SICHERHEIT SCHWEIZ - Lagebericht 2014 des Nachrichtendienstes des Bundes
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SICHERHEIT SCHWEIZ Lagebericht 2014 des Nachrichtendienstes des Bundes
Sicherheit Schweiz 2014
Inhaltsverzeichnis Abwehr stärken 5 Der Lagebericht in Kürze 6 Strategisches Umfeld im Wandel 8 Schwerpunkt: Informationssicherheit nach der Affäre Snowden 18 Dschihadistisch motivierter Gewaltextremismus und Terrorismus 25 Ethno-nationalistisch motivierter Gewaltextremismus und Terrorismus 39 Rechts-, Links- und Tierrechtextremismus 45 Proliferation 57 Verbotener Nachrichtendienst 65 Angriffe auf Schweizer Informationsinfrastrukturen 73 Abkürzungsverzeichnis 81 L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 3
Abwehr stärken Die Schweiz pflegt mit praktisch allen Staaten der Welt gute Beziehungen. Trotzdem hat uns das vergangene Jahr die alte Erkenntnis bestätigt, dass Staaten letztlich nur Interessen kennen und kei- ne Freunde. Vertrauen scheint zwar für gut befunden zu werden, Kontrolle aber als besser. Die Snowden-Dokumente haben die Dimension der heutigen internationalen Überwachung und Spiona- ge gezeigt. Alle international übertragene Kommunikation, die nicht besonders geschützt ist, wird erfasst, gespeichert und ausgewertet. Wo es möglich ist, geschieht dies auch innerhalb von fremden Staaten. Der Anspruch ist, jederzeit auf jede elektronisch gespeicherte oder übertragene Information zugreifen zu können. Diese Doktrin beschränkt sich nicht nur auf die USA. Im Gegenteil, die Enthüllungen über die Fähig- keiten der NSA und ihrer Verbündeten werden den Ehrgeiz anderer Länder antreiben, es ihr gleich- zutun oder sie noch zu übertreffen. Ich beurteile deshalb die Aussichten auf griffige internationale Regelungen der Spionage, auch als No-Spy-Abkommen in der Diskussion, als klein. Kein Land wird sich die Möglichkeit nehmen lassen, zur Wahrung wichtiger Interessen auch in die Interessen ande- rer Länder einzugreifen. Man erinnere sich nur an die weiterhin deklarierte Bereitschaft, gestohlene Bankdaten aufzukaufen, oder die permanenten Cyberattacken auf internationaler Ebene. Selbstverständlich sind die Beziehungen zu anderen Ländern weiterhin zu pflegen und sektoriell allen nutzbringende Abkommen zu schliessen. Die Schweiz muss sich aber gleichzeitig auch wapp- nen und bereithalten, ihre Interessen zu wahren und zu verteidigen. Dazu gehören zwei Massnahmen: Erstens der weiterhin offene internationale Dialog auf Augenhö- he unter souveränen Staaten und zweitens die Stärkung der Abwehr gegen Bedrohungen der inneren und äusseren Sicherheit und weiterer wesentlicher Landesinteressen. Ein leistungsfähiger Nachrichtendienst, der politisch gesteuert und wirksam kontrolliert wird, ist für die Abwehr ein unverzichtbares Element. In einem demokratischen Staat muss er die Bevölkerung schützen und darf nur soweit in ihre Freiheitsrechte eingreifen, wie es für das frühzeitige Erkennen und Bekämpfen von Bedrohungen absolut notwendig ist. Das war und ist die Richtlinie, die von Anfang an für das neue Nachrichtendienstgesetz gegolten hat. Seine Massnahmen sollen weit gehen können, aber nur in den wenigen Fällen, wo sie absolut unverzichtbar sind. Das ist der entscheidende Unterschied zu ausländischen Nachrichtendiensten, die ihre Kompetenzen zu äusserst breitflächigen Überwachungen einsetzen. Stärken wir unsere Abwehr nicht, sind wir diesen Praktiken erst recht aus- geliefert und sind auch kein ernstzunehmender Verhandlungspartner am diplomatischen Tisch. Die Schweiz braucht deshalb das Nachrichten- dienstgesetz als ein modernes, auf die heutige Lage ausgerichtetes Re- gelwerk, das die richtige Balance aufweist. Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS Ueli Maurer Bundesrat L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 5
Der Lagebericht in Kürze Wie sicher ist die Schweiz? Was sollte die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz beunruhi- gen, von wem werden wir bedroht und wodurch gefährdet? Der Lageradar des NDB bietet für diese Fragen einen Überblick aus sicherheitspolitischer Sicht; er zeigt aus der Optik des NDB, was die Schweiz im Bereich Sicherheit derzeit hauptsächlich beschäftigt und welche Gefährdungen derzeit nur latent vorhanden sind. ▪▪ Langfristig gesehen und im Unterschied zu unserem unmittelbaren Umfeld immer noch sehr vielen anderen Ländern befindet sich mehrere Jahre des Krisenmanagements zur die Schweiz in einer sehr stabilen und ruhi- Bewältigung der europäischen Schuldenkri- gen sicherheitspolitischen Situation. Trotz- se und der Folgen des arabischen Frühlings dem stehen gleich zwei Themen des verbo- ab. Russland konsolidiert sich politisch, tenen Nachrichtendiensts im Brennpunkt des wirtschaftlich und militärisch und verstärkt Lageradars. seine Einflussnahme besonders in Europa. Die Weiterverbreitung von Massenvernich- ▪▪ Weiterhin wird in der Schweiz verbotener tungswaffen und deren Trägersystemen ist Nachrichtendienst betrieben. Es ist dabei nach wie vor eines der grossen Problemfel- nicht neu, dass die Informationsabschöp- der unserer Zeit. fung immer häufiger über Informatikmit- tel stattfindet. In den Brennpunkt gerückt ▪▪ Kaum verändert haben sich die Bedrohun- wurde die Informationssicherheit aufgrund gen in den Bereichen Terrorismus und Ex- der Erkenntnisse aus der Affäre um Ed- tremismus. Weiterhin ist die Schweiz kein ward Snowden. Namentlich durch die enge prioritäres Ziel dschihadistisch motivierter Zusammenarbeit der USA mit Schlüssel- Anschläge, doch sind Schweizer Bürgerin- technologiefirmen, die möglicherweise bis nen und Bürger namentlich in Konfliktzonen zur Korrumpierung der Produktesicherheit des islamischen Raums einem erhöhten Ent- reicht, erreichen die Möglichkeiten illegaler führungsrisiko ausgesetzt und können Opfer Informationsabschöpfung durch Nachrich- dschihadistischer Gewalt- oder Terrorakte tendienste eine neue Dimension. Dabei geht werden. Zugenommen hat die Anzahl der die Problematik über den verbotenen Nach- Dschihadreisenden aus Europa, insbeson- richtendienst hinaus, denn Daten können dere nach Syrien. Kehren Dschihadreisende nicht nur abgeschöpft, sondern auch verän- ideologisch indoktriniert und kampferprobt dert oder vernichtet werden. zurück, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, ▪▪ Das strategische Umfeld der Schweiz ist zum dass sie hier zum Beispiel Anschläge ver- einen geprägt vom Wandel des internationa- üben oder als Vorbild für die Anwerbung len Systems, ausgelöst von der allmählichen weiterer Dschihadisten dienen. Obwohl das Verschiebung der machtpolitischen Gewich- Potenzial des Gewaltextremismus jeglicher te vom Westen in den asiatischen Osten und Couleur weiterhin besteht, ist die Lage in der in den Süden. Zum andern zeichnen sich in Schweiz derzeit entspannt. 6 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
ik / Wir tschaf t / Militä Polit r Latente Themen Konventioneller Krieg in Europa Früherkennung Organisierte Migrations- Energie- Kriminalität risiken sicherheit Nukleare Bedrohung Druck auf Hauptthemen die Schweiz Arabischer Finanzierung Frühling Al-Qaida und regionale Nordkorea Ableger Terrorismus Pr o l i fe ra t i o n Dschihad- Iran reisende Brenn- Entführungen punkte LTTE Spionage gegen Hausgemachter PKK Wirtschafts- sicherheitspolitische Terrorismus spionage Interessen der Schweiz Einzeltäter Links- extremismus Überwachung aus- ländischer Staatsbürger Rechts- Cyber- in der Schweiz extremismus aktivismus nst die Tierrecht- Bedrohungen kritischer Infrastrukturen en extremismus Ex ht ic tr m hr e is c m us r Na e ne Cyberwar ot rb Ve Bed a ce ro h u n gen i m Cy b ersp L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 7
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL Strategisches Umfeld im Wandel Das internationale System nähert sich dem – noch schwer absehbare Folgen für Mali und Ende des unipolaren Zeitalters, wie es seit den westlichen Sahel bis weit nach Osten ans dem Ende des Kalten Kriegs vorherrscht. Die Horn von Afrika – mit Auswirkungen auf die machtpolitischen Gewichte – gemessen an humanitäre Lage, Migrationsströme sowie die Faktoren wie Wirtschaftskraft, Bevölkerungs- Sicherheit von lokalen Bevölkerungen und in- zahl, Militärausgaben und Investitionen in neue ternationalen Interessen. Darüber hinaus ist das Technologien – verlagern sich allmählich vom unmittelbare strategische Umfeld der Schweiz Westen in den asiatischen Osten und in den Sü- weiterhin geprägt von den politischen und wirt- den. Die USA und Europa werden einflussreich schaftlichen Folgen der Schuldenkrise in Euro- bleiben, aber möglicherweise den Zenit ihrer pa, der wachsenden Einflussnahme Russlands Macht überschreiten und mehr Platz einräumen auf dem europäischen Kontinent und den nach müssen für Mächte wie China, Indien oder Bra- wie vor schwer vorhersehbaren Entwicklungen silien, die bereits wichtige Akteure der Welt- im Nahen und Mittleren Osten in der Folge des wirtschaft darstellen (von der G-8 zur G-20). arabischen Frühlings. Damit werden die Entwicklungen in Asien und insbesondere jene der Konfliktlagen auf der Schuldenkrise: Noch viele Jahre des koreanischen Halbinsel, im Ost- und Südchine- Krisenmanagements notwendig sischen Meer und auf dem indischen Subkonti- In der europäischen Schuldenkrise sind erste nent aufgrund ihrer Bedeutung für die Stabilität Schritte im Krisenmanagement gemacht, und der Weltwirtschaft auch an Bedeutung für die harte Strukturreformen besonders in den Län- Schweiz gewinnen. In Afrika hat die Destabili- dern der Peripherie sind im Gange. Aber wei- sierung der Sahelzone – eine Konsequenz unter tere, politisch schwierige Massnahmen stehen anderem des Umbruchs in Libyen nach Qaddafi noch bevor und werden den grössten Teil des laufenden Jahrzehnts in Anspruch nehmen. Nachdem 2013 ein Hilfsprogramm für Zypern notwendig wurde, werden Portugal und Grie- chenland wahrscheinlich weitere Unterstützung benötigen. Irland versucht, ab 2014 wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Darüber hinaus Instrument Lageradar wird das europäische Bankensystem, dessen Der NDB benützt für die Darstellung der für die Schweiz Bilanzsumme immer noch dreimal grösser ist relevanten Bedrohungen das Instrument Lageradar. In als die jährliche Wirtschaftsleistung des Konti- einer vereinfachten Version ohne vertrauliche Daten ist nents, im Hinblick auf eine Stabilisierung der der Lageradar auch Bestandteil des vorliegenden Be- Finanzsysteme weiter schrumpfen sowie grosse richts. Diese öffentliche Version führt die Bedrohungen auf, die im Arbeitsgebiet des NDB liegen, ergänzt mit den sicherheitspolitisch ebenfalls relevanten Punkten „Migrationsrisiken“ und „organisierte Kriminalität“. Auf diese beiden Punkte wird im Bericht nicht eingegan- gen, sondern auf die Berichterstattung der zuständi- gen Bundesbehörden verwiesen. 8 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL zusätzliche Abschreibungen und Rücklagen paweit zu einem Legitimationsverlust der EU- vornehmen müssen. Die Kreditvergabe wird da- Institutionen und zu Gewinnen euroskeptischer durch über Jahre eingeschränkt bleiben, was die Parteien führen. Insgesamt könnte sich in einer wirtschaftliche Erholung verzögern wird. Poli- Phase, in der die EU-28-weite Integration stark tische Krisen wie 2013 in Zypern, Griechen- gebremst ist, die Entwicklung eines Europa mit land, Portugal und Italien schlagen regelmässig unterschiedlichen Geschwindigkeiten als ein auf die Ebene der Eurozone durch. Fortan wird Lösungsansatz erweisen. Weitere Integrations- auch der angekündigte graduelle Ausstieg in schritte sind zwar möglich, könnten sich aber den USA aus der expansiven Geldpolitik im inskünftig auf die Eurozone-18 oder eine noch international stark vernetzten Finanzsystem Er- kleinere Kernzone beschränken. So einigte sich schütterungen bis nach Europa verursachen. die Eurozone 2013 erstmals darauf, die nationa- Die Bewältigung dieser tiefgreifenden wirt- len Haushalte vor der Genehmigung durch die schaftlichen Krisenlage ist ein Testfall für die nationalen Parlamente einer Prüfung in Brüssel politische Ordnung Europas und damit für das unterziehen zu lassen. Im selben Jahr bildete unmittelbare Umfeld der Schweiz. Die europä- sich auch eine Kerngruppe von elf Ländern ische Einigung, wie wir sie seit dem Zweiten (inklusive Deutschland, Frankreich, Spanien Weltkrieg kennen, ist unvermittelt nicht mehr und Italien) für die Einführung einer Finanz- eine unveränderliche Gewissheit. Der politi- transaktionssteuer. 2014 werden zusätzliche sche Wille, die Errungenschaften der Integrati- umfangreiche Kompetenzen zur Überwachung on zu verteidigen, gewinnt bisher zwar immer des Bankensystems in der Eurozone an die Eu- wieder die Oberhand über einen politisch sehr ropäische Zentralbank vergeben werden. schwierigen Prozess des Krisenmanagements. Für die Schweiz als integralen Teil Europas Aber auch heute noch könnte ein schockarti- ist die Stabilisierung der Eurozone zunächst ger Vertrauensverlust in das angeschlagene von grösster wirtschaftlicher Bedeutung. Eine europäische Bankensystem die gemeinsame Verschärfung der Schuldenkrise auf grosse Währung und anschliessend den gemeinsamen EU-Länder und deren Bankensysteme birgt Markt gefährden. Dies würde zu gravierenden weiterhin erhebliche Risiken für unsere eigene politischen und sozialen Verwerfungen führen. Wirtschaft. Aber auch die Politik ist stark ge- Aber auch in einem langsameren, über Jahre fordert. Der Wandel der europäischen Ordnung erstreckten Verlauf der wirtschaftlichen und so- wird die Schweiz an unterschiedlichen Fronten zialen Krise, in dem die EU, der Euro und der unter Normierungs- und Solidarisierungsdruck gemeinsame Markt überdauern, wird Europa halten. Unsere offene Volkswirtschaft steht in vor erhebliche Herausforderungen gestellt sein: einem zunehmend härter geführten Wettbewerb Leere Staatskassen, steigende soziale Spannun- um Arbeitsplätze und Steuersubstrat. In vielen gen, zunehmend populistische politische Nei- Fällen werden schwierige Abwägungen von po- gungen und teilweise Renationalisierung der litischen und wirtschaftlichen Landesinteressen Aussen- und Sicherheitspolitik können euro- notwendig werden. L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 9
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL Russland verstärkt seine Einflussnahme Moldova zwar das Freihandelsabkommen mit in Europa der EU, sieht sich deshalb jedoch steigendem Für ein Europa in der Krise können sich mit- russischem Druck ausgesetzt. Den Fokus die- telfristig auch die sicherheitspolitischen Risi- ser starken west-östlichen Konkurrenz stellt ken wieder erhöhen. Russland ist daran, sich die Ukraine dar, die derzeit von einer heftigen intern zu konsolidieren und sein Augenmerk politischen Krise erschüttert wird. Während der wieder vermehrt nach aussen zu richten. Da- Westen des Kontinents mit der Schuldenkrise bei räumt Moskau den Herausforderungen an absorbiert ist, hat sich Russland mit jahrelan- seiner Südflanke, aber auch dem weiten Raum gem systematischem Druck über eine breite an seiner Westflanke Priorität ein. Ziel Russ- Palette von Machtmitteln in eine günstige Po- lands ist es, mittels der gezielten Schaffung sition versetzt, um auch eine neue Regierung in und Nutzung von vorwiegend wirtschaftlichen ihrem Handlungspielraum einzuschränken und und politischen Abhängigkeiten einen Puffer das Ziel weiterzuverfolgen, die Ukraine mittel- zwischen sich und dem Westen zu retablieren, fristig im eigenen Einflussbereich zu verankern. den es nach seiner eigenen Einschätzung mit Diese Entwicklung hat auch Bedeutung für den Osterweiterungen von EU und Nato verlo- die Schweiz. Während der russische Einfluss ren hat. Ende 2011 hat Belarus unter grossem in Osteuropa eine graduell steigende Tendenz Druck seine strategischen Wirtschaftssekto- zeigt und bis weit nach Zentral- und Westeu- ren an Russland verkauft. Ende 2012 gewann ropa hineinreicht, führt im Westen die lange in Georgien ein Premierminister mit starken wirtschaftliche Krisenlage, gekoppelt mit ei- Verbindungen nach Russland die Parlaments- ner verstärkten Orientierung der USA hin zum wahlen, und sein Kandidat siegte 2013 bei den asiatisch-pazifischen Raum, zu vermehrten Präsidentschaftswahlen. Ende 2013 wurde Ar- Unsicherheiten über die künftige Wahrneh- menien abrupt in die russisch dominierte Zoll- mung der europäischen und transatlantischen union gezogen. Und Ende 2013 paraphierte Nato-Bündnisverpflichtungen. Damit sind die FIN* NOR** Nord Stream Nato- und EU-Zone SWE* * nur EU-Mitglied EST ** nur Nato-Mitglied O s t s ee Moskau Zollunion mit Russland LVA DNK Gasexportrouten IRL LTU RUS Ölexportrouten GBR Minsk RUSSLAND NLD BELARUS KASACHSTAN POL BEL DEU Kiew LUX CZE UKRAINE SVK MDA South Stream FRA AUT* (geplant) CHE HUN SVN* Kaukasus HRV ROU GEO SRB S c h w ar z e s AZE ITA Meer ARM ESP BGR ALB** TUR** Mit t e l m e e r GRC NDB 10 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL Voraussetzungen für eine erneute west-östliche Damit verbunden ist vielerorts eine Professi- machtpolitische Konkurrenz in Europa ge- onalisierung der Streitkräfte, was sich positiv schaffen, eine Konkurrenz, die im überwunden auf die Bereitschaft, den Ausbildungsstand geglaubten Ost-West-Konflikt der vergangenen und damit auf die allgemeine Leistungsfähig- Jahrhunderte historisch verwurzelt ist. Die- keit der Streitkräfte auswirkt. Schwere Mittel se Konkurrenz kann zwischen dem Baltikum zur konventionellen Kriegführung werden aber und dem Balkan ganz unterschiedliche Inten- fortlaufend reduziert und nur teilweise durch sitäten und Ausprägungen annehmen. Sie wird neue spezifische Fähigkeiten ersetzt. Bei den auch die von der Schweiz in den letzten beiden europäischen Luftwaffen werden trotz beacht- Jahrzehnten stark entwickelten politischen und lichen Investitionen in Kampfflugzeugflotten wirtschaftlichen Beziehungsgeflechte in Euro- Fähigkeitslücken entstehen. Die Zahl der Län- pa tangieren können. Insbesondere werden die der ohne Kampfflugzeuge und damit ohne die Möglichkeiten, wie Russland seine Beziehun- Fähigkeit zur Durchführung des Luftpolizei- gen zur Einflussnahme auf die schweizerischen diensts wird zunehmen. Die Verteidigung der und europäischen politischen und wirtschaftli- einzelnen Staatsgebiete wird vermehrt an die chen Prozesse nutzt, vermehrt in den Fokus der Nato und die EU delegiert. Bei der Umsetzung Behörden geraten. der dem zugrundeliegenden Kooperationspro- gramme (Smart Defense / Pooling and Sharing) Militärische Potenziale in Westeuropa zeigen sich jedoch erhebliche Schwierigkeiten. abnehmend, in Russland zunehmend Sowohl die Schuldenkrise wie das Erstarken Russlands widerspiegeln sich auch in der Ent- Ukraine wicklung der militärischen Potenziale in Europa. Ende Februar hat Russland den seit vielen Jahren Bei west- und mitteleuropäischen Streitkräften ausgetragenen Konflikt mit der Ukraine eskaliert und werden Verteidigungs- und Rüstungsausgaben die militärische Kontrolle über die Halbinsel Krim tendenziell gekürzt; Mittel und Truppenbestän- übernommen. Damit hat die russische Führung den de werden reduziert. Der Trend geht weg von schwersten Ost-West-Konflikt in Europa seit dem Ende herkömmlichen Verteidigungsarmeen und hin des Kalten Kriegs ausgelöst. Die Krise ist der bisher zu Interventionsarmeen mit rasch einsetzbaren, deutlichste Hinweis darauf, wie sich das strategische flexiblen und modular aufgebauten Verbänden. Umfeld der Schweiz verändert. Der NDB hat hierzu regelmässig berichtet, ausführlich etwa im Lagebe- Warschau richt 2013: Russland erstarkt, anerkennt BELARUS die Osterweiterungen von Nato und EU Tschernihiw RUSSLAND POLEN Lutsk nicht und demonstriert den politischen Schytomyr Kiew Willen, den Status quo herauszufordern. Lemberg Charkiw Ternopil Poltawa Europa tritt damit definitiv in eine Ära Tscherkassy UKRAINE Luhansik ein, in der die Konkurrenz um west- Chernivtsi Dnipropetrowsk Kirowohrad östliche Einflusszonen wieder stärker Donezk MOLDOVA hervortritt. Diese Konkurrenz wird un- Mykolajiu Rostow Chisinau ter Einsatz von politischen, wirtschaftli- RUMÄNIEN Odessa chen und auch mit militärischen Mitteln Kertsch in einer breiten Zone von Finnland über Krim Krasnodar Simferopol Bukarest Feodosiya Novorossiysk Osteuropa bis in den Südkaukasus aus- Sewastopol Jalta getragen. NDB Schwarzes Meer L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 11
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL Und die Frage, wie die USA in einer Ära auf- ren aus. Damit kehrt Moskau dem Massenheer strebender machtpolitischer Pole im asiatischen sowjetischer Prägung konzeptionell endgültig Osten ihre traditionelle Verantwortung für die den Rücken. Wegen der anhaltend rückläufigen Stabilität der Ordnung in Europa inskünftig demografischen Entwicklung liegt der tatsächli- wahrnehmen werden, stellt sich mit einer Deut- che Truppenbestand allerdings derzeit rund ein lichkeit wie seit 1945 nicht mehr. Insgesamt ist Viertel unter dem Soll von einer Million Mann. über die nächsten zehn Jahre in West- und Mit- Dennoch dürften die russischen Streitkräfte ins- teleuropa von einer weiteren Schwächung der gesamt über die nächsten zehn Jahre substan- Verteidigungsfähigkeiten auszugehen. zielle Fähigkeitssteigerungen realisieren. Demgegenüber erhöht Russland seit der Jahrtausendwende kontinuierlich seine Vertei- Militärische Bedrohungen bleiben digungsausgaben. Es finanziert damit tiefgrei- nachgeordnet fende Streitkräftereformen, erstmals in dieser Militärische Potenziale im engeren Umfeld Ernsthaftigkeit seit dem Zusammenbruch der der Schweiz bleiben – wenn auch in immer ge- Sowjetunion und dem Niedergang der Roten ringerem Umfang – weiterhin vorhanden, wer- Armee. Seit 2011 läuft ein auf über 500 Mil- den allerdings hauptsächlich im Nato-Rahmen liarden Franken dotiertes zehnjähriges Rüs- bereitgestellt. Russland hat seine langsame, tungsprogramm. Es wird eine breite Moderni- aber systematische militärische Konsolidierung sierung des mehrheitlich veralteten Materials an die Hand genommen. Erkennbare Priorität bewirken, auch wenn das Programm am Ende haben dabei die Sicherung seiner Südflanke nicht vollständig umgesetzt wird. Bei den Luft- und die Konsolidierung einer Pufferzone ge- streitkräften sind Fortschritte bereits sichtbar. genüber der Nato an der Westflanke. Von sei- Ansehnliche Stückzahlen moderner Kampfflug- ner Absicht, sehr langfristig (über 2025 hinaus) zeuge befinden sich im Zulauf. Eine Erhöhung auch wieder über das Potenzial zu verfügen, um der Luftbetankungskapazitäten wird angestrebt. einen allfälligen konventionellen Grosskonflikt Die Streitkräftereformen umfassen auch schlan- mit dem Westen bestehen zu können, ist aus- kere Kommandostrukturen, die sich über die zugehen. Die nukleare Triade (land-, see- und nächsten Jahre einspielen dürften. Zudem weist luftgestützte Systeme) bleibt noch für eine lan- ein neues Wehrmodell im Kern einen deutlich ge Zeit seine Rückversicherung. höheren Anteil an Vertragssoldaten und ein Unter der Annahme einer einigermassen sta- neues professionelles Korps von Unteroffizie- bilen wirtschaftlichen Entwicklung in Russ- land, wofür der Rohstoffreichtum des Landes grundsätzlich gute Voraussetzungen liefert, Der Militärische Nachrichtendienst werden den Streitkräftereformen substanziel- Der Militärische Nachrichtendienst (MND) ist das per- le finanzielle Mittel zufliessen. Damit werden manente, oberste Nachrichtenorgan der Armee. Nebst die Streitkräfte über die nächsten zehn Jahre an anderen Aufgaben unterstützt er die laufenden oder in konventionellen Fähigkeiten gewinnen – bei Planung stehenden Einsätze der Armee. Er leistet zu- dem einen wesentlichen Beitrag zur zukunftsorientier- ten Weiterentwicklung der Armee, indem er die Einsät- ze zum Beispiel anderer Armeen und die Entwicklung im Militär- und Sicherheitsbereich mitverfolgt und analysiert. Im Rahmen dieser Aufgabe hat der MND am vorliegenden Bericht als Autor mitgewirkt. 12 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL der Luftwaffe rascher, bei den Landstreitkräf- unterhalb der Kriegsschwelle weiter am Sinken ten und der Marine langsamer. Diese Fähigkei- ist, sei dies im Bereich von Cyberangriffen oder ten werden dannzumal ausreichen, um seine nachrichtendienstlichen Aktivitäten oder sei es Interessen in einer Zone gegenüber der Nato- im Bereich von terroristischen Aktivitäten und Ostgrenze zu konsolidieren. Einzelne kritische der Bekämpfung derselben. Schlüsselfähigkeiten für die Führung eines Grosskriegs in Zentraleuropa werden jedoch Arabischer Frühling und der Umbruch im auch in zehn Jahren nach wie vor fehlen. Dazu Nahen und Mittleren Osten gehört etwa die Aufklärung und Logistik für Auch in der südlichen Nachbarschaft Euro- raumgreifende Operationen, wie dies für eine pas ist noch immer ein tiefgreifender Umbruch Front in Zentraleuropa notwendig wäre. Diese im Gange, der sich mittlerweile ins vierte Jahr Entwicklung wäre während ihrer Entstehung in nach den Revolten von 2011 zieht. 2013 ist in wesentlichen Elementen erkennbar. Ägypten, der historischen Führungsmacht in Ausserhalb Zentraleuropas kann der Einsatz der Region, die erste frei gewählte Regierung von militärischen Mitteln hingegen an der ge- nach dem Machtwechsel durch einen Putsch samten europäischen Peripherie ohne grosse beseitigt worden. Seither dominieren wieder Vorwarnzeit erfolgen. Dank neuen Technolo- die Militärs und drängen die Muslimbruder- gien können heute weltweit begrenzte risikore- schaft erneut in den Untergrund. Die innere duzierte militärische Aktionen mit kurzen Vor- Sicherheit bleibt prekär, und vor den neuen bereitungszeiten aus dem rückwärtigen Raum Machthabern türmen sich derweil die wirt- ausgelöst und mit hoher Präzision durchgeführt schaftlichen Herausforderungen auf. In Syrien werden. Durch die anhaltende Proliferation der scheint der Tiefpunkt der Krise noch nicht er- Technologien für die Herstellung von Massen- reicht: Das Regime griff 2013 wahrscheinlich vernichtungswaffen und weitreichenden Träger- mehrfach zum Mittel des Chemiewaffeneinsat- systemen entwickelt sich auch die Bedrohung zes, entging einer amerikanischen militärischen für die Schweiz aus entfernten Regionen weiter. Vergeltung nur knapp und gräbt sich seither in Darüber hinaus kann beobachtet werden, dass der Hauptstadt und strategisch wichtigen Regi- die Hemmschwelle zum Einsatz von Gewalt onen und Achsen immer tiefer ein. Den zerstrit- TÜRKEI Ti g Al Kamischli ris Jarabulus Ras Al-Ayn Azaz Manbij Al Hasaka Aleppo Assad Idlib See Ar Rakka Jisr Ash-Shughur Maarrat Latakia An-Numan Eu ph ZYPERN Dair as Saur ra Baniyas Hama t Salamiyah SYRIEN Tartus Homs Mittelmeer Tadmur Abu Kamal (Palmyra) An-Nabk LIBANON Sab Abar Duma IRAK At-Tanf Damaskus Golan- höhen ISRAEL Dara As-Suwayda Jo rd an Salkhad JORDANIEN NDB L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 13
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL tenen Rebellenorganisationen gelingt es dabei nen sich neue Freiräume für terroristische oder nicht, eine in den Augen der Mehrheit der Sy- kriminelle Organisationen. Für die Schweiz rer glaubwürdige Alternative aufzubauen. Im- werden deshalb eine ganze Reihe von Prob- merhin ist ein Prozess in Gang gekommen, die lemfeldern die unverminderte Aufmerksamkeit grossen Bestände an chemischen Kampfstoffen der Behörden verlangen: Die Bedrohung der dem Zugriff der Kriegsparteien mehrheitlich zu Sicherheit von Staatsangehörigen und diplo- entziehen. Auch in zahlreichen anderen Län- matischen Vertretungen in der Region, terroris- dern der Region überwiegen Probleme der in- tische Bedrohungen und Entführungsfälle, die neren Sicherheit, enger werdender wirtschaftli- Störung von Handel und Energieversorgung, cher Spielräume und der ungelösten Integration die Bewältigung von Sanktionsregimen und des politischen Islams. Zwar hat die Welle der Potentatengeldern sowie die Migration aus den Revolte seit 2011 keine weiteren Staaten erfasst Krisengebieten. und insbesondere die für die globale Energie- versorgung wichtigen Golfmonarchien wur- Schwerpunktthema Informationssicherheit den – mit der Ausnahme von Bahrain – bisher nach der Affäre Snowden kaum betroffen. Aber die Folgen der Ereignisse Im Sommer 2013 rückten die durch Edward sind über die Region hinaus zu spüren. Die Sa- Snowden ins Rollen gebrachten Enthüllun- helzone, wo seit Ende 2012 eine von Frankreich gen die Kommunikationsüberwachung durch angeführte internationale Intervention mit Zen- Nachrichtendienste ins Scheinwerferlicht der trum in Mali läuft, ist durch den Machtwechsel weltweiten Öffentlichkeit. Nicht nur Hacker in Libyen zusätzlich destabilisiert worden. gefährden im Einzelfall die – weit über den Der Ausgang dieses Umbruchs ist nach wie Datenschutz hinausreichende – Informationssi- vor offen. In Syrien wird das Regime mögli- cherheit, sondern auch Staaten beeinträchtigen cherweise überleben – zwar ohne Kontrolle diese potenziell auf umfassende Weise. Die über grosse Randgebiete des Landes, aber als Problematik erhält dadurch eine sicherheitspo- legitimer Ansprechpartner der internationalen litische Dimension. Staaten beziehungsweise Gemeinschaft. Ägypten, Tunesien und Libyen deren Nachrichtendienste beschaffen zum ei- ringen mit unterschiedlichen Strategien und nen durch Kommunikationsüberwachung und Mitteln um eine Stabilisierung der Machtver- aktives Eindringen in Informatiksysteme ver- hältnisse. Die Schweiz unterstützt den schwie- trauliche Informationen auf breiter Front. Sie rigen und langwierigen Transformationsprozess können diese zum anderen unter Umständen in diesen Ländern. Aber sie kann sich den Risi- auch verfälschen und so sogar Prozesse und ken im südlichen und östlichen Mittelmeerraum Infrastrukturen sabotieren. Insbesondere die nicht entziehen: Die wirtschaftliche Entwick- mutmasslich enge Zusammenarbeit der USA lung ist zurückgeworfen, die innere Sicherheit mit Schlüsseltechnologiefirmen bis hin zur problematisch. Es kommt zu unkontrolliertem möglichen Korrumpierung der Produktesicher- Zufluss und Abfluss von Waffen, und es öff- heit stellt eine neue Dimension dar. Dies gilt 14 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL aber nicht nur für die im Kreuzfeuer der Dis- aktivitäten ein. Sie hat ebenfalls Sanktionen kussionen stehenden USA, auch andere Länder gegen Iran ergriffen, die über die UNO-Sank- benützen vermehrt Mittel der elektronischen tionen hinausgehen und sich weitgehend an Spionage. Die Auswirkungen dieser Entwick- den EU-Sanktionen orientieren. Die Schweiz lung auf die Informationssicherheit bilden das als innovativer, wettbewerbsfähiger Werkplatz Schwerpunktsthema dieses Berichts. und Wirtschaftsstandort hat ein besonderes Nachfolgend ein Überblick über weitere Interesse daran, Beschaffungsversuche und wichtige Themen auf dem Radar des NDB. Umgehungsgeschäfte zu verhindern und in der Schweiz tätige Firmen wie auch Forschungs- Proliferation und Bildungseinrichtungen gegenüber Reputa- Die Weiterverbreitung von Massenvernich- tionsrisiken von Geschäften beziehungsweise tungswaffen und deren Trägersystemen ist Beziehungen mit proliferationskritischen Län- eines der grossen Problemfelder unserer Zeit dern zu sensibilisieren. und Gegenstand zunehmend enger multilatera- ler Kooperation. Eine Reihe von Staaten steht Terrorismus unter Beobachtung. Syrien ist 2013, nach Be- Der Terrorismus stellt weiterhin eine Bedro- kanntwerden des Einsatzes chemischer Waffen, hung für die innere und äussere Sicherheit der der Organisation für das Verbot chemischer Schweiz dar. Die Bedrohung geht vor allem Waffen (OPCW) beigetreten und kooperiert vom dschihadistischen Terrorismus aus, das derzeit bei der internationalen Kontrolle und heisst von der global ausgerichteten, von der anschliessenden Vernichtung seines Chemie- Ideologie der al-Qaida inspirierten Bewegung. waffenarsenals. Im Zentrum der Besorgnis Zwar ist die Schweiz weiterhin kein erklärtes steht allerdings nach wie vor die Entwicklung prioritäres Ziel dschihadistisch motivierter in Iran und Nordkorea. Betreffend Iran hat die Gruppierungen. Aber auch ideologisch radi- Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) kalisierte Einzeltäter können Terroranschläge wiederholt den Verdacht formuliert, dass dieses verüben, und Schweizerinnen und Schweizer Land sein Nuklearprojekt nicht ausschliesslich können im Ausland, wie in den letzten Jahren für zivile Ziele verwendet, sondern seit Jahren verschiedentlich geschehen, weiterhin Opfer verdeckt an der Entwicklung einer Kernwaffe von terroristisch motivierten Entführungen arbeitet. Iran und die fünf ständigen Mitglie- oder Anschlägen werden. Darüber hinaus ist der des UNO-Sicherheitsrats (USA, Grossbri- darauf hinzuweisen, dass ausländische Inter- tannien, Frankreich, Russland und China) plus essen in der Schweiz – zum Beispiel Botschaf- Deutschland haben im November 2013 ein ten – oder in unserem Land anwesende supra- Übergangsabkommen erzielt, als Basis für wei- oder internationale Organisationen fallweise tere Verhandlungen über eine mögliche umfas- oder permanent einer höheren Bedrohung sei- sende Lösung des Nuklearstreits. Die Schweiz tens terroristischer oder gewaltextremistischer setzt sich entschieden gegen Proliferations- Gruppierungen ausgesetzt sein können. L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 15
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL Die in Europa festgestellte Zunahme von jedoch lassen sich in beiden Szenen keine Hin- dschihadistisch motivierten Reisebewegungen weise auf Entwicklungen hin zu terroristischen hält weiter an, insbesondere nach Syrien. Der Aktivitäten erkennen. NDB geht von rund 15 Dschihadreisenden aus der Schweiz Richtung Syrien aus; jedoch Verbotener Nachrichtendienst sind fast alle diese Fälle nach nachrichten- Die Snowden-Affäre hat die Einschätzung dienstlichen Kriterien nicht bestätigt. Es liegt bestätigt, dass Spionageaktivitäten auch un- im Interesse der Schweiz, nicht nur Anschläge ter sogenannt befreundeten Nationen stattfin- im eigenen Land zu verhindern, sondern auch den. Weiterhin sind Politik und Wirtschaft der Handlungen, die terroristische Aktivitäten im Schweiz, aber auch hier niedergelassene aus- Ausland ermöglichen oder erleichtern könnten. ländische Vertretungen und internationale Insti- tutionen Ziel von Spionage durch die Nachrich- Rechts- und Linksextremismus tendienste verschiedener Staaten. Diese Dienste Der gewalttätige Extremismus in der Schweiz bedienen sich dabei verschiedener Spionage- ist nicht staatsgefährdend. Zudem ist seit rund methoden, und neben traditionellen Mitteln wie zwei Jahren die Lage ruhiger als zuvor. Zum insbesondere dem Einsatz von menschlichen einen tritt die gewaltbereite rechtsextreme Sze- Quellen steht immer stärker die elektronische ne kaum mehr öffentlich und organisiert auf; Spionage im Vordergrund. Gewalttaten haben meist spontanen Charakter, werden häufig unter Alkoholeinfluss verübt Energiesicherheit und lassen keinerlei strategische Dimension In Zeiten krisenhafter Wirtschaftsentwick- erkennen. Zum anderen übt sich die linksex- lungen und politischer Verwerfungen dringt treme Szene weiterhin in taktischer Zurückhal- die Abhängigkeit von Rohstoff- und Energie- tung, die sich in einer nachlassenden Intensität importen stärker ins Bewusstsein der Öffent- der Gewalttaten zeigt. Über die letzten zehn lichkeit. Was die Energiesicherheit der Schweiz Jahre ist die gewaltbereite rechtsextreme Sze- anbelangt, haben sich die Risiken nicht verän- ne geschrumpft, die linksextreme gewachsen. dert. Sie ist bei den Ölimporten dank eines gut Ihr jeweiliges Gewaltpotenzial hat sich dabei funktionierenden internationalen Erdölmarkts nicht verändert: Es ist als erheblich anzusehen, gewährleistet, auch in Zeiten erhöhter Unsi- „Tanz Dich Frei“ – Ausschreitungen am 25. Mai 2013 in Bern 16 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
STRATEGISCHES UMFELD IM WANDEL cherheiten in den Krisenregionen des Nahen treiber kritischer Infrastrukturen als Erbringer und Mittleren Ostens. Strukturell anders gela- von Leistungen mit übergeordneter sicherheits- gert ist der Fall bei den Erdgasimporten, bei de- relevanter Bedeutung, der IKT-Leistungserbrin- nen ein integrierter internationaler Markt noch ger und der Systemlieferanten, in eine Strategie nicht existiert und die Schweiz aufgrund der zum Schutz vor Cyberrisiken ist deshalb essen- Abhängigkeit von fixen Pipelinesystemen stark ziell. auf Russland ausgerichtet ist. Diese Lage wird sich in naher Zukunft nicht verbessern, nach- dem das EU-Grossprojekt Nabucco in seiner Funktion als wichtigstes nicht-russisches alter- natives Pipelinesystem auf dem europäischen Kontinent nicht realisiert wird. Längerfristig hat die technologische Revolution im Zusam- menhang mit der Förderung von Schiefergas das Potenzial, die Entwicklung eines internati- onalen Erdgasmarkts zu beschleunigen und die Energiesicherheit auch der Schweiz positiv zu beeinflussen. Cyberbedrohungen Viele Dienstleistungen werden heute über elektronische Kanäle angeboten und genutzt. Damit wachsen die Präsenz aller Akteure im In- ternet und die Abhängigkeit der kritischen Infra- strukturen von solchen Informations- und Kom- munikationstechnologien. Zusätzlich nehmen die Bedrohungen im Cyberraum zum Beispiel durch Angriffe mit Betrugs- beziehungsweise Bereicherungsabsichten oder Wirtschaftsspio- nage zu. Cyberangriffe auf kritische Infrastruk- turen können besonders gravierende Folgen haben, weil sie lebenswichtige Funktionen wie zum Beispiel die Stromversorgung oder Tele- kommunikationsdienste beeinträchtigen oder fatale Kettenreaktionen auslösen können. Der Einbezug der Wirtschaft, insbesondere der Be- L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 17
SCHWERPUNKT: INFORMATIONSSICHERHEIT NACH DER AFFÄRE SNOWDEN Schwerpunkt: Informationssicherheit nach der Affäre Snowden Informationstechnologie: Grosse Chancen, diese potenziell auf umfassende Weise. Die aber auch substanzielle Risiken Problematik erhält dadurch eine sicherheitspo- Generell werden die neuen Möglichkeiten litische Dimension. Staaten beziehungsweise der Informationstechnologie primär als grosser deren Nachrichtendienste beschaffen zum ei- Fortschritt gewertet. Datenbanken und Infor- nen durch Kommunikationsüberwachung und mationen werden immer enger vernetzt und die aktives Eindringen in Informatiksysteme ver- verschiedenen Informatikgeräte wie Telefon, trauliche Informationen auf breiter Front. Sie Computer, Kamera oder Musikwiedergabege- können diese zum anderen unter Umständen rät verschmelzen zu einem einzigen tragbaren auch verfälschen und so sogar Prozesse und In- Gerät. Umgekehrt zeichnen sich aber auch frastrukturen sabotieren. Dies gilt nicht nur für neue grosse Risiken ab, insbesondere in den die derzeit im Kreuzfeuer der Diskussionen ste- Bereichen Datenschutz, Informationssicher- henden USA, sondern auch für andere Länder heit und kritische Infrastrukturen. Diese In mit grossen Nachrichtendiensten und technolo- frastrukturen (von der Elektrizitätsversorgung gischen Schlüsselkompetenzen. über Kommunikations- und Finanzdienstleis- tungen bis hin zu Wasserversorgung und Le- Durchdringung der Kommunikation tiefer bensmittellogistik) werden durch gezielte Stö- als angenommen rungen bedroht. Die Problematik breit angelegter, internatio- naler Kommunikationsüberwachung ist grund- Neue Bedrohungsdimension durch sätzlich spätestens seit den ersten Diskussionen umfassende Überwachungstätigkeiten in den späten 1990er-Jahren unter dem Stich- Im Sommer 2013 rückten die durch Edward wort „Echelon“ bekannt. Damals wurde unter Snowden, einen ehemaligen Mitarbeiter ame- anderem im Rahmen einer Untersuchung des rikanischer Nachrichtendienste, ins Rollen europäischen Parlaments über ein weltweites gebrachten Enthüllungen die Kommunikati- Spionagenetz der USA, Grossbritanniens, Ka- onsüberwachung durch Nachrichtendienste ins nadas, Australiens und Neuseelands berichtet. Scheinwerferlicht der internationalen Öffent- Dennoch ist das Ausmass fast flächendeckender lichkeit. Zuvor war die Problematik primär in und mit entsprechendem finanziellem, techni- Fachkreisen diskutiert worden. Nicht nur Ha- schem und personellem Aufwand betriebener cker gefährden im Einzelfall die – weit über den Überwachungen für viele überraschend. Auch Datenschutz hinausreichende – Informationssi- die mutmassliche direkte Beauftragung gro- cherheit, sondern auch Staaten beeinträchtigen sser Kommunikationsfirmen mit anscheinend Rechts: Angriffswege auf Informationstechnologien 18 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
SCHWERPUNKT: INFORMATIONSSICHERHEIT NACH DER AFFÄRE SNOWDEN nur kursorischer rechtlicher oder politischer Elektronische Angriffe reduzieren Überprüfung, kombiniert mit einem allenfalls Entdeckungsrisiko auch diesen Firmen unbekannten, verdeckten Bis vor wenigen Jahren bedeutete Spionage Zugang zu Hauptsträngen der Kommunikation, oder im Konfliktfall auch Sabotage, dass nach- ist in dieser flächendeckenden Systematik neu. richtendienstliche Agenten das Zielland selbst Insbesondere amerikanische Nachrichtendiens- betreten oder eine Bürgerin oder einen Bürger te sollen seit Jahren systematisch Verschlüsse- dieses Landes im Ausland gezielt persönlich lungen aufgebrochen und geschwächt sowie in- anwerben mussten. Damit bestand das Risiko, ternationale Kryptostandards beeinflusst haben. enttarnt und verhaftet zu werden. Diese Situa- Wenn auch stichhaltige Beweise für diese Be- tion hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn hauptungen zu einem guten Teil fehlen, haben Jahren grundlegend verändert. Durch die Ver- die Enthüllungen einer grösseren Öffentlichkeit bindung früher zum Teil noch voneinander ge- neue Bedrohungen durch eine fast unbegrenzte trennter Informatiknetzwerke über das Internet und unkontrollierte Nutzung der heutigen Mög- und die weltweite Verknüpfung von Infrastruk- lichkeiten der Informations- und Kommunika- turen sind die Kommunikation dieser Systeme tionstechnologien für Spionagezwecke bewusst untereinander und der Fernzugriff auf solche gemacht. Ebenso werfen sie ein Schlaglicht auf Systeme weltweit möglich geworden. Durch die grundsätzliche Frage, inwiefern eine mög- das Mittel elektronischer Angriffe kann auf In- lichst komplette Erfassung der verfügbaren formationen eines Ausforschungsziels zugegrif- Kommunikations- und Datenkanäle auf Vorrat, fen – oder können diese beeinflusst – werden, um fallspezifisch gewisse Sensoren zu aktivie- ohne dass das Zielland je betreten werden muss. ren, effizient und vor allem rechtsstaatlich kon- Selbst kleinere Staaten oder nichtstaatliche Ak- trollierbar ist. teure können heute ihre wirtschaftlichen Kon- kurrenten oder politischen Gegner auf diesem Weg gezielt ausspionieren. Bei solchen Angrif- fen wird vor allem Schadsoftware eingesetzt, Provider Nutzer Nutzer 1 2 3 1 Erhebung von Daten per Verpflichtung (NSA – amerikanische Unternehmen) 2 Zugang zu Daten per Angriff auf Provider (grosse Nachrichtendienste) Nachrichtendienst 3 individueller, gezielter Angriff (herkömmlich) L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 19
SCHWERPUNKT: INFORMATIONSSICHERHEIT NACH DER AFFÄRE SNOWDEN Kommunikationsüberwachung durch die USA – die aktuellen Erkenntnisse Die seit Sommer 2013 durch Edward Snowden ins Rollen gebrachten Enthül- lungen verschiedener internationaler Medien zeichnen ein relativ scharfes Bild der Fähigkeiten amerikanischer Nachrichtendienste in der Kommunikationsüber- wachung und ihrer Möglichkeiten, in Computernetzwerke einzudringen. Was den Einsatz solcher Mittel im Ausland betrifft, widersprechen die USA diesen Erkennt- nissen grösstenteils nicht. Für die Einschätzungen gibt es derzeit keine Beweise im strafrechtlichen Sinn, wohl aber zahlreiche unabhängige Hinweise und Indizien. Wie oben erwähnt, dürften einige andere Nachrichtendienste mindestens teilweise auch über vergleichbare Möglichkeiten verfügen. Die National Security Agency (NSA) betreibt demnach mehrere sich ergänzende Organisationen und Programme. So werden Informationen über weltweit verteilte passive Abhöreinrichtungen an Internetknotenpunkten erfasst. Die NSA verfügt aber auch über eine Einheit, um in fremde Systeme einzudringen. Das Vorgehen bei der Beschaffung von Informationen lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen: ▪▪ Bei schwacher Verschlüsselung können die Daten sofort geknackt werden. ▪▪ Stammt die Verschlüsselung von einem amerikanischen Unternehmen, verlangt die NSA von diesem den Zugang und die Entschlüsselung der Daten. ▪▪ Der Datenzugriff erfolgt mit aktiven Massnahmen auch direkt auf die Netzwer- ke, um die Daten vor Ort und noch unverschlüsselt zu erfassen. Die NSA scheint sich zudem in den unverschlüsselten Verkehr zu den Rechenzentren grosser In- ternetdienstleister eingeklinkt zu haben. ▪▪ Die NSA nimmt zudem Einfluss auf kommerziell genutzte Verschlüsselungs- algorithmen – zum einen über die Förderung generell schwacher Verschlüsse- lungen, zum anderen über eingebaute Hintertüren oder Passepartouts, die die Entschlüsselung erleichtern. Aufgrund der bisherigen Fakten und Überlegungen kann davon ausgegangen werden, dass die USA – und möglicherweise auch weitere Länder – Zugang zu mindestens einem Teil der schweizerischen Kommunikationsinfrastruktur haben. Die Ausspähung richtet sich vermutlich vorwiegend gegen Drittstaaten auf dem Platz Genf und wohl teilweise auch gegen politische und wirtschaftliche Interessen der Schweiz. Nach den verfügbaren Informationen dürfte die NSA in grossem Ausmass Daten sammeln und speichern, um sie bei Bedarf Leistungsbezügern der US-Adminis- tration zur Verfügung zu stellen. Die amerikanischen Nachrichtendienste verfü- gen mutmasslich über Mittel und Möglichkeiten, die amerikanische IT-Industrie für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Schliesslich können IT-Systeme, die von den USA eingebaute Schwachstellen haben, auch Angriffsflächen für Dritte bieten. 20 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
SCHWERPUNKT: INFORMATIONSSICHERHEIT NACH DER AFFÄRE SNOWDEN die an ausgesuchte Opfer versendet wird. Auch henden USA; auch einige andere Länder verfü- werden so Eingriffe in Steuerungsanlagen mög- gen zumindest potenziell über solche Möglich- lich, die zu einer gezielten Sabotage etwa von keiten. Fabrikationsanlagen oder kritischen Infrastruk- turen benützt werden können. Eine weitere Be- Grundsätzliche Fragen zur Nutzung von drohung ist, dass Informationen durch Schad- Grundtechnologien software unwiederbringlich zerstört – wogegen Die Implikationen einer breit angelegten, zu- allenfalls solide Backupkonzepte helfen – oder mindest von aussen umfassend erscheinenden schleichend verfälscht werden können, was viel Nutzung von Internettechnologien für nach- schwieriger zu entdecken wäre. richtendienstliche Zwecke werden erst langsam erkannt. Wenn grundlegende Informations- und Gefahr der Korrumpierung der Kommunikationstechnologien der weltwei- Informationstechnologien ten Vernetzung als nicht mehr zuverlässig er- Für einige im Bereich der Informationstech- scheinen, können Schutzmassnahmen nur sehr nologien führende Staaten sind noch tiefere, schwierig getroffen werden, ist es doch prak- weltweite Eingriffsmöglichkeiten in an sich tisch nicht mehr möglich, sich der Nutzung die- gesicherte Informationsnetzwerke entstanden. ser Technologien komplett zu entziehen. Auch Die technische Entwicklung vor allem von die rechtliche Einordnung dieser Aktivitäten ist Netzwerkkomponenten und Systemsoftware schwierig; wie weit geht legitime internationale ist auf wenige Grossfirmen in diesen Staa- Terrorismusbekämpfung – und auf wessen An- ten konzentriert. Durch den direkten Zugriff ordnung –, und was stellt eine Verletzung der auf die Herstellung und Programmierung bei Privatsphäre oder Spionage dar? Während im diesen Firmen und hier insbesondere auf die innerstaatlichen Bereich Kommunikationsüber- Updates der Netzwerkkomponenten und Be- wachung zumindest in demokratischen Ländern triebssysteme oder auch durch die künstliche meist streng kontrolliert wird und richterlich im Schwächung von Verschlüsselungssystemen ist Einzelfall bewilligt werden muss, ist im inter- es diesen Staaten beziehungsweise deren Nach- nationalen Bereich der Eingriff in die Kommu- richtendiensten grundsätzlich möglich, direkt in nikation von Drittstaaten nicht umfassend gere- die gewünschten Systeme einzugreifen. Da so gelt beziehungsweise wird aus Sicht des jeweils kein systemfremder Schadcode eingesetzt wird agierenden Staats als legitim angesehen. und die Manipulation zum Teil des gelieferten Systems wird, ist es für das Opfer der Ausfor- Mögliche Lösungen durch einseitige schung bei der heutigen Komplexität der Syste- Erklärung oder internationalen Diskurs me sehr schwierig zu erkennen, dass überhaupt Im Zentrum steht die Frage, inwieweit ein ein Angriff stattfindet. Dies gilt nicht nur für die Land mit einer starken Vormachtstellung im im Kreuzfeuer der aktuellen Diskussionen ste- Bereich der Informatik- und Netzwerktechno- L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 21
SCHWERPUNKT: INFORMATIONSSICHERHEIT NACH DER AFFÄRE SNOWDEN logien bereit ist, seine Dominanz gegenüber hat im Menschenrechtsrat der UNO zusammen anderen auszuspielen, beziehungsweise die mit Deutschland, Österreich und Liechtenstein Frage, ob sich ein solches Land über seine Vor- eine Initiative zum Schutz der Privatsphäre im machtstellung und die globalen Implikationen, Internetzeitalter eingereicht und unterstützte die diese mit sich bringt, überhaupt im Klaren eine von Brasilien und Deutschland vorgelegte ist. UNO-Resolution zum Schutz der Privatsphäre Am Ende zielt diese Frage auf die Zuver- im digitalen Zeitalter. Die Resolution, die im- lässigkeit von Partnerschaften mit solchen merhin einen Empfehlungscharakter hat, ist Ländern, was den Schutz vor Willkür oder von der Generalversammlung der UNO Mitte Machtmissbrauch angeht. Eine entsprechende Dezember 2013 angenommen worden. Planungs- und Rechtssicherheit bildet auch für die Wirtschaft das Fundament im Umgang mit Einführung national abgeschotteter Partnern, die im Rechtsbereich dieser Länder Netzwerke die schlechtere Lösung handeln. Eine länger andauernde Phase der Unklarheit Es geht dabei um eine politische Klarstellung und Unberechenbarkeit könnte zur Folge haben, gegenüber Dritten, welche Ziele diese Länder dass Staaten, die ihre Souveränität im Bereich mit der Kommunikationsüberwachung verfol- der Informationssicherheit bewahren wollen, gen und wieweit sie beabsichtigen, dabei ihr mittelfristig auf jeweils eigene, unabhängige Eigeninteresse auf Kosten der anderen durch- IKT-Lösungen setzen müssen. Dies fände al- zusetzen: Entweder sind technologische Leit- lerdings nicht mehr im Rahmen des weltwei- staaten gewillt, mit ihrer Rechtsordnung und ih- ten Wirtschaftswettbewerbs statt, sondern bil- rem Einfluss auf die einheimische – aber global dete eine sicherheitspolitische Massnahme in tätige – Industrie ihre eigenen sicherheitspoli- expliziter Abgrenzung zu den Produkten aus tischen (und möglicherweise wirtschaftlichen) den technologischen Leitstaaten. Diese Lösung Interessen zum Nachteil anderer Staaten zu wäre ineffizient, weil sie zusätzliche Schnitt- verfolgen. Oder sie verzichten explizit hierauf stellen schafft und die Technologieentwicklung und setzen solche, den anderen Ländern nicht verlangsamt, und mit hohen Kosten für den zur Verfügung stehenden Mittel nur internatio- Staat, aber auch für die Wirtschaft und speziell nal koordiniert für gemeinsam anerkannte Ziele die kritischen Infrastrukturen verbunden. Sinn- wie die gemeinsame Terrorismusbekämpfung voll könnte hingegen sein – und ist zum Teil ein. Es ist die Aufgabe der Staatengemeinschaft, heute schon Praxis –, dass zum Beispiel eine diese Fragen im internationalen Diskurs zu stel- Regierung oder auch eine private Organisati- len und auf deren Klärung zum Beispiel im on für besonders sensible Informationen ein Rahmen internationaler Abkommen hinzuarbei- physisch von anderen Netzwerken getrenntes ten. Die Schweiz ist zu diesem Thema in mul- Netzwerk aufbaut. Dies kann zwar keine ab- tilateralen und bilateralen Foren aktiv tätig. Sie solute, aber eine stark verbesserte Sicherheit 22 L AGEBE R I C HT 2014 | N D B
SCHWERPUNKT: INFORMATIONSSICHERHEIT NACH DER AFFÄRE SNOWDEN bieten. Diese Fragen werden zu diskutieren sein, zum Beispiel bei der Umsetzung der im Juni 2012 vom Bundesrat verabschiedeten nati- onalen Strategien zum Schutz der Schweiz vor Cyberrisiken und zum Schutz kritischer Infra- strukturen. Die Affäre Snowden und das neue Nachrichtendienstgesetz Wie andere Staaten hat auch in der Schweiz der Nachrichtendienst in einem gewissen Rahmen Kompetenzen für die strategische Kommunikationsaufklä- rung im Ausland. Diese steht allerdings nur schon technisch bedingt auf einer bedeutend tieferen Ebene als zum Beispiel in den USA, gehört die Schweiz doch in diesem Bereich nicht zu den technologischen Leitstaaten. Das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) soll hier einen klaren rechtlichen Rahmen setzen und neu zudem eine gesetzliche Regelung für Fernmelde- und Compu- terüberwachungen im Inland schaffen. Die Regelungen des NDG beschränken die Anwendung solcher Mittel auf wichtige sicherheitspolitische Bedrohungs- lagen, binden sie an die Verhältnismässigkeit und Notwendigkeit und unter- stellen sie justiziellen oder politischen Genehmigungs- und Kontrollverfahren oder gar beidem. Ein vollständiger Verzicht auf Mittel der Kommunikations- aufklärung ist aber nicht im Interesse der Schweiz und überliesse das Feld erst recht Dritten. Die Schweizer Abwehrorgane wären wie heute weiterhin kaum in der Lage, solche Aktivitäten auch nur ansatzweise festzustellen und aufzuklären, weil ihnen der Zugang zu diesen Datenkanälen verboten bliebe. Wirksame eigene Aufklärungs- und Abwehrmittel sind in genau definierten Fällen notwendig, um die Sicherheit der Schweiz zu schützen und ihre Sou- veränität zu bewahren. Die Botschaft des Bundesrates zum NDG trägt mit den eingebauten Sicherheiten und Einschränkungen den Gefahren einer fast unbeschränkten und kaum zielgerichteten technischen Aufklärung Rechnung. Das NDG ist nicht auf die umfassende Überwachung von Datenströmen aus- gerichtet, sondern auf die zielgerichtete Erfassung von Kommunikationen, für die konkrete Anhaltspunkte für sicherheitsbedrohende Inhalte bestehen. Da- mit sind zentrale Forderungen zu Kritikpunkten an der Praxis der NSA schon vor deren Bekanntwerden im Entwurf des NDG erfüllt worden. L AG E BE R ICH T 2 0 1 4 | NDB 23
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