ten Befliegung mit Pixelgrößen von 20x20 cm                Forschungsbedarf
hoch. Bei der Anwendung von Fernerkundungs-
daten muss vor allem in orographisch herausfor-            •   Entwicklung eines integralen Schutzwald-
dernden Lagen, wie im Schutzwald, die Daten-                   Monitoringsystems im Objekt- und Standort-
qualität in Form der räumlichen Lagegenauigkeit                schutzwald
und spektralen Homogenität berücksichtigt                      » Prüfung der Integration von vorhandenen
werden. Dabei spielen auch die großen Daten-                      Systemen, z.B. ÖWI, BIN, Biosoil und
mengen und deren aufwändige Verarbeitung                          Hora, Abschätzung des Zusatzbedarfes
eine wichtige Rolle.                                           » Qualitätsanalysen für Kartenprodukte
                                                               » Kosten- und Wirkungsanalysen ver-
Neben den klassischen drei Skalen Raum, Zeit                      schiedener Monitoringvarianten
und Sache bringt die Kostendimension zu-
sätzliche Herausforderungen mit sich. Kosten-              Subthemen - Monitoringverfahren:
Nutzen-Analysen von Monitoringverfahren sind               •   Evaluierung der Skalentiefe unterschiedlicher
generell schwierig, vor allem, wenn es auch um                 Methoden und Vergleiche mit dem Monito-
die Schaffung von Bewusstsein in der Politik und               ringbedarf
der Öffentlichkeit geht. Semiquantitative                  •   Analyse der Wirkung technischer Weiterent-
Wirkungsanalysen sind leichter möglich.                        wicklung auf die Qualität von Zeitreihen

                                                           Subthemen - Sachmonitoring:
                                                           Konzepte für Monitorings
                                                           •  zur Entwicklung neuer und Absicherung be-
                                                              kannter Indikatoren zur Beurteilung der
                                                              Schutzwirksamkeit, getrennt nach Gefahren-
                                                              prozessen inklusive Verjüngung
                                                           •  für detailliertere Information zu Gebietsab-
                                                              fluss bei Stark- und Dauerregenereignissen
                                                           •  auf Waldbrandflächen
                                                           •  von Borkenkäfermassenvermehrungen in
                                                              schwer zugänglichen Schutzwäldern
                                                           •  von Kalamitäten zur Erhebung des Saatgut-
                                                              bedarfes
                                                           •  von invasiven Arten und Neobiota – neue
                                                              biotische Schadfaktoren im Schutzwald
                                                           •  von Windschutzanlagen
                                                           und Prüfung der Überlappungen und Synergien
                                                           zwischen den einzelnen Sachmonitoring-
                                                           Methoden

                                                           Subthemen -
                                                           Beispiele mit Innovationspotenzial:
                                                           •   Einsatz von Drohnen für detaillierte Wald-
                                                               strukturerhebungen
                                                           •   Verjüngungsmonitoring mit automatischen
                                                               Kameras und photogrammetrischer Aus-
                                                               wertung
                                                           •   Funksensorik im Schutzwald: z.B. Boden-
Auf die Erhebungen vor Ort kann nicht verzichtet werden.       feuchte, Bodentemperatur

                                                                                                               13
14
Schutzwald – Ökologie

                        15
SCHUTZWALD – ÖKOLOGIE
     Ökosystem Bergwald: Wachstums- und Standort-
     faktoren, Waldtypisierung und Wachstumsmodelle
     Michael Englisch, Eduard Hochbichler, Georg Kindermann, Klaus Klebinder,
     Ralf Klosterhuber, Roland Köck und Thomas Ledermann

     Stand des Wissens                                Diese Faktoren wurden bislang zumindest über
                                                      eine Umtriebszeit als relativ konstant ange-
     Im Ökosystem Bergwald sind das Klima, welches    sehen; mit dem Klimawandel verändern sich der
     den Wärmehaushalt treibt, der Wasserhaushalt     Wärmehaushalt, der Wasserhaushalt (Transpira-
     sowie der Nährstoffhaushalt die wesentlichen     tion, ggf. Niederschlag und -verteilung) und in
     Faktoren, die das Baumwachstum, das Baumar-      geringerem Ausmaß der Nährstoffhaushalt. Zum
     tenartenvorkommen und die Eigenschaften          erwarteten Ausmaß der Veränderung von klima-
     eines Standortes prägen. Von besonderer Be-      tischen Parametern wird auf das Kapitel Klima-
     deutung sind im Bergwald abiotische und bioti-   wandel verwiesen.
     sche Risikofaktoren, die teilweise anthropogen
     überprägt werden, sowie direkte menschliche      Diese Veränderungen bewirken eine Verschie-
     Einflüsse.                                       bung der Waldgrenze bzw. der klimatischen
                                                      Höhenstufen um mehrere 100 m nach oben
                                                      (+0,65° C ~ +100 m). Damit werden wesentliche,
                                                      laufende Veränderungen der Waldtypen bzw.
                                                      der Baumartenzusammensetzung, aber auch des
                                                      Waldwachstums am konkreten Waldort in unter-
                                                      schiedlichem Ausmaß in kurzer Zeit erwartet.
                                                      Generell besseres Wachstum und erhöhte Pro-
                                                      duktion von Biomasse ist gerade in höheren
                                                      Bergwaldlagen ebenso zu erwarten wie Verän-
                                                      derungen der Wuchsrelationen und der Konkur-
                                                      renzsituation zwischen den bestimmenden
                                                      Baumarten sowie in der Folge veränderte
                                                      Schutzfunktionalitäten. Im Bereich des Schutz-
                                                      waldes werden sich die Wuchsbedingungen der
                                                      Fichte verbessern, wie dies neuere Unter-
                                                      suchungen zeigen. Neben Einzeluntersuchungen
                                                      über Modellrechnungen stehen für einige Regio-
                                                      nen des Bergwaldes auch höher auflösende In-
                                                      formationen zur Resilienz und Vulnerabilität des
                                                      Bergwaldes zur Verfügung. Rückkoppelungen
                                                      zwischen den einzelnen Störungsfaktoren (z.B.
                                                      Borkenkäfer, Windwurf) sind zu erwarten.

                                                      Kritische, nicht reversible Systemveränderungen
                                                      im Bergwald (etwa von Nadelwaldgesellschaften

16
SCHUTZWALD – ÖKOLOGIE
zu Laubwaldgesellschaften) können bei einer            begonnen. WASIM, MOSES, PROGNAUS und
Temperaturzunahme von 2 °C auftreten.                  CALDIS sind vier österreichische Vertreter sol-
                                                       cher Modelle. Während die Entwicklung von
Die klimabedingte Waldgrenze und deren Ver-            WASIM und MOSES auf Daten von waldwachs-
änderung können mit den vorliegenden Parame-           tumskundlichen Versuchsflächen basiert, wurde
tern sehr genau modelliert werden; daneben             für die Entwicklung von PROGNAUS und CAL-
spielen edaphische Faktoren und die Nutzungs-          DIS auf die Daten der Österreichischen Waldin-
geschichte ebenso eine Rolle wie die Vegetati-         ventur (ÖWI) zurückgegriffen. Aus diesem
onsdynamik. Das Höhersteigen von Gefäß-                Grund sind die beiden Letztgenannten für An-
pflanzen wird intensiv untersucht, eine Auf-           wendungen auf Inventurdaten besonders geeig-
wärtswanderung von einigen 10-er-Metern gilt           net und bilden die Basis für österreichweite Pro-
als gesichert; bei den Baumarten gilt hier die         jektionen zu Waldentwicklung und Holzaufkom-
Zirbe als bestuntersucht (100-200 m).                  men. Neben den genannten Modelltypen steht
                                                       auch das hybride Waldökosystemmodell PICUS
Erhöhte Luft- und damit Bodentemperaturen              zur Verfügung, dass klimasensitiv ist sowie inte-
führen im Allgemeinen zu signifikanten Boden-          ragierende Störungsmodule für Borkenkäfer und
kohlenstoffverlusten durch raschere Umsetzung          Sturmschäden beinhaltet. PICUS kann sehr gut
organischer Substanz bzw. Ausgasung (klima-            auf Basis von Inventurdaten (ÖWI) für öster-
relevante Treibhausgase), besonders auf Humus-         reichweite Projektionen eingesetzt werden.
böden der Nördlichen Kalkalpen (1-3 t.ha-1.a-1), oft
verstärkt durch nicht standortsangepasste Be-
wirtschaftung oder Störungen (
SCHUTZWALD – ÖKOLOGIE
     Bodeninformationen, die chemische und physi-       Im Kontext des Klimawandels ist über die Dyna-
     kalische Analysen beinhalten, stehen im            mik des Ansteigens der Waldgrenze und der
     (Berg)wald nur lokal und vereinzelt aus For-       Kampfzone als Ursprungsort für viele erosive
     schungsprojekten und österreichweit nur aus        Prozesse (Lawinen, Muren, Steinschlag, etc.)
     den Daten der Waldboden-Zustandsinventur,          wenig bekannt, speziell im Hinblick auf mögliche
     dem Netz von ICP-Forests, Beregnungsversuchen      Hindernisse für diesen Prozess.
     und den Messtellen des hydrographischen
     Diensts zur Verfügung. Bodenansprachen mit         Auch bei Beurteilung der Baumarteneignung
     eingeschränktem Parametersatz sowie ohne che-      existieren Wissenslücken bez. Autökologie
     mische und physikalische Daten sind darüber        (Ökophysiologie der Baumarten) wichtiger
     hinaus österreichweit nur aus den Erhebungen       Baumarten im Schutzwald, ebenso ist die Syn-
     der ÖWI vorhanden. Bodenkundliche Informatio-      ökologie wenig erforscht.
     nen aus Flächen über der Waldgrenze gibt es
     kaum. Räumlich explizite Darstellungen der         Zum Wasserumsatz in Schutzwäldern (Kronen-
     Wasserspeicherung und des Nährstoffumsatzes        raum und Bodenwasserhaushalt) fehlen geo-
     im Bergwald fehlen weitgehend.                     statistisch fundierte Messansätze, welche die
                                                        Inputgrößen mit entsprechender räumlicher und
     Die forstliche Wuchsgebietsgliederung beruht       zeitlicher Auflösung darstellen können. Inter-
     auf einer überholten Klimazeitreihe aus der 2.     zeptionsgewinne durch Nebelniederschläge und
     Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor der jüngsten      Raueisanhänge im Kronenraum von Schutz-
     intensiven Erwärmungsphase. Die in der Wuchs-      wäldern sind kaum quantifiziert (z.B. winterliche
     gebietsgliederung definierten Höhenstufen-         Interzeptionsmessung mit Mikrowellenextinktion).
     Grenzen orientieren sich an Klimadaten der
     1960er Jahre und an zum Teil noch älteren          Wenig entwickelt sind Verfahren zur flächigen
     vegetationskundlichen Karten. Die statische        Erfassung und zum flächigen Monitoring der
     Darstellung der Wuchsgebietsgliederung von         Bodenfeuchte, von Wasserflüssen in Waldböden
     Österreich mit den abgegrenzten Wuchs-             und der Erfassung physikalischer Bodeneigen-
     gebieten und Höhenstufen hinkt demnach hin-        schaften (z.B. Skelettgehalt, Gründigkeit). Dies
     ter dem Erwärmungstrend der letzten Jahr-          ist derzeit mit Satelliten-Daten, über Aerogeo-
     zehnte – in den Alpen im Jahresdurchschnitt um     physik bzw. andere Verfahren nicht seriös mög-
     ca. 1 °Celsius – hinterher und bedarf einer        lich. Flächige Informationen zur Winter- und
     aktualisierten dynamischen Darstellung.            Schmelzfeuchte im Schutzwald fehlen weit-
                                                        gehend.
     Der Nährstoffhaushalt als Wachstums- und
     Standortsfaktor kann für Standorte gut charak-     Für die Parametrisierung von Waldwachstums-
     terisiert werden und könnte über Pedotransfer-     modellen wurden bislang nur Daten aus dem Er-
     funktionen räumlich explizit dargestellt werden,   tragswald verwendet, die Daten von etwa
     wenn die oben angesprochenen Datendefizite be-     500.000 ha Schutzwald außer Ertrag standen
     seitigt würden. Zu Bodenprozessen auf Sonder-      bisher nicht zur Verfügung, obwohl gerade in
     standorten existieren nur vereinzelte Unter-       diesem Bereich die Waldfläche stark zugenom-
     suchungen (z.B. Bodenbiologie  klimatische        men hat. Ob die aus den Versuchen in tieferen
     Extreme  Verfügbarkeit von Schlüsselnähr-         Lagen abgeleiteten Behandlungskonzepte auch
     stoffen; Veränderung des C und N-Kreislaufs        auf den Berg- bzw. Schutzwald übertragen
     durch Bewirtschaftung und Klimawandel; C-          werden können, ist nicht eindeutig geklärt.
     Speicherung im Schutzwald; alpine Humus-           Darüber hinaus kommen im Schutzwald oftmals
     formen; Umsetzung von organischer Substanz         verschiedene Formen der Dauerwaldbewirt-
     im alpinen Raum). Auch hier existieren er-         schaftung mit kleinflächigen Behandlungsein-
     hebliche Datendefizite.                            heiten und Verjüngung aus der Randstellung zur

18
SCHUTZWALD – ÖKOLOGIE
Anwendung. Eine umfassende waldwachstums-                zahlhaltung auf Wachstum und Stabilität von
kundliche Untersuchung solcher Bewirtschaf-              Schutzwäldern durch Anlage von Versuchs-
tungsformen fehlt.                                       flächen.
                                                     •   Vergleich von Wachstum, H/D-Wert-Ent-
                                                         wicklung und Verjüngung im Plenterwald
                                                         sowie bei Femel- und Saumschlagbewirt-
Forschungsthemen                                         schaftung.

Digitalisierung und dynamische                       Waldwachstumsmodellierung
Waldtypisierung
                                                     •   Aufgrund der standörtlichen Besonderheiten
•   Dynamische, digitale Kartierung der Waldty-          von Neubewaldungsflächen ist es dringend
    pen im Bergwald im operativen Maßstab als            erforderlich, das Waldwachstumsmodell
    Grundlage zur nachhaltigen Bewirtschaftung           CALDIS dahingehend zu adaptieren. Zu-
    und Risikoabschätzung im Bergwald, insbe-            wachsdaten aus dem Schutzwald außer Er-
    sondere im Hinblick auf die dauernde Erhal-          trag stehen ab dem Jahr 2022 laufend zur
    tung von Schutzfunktionalitäten.                     Verfügung.
•   Digitale Kartierung (Digital soil mapping) von   •   Das Wachstum von Bäumen ist immer ein
    hochqualitativen Datengrundlagen zum                 Kampf um Ressourcen. Ein wichtiger Aspekt
    Boden und zum Untergrundsubstrat sowie               in jedem Wachstumsmodell ist daher die
    zum Wassereinfluss (Stau-, Grund- und                 Modellierung der Konkurrenzsituation von
    Hangwasser) unter Verwendung von daten-              Bäumen. Ob in der Hochlage der Faktor
    basierten Modellen.                                  „Konkurrenz“ die gleiche Wirkung auf das
•   Räumliche explizite Darstellung über die ak-         Baumwachstum hat wie in den tiefen Lagen,
    tuelle und zukünftige Baumarteneignung und           ist bisher nicht geklärt.
    die Projektion zonaler Waldgesellschaften im     •   Wachstumsmodelle für (Natur-)Verjüngung
    Regionalmaßstab auf Grundlage von Baum-              für Bäume mit einem BHD unter 5 cm zur Ab-
    artenverbreitungsdaten nationaler Forstin-           schätzung von Verjüngungszeiträumen ins-
    venturen und überregionaler Vegetationskar-          besondere in Hinblick auf den zeitlichen Ver-
    ten und von flächigen Klimaindikatoren („dy-          lauf der Schutzwirkung.
    namisierte Wuchsgebietsgliederung“).
•   Waldtypisierung von Grabenstandorten in          Schutzfunktionalität
    Hinblick auf Vermeidung beziehungsweise
    Milderung von Erosionsprozessen im Zuge          •   Analyse und Entwicklung von Pedotransfer-
    von Extremereignissen; räumlich explizite            funktionen zur Bewertung der Wasserspei-
    Aussagen zur Stabilisierung der Bewaldung            cherkapazität von alpinen Waldböden. Dies
    von Grabenstandorten;                                betri insbesondere Standorte, an denen
•   Dynamik des Ansteigens der Waldgrenze                die Wasserspeicherkapazität vorwiegend
    und der Kampfzone der Waldökosysteme,                über die Humusauflage abgedeckt wird.
    mögliche Hindernisse für diesen Prozess.         •   Optimierung der zeitlichen und räumlichen
    (land use change; Charakterisierung und              Schutzfunktionalitäten im subalpinen Raum
    räumlich explizite Darstellung „neuer“ Wald-         in Hinblick auf die Hauptbaumarten (Fichte,
    standorte)                                           Zirbe, Lärche)
                                                     •   Wasserschutzfunktion von Waldökosystemen
Anlage von Versuchsflächen                               (Wasser-Schutzgebiete, Wasser-Schonge-
                                                         biete und Hochwasser-Vermeidungs-Projekt-
•   Untersuchungen zum Einfluss der Begrün-               gebiete) unter Benutzung des Wald-Hydro-
    dungsstammzahl und der weiteren Stamm-               top-Modells.

                                                                                                         19
SCHUTZWALD – ÖKOLOGIE
     Wasserhaushalt und Bodenschutz
     Gerhard Markart, Herbert Hager, Klaus Katzensteiner, Helmut Schume und Bernhard Kohl

     Stand der Forschung                                  lastungssituation” entstehen. In solchen Fällen
                                                          nähert sich das Abflussverhalten von Wald-
     Der Abfluss in Einzugsgebieten wird maßgeblich       flächen jenem der umgebenden waldfreien Be-
     von den Faktoren Niederschlag, Temperatur,           reiche an.
     Bodenfeuchte und Verdunstung beeinflusst. Im
     Wald ist die freie Wasserspeicherkapazität des       Waldbewirtschaftung und Landnutzung können
     Bodens deutlich höher als außerhalb, weil Bäume      den Zeitpunkt und die Menge des Wassers, das
     einen höheren Verdunstungsanspruch im Ver-           über die verschiedenen Abflusswege (Ober-
     gleich zu niedriger Vegetation haben. Darüber hi-    flächenabfluss, Zwischenabfluss, Tiefensicke-
     naus transpirieren die im Schutzwald überwiegen-     rung) in den Vorfluter eingeleitet wird, und vor
     den immergrünen Nadelbaumarten gegenüber             allem die Fließwege selbst, massiv verändern.
     Laubbaumarten auch im Winter erhebliche Was-         Kahlschläge führen zu einem deutlich erhöhten
     sermengen. Damit ist die Abflussdisposition von      Abfluss, Eingriffe in geringer Stärke (bis 20 %
     Nadelwäldern im Vergleich zum Laubwald und           des Vorrates) zeigen kaum Effekt. Bei rascher
     insbesondere zum umgebenden Freiland im be-          natürlicher Wiederbewaldung nimmt die nach
     ginnenden Frühjahr und im Spätherbst geringer.       der Hiebsführung häufig erhöhte Vorfeuchte im
                                                          Boden in den meisten Fällen innerhalb von 3-10
     Humus in Laubholzbeständen weist sehr kurze          Jahren aufgrund der Verdunstungsleistung der
     Eindringzeiten für Niederschläge auf, diese sind     sich einstellenden Schlagvegetation und der
     bei Koniferen (Fichte, Kiefer) deutlich höher, bis   aufkommenden Verjüngung wieder ab.
     zum Strohdacheffekt in dichten Fichtenbestän-
     den ohne Unterwuchs. Dagegen wirkt eine raue         Großflächige Kalamitäten, insbesondere Wind-
     Oberfläche mit Totholz, dichter Bodenvegeta-         würfe, mit nachfolgender Räumung der Kahl-
     tion oder Schlagabraum Abfluss verzögernd            fläche haben besonders auf (flachgründigen)
     (siehe Abbildung). Ein großer Teil des Nieder-       Karbonatstandorten einen deutlichen Humus-
     schlages sickert insbesondere bei Baumarten          schwund zur Folge. Bei fehlender Wiederbewal-
     mit Stammablauf entlang der Wurzeln in den           dung ist innerhalb weniger Jahre ein großer Teil
     Boden ein. Diese und Makroporen im Boden er-         des Kohlenstoff-Vorrates abgebaut. Erschwerte
     möglichen rasche Versickerung, jedoch auch den       Wiederbewaldung, deutlich reduzierte Filter-
     raschen Zwischenabfluss zum Vorfluter. Daher         wirkung des verbleibenden Bodenkörpers sowie
     bestimmt die jeweilige Baumart über ihr Durch-       erhöhter Nährstoffaustrag (z.B. Nitrataus-
     wurzelungsmuster die Wasserverteilung im             waschung) sind die Folge. Vorverjüngung unter
     Boden und die rasche Tiefensickerung entschei-       Schirm und mehrstufiger Bestandesaufbau sind
     dend mit.                                            eine Möglichkeit, negative Störungseffekte - wie
                                                          sie unter dem Klimawandel intensiver und
     Hochwasserspitzen in kleinen bewaldeten Ein-         häufiger auftreten - auf die Humusdynamik und
     zugsgebieten (< 10 km² Fläche) treten gegen-         den Bodenwasserhaushalt zu minimieren.
     über waldfreien Einzugsgebieten deutlich ver-
     zögert auf und sind generell niedriger. Aus der      Insbesonders feinerdereiche Waldböden ver-
     Kombination hohe Niederschlagsmengen, hohe           tragen mechanische Belastung, z.B. durch Be-
     Vorfeuchte und hoher Zwischenabfluss kann je-         fahren, Anlage von Rückegassen oder Schipisten
     doch auch für Waldstandorte eine „Über-              schlecht. Sie reagieren mit Verlust an Wurzeln

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SCHUTZWALD – ÖKOLOGIE

Starkregensimulation mit 100 mm/h in einem Fichtenbestand mit dichter Zwergstrauchheide. Die raue Oberfläche und
der lockere, stark durchwurzelte Boden ermöglichen rasche Einsickerung, es entsteht kein Oberflächenabfluss.

und dränfähigem Porenraum, Dichtlagerung, Ver-           Die Wahrscheinlichkeit für Erosion und
schlämmung, erhöhtem Oberflächenabfluss und              Rutschungen wird durch den Klimawandel in
Erosion. Auf Forstwegen können Abtragsraten              Gebieten mit erhöhter Häufigkeit und/oder
wie auf intensiv genutzten Ackerflächen erreicht         Intensität von Kalamitäten und Starkregenereig-
werden. Steil abfallende Harvestergassen im ge-          nissen zunehmen. In sonnseitigen Hanglagen ist
neigten Gelände sind oft als Erosionshotspots            auch mit häufigeren Waldbränden zu rechnen.
zu erkennen.                                             Dies kann auf Erosionsprozesse und Boden-
                                                         wasserhaushalt besonders gravierende Aus-
Besonders an steilen Hängen können mehr-                 wirkungen haben.
schichtige Bestände mit dichtem Unterwuchs
das Risiko von Rutschungen verringern und                Trockenheit und geringe Nährstoffverfügbarkeit
durch Tropfenaufschlag hervorgerufene Erosion            limitieren das Wachstum von Buche, Esche,
wirksam reduzieren. In vielen Fällen trägt die           Tanne und Fichte sehr stark, dagegen von Kiefer
seitliche Wurzelausbreitung deutlich mehr zur            und Eiche nur wenig. Bei Arten mit geringer
Stabilisierung gegen flache Rutschungen bei als          Trockenheitstoleranz bewirkt schon ein geringer
die vertikale Wurzelentwicklung. Bei verzögerter         Anstieg der Wasserspannung im Boden eine
Wiederaufforstung geht dieser stabilisierende            deutliche Minderung der Wasseraufnahme, sie
Effekt spätestens innerhalb zweier Dekaden               wurzeln weniger tief und weisen eine geringere
verloren. Die armierende Wirkung der Baumwur-            Wurzelmasse auf als trockenheitstolerantere
zeln fehlt jedoch auf weitere Jahrzehnte, weil           Baumarten, z.B. Flaumeiche. Trockenheit ist im
die Wurzeln des abgetriebenen Bestandes ab-              Klimawandel daher der bedeutendere Faktor für
gebaut werden und die des neuen Bestandes                das Baumwachstum und die Artenverteilung als
erst ab der Stangenholzphase beginnen Hang               höhere Temperaturen.
stabilisierend zu wirken.

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