Schweizer Plantagen in Übersee - ROHSTOFFHANDEL PUBLIC EYE MAGAZIN
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EDITORIAL PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 33 Januar 2022 Die unbekannten Riesen an unserem Esstisch Immer wieder bin ich erstaunt darüber, wie wenig in der Öffent- lichkeit über jene Firmen berichtet wird, die für unser globales Ernährungssystem zentral sind: die Agrarhändler. Während Rohstoffriesen wie Glencore oder Lebensmittelhersteller wie Nestlé in aller Munde sind, ist von ihnen kaum die Rede. Dabei gehört etwa der weltgrösste Agrarhändler Cargill mit knapp 135 Milliarden US-Dollar zu den drei umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz, und er setzt über 50 % mehr um als Nestlé. In Genf wickelt Cargill seinen globalen Handel mit Getreide und Soja ab und betreibt sein ganzes Logistikgeschäft. Auch die anderen Agrarhändler orchestrieren aus ihren Genfer oder Zuger Büros ihre Handelsgeschäfte – im Licht der Öffentlichkeit stehen sie jedoch kaum. Oder sagen Ihnen die Namen Archer Daniels Midland, Cofco, Ecom Agroindustrial oder Viterra etwas? Wahrscheinlich nicht – und das ist nicht zufällig. Im Gegensatz zu Markenfirmen, mit denen wir als Konsument*innen tagtäglich in Kontakt kommen, ist die intransparente Rohstoffbranche nicht an Öffentlichkeit interessiert. Sie verkauft zwar an Lebensmittelher- steller oder Textilfirmen, denen ihr Image wichtig ist. Die im Hinter- grund agierenden Agrarhändler hingegen braucht ihr Ansehen Silvie Lang kaum zu kümmern; sie werden allenfalls von NGOs wie Public Eye kritisch unter die Lupe genommen. Dabei wäre eine breit ange- legte Kritik dringend nötig, denn die Agrarrohstoffe, die in unseren Nahrungs- und Genussmitteln oder Biotreibstoffen landen, werden Dank Ihnen! unter hochproblematischen Bedingungen produziert. Und die Die Reportagen und Analysen in unserem Magazin Händler, die weltweit auch über 550 eigene Plantagen betreiben, und die Recherchen, auf denen diese beruhen, sind dort direkt verantwortlich für Missstände wie Landgrabbing, sind nur dank der Unterstützung unserer Mitglieder und Spender*innen möglich. Verletzungen von Arbeitsrechten oder Abholzung. Sie sind bereits Mitglied? Herzlichen Dank! Doppelten Dank, falls Sie eine Mitgliedschaft verschenken. publiceye.ch / geschenkabo Es darf nicht sein, dass unsere Ernährung und der Rohstoffplatz Sie sind noch nicht Mitglied? Mit 75 Franken pro Schweiz auf der Ausbeutung von Mensch und Umwelt basieren. Jahr sind Sie dabei und erhalten regelmässig unser Magazin. publiceye.ch / mitglieder Dass die offizielle Schweiz sich weiterhin gegen eine Regulierung Oder wollen Sie uns zuerst kennenlernen? Dann des Rohstoffhandels wehrt, ist nicht nur ein Armutszeugnis. Mit bestellen Sie gratis drei Ausgaben als Schnupperabo. Blick auf die ausbeuterischen Produktionsbedingungen und gravie- publiceye.ch / schnuppern renden Folgen für Mensch und Klima ist es schlicht ein Skandal. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören. PUBLIC EYE – MAGAZIN Nr. 33 Januar 2022 REDAKTION & PRODUKTION DRUCK KONTAKT SPENDENKONTO Romeo Regenass (D) und Vogt-Schild Druck AG Public Eye 80-8885-4 Ariane Bahri (F) Cyclus Print & Leipa, FSC Dienerstrasse 12 — — — Postfach, 8021 Zürich Das Public Eye Magazin LAYOUT & INFOGRAFIK AUFLAGE — erscheint sechs Mal pro Jahr opak.cc D: 32 500 Ex. / F: 10 500 Ex. Tel. +41 (0)44 2 777 999 in Deutsch und Französisch. — — kontakt@publiceye.ch Mitgliedschaft inklusiv TITELBILD ISSN — Abonnement 75 Franken Maja Hitij 2504-1266 publiceye.ch pro Jahr.
Globale Gerechtigkeit beginnt bei uns. Schweizer Plantagen Genf | Lausanne | Bern | Zug | Zürich Kinshasa Wo Schweizer Agrarhändler die «Congo Hold-Up»: Banken aus der Menschenrechte mit Füssen treten Schweiz waren stets zu Diensten 4 Auf über 550 Plantagen weltweit pflanzen 21 Eine Bank kassiert Millionen für eine Firma, Schweizer Rohstoffhändler Orangen, Palmöl die die USA mit Sanktionen belegt haben. Wie oder Zuckerrohr an. Ihr Wirken bringt der sie und andere hiesige Banken von der grossen Bevölkerung oft mehr Schaden als Nutzen. Veruntreuungsaffäre im Kongo profitieren. Genf, Schweiz | Zug, Schweiz | Welt Kinshasa, Demokratische Republik Kongo Der Staatsschutz überwacht Public Covid-19: Auch Medikamente Eye; bald mit noch mehr Macht? gibt es nur für die reichen Länder 16 Der Geheimdienst soll Gewalt verhindern und die 30 Wie bei den Impfstoffen verhindern geistige Schweiz sicherer machen. Die Fiche von Public Eigentumsrechte und purer Nationalismus eine Eye zeigt: Es bleibt sehr oft nicht dabei. Nun soll faire Verteilung der Medikamente. Schweizer der Staatsschutz gar neue Befugnisse erhalten. Pharmakonzerne sind federführend dabei. Zürich, Schweiz | Lausanne, Schweiz Genf, Schweiz Konzernverantwortung: Bundesrat Regulierungsbremse: Schiesst sieht unzählige Ausnahmen vor das Parlament ein Eigengoal? 20 In der Umsetzung des Gegenvorschlags zur 33 Das Parlament will die Hürden für neue Gesetze Konzernverantwortungsinitiative beugt sich der erhöhen, die für Unternehmen mehr Aufwand Bundesrat einmal mehr der Konzernlobby. Die bedeuten. Die Wirtschaftslobby frohlockt, doch Verordnung ist voller Schlupflöcher. das letzte Wort dürfte das Volk haben. Bern, Schweiz Bern, Schweiz
Schweizer Agrarhändler als Plantagenbesitzer Die grossen Agrarhändler organisieren aus ihren Genfer und Zuger Büros nicht nur den globalen Handel mit Soja oder Kaffee – sie sind längst auch Plantagen- besitzer. Auf einer Fläche von mehr als 2,7 Millionen Hektar bauen sie auf über 550 Plantagen weltweit Zuckerrohr, Palmöl, Orangen oder Kautschuk an. Für die Missstände in der dortigen Produktion, die von Landgrabbing über Arbeits- rechtsverletzungen bis zu Umweltvergehen reichen, sind sie deshalb direkt ver- antwortlich. Diese Recherche zeigt erneut: Als grösste Handelsdrehscheibe von Agrarrohstoffen weltweit ist die Schweiz Sitzstaat einer risikobehafteten Bran- che, die dringend reguliert werden muss. SILVIE LANG, THOMAS BRAUNSCHWEIG UND TIMO KOLLBRUNNER © Micha Patault
SCHWEIZER PLANTAGEN 5 I n der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass die welt- bauen Palmöl, Zuckerrohr oder Kaffee auch selbst an weit grössten Agrarhändler wie Cargill, Archer Da- und verarbeiten sie weiter zu Futter-, Lebens- und Ge- niels Midland oder Bunge grosse Teile ihres globalen nussmitteln. Diese Ausweitung des Geschäftsmodells Handels aus der Schweiz heraus abwickeln. Ob umsatz- zeigt sich auch in den Selbstbeschreibungen der Händ- stärkste Niederlassung, regionales Handelsbüro oder in ler. So wirbt die Louis Dreyfus Company (LDC) mit einigen Fällen gar Hauptsitz – die hier ansässigen Händ- dem Slogan «From Farm to Fork» (vom Hof bis auf den ler machen die kleine Schweiz zum grössten Handelshub Teller) und Olam mit dem Spruch «From Seed to Shelf» für Agrarrohstoffe wie Soja, Zucker oder Kaffee. Dabei (vom Saatgut bis ins Verkaufsregal). gelangen diese Rohstoffe allerdings so gut wie nie phy- Die Diversifizierung ermöglicht den Unterneh- sisch in die Schweiz. Dieser sogenannte Transithandel men nicht nur, ihre Risiken zu minimieren, sondern ist das Geschäftsmodell der Schweizer Rohstoffhändler – auch, ihren Einfluss zu vergrössern. Mit dem Anbau und sehr praktisch für diese notorisch intransparente eigener Rohstoffe erhalten die Konzerne einen besseren Branche. Denn so kann der Umfang dieses Handels weder Zugang dazu und eine grössere Kontrolle über die von aus der Schweizer Zollstatistik noch aus anderen öffent- ihnen benötigte Menge und Qualität. Zudem erleichtert lich verfügbaren Daten herausgelesen werden. Auch die ihnen diese Integration die Rückverfolgbarkeit der Gü- Unternehmen selbst sowie ihre Branchenverbände halten ter entlang der Wertschöpfungskette. sich äusserst bedeckt. Die Schweizer Händler als Plantagenbesitzer 50 % des Getreides und jede dritte Kaffeebohne Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat Public Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hat Public Eye Eye erstmals systematisch untersucht, wo und wie viel 2019 mit aufwendigen Recherchen konservative Schät- Land die Schweizer Händler für den Anbau von Ag- zungen zur Grösse des Agrarhandelsplatzes Schweiz vor- rarrohstoffen weltweit kontrollieren. Ausgehend von genommen. Mit erstaunlichen Resultaten: Die Trader in Daten, die die niederländische Non-Profit-Organisation ihren Büros am Genfersee oder in der Zentralschweiz Profundo in unserem Auftrag recherchiert hat, haben wickeln mindestens die Hälfte des globalen Handels mit wir unter die Lupe genommen, welche Plantagen die Getreide und Ölsaaten (wie Soja) und mindestens 40 % Rohstoffhändler für welchen Verwendungszweck kon des weltweiten Zuckerhandels ab, verschieben zudem trollieren. Und welche Missstände es im Zusammen- jede dritte Kaffee- und Kakaobohne und verantworten hang mit mancher dieser Plantagen gibt. 25 % des globalen Baumwollhandels. Die von Schweizer Händlern kontrollierten Plan- Dass über die Unternehmen, welche die Schweiz tagen umfassen insgesamt mindestens eine Fläche von zur grössten Drehscheibe für den globalen Agrarhandel über 2,7 Millionen Hektar. Das entspricht mehr als dem machen, so wenig bekannt ist, hat mit ihrem Geschäfts- Sechsfachen des gesamten Schweizer Ackerlandes oder modell zu tun. Denn wir Konsument*innen kommen 50 Mal der Fläche des Bodensees. Während es in man- kaum je in Kontakt mit Cargill & Co, auch wenn diese chen Fällen genaue Angaben zur kontrollierten Fläche, praktisch alle relevanten landwirtschaftlichen Rohwaren der Anzahl Plantagen und den genauen Standorten gibt, handeln und verarbeiten, die in unseren Konsumgütern sind in anderen nur Hinweise zur Gesamtfläche und landen, und eine zentrale Funktion in unserem globalen den Ländern, jedoch weder Ortsangaben noch detail- Agrar- und Ernährungssystem einnehmen. liertere Informationen zur exakten Zahl der Plantagen zu finden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Branche Vom Anbau bis ins Verkaufsregal nicht nur extrem verschwiegen, sondern auch sehr dy- Lange präsentierten sich die Agrarhändler als reine Lo- namisch ist. So wechselte etwa der brasilianische Zu- gistikfirmen, deren Geschäft sich darauf beschränkt, ckertrader Biosev erst kürzlich von LDC in den Besitz Landwirtschaftsgüter von A nach B zu verschiffen. von Raízen, was die Zuordnung von einzelnen Planta- Tatsächlich aber sind sie längst zu vertikal integrierten gen zu spezifischen Tradern weiter erschwert. Agro-Food-Konzernen geworden. Das heisst, sie haben In unserer gemeinsam mit Partnerorganisatio- ihre Tätigkeiten auf die Wertschöpfungsstufen ausge- nen in den Produktionsländern durchgeführten Pio- dehnt, die dem Handel vor- und nachgelagert sind. Sie nierrecherche konnten wir insgesamt 561 Plantagen transportieren Agrarrohstoffe nicht mehr nur, sondern in 24 Ländern identifizieren, die von Schweizer Agrar- händlern kontrolliert werden. Flächenmässig mit Abstand am meisten Land kon- trollieren die Schweizer Händler für die Produktion von
6 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 33 Januar 2022 der Gesamtfläche, gefolgt von Getreide und Ölsaaten. Von Zuckerrohr und Palmöl genauso wie Soja sogenannte Flex Schweizer Tradern betriebene Zitrusplantagen erstrecken Crops – also Rohstoffe, die einen vielfachen Nutzen haben sich auf 190 000 Hektar, Kautschuk macht noch etwas über und somit flexibel für Lebens- und Futtermittel oder auch 100 000 Hektar aus. Danach folgen flächenmässig abge- als Biotreibstoff eingesetzt werden können. So wird bei- schlagen Kaffee, Bananen und Reis. Kein Schweizer Planta- spielsweise bis zu 90 % des global produzierten Sojas zu genbesitz liess sich für Kakao und Baumwolle nachweisen. Futtermittel verarbeitet. Und im Erntejahr 2019/20 wur- den knapp zwei Drittel der gesamten Zuckerrohrernte Könige der «Flex Crops» Brasiliens, dem führenden Produktionsland von Zucker, Dass die Trader mit Abstand am intensivsten in den An- für die Herstellung von Ethanol und nicht für Rohzucker bau von Zuckerrohr, Palmöl sowie Getreide und Ölsaaten verwendet. Was tatsächlich hergestellt wird, hängt denn investieren, kann mehrere Gründe haben. Einerseits sind auch mit dem Ölpreis zusammen: Steigt dieser, werden die Treibstoffe teurer und das günstigere Ethanol wird stärker nachgefragt. Mit Flex Crops können längerfristig sicherere Renditen erzielt werden als mit anderen Landwirtschafts- erzeugnissen. Denn mit diesen Agrarrohstoffen können Von Schweizer Händlern Trader flexibler auf Markttrends und Preisschwankungen kontrolliertes Anbauland reagieren und so ihre Preisrisiken verringern. Ein weiterer Grund, vor allem bei diesen Rohstof- in Hektar pro Konzern fen auf die Anbaustufe vorzudringen, ist die Tatsache, dass deren Produktion kapital- und weniger arbeitsin- 10 40 80 60 20 00 tensiv ist. So ist der Zuckerrohranbau in Brasilien mitt- 0 0 0 0 00 00 00 00 00 0 0 0 0 0 0 lerweile grösstenteils mechanisiert. In gewissen Gegen- Raízen Olam den beträgt der Mechanisierungsgrad bis zu 95 %, so dass Cofco nur noch sehr wenige Arbeiter*innen in der Produktion Bunge zum Einsatz kommen. Im Vergleich dazu ist der Anbau Socfin von Kulturen wie Kakao oder teilweise auch Baumwolle, Sucocítrico Cutrale wo die Schweizer Händler gemäss unseren Recherchen Cargill keine eigenen Plantagen besitzen, äusserst arbeitsin- Viterra tensiv; er wird mehrheitlich von selbstständigen Klein- LDC ADM* bäuerinnen und Kleinbauern auf viel kleineren Flächen Chiquita verrichtet. Die arbeitsintensive Produktion bringt auch Ecom viel grössere Risiken mit sich, vor allem für die Kleinpro- NKG duzent*innen. Sie sind von niedrigen Verkaufspreisen Sucafina der Rohstoffe und Preisschwankungen auf den Welt- * Dies entspricht den 22,2 %, die ADM am märkten, aber auch von den Folgen des Klimawandels Palmölhändler Wilmar hält, und d amit sowie ausbeuterischen Produktionsbedingungen viel auch an dessen Plantagen auf einer existenzieller betroffen als die Händler, die sich gegen G esamtfläche von über 470 000 Hektar. viele dieser Risiken absichern können. Die Auslagerung von Risiken an die Produzierenden kann somit als Teil Von Schweizer Händlern des Geschäftsmodells betrachtet werden. kontrolliertes Anbauland Von Nutzungsrechten bis Landbesitz pro Rohstoff Die Kontrolle, welche die Händler über das Anbauland aus- üben, kann unterschiedliche Formen annehmen und reicht Zuckerrohr vom eigentlichen Besitz des Landes über langjährige Pacht- Palmöl verhältnisse bis zu Nutzungsrechten. Die Art der Kontrol- le hängt auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen Getreide & Soja in den Produktionsländern ab. In einigen Staaten dürfen Orangen ausländische Unternehmen beispielsweise Land nicht be- Kautschuk sitzen, sondern nur pachten. Die langjährige Pacht von Agrarland kann sogar profitabler sein als dessen Besitz, Kaffee weil diese oft sehr günstig ist. Was allen Varianten gemein Bananen ist: Die Händler haben so eine direktere Kontrolle über die Reis Produktion der Agrarroh- Fortsetzung auf Seite 10 —›
© Jocelyn Abila / Afrikimages Agency / UIG via Getty Images Arbeiterinnen in einer Baumschule einer Plantage von Olam in Gabun © Micha Patault Arbeiter in einer Palmölplantage von Socfin in Kamerun
8 © Phuong D. Nguyen/Shutterstock.com © Ramiro Aguilar Villamarín Wo Schweizer Trader die Menschenrechte mit Füssen treten In der landwirtschaftlichen Pro- duktion kommt es vielerorts zu Arbeitsrechtsverletzungen, Land- grabbing, Umweltverschmutzung oder Abholzung. Auf dieser Dop- Todesdrohungen gegen Tausende mussten pelseite schildern wir einige kon- Gewerkschafter Kaffeeplantage weichen krete Beispiele, in die Schweizer Rohstoffhändler involviert sind. Gewerkschafter*innen, welche sich Für eine Plantage der Neumann Kaf- Die beschriebenen Missstände für die Rechte der Bananenarbei- fee Gruppe (NKG) wurden in Uganda sind keine Einzelfälle, sondern ter*innen auf einer Chiquita-Plan- lokale Gemeinschaften gewaltsam veranschaulichen beispielhaft die tage in Honduras einsetzen, leben vertrieben. Die Betroffenen fordern im Sektor häufig auftretenden höchst gefährlich. ihr Land und Eigentum zurück. Probleme. Einige Recherchen wurden von Partnerorganisatio- Arbeitsrechtsverletzungen auf süd- 2001 vertrieb die ugandische Armee nen von Public Eye in unserem amerikanischen Bananenplantagen die Bevölkerung gewaltsam aus vier Auftrag durchgeführt. Weitere sind an der Tagesordnung, und wer Dörfern, weil die Regierung das Land Missstände waren bereits bekannt sich gegen sie auflehnt, begibt sich in an die Kaweri Coffee Plantation Ltd., und von anderen Organisationen Gefahr. Im September 2015 wurde eine Tochterfirma des weltgrössten dokumentiert und publik gemacht Tomás Membreño Perez, Präsident Rohkaffeehändlers NKG aus Ham- worden. der honduranischen Gewerkschaft burg, verpachtet hatte. Dabei wurden der Landwirtschaftsarbeiter*innen, Häuser, Felder und Nahrungsmittel- Wo es Stellungnahmen der betrof- von einem Auto ohne Nummernschil- vorräte zerstört oder geplündert. fenen Unternehmen betreffend der verfolgt, als er unterwegs war zur Rund 4000 Menschen sollen Land und der Vorwürfe gibt, sind diese in Finca Santa Rita. Auf dieser Chiquita Besitz verloren haben. der Onlinepublikation des Arti- gehörenden Plantage war es wegen kels verlinkt. Ebenso sind online unbezahlter Löhne und Überzeit Die in Zug ansässige Tochtergesell- die spezifischen Quellen bei den zuschläge sowie wegen der Ein- schaft NKG Tropical Farm Manage- jeweiligen Missständen vermerkt. schüchterung und Entlassung von ment ist für das Plantagenmanage- Angestellten, die sich gewerkschaft- ment von NKG und damit auch der lich organisieren wollten, immer wie- Kaweri-Plantage zuständig und der zu Konflikten gekommen. Ein paar zeichnet somit mitverantwortlich für Tage zuvor war Perez gemäss dem das Vorgehen. 2002 verklagten die Solidarity Center, der grössten Arbeits- Betroffenen mit Unterstützung der rechtsorganisation der USA, anonym NGO Fian sowohl die ugandische über Telefon und Facebook angedroht Regierung als auch die Kaweri Coffee worden, man werde ihn und seine Plantation Ltd. Die rechtliche Ausei- Familie umbringen, wenn er weiterhin nandersetzung um die Rückerstat- Arbeiter*innen organisiere. tung von Land und Eigentum an die lokalen Gemeinschaften dauert bis Perez ist kein Einzelfall: Ein Jahr zuvor heute an. Noch haben die Vertriebe- hatte der Gewerkschafter José María nen keinerlei Entschädigung erhalten Martínez, der sich ebenfalls für die und fordern weiterhin ihre Rechte ein. Angestellten auf der Finca Santa Rita eingesetzt hatte, nach Todesdrohun- gen das Land verlassen. Zwischen 2009 und 2019 wurden in Honduras Lesen Sie den Bericht mit mindestens 36 Gewerkschafter*innen interaktiver Karte online: umgebracht. schweizer-plantagen.ch
@Mercury Green/Shutterstock.com © Eva Kali/Shutterstock.com © Tafilah Yusof/Pixabay Für Palmöl: Rechte von Zuckerrohrplantagen Vertreibung und Gewalt Indigenen missachtet ohne Umweltlizenz wegen Palmölplantagen Lokale Gemeinschaften im indonesi- Der Zuckerhändler Biosev hat es ver- Seit Jahren kommt es in Kamerun zu schen Teil der Insel Borneo leiden seit säumt, ökologische Schäden wie- Auseinandersetzungen zwischen Soc- vielen Jahren unter Cargills unersätt- dergutzumachen, und operiert im fin und der lokalen Bevölkerung lichem Palmöl-Hunger. Sie beklagen brasilianischen Minas Gerais seit wegen Landrechtsfragen und Arbeits- die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Jahren ohne Umweltlizenz. bedingungen auf Palmölplantagen. Grossflächige Rodungen von Regen- Die ökologischen und sozialen Folgen Seit 2000 betreibt Socfin im kameruni- wald in der Region Manis Mata in des illegalen Zuckerrohranbaus in schen Mbonjo eine Palmölplantage – Westkalimantan begannen bereits in Schutzgebieten sind in der Region und steht unter anderem wegen aus- den Neunzigerjahren. Mit dabei: die Lagoa da Prata bis heute spürbar. beuterischer Arbeitsbedingungen und britische Commonwealth Develop- 2006 hatte sich die Louis Dreyfus dem Umgang mit der lokalen Bevölke- ment Corporation (CDC). Sie legte in Company – bis vor Kurzem das Mut- rung immer wieder in der Kritik. Gemäss diesem Gebiet über eine Tochter terhaus von Biosev – in einer Verein- der NGO Sherpa sollen Mitarbeitende gesellschaft Ölpalmplantagen im barung mit der Staatsanwaltschaft des von Socfin-Tochter Socapalm Umfang von 32 000 Hektar an, die von Minas Gerais verpflichtet, die beauftragten Unternehmens Africa 2005 von Cargill übernommen wur- besagten Plantagen, welche auf eine Security Einheimischen gegenüber den. Seit damals kämpfen die im Vorgängerfirma von Biosev zurückge- gewalttätig aufgetreten sein. Zudem Gebiet der Plantagen lebenden indi- hen, aufzugeben. Die Umweltschäden wird Socfin vorgeworfen, keinen ange- genen Gemeinschaften der Dayak wurden bis anhin jedoch nicht wieder- messenen Dialog mit der lokalen Bevöl- Jelai um Entschädigung für den Ver- gutgemacht. Zudem hat Biosev keine kerung zu führen. So soll Socfin 2015 lust ihres Landes und die Zerstörung Umweltlizenz, um auf den von der bra- einen runden Tisch mit ihrem Haupt- ihrer Lebensgrundlage. silianischen Firma EPOMTA gepach- aktionär, der Bolloré Group, boykottiert teten Plantagen Zuckerrohr anzu- haben. Dieser war von einem betroffe- Die Dayak Jelai werfen der CDC und bauen. Dies bestätigten 2019 auch nen Bauern initiiert worden. Socfin- Cargill Verstösse gegen das in inter- Unternehmensvertreter. CEO Luc Boedt begründete dies nationalen Menschenrechtsstandards damals damit, man spreche nur mit definierte Recht auf freie, vorherige Deshalb erhob die Staatsanwalt- anerkannten Vertretern und «nicht mit und informierte Zustimmung (FPIC) schaft 2020 Anklage gegen Biosev irgendeinem Bauern, der meint, eine vor und beklagen ungenügende Kom- und EPOMTA und hält fest: «Eines der Show abziehen zu müssen». pensationszahlungen für ihr Land und grössten Agrarprojekte im Bundes- 2010 hatten europäische und kameru- die Zerstörung von heiligen Stätten staat Minas Gerais operiert seit bald nische NGOs gegen Socfin und Bolloré und Ahnengräbern. Cargill weist jeg- einem Jahrzehnt ohne Genehmi- eine Beschwerde bei den Nationalen liche Verletzung des FPIC-Rechts gung.» Biosev, heute im Besitz des Kontaktpunkten der OECD in Belgien, zurück und behauptet, ihre Tochter- brasilianischen Traders Raízen, hat Frankreich und Luxemburg eingereicht. firma habe dies vollständig dokumen- gegen die zahlreichen Bussen wegen Diese stellten Verletzungen der OECD- tiert, was jedoch durch eine im Novem- Vergehen gegen Umweltgesetze Leitsätze für multinationale Unterneh- ber 2019 durchgeführte Prüfung der Berufung eingelegt. Die Staatsan- men fest, woraufhin sich Bolloré und Firma SGS Indonesia widerlegt worden waltschaft fordert von den Firmen die NGOs auf einen Aktionsplan einig- sein soll. Seit über 25 Jahren pochen über 24,5 Millionen brasilianische ten. Da dieser von der Firma aber nicht die indigenen Gemeinschaften nun Reais (USD 4,5 Mio.) für die Schäden umgesetzt wurde, zogen die Organisa- schon auf ihre Rechte. ihrer Vorgängerfirmen sowie auf- tionen 2019 vor Gericht. Dessen Ent- grund der fehlenden Umweltlizenz. scheid steht noch aus.
10 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 33 Januar 2022 stoffe, als dies bei der Beschaffung über Zulieferer der Fall wir sind nicht die Polizei». Auf den von ihnen kontrol- ist. Damit geht aber auch eine direktere Verantwortung lierten Plantagen greift diese bereits für Zulieferbetrie- für die Produktions- und Arbeitsbedingungen auf diesen be haltlose Begründung definitiv nicht: Dort stehen die Plantagen einher. Schweizer Agrarhändler direkt in der Verantwortung. Doch entgegen eigener Beteuerungen scheint es ihnen Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette häufig nicht zu gelingen, ihre Produktion mit geltenden Bei der landwirtschaftlichen Produktion kommt es Menschenrechts- und Umweltstandards in Einklang zu vielerorts zu Arbeitsrechtsverletzungen, Landgrab- bing, Umweltverschmutzung oder Abholzung. Einige solcher Fälle bei Zulieferern von Schweizer Agrarhänd- lern hat Public Eye bereits 2019 im Bericht «Agricul- Bei unseren Recherchen stiessen wir auf diverse tural Commodity Traders in Switzerland: Benefitting Missstände. Das veranlasste uns, die Produktions- from Misery?» dargelegt. Auch unsere Reportage zu den bedingungen auf einigen Plantagen genauer unter Produktionsbedingungen in der ecuadorianischen Ba- die Lupe zu nehmen. nanenindustrie zeigte gravierende Missstände und hob die Verantwortung des Schweizer Händlers Chiquita hervor. Und die Recherche aus den Orangenplantagen São Paulos brachte ausbeuterische Arbeitsbedingungen bringen. Bei unseren Recherchen stiessen wir auf diverse in der Lieferkette von LDC ans Licht. Missstände. Das veranlasste uns, die Produktionsbedin- Bei Missständen in Zulieferbetrieben stehlen sich gungen auf einigen Plantagen genauer unter die Lupe zu die Trader gerne mit dem Argument aus der Verantwor- nehmen. Unterstützt wurde diese Arbeit von unseren tung, dass ihnen dort die Kontrolle und der direkte Ein- Partnerorganisationen Repórter Brasil und dem indone- fluss fehle. So meinte ein lokaler Vertreter von LDC bei sischen Netzwerk Walhi, deren Recherchen zu den brasi- unserer Feldrecherche 2020 auf den Zulieferplantagen lianischen Zuckerrohr- respektive indonesischen Palmöl- in São Paulo, die Firma kontrolliere nicht vor Ort, «denn plantagen teils langjährige Missstände zutage förderten. Umweltvergehen und Landgrabbing So baut etwa der Zuckertrader Biosev seit Jahren in der brasilianischen Region Lagoa da Prata auf gewis- Landgrabbing sen Plantagen ohne Umweltlizenz Zuckerrohr an, wes- wegen sogar die Staatsanwaltschaft von Minas Gerais Unter Landgrabbing, auf Deutsch oft als Land- Anklage erhob. In Indonesien wiederum sehen sich in- raub bezeichnet, werden typischerweise Land- digene Gemeinschaften aufgrund einer Palmölplantage aneignungen bezeichnet, welche zu Verletzun- von Cargill ihrer Lebensgrundlage beraubt. Dieser seit gen von Menschenrechten führen. Dabei geht über 20 Jahren schwelende Konflikt konnte bis heute es insbesondere um das Recht auf Nahrung, nicht im Einklang mit den Rechten der Indigenen gelöst das Recht auf eine gesunde Umwelt sowie werden. Auch in Zusammenhang mit Kaffeeplantagen die Rechte indigener Gemeinschaften. Eine der Schweizer Trader in Uganda, Laos und Tansania kam einheitliche Definition von Landraub gibt es es zu Vertreibungen lokaler Gemeinschaften. Der wohl nicht. Die rumänische Bauernrechtsorganisa- berüchtigtste Fall von Landgrabbing betrifft die Kaweri- tion «EcoRuralis» fasst die Problematik hinter Kaffeeplantage der Neumann Kaffee Gruppe in Uganda, Landgrabbing wie folgt zusammen: «Landraub bei welchem es bereits vor 20 Jahren zu Plünderungen kann definiert werden als das Kontrollieren (sei und Vertreibungen kam. Die Betroffenen warten bis es durch Eigentum, Pacht, Konzession, Verträ- heute auf eine angemessene Entschädigung. Und in der ge, Quoten oder allgemeine Macht) von mehr honduranischen Bananenproduktion kommt es immer als lokaltypischen Landmengen durch eine wieder zu Drohungen und Gewalt gegen Gewerkschaf- Person oder Körperschaft (öffentlich oder pri- ter*innen – auch in Zusammenhang mit der Plantage vat, ausländisch oder inländisch) auf irgend- Santa Rita des Schweizer Bananenhändlers Chiquita. eine Weise («legal» oder «illegal») zum Zwe- Ihrer Verantwortung zur Vermeidung solcher cke der Spekulation, des An- oder Abbaus, der Missstände kommen die Händler nicht genügend nach. Ressourcenkontrolle oder Kommerzialisierung Zudem fehlt es in den Sitzstaaten der Unternehmen, wie auf Kosten von Bauern, Agrarökologie, Land- der Schweiz, an wirksamen, rechtlich verbindlichen Re- bewirtschaftung, Ernährungssouveränität und gelungen, welche sie zur Respektierung von Menschen- Menschenrechten». rechts- und Umweltnormen zwingen würden. Der
2 1 4 1 14 4 1 2 4 2 1 6 9 1 2 2 3 11 2 8 1 1 27 8 288 11 25 93 1 2 5 Anzahl Plantagen pro Land 44 Zentrale 1 Standorte der Rohstoff- händler Die wichtigsten Schweizer Agrarhändler Konzern Hauptsitz(e) Funktion Standort(e) Schweiz Plantagen Archer Daniels Chicago, USA Handelshauptsitz in Rolle VD Beteiligt an Palmölplantagen von Wilmar in Indonesien, Midland (ADM) Malaysia, Côte d’Ivoire, Ghana, Nigeria, Uganda Bunge St. Louis, USA Handelsabteilung in Genf Zuckerrohrplantagen in Brasilien Cargill Minneapolis, USA Globale Handelsabteilung für Palmölplantagen in Indonesien Getreide und Ölsaaten sowie Fracht in Genf Chiquita Etoy, Schweiz, Einer der Hauptsitze in Etoy VD Bananenplantagen in Costa Rica, Guatemala, Honduras und Fort Lauder- und Panama dale, USA Cofco Peking, China Globale Handelsabteilung in Genf Zuckerrohrplantagen in Brasilien; Vertragsanbau in Corporation Südafrika für Soja, Mais Ecom Pully, Schweiz Hauptsitz Palmölplantagen in Mexiko Agroindustrial Louis Dreyfus Rotterdam, Umsatzstärkste Handelsabteilung Orangenplantagen in Brasilien; Agrarland für Getreide Company (LDC) Niederlande und operativer Hauptsitz in Genf und Ölsaaten in Südrussland Neumann Hamburg, Globale Handelsniederlassung und Kaffeeplantagen in Brasilien, Mexiko, Uganda Kaffee Gruppe Deutschland Plantagenmanagement in Zug (NKG) Olam Singapur Umsatzstärkste Handelsabteilungen Palmölplantagen in Gabun; Agrarland in Russland; für Kaffee und Getreide in Genf und Kaffeeplantagen in Brasilien, Laos, Sambia, Tansania; Nyon Reisfarm in Nigeria Raízen São Paulo, Globale Handelsabteilung in Genf Zuckerrohrproduktion in Brasilien Brasilien Socfin Luxemburg Handelsabteilung und Plantagen- Palmöl- und Kautschukplantagen in Zentral- und management in Fribourg Westafrika sowie Südostasien Sucafina Genf, Schweiz Hauptsitz Kaffeeplantagen in Brasilien Sucocitrico Araraquara, Handelsabteilung in Lausanne Zitrusplantagen in Brasilien Cutrale Brasilien Viterra Rotterdam, Hauptsitz von Hauptaktionärin Zuckerrohrplantagen in Brasilien; Agrarland in Niederlande Glencore in Baar, ZG Argentinien
Für eine Plantage der Neumann Kaffee Gruppe (NKG) in Uganda wurden lokale Gemeinschaften gewaltsam vertrieben; © Fian an einer Versammlung fordern die Vertriebenen ihre Rechte ein. © Marcos Weiske Orangenpflücker auf einer Plantage von LDC in Brasilien
SCHWEIZER PLANTAGEN 13 undesrat anerkennt zwar offiziell, dass die Rohstoff- B So haben wir recherchiert branche mit ernst zu n ehmenden H erausforderungen konfrontiert ist, unter anderem in Bezug auf Menschen- Für diese Recherche wurde eine Auswahl an rechte. Er setzt jedoch nach wie vor grösstenteils auf Schweizer Agrarhändlern (sowohl solche mit freiwillige Unternehmensverantwortung sowie die an- Hauptsitz als auch solche mit wichtigen Handels- gebliche indirekte Aufsicht der Banken über den Roh- niederlassungen) getroffen, deren Kontrolle über stoffsektor. die Anbaustufe genauer untersucht wurde. Die Unternehmen wurden aufgrund verschiedener Kri- Verbindliche Sorgfaltspflichten überfällig terien ausgewählt, unter anderem ihrer Grösse Die Regulierungslücke in der Schweiz zeigt sich gleich sowie ihres Marktanteils bei den relevantesten in mehrfacher Hinsicht. Erstens greift das Argument, Agrarrohstoffen. Dies resultierte in einer Liste von eine Regulierung der Rohstoffbranche sei unnötig, da 14 Händlern, und zwar: Archer Daniels Midland deren Tätigkeiten unter indirekter Aufsicht der Banken (ADM), Bunge, Cargill, Cofco Group, Chiquita, stünden, die sie finanzieren, in keinster Weise. Selbst Ecom Agroindustrial, Louis Dreyfus Company wenn die Bankenaufsicht zur Verhinderung von Kor- (LDC), Neumann Kaffee Gruppe (NKG), Olam, Raí- ruption und Geldwäscherei taugen würde – sie hätte zen, Socfin, Sucafina, Sucocítrico Cutrale und im Hinblick auf die Schweizer Agrarhändler kaum eine Viterra. Des Weiteren wurde die Recherche auf die Wirkung. Eine Analyse von Public Eye zur Finanzierung global wichtigsten Agrarrohstoffe begrenzt und der Schweizer Agrarhändler zeigt nämlich: Schweizer deckt beispielsweise Konzessionen zur Nutzung Banken haben gar keinen Einfluss auf die Geschäfts- von Wald nicht ab. Public Eye erhebt keinen praktiken der Schweizer Agrarhändler, denn diese wer- Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich des den fast ausschliesslich von ausländischen Geldgebern gesamten Landbesitzes aller Schweizer Trader. finanziert (siehe Artikel Seite 14). Zweitens stehen bei den Agrarkonzernen – im Ge- Die Standortangaben der von Schweizer Händlern gensatz zum Handel mit Öl und mineralischen Rohstoffen kontrollierten Plantagen stammen aus öffentlich – weniger Geldwäscherei und Korruption als vielmehr zugänglichen Quellen wie Firmenberichten, Daten- Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen im banken oder von Zertifizierungsorganisationen Vordergrund. Die von uns dokumentierten Missstände (Stand: November 2021). Die Branche ist jedoch in diesem Sektor werden auch von einer umfassenden äusserst dynamisch und es kommt laufend zu Ver- und funktionierenden Bankenaufsicht nicht abgedeckt. käufen oder Übernahmen. Die Karte auf Seite 11 Drittens besteht in der Schweiz nach wie vor keine ist deshalb als Momentaufnahme zu verstehen. verbindliche und umfassende Sorgfaltsprüfungspflicht zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstössen. Der völlig zahnlose Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (siehe Seite 20) bringt hier kaum Besserung. Denn dieser fokussiert – neben dem für den Agrarsektor irrelevanten Aspekt der Konfliktmineralien – völlig einseitig auf Kinder- arbeit, sieht dabei aber so viele Ausnahmen vor, dass selbst diesem besonders gravierenden Missstand kaum begegnet werden muss. Alle anderen Menschen- sowie Arbeitsrechtsverletzungen und Umweltvergehen werden schlicht ausgeklammert. Was bleibt, ist ein intransparenter Hochrisikosek- tor, der bezüglich Menschenrechts- und Umweltrisiken fast gänzlich unreguliert aus der Schweiz heraus operiert. Diese Lücke versuchen unsere Nachbarländer sowie die EU mit verbindlichen Sorgfaltsprüfungen wenigstens ein Stück weit zu schliessen. Dies wäre auch hierzulande dringend nötig, wenn die offizielle Schweiz es tatsächlich ernst meinte mit ihrem Respekt für Mensch und Umwelt weltweit. Momentan sieht es nicht danach aus. Der Be- Lesen Sie den Bericht mit interaktiver darf für eine Rohstoffmarktaufsicht, wie sie Public Eye Karte online: seit Langem fordert, ist deshalb dringlicher denn je. � schweizer-plantagen.ch
14 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 33 Januar 2022 Schweizer Banken für Agrarhändler irrelevant Der Schweizer Finanzplatz gilt als einer der Hauptgründe, weshalb so viele globale Agrarrohstoffhändler hier ihren Hauptsitz haben. Neue Zahlen belegen jedoch, dass Schweizer Banken nur eine verschwin- dend kleine Rolle bei deren Finanzierung haben. Somit verfängt das Argument, es brauche wegen der indirekten Bankenaufsicht keine Regulierung des Rohstoffsektors, auch im Falle der Agrarhändler nicht. SILVIE LANG Die Schweiz hat sich zum weltweit grössten Handels- Wie diese Finanzierung im Falle der Schweizer Agrar- hub für Agrarrohstoffe wie Getreide, Soja, Zucker, händler im Detail aussieht, war bis anhin unbekannt. Palmöl, Kaffee oder Kakao entwickelt. Die Nähe zur Basierend auf einer Studie, die Public Eye bei der nieder- Finanzbranche gilt neben der politischen Stabilität, ländischen Non-Profit Organisation Profundo in Auf- dem günstigen Steuerklima und der Verfügbarkeit von trag gegeben hat, ist nun klar: Wie bei Händlern von Öl, Fachkräften als einer der Gründe für diese Standort- Metallen und mineralischen Rohstoffen, deren Finan- wahl, denn der Rohstoffhandel ist ein kapitalintensives zierung Public Eye im Bericht «Trade Finance Demysti- Geschäft. Vor allem Investitionen in und der Unter- fied» (2020) durchleuchtete, spielen Schweizer Banken halt von Lager-, Verarbeitungs- und Logistikkapazi- auch bei der Finanzierung der Schweizer Agrarhändler täten, um Millionen Tonnen von Agrarrohstoffen zu kaum eine Rolle. Beim Kreditgeschäft über den Unter- verarbeiten und um die Welt zu transportieren, sind suchungszeitraum von sechs Jahren beispielsweise ma- sehr kostspielig. Das dafür nötige Kapital können die chen die Beiträge der Schweizer Banken gerade mal 3,2 % Händler zum Beispiel in Form von Krediten oder über der insgesamt knapp 300 Milliarden US-Dollar aus. die Ausgabe von Aktien oder Anleihen aufnehmen. Mit Abstand am meisten erhielten die untersuchten Trader von in den USA domizilierten Finanzinstituten, nämlich 53 Milliarden US-Dollar (18 % der Kredite). An zweiter Stelle liegen mit 35 Milliarden US-Dollar britische Geldhäuser, gefolgt von französischen (32 Mrd.) und chi- nesischen (31,6 Mrd.). Abgeschlagen auf Platz 12 kommen schliesslich die Schweizer Banken. Am meisten Kredite aus der Schweiz erhielten die Trader von der Credit Suisse, die insgesamt 4,7 Milliarden US-Dollar (1,6 % der Kredite) vergab. Die UBS sprach Kredite in der Höhe von 3 Milliar- den US-Dollar – lediglich 1 % der Gesamtkredite. Weitere nicht ins Gewicht fallende Kredite stammten von der Zür- cher und der Genfer Kantonalbank. Die Daten zeigen deut- lich: Von einer indirekten Aufsicht der Schweizer Banken über den Agrarhandelssektor kann keine Rede sein. Bankenaufsicht über Agrarhändler ein Mythos Noch deutlicher wird dies, wenn man die Händler und ihre Finanzierungsstrategien individuell betrachtet. Beim grössten und privat gehaltenen Agrarhändler Car- gill beispielsweise stammten nur 2 % der Gesamtfinan-
© Paulo Fridman / Bloomberg via Getty Images Zuckerrohrernte auf einem Feld des Rohstoffkonzerns Raízen zierung im Untersuchungszeitraum aus Bankkrediten, vernachlässigbar kleinen Anteil an der Finanzierung ha- der weitaus grössere Teil kam von privaten oder insti- ben, wird dabei schlicht ignoriert. tutionellen Geldgebern. Von den erhaltenen Krediten in der Höhe von 57 Milliarden US-Dollar kamen lediglich Menschenrechts- und 817 Millionen (1,4 %) von Schweizer Banken. Umweltrisiken vernachlässigt Bei der ebenfalls privat gehaltenen Louis Dreyfus Zudem stehen bei den Agrarhändlern eher Menschen- Company (LDC) machten die Kredite in der Höhe von rechtsverletzungen und Umweltvergehen im Vorder- 15,5 Milliarden US-Dollar zwar über 30 % der Gesamt- grund als Geldwäscherei und Korruption (siehe Seiten 8 finanzierung aus, doch nur 365 Millionen (oder 2,3 %) und 9). Die indirekte Bankenaufsicht greift also in mehr- stammten von Schweizer Finanzinstituten. Hiesige Ban- facher Hinsicht bei den Agrarhändlern nicht. Und eine ken haben also kaum einen Hebel, um die Geschäftstä- umfassende, rechtlich verbindliche Sorgfaltsprüfung zur tigkeiten der Trader im Hinblick auf Geldwäscherei oder Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu «beaufsichtigen». Umweltverstössen fehlt in der Schweiz ebenfalls. Die Dennoch stellt sich der Bundesrat seit Jahren auf grosse Regulierungslücke beim intransparenten Hoch- den Standpunkt, in der Schweiz bestehe keine Notwen- risikosektor Rohstoffhandel muss dringend geschlossen digkeit für eine Regulierung des Rohstoffsektors, da die werden. Die Einführung einer Rohstoffmarktaufsicht, Händler unter indirekter Aufsicht der sie finanzierenden wie sie Public Eye seit Langem fordert, ist so dringlich Banken stünden. Dass die Schweizer Banken nur einen wie eh und je. � So haben wir recherchiert Public Eye beauftragte 2020 die niederländische Non- Die Datenlage brachte einige Herausforderungen mit Profit-Organisation Profundo, die Finanzierung der sich. So waren beispielsweise keine Daten zur Finanzie- wichtigsten Schweizer Agrarhändler – Archer Daniels rung von Glencore Agriculture verfügbar; es musste auf Midland (ADM), Bunge, Cargill, Chiquita, Cofco, Finanzdaten für die ganze Glencore-Gruppe zurückge- G lencore Agriculture (heute Viterra), Louis Dreyfus griffen werden. Da das Agrarhandelsgeschäft umsatz- Company (LDC), Olam und Sucocítrico Cutrale – zu mässig nur einen kleinen Anteil am Gesamtgeschäft von recherchieren und zu analysieren. Untersucht wurden Glencore ausmacht, dürften auch nur wenige Kredite in einerseits die Finanzierung der Händler durch Kredite diesen Bereich geflossen sein. Da Glencore mit Abstand und die Verpflichtung zur Übernahme von Aktien- und die meisten Kredite erhielt, verzerrt dies die errechnete Anleiheemissionen (sogenanntes Underwriting) im Zeit- Gesamtsumme der von den Schweizer Agrarhändlern raum von 2014 bis 2020, andererseits Investitionen in erhaltenen Kredite. Dies ändert jedoch nichts an der Aktien und Anleihen (Shareholding und Bondholding) grundsätzlichen Schlussfolgerung der Analyse: Eine indi- per Stichtag 30.09.2020. Die Daten sind bei Public Eye rekte Aufsicht durch die Schweizer Banken über den einsehbar. Agrarhandelssektor in der Schweiz existiert nicht.
© Marion Nitsch Fichenskandal 3.0: Public Eye unter geheimdienstlichem Extremismusverdacht Laut Gesetz soll der Schweizer Geheimdienst Gewaltextremismus, Terrorismus, Spionage, die Verbrei- tung von Atomwaffen und Angriffe auf kritische Infrastrukturen verhindern und so zur Sicherheit unseres Landes beitragen. Doch er tut viel mehr: Das zeigen Grösse und Inhalt der Fiche von Public Eye. Eine Gesetzesrevision soll die Befugnisse des Nachrichtendienstes des Bundes, die er bereits heute verletzt, nochmals ausweiten – eine brandgefährliche Entwicklung für die Zivilgesellschaft und die Demokratie. CHRISTA LUGINBÜHL Auch die Mächtigen dieser Welt sind vor Omikron nicht mäss Medienmitteilung für eine «Reihe von State of the gefeit: Bewacht von bis zu 5000 Armeeangehörigen und World-Sitzungen» zusammenkommen, um «Lösungen vom Parlament mit 2,55 Millionen Steuerfranken ge- für die dringendsten Herausforderungen der Welt zu sponsert, hätten sie sich diese Tage in Davos treffen erarbeiten». Wir dürfen also beruhigt sein. und unter dem Motto «Working Together, Restoring Weniger beruhigt ist vermutlich der Nachrichten- Trust» die aktuelle Weltlage besprechen wollen. Jetzt dienst des Bundes NDB. Schon im letzten Jahr schrieb er bleibt vom World Economic Forum (WEF) vorderhand im «Sicherheitsbericht Schweiz», dass «der gewalttäti- ein virtuelles Treffen, an dem die Teilnehmenden ge- gen links-extremen Szene eine wichtige Plattform» fehle,
ÜBERWACHUNG 17 «um auf ihre antikapitalistischen Anliegen aufmerksam hat. Bei der Premiere unserer WEF-Gegenveranstaltung zu machen», wenn das WEF verlegt würde. Der NDB im Jahr 2001 gab es eine äusserst aktive globalisierungs- fürchtet offenbar um den Verlust eines wichtigen Beob- kritische Bewegung. Es ist jenes Jahr, das mit dem G8- achtungspostens, denn über viele Jahre hinweg hat der Gipfel in Genua und dem durch die Italienische Polizei Geheimdienst in und um Davos die globalisierungskriti- verursachten Tod eines Demonstranten in die Geschichte sche Bewegung akribisch überwacht – inklusive unserer einging. Der Verein grundrechte.ch zeigte später, dass Organisation. Das wissen wir quasi aus amtlicher Quelle: der DAP damals Daten von über 400 angeblich gewalt- der grossen Fiche von Public Eye. Doch wie kommt es, bereiten Globalisierungsgegner*innen an seine Partner dass der NDB eine explizit gewaltfreie Nichtregierungs- in Italien übermittelt hatte. Es war die erste grosse Daten- organisation wie Public Eye überwacht, fichiert und in weitergabe an ausländische Nachrichtendienste. die «linksextreme» Ecke rückt? Zur Einordnung ein Blick Zudem legte grundrechte.ch offen, dass eine vom zurück in die jüngere Schweizer Geschichte. DAP geleitete Arbeitsgruppe im Juli 2001 empfahl, man solle die Antiglobalisierungsbewegung spalten, indem P wie «Politisch»? P wie «Prävention»! man den Dialog mit dem friedfertigen Teil suche und mit Wer «Politische Polizei» hört, denkt vermutlich an einen mehr Überwachung und Härte gegen die gewaltberei- Despotenstaat. Zur Schweiz mit ihrem Stolz auf die di- ten «Linksextremist*innen» vorgehe. Aus heutiger Sicht rekte Demokratie mag dieser Begriff so gar nicht pas- konnten DAP und später der NDB diese Strategie erfolg- sen. Doch die 1935 gegründete Vorläuferorganisation des reich umsetzen: Proteste gegen das WEF wurden fortan heutigen NDB trug bis in die 1990er-Jahre genau diesen mit grosser Polizeipräsenz und gezielter Repression be- Namen. Dass er auch Programm war – allerdings nur im antwortet, woraufhin zuerst das «Oltner Bündnis» als Hinblick auf ein ausgewähltes politisches Spektrum –, Zusammenschluss globalisierungskritischer Schweizer zeigt der Arbeitsfokus: In den 1950er-Jahren hatte die Organisationen zerbrach und danach die gesellschaft- Politische Polizei, welche die «innere und äussere Si- lich einst breit abgestützten Anti-WEF-Kundgebungen cherheit» gewähren sollte, vor allem Kommunist*innen in der öffentlichen Wahrnehmung politisch zunehmend und andere «Linksextremist*innen» im Visier. Ab den in einem «linksextremen» Milieu verortet wurden. 1960er-Jahren, an deren Ende die Erklärung von Bern (heute Public Eye) gegründet wurde, kam die intensi- Public Eye als Gefahr für die Schweiz ve Überwachung der 68er-Bewegung dazu. Der Blick Der Geheimdienst überwacht also intensiv, beweist da- richtete sich nun auf neomarxistische Parteien, Frie- bei aber auch Liebe zum Detail: In unseren NDB-Ak- dens- und Frauenorganisationen, Dritte-Welt-Gruppen, ten steht etwa, dass die EvB-Delegation 2002 mit einer die Antiatombewegung und Student*innenräte. Richtig 18-köpfigen Reisegrupppe nach Italien ans Sozialforum unpopulär wurde die Bezeichnung «Politische Polizei» reiste, an der Grenze kontrolliert wurde und in Florenz aber erst 1989, als eine Parlamentarische Untersuchungs- kommission (PUK) rund um die Kopp-Affäre zufällig auf ein riesiges Lager an Karteikarten, die sogenannten Fi- chen, stiess: Rund 900 000 Personen und Organisatio- nen waren dort erfasst, der Fichenskandal erschütterte die Schweiz. Die Politische Polizei wurde in der Folge in «Präventive Polizei» umbenannt. Bis Ende 2009 hiess der Inlandnachrichtendienst «Dienst für Analyse und Prävention» (DAP), 2010 wurde der DAP mit dem Stra- tegischen Nachrichtendienst SND zum heutigen NDB zusammengelegt. einen Workshop veranstaltete. Ob die Autor*innen dieser Globalisierungskritiker*innen als Staatsfeinde Einträge auch daran teilnahmen? Wir wüssten es gerne. Die Geschichte lehrt uns also, dass der NDB auf linker Wie respektive wo uns der Staatsschutz einordnet, zeigt Seite viel Gefahr wittert. Deshalb haben wir uns bei Pu- auch ein Auszug aus dem «Bericht innere Sicherheit der blic Eye vor zwei Jahren schon gefragt, ob und wie unser Schweiz 2002», der in der Akte des NDB zu Public Eye Verein in den Akten des NDB aufgeführt wird. Und ein abgelegt ist: «Die im Rahmen weltweiter Sympathie- entsprechendes Einsichtsgesuch gestellt. Was bislang kundgebungen durchgeführten Demonstrationen (…) klar ist: Public Eye (vormals Erklärung von Bern, kurz liessen auch Rückschlüsse auf die Geisteshaltung der EvB) hatte bis Anfang 2021 eine umfassende Fiche mit verschiedenen Organisatoren zu: So verliefen in den letz- mindestens 431 Einträgen. Klar ist auch, dass uns der Ge- ten Jahren in Zürich von der strikt gewaltabstinenten heimdienst beim «Public Eye on Davos» eng «begleitet» (…) durchgeführte Parallelveranstaltungen stets friedlich.
18 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 33 Januar 2022 Anders verhält es sich mit der Gruppe Public Eye on Da- tive Mandatsträger*innen – beispielsweise von der SP vos, die ihre Gegenveranstaltung jeweils in Davos selbst und den Grünen – fichiert. Selbst einige ihrer gewähl- abhält und sich weit weniger deutlich von Gewaltakten ten Volksvertreter*innen hält die offizielle Schweiz distanziert.» (Zitat gemäss NDB-Akten) offenbar für so gefährlich, dass sie den Geheimdienst Diese haltlose Anschuldigung einer potenziellen auf sie ansetzt. Aufgerüttelt von einer Eingabe beim Gewaltbereitschaft kommt trotz Bitte um Erläuterung zwischenzeitlich geschaffenen politischen Aufsichts- bislang ohne jegliche Begründung aus. Klar ist einzig, organ, der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), bestä- dass uns der Staatsschutz weiter für überwachungs- tigt diese: «Es zeigte sich, dass der NDB Informationen würdig hält: Denn fast 20 Jahre nach obigen Einträgen über die politische Betätigung und über die Ausübung landet Public Eye im März 2019 im «Internetmonito- der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfrei- heit teilweise im Widerspruch zu den rechtlichen Vor- gaben beschafft und bearbeitet hat.» Gefährliche Ausweitung der NDB-Befugnisse Das heute geltende Bundesgesetz über den Nachrich- tendienst (NDG) trat erst 2017 in Kraft. Die Einführung wurde von viel Kritik begleitet, das «Bündnis gegen den Schnüffelstaat» ergriff dagegen das Referendum. In der Volksabstimmung wurde das NDG jedoch deut- lich angenommen – der Mythos, dass der Staatsschutz dem Schutz und nicht zur Überwachung der Bevölke- rung dient, hat verfangen. Schon dieses neue Gesetz baute die Befugnisse des NDB massiv aus. So schuf es die gesetzliche Grundlage, um die private Kommunika- tion von Personen zu überwachen, ohne dass dafür der Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegen muss. Nur fünf Jahre nach diesem Ausbau soll das NDG weiter verschärft werden, namentlich bei der digitalen Überwachung im Bereich «gewalttätiger Extremismus». Welche Personen oder Organisationen in diese Kategorie fallen würden, soll der NDB offensichtlich selbst entschei- ring Linksextremismus» des NDB, wie ein Aktenein- den dürfen. Im Bericht des Bundesrats «Griffige Instru- trag belegt. Der Grund war ein Auftritt an der zivil- mentarien gegen Gewaltextremismus» vom Januar 2021 gesellschaftlichen Gegenveranstaltung zum Gipfel der heisst es, Extremismus sei als «Ablehnung der freiheit- Rohstoffhändler in Lausanne. lich-demokratischen Ordnung und des Rechtsstaats» zu verstehen. Aber es existiere «keine allgemein anerkannte Sogar Politiker*innen werden überwacht Definition des Begriffs gewalttätiger Extremismus». Der Dass es dem NDB primär um Gewaltprävention und die NDB muss sich also nicht mal öffentlich dafür rechtferti- Sicherheit der Schweiz geht, gehört auch heute noch gen, wo genau er diese heikle Grenze warum zieht. zum Mythos, den diese Behörde umweht. Unter diesem Vorwand unterhält der Geheimdienst eine Datenkrake, Jetzt aktiv werden die bis weit in die Politik reicht. Die «Wochenzeitung Für eine verstärkte Überwachung könnte ein Ein- Woz» berichtete, dass eine 2005 lancierte Datenbank trag mit dem Vermerk «Linksextremismus», wie im mit 76 000 angeblich gefährlichen Personen bis 2010 Fall von Public Eye, künftig also genügen. Auch das auf 200 000 angewachsen war. Unter den Fichierten Abhören privater Mobiltelefone von Mitarbeitenden waren auch Parlamentarier*innen aus dem linken La- wäre dann wohl möglich. Die geplante Kompetenz- ger; ein klarer Verstoss gegen die gesetzliche Grund- ausweitung im digitalen Bereich dürfte überdies dazu lage. Doch auch nach diesem «Fichenskandal 2.0», der führen, dass öffentlich zugängliche Dokumente noch Grund genug für ein neuerliches politisches Erdbeben umfassender in den Datenbanken des NDB landen. gewesen wäre, konnte der Geheimdienst unbehelligt Das ist deswegen höchst problematisch, weil nicht alle weiterarbeiten. Erst 2019 drehte der Wind etwas, als öffentlich verfügbaren Daten und Äusserungen vom grundrechte.ch aufdeckte, dass der NDB weiterhin le- Geheimdienst erfasst und verwendet werden dürfen. gale politische Tätigkeiten wie die Ausübung von Mei- Im Gegenteil: Wenn sich der Geheimdienst nicht an nungs- und Versammlungsfreiheit überwacht und ak- seine gesetzliche Schranke hält und ohne sicherheits-
© Markus Forte/Ex-Press Medienkonferenz zur Verleihung der Public Eye Awards im Januar 2011 in Davos relevanten Grund wie Spionage, Terrorabwehr oder ge- Stellen Sie selbst ein Gesuch walttätigen Extremismus willkürlich Daten sammelt, und engagieren Sie sich! betreibt er faktisch Gesinnungsüberwachung. Für politisch engagierte Menschen wie etwa Kli- Stellen Sie als Privatperson für sich selbst oder ma-Aktivist*innen, NGO-Mitarbeitende und progressive als zeichnungsberechtige Person für ihre Orga- Parlamentarier*innen sind das schlechte Neuigkeiten. In nisation ein Akteneinsichtsgesuch beim Nach- der anstehenden Vernehmlassung zum neuen NDG 2022 richtendienst des Bundes NDB. Nur so erfahren braucht es deshalb eine starke zivilgesellschaftliche und Sie persönlich (und wir als Zivilgesellschaft), politische Stellungnahme zugunsten von Grundrechten wie der NDB seinen Auftrag interpretiert und und politischer Meinungsfreiheit. Nur so lässt sich eine seine Arbeit verrichtet. Eine Mustervorlage für weitere Ausweitung der NDB-Befugnisse noch verhindern. ein Gesuch um Einsicht in die Staatsschutz- Die anstehende NDG-Revision betrifft hochsen- akten des NDB finden Sie hier: sible Bereiche unseres gesellschaftlich-demokratischen www.grundrechte.ch Zusammenlebens. «Restoring Trust» – das Vertrauen wieder herstellen: Das diesjährige WEF-Motto sollten Beteiligen Sie sich auch an der bald beginnen- sich auch die offizielle Schweiz und vor allem ihr Ge- den Vernehmlassung zur Revision des Nach- heimdienst zu Herzen nehmen. Dafür braucht es griffige richtendienstgesetzes (NDG). Engagieren Sie politische Massnahmen, die dem NDB klare Schranken sich so für eine starke politische Aufsicht über bei der Überwachung setzen und deren Einhaltung kon den Nachrichtendienst auf kantonaler und trollieren. Wir wollen zwar Sicherheit im Land, aber kei- nationaler Ebene sowie für umfassende Aus- ne Politische Polizei! � kunftsrechte.
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