Digitale Signale Gesellschaftliche Teilhabe heute - FES Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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Digitale Signale Gesellschaftliche Teilhabe heute Jan Engelmann und Philipp Otto im Gespräch mit: Thorben Albrecht Barbara Blaha Lilly Blaudszun Christina Boll Valentina Kerst Matthias C. Kettemann Daniela Kolbe Elvan Korkmaz-Emre Paul Nemitz Mathias Richel Daniel Seitz Oliver Suchy Frank Wagner Jens Zimmermann
Impressum 6/2021 Friedrich-Ebert-Stiftung Medienpolitik Godesberger Allee 149 53175 Bonn www.fes.de/medienpolitik Für diese Publikation ist in der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich: Roland Feicht Für diese Publikation ist beim iRights.Lab verantwortlich: Philipp Otto Autoren Jan Engelmann und Philipp Otto Redaktion Roland Feicht Gestaltung und Satz Christoph Löffler, iRights.Lab Digitale Signale Verlag Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendi- gerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung. Publikationen der Friedrich-Ebert-Stif- tung dürfen nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden. ISBN: 978-3-96250-936-1 Gesellschaftliche Teilhabe heute Creative-Commons-Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0 Die Texte dieses Werks sind unter der Creative-Commons-Lizenz des Typs „Crea- Jan Engelmann und Philipp Otto im Gespräch mit: tive Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz“ lizenziert. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, besu- Thorben Albrecht chen Sie https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. Diese Lizenz beinhal- Barbara Blaha tet unter anderem, dass die Texte bei Nennung der Autoren und dieser Publikation Lilly Blaudszun als Quelle ohne Veränderung veröffentlicht und weitergegeben werden dürfen. Aus- Christina Boll genommen von dieser Lizenz sind alle Nicht-Text-Inhalte wie Fotos, Grafiken und Valentina Kerst Logos. Matthias C. Kettemann Daniela Kolbe Bildnachweise: Elvan Korkmaz-Emre Titel: picture alliance / empics | Jane Barlow Paul Nemitz Seite 8: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Eugene Hoshiko Mathias Richel Seite 16: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow Daniel Seitz Seite 24: picture alliance/dpa | Andreas Arnold Oliver Suchy Seite 32: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Eugene Hoshiko Frank Wagner Jens Zimmermann
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DIGITALE SIGNALE 5 Inhalt 8 14 6 Einleitung 8 KAPITEL 1: Wie gelingt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie? 14 KAPITEL 2: Wie lernen wir in Zukunft? 22 KAPITEL 3: Was bedeutet Gute Arbeit, wenn deine Kollegin eine Maschine ist? 30 KAPITEL 4: Welche Öffentlichkeit erhält die Demokratie? 22 30 38 Die Autoren 39 Die Friedrich-Ebert-Stiftung
6 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DIGITALE SIGNALE 7 Einleitung Die beiden Corona-Jahre 2020/21 werden etwas noch zu Schaffendes bzw. „Institu- • Organisationale Planung verläuft schweren Akzeptanzkrise der Politik und der Sozialen Demokratie durch die Digi- gesprächen organisiert werden, die hier als Zeitraum in die Geschichte eingehen, ierendes“ empfanden. nicht statisch, sondern bedeutet ein ihrer staatlichen Institutionen verfestigt? talisierung mit neuer Bedeutung versehen zusammengefügt werden. Durch den in dem die disruptiven Potenziale der Di- flexibles Reagieren auf sich rapide Darum geht es vor allem im letzten Kapi- werden können. Dies konnte für uns nicht Austausch der Meinungen konnten die gitalisierung endgültig kollektiv ins Be- Vielleicht fehlte der Digitalisierung vor wandelnde Rahmenbedingungen; tel dieser Broschüre. Aber zunächst geht anders funktionieren, als die Folgen der Interviewten auch Bezug aufeinander wusstsein und den Alltag drangen. Der der Pandemie tatsächlich eine Art Big Dashboards mit Echtzeitdaten er- es darum, den Nahbereich der Menschen Digitalisierung durch das Prisma der Pan- nehmen. Die wichtigste Erkenntnis aus öffentliche Diskurs über Inzidenzwerte, Bang, der alle mitriss. In Deutschland setzen statische Prozessablaufdia- schrittweise zu erkunden. demie zu lesen. dieser Versuchsanordnung wäre wohl in Hygienekonzepte, Teststrategien, Impf- kam sie als strukturelle Herausforderung gramme. allen denkbaren Settings dieselbe gewe- stoffverteilung und Verwaltungsabläufe in den gesellschaftlichen Sektoren un- Denn dieser verändert sich gerade radi- Dem Befund, vorhandene strukturelle sen: Es ist überaus lohnend, über die rapi- verband sich mit der Beobachtung, dass gleichzeitig, gleichsam als Dominoeffekt • Der exogene Beschleunigungsdruck kal: die eigene Wohnung, in der das Ho- Probleme seien im Lichte der Lockdowns den Veränderungen und Problemlösungs- Länder, die bereits über eine stärker aus- in Zeitlupe an. Während sich Unterneh- macht bei Individuen und Institu- meoffice die Vereinbarkeitsfrage von Be- verschärft hervorgetreten, schlossen sich ansätze in einer Gesellschaft miteinander gebaute digitale Infrastruktur verfügen, men bereits zu Beginn des 21. Jahrhun- tionen die Ausbildung spezifischer ruf und Familienarbeit dringlicher macht denn auch alle 14 Gesprächspartner_in- zu sprechen. Der Rückzug ins Private und agiler und resilienter auf Katastrophen derts neuen Technologien und Markt- Resilienzen erforderlich. denn je; die Schule, die als sozialer Ort nen an. Wir sind ihnen zu außerordentli- die stumme Wut auf „die da oben“ mö- wie eine Pandemie reagieren können. Die bedingungen stellen mussten, warteten und physischer Begegnungsraum unter- chem Dank verpflichtet, dass sie trotz der gen im Einzelfall verständlich sein, füh- zur Begründung häufig ins Feld geführten der Bildungsbereich und die öffentliche Die Digitalisierung setzt uns unter An- schiedlicher Milieus und Herkünfte über weitverbreiteten „Zoom Fatigue“, also ren uns als Gesamtgesellschaft aber nicht Prinzipien lauten: Verwaltung geduldig auf einen Weckruf passungsdruck und fordert von uns Monate weggefallen ist; der Betrieb, in dem Verdruss über allzu viele digitale weiter. Es liegt an uns selbst, den Weg von oben, um ihre eigenen Strukturen zu Selbstinitiative. Die meisten Menschen dem Kurzarbeit und die technischen Um- Kommunikationen, für ein Online-Mee- dieser Gesellschaft aktiv mitzugestalten. • auf Datenanalyse gestütztes, evi- erneuern. Dabei waren bestimmte Mega- bemessen ihren Mehrwert vor allem an wälzungen in Richtung künstlicher Intel- ting oder E-Mail-Interview bereitstanden. Und es ist deshalb von enormer Wichtig- denzbasiertes Handeln trends seit vielen Jahren nicht mehr zu den persönlichen Entfaltungsmöglich- ligenz Ängste schüren. Hinzu kommt der Dabei wurde ein einheitlicher Fragenka- keit, für erneuerte Teilhaberechte, einen übersehen: keiten, die ihnen als Konsument_innen, abstrakte Raum „Öffentlichkeit“ bzw. die talog genutzt, um einen gemeinsamen starken Sozialstaat und die Gemeinwohl- • gezielter Wissenstransfer durch Ver- während der Ausbildung oder im Arbeits- mediale Sphäre, aus der die Menschen Bezugsrahmen zu stiften. Die Unter- orientierung der digitalen Transformation netzung • Neue Fertigkeiten trennen die Ge- leben gegeben werden. Und dabei ist zu verstärkt algorithmisch kuratierte Infor- schiede im Sprachstil der mündlichen und zu streiten. nerationen, Digital Natives stellen beobachten, dass sie die Jahre 2020/21 mationen beziehen und sich als politische schriftlichen Antworten wurden bewusst • interoperable Datenmanagement- Forderungen und Ansprüche an die weniger als spannende intellektuelle Individuen vor großem Publikum artiku- beibehalten. Es handelt sich um wörtliche Ein Zurück in das vordigitale Zeitalter und Austauschsysteme Leistungsfähigkeit etablierter Sys- Lernkurve, sondern schlicht als zähe, lieren. Aus allen Bürger_innen werden Zitate. wird es nicht geben. Umso mehr müs- teme. persönliche Leidenszeit empfunden ha- potenzielle Sender_innen, ihren zum Teil sen Erzählung und Politik der Sozialen • iterative Testphasen und Feedback- ben. Die Wortneuschöpfung „mütend“ im diffusen Botschaften (man denke nur an Überwiegend kreisen die eingeholten Demokratie, die immer auch Wege des schleifen • Institutionen müssen responsiver Frühjahr 2021 bezeichnet treffend eine #allesdichtmachen) muss die Politik als Stellungnahmen um die Frage, was die Fortschritts beschrieben, am Puls der und anpassungsfähiger werden, sie kollektive Gemütslage, die von dringend digitale Signale zu verarbeiten lernen und Digitalisierung denn zukünftig zu ver- Zeit bleiben, beständig ihre Grundan- • Beschleunigung und Effizienzstei- „verflüssigen“ sich. anstehenden Innovationen in ferner Zu- in einen Diskurs über das Gemeinsame bessern helfen könnte – für die Menschen, nahmen überprüfen und regelmäßig auch gerung durch den Einsatz digitaler kunft nichts mehr hören will. Es geht um verwandeln. für die gesellschaftliche Organisation „Updates“ ihrer Ziele vornehmen. Diese Tools • Personelle Netzwerke werden mit das Hier und Jetzt, das intelligent zu ge- unseres Miteinanders. Insofern bietet das Publikation versteht sich als bescheidener neuen Tools der Online-Kommuni- stalten ist. Zwar sind nicht alle diese Entwicklungen vorliegende Kaleidoskop der Antworten Diskussionsbeitrag dazu. • Offenheit für Innovation und bür- kation und kollaborativen Arbeits- neu, doch ihre Wahrnehmung und Prob- auch eine ermutigende Perspektive des gerschaftliches Know-how formen produktiv zusammenge- Mit Blick auf die schwierigen Bedingun- lematisierung haben sich in den letzten Fortschritts – etwas, das in den dissonan- führt und erweitert. gen, die etwa Kinder und Jugendliche, anderthalb Jahren enorm gesteigert. ten Debatten der letzten Monate unseres Tatsächlich ist die Digitalisierung, bis Arbeitnehmer_innen, Schulen, Pflege- Aus der Perspektive sozialer Teilhabe Erachtens viel zu kurz gekommen ist. Jan Engelmann weit in die 10er-Jahre hinein von der • Wissenstransfer und Know-how- heime und Unternehmen in unterschiedli- fragen wir deshalb danach, wie denn Philipp Otto Politik eher stiefmütterlich behandelt, Vermittlung verändern sich und er- cher Weise betrafen, wurde offenbar, dass nun genau die Digitalisierung die Orga- Geplant war das Ganze als großes Ta- mit voller Wucht auf die Tagesordnung fordern neue Formen des Selbstma- gerade in Zeiten gesteigerter Ungeduld nisation unserer Gesellschaft bereits neu felgespräch an einem langen Tisch. gelangt. In Talkshows werden jetzt die nagements und des kollaborativen und Angst Entsolidarisierungstendenzen formatiert hat bzw. wie die Grundwerte Pandemiebedingt musste es in Einzel- datenschutzrechtlichen Vor- und Nachtei- Lernens. um sich greifen, die das Fundament einer le von Corona-Apps heiß diskutiert, und lebenswerten Gesellschaft zu untergra- die Forderung aus der netzaktivistischen • Die Schaffung von Jobs in Zeiten ben drohen – etwa im Streit über die rich- Szene nach einer proaktiveren Datenfrei- des Fachkräftemangels erfordert tigen Impfpriorisierungen oder angesichts gabe des Staates und offenen Program- Vorhersagemodelle zur frühzeitigen neidisch beäugter Freiheitsexperimente in mierschnittstellen bekommt plötzlich Erkennung neuer Bedarfe. einzelnen Kommunen. einen größeren Resonanzraum. Alle spü- ren: Ja, es muss sich tatsächlich dringend • Arbeitsprozesse werden agiler und Wie können angesichts dieser schwieri- etwas ändern. Wir können nicht einfach setzen immer stärker auf schnelle gen Gemengelage die Grundwerte der weitermachen wie bisher. Und je stärker Prototypenbildung; eine Fehlerkul- Sozialen Demokratie wie Freiheit, Chan- wir auf gesellschaftliche Teilhabe beim tur tritt an die Stelle des proklamier- cengleichheit, Gerechtigkeit und Soli- Prozess einer möglichst demokratischen ten „Scheiterns”. darität aufrechterhalten und neu gelebt Digitalisierung pochen, desto weniger werden? Und wie können wir vor allem können wir diesen Prozess einfach an die • Algorithmische Systeme und ma- verhindern, dass die auf digitalen Kanä- Politik delegieren. Das schon fast sprich- chinelles Lernen machen Arbeits- len geäußerte Verachtung einer oft lang- wörtliche „Neuland“ ist jenes Terrain, das prozesse effizienter, aber auch in- sam agierenden, deliberativen Demokra- wir erst als konkrete Utopie und dann als transparenter. tie sich noch weiter steigert und zu einer
DIGITALE SIGNALE Familie (von lateinisch familia „Gesinde“, einer Kollektivbildung von famulus „Diener“) bezeichnet soziologisch eine durch Partnerschaft, Heirat, Lebenspartnerschaft, Adoption oder Abstammung begründete Lebensgemeinschaft. Wie gelingt die Homeoffice „bedeutet für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden. Wer mit der Krise gut um- geht, wer dem Druck standhält, wer die richtigen Prioritäten setzt, wer seine Leute mit- nimmt und seine Teams lebendig hält, der kann gerade ganz besonders auf sich aufmerk- Vereinbarkeit von sam machen. Und diesen Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – zurückstecken.“1 Beruf und Familie? 1 Julia Jäkel: Zurück in der Männerwelt, in: ZEIT ONLINE vom 28.4.2020, online unter: https://www.zeit. de/2020/19/frauen-beruf-fuehrungspositionen-rollenbilder-coronavirus-krise/komplettansicht.
10 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DIGITALE SIGNALE 11 Wie gelingt die Vereinbarkeit beim Elterngeld die Zahl der exklusiven Vätermonate zu erhö- Mit dem Ausbruch von Covid-19 erlebte das Homeoffice hen, weil wir wissen, dass nach der ersten Geburt wie bei einer gleichsam seinen verspäteten Durchbruch, zumindest in Zäsur sich die Arbeitsteilung im Haushalt ändert. Selbst Paare, Büro- oder Behördenjobs. Gleichwohl stritten während des die modern gestartet sind, also egalitär, neigen nach der ersten von Beruf und Familie? ersten Lockdowns Paare über die gleichberechtigte Auftei- Geburt dazu, wieder einen Schritt zurückzugehen. Da gibt es lung der Betreuungs- und Hausarbeit. Was muss geschehen, etliche Studien, die das zeigen, und die Weichen werden am um solche Rollbacks künftig zu verhindern? Anfang gestellt, weil beide natürlich die neuen Rollen einüben. Und da haben wir mit den zwei Monaten, die die Väter derzeit Mathias Richel: Die Antwort ist leicht: Normalisierung. Ho- exklusiv haben, zu wenig Teilhabe an Erziehung und Haushalt. meoffice darf kein „Angebot“ der Arbeitgeber sein, das man Die vernetzte Arbeit via Laptop und Smartphone kann gar noch verschärft. Was muss getan werden, um eine dankend annehmen darf, sondern eine Selbstverständlichkeit Wenn die Väter ihre Monate nicht nehmen, ist der Zeitraum leicht zur Entgrenzung von Arbeit führen. Diese Ten- Retraditionalisierung der Geschlechterrollen unter di- wie ein regelmäßig ausgezahltes Gehalt. In unseren eigenen einfach zu kurz, um diese Rollen tatsächlich zu festigen und denz wird insbesondere dort zum Problem, wo zusätz- gitalen Vorzeichen zu verhindern? Welchen Effekt hat Vorstellungs- und Mitarbeitergesprächen geht es immer weni- neue Muster auch so einzuüben und einzufrieren, dass sie nicht lich Familien- oder Carearbeit geleistet werden muss, Teilzeitarbeit, wenn dieses Modell vorrangig nur Frau- ger um die Höhe des Lohns, sondern um ein gutes Zeitarran- beim nächsten kleinsten Widerstand wieder zurückgedreht wer- gement. „Wie viele Stunden pro Woche? Und kann ich die teil- den. Mit dem Einfrieren meine ich: Sie müssen einfach eine in den privaten Haushalten also. Wenngleich sich die en betrifft? Und welche digitalen Tools wären nötig bei weise remote von zu Hause arbeiten?“ sind gängige Fragen in bestimmte Rollenteilung lange genug einüben, damit sie sitzt. Belastung zwischen Frauen und Männern bereits vor der Organisation des Familienalltags? unserer Branche. Sicher auch eine Antwort auf den Fachkräfte- Damit auch die Routineeffekte, die die Väter dadurch erzielen, Corona ungerecht verteilte, so hat der Abzug vieler Be- mangel. Die Menschen wissen einfach, dass sie etwas Gesuchtes ihnen zeigen: Ach, geht doch. So schwierig ist das doch gar schäftigter ins Homeoffice dieses Problem in Teilen so- zu bieten haben, und Arbeitgeber müssen sich bemühen, gute nicht. Und ich kann das auch. Ich kann das genauso gut und vor Leute einstellen zu können. Wenn diese Selbstverständlichkeit allem: Das Umfeld traut mir das auch genauso zu wie den Müt- eingezogen ist, dann muss sie natürlich auch geschlechter- und tern. Denn das ist auch ein Lernprozess, der Zeit braucht. Diesen rollenunabhängig sein. Diese Selbstverständlichkeit bedeutet Lernprozess müssen wir ermöglichen und das schaffen wir mit nämlich auch, dass neben Homeoffice nicht auch noch nebenbei zwei Monaten schon gar nicht, wenn die Väter nach wie vor, wie der Haushalt gemacht oder Kinder betreut werden kön- sie es häufig machen, diese zwei Monate parallel mit nen. Und zur Not muss man diese neuen Selbstver- der Mutter nehmen. Denn wenn sie diese parallel ständlichkeiten auch gesetzlich regeln, damit sie nehmen, stehen sie natürlich doch eher wie der sich etablieren. „Homeoffice Praktikant am Wickeltisch hinter der Mutter, sodass die dominanten Rollen und die Ge- Valentina Kerst: Es gibt sehr viele Frau- en, die in Berufen arbeiten, die als „klas- ist nicht die schlechterstereotype wieder durchbrechen. Zu diesem Thema sprachen wir mit: sische Frauenberufe“ bezeichnet werden und in denen kein Homeoffice möglich ist. Lösung für Wir brauchen also viel mehr Zeiten des Ausprobierens der Väter, auch wirklich die Damit ergibt sich bereits zu Beginn eine Ungleichheit. Es wurde festgestellt, dass alles.“ Anstrengung, es mal alleine zu machen. Und ich bin mir ganz sicher, dass sie das genauso Männer, die im Homeoffice arbeiten konnten, gut hinbekommen. Aber das ist wie gesagt ein vermehrt die Betreuung der Kinder und die Aufga- Lernprozess. Das Elterngeld kann da aus meiner ben in der Hausarbeit dann übernommen haben, wenn Sicht viel erreichen. Es scheitert bisher am Geld der Frauen in ihren Jobs als Krankenschwester etc. tätig gewesen Finanzminister. Denn das Elterngeld ist ja gebunden an das sind. Das ist eine gute Entwicklung, aber löst das allgemeine vorherige Einkommen. Problem nur bedingt. Daher liegt der Schlüssel für die Ver- änderung darin, dass wir eine veränderte Berufskultur haben Wenn man nicht genau dort, wo sich letztlich die Rollenteilung © Stephan Pramme müssen. Sowohl die diskutierte 32-Stunden-Woche als auch die ausprägt, nämlich direkt nach der Geburt, ansetzt, dann hat man ©Renate Bauereiss weitere Arbeit an dem Thema Vorbilder sind essenziell dafür. das Übel nicht an der Wurzel gepackt. Das sieht man auch in der Folgezeit, wenn in Fällen, wo die Kinder krank werden, jene © privat Christina Boll: Man muss in der Tat an den Strukturen arbei- Väter, die Elternzeit genommen haben, tatsächlich eher geneigt ten, an den ganzen gleichstellungspolitischen Maßnahmen, die sind, zu Hause zu bleiben. Tatsächlich fühlen sie sich auch mehr letztlich dazu führen, dass Frauen die gleichen Opportunitäts- verantwortlich. Bis 2020 haben wir über zehn Jahre gebraucht, kosten der unbezahlten Arbeit haben wie Männer, dass ihnen um diese Effekte anhand der Daten sehen zu können. Aber es also genauso viel Geld entgeht, wenn sie sich zu Hause um alles gibt sie. Und ich glaube, das sollte uns ermutigen, an dem Punkt Dr. Christina Boll ist seit April 2019 Valentina Kerst (SPD) ist Staatsse- Mathias Richel ist Mitbegründer und kümmern. Erst wenn wir das in den Blick nehmen, haben wir weiterzugehen. Leiterin der Abteilung „Familie und kretärin für Wirtschaftspolitik, Wirt- Geschäftsführer der Richel, Stauss eine Situation, in der wirklich gleichberechtigt geteilt werden Familienpolitik“ am Deutschen Ju- schaftsförderung, Tourismus und GmbH, die sich auf strategische Kom- kann, weil auch die Anreize entsprechend gleichmäßig verteilt Ein anderer Punkt sind Frauen in Führung. Wir müssen da ein- gendinstitut (DJI) und zugleich als digitale Gesellschaft im Thüringer munikation, Konzeption und Campaig- sind. Solange Frauen zum Beispiel pro Stunde noch immer 20 fach vorankommen, die Frauen dauerhafter in Führungspositio- Gastprofessorin für Volkswirtschafts- Ministerium für Wirtschaft, Wissen- ning für politische Akteure, Verbände Prozent weniger verdienen als Männer, haben wir eher den Fehl- nen zu etablieren und sie nicht in dem Moment wieder rauszu- lehre an der Hochschule der Bundes- schaft und digitale Gesellschaft. Die und Unternehmen in Zeiten des Wan- anreiz, dass es sich für die Haushaltskasse einfach mehr rentiert, kicken, wo die Kinder kommen. Stichwort Teilzeit. Wir wissen, agentur für Arbeit (HdBA) tätig. Zu- Diplom-Betriebswirtin arbeitete paral- dels konzentriert. Zuvor war er Ge- wenn Männer vollumfänglich erwerbstätig bleiben. Wir sehen ja dass weniger als fünf Prozent der deutschen Führungskräfte in vor war sie Forschungsdirektorin am lel zu ihrem Studium bei eco – Verband schäftsführer bei Jung von Matt/Spree auch an den Befragungen, dass die Männer während des ersten Teilzeit arbeiten. Selbst in den Niederlanden, einem Teilzeitland, Hamburgischen Weltwirtschaftsinsti- der Internetwirtschaft – im Bereich mit Schwerpunkt „Digitale Kommuni- Lockdowns im Frühjahr 2020 weniger Stunden reduziert haben sind es nur zehn Prozent. Es ist nach wie vor sehr, sehr unüblich. tut (HWWI). Promoviert hat sie zum Business Development und gründete kation“, davor Executive Creative Di- als die Frauen. Die Väter haben zwar auch reduziert und auch Wir haben im Grunde erstens zu viele Mütter in Teilzeit und Thema „Lohneinbußen von Frauen nach ihrem Abschluss eine Digital- rector bei der Digitalagentur Torben, ihre Kinderbetreuungszeit ausgedehnt, aber eben nicht in dem zweitens eine zu geringe Wochenarbeitszeit in Teilzeit. Das un- durch geburtsbedingte Erwerbsunter- beratung. 2015 wurde sie Mitglied im Lucie und die gelbe Gefahr (TLGG). Umfang, wie die Mütter das getan haben, und dies von einem terscheidet uns auch von anderen europäischen Ländern. Es gibt brechungen“, wofür sie 2011 mit dem Programmbeirat des SPD-Parteivor- Der Sozialdemokrat und Politikblogger schon viel höheren Niveau ausgehend. eben ein Spektrum der Tätigkeiten, die Sie in 20 Stunden ma- Deutschen Studienpreis der Körber- stands zum SPD-Grundsatzprogramm war Gründungsvorsitzender des D64 – chen können, das irgendwie beschränkt ist. Bei Führungskräf- Stiftung ausgezeichnet wurde. „#Digital Leben“ – Themenbereich Zentrum für Digitalen Fortschritt. Die Aber: Den Gender Pay Gap zu verringern, macht man halt nicht ten haben wir manchmal gute Lösungen von Jobsharing-Model- „Gute Arbeit in der digitalen Gesell- Zeitschrift „Capital“ zählt Richel zu eben mal so, sondern dahinter stecken ganz viele andere Maß- len. Diese sind dann ganz prominent in den Medien, aber das schaft“. den Top-40-Führungskräften unter 40. nahmen. Was ich persönlich für wichtig halte, ist tatsächlich, muss dann auch persönlich klappen mit diesen zwei Personen.
12 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DIGITALE SIGNALE 13 Ansonsten ist eine 20-Stunden-Woche in der Regel der Todes- Wir sehen Stundenlohnnachteile für Teilzeitbeschäftigte und die Zum Beispiel, wenn sich Kitakräfte mal über solche Apps aus- stoß für eine Führungsposition. Und deswegen hängen die Din- Zumindest in unserer Wahrnehmung hat das Jahr vielleicht sind in der letzten Verdienststrukturerhebung sogar noch mal tauschen können zur flexiblen Gestaltung von Wochenarbeits- ge einfach miteinander zusammen. Denn wenn mehr Frauen in auch ein Gutes mit sich gebracht: dass nämlich das Thema größer als davor. Beim Gender Pay Gap gehen sieben Prozent- zeit. Also so etwas wie digitale Einsatzpläne, damit sie das bes- Führungspositionen kommen wollen, müssen wir auch an der Homeoffice auf breiterer Front verankert und damit auch punkte von 21 – also ein Drittel – auf das Konto Teilzeit bei den ser lösen können, um eine dauerhafte, verlässliche Betreuung Wochenarbeitszeit schrauben. Und das wiederum setzt flexib- eine gewisse gewohnheitsrechtliche Kontrolle der Präsenz Frauen. Und das ist wirklich enorm. In Europa hat kein anderes auch sicherzustellen, wenn der Bedarf sich kurzfristig ändert. le Modelle voraus. Entsprechende Studien zeigen, dass Frauen, einfach aufgegeben wurde – ganz einfach, weil es nicht an- Land so eine ausgeprägte Teilzeitstrafe (die Differenz zwischen die flexibel arbeiten können, auch ihre Wochenarbeitszeit ein ders möglich war. Ist das denn jetzt schon ein Indikator da- durchschnittlichem Vollzeit- und Teilzeitlohn pro Stunde) wie Das ist ja alles immer sehr, sehr statisch. Ich glaube, überall bisschen erhöhen können, weil sie dann natürlich auch abends für, dass sich da insgesamt ein bisschen tut bei der typischen wir. Und das hängt, wie vorhin schon gesagt, zum einen damit da, wo eine Familie wirklich angewiesen ist auf diese Unter- oder am Wochenende noch mal ihren Laptop aufmachen. Aber deutschen Neigung zur Vollzeit? zusammen, dass wir so wenige Wochenstunden in Teilzeit arbei- stützung, könnte gerne mehr Digitalisierung Einzug halten. Das solange wir es aufgrund all dieser Rahmenbedingungen nicht ten. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir so lange in würde Eltern enorm entlasten. hinbekommen, dass die Frauen ein genauso hohes Einkommen Boll: Ich glaube, wir müssen da unterscheiden zwischen der Teilzeit verbleiben und nicht zur Vollzeit zurückkehren, wenn wie die Männer und die gleichen Beschäftigungs- und Karriere- Präsenz- und der Vollzeit. Das eine ist die Flexibilisierung der die Kinder groß sind. perspektiven haben, wird die Entscheidung, wer sich denn um Arbeitsorte und das andere der Arbeitsumfang. Ich glaube tat- Familien stellen nicht zuletzt auch eine wichtige Keimzel- den Haushalt kümmert, nicht gleichberechtigt getroffen werden. sächlich, dass Corona da in mehrfacher Hinsicht etwas angesto- Auch das ist eine deutsche Besonderheit: dass die Mütter, auch le des ehrenamtlichen Engagements dar. Laut dem letzten Und wir dürfen dabei auch nicht vergessen: Es geht nicht nur um ßen hat. Auf jeden Fall ist das Bewusstsein auch bei den Arbeit- wenn die Kinder schon im Teenageralter sind, noch immer zu Freiwilligensurvey 2019 vollzieht sich dieses bereits zu 57 Kinderbetreuung, es geht auch um Hausarbeit. Bei der Haus- gebern dafür gewachsen, wie schwierig es für Eltern ist, diese einem Großteil in Teilzeit arbeiten. Und das muss sich ändern. Prozent ganz oder teilweise über das Internet – etwa in der arbeit sieht es noch viel dunkler aus als bei der Kinderbetreuung. Pendelzeiten zu ermöglichen und wirklich im Büro präsent zu Aber ich glaube, wir kriegen das Thema mit den Lohnstrafen Flüchtlingshilfe, beim Erstellen offener Kartenportale oder Dort hat sich relativ wenig getan und das sieht man anhand der sein, bzw. auch die Sensibilität dafür oder die Erkenntnis, dass erst weg, wenn es einfach normal wird, dass man in Teilzeit bei Covid-19-Hackathons. Welche staatlichen Anreize und Zeitverwendungsdaten, die wir immer analysieren. Stichwort es ja doch ganz gut funktioniert, wenn sie außerhalb des Bü- vollzeitnah arbeitet. Und dafür müssen wir die Männer da rein- Unterstützungsleistungen für ein solches Online-Voluntee- Intensivierung von Elternschaft. Die Eltern haben immer höhere ros arbeiten. Die großen Unternehmen, das zeigen ja jetzt die bekommen. Solange Teilzeit ein Frauenthema ist, wird es diese ring sind denkbar? Ansprüche an sich, was sie alles mit ihren Kindern tun müssen. Befragungen, sind auch der Meinung, dass sie vielleicht nicht Lohnstrafen geben, denn wir haben nun mal einfach das Prob- Aber die Hausarbeit frisst eben auch sehr, sehr viel Zeit und die in diesem Ausmaß bei Homeoffice bleiben werden, aber dass lem, dass Frauenarbeit noch immer überwiegend in ganz vielen Boll: Ich würde das gegenwärtige System tatsächlich so belas- ist nach wie vor extrem ungleich verteilt. sie auf jeden Fall auf eine neue Stufe der Verbreitung von Berufen einfach weniger gut bezahlt wird als Männerarbeit. Und sen. Ich würde sagen, tatsächlich freiwillige Leistungen sollten Homeoffice gestiegen sind, die sie nach der Pande- ich glaube, erst wenn die Männer da aufschreien und auch freiwillige Leistungen bleiben. Und wir müssen Sollten – auch angesichts der Erfahrungen in den mie nicht zurückdrehen werden. Bei den kleinen sagen: „Was soll das eigentlich? Ob ich nun 20 oder eher an der gesellschaftlichen Anerkennung arbei- Jahren 2020/21 – deutsche Betriebe endgültig und mittelständischen Unternehmen ist das, so 30 oder 25 Stunden arbeite, kann ja wohl keinen ten. Abschied von der Präsenzkultur und der Fi- „Wir glaube ich, eine Spur schwieriger. Teilweise Unterschied für meinen Stundenlohn machen“, „Wie wäre xierung auf das Vollzeitmodell nehmen? In- ternationale Arbeitstheoretiker_innen pre- brauchen hat das mit der Branchenstruktur, mit der Art der Berufe zu tun. Es gibt dort weni- erst dann wird sich daran etwas ändern. eine App, die Als Ökonomin sage ich ganz explizit: Nicht nur finanzielle Anreize sind entscheidend, digen das ja seit den 90er-Jahren, aber man hat das Gefühl, dass da recht wenig passiert. Alternativen ger Diversität von Arbeitszeitmodellen, weil es einfach insgesamt weniger Mit- Nicht nur in Zeiten von Social Distancing die Situation sondern es geht auch darum, Signale zu set- zen: Was ist gesellschaftlich erwünscht? Was zur Präsenz- arbeiter_innen gibt. Ich glaube, da ist die streben Eltern eigentlich immer nach dem in der Kita der Staat ins Schaufenster stellt, ist die sozi- Richel: Ja! Und die Begründung ist leicht: Lösung schwieriger. Aber auch da habe ich Gegenteil von Selbstisolierung: Sie agieren ale Norm. Wenn der Staat sagt: Das wollen Jede Arbeit, die vor oder hinter einem Flach- kultur.“ den Eindruck, dass das Verständnis für die als Netzwerker_innen, suchen den direkten anzeigt?“ wir so haben und das finden wir klasse, wenn bildschirm stattfindet, kann auch von zu Hause Eltern auf jeden Fall gestiegen ist. Und hier Austausch mit anderen Eltern, organisieren das passiert, dann hat das eine Wirkung. Und geschehen. Und wenn man das noch konsequenter noch mal insbesondere das Verständnis für Vä- Schulfeste oder das gemeinsame Spielen ihrer das würde ich auch nach wie vor beim Ehrenamt denkt, dann ist auch völlig egal, wo die getane Arbeit ter. Ich glaube, Corona hat es wirklich geschafft, Kinder. Wie könnten datenbasierte Tools den All- so sehen. Ich würde immer dafür plädieren zu sagen: dann im Ergebnis landet. Das bedeutet, Deutschland befindet die gesellschaftliche Debatte darüber anzustoßen, was tag von Familien erleichtern? Haben Sie dazu Wünsche Wir müssen davon wegkommen zu glauben, Dinge sind nichts sich in einem globalen Wettbewerb um die Fachkräfte, weil sich eigentlich ändern muss. Und dass das Homeoffice eben kein oder Ideen? wert, weil sie nicht bezahlt werden. Am Beispiel Kinder wissen niemand mehr für eine Arbeit in ein anderes Land oder sogar Produktivitätskiller ist, sondern schon ganz gut funktionieren wir das am allerbesten. Natürlich ist eigentlich das größte Glück auf einen anderen Kontinent umziehen muss. Gleichzeitig brau- kann. Wir wissen ja auch aus den vorliegenden Studien, dass die Richel: Digitale Teilhabe sucht immer den Weg des Praktischen. auf Erden das, was es umsonst gibt. Ja, und wir müssen uns die chen wir aber schlaue Lösungen, damit Alternativen zur Prä- Menschen eher dazu neigen, im Homeoffice mehr zu arbeiten als Das Einfache und Gute setzt sich meist durch Nutzung durch. Erkenntnis bewahren, dass wir ja teilweise auch wirklich noch senzkultur nicht zu einem neuen social divide führen. Nämlich im Büro. Das Risiko der Selbstausbeutung ist ja nicht von der Alles, was Eltern den Alltag digital erleichtert, wird auch ge- aus freien Stücken Dinge tun, ohne dass uns jemand Geld dafür gegenüber denjenigen, deren Handwerk von der Präsenz abhän- Hand zu weisen. Daher, glaube ich, kommen wir voran. nutzt werden. Das ist die Realität. Leider ist die deutsche Regu- zahlt. gig ist. Das darf nicht zu unterschiedlichen Teilhabemöglich- lierungssituation viel zu oft an dieser Realität vorbeigedacht und keiten mit mehr oder weniger Privilegien für manche führen. Es ist aber nicht die Lösung für alles. Es gibt einfach Berufe, der Datenschutz nur ein unpraktisch gedachtes Tool von diesen Richel: Das Ehrenamt ist sicher kein rein altruistisches Instru- Da gilt ist es noch Antworten auf die noch zu wenig gestellten die gehen gar nicht im Homeoffice. Und wir müssen auch sehen: dysfunktionalen Rahmenbedingungen. Digitalität bedeutet auch ment, aber es beruht zunächst einmal auf Freiwilligkeit. Und es Fragen zu finden. Menschen sind soziale Wesen, die brauchen auch Austausch. Agilität und Flexibilität. Da müssen wir deutlich besser werden. ist eine wichtige Säule für unser Gemeinwesen, die gefördert Und wir wissen vom Silicon Valley, wie wichtig Synergieeffek- werden muss. Vor allem braucht es erst einmal sehr viel mehr Kerst: Seit Jahrzehnten wird bereits über die Notwendigkeit der te sind. Gerade da, wo wir produktiv und kreativ sein wollen, Kerst: Das Netzwerken und der Zusammenhalt zwischen Eltern Aufmerksamkeit für das Ehrenamt. Der Staat darf das Ehrenamt Präsenzkultur etc. diskutiert und ein drastisches Umdenken ge- ist es einfach auch nötig, Menschen zusammenzubringen. Die sind unerlässlich. Daher war und ist für die meisten diese Zeit nämlich nicht als selbstverständlich ansehen. Es muss wieder fordert. Im Corona-Jahr 2020 haben zum Teil 40 Prozent der Innovationsforschung zeigt immer wieder, dass Menschen idea- eine absolut neue und sehr einschränkende Erfahrung. Den- verstärkt zu Ehren kommen. Unabhängig davon, ob es digital Beschäftigten im Homeoffice gearbeitet. Und man hat gesehen, lerweise in Teams zusammenarbeiten. Das geht natürlich auch noch: Bitte keine Chatgruppen mehr! Es ist erstaunlich, dass oder auf dem Dorffußballplatz stattfindet. Und gute Projekte dass es durchaus funktionieren kann. Toxisch war allerdings, digital, aber nur zum Teil. Sie müssen sich teilweise einfach Eltern sich weiterhin über ineffektive Kommunikationsplattfor- müssen gestärkt und gefördert werden. Das Ehrenamt hat jede dass Homeoffice für viele zu 100 Prozent und gepaart mit Kin- auch mal ungeplant austauschen können. men austauschen, sich E-Mails weiterleiten oder endlose Dis- Bühne verdient, die wir bauen können. derbetreuung und Homeschooling durchgeführt worden ist. Das kussionen in Chats führen. Daher wünsche ich mir mehr daten- ist nie die Idee des Homeoffice gewesen. Zum zweiten Punkt: Was definieren wir denn als Vollzeit? In basierte Tools, die den Eltern den Alltag tatsächlich erleichtern. Kerst: Genau die genannten Zahlen und Projekte machen nicht den skandinavischen Ländern heißt das 35 Wochenstunden. Da- Schauen wir auf Covid-19: eine App, die Eltern per Ampel den nur Mut, sondern auch Lust auf digitales Ehrenamt. Daher soll- Wir können aber auf die intensiven Erfahrungen der letzten ran gemessen arbeiten in Deutschland viele Menschen in Voll- aktuellen Stand in der Kita oder Schule aufzeigt, ob es heute ten Hackathons, digitale Ehrenamtspreise, Vorbilder in den Monate zurückgreifen und beide Welten sehr gut miteinander zeit. Meine persönliche Meinung ist, dass wir uns den Wohl- eine Notbetreuung gibt oder die Einrichtung schließt. Das wäre Kommunen intensiv – auch öffentlichkeitswirksam – unterstützt verbinden. Denn wir haben erlebt, dass berechtigt hinterfragt stand auch irgendwie verdienen müssen. Es kommt nicht jede_r eine digitale Revolution, die ihren Namen verdient! werden. Wir brauchen für diese Idee eine starke Unterstützung. wird, ob man wirklich jeden Tag in das Büro pendeln muss. Die mit einem Teilzeitjob aus. Wir brauchen schon so was wie voll- Im finanziellen Bereich kann man sich einen Digitalbonus für Menschen können ihre Lebensmodelle verändern und das ist zeitnahe Teilzeit, wie immer man das definiert. Und was mir Boll: Es geht vor allem um Lösungen, die nicht bei den Eltern, Vereine vorstellen oder beispielsweise bessere Abschreibungen eine sehr gute Entwicklung. Insgesamt und mit dem Blick auf ganz wichtig ist: Kriegen wir es hin, die Teilzeitstrafen im Lohn sondern bei den familienunterstützenden Dienstleistungen an- für die Anschaffung von digitalen Endgeräten sowie Unterstüt- das letzte Jahr muss man leider feststellen, dass sich vieles ohne wegzuradieren, indem wir die Männer in die Teilzeit kriegen? setzen, die Eltern enorm helfen würden. zung bei der Einführung und Lizenzierung (Open Data) von Covid-19 nicht so schnell bewegt hätte. Wir haben ja derzeit im Gender Pay Gap den großen Treiber Software. Auch das Projekt des „freiwilligen digitalen Jahres“ Teilzeit, und zwar bezogen auf den Stundenlohn. sollte unbedingt weiterverfolgt werden.
DIGITALE SIGNALE Schule (lateinisch schola von altgriechisch σχολή, Ursprungsbedeutung: „Müßiggang“, „Muße“, später „Studium“, „Vorlesung“), auch Bildungsanstalt oder Lehranstalt genannt, ist eine Institution, deren Bildungsauftrag in der Vermittlung von Wissen und Können durch Lehrer_innen an Schüler_innen, aber auch in der Wertevermittlung und in der Erziehung zu mündigen, sich verantwortlich in die Gesellschaft einbringenden Persön- lichkeiten, besteht. Digitale Schule: „Hinter der Digitalisierungseuphorie steckt vielerorts ein stiller Kon- Wie lernen wir in Zukunft? sens. Er lautet in etwa so: Wir modernisieren die Schule nur an der Oberfläche. Wir opti- mieren mit digitalen Mitteln unsere traditionelle Lernkultur. Wir gießen den alten Wein in Hightech-Schläuche. Die Grundannahmen unserer Schule tasten wir nicht an.“1 1 Jöran Muuß-Merholz: Digitale Schule zwischen Unterrichtsabsicherung und neuer Lernkultur, 7.5.2020, on- line unter: https://www.forumbd.de/blog/digitale-schule-zwischen-unterrichtsabsicherung-und-neuer-lernkul- tur/ (Letzter Zugriff 29.05.21)
16 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DIGITALE SIGNALE 17 Wie lernen wir in Zukunft? vertiefen können. Dabei werden sie von Begleitlehrer_innen in- Regelmäßig erscheinen Studien, die die Undurchlässigkeit dividuell unterstützt. Frontalunterricht ist eher die Ausnahme. des deutschen Bildungssystems beklagen. Was ist zu tun, um Hausaufgaben werden gemeinsam mit den Lehrer_innen in der insbesondere die Schulen wieder zu einer starken Säule für Nachmittagsbetreuung erledigt. Das kommt vor allem auch Kin- gesellschaftliche Teilhabe und selbst gewählte Berufswege zu dern aus bildungsfernen Schichten zugute, die in dieser Weise machen? nicht sich selbst überlassen werden. Daniel Seitz: Leider wird gerade wieder deutlich, wie stark Frank Wagner: Wenn wir über die Schule der Zukunft spre- Schule auf Leistung und abfragbares Wissen abzielt. Viele Jahre chen, müssen wir folgende Gedanken zugrunde legen: Welche Homeschooling und Distanzunterricht sind neue Be- licher nachzudenken: Was sind die zentralen Werte hatte ich das Vergnügen, mit Schulabbrecher_innen zu arbeiten. Kinder wollen wir hier aus unserer Schule entlassen? Von wel- griffe, die während der Pandemie strukturelle Miss- und Kompetenzen, die im digitalen Zeitalter vermittelt Das waren allesamt herausragende Persönlichkeiten und tolle cher Gesellschaft träumen wir in Deutschland? Denn welche Menschen, nur hat sie eben das System Schule überhaupt nicht Prägung wir Kindern heute in der Schule mitgeben, wird einen stände nur beschönigt haben. Weder war das deutsche werden sollten? Wie können wir nachwachsenden Al- erreicht und sie hatten wohl auch kein gesteigertes Interesse maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie sie morgen die Zu- Bildungssystem genügend auf digitalen Unterricht terskohorten Werkzeuge an die Hand geben, die ihnen daran. Den Lernwillen von Menschen zu unterdrücken, dafür kunft unserer Gesellschaft mitgestalten. vorbereitet, noch können Eltern die erlernten Fach- in der Arbeitswelt von morgen wirklich helfen? Wie braucht es schon eine gehörige Anstrengung. kompetenzen von Lehrkräften so einfach ersetzen. Die viel Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen Wenn wir also von einer gerechten, friedlichen und demokra- Leidtragenden waren die Schüler_innen, die im Lock- muss gewährleistet sein, damit sie ihre eigenen Poten- Sicherlich ist ein wichtiger Schritt die Individualisierung und tischen Gesellschaft träumen, in der jeder Mensch sein Poten- down weitgehend auf sich gestellt waren. Vielleicht ist ziale entfalten können? der Fokus auf die Stärken der Schüler_innen. Das geht beides zial einbringen kann, dann muss sich das auch in unserem Ler- deshalb jetzt der beste Zeitpunkt, über das Bildungs- nicht in Klassenstärken wie bislang und auch nicht mit dem Fo- nen und in unserer Schulkultur widerspiegeln. Wir müssen an system im 21. Jahrhundert noch einmal grundsätz- kus auf Noten und der einseitigen Orientierung auf „Verwertbar- den Schulen die Werte leben, die wir uns für die Gesellschaft keit“, die dahintersteckt. Nun sind wir ja im Corona-Jahr alle zu von morgen in Deutschland wünschen. Wir an der Gebrüder- Bildungsexpert_innen geworden, vielleicht schaffen wir es, die- Grimm-Schule in Hamm wünschen uns mutige Kinder, Lehr- sen Schwung mitzunehmen und endlich grundsätzlich an eini- kräfte und Eltern, denen wir etwas zutrauen, die sich dadurch gen Stellschrauben zu drehen: eine deutliche Erhöhung selbst auch etwas zutrauen. Wir wünschen uns Men- der Lehrer_innen-Anzahl, flächendeckende Unter- schen, die sich ihrer Potenziale bewusst werden stützung durch (Sozial-)Pädagog_innen, bessere Ausstattung, Weiterbildung in Medienkompe- „Unsere und diese auch ausleben können. Wir wünschen uns Kinder, die ihre natürliche Begeisterung tenz und vieles mehr. Eigentlich würde ich mir fast eine Verdopplung der Zahl der Lehr- Schule für das Lernen nicht verlieren, die wertschät- zend und humorvoll miteinander umgehen kräfte wünschen, aber das scheint radikaler zu sein, als jahrzehntelang die Bildung gan- schert alle und sich gegenseitig annehmen, auch wenn sie verschieden sind. Kinder, die eine eigene Zu diesem Thema sprachen wir mit: zer Generationen zu vernachlässigen. Meine Vorschläge klingen vielleicht etwas formell, über einen Meinung begründen und diese auch selbstbe- wusst vertreten können, Kinder, die sich Wis- aber ehrlich gesagt sind das gerade mal die Kamm.“ sen selbstständig aneignen können, Kinder, die zwingenden Grundvoraussetzungen, um weiter um die Ecke denken und auf kreative Weise He- über Integration, Teilhabe und Inklusion zu spre- rausforderungen meistern. chen, da sind sich die Kolleg_innen an den Schulen recht einig. Es geht nicht immer mehr zu gleichbleibenden Daraus ergibt sich mittel- bis langfristig betrachtet eine Ver- Bedingungen. änderung des Lernens – weg von der Schule des Industriezeit- alters, hin zu einer Schule des Lernens der Zukunft. Doch dafür Barbara Blaha: Ein Kind aus der Arbeiterschicht muss schon braucht es Gedanken, die das bisherige Lernen infrage stellen: überdurchschnittlich gut sein, um für das Gymnasium über- Welche Lerninhalte brauchen unsere Kinder, um in der Schu- © medialepfade.org © Ingo Pertramer haupt in Betracht gezogen zu werden. Um die soziale Durchläs- le und im weiteren Verlauf ihres Lebens gut klarzukommen? sigkeit zu erhöhen, wäre daher die flächendeckende gemeinsame Müssen wir zwangsweise ganze Schulbücher abarbeiten? Geben © privat Schule der 10- bis 14-Jährigen essenziell, damit auch Kinder aus die Schulbuchverlage uns Lehrer_innen vor, was unsere Kinder bildungsfernen Milieus die Chance auf höhere Bildung, bessere wirklich brauchen? Können wir dies als pädagogische Expert_ Jobs und ein gutes Einkommen bekommen. Ansonsten werden innen nicht viel besser selbst beurteilen? Ist der derzeitige Lern- sie schon davor ausgesiebt. Mehr individuelle Förderung insbe- stoff wirklich geeignet, um die Kinder fit dafür zu machen, die sondere von Kindern aus benachteiligten Schichten nach ihren Herausforderungen der Zukunft zu meistern? Barbara Blaha arbeitet am liebsten Daniel Seitz ist Gründer von mediale Frank Wagner ist seit 2007 Rektor Bedürfnissen und Talenten ist ein weiterer Punkt. Leider schert an der Schnittstelle von Wissenschaft pfade. Er brennt für eine freie, poli- der Gebrüder-Grimm-Schule, einer unser Schulsystem alle über einen Kamm, ohne zu berücksich- Das übergeordnete Leitziel an der Gebrüder-Grimm-Schu- und Politik. Sie leitet den Thinktank tisierte Gesellschaft, die ihre soziale offenen Ganztagsschule in Hamm, tigen, dass nicht jedes Kind mit Baby-Yoga, Mandarin-Kurs le fasst unsere Auffassung von Zielen und Visionen einer zu- Momentum Institut (Wien) und den Verantwortung wahrnimmt. Als Me- die unter seiner Ägide 2019 den Deut- oder Tablet aufwächst. Viele haben nicht einmal einen eigenen kunftsfähigen Schule wie folgt zusammen: „Kinder sollen la- Momentum Kongress, ist Universitäts- dienpädagoge ist er überzeugt, dass schen Schulpreis erhielt. Dabei über- Schreibtisch und Eltern, die sich selber beim Lesen, Schreiben chend Leistung lieben lernen.“ Eigentlich gar nicht neu, aber rätin der Universität Salzburg, lehrt Medienbildung einen wichtigen ge- zeugte sie in allen sechs Qualitäts- und Rechnen schwertun. aktueller denn je. Hierzu muss ich etwas ausholen, was die Aus- am Institut für Politikwissenschaft der sellschaftlichen Beitrag zu politischer kriterien „Leistung“, „Umgang mit gangslage angeht. Universität Wien und ist Mitgründerin Teilhabe, Selbstentfaltung und Kreati- Vielfalt“, „Unterrichtsqualität“, „Ver- des Wiener Balls der Wissenschaften. vität leisten kann. Daniel Seitz lebt in antwortung“, „Schulklima, Schulle- Der Unterricht an deutschen Schulen vollzieht sich im Grun- Eine gute Allgemeinbildung ist von unschätzbarem Wert für Von 2006 bis 2010 gehörte sie dem Berlin. Er ist Autor beim Medienpäd- ben und außerschulische Partner“ so- de genommen wie vor 100 Jahren: Eine Lehrperson steht gelingende gesellschaftliche Teilhabe in einer demokratischen Publikumsrat des ORF an. 2012 ver- agogik Praxisblog, zentrale Themen wie „Schule als lernende Institution“. frontal vor der Klasse, Hausarbeiten werden meistens zu Gesellschaft. Allerdings nimmt das Wissen der Menschheit ex- öffentlichte sie gemeinsam mit Sylvia sind Migration und Flucht, Antiras- Bereits 2015 pilotierte er dort eine Hause und allein erledigt. Wie sollte stattdessen die Schule ponentiell zu. Das Wissen explodiert förmlich – und das in allen Kuba den Band „Das Ende der Kra- sismus, Hacker_innen-Kultur sowie offene Lernlandschaft unter beeng- der Zukunft aussehen? Fachbereichen. Ist deshalb die logische Konsequenz, dass Schü- wattenpflicht. Wie Politikerinnen in Webvideos. ten Raumverhältnissen. Auf Wagners lerinnen und Schüler auch mehr Wissen in ihrem Kopf unter- der Öffentlichkeit bestehen“. Schreibtisch steht die Jobbeschreibung Blaha: In Skandinavien ist man schon viel weiter. Der Unter- bringen müssen? Geht das überhaupt? Und dann kommen auch „Director of unnecessary and special richt erfolgt projektorientiert. Die Kinder eignen sich ihr Wis- noch Kompetenzen dazu. Ich selbst, Jahrgang 1971, brauchte projects“. sen entlang ihrer Interessen und Begabungen an, die sie gezielt noch keine digitalen Skills in meiner Schulzeit. Heute ist das
18 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DIGITALE SIGNALE 19 quasi bereits Voraussetzung. Aber wir alle haben doch nur einen petenzen modulartig zunehmend digital bereitgestellt werden, starten. Da gibt es tolle Ansätze mit offenen Architekturen, die bedenken. Jede Schülerin und jeder Schüler unserer Schule soll Kopf, ein Gehirn. Meiner Meinung nach werden Schüler_innen können diese im Rahmen von verschiedenartigen Drehtürmo- wesentlich freiere Unterrichtsformen, fächer- und altersüber- Demokratie direkt erleben. Dafür entwickeln wir gerade einen nicht in der Lage sein, diese zunehmende Menge an Fachwissen dellen erlernt und bei Bedarf ohne großen Aufwand wiederholt greifend, ermöglichen. Darüber hinaus sollten Schulen mit der eigenen Handlungsstrang auf unserer recht neuen Lernplatt- auswendig zu lernen und jederzeit im Gedächtnis abrufbar be- werden. Außerdem ermöglichen sie das gemeinsame Lernen un- modernsten Ausstattung arbeiten, die wir ihnen bieten können. form. Hier können bald schnell und direkt Umfragen generiert reitzuhalten. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung von bestimmten terschiedlichster Schülergruppen, unabhängig von Alter, Jahr- Solange wir Schüler_innen eher mit der Vergangenheit von und von allen Schüler_innen gestellt und beantwortet werden. Kompetenzen und Fertigkeiten bzw. Skill-Sets und damit ver- gang, Leistungsstand und vom Unterricht im Klassenverband Kultusministerien und Schulträgern konfrontieren als mit ihrer Das Gleiche ist für Eltern geplant. Erst kürzlich haben wir im bundenen Werthaltungen zu. Im Fachdiskurs nennt man diese – sie alle arbeiten selbstständig an dem jeweiligen für ihr Wei- eigenen Gegenwart und Zukunft, werden wir dem, was wir der Schulleitungsteam darüber diskutiert, wie praktisch es wäre, für digital literacies. Also noch etwas obendrauf. Wenn wir die terkommen relevanten Modul, das sie sich als nächstes Lernziel jungen Generation schuldig sind, kaum gerecht werden. So lang- die anstehende Schulöffnung in der Pandemie über verschiedene Fachinhalte schon nicht schaffen, wie sollen dann auch noch gesetzt haben. sam kommen interaktive und digitale Methoden und Ansätze Arten von Wechselmodellen auch Eltern schnell über die eige- Skills eingebaut werden… Und dabei sind sie von entscheiden- in die Lehrer_innen-Ausbildung. Das heißt im Umkehrschluss ne, bekannte Plattform abstimmen lassen zu können. Darüber der Wichtigkeit – die Zukunftsskills. Wir versuchen an der Ge- Wenn alle am Lernen Beteiligten über eine digitale Plattform aber auch: Es gehen jetzt immer noch Lehrer_innen von der Uni, hinaus sollen auf der Plattform Tools bereitgestellt werden, die brüder-Grimm-Schule gerade einen Weg zu entwickeln, Zeit für jeweils datenschutzkonformen Zugriff auf die dem Kind zuge- die die nächsten 40 Jahre unterrichten werden mit Methoden, die sozialen Netzwerken nachempfunden sind. Hier steht die Mög- das Erlernen dieser Skills einzubauen. Und das geschieht wie wiesenen Lernmodule haben und Eltern wie auch Kind hierü- bereits jetzt veraltet sind. lichkeit zum Verfassen von Kommentaren im Mittelpunkt. Die- folgt: Wir priorisieren Fachinhalte und binden digitale Lernme- ber persönliches Feedback zum Lernstand bekommen, wird die se müssen allerdings gewissen Qualitätsansprüchen hinsichtlich dien ein. Basiskompetenzen werden digital und so trainiert, dass individuelle Förderung erheblich erleichtert – sie erfolgt dann Was ich – als primär außerschulischer politischer Bildner – in Meinungsfreiheit sowie Wertschätzung genügen. Und nicht sie abrufbar jeder Schülerin bzw. jedem Schüler zur Verfügung passgenau und aufeinander abgestimmt. Auch im Bereich der der schulischen Bildung stark vermisse, ist Persönlichkeitsbil- zuletzt sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, den Wahr- stehen. Elternbildung können diese Module die Grundlage dafür schaf- dung. Viel zu häufig wird rein formales Wissen vermittelt, dabei heitsgehalt von Nachrichten einzuschätzen und Fake News zu fen, Eltern zu helfen, ihr Kind beim Lernen bestmöglich zu aber vergessen, die Inhaltevermittlung auch an Werten auszu- erkennen. Selbstverständlich vermitteln wir darüber hinaus jede Menge unterstützen. richten und diese ins Zentrum zu stellen. Dafür bräuchte es aber Fachinhalte, diese müssen allerdings nicht alle jederzeit im Ge- auch eine demokratische Kultur an der Schule, die dies vorlebt. Ich möchte an dieser Stelle noch einen Schritt weitergehen und hirn zur Verfügung stehen. Welch ein Glück, dass es das Inter- Ich möchte an dieser Stelle auch über unser Lernkaleidoskop, Ich wünsche mir ein Lehrer_innen-Bild, das sich aus vorbild- die im deutschen Bildungswesen angelegte Trennung von all- net gibt. Wissen ist überall und jederzeit durch Smartphones und eine offene Lernumgebung, etwas ausführlicher berichten. Alle lichen Werten und nicht über vermeintlichen Wissensvorsprung gemeiner und beruflicher Bildung im angebrochenen 21. Jahr- Internet abrufbar. Die Recherche von Fachinhalten ist übrigens Fachräume, das pädagogische Zentrum, die Mensa, das Au- definiert und auch so im Gesamtrahmen – nicht nur in den auf- hundert infrage stellen. Denn diese strikte Trennung von Schu- ebenfalls eine Basiskompetenz, die jedes Kind bei uns ßengelände und auch ein Teil der Verwaltung stehen gewandten Unterrichtsstunden – durch sein Handeln le und Beruf hat dazu geführt, dass unter Umständen beherrschen sollte. Wir lernen demnach gerade in als Räumlichkeiten zur Verfügung, wobei jeder erkennbar ist. 13 Jahre lang bis zum Abitur am Gymnasium ein einem Dreisäulenmodell: Quadratmeter unserer kleinen Grundschule „Es wichtiges Ziel nur wenig in den Blick genommen • Trainierte Basiskompetenzen jederzeit si- „Gibt es äußerst durchdacht genutzt wird. Das Ka- leidoskop ist in verschiedene sogenann- Ich wünsche mir Schüler_innen, die als voll- wertige Bürger_innen anerkannt, aber auch geht um die wird: die Berufswahl. In trockenen, künstlich inszenierten Berufsberatungen in Arbeits- cher im Kopf abrufbar genügend te Lerninseln unterteilt. An jeder dieser gefordert werden. Dafür bräuchte es echte Schaffung von ämtern werden dann oft etwas zusammen- Lerninseln steht ein kleiner Monitor mit Partizipation und eine gemeinsame Ge- hanglos mithilfe von Computerprogrammen • Fachwissen, nicht immer mit dem Ziel, die- Zeit für verschiedenen möglichst kreativen Ar- staltung des Schulcampus – mit allem, was Wirksamkeits- Stärken gesucht und Berufsideen vermittelt. ses jederzeit abrufbar im Gedächtnis zu beitsaufträgen. Das notwendige Material dazugehört –, um so auch eine Ausbildung Geht da nicht viel mehr? Wir an der Gebrü- verankern Kreativität?“ zum Lösen der Aufgabe befindet sich in ei- zu mündigen Bürger_innen zu ermöglichen, erlebnissen.“ der-Grimm-Schule sind der Überzeugung, nem einheitlich für die verschiedenen Lern- die im Morgen verstehen, dass unsere Welt ge- dass Potenziale, Talente und Stärken bereits • Zukunftsskills, darunter an zentraler Stelle inseln designten jeweiligen Schrank. Selbst- staltbar ist, die Wirksamkeitserlebnisse schafft. frühzeitig in der Schule gesucht und gefunden Kreativität, die einen wichtigen Baustein der so- verständlich können Lösungsmöglichkeiten für Dies wäre auch eine Voraussetzung dafür, dass werden müssen. Und warum sollten nicht auch Be- genannten 21st Century Skills1 zur Bewältigung von die Aufgaben auch in anderen Lerninseln gefunden nachfolgende Generationen entstehen, die immun rufsideen immer wieder begleitend diskutiert und be- Komplexität bildet. werden. sind gegen Falschinformationen, Hass und Abwertungsme- nannt werden? chanismen gegenüber anderen, weil sie nicht schon früh vor al- Aber wie ist es denn um das Thema Kreativität an deutschen Wir wünschen uns sehr, Design-Thinking-Prozesse2 hier ein- lem Konkurrenz um Noten, Abschlüsse und Aufstiegschancen Wir Menschen sehnen uns danach, glücklich zu sein. Und dafür Schulen bestellt? Gibt es Zeit für Kreativität? Im Fach Kunst zubinden. Die kreative Aufgabe oder auch eine selbst erdachte erleben. So könnten wir auch schon früh solidarischen Umgang ist der Beruf nicht nur wichtig, sondern unter Umständen so- oder Musik vielleicht schon, aber darüber hinaus? Herausforderung stellt den Startpunkt dar. Nach der konkreten fördern und den abstrakten Begriff mit Leben füllen. Dafür gar entscheidend. Um zufrieden, glücklich und wirksam sein zu Problemfrage sollen Ideen entwickelt werden und schließlich braucht es multidisziplinäre Teams, die Ressourcen, Zeit und können, sollten Menschen möglichst Berufe wählen, die ihren Für uns besteht ein enger Zusammenhang zwischen der intensi- möglichst schnell auch Prototypen designt werden. Eine gelern- Fachwissen haben, um den Lernraum Schule umfassender zu Potenzialen entsprechen. Deshalb sehen wir an unserer Schu- ven, kreativen Auseinandersetzung mit einem Projektthema und te Schreinerin unterstützt hierbei im Rahmen eines multiprofes- betrachten. Wenn wir Freiheit auch gegenüber jungen Menschen le die Aufgabe, bereits in der Grundschulzeit den Lernenden den (digitalen) Automatisierungsprozessen der Basiskompeten- sionellen Teams bei der Ausführung. Das Kaleidoskop enthält ernst meinen, müssen wir aus einer Schulpflicht ein Recht auf Potenziale und Talente aufzuzeigen und darüber ins Gespräch zen. Wir hoffen, dass durch die Begeisterung für ein Projekt- darüber hinaus eine zusätzliche Lerninsel für Erwachsene bzw. Bildung machen. Das würde Schüler_innen auch in der aktuel- zu kommen. Talente sind deshalb immer auch ein Thema an den thema intrinsische Motivation für das Trainieren und Automati- Eltern. Diese Lerninsel befindet sich ziemlich genau im Zen- len Situation mehr helfen, könnten sie doch einen berechtigten regelmäßig stattfindenden Schülersprechtagen. Alle Schüler_in- sieren entsteht. Basiskompetenzen stellen bei uns die Sammlung trum des Kaleidoskops und lädt dazu ein, sich mit modernen Anspruch geltend machen, der weit über das hinausgeht, was nen genießen es sehr, in diesen ca. 15 Minuten im vertrauten der wichtigsten, absolut unverzichtbaren Lerninhalte bzw. Lern- Gedanken von Bildung zu beschäftigen oder die Kids bei der wir ihnen aktuell bieten können. Vieraugengespräch mit der Lehrerin bzw. dem Lehrer gemein- methoden dar, die alle Schüler_innen für ihre weitere Schullauf- Arbeit im Kaleidoskop zu beobachten. Ein Transfer von Ergeb- sam zu überlegen, wo individuelle Talente stecken, wie diese bahn und das Leben erlernen müssen. Wir erwarten, dass alle nissen in den Stadtteil ist bereits angedacht. Wagner: Ich persönlich habe den Eindruck, dass es Menschen sich zeigen oder geweckt werden können. Schüler_innen diese Basiskompetenzen sicher beherrschen und immer schwerer fällt, Meinungen anderer Menschen sachlich zu selbst Kinder mit Teilhabeeinschränkungen eine – wie wir es Seitz: Man sieht hier sehr gut: Wer sich tiefer in die Bildungs- diskutieren und zu tolerieren. Gerät hier ein Baustein unseres Am Ende der Grundschulzeit erhalten alle Viertklässler_innen humorvoll nennen – „Überlebensfähigkeit“ entwickeln. szene eingräbt, entdeckt eine wunderbare Welt engagierter Leh- Gesellschaftssystems ins Wanken? Und was können wir Schu- dann eine sogenannte Talent-Urkunde. Auf dieser Urkunde sind Digitale Medien können mittlerweile sehr gut für das Training rer_innen, die mit viel Engagement und Fachwissen Konzepte len dagegen tun? Ziel an unserer Schule in Hamm ist es, bereits verschiedene nach der multiplen Intelligenztheorie sortierte Ta- von Basiskompetenzen eingesetzt werden. Zahlreiche Apps oder weiterentwickeln. In diesen Genuss kommt aber tatsächlich Grundschüler_innen Wirksamkeit im politischen Kontext erle- lentbereiche vermerkt. Gleichzeit befinden sich neben den In- auch webbasierte Dienste sind bereits entwickelt worden oder leider nur ein Bruchteil der Schüler_innen. Eine Veränderung ben zu lassen. Dafür werden in parlamentarischen Strukturen telligenzbereichen Vorschläge für passende gängige Berufe. So stehen in Kürze zur Verfügung. Wenn passgenaue Basiskom- des Unterrichts sollte, wie eben gesehen, an Gebäudekonzepten wie zum Beispiel dem Schülerparlament echte, relevante, le- können die Schüler_innen konkrete Ideen zur späteren Berufs- bensnahe Entscheidungen getroffen. Auch Grundschüler_innen wahl bereits in der vierten Klasse erahnen. Selbstverständlich 1 Vgl. dazu Bernie Trilling/Charles Fadel: 21st Century Skills: Learning for Life in Our Times, San Francisco 2009. In ihrem Buch beschreiben Trilling und Fadel die merken sofort, wenn es nur um kindliche, künstlich erzeugte achten wir darauf, dass wir unsere Schüler_innen nicht auf be- Fähigkeiten, die zum Überleben und Gedeihen in einer komplexen und vernetzten Welt erforderlich seien. Die Inhalte des 21. Jahrhunderts umfassen danach nicht nur Entscheidungsprozesse statt um echte, eventuell die gesam- stimmte Talentbereiche einschränken bzw. Talentbereiche aus- die grundlegenden Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern beinhalten auch das globale Bewusstsein, wirtschaftliche Kompetenz und eine erhöhte te Schule betreffende Lösungen geht. Aber parlamentarische schließen. Sensibilität für Gesundheitsfragen. Die Kompetenzfelder des 21. Jahrhunderts teilen sich in drei Kategorien auf: Lern- und Innovationsfähigkeiten, digitale Kompetenz und Lebens- und Karrierefähigkeiten. Strukturen sind nicht alles, wenn wir politische Wirksamkeit 2 Design Thinking ist eine kollaborative Methode für Innovationsprozesse, zum Beispiel in der Geschäftsfeld- oder Produktentwicklung einer Organisation. Leitende Prinzipien sind dabei unter anderem die konsequente Entwicklung eines Modells aus der Anwendersicht, schnelle Prototypenbildung sowie eine iterative Vorgehens- weise.
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