Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN

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Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
PUBLIC EYE MAGAZIN
        Nr. 33   Januar 2022

      ROHSTOFFHANDEL

Schweizer Plantagen
    in Übersee
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
EDITORIAL                                                                                                 PUBLIC EYE MAGAZIN       Nr. 33    Januar 2022

                                                                        Die unbekannten Riesen
                                                                        an unserem Esstisch
                                                                        Immer wieder bin ich erstaunt darüber, wie wenig in der Öffent-
                                                                        lichkeit über jene Firmen berichtet wird, die für unser globales
                                                                        Ernährungssystem zentral sind: die Agrarhändler. Während
                                                                        Rohstoffriesen wie Glencore oder Lebensmittelhersteller wie
                                                                        Nestlé in aller Munde sind, ist von ihnen kaum die Rede. Dabei
                                                                        gehört etwa der weltgrösste Agrarhändler Cargill mit knapp 135
                                                                        Milliarden US-Dollar zu den drei umsatzstärksten Unternehmen
                                                                        der Schweiz, und er setzt über 50 % mehr um als Nestlé. In Genf
                                                                        wickelt Cargill seinen globalen Handel mit Getreide und Soja ab
                                                                        und betreibt sein ganzes Logistikgeschäft. Auch die anderen
                                                                        Agrarhändler orchestrieren aus ihren Genfer oder Zuger Büros
                                                                        ihre Handelsgeschäfte – im Licht der Öffentlichkeit stehen sie
                                                                        jedoch kaum. Oder sagen Ihnen die Namen Archer Daniels
                                                                        Midland, Cofco, Ecom Agroindustrial oder Viterra etwas?

                                                                        Wahrscheinlich nicht – und das ist nicht zufällig. Im Gegensatz zu
                                                                        Markenfirmen, mit denen wir als Konsument*innen tagtäglich in
                                                                        Kontakt kommen, ist die intransparente Rohstoffbranche nicht an
                                                                        Öffentlichkeit interessiert. Sie verkauft zwar an Lebensmittelher-
                                                                        steller oder Textilfirmen, denen ihr Image wichtig ist. Die im Hinter-
                                                                        grund agierenden Agrarhändler hingegen braucht ihr Ansehen
                                           Silvie Lang
                                                                        kaum zu kümmern; sie werden allenfalls von NGOs wie Public Eye
                                                                        kritisch unter die Lupe genommen. Dabei wäre eine breit ange-
                                                                        legte Kritik dringend nötig, denn die Agrarrohstoffe, die in unseren
                                                                        Nahrungs- und Genussmitteln oder Biotreibstoffen landen, werden
  Dank Ihnen!                                                           unter hochproblematischen Bedingungen produziert. Und die
  Die Reportagen und Analysen in unserem Magazin                        Händler, die weltweit auch über 550 eigene Plantagen betreiben,
  und die Recherchen, auf denen diese beruhen,
                                                                        sind dort direkt verantwortlich für Missstände wie Landgrabbing,
  sind nur dank der Unterstützung unserer Mitglieder
  und Spender*innen möglich.                                            Verletzungen von Arbeitsrechten oder Abholzung.
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                                                                        des Rohstoffhandels wehrt, ist nicht nur ein Armutszeugnis. Mit
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                                                                        renden Folgen für Mensch und Klima ist es schlicht ein Skandal.
  Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.

PUBLIC EYE – MAGAZIN        Nr. 33 Januar 2022

REDAKTION & PRODUKTION                  DRUCK                                  KONTAKT                            SPENDENKONTO
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Ariane Bahri (F)                        Cyclus Print & Leipa, FSC              Dienerstrasse 12                   —
—                                       —                                      Postfach, 8021 Zürich              Das Public Eye Magazin
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Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
Globale Gerechtigkeit beginnt bei uns.

 Schweizer Plantagen                  Genf | Lausanne | Bern | Zug | Zürich         Kinshasa

 Wo Schweizer Agrarhändler die                               «Congo Hold-Up»: Banken aus der
 Menschenrechte mit Füssen treten                            Schweiz waren stets zu Diensten
 4     Auf über 550 Plantagen weltweit pflanzen              21   Eine Bank kassiert Millionen für eine Firma,
       Schweizer Rohstoffhändler Orangen, Palmöl                  die die USA mit Sanktionen belegt haben. Wie
       oder Zuckerrohr an. Ihr Wirken bringt der                  sie und andere hiesige Banken von der grossen
       Bevölkerung oft mehr Schaden als Nutzen.                   Veruntreuungsaffäre im Kongo profitieren.
       Genf, Schweiz | Zug, Schweiz | Welt                        Kinshasa, Demokratische Republik Kongo

 Der Staatsschutz überwacht Public                           Covid-19: Auch Medikamente
 Eye; bald mit noch mehr Macht?                              gibt es nur für die reichen Länder
 16    Der Geheimdienst soll Gewalt verhindern und die       30   Wie bei den Impfstoffen verhindern geistige
       Schweiz sicherer machen. Die Fiche von Public              Eigentumsrechte und purer Nationalismus eine
       Eye zeigt: Es bleibt sehr oft nicht dabei. Nun soll        faire Verteilung der Medikamente. Schweizer
       der Staatsschutz gar neue Befugnisse erhalten.             Pharmakonzerne sind federführend dabei.
       Zürich, Schweiz | Lausanne, Schweiz                        Genf, Schweiz

 Konzernverantwortung: Bundesrat                             Regulierungsbremse: Schiesst
 sieht unzählige Ausnahmen vor                               das Parlament ein Eigengoal?
 20    In der Umsetzung des Gegenvorschlags zur              33   Das Parlament will die Hürden für neue Gesetze
       Konzernverantwortungsinitiative beugt sich der             erhöhen, die für Unternehmen mehr Aufwand
       Bundesrat einmal mehr der Konzernlobby. Die                bedeuten. Die Wirtschaftslobby frohlockt, doch
       Verordnung ist voller Schlupflöcher.                       das letzte Wort dürfte das Volk haben.
       Bern, Schweiz                                              Bern, Schweiz
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
Schweizer Agrarhändler
 als Plantagenbesitzer

Die grossen Agrarhändler organisieren aus ihren Genfer und Zuger Büros nicht
nur den globalen Handel mit Soja oder Kaffee – sie sind längst auch Plantagen-
besitzer. Auf einer Fläche von mehr als 2,7 Millionen Hektar bauen sie auf über
550 Plantagen weltweit Zuckerrohr, Palmöl, Orangen oder Kautschuk an. Für die
Missstände in der dortigen Produktion, die von Landgrabbing über Arbeits-
rechtsverletzungen bis zu Umweltvergehen reichen, sind sie deshalb direkt ver-
antwortlich. Diese Recherche zeigt erneut: Als grösste Handelsdrehscheibe von
Agrarrohstoffen weltweit ist die Schweiz Sitzstaat einer risikobehafteten Bran-
che, die dringend reguliert werden muss.

SILVIE LANG, THOMAS BRAUNSCHWEIG UND TIMO KOLLBRUNNER
                                                                                  © Micha Patault
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
SCHWEIZER PLANTAGEN           5

I
     n der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass die welt-         bauen Palmöl, Zuckerrohr oder Kaffee auch selbst an
     weit grössten Agrarhändler wie Cargill, Archer Da-            und verarbeiten sie weiter zu Futter-, Lebens- und Ge-
     niels Midland oder Bunge grosse Teile ihres globalen          nussmitteln. Diese Ausweitung des Geschäftsmodells
Handels aus der Schweiz heraus abwickeln. Ob umsatz-               zeigt sich auch in den Selbstbeschreibungen der Händ-
stärkste Niederlassung, regionales Handelsbüro oder in             ler. So wirbt die Louis Dreyfus Company (LDC) mit
einigen Fällen gar Hauptsitz – die hier ansässigen Händ-           dem Slogan «From Farm to Fork» (vom Hof bis auf den
ler machen die kleine Schweiz zum grössten Handelshub              Teller) und Olam mit dem Spruch «From Seed to Shelf»
für Agrarrohstoffe wie Soja, Zucker oder Kaffee. Dabei             (vom Saatgut bis ins Verkaufsregal).
gelangen diese Rohstoffe allerdings so gut wie nie phy-                   Die Diversifizierung ermöglicht den Unterneh-
sisch in die Schweiz. Dieser sogenannte Transithandel              men nicht nur, ihre Risiken zu minimieren, sondern
ist das Geschäftsmodell der Schweizer Rohstoffhändler –            auch, ihren Einfluss zu vergrössern. Mit dem Anbau
und sehr praktisch für diese notorisch intransparente              eigener Rohstoffe erhalten die Konzerne einen besseren
Branche. Denn so kann der Umfang dieses Handels weder              Zugang dazu und eine grössere Kontrolle über die von
aus der Schweizer Zollstatistik noch aus anderen öffent-           ihnen benötigte Menge und Qualität. Zudem erleichtert
lich verfügbaren Daten herausgelesen werden. Auch die              ihnen diese Integration die Rückverfolgbarkeit der Gü-
Unternehmen selbst sowie ihre Branchenverbände halten              ter entlang der Wertschöpfungskette.
sich äusserst bedeckt.
                                                                        Die Schweizer Händler als Plantagenbesitzer
   50 % des Getreides und jede dritte Kaffeebohne                  Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat Public
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hat Public Eye               Eye erstmals systematisch untersucht, wo und wie viel
2019 mit aufwendigen Recherchen konservative Schät-                Land die Schweizer Händler für den Anbau von Ag-
zungen zur Grösse des Agrarhandelsplatzes Schweiz vor-             rarrohstoffen weltweit kontrollieren. Ausgehend von
genommen. Mit erstaunlichen Resultaten: Die Trader in              Daten, die die niederländische Non-Profit-Organisation
ihren Büros am Genfersee oder in der Zentralschweiz                Profundo in unserem Auftrag recherchiert hat, haben
wickeln mindestens die Hälfte des globalen Handels mit             wir unter die Lupe genommen, welche Plantagen die
Getreide und Ölsaaten (wie Soja) und mindestens 40 %               Rohstoffhändler für welchen Verwendungszweck kon­
des weltweiten Zuckerhandels ab, verschieben zudem                 trollieren. Und welche Missstände es im Zusammen-
jede dritte Kaffee- und Kakaobohne und verantworten                hang mit mancher dieser Plantagen gibt.
25 % des globalen Baumwollhandels.                                         Die von Schweizer Händlern kontrollierten Plan-
       Dass über die Unternehmen, welche die Schweiz               tagen umfassen insgesamt mindestens eine Fläche von
zur grössten Drehscheibe für den globalen Agrarhandel              über 2,7 Millionen Hektar. Das entspricht mehr als dem
machen, so wenig bekannt ist, hat mit ihrem Geschäfts-             Sechsfachen des gesamten Schweizer Ackerlandes oder
modell zu tun. Denn wir Konsument*innen kommen                     50 Mal der Fläche des Bodensees. Während es in man-
kaum je in Kontakt mit Cargill & Co, auch wenn diese               chen Fällen genaue Angaben zur kontrollierten Fläche,
praktisch alle relevanten landwirtschaftlichen Rohwaren            der Anzahl Plantagen und den genauen Standorten gibt,
handeln und verarbeiten, die in unseren Konsumgütern               sind in anderen nur Hinweise zur Gesamtfläche und
landen, und eine zentrale Funktion in unserem globalen             den Ländern, jedoch weder Ortsangaben noch detail-
Agrar- und Ernährungssystem einnehmen.                             liertere Informationen zur exakten Zahl der Plantagen
                                                                   zu finden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Branche
          Vom Anbau bis ins Verkaufsregal                          nicht nur extrem verschwiegen, sondern auch sehr dy-
Lange präsentierten sich die Agrarhändler als reine Lo-            namisch ist. So wechselte etwa der brasilianische Zu-
gistikfirmen, deren Geschäft sich darauf beschränkt,               ckertrader Biosev erst kürzlich von LDC in den Besitz
Landwirtschaftsgüter von A nach B zu verschiffen.                  von Raízen, was die Zuordnung von einzelnen Planta-
Tatsächlich aber sind sie längst zu vertikal integrierten          gen zu spezifischen Tradern weiter erschwert.
Agro-Food-Konzernen geworden. Das heisst, sie haben                        In unserer gemeinsam mit Partnerorganisatio-
ihre Tätigkeiten auf die Wertschöpfungsstufen ausge-               nen in den Produktionsländern durchgeführten Pio-
dehnt, die dem Handel vor- und nachgelagert sind. Sie              nierrecherche konnten wir insgesamt 561 Plantagen
transportieren Agrarrohstoffe nicht mehr nur, sondern              in 24 Ländern identifizieren, die von Schweizer Agrar-
                                                                   händlern kontrolliert werden.
                                                                           Flächenmässig mit Abstand am meisten Land kon-
                                                                   trollieren die Schweizer Händler für die Produktion von
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
6                                                                                   PUBLIC EYE MAGAZIN      Nr. 33   Januar 2022

      der Gesamtfläche, gefolgt von Getreide und Ölsaaten. Von         Zuckerrohr und Palmöl genauso wie Soja sogenannte Flex
      Schweizer Tradern betriebene Zitrusplantagen erstrecken          Crops – also Rohstoffe, die einen vielfachen Nutzen haben
      sich auf 190 000 Hektar, Kautschuk macht noch etwas über         und somit flexibel für Lebens- und Futtermittel oder auch
      100 000 Hektar aus. Danach folgen flächenmässig abge-            als Biotreibstoff eingesetzt werden können. So wird bei-
      schlagen Kaffee, Bananen und Reis. Kein Schweizer Planta-        spielsweise bis zu 90 % des global produzierten Sojas zu
      genbesitz liess sich für Kakao und Baumwolle nachweisen.         Futtermittel verarbeitet. Und im Erntejahr 2019/20 wur-
                                                                       den knapp zwei Drittel der gesamten Zuckerrohrernte
                     Könige der «Flex Crops»                           Brasiliens, dem führenden Produktionsland von Zucker,
      Dass die Trader mit Abstand am intensivsten in den An-           für die Herstellung von Ethanol und nicht für Rohzucker
      bau von Zuckerrohr, Palmöl sowie Getreide und Ölsaaten           verwendet. Was tatsächlich hergestellt wird, hängt denn
      investieren, kann mehrere Gründe haben. Einerseits sind          auch mit dem Ölpreis zusammen: Steigt dieser, werden die
                                                                       Treibstoffe teurer und das günstigere Ethanol wird stärker
                                                                       nachgefragt. Mit Flex Crops können längerfristig sicherere
                                                                       Renditen erzielt werden als mit anderen Landwirtschafts-
                                                                       erzeugnissen. Denn mit diesen Agrarrohstoffen können
       Von Schweizer Händlern                                          Trader flexibler auf Markttrends und Preisschwankungen
      ­kontrolliertes Anbauland                                        reagieren und so ihre Preisrisiken verringern.
                                                                              Ein weiterer Grund, vor allem bei diesen Rohstof-
       in ­Hektar pro Konzern                                          fen auf die Anbaustufe vorzudringen, ist die Tatsache,
                                                                       dass deren Produktion kapital- und weniger arbeitsin-
                                                             10
                                  40

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                                                                       tensiv ist. So ist der Zuckerrohranbau in Brasilien mitt-
                          0

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                                                                       lerweile grösstenteils mechanisiert. In gewissen Gegen-
            Raízen
             Olam                                                      den beträgt der Mechanisierungsgrad bis zu 95 %, so dass
            Cofco                                                      nur noch sehr wenige Arbeiter*innen in der Produktion
            Bunge                                                      zum Einsatz kommen. Im Vergleich dazu ist der Anbau
            Socfin                                                     von Kulturen wie Kakao oder teilweise auch Baumwolle,
Sucocítrico Cutrale                                                    wo die Schweizer Händler gemäss unseren Recherchen
            Cargill
                                                                       keine eigenen Plantagen besitzen, äusserst arbeitsin-
           Viterra
                                                                       tensiv; er wird mehrheitlich von selbstständigen Klein-
              LDC
            ADM*
                                                                       bäuerinnen und Kleinbauern auf viel kleineren Flächen
          Chiquita                                                     verrichtet. Die arbeitsintensive Produktion bringt auch
             Ecom                                                      viel grössere Risiken mit sich, vor allem für die Kleinpro-
              NKG                                                      duzent*innen. Sie sind von niedrigen Verkaufspreisen
          Sucafina                                                     der Rohstoffe und Preisschwankungen auf den Welt-
                      * Dies entspricht den 22,2 %, die ADM am         märkten, aber auch von den Folgen des Klimawandels
                         Palmölhändler Wilmar hält, und ­d amit        sowie ausbeuterischen Produktionsbedingungen viel
                        auch an dessen Plantagen auf einer
                                                                       existenzieller betroffen als die Händler, die sich gegen
                        ­G esamtfläche von über 470 000 Hektar.
                                                                       viele dieser Risiken absichern können. Die Auslagerung
                                                                       von Risiken an die Produzierenden kann somit als Teil
      Von Schweizer Händlern                                           des Geschäftsmodells betrachtet werden.
      kontrolliertes Anbauland
                                                                                 Von Nutzungsrechten bis Landbesitz
      pro Rohstoff                                                     Die Kontrolle, welche die Händler über das Anbauland aus-
                                                                       üben, kann unterschiedliche Formen annehmen und reicht
                                                     Zuckerrohr        vom eigentlichen Besitz des Landes über langjährige Pacht-
                                                     Palmöl            verhältnisse bis zu Nutzungsrechten. Die Art der Kontrol-
                                                                       le hängt auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen
                                                     Getreide & Soja
                                                                       in den Produktionsländern ab. In einigen Staaten dürfen
                                                     Orangen           ausländische Unternehmen beispielsweise Land nicht be-
                                                     Kautschuk         sitzen, sondern nur pachten. Die langjährige Pacht von
                                                                       Agrarland kann sogar profitabler sein als dessen Besitz,
                                                     Kaffee
                                                                       weil diese oft sehr günstig ist. Was allen Varianten gemein
                                                     Bananen
                                                                       ist: Die Händler haben so eine direktere Kontrolle über die
                                                     Reis              Produktion der Agrarroh-           Fortsetzung auf Seite 10 —›
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
© Jocelyn Abila / Afrikimages Agency / UIG via Getty Images
Arbeiterinnen in einer Baumschule einer Plantage von Olam in Gabun

                                                                     © Micha Patault

Arbeiter in einer Palmölplantage von Socfin in Kamerun
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
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                                                                                                                       © Phuong D. Nguyen/Shutterstock.com
                                         © Ramiro Aguilar Villamarín
Wo Schweizer Trader
die Menschenrechte
mit Füssen treten

In der landwirtschaftlichen Pro-
duktion kommt es vielerorts zu
Arbeitsrechtsverletzungen, Land-
grabbing, Umweltverschmutzung
oder Abholzung. Auf dieser Dop-                                        Todesdrohungen gegen                        Tausende mussten
pelseite schildern wir einige kon-
                                                                       Gewerkschafter                              Kaffeeplantage weichen
krete Beispiele, in die Schweizer
Rohstoffhändler involviert sind.                                       Gewerkschafter*innen, welche sich           Für eine Plantage der Neumann Kaf-
Die beschriebenen Missstände                                           für die Rechte der Bananenarbei-            fee Gruppe (NKG) wurden in Uganda
sind keine Einzelfälle, sondern                                        ter*innen auf einer Chiquita-Plan-          lokale Gemeinschaften gewaltsam
veranschaulichen beispielhaft die                                      tage in Honduras einsetzen, leben           vertrieben. Die Betroffenen fordern
im Sektor häufig auftretenden                                          höchst gefährlich.                          ihr Land und Eigentum zurück.
Probleme. Einige Recherchen
wurden von Partnerorganisatio-                                         Arbeitsrechtsverletzungen auf süd-          2001 vertrieb die ugandische Armee
nen von Public Eye in unserem                                          amerikanischen Bananenplantagen             die Bevölkerung gewaltsam aus vier
Auftrag durchgeführt. Weitere                                          sind an der Tagesordnung, und wer           Dörfern, weil die Regierung das Land
Missstände waren bereits bekannt                                       sich gegen sie auflehnt, begibt sich in     an die Kaweri Coffee Plantation Ltd.,
und von anderen Organisationen                                         Gefahr. Im September 2015 wurde             eine Tochterfirma des weltgrössten
dokumentiert und publik gemacht                                        Tomás Membreño Perez, Präsident             Rohkaffeehändlers NKG aus Ham-
worden.                                                                der honduranischen Gewerkschaft             burg, verpachtet hatte. Dabei wurden
                                                                       der Landwirtschaftsarbeiter*innen,          Häuser, Felder und Nahrungsmittel-
Wo es Stellungnahmen der betrof-                                       von einem Auto ohne Nummernschil-           vorräte zerstört oder geplündert.
fenen Unternehmen betreffend                                           der verfolgt, als er unterwegs war zur      Rund 4000 Menschen sollen Land und
der Vorwürfe gibt, sind diese in                                       Finca Santa Rita. Auf dieser Chiquita       Besitz verloren haben.
der Onlinepublikation des Arti-                                        gehörenden Plantage war es wegen
kels verlinkt. Ebenso sind online                                      unbezahlter Löhne und Überzeit­             Die in Zug ansässige Tochtergesell-
die spezifischen Quellen bei den                                       zuschläge sowie wegen der Ein-              schaft NKG Tropical Farm Manage-
jeweiligen Missständen vermerkt.                                       schüchterung und Entlassung von             ment ist für das Plantagenmanage-
                                                                       Angestellten, die sich gewerkschaft-        ment von NKG und damit auch der
                                                                       lich organisieren wollten, immer wie-       Kaweri-Plantage zuständig und
                                                                       der zu Konflikten gekommen. Ein paar        zeichnet somit mitverantwortlich für
                                                                       Tage zuvor war Perez gemäss dem             das Vorgehen. 2002 verklagten die
                                                                       Solidarity Center, der grössten Arbeits-    Betroffenen mit Unterstützung der
                                                                       rechtsorganisation der USA, anonym          NGO Fian sowohl die ugandische
                                                                       über Telefon und Facebook angedroht         Regierung als auch die Kaweri Coffee
                                                                       worden, man werde ihn und seine             Plantation Ltd. Die rechtliche Ausei-
                                                                       Familie umbringen, wenn er weiterhin        nandersetzung um die Rückerstat-
                                                                       Arbeiter*innen organisiere.                 tung von Land und Eigentum an die
                                                                                                                   lokalen Gemeinschaften dauert bis
                                                                       Perez ist kein Einzelfall: Ein Jahr zuvor   heute an. Noch haben die Vertriebe-
                                                                       hatte der Gewerkschafter José María         nen keinerlei Entschädigung erhalten
                                                                       Martínez, der sich ebenfalls für die        und fordern weiterhin ihre Rechte ein.
                                                                       Angestellten auf der Finca Santa Rita
                                                                       eingesetzt hatte, nach Todesdrohun-
                                                                       gen das Land verlassen. Zwischen
                                                                       2009 und 2019 wurden in Honduras
            Lesen Sie den Bericht mit                                  mindestens 36 Gewerkschafter*innen
            interaktiver Karte online:                                 umgebracht.
            schweizer-plantagen.ch
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
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                                                              © Eva Kali/Shutterstock.com
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                          Für Palmöl: Rechte von                                            Zuckerrohrplantagen                     Vertreibung und Gewalt
                          Indigenen missachtet                                              ohne Umweltlizenz                       wegen Palmölplantagen
                          Lokale Gemeinschaften im indonesi-                                Der Zuckerhändler Biosev hat es ver-    Seit Jahren kommt es in Kamerun zu
                          schen Teil der Insel Borneo leiden seit                           säumt, ökologische Schäden wie-         Auseinandersetzungen zwischen Soc-
                          vielen Jahren unter Cargills unersätt-                            dergutzumachen, und operiert im         fin und der lokalen Bevölkerung
                          lichem Palmöl-Hunger. Sie beklagen                                brasilianischen Minas Gerais seit       wegen Landrechtsfragen und Arbeits-
                          die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage.                             Jahren ohne Umweltlizenz.               bedingungen auf Palmölplantagen.

                          Grossflächige Rodungen von Regen-                                 Die ökologischen und sozialen Folgen    Seit 2000 betreibt Socfin im kameruni-
                          wald in der Region Manis Mata in                                  des illegalen Zuckerrohranbaus in       schen Mbonjo eine Palmölplantage –
                          Westkalimantan begannen bereits in                                Schutzgebieten sind in der Region       und steht unter anderem wegen aus-
                          den Neunzigerjahren. Mit dabei: die                               Lagoa da Prata bis heute spürbar.       beuterischer Arbeitsbedingungen und
                          britische Commonwealth Develop-                                   2006 hatte sich die Louis Dreyfus       dem Umgang mit der lokalen Bevölke-
                          ment Corporation (CDC). Sie legte in                              Company – bis vor Kurzem das Mut-       rung immer wieder in der Kritik. Gemäss
                          diesem Gebiet über eine Tochter­                                  terhaus von Biosev – in einer Verein-   der NGO Sherpa sollen Mitarbeitende
                          gesellschaft Ölpalmplantagen im                                   barung mit der Staatsanwaltschaft       des von Socfin-Tochter Socapalm
                          Umfang von 32 000 Hektar an, die                                  von Minas Gerais verpflichtet, die      beauftragten Unternehmens Africa
                          2005 von Cargill übernommen wur-                                  besagten Plantagen, welche auf eine     Security Einheimischen gegenüber
                          den. Seit damals kämpfen die im                                   Vorgängerfirma von Biosev zurückge-     gewalttätig aufgetreten sein. Zudem
                          Gebiet der Plantagen lebenden indi-                               hen, aufzugeben. Die Umweltschäden      wird Socfin vorgeworfen, keinen ange-
                          genen Gemeinschaften der Dayak                                    wurden bis anhin jedoch nicht wieder-   messenen Dialog mit der lokalen Bevöl-
                          Jelai um Entschädigung für den Ver-                               gutgemacht. Zudem hat Biosev keine      kerung zu führen. So soll Socfin 2015
                          lust ihres Landes und die Zerstörung                              Umweltlizenz, um auf den von der bra-   einen runden Tisch mit ihrem Haupt-
                          ihrer Lebensgrundlage.                                            silianischen Firma EPOMTA gepach-       aktionär, der Bolloré Group, boykottiert
                                                                                            teten Plantagen Zuckerrohr anzu-        haben. Dieser war von einem betroffe-
                          Die Dayak Jelai werfen der CDC und                                bauen. Dies bestätigten 2019 auch       nen Bauern initiiert worden. Socfin-
                          Cargill Verstösse gegen das in inter-                             Unternehmensvertreter.                  CEO Luc Boedt begründete dies
                          nationalen Menschenrechtsstandards                                                                        damals damit, man spreche nur mit
                          definierte Recht auf freie, vorherige                             Deshalb erhob die Staatsanwalt-         anerkannten Vertretern und «nicht mit
                          und informierte Zustimmung (FPIC)                                 schaft 2020 Anklage gegen Biosev        irgendeinem Bauern, der meint, eine
                          vor und beklagen ungenügende Kom-                                 und EPOMTA und hält fest: «Eines der    Show abziehen zu müssen».
                          pensationszahlungen für ihr Land und                              grössten Agrarprojekte im Bundes-       2010 hatten europäische und kameru-
                          die Zerstörung von heiligen Stätten                               staat Minas Gerais operiert seit bald   nische NGOs gegen Socfin und Bolloré
                          und Ahnengräbern. Cargill weist jeg-                              einem Jahrzehnt ohne Genehmi-           eine Beschwerde bei den Nationalen
                          liche Verletzung des FPIC-Rechts                                  gung.» Biosev, heute im Besitz des      Kontaktpunkten der OECD in Belgien,
                          zurück und behauptet, ihre Tochter-                               brasilianischen Traders Raízen, hat     Frankreich und Luxemburg eingereicht.
                          firma habe dies vollständig dokumen-                              gegen die zahlreichen Bussen wegen      Diese stellten Verletzungen der OECD-
                          tiert, was jedoch durch eine im Novem-                            Vergehen gegen Umweltgesetze            Leitsätze für multinationale Unterneh-
                          ber 2019 durchgeführte Prüfung der                                Berufung eingelegt. Die Staatsan-       men fest, woraufhin sich Bolloré und
                          Firma SGS Indonesia widerlegt worden                              waltschaft fordert von den Firmen       die NGOs auf einen Aktionsplan einig-
                          sein soll. Seit über 25 Jahren pochen                             über 24,5 Millionen brasilianische      ten. Da dieser von der Firma aber nicht
                          die indigenen Gemeinschaften nun                                  Reais (USD 4,5 Mio.) für die Schäden    umgesetzt wurde, zogen die Organisa-
                          schon auf ihre Rechte.                                            ihrer Vorgängerfirmen sowie auf-        tionen 2019 vor Gericht. Dessen Ent-
                                                                                            grund der fehlenden Umweltlizenz.       scheid steht noch aus.
Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
10                                                                                PUBLIC EYE MAGAZIN     Nr. 33   Januar 2022

stoffe, als dies bei der ­Beschaffung über Zulieferer der Fall   wir sind nicht die Polizei». Auf den von ihnen kontrol-
ist. ­Damit geht aber auch eine direktere Verantwortung          lierten Plantagen greift diese bereits für Zulieferbetrie-
für die Produktions- und Arbeitsbedingungen auf diesen           be haltlose Begründung definitiv nicht: Dort stehen die
Plantagen einher.                                                Schweizer Agrarhändler direkt in der Verantwortung.
                                                                 Doch entgegen eigener Beteuerungen scheint es ihnen
   Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette                 häufig nicht zu gelingen, ihre Produktion mit geltenden
Bei der landwirtschaftlichen Produktion kommt es                 Menschenrechts- und Umweltstandards in Einklang zu
vielerorts zu Arbeitsrechtsverletzungen, Landgrab-
bing, Umweltverschmutzung oder Abholzung. Einige
solcher Fälle bei Zulieferern von Schweizer Agrarhänd-
lern hat Public Eye bereits 2019 im Bericht «Agricul-            Bei unseren Recherchen stiessen wir auf diverse
tural Commodity Traders in Switzerland: Benefitting              Missstände. Das veranlasste uns, die Produktions-
from Misery?» dargelegt. Auch unsere Reportage zu den            bedingungen auf einigen Plantagen genauer unter
Produktionsbedingungen in der ecuadorianischen Ba-               die Lupe zu nehmen.
nanenindustrie zeigte gravierende Missstände und hob
die Verantwortung des Schweizer Händlers Chiquita
hervor. Und die Recherche aus den Orangenplantagen
São Paulos brachte ausbeuterische Arbeitsbedingungen             bringen. Bei unseren Recherchen stiessen wir auf diverse
in der Lieferkette von LDC ans Licht.                            Missstände. Das veranlasste uns, die Produktionsbedin-
       Bei Missständen in Zulieferbetrieben stehlen sich         gungen auf einigen Plantagen genauer unter die Lupe zu
die Trader gerne mit dem Argument aus der Verantwor-             nehmen. Unterstützt wurde diese Arbeit von unseren
tung, dass ihnen dort die Kontrolle und der direkte Ein-         Partnerorganisationen Repórter Brasil und dem indone-
fluss fehle. So meinte ein lokaler Vertreter von LDC bei         sischen Netzwerk Walhi, deren Recherchen zu den brasi-
unserer Feldrecherche 2020 auf den Zulieferplantagen             lianischen Zuckerrohr- respektive indonesischen Palmöl-
in São Paulo, die Firma kontrolliere nicht vor Ort, «denn        plantagen teils langjährige Missstände zutage förderten.

                                                                          Umweltvergehen und Landgrabbing
                                                                 So baut etwa der Zuckertrader Biosev seit Jahren in
                                                                 der brasilianischen Region Lagoa da Prata auf gewis-
Landgrabbing                                                     sen Plantagen ohne Umweltlizenz Zuckerrohr an, wes-
                                                                 wegen sogar die Staatsanwaltschaft von Minas Gerais
Unter Landgrabbing, auf Deutsch oft als Land-                    Anklage erhob. In Indonesien wiederum sehen sich in-
raub bezeichnet, werden typischerweise Land-                     digene Gemeinschaften aufgrund einer Palmölplantage
aneignungen bezeichnet, welche zu Verletzun-                     von Cargill ihrer Lebensgrundlage beraubt. Dieser seit
gen von Menschenrechten führen. Dabei geht                       über 20 Jahren schwelende Konflikt konnte bis heute
es insbesondere um das Recht auf Nahrung,                        nicht im Einklang mit den Rechten der Indigenen gelöst
das Recht auf eine gesunde Umwelt sowie                          werden. Auch in Zusammenhang mit Kaffeeplantagen
die Rechte indigener Gemeinschaften. Eine                        der Schweizer Trader in Uganda, Laos und Tansania kam
einheitliche Definition von Landraub gibt es                     es zu Vertreibungen lokaler Gemeinschaften. Der wohl
nicht. Die rumänische Bauernrechtsorganisa-                      berüchtigtste Fall von Landgrabbing betrifft die Kaweri-
tion «EcoRuralis» fasst die Problematik hinter                   Kaffeeplantage der Neumann Kaffee Gruppe in Uganda,
Landgrabbing wie folgt zusammen: «Landraub                       bei welchem es bereits vor 20 Jahren zu Plünderungen
kann definiert werden als das Kontrollieren (sei                 und Vertreibungen kam. Die Betroffenen warten bis
es durch Eigentum, Pacht, Konzession, Verträ-                    heute auf eine angemessene Entschädigung. Und in der
ge, Quoten oder allgemeine Macht) von mehr                       honduranischen Bananenproduktion kommt es immer
als lokaltypischen Landmengen durch eine                         wieder zu Drohungen und Gewalt gegen Gewerkschaf-
Person oder Körperschaft (öffentlich oder pri-                   ter*innen – auch in Zusammenhang mit der Plantage
vat, ausländisch oder inländisch) auf irgend-                    Santa Rita des Schweizer Bananenhändlers Chiquita.
eine Weise («legal» oder «illegal») zum Zwe-                            Ihrer Verantwortung zur Vermeidung solcher
cke der Spekulation, des An- oder Abbaus, der                    Missstände kommen die Händler nicht genügend nach.
Ressourcenkontrolle oder Kommerzialisierung                      Zudem fehlt es in den Sitzstaaten der Unternehmen, wie
auf Kosten von Bauern, Agrarökologie, Land-                      der Schweiz, an wirksamen, rechtlich verbindlichen Re-
bewirtschaftung, Ernährungssouveränität und                      gelungen, welche sie zur Respektierung von Menschen-
Menschenrechten».                                                rechts- und ­ Umweltnormen zwingen würden. Der
2    1                               4

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         2                                                                                                                                 4
                                                2               1            6

9                                               1                                     2                                                        2
                                                                                               3
    11                                              2                                                                                              8
                                                                                               1                         1
         27                                             8
                            288                                     11
               25                                                                                                 93
                                                                    1
                                            2
                                                                     5
         Anzahl
         Plantagen
         pro Land
                                                                                          44
         Zentrale            1
         Standorte
         der Rohstoff-
         händler

          Die wichtigsten Schweizer Agrarhändler

          Konzern          Hauptsitz(e)         Funktion Standort(e) Schweiz              Plantagen
          Archer Daniels   Chicago, USA         Handelshauptsitz in Rolle VD              Beteiligt an Palmölplantagen von Wilmar in Indonesien,
          Midland (ADM)                                                                   Malaysia, Côte d’Ivoire, Ghana, Nigeria, Uganda
          Bunge            St. Louis, USA       Handelsabteilung in Genf                  Zuckerrohrplantagen in Brasilien
          Cargill          Minneapolis, USA     Globale Handelsabteilung für              Palmölplantagen in Indonesien
                                                Getreide und Ölsaaten sowie Fracht
                                                in Genf
          Chiquita         Etoy, Schweiz,       Einer der Hauptsitze in Etoy VD           Bananenplantagen in Costa Rica, Guatemala, Honduras
                           und Fort Lauder-                                               und Panama
                           dale, USA
          Cofco            Peking, China        Globale Handelsabteilung in Genf          Zuckerrohrplantagen in Brasilien; Vertragsanbau in
          Corporation                                                                     Südafrika für Soja, Mais
          Ecom             Pully, Schweiz       Hauptsitz                                 Palmölplantagen in Mexiko
          Agroindustrial
          Louis Dreyfus    Rotterdam,           Umsatzstärkste Handelsabteilung           Orangenplantagen in Brasilien; Agrarland für Getreide
          Company (LDC)    Niederlande          und operativer Hauptsitz in Genf          und Ölsaaten in Südrussland
          Neumann          Hamburg,             Globale Handelsniederlassung und          Kaffeeplantagen in Brasilien, Mexiko, Uganda
          Kaffee Gruppe    Deutschland          Plantagenmanagement in Zug
          (NKG)
          Olam             Singapur             Umsatzstärkste Handelsabteilungen         Palmölplantagen in Gabun; Agrarland in Russland;
                                                für Kaffee und Getreide in Genf und       Kaffeeplantagen in Brasilien, Laos, Sambia, Tansania;
                                                Nyon                                      Reisfarm in Nigeria
          Raízen           São Paulo,           Globale Handelsabteilung in Genf          Zuckerrohrproduktion in Brasilien
                           Brasilien
          Socfin           Luxemburg            Handelsabteilung und Plantagen-           Palmöl- und Kautschukplantagen in Zentral- und
                                                management in Fribourg                    Westafrika sowie Südostasien
          Sucafina         Genf, Schweiz        Hauptsitz                                 Kaffeeplantagen in Brasilien
          Sucocitrico      Araraquara,          Handelsabteilung in Lausanne              Zitrusplantagen in Brasilien
          Cutrale          Brasilien
          Viterra          Rotterdam,           Hauptsitz von Hauptaktionärin             Zuckerrohrplantagen in Brasilien; Agrarland in
                           Niederlande          Glencore in Baar, ZG                      Argentinien
Für eine Plantage der Neumann Kaffee Gruppe (NKG) in Uganda wurden lokale Gemeinschaften gewaltsam vertrieben;

                                                                                                                 © Fian
an einer Versammlung fordern die Vertriebenen ihre Rechte ein.

                                                                                                                 © Marcos Weiske

Orangenpflücker auf einer Plantage von LDC in Brasilien
SCHWEIZER PLANTAGEN            13

­ undesrat anerkennt zwar offiziell, dass die Rohstoff-
B                                                            So haben wir recherchiert
branche mit ernst zu n   ­ ehmenden H
                                    ­ erausforderungen
konfrontiert ist, unter anderem in Bezug auf Menschen-       Für diese Recherche wurde eine Auswahl an
rechte. Er setzt jedoch nach wie vor grösstenteils auf       Schweizer Agrarhändlern (sowohl solche mit
freiwillige Unternehmensverantwortung sowie die an-          Hauptsitz als auch solche mit wichtigen Handels-
gebliche indirekte Aufsicht der Banken über den Roh-         niederlassungen) getroffen, deren Kontrolle über
stoffsektor.                                                 die Anbaustufe genauer untersucht wurde. Die
                                                             Unternehmen wurden aufgrund verschiedener Kri-
      Verbindliche Sorgfaltspflichten überfällig             terien ausgewählt, unter anderem ihrer Grösse
Die Regulierungslücke in der Schweiz zeigt sich gleich       sowie ihres Marktanteils bei den relevantesten
in mehrfacher Hinsicht. Erstens greift das Argument,         Agrarrohstoffen. Dies resultierte in einer Liste von
eine Regulierung der Rohstoffbranche sei unnötig, da         14 Händlern, und zwar: Archer Daniels Midland
deren Tätigkeiten unter indirekter Aufsicht der Banken       (ADM), Bunge, Cargill, Cofco Group, Chiquita,
stünden, die sie finanzieren, in keinster Weise. Selbst      Ecom Agroindustrial, Louis Dreyfus Company
wenn die Bankenaufsicht zur Verhinderung von Kor-            (LDC), Neumann Kaffee Gruppe (NKG), Olam, Raí-
ruption und Geldwäscherei taugen würde – sie hätte           zen, Socfin, Sucafina, Sucocítrico Cutrale und
im Hinblick auf die Schweizer Agrarhändler kaum eine         Viterra. Des Weiteren wurde die Recherche auf die
Wirkung. Eine Analyse von Public Eye zur Finanzierung        global wichtigsten Agrarrohstoffe begrenzt und
der Schweizer Agrarhändler zeigt nämlich: Schweizer          deckt beispielsweise Konzessionen zur Nutzung
Banken haben gar keinen Einfluss auf die Geschäfts-          von Wald nicht ab. Public Eye erhebt keinen
praktiken der Schweizer Agrarhändler, denn diese wer-        Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich des
den fast ausschliesslich von ausländischen Geldgebern        gesamten Landbesitzes aller Schweizer Trader.
finanziert (siehe Artikel Seite 14).
       Zweitens stehen bei den Agrarkonzernen – im Ge-       Die Standortangaben der von Schweizer Händlern
gensatz zum Handel mit Öl und mineralischen Rohstoffen       kontrollierten Plantagen stammen aus öffentlich
– weniger Geldwäscherei und Korruption als vielmehr          zugänglichen Quellen wie Firmenberichten, Daten-
Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen im             banken oder von Zertifizierungsorganisationen
Vordergrund. Die von uns dokumentierten Missstände           (Stand: November 2021). Die Branche ist jedoch
in diesem Sektor werden auch von einer umfassenden           äusserst dynamisch und es kommt laufend zu Ver-
und funktionierenden Bankenaufsicht nicht abgedeckt.         käufen oder Übernahmen. Die Karte auf Seite 11
       Drittens besteht in der Schweiz nach wie vor keine    ist deshalb als Momentaufnahme zu verstehen.
verbindliche und umfassende Sorgfaltsprüfungspflicht
zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und
Umweltverstössen. Der völlig zahnlose Gegenvorschlag
zur Konzernverantwortungsinitiative (siehe Seite 20)
bringt hier kaum Besserung. Denn dieser fokussiert
– neben dem für den Agrarsektor irrelevanten Aspekt
der Konfliktmineralien – völlig einseitig auf Kinder-
arbeit, sieht dabei aber so viele Ausnahmen vor, dass
selbst diesem besonders gravierenden Missstand kaum
begegnet werden muss. Alle anderen Menschen- sowie
Arbeitsrechtsverletzungen und Umweltvergehen werden
schlicht ausgeklammert.
       Was bleibt, ist ein intransparenter Hochrisikosek-
tor, der bezüglich Menschenrechts- und Umweltrisiken
fast gänzlich unreguliert aus der Schweiz heraus operiert.
Diese Lücke versuchen unsere Nachbarländer sowie die
EU mit verbindlichen Sorgfaltsprüfungen wenigstens ein
Stück weit zu schliessen. Dies wäre auch hierzulande
dringend nötig, wenn die offizielle Schweiz es tatsächlich
ernst meinte mit ihrem Respekt für Mensch und Umwelt
weltweit. Momentan sieht es nicht danach aus. Der Be-                     Lesen Sie den Bericht mit interaktiver
darf für eine Rohstoffmarktaufsicht, wie sie Public Eye                   Karte online:
seit Langem fordert, ist deshalb dringlicher denn je. �                   schweizer-plantagen.ch
14                                                                           PUBLIC EYE MAGAZIN      Nr. 33   Januar 2022

Schweizer Banken für
Agrarhändler irrelevant
Der Schweizer Finanzplatz gilt als einer der Hauptgründe, weshalb so viele globale Agrarrohstoffhändler
hier ihren Hauptsitz haben. Neue Zahlen belegen jedoch, dass Schweizer Banken nur eine verschwin-
dend kleine Rolle bei deren Finanzierung haben. Somit verfängt das Argument, es brauche wegen der
indirekten Bankenaufsicht keine Regulierung des Rohstoffsektors, auch im Falle der Agrarhändler nicht.

SILVIE LANG

Die Schweiz hat sich zum weltweit grössten Handels-       Wie diese Finanzierung im Falle der Schweizer Agrar-
hub für Agrarrohstoffe wie Getreide, Soja, Zucker,        händler im Detail aussieht, war bis anhin unbekannt.
Palmöl, Kaffee oder Kakao entwickelt. Die Nähe zur        Basierend auf einer Studie, die Public Eye bei der nieder-
Finanzbranche gilt neben der politischen Stabilität,      ländischen Non-Profit Organisation Profundo in Auf-
dem günstigen Steuerklima und der Verfügbarkeit von       trag gegeben hat, ist nun klar: Wie bei Händlern von Öl,
Fachkräften als einer der Gründe für diese Standort-      Metallen und mineralischen Rohstoffen, deren Finan-
wahl, denn der Rohstoffhandel ist ein kapitalintensives   zierung Public Eye im Bericht «Trade Finance Demysti-
Geschäft. Vor allem Investitionen in und der Unter-       fied» (2020) durchleuchtete, spielen Schweizer Banken
halt von Lager-, Verarbeitungs- und Logistikkapazi-       auch bei der Finanzierung der Schweizer Agrarhändler
täten, um Millionen Tonnen von Agrarrohstoffen zu         kaum eine Rolle. Beim Kreditgeschäft über den Unter-
verarbeiten und um die Welt zu transportieren, sind       suchungszeitraum von sechs Jahren beispielsweise ma-
sehr kostspielig. Das dafür nötige Kapital können die     chen die Beiträge der Schweizer Banken gerade mal 3,2 %
Händler zum Beispiel in Form von Krediten oder über       der insgesamt knapp 300 Milliarden US-Dollar aus.
die Ausgabe von Aktien oder Anleihen aufnehmen.                  Mit Abstand am meisten erhielten die untersuchten
                                                          Trader von in den USA domizilierten Finanzinstituten,
                                                          nämlich 53 Milliarden US-Dollar (18 % der Kredite). An
                                                          zweiter Stelle liegen mit 35 Milliarden US-Dollar britische
                                                          Geldhäuser, gefolgt von französischen (32 Mrd.) und chi-
                                                          nesischen (31,6 Mrd.). Abgeschlagen auf Platz 12 kommen
                                                          schliesslich die Schweizer Banken. Am meisten Kredite
                                                          aus der Schweiz erhielten die Trader von der Credit Suisse,
                                                          die insgesamt 4,7 Milliarden US-Dollar (1,6 % der Kredite)
                                                          vergab. Die UBS sprach Kredite in der Höhe von 3 Milliar-
                                                          den US-Dollar – lediglich 1 % der Gesamtkredite. Weitere
                                                          nicht ins Gewicht fallende Kredite stammten von der Zür-
                                                          cher und der Genfer Kantonalbank. Die Daten zeigen deut-
                                                          lich: Von einer indirekten Aufsicht der Schweizer Banken
                                                          über den Agrarhandelssektor kann keine Rede sein.

                                                                            Bankenaufsicht über
                                                                         Agrarhändler ein Mythos
                                                          Noch deutlicher wird dies, wenn man die Händler und
                                                          ihre Finanzierungsstrategien individuell betrachtet.
                                                          Beim grössten und privat gehaltenen Agrarhändler Car-
                                                          gill beispielsweise stammten nur 2 % der Gesamtfinan-
© Paulo Fridman / Bloomberg via Getty Images
Zuckerrohrernte auf einem Feld des Rohstoffkonzerns Raízen

zierung im Untersuchungszeitraum aus Bankkrediten,           vernachlässigbar kleinen Anteil an der Finanzierung ha-
der weitaus grössere Teil kam von privaten oder insti-       ben, wird dabei schlicht ignoriert.
tutionellen Geldgebern. Von den erhaltenen Krediten in
der Höhe von 57 Milliarden US-Dollar kamen lediglich                          Menschenrechts- und
817 Millionen (1,4 %) von Schweizer Banken.                               Umweltrisiken vernachlässigt
       Bei der ebenfalls privat gehaltenen Louis Dreyfus     Zudem stehen bei den Agrarhändlern eher Menschen-
Company (LDC) machten die Kredite in der Höhe von            rechtsverletzungen und Umweltvergehen im Vorder-
15,5 Milliarden US-Dollar zwar über 30 % der Gesamt-         grund als Geldwäscherei und Korruption (siehe Seiten 8
finanzierung aus, doch nur 365 Millionen (oder 2,3 %)        und 9). Die indirekte Bankenaufsicht greift also in mehr-
stammten von Schweizer Finanzinstituten. Hiesige Ban-        facher Hinsicht bei den Agrarhändlern nicht. Und eine
ken haben also kaum einen Hebel, um die Geschäftstä-         umfassende, rechtlich verbindliche Sorgfaltsprüfung zur
tigkeiten der Trader im Hinblick auf Geldwäscherei oder      Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und
Korruption zu «beaufsichtigen».                              Umweltverstössen fehlt in der Schweiz ebenfalls. Die
       Dennoch stellt sich der Bundesrat seit Jahren auf     grosse Regulierungslücke beim intransparenten Hoch-
den Standpunkt, in der Schweiz bestehe keine Notwen-         risikosektor Rohstoffhandel muss dringend geschlossen
digkeit für eine Regulierung des Rohstoffsektors, da die     werden. Die Einführung einer Rohstoffmarktaufsicht,
Händler unter indirekter Aufsicht der sie finanzierenden     wie sie Public Eye seit Langem fordert, ist so dringlich
Banken stünden. Dass die Schweizer Banken nur einen          wie eh und je. �

So haben wir recherchiert

Public Eye beauftragte 2020 die niederländische Non-         Die Datenlage brachte einige Herausforderungen mit
Profit-Organisation Profundo, die Finanzierung der           sich. So waren beispielsweise keine Daten zur Finanzie-
wichtigsten Schweizer Agrarhändler – Archer Daniels          rung von Glencore Agriculture verfügbar; es musste auf
Midland (ADM), Bunge, Cargill, Chiquita, Cofco,              Finanzdaten für die ganze Glencore-Gruppe zurückge-
G lencore Agriculture (heute Viterra), Louis Dreyfus
­                                                            griffen werden. Da das Agrarhandelsgeschäft umsatz-
Company (LDC), Olam und Sucocítrico Cutrale – zu             mässig nur einen kleinen Anteil am Gesamtgeschäft von
recherchieren und zu analysieren. Untersucht wurden          Glencore ausmacht, dürften auch nur wenige Kredite in
einerseits die Finanzierung der Händler durch Kredite        diesen Bereich geflossen sein. Da Glencore mit Abstand
und die Verpflichtung zur Übernahme von Aktien- und          die meisten Kredite erhielt, verzerrt dies die errechnete
Anleiheemissionen (sogenanntes Underwriting) im Zeit-        Gesamtsumme der von den Schweizer Agrarhändlern
raum von 2014 bis 2020, andererseits Investitionen in        erhaltenen Kredite. Dies ändert jedoch nichts an der
Aktien und Anleihen (Shareholding und Bondholding)           grundsätzlichen Schlussfolgerung der Analyse: Eine indi-
per Stichtag 30.09.2020. Die Daten sind bei Public Eye       rekte Aufsicht durch die Schweizer Banken über den
einsehbar.                                                   Agrarhandelssektor in der Schweiz existiert nicht.
© Marion Nitsch
 Fichenskandal 3.0: Public Eye unter
­geheimdienstlichem Extremismusverdacht
Laut Gesetz soll der Schweizer Geheimdienst Gewaltextremismus, Terrorismus, Spionage, die Verbrei-
tung von Atomwaffen und Angriffe auf kritische Infrastrukturen verhindern und so zur Sicherheit unseres
Landes beitragen. Doch er tut viel mehr: Das zeigen Grösse und Inhalt der Fiche von Public Eye. Eine
Gesetzesrevision soll die Befugnisse des Nachrichtendienstes des Bundes, die er bereits heute verletzt,
nochmals ausweiten – eine brandgefährliche Entwicklung für die Zivilgesellschaft und die Demokratie.

CHRISTA LUGINBÜHL

Auch die Mächtigen dieser Welt sind vor Omikron nicht   mäss Medienmitteilung für eine «Reihe von State of the
gefeit: Bewacht von bis zu 5000 Armeeangehörigen und    World-Sitzungen» zusammenkommen, um «Lösungen
vom Parlament mit 2,55 Millionen Steuerfranken ge-      für die dringendsten Herausforderungen der Welt zu
sponsert, hätten sie sich diese Tage in Davos treffen   erarbeiten». Wir dürfen also beruhigt sein.
und unter dem Motto «Working Together, Restoring               Weniger beruhigt ist vermutlich der Nachrichten-
Trust» die aktuelle Weltlage besprechen wollen. Jetzt   dienst des Bundes NDB. Schon im letzten Jahr schrieb er
bleibt vom World Economic Forum (WEF) vorderhand        im «Sicherheitsbericht Schweiz», dass «der gewalttäti-
ein virtuelles Treffen, an dem die Teilnehmenden ge-    gen links-extremen Szene eine wichtige Plattform» fehle,
ÜBERWACHUNG          17

«um auf ihre antikapitalistischen Anliegen aufmerksam       hat. Bei der Premiere unserer WEF-Gegenveranstaltung
zu machen», wenn das WEF verlegt würde. Der NDB             im Jahr 2001 gab es eine äusserst aktive globalisierungs-
fürchtet offenbar um den Verlust eines wichtigen Beob-      kritische Bewegung. Es ist jenes Jahr, das mit dem G8-
achtungspostens, denn über viele Jahre hinweg hat der       Gipfel in Genua und dem durch die Italienische Polizei
Geheimdienst in und um Davos die globalisierungskriti-      verursachten Tod eines Demonstranten in die Geschichte
sche Bewegung akribisch überwacht – inklusive unserer       einging. Der Verein grundrechte.ch zeigte später, dass
Organisation. Das wissen wir quasi aus amtlicher Quelle:    der DAP damals Daten von über 400 angeblich gewalt-
der grossen Fiche von Public Eye. Doch wie kommt es,        bereiten Globalisierungsgegner*innen an seine Partner
dass der NDB eine explizit gewaltfreie Nichtregierungs-     in Italien übermittelt hatte. Es war die erste grosse Daten-
organisation wie Public Eye überwacht, fichiert und in      weitergabe an ausländische Nachrichtendienste.
die «linksextreme» Ecke rückt? Zur Einordnung ein Blick             Zudem legte grundrechte.ch offen, dass eine vom
zurück in die jüngere Schweizer Geschichte.                 DAP geleitete Arbeitsgruppe im Juli 2001 empfahl, man
                                                            solle die Antiglobalisierungsbewegung spalten, indem
        P wie «Politisch»? P wie «Prävention»!              man den Dialog mit dem friedfertigen Teil suche und mit
Wer «Politische Polizei» hört, denkt vermutlich an einen    mehr Überwachung und Härte gegen die gewaltberei-
Despotenstaat. Zur Schweiz mit ihrem Stolz auf die di-      ten «Linksextremist*innen» vorgehe. Aus heutiger Sicht
rekte Demokratie mag dieser Begriff so gar nicht pas-       konnten DAP und später der NDB diese Strategie erfolg-
sen. Doch die 1935 gegründete Vorläuferorganisation des     reich umsetzen: Proteste gegen das WEF wurden fortan
heutigen NDB trug bis in die 1990er-Jahre genau diesen      mit grosser Polizeipräsenz und gezielter Repression be-
Namen. Dass er auch Programm war – allerdings nur im        antwortet, woraufhin zuerst das «Oltner Bündnis» als
Hinblick auf ein ausgewähltes politisches Spektrum –,­      Zusammenschluss globalisierungskritischer Schweizer
zeigt der Arbeitsfokus: In den 1950er-Jahren hatte die      Organisationen zerbrach und danach die gesellschaft-
Politische Polizei, welche die «innere und äussere Si-      lich einst breit abgestützten Anti-WEF-Kundgebungen
cherheit» gewähren sollte, vor allem Kommunist*innen        in der öffentlichen Wahrnehmung politisch zunehmend
und andere «Linksextremist*innen» im Visier. Ab den         in einem «linksextremen» Milieu verortet wurden.
1960er-Jahren, an deren Ende die Erklärung von Bern
(heute Public Eye) gegründet wurde, kam die intensi-                 Public Eye als Gefahr für die Schweiz
ve Überwachung der 68er-Bewegung dazu. Der Blick            Der Geheimdienst überwacht also intensiv, beweist da-
richtete sich nun auf neomarxistische Parteien, Frie-       bei aber auch Liebe zum Detail: In unseren NDB-Ak-
dens- und Frauenorganisationen, Dritte-Welt-Gruppen,        ten steht etwa, dass die EvB-Delegation 2002 mit einer
die Antiatombewegung und Student*innenräte. Richtig         18-köpfigen Reisegrupppe nach Italien ans Sozialforum
unpopulär wurde die Bezeichnung «Politische Polizei»        reiste, an der Grenze kontrolliert wurde und in Florenz
aber erst 1989, als eine Parlamentarische Untersuchungs-
kommission (PUK) rund um die Kopp-Affäre zufällig auf
ein riesiges Lager an Karteikarten, die sogenannten Fi-
chen, stiess: Rund 900 000 Personen und Organisatio-
nen waren dort erfasst, der Fichenskandal erschütterte
die Schweiz. Die Politische Polizei wurde in der Folge in
«Präventive Polizei» umbenannt. Bis Ende 2009 hiess
der Inlandnachrichtendienst «Dienst für Analyse und
Prävention» (DAP), 2010 wurde der DAP mit dem Stra-
tegischen Nachrichtendienst SND zum heutigen NDB
zusammengelegt.
                                                            einen Workshop veranstaltete. Ob die Autor*innen dieser
   Globalisierungskritiker*innen als Staatsfeinde           Einträge auch daran teilnahmen? Wir wüssten es gerne.
Die Geschichte lehrt uns also, dass der NDB auf linker      Wie respektive wo uns der Staatsschutz einordnet, zeigt
Seite viel Gefahr wittert. Deshalb haben wir uns bei Pu-    auch ein Auszug aus dem «Bericht innere Sicherheit der
blic Eye vor zwei Jahren schon gefragt, ob und wie unser    Schweiz 2002», der in der Akte des NDB zu Public Eye
Verein in den Akten des NDB aufgeführt wird. Und ein        abgelegt ist: «Die im Rahmen weltweiter Sympathie-
entsprechendes Einsichtsgesuch gestellt. Was bislang        kundgebungen durchgeführten Demonstrationen (…)
klar ist: Public Eye (vormals Erklärung von Bern, kurz      liessen auch Rückschlüsse auf die Geisteshaltung der
EvB) hatte bis Anfang 2021 eine umfassende Fiche mit        verschiedenen Organisatoren zu: So verliefen in den letz-
mindestens 431 Einträgen. Klar ist auch, dass uns der Ge-   ten Jahren in Zürich von der strikt gewaltabstinenten
heimdienst beim «Public Eye on Davos» eng «begleitet»       (…) durchgeführte Parallelveranstaltungen stets friedlich.
18                                                                           PUBLIC EYE MAGAZIN    Nr. 33   Januar 2022

Anders verhält es sich mit der Gruppe Public Eye on Da-    tive Mandatsträger*innen – beispielsweise von der SP
vos, die ihre Gegenveranstaltung jeweils in Davos selbst   und den Grünen – fichiert. Selbst einige ihrer gewähl-
abhält und sich weit weniger deutlich von Gewaltakten      ten Volksvertreter*innen hält die offizielle Schweiz
distanziert.» (Zitat gemäss NDB-Akten)                     offenbar für so gefährlich, dass sie den Geheimdienst
       Diese haltlose Anschuldigung einer potenziellen     auf sie ansetzt. Aufgerüttelt von einer Eingabe beim
Gewaltbereitschaft kommt trotz Bitte um Erläuterung        zwischenzeitlich geschaffenen politischen Aufsichts-
bislang ohne jegliche Begründung aus. Klar ist einzig,     organ, der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), bestä-
dass uns der Staatsschutz weiter für überwachungs-         tigt diese: «Es zeigte sich, dass der NDB Informationen
würdig hält: Denn fast 20 Jahre nach obigen Einträgen      über die politische Betätigung und über die Ausübung
landet Public Eye im März 2019 im «Internetmonito-         der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfrei-
                                                           heit teilweise im Widerspruch zu den rechtlichen Vor-
                                                           gaben beschafft und bearbeitet hat.»

                                                                Gefährliche Ausweitung der NDB-Befugnisse
                                                           Das heute geltende Bundesgesetz über den Nachrich-
                                                           tendienst (NDG) trat erst 2017 in Kraft. Die Einführung
                                                           wurde von viel Kritik begleitet, das «Bündnis gegen
                                                           den Schnüffelstaat» ergriff dagegen das Referendum.
                                                           In der Volksabstimmung wurde das NDG jedoch deut-
                                                           lich angenommen – der Mythos, dass der Staatsschutz
                                                           dem Schutz und nicht zur Überwachung der Bevölke-
                                                           rung dient, hat verfangen. Schon dieses neue Gesetz
                                                           baute die Befugnisse des NDB massiv aus. So schuf es
                                                           die gesetzliche Grundlage, um die private Kommunika-
                                                           tion von Personen zu überwachen, ohne dass dafür der
                                                           Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegen muss.
                                                                  Nur fünf Jahre nach diesem Ausbau soll das NDG
                                                           weiter verschärft werden, namentlich bei der digitalen
                                                           Überwachung im Bereich «gewalttätiger Extremismus».
                                                           Welche Personen oder Organisationen in diese Kategorie
                                                           fallen würden, soll der NDB offensichtlich selbst entschei-
ring Linksextremismus» des NDB, wie ein Aktenein-          den dürfen. Im Bericht des Bundesrats «Griffige Instru-
trag belegt. Der Grund war ein Auftritt an der zivil-      mentarien gegen Gewaltextremismus» vom Januar 2021
gesellschaftlichen Gegenveranstaltung zum Gipfel der       heisst es, Extremismus sei als «Ablehnung der freiheit-
Rohstoffhändler in Lausanne.                               lich-demokratischen Ordnung und des Rechtsstaats» zu
                                                           verstehen. Aber es existiere «keine allgemein anerkannte
      Sogar Politiker*innen werden überwacht               Definition des Begriffs gewalttätiger Extremismus». Der
Dass es dem NDB primär um Gewaltprävention und die         NDB muss sich also nicht mal öffentlich dafür rechtferti-
Sicherheit der Schweiz geht, gehört auch heute noch        gen, wo genau er diese heikle Grenze warum zieht.
zum Mythos, den diese Behörde umweht. Unter diesem
Vorwand unterhält der Geheimdienst eine Datenkrake,                          Jetzt aktiv werden
die bis weit in die Politik reicht. Die «Wochenzeitung     Für eine verstärkte Überwachung könnte ein Ein-
Woz» berichtete, dass eine 2005 lancierte Datenbank        trag mit dem Vermerk «Linksextremismus», wie im
mit 76 000 angeblich gefährlichen Personen bis 2010        Fall von Public Eye, künftig also genügen. Auch das
auf 200 000 angewachsen war. Unter den Fichierten          Abhören privater Mobiltelefone von Mitarbeitenden
waren auch Parlamentarier*innen aus dem linken La-         wäre dann wohl möglich. Die geplante Kompetenz-
ger; ein klarer Verstoss gegen die gesetzliche Grund-      ausweitung im digitalen Bereich dürfte überdies dazu
lage. Doch auch nach diesem «Fichenskandal 2.0», der       führen, dass öffentlich zugängliche Dokumente noch
Grund genug für ein neuerliches politisches Erdbeben       umfassender in den Datenbanken des NDB landen.
gewesen wäre, konnte der Geheimdienst unbehelligt          Das ist deswegen höchst problematisch, weil nicht alle
weiterarbeiten. Erst 2019 drehte der Wind etwas, als       öffentlich verfügbaren Daten und Äusserungen vom
grundrechte.ch aufdeckte, dass der NDB weiterhin le-       Geheimdienst erfasst und verwendet werden dürfen.
gale politische Tätigkeiten wie die Ausübung von Mei-      Im Gegenteil: Wenn sich der Geheimdienst nicht an
nungs- und Versammlungsfreiheit überwacht und ak-          seine gesetzliche Schranke hält und ohne sicherheits-
© Markus Forte/Ex-Press
Medienkonferenz zur Verleihung der Public Eye Awards im Januar 2011 in Davos

relevanten Grund wie Spionage, Terrorabwehr oder ge-                    Stellen Sie selbst ein Gesuch
walttätigen Extremismus willkürlich Daten sammelt,                      und engagieren Sie sich!
betreibt er faktisch Gesinnungsüberwachung.
        Für politisch engagierte Menschen wie etwa Kli-                 Stellen Sie als Privatperson für sich selbst oder
ma-Aktivist*innen, NGO-Mitarbeitende und progressive                    als zeichnungsberechtige Person für ihre Orga-
Parlamentarier*innen sind das schlechte Neuigkeiten. In                 nisation ein Akteneinsichtsgesuch beim Nach-
der anstehenden Vernehmlassung zum neuen NDG 2022                       richtendienst des Bundes NDB. Nur so erfahren
braucht es deshalb eine starke zivilgesellschaftliche und               Sie persönlich (und wir als Zivilgesellschaft),
politische Stellungnahme zugunsten von Grundrechten                     wie der NDB seinen Auftrag interpretiert und
und politischer Meinungsfreiheit. Nur so lässt sich eine                seine Arbeit verrichtet. Eine Mustervorlage für
weitere Ausweitung der NDB-­Befugnisse noch verhindern.                 ein Gesuch um Einsicht in die Staatsschutz-
        Die anstehende NDG-Revision betrifft hochsen-                   akten des NDB finden Sie hier:
sible Bereiche unseres gesellschaftlich-demokratischen                  www.grundrechte.ch
Zusammenlebens. «Restoring Trust» – das Vertrauen
wieder herstellen: Das diesjährige WEF-Motto sollten                    Beteiligen Sie sich auch an der bald beginnen-
sich auch die offizielle Schweiz und vor allem ihr Ge-                  den Vernehmlassung zur Revision des Nach-
heimdienst zu Herzen nehmen. Dafür braucht es griffige                  richtendienstgesetzes (NDG). Engagieren Sie
politische Massnahmen, die dem NDB klare Schranken                      sich so für eine starke politische Aufsicht über
bei der Überwachung setzen und deren Einhaltung kon­                    den Nachrichtendienst auf kantonaler und
trollieren. Wir wollen zwar Sicherheit im Land, aber kei-               nationaler Ebene sowie für umfassende Aus-
ne Politische Polizei! �                                                kunftsrechte.
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