DER SCHWEIZER STIFTUNGSREPORT - CEPS Forschung und Praxis - Band 21 - SwissFoundations
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CEPS Forschung und Praxis – Band 21 DER SCHWEIZER STIFTUNGSREPORT Beate Eckhardt Prof. Dr. Dominique Jakob Prof. Dr. Georg von Schnurbein SwissFoundations, Verband der Zentrum für Stiftungsrecht, Center for Philanthropy Studies Schweizer Förderstiftungen Universität Zürich (CEPS), Universität Basel
DER SCHWEIZER STIFTUNGSREPORT 2020 Der Schweizer Stiftungsreport wird jährlich von Beate Eckhardt, lic. phil. I, Geschäfts- führerin SwissFoundations, Prof. Dr. Dominique Jakob, Leiter Zentrum für Stiftungs- recht an der Universität Zürich, und Prof. Dr. Georg von Schnurbein, Leiter Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel, herausgegeben. Er enthält aktuelle Zahlen, Fakten und Trends aus dem In- und Ausland und soll zu einer besseren Wissensgrundlage im Stiftungswesen beitragen. Der Report erscheint in deutscher und französischer Sprache. Beide Versionen finden sich auf www.stiftungsreport.ch zum kostenlosen Download. Center for Philanthropy Studies (CEPS) Das Forschungs- und Weiterbildungszentrum für Philanthropie und Stiftungswesen wurde 2008 auf Initiative von SwissFoundations an der Universität Basel gegründet. Mit seinen interdisziplinären Aktivitäten will das CEPS das Grundlagen- und Transferwissen über Philan- thropie verbessern. Seine Weiterbildungs- und Beratungsangebote bieten direkten Nutzen für Stiftungen und andere Non-Profit-Organisationen. → www.ceps.unibas.ch SwissFoundations 2001 als Gemeinschaftsinitiative gegründet, vereinigt SwissFoundations die gemein- nützigen Förderstiftungen der Schweiz und gibt ihnen eine starke und unabhängige Stimme. Als aktives und der Innovation verpflichtetes Netzwerk fördert SwissFoundations den Erfahrungsaustausch, die Transparenz und die Professionalität im Schweizer Stiftungssektor. Die Mitglieder und assoziierten Partner von SwissFoundations investieren jährlich mehr als eine Milliarde Schweizer Franken in gemeinnützige Projekte und Initiativen. Damit reprä- sentiert SwissFoundations über ein Drittel aller jährlichen Stiftungsausschüttungen in der Schweiz. → www.swissfoundations.ch Zentrum für Stiftungsrecht Das Zentrum für Stiftungsrecht wurde 2008 von Prof. Dr. Dominique Jakob als Forschungs- stelle an der Universität Zürich gegründet. Es dient der Förderung von Lehre und Forschung im themenrelevanten Bereich und bildet eine Kommunikationsplattform für Wissenschaft, Stiftungspraxis, Wirtschaft und Politik. Inhaltlich blickt es auf gemeinnützige sowie privat- nützige Stiftungsarten und bezieht ausländische Rechtsformen sowie internationale Entwicklungen mit ein. → www.zentrum-stiftungsrecht.uzh.ch
CEPS Forschung und Praxis – Band 21 DER SCHWEIZER STIFTUNGSREPORT 2020 Beate Eckhardt SwissFoundations, Verband der Schweizer Förderstiftungen Prof. Dr. Dominique Jakob Zentrum für Stiftungsrecht, Universität Zürich Prof. Dr. Georg von Schnurbein Center for Philanthropy Studies (CEPS), Universität Basel
Impressum: Center for Philanthropy Studies (CEPS), Universität Basel SwissFoundations, Verband der Schweizer Förderstiftungen Zentrum für Stiftungsrecht, Universität Zürich Layout: © Neeser & Müller, Basel ISBN: 978-3-9524819-5-0 © Beate Eckhardt, SwissFoundations, Verband der Schweizer Förderstiftungen; Prof. Dr. Dominique Jakob, Zentrum für Stiftungsrecht, Universität Zürich; Prof. Dr. Georg von Schnurbein, Center for Philanthropy Studies (CEPS), Universität Basel, 2020. Alle Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung der Autoren ist unzulässig.
INHALTSVERZEICHNIS 4 Vorwort 5 I. ZAHLEN UND FAKTEN 6 Der Schweizer Stiftungssektor im Überblick 10 Grosse Vielfalt bei den Stiftungsratsmitgliedern 13 Umweltstiftungen im Fokus 15 II. RECHTLICHE ENTWICKLUNGEN 17 Aktuelle politische Geschäfte 21 Aktuelle Rechtsprechung 24 Gegen die Unterstellung gemeinnütziger Stiftungen unter den AIA formiert sich europäischer Widerstand ∙ Gastbeitrag von Prof. Dr. Andrea Opel 27 III. SPECIAL: STIFTUNGEN UND POLITIK 28 Stiftungen – Ein gutes Geschäft für die Gesellschaft 29 L’arc lémanique et la philanthropie ∙ Gastbeitrag von Mara de Monte 31 Ein Stiftungskanton macht sich schön ∙ Gespräch mit Dr. Thomas Pauli-Gabi, Leiter Abteilung Kultur des Kantons Aargau. Die Fragen stellt Beate Eckhardt 32 Gemeinnützige Stiftungen – Ein Glücksfall für Europa ∙ Gastbeitrag von Max von Abendroth 35 IV. THEMEN UND TRENDS 36 Impact Investing und Stiftungen – Ein Hype? ∙ Gastbeitrag von Dr. Lukas von Orelli 38 Wie Destinatäre Stiftungen und ihre Förderleistungen wahrnehmen 40 Ein Blick zum Nachbarn – Der Stiftungsstandort Liechtenstein ∙ Gastbeitrag von Dagmar Bühler-Nigsch 42 Das österreichische Stiftungswesen – Ein gemeinnütziger Sektor im Aufbruch ∙ Gastbeitrag von Ruth Williams 44 Endnoten 45 V. STUDIEN UND NEUERSCHEINUNGEN 2019 48 Kurzporträt der drei Herausgeber
4 VORWORT Stiftungen sind in vielen Gesellschaftsbereichen tätig, sei es in der Kultur, im Sozial- und Gesundheitswesen, in Bildung und Forschung, im Umweltbereich oder sogar in der Wirt- schaft als Unternehmenseigentümerinnen. Aufgrund dieser vielfältigen Aktivitätsfelder wer- den Stiftungen selten als eine Einheit wahrgenommen. Wie der Schweizer Stiftungsreport in den vergangenen Jahren gezeigt hat, ist eine gesamthafte Betrachtung der Stiftungen aber sinnvoll – gerade aus rechtlicher Perspektive. Denn allzu oft werden Stiftungen in der Gesetz- gebung nicht spezifisch berücksichtigt, woraus sich weitreichende Folgen in der Praxis erge- ben können. Dies wurde zuletzt bei den Plänen des Bundesrats deutlich, die Vorschriften zum Automatischen Informationsaustausch (AIA) auch auf gemeinnützige Stiftungen auszu- weiten. Was in der Politik nur eine Randnotiz war, hätte für gemeinnützige Stiftungen nicht unerhebliche Administrationskosten zur Folge gehabt. Durch aktive Aufklärungsarbeit der Verbände, Erläuterungen von Fachexperten sowie Interventionen auf europäischer Ebene und bei der OECD konnte diese Entscheidung vorerst rückgängig gemacht werden. Aktuell steht nun mit dem Vorentwurf für ein «Bundesgesetz über die Stärkung des Stiftungsstandortes Schweiz» auf nationaler Ebene eine wichtige Ent- scheidung für das Stiftungswesen bevor. Letztlich geht es dabei um die Frage, ob der Vielfalt der Stiftungen besser Rechnung getragen wird. Bisher folgt das Gesetz noch immer dem Ideal- bild einer Stiftung von vor über 100 Jahren: ein gestiftetes Vermögen für einen bestimmten Zweck, meist von Todes wegen gegründet und auf Ewigkeit ausgerichtet, aus dem heraus Ver- gabungen an Dritte ausgerichtet werden. Die jährlich erhobenen Zahlen im Schweizer Stiftungsreport zeichnen jedoch ein ganz anderes Bild. Stiftungen sind zunehmend international tätig, werden von Stifterinnen und Stiftern für aktuelle gesellschaftliche Themen (wie zurzeit Klimawandel, Migration oder Woh- nungswesen) gegründet und entwickeln immer öfter auch ein eigenes programmatisches Engagement, anstatt lediglich Fördergelder auszuschütten. Ganz zu schweigen von der Viel- falt an Stiftungstypen wie Dachstiftungen, Verbrauchsstiftungen, Stiftungen auf Zeit, opera- tive Stiftungen oder Trägerschaftsstiftungen. Und der neue Höchstwert an Liquidationen ver- deutlicht, dass die Ewigkeit manchmal auch sehr kurz sein kann. Insofern ist die verstärkte Sichtbarkeit der Stiftungen zu begrüssen, verbunden mit der Hoffnung, dass sich dadurch einige Klischees über Stiftungen verflüchtigen. Im vergangenen Jahr sind neue Magazine zu Stiftungswesen und Philanthropie erschienen, Stiftungen sind vermehrt auf sozialen Medien aktiv, und es erscheinen neue Studien. International für Aufse- hen gesorgt hat die Studie von SwissFoundations und PwC zur Frage, ab wann die Gesellschaft von einer Stiftungsgründung mehr profitiert, als dem Staat an Steuersubstrat verloren geht. Die Antwort lautet kurzgefasst: ziemlich schnell! Wie jedes Jahr blickt der Schweizer Stiftungsreport 2020 auch wieder über die Grenzen hinaus. In Liechtenstein und in Österreich waren Änderungen im Stiftungsrecht Impulsgeber für weitere Entwicklungen. Während in Liechtenstein die Erträge daraus mit besserer Vernet- zung im Stiftungswesen und mehr Transparenz schon deutlich sichtbar sind, stehen die Ent- wicklungen in Österreich noch ganz am Anfang. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! Beate Eckhardt, lic. phil. I, EMScom Prof. Dr. Dominique Jakob Prof. Dr. Georg von Schnurbein April 2020
5 I. ZAHLEN UND FAKTEN Mit 349 neu gegründeten Stiftungen hat das Wachstum des Schweizer Stiftungssektors auf das Niveau der Vorjahre zurückgefunden. Das Schweizer Stiftungswesen zählte Ende 2019 13’293 gemeinnützige Stiftungen. Aber auch die Liquidationen erreichen mit 216 aufge- lösten Stiftungen einen neuen Rekord. Ein Blick zurück zeigt, wie jung das Schweizer Stiftungswesen insgesamt ist. Knapp 70% aller gemeinnützigen Stiftungen sind in den letzten 30 Jahren gegründet worden.
6 DER SCHWEIZER STIFTUNGSSEKTOR IM ÜBERBLICK Insgesamt waren Ende 2019 13’293 gemeinnützige Stif- Das Schweizer Stiftungswesen wächst solide tungen in der CEPS Datenbank erfasst (vgl. Abb. 1). Wie Das Schweizer Stiftungswesen befindet sich insgesamt jung das Stiftungswesen insgesamt ist, zeigt ein Blick zu- auf einem gesunden Wachstumspfad: Der hohen Anzahl rück auf die letzten 30 Jahre. Seit 1990 sind 9’251 Stiftungen neuer Stiftungen, die zu aktuellen Entwicklung der Gesell- bzw. 69,9% aller Stiftungen gegründet worden. Seit 2000 schaft Bezug nehmen, steht ein Verlust an Stiftungen ge- sind 6’680 bzw. 51,8% aller Stiftungen gegründet worden. genüber, die sich entweder überlebt haben oder aus anderen Diese Dynamik des Stiftungssektors setzte sich im vergan- Gründen nicht bestehen bleiben konnten. Die pragmati- genen Jahr wieder deutlich fort. Nachdem die Zahl der Neu- sche Vorgehensweise der meisten Aufsichtsbehörden bei gründungen im Jahr 2018 auf 301 gesunken war, befand sie Stiftungsliquidationen ist daher zu begrüssen. sich im vergangenen Jahr mit 349 wieder auf dem Niveau Bei der regionalen Verteilung der Stiftungen auf die der Vorjahre. Gleichzeitig aber nimmt der Trend der stei- Kantone hat sich auf den ersten Blick wenig verändert (vgl. genden Anzahl von Liquidationen zu. Im Jahr 2019 ist ein Abb. 3). Die fünf stiftungsstärksten Kantone sind nach wie neuer Rekordwert von 216 Liquidationen erreicht worden vor Zürich (2’219), Waadt (1’377), Bern (1’366), Genf (1’248) (vgl. Abb. 2). Zum Vergleich: 2009 wurden nur 90 Stiftun- und Basel-Stadt (877). Diese fünf Kantone beheimaten ge- gen liquidiert. Insgesamt sind in den letzten zehn Jahren meinsam 53,3% aller Stiftungen in der Schweiz. Grundsätz- bereits 1’767 Stiftungen liquidiert worden. lich entwickeln sich die verschiedenen Kantone aber sehr Abb. 1 Entwicklung des Stiftungswesens mit Neugründungen und Liquidationen ab 1990 ANZAHL NEUGRÜNDUNGEN ANZAHL STIFTUNGEN 500 15’000 400 12’000 300 9’000 200 6’000 100 3’000 TOTAL 0 0 2019 13’293 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank I. Zahlen und Fakten
7 unterschiedlich. Während Kantone wie Genf, Zug, Wallis Abb. 2 oder Bern im letzten Jahr einen deutlich positiven Zuwachs Entwicklung des Stiftungswesens 2019 verzeichnen konnten, wurden in neun Kantonen mehr Kanton Total Neu- Liquidationen Netto- Wachstum Stiftungen liquidiert als neu gegründet. Betrachtet man die Ende gründungen wachstum bereinigt 2019 Entwicklung in den letzten drei Jahren, dann fällt vor al- lem der Kanton Zürich auf. Wurden in Zürich ähnlich wie AG 473 8 9 –0.2% –1 in Genf jährlich zwischen 50 und 60 neue Stiftungen ge- AI 34 1 0 2.9% 1 gründet, so ist in den letzten zwei Jahren ein deutlicher AR 111 1 2 –0.9% –1 BE 1’366 38 26 0.9% 12 Rückgang festzustellen. Dieser ist sogar so stark, dass auf- BL 310 5 6 –0.3% –1 grund der vielen Liquidationen ein insgesamt negatives BS 877 18 14 0.5% 4 FR 404 7 10 –0.7% –3 Wachstum besteht. Interessant ist der Blick auf Zürichs GE 1’248 65 16 3.9% 49 Nachbarkanton Zug. Dort kann für das letzte Jahr ein über- GL 117 0 1 –0.9% –1 GR 508 12 7 1.0% 5 durchschnittliches Stiftungswachstum beobachtet werden. JU 123 4 3 0.8% 1 Dies ist auch der Fall, wenn man die vielen Kryptostiftun- LU 539 9 9 0.0% 0 NE 297 3 4 –0.3% –1 gen unberücksichtigt lässt. Eine mögliche Erklärung ist im NW 82 2 3 –1.2% –1 Wettbewerb zwischen den Kantonen zu finden. Zwar be- OW 63 2 0 3.2% 2 SG 514 16 9 1.4% 7 steht zwischen Zürich und Zug kein steuerrechtlicher Un- SH 104 4 1 2.9% 3 terschied bei der Gründung gemeinnütziger Stiftungen, SO 268 10 5 1.9% 5 SZ 211 7 2 2.4% 5 aber es kann sein, dass der Umgang der Behörden mit Stif- TG 242 4 6 –0.8% –2 terinnen und Stiftern im einen Kanton weniger restriktiv TI 814 17 7 1.2% 10 UR 51 2 1 2.0% 1 ist als im anderen. VD 1’377 28 26 0.1% 2 VS 592 23 3 3.4% 20 ZG 349 30 2 8.0% 28 ZH 2’219 33 44 –0.5% –11 349 216 CH 13’293 1.0% 133 Abb. 3 Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank 2’219 Abb. 3 SH 104 877310 Regionale Verteilung der Stiftungen 2019 BS 123 BL ZH AR 111 242 SO 268 AG 473 TG AI 34 NE 297 LU 539 ZG 349 SZ 211 SG 514 FR 404 OW NW 82 OW 63 UR 51 GL 117 VD 1’377 1’366 BE GR 508 592 TI 814 1’248 VS GE Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank [CH] 13’293 I. Zahlen und Fakten
8 Kantone engagieren sich für mehr Stiftungen Aktueller Themenbezug bei Stiftungsgründungen Die Stiftungsdichte wird in diesem Jahr im Stiftungsre- Bemerkenswerte Entwicklungen lassen sich bei den port in neuer Weise dargestellt (vgl. Abb. 4). Statt der geogra- inhaltlichen Zwecken der neu gegründeten Stiftungen fest- fischen Verteilung werden die Kantone sowie der Schweizer halten (vgl. Abb. 5). Die aktuellen Themen in der Gesell- Durchschnitt in einer Reihe präsentiert. Im Durchschnitt schaft wie der Klimaschutz werden auch hier sichtbar. So kommen in der Schweiz 15,6 Stiftungen auf 10’000 Einwoh- haben 12,2% der Stiftungen einen Bezug zu Umweltthemen ner, das ist ein internationaler Spitzenwert. Nach wie (6% über alle Stiftungen). Ebenfalls deutlich zugenommen vor führt der Kanton Basel-Stadt mit 45 Stiftungen auf haben Stiftungen mit einem Zweckbezug zu Politik und 10’000 Einwohner das Ranking an, gefolgt von Glarus (29), Advocacy (5,3% zu 1,8% total). Hier schlägt sich ein interna- Zug (27,5) und Graubünden (25,6). Im hinteren Drittel fin- tionaler Trend nieder, dass Stiftungen sich selbst verstärkt den sich unter anderem die Kantone Bern (13,2) und Aar- in den politischen Diskurs einbringen und nicht nur finan- gau (7). Beide Kantone haben im letzten Jahr zusammen zielle Unterstützungen leisten. eine Studie in Auftrag gegeben, um Massnahmen für eine Förderung von Stiftungen und anderen privaten Förderern im Kulturbereich zu entwickeln.1 Auch die Kantone Genf und Waadtland engagieren sich für mehr Stiftungen. Auf Initiative der Fondation Lombard Odier hat im vergange- nen Jahr eine Arbeitsgruppe die philanthropischen Stand- ortqualitäten der beiden Kantone untersucht.2 Abb. 4 Abb. 4 Stiftungsdichte* nach Kanton 2019 Stiftungsdichte 2019 BS GL ZG GR GE TI AI AR NW VD VS NE JU OW CH ZH UR SZ BE LU SH FR BL SG SO TG AG *Anzahl Stiftungen auf 10’000 Einwohner Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank I. Zahlen und Fakten
9 Abb. 5 Zweckbereiche der neu gegründeten Stiftungen 2019 im Vergleich zum Gesamtbestand* 2019 Gesamtbestand Soziale Dienste 24% 22% Bildung und Forschung Kultur und Freizeit 21% Umweltschutz 23% Sonstiges** 17% 23% Gesundheitswesen Bürger- und Verbraucher- 12% interessen, Politik 9% 11% Internationale Aktivitäten 9% 10% 5% 1% 6% 2% 5% *Mehrfachnennungen möglich ** Die Rubrik Sonstiges umfasst u.a. Gemeinschafts- und Wohnungsförderung, philanthropische Intermediäre, Religion sowie Wirtschaft und Berufsverbände. Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank www.stiftungsstatistik.ch Auf www.stiftungsstatistik.ch sind aggregierte Daten der CEPS Datenbank abrufbar und können als Excel-Da- teien zu weiterem Gebrauch heruntergeladen werden. Die CEPS Datenbank umfasst alle als gemeinnützig ein- gestuften Stiftungen sowie Informationen zu Stiftungs- räten, Tätigkeitsgebieten, geografischem Radius oder zuständiger Aufsicht. Einzelabfragen von Stiftungen (z.B. Adresse etc.) sind jedoch nicht möglich. I. Zahlen und Fakten
10 GROSSE VIELFALT BEI DEN STIFTUNGSRATSMITGLIEDERN Der Stiftungsrat hat eine aussergewöhnliche Funktion. Insgesamt waren Ende 2019 im Handelsregister 69’106 Da vom Gesetz nur ein Führungsgremium in einer Stif- Mandate und 61’736 Personen als Stiftungsräte eingetra- tung vorgesehen ist, fällt dem Stiftungsrat die gesamte gen. Wie die Verteilung in Abbildung 6 zeigt, hält die über- Entscheidungs- und Umsetzungsmacht zu – sofern er sich wiegende Mehrzahl der Personen nur ein Mandat (91,7%), im Rahmen der Stiftungsurkunde bewegt. Gleichzeitig ist 6,3% halten zwei Mandate, 1,9% drei bis fünf Mandate und damit die Verantwortung verbunden, den Stiftungszweck gerade einmal 0,1% mehr als fünf Mandate. Im Durchschnitt nach besten Möglichkeiten und wirksam umzusetzen. Für besteht ein Stiftungsrat aus 5,2 Personen, über 50% der Stif- Aussenstehende ist der Stiftungsrat meist eine Blackbox, tungsräte haben zwischen fünf und sieben Mitglieder. da es keine öffentlichen Publikationspflichten gibt und in Auch die Zweckbereiche haben eine Auswirkung auf die den meisten Fällen auch keine Kandidaturen oder Wahlen. Zusammensetzung des Stiftungsrats. So sind Gremien in Da jedoch alle Stiftungsratsmitglieder im Handelsregister den Bereichen Kultur und Gesundheitswesen mit durch- einzutragen sind, besteht zumindest die Möglichkeit, et- schnittlich 5,9 bzw. 5,7 grösser besetzt als jene in den Berei- was mehr über die Zusammensetzung der Stiftungsräte im chen Soziales (4,8), Bildung und Forschung (4,7) oder Um- Allgemeinen zu erfahren. Im Folgenden soll besonders auf weltschutz (4). die Verteilung nach Geschlecht, die vertretenen Nationali- 27,9% der Mandate werden von Frauen besetzt (vgl. täten sowie die Häufung von Mandaten auf einzelne Per- Abb. 7). Auf Ebene des Präsidiums sinkt dieser Wert noch- sonen eingegangen werden. mals auf 20,4%. Damit liegen die Stiftungsräte zwar über dem Schnitt der Verwaltungsräte von Wirtschaftsunter- Abb. 6 Verteilung von Stiftungsratsmandaten 2019 1 Mandat 91.7% 56’586 2 Mandate 6.3% 3’872 3–5 Mandate 1.9% 1’164 >5 Mandate 0.1% 61 Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank I. Zahlen und Fakten
11 nehmen (19%), aber deutlich unter dem Prozentsatz des im Abb. 8 Herbst neu gewählten Parlaments (38,6%).3 Auf Ebene Ge- Anteil internationaler schäftsführung liegt der Anteil der Frauen mit 34,4% deut- Stiftungsratsmitglieder 2019 lich höher als im Stiftungsrat. Erstmals ausgewertet wurden in diesem Jahr die Na- tionalitäten der Stiftungsräte (vgl. Abb 8). 87,8% aller Stif- tungsräte sind Schweizer, 12,2% haben eine andere Natio- International nalität. Bei den anderen Nationalitäten dominieren die 12.2% Nachbarländer, insbesondere Deutschland (26,6% aller 7554 Ausländer), Frankreich (18,5%) und Italien (10,7%). Darüber hinaus sind die USA (3,6%) sowie Belgien (3,4%) und die Niederlande (3,2%) wichtige Herkunftsländer. Total sind 137 verschiedene Nationalitäten vertreten, die 20 häufigsten sind in Abbildung 9 abgebildet. Die Kantone mit den meis- ten ausländischen Stiftungsräten sind wenig überraschend Schweizer die allgemein stark international positionierten Kantone 87.8% 54’182 Zug (28,2%) und Genf (27,3%). Am niedrigsten ist der Anteil in Appenzell Ausserrhoden (4,1%) und in Glarus (3%). Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank Abb. 7 Frauenanteil in leitenden Stiftungsorganen 2019 Stiftungsrat total 68’878 27.9% Präsidium Stiftungsratsmitglieder 12’763 56’115 20.4% 29.7% Geschäftsführende 2013 34.4% Total Frauen Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank I. Zahlen und Fakten
12 Abb. 9 Die 20 häufigsten Herkunftsländer internationaler Stiftungsratsmitglieder 2019 Deutschland Frankreich Italien Österreich USA 26.6% 2008 18.5% 1396 10.7% 807 3.9% 293 3.6% 275 Belgien Niederlande Grossbritannien Spanien Schweden 3.4% 256 3.2% 244 3.0% 223 2.4% 185 1.5% 113 Kanada Türkei Indien Griechenland Dänemark 1.5% 111 1.3% 95 1.0% 72 0.9% 67 0.9% 66 Brasilien Russland Japan Liechtenstein Australien 0.8% 62 0.8% 61 0.8% 59 0.8% 58 0.7% 56 Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank I. Zahlen und Fakten
13 UMWELTSTIFTUNGEN IM FOKUS Nicht erst seit der «Fridays for Future»-Bewegung hat Schon in der Studie von 2015 war «Erhaltung und das Thema Umwelt bei Stiftungen an Bedeutung gewon- Schutz der natürlichen Ressourcen» mit 75% der wichtigs- nen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2015 hat gezeigt, te Themenbereich bei den Umweltstiftungen, gefolgt vom dass Umweltstiftungen in der Schweiz im Durchschnitt Tierschutz (40%) und Umweltbildung (40%). Darauf auf- mit 12,7 Mio. CHF ein deutlich höheres Stiftungsvermögen bauend wurden die Stiftungszwecke der heute bestehen- haben als Stiftungen im Allgemeinen (8,3 Mio. CHF gemäss den Umweltstiftungen nach verschiedenen Ressourcen Stiftungsreport 2018).4 Dazu sind sie auch deutlich jünger analysiert. Mit Hilfe verschiedener Begriffe wurden die als die Gesamtheit der Stiftungen. Wie die Übersicht nach Ressourcen «Land», «Wasser» und «Luft» unterschieden Jahrzehnten zeigt, sind 43% der Umweltstiftungen im aktu- (z.B. für Wasser: Meer, Fisch, Gewässer, marin, aquatique ellen Jahrzehnt gegründet worden (vgl. Abb. 10). Vor 1950 etc.). Insgesamt 70% der Umweltstiftungen lassen sich so gab es überhaupt nur 19 Umweltstiftungen in der Schweiz. kategorisieren. In Abbildung 11 ist im Ergebnis zu sehen, dass wenig überraschend «Land» in der Schweiz die am häufigsten berücksichtigte Ressource ist, während «Was- ser» und «Luft» deutlich weniger Aufmerksamkeit erhalten. Abb. 10 Anzahl von neuen Umweltstiftungen nach Jahrzehnten 1950 –59 0.7% 1960–69 1.6% 1970–79 4.9% 1980–89 7.7% 1990 –99 14.6% 2000–09 25.8% 2010–19 43% Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank Abb. 11 Differenzierung nach 5.5% verschiedenen Umwelt- 16.5% ressourcen 2019 Luft UMWELT- Wasser STIFTUNGEN 78% Total 777 Land Quelle: Der Schweizer Stiftungsreport 2020/CEPS Datenbank I. Zahlen und Fakten
14 SAVE THE DATE 19. SCHWEIZER STIFTUNGSSYMPOSIUM FORUM DES FONDATIONS 14. – 15. Mai 2020, Congress Center Basel 6. Oktober 2020, IMD Lausanne gt* abgesa «Foundation for Future» «Les meilleures pratiques de gouvernance» Veranstalter: SwissFoundations Veranstalter: SwissFoundations → www.stiftungssymposium.ch → www.forum-des-fondations.ch in Zusammenarbeit mit: AGFA (Association de EFC ANNUAL CONFERENCE Genève des Fondations Académiques) 20. – 22. Mai 2020, Wien gt* → www.agfa-ge.ch abges «Foundations and the new normal – How toa ACAD (Académie des Administrateurs) innovate philanthropy?» → www.acad.ch Veranstalter: European Foundation Centre Geneva Center for Philanthropy → www.efc.be → www.unige.ch/philanthropie IMD → www.imd.org DEUTSCHER STIFTUNGSTAG gesagt* proFonds → www.profonds.org 17. – 18. Juni 2020, Leipzig ab «Zusammenhalten! Stiften gestaltet Zukunft» PHILANTHROPIE AM MORGEN Veranstalter: Bundesverband Deutscher Stiftungen 5. November 2020, Basel → www.stiftungen.org 10. November 2020, Zürich «Reformstau im Stiftungsland Schweiz» *Aufgrund der Corona-Pandemie in der ersten Jah- Veranstalter: Center for Philanthropy Studies reshälfte 2020 mussten zahlreiche Veranstaltungen → www.ceps.unibas.ch abgesagt werden. Doch Ausnahmesituationen set- zen auch Kreativität frei, darum freuen wir uns auf die SCHWEIZER STIFTUNGSTAG bevorstehenden neuartigen Formate, z.B. am Euro- 20. November 2020, Hotel Marriott, Zürich päischen Tag der Stiftungen am 1. Oktober 2020! Veranstalter: proFonds → www.profonds.org INTERNATIONAL ACADEMIC CONFERENCE BESTE STIFTUNGSRATSPRAXIS 26. – 27. November 2020, University of Geneva 17. September 2020, Lake Side Zürich «Philanthropy and Taxation» Unternehmen und Stiftung – Veranstalter: Geneva Centre for Philanthropy eine facettenreiche Beziehung → www.unige.ch/philanthropie Veranstalter: Europa Institut an der Universität Zürich → www.eiz.uzh.ch 20. SCHWEIZER STIFTUNGSSYMPOSIUM SwissFoundations → www.swissfoundations.ch 1. – 2. Juni 2021, Congress Center Basel Center for Philanthropy Studies (CEPS) Veranstalter: SwissFoundations der Universität Basel → www.ceps.unibas.ch → www.stiftungssymposium.ch SWISSFOUNDATIONS MITGLIEDERVER- SAMMLUNG UND STIFTUNGSGESPRÄCH AM EUROPÄISCHEN TAG DER STIFTUNGEN 1. Oktober 2020, Bern Veranstalter: SwissFoundations → www.swissfoundations.ch
15 II. RECHTLICHE ENTWICKLUNGEN Das Jahr 2019 stand im Zeichen der Vernehmlassung zur parlamentari- schen Initiative Luginbühl «Schweizer Stiftungsstandort. Stärkung» (14.470). Der am 28. November 2019 veröffentlichte Vorentwurf enthält die acht in der parlamentarischen Initiative vorgeschlagenen Mass- nahmen, die allesamt praktischen Bedürfnissen Rechnung tragen sollen und sich innerhalb der bestehenden Rechtsgrundlagen be- wegen. Weiterhin hielt die Vernehmlassung zu einer Anpassung der rechtlichen Grundlagen des automatischen Informationsaus- tauschs (AIA) den Gemeinnützigkeitssektor in Atem. Auch in denjenigen Gesetzgebungsprojekten, welche die Stiftung nicht direkt tangieren, kam es zu punktuellen Entwicklungen.
Im Bereich der Rechtsprechung ist ein eher ruhiges Jahr zu verzeichnen. Im wohl von seiner Tragweite her wichtigsten Urteil geht es um die Beurteilung der Prozessfähigkeit einer juristischen Person: Der Stiftung für Konsumentenschutz wurde vom Handelsgericht Zürich die Möglichkeit abgesprochen, die im Zuge des VW-Abgasskandals von etwa 6’000 Fahrzeuginhabern übernommenen Schadenersatz- forderungen einzuklagen. Die übrigen wenigen ergangenen Urteile zur Stiftungsaufsichtsbeschwerde bestätigen den Trend der momen- tanen Rechtsunsicherheit und verdeutlichen das praktische Bedürfnis für eine Regelung im Sinne des Vernehmlassungsentwurfs. Im Folgenden werden die für den Stiftungssektor wichtigsten Entwicklungen dargestellt. Einzelheiten zur aktuellen Rechtsetzung, Rechtsprechung und Literatur können dem jährlich erscheinenden Band Jakob et al., Verein – Stiftung – Trust, njus.ch, entnommen werden.5
17 AKTUELLE POLITISCHE GESCHÄFTE Parlamentarische Initiative Haftungsbeschränkung für ehrenamtlich tätige Organ- «Schweizer Stiftungsstandort. Stärkung» mitglieder: Um dem weitverbreiteten Laientum Gerechtig- Dem Stiftungsrecht könnten bedeutsame Verände- keit anzutun und die Tätigkeit als ehrenamtlich handeln- rungen bevorstehen: Die am 9. Dezember 2014 von Stände- des Organmitglied (i.d.R. Stiftungsratsmitglied) attraktiver rat Werner Luginbühl eingereichte parlamentarische Ini- zu machen, soll die persönliche Haftung begrenzt werden.12 tiative «Schweizer Stiftungsstandort. Stärkung» (14.470) 6 Entsprechend sieht Art. 55 VE-ZGB vor, dass in Fällen leich- hat nach fünf Jahren ihre Umsetzung in einem Vernehm- ter Fahrlässigkeit die Organe von juristischen Personen lassungsentwurf gefunden. Nachdem die Frist für ihre Be- nicht haften, sofern die juristische Person keine wirtschaft- handlung bis zur Herbstsession 2021 erstreckt worden war, lichen Zwecke erfüllt (Ziff. 1), die Statuten keine Haftung schickte die ständerätliche Kommission für Rechtsfragen für leichte Fahrlässigkeit vorsehen (Ziff. 2) und die Organ- am 28. November 2019 einen Vorentwurf zur Initiative in mitglieder unentgeltlich tätig sind, d.h. nur Spesenersatz die Vernehmlassung. Die Vernehmlassungsfrist läuft bis erhalten (Ziff. 3). Nach geltendem Recht haften Organmit- zum 13. März 2020. glieder im Prinzip für jedes Verschulden persönlich und Der Vorentwurf setzt die acht in der parlamentarischen unbeschränkt (wobei einzelne Ansätze, die Haftungser- Initiative verankerten Hauptmassnahmen um.7 leichterung begründen wollten, umstritten sind). Fraglich Stiftungsaufsichtsbeschwerde: Die heute rein auf ist freilich, ob eine solche Massnahme, die Haftung für Rechtsprechung basierende Stiftungsaufsichtsbeschwerde fremdes Vermögen zu reduzieren, die richtige Botschaft an soll erstmals eine Grundlage im Gesetz finden. Gemäss den Sektor wäre, weshalb sie unter den Experten umstrit- Art. 84 Abs. 3 VE-ZGB 8 kann, wer ein berechtigtes Kontroll- ten ist. Zudem birgt die Umsetzung im Entwurf zahlreiche interesse daran hat, dass die Verwaltung der Stiftung mit Zweifelsfragen. Gesetz und Stiftungsurkunde in Einklang steht, gegen Anpassungen in puncto Organisation: Der Vorentwurf Handlungen und Unterlassungen der Stiftungsorgane Be- schlägt vor, den Änderungsvorbehalt des Stifters in der Stif- schwerde bei der Aufsichtsbehörde erheben. Neben der tungsurkunde auf Organisationsänderungen auszudehnen expliziten Benennung als «Beschwerde» wird im Gesetzes- (Art. 86a Abs. 1 VE-ZGB): Erstrebt wird eine Flexibilisierung text zugleich geregelt, wer zur Erhebung des Rechtsmittels und Stärkung der Stifterrechte in dem Sinne, dass sich der befugt ist. Die Rechtspraxis bestimmt gegenwärtig die Be- Stifter im Rahmen der bestehenden Systematik (insbeson- schwerdeberechtigung nach schwankenden Parametern dere alle zehn Jahre) auch eine Änderung organisatorischer (überwiegend aber nach den für Verwaltungsverfahren gel- Merkmale (etwa [Ab-]Schaffung eines Organs oder Modifi- tenden Massstäben, insbesondere einem persönlichen kation der Wahlvorschriften) vorbehalten darf, um im Hin- Vorteil und einem persönlichen Rechtsschutzbedürfnis).9 blick auf die Governance der Stiftungen auf Änderungen Das führt in der Praxis regelmässig zu Problemen und Miss- von Umständen zu reagieren. Revidiert werden soll zudem verständnissen. Mit der Einführung des «berechtigten Kon- Art. 86b ZGB: Unwesentliche Änderungen der Stiftungsur- trollinteresses» soll es nicht mehr um persönliche Vorteile kunde sollten von der Aufsichtsbehörde dann vorgenom- gehen, sondern die Beschwerdeberechtigung am Schutz men werden, wenn dies «sachlich gerechtfertigt» erscheint der Stiftung ausgerichtet sein.10 Der Vorentwurf möchte und keine Rechte Dritter beeinträchtigt, nicht erst, wenn die geltende Rechtspraxis somit ändern und die in der dies «aus triftigen sachlichen Gründen geboten erscheint». Lehre mehrheitlich vertretene Ansicht umsetzen, dass es Damit würde man der gelebten liberaleren Praxis der Stif- sich um ein Rechtsmittel sui generis zur internen Gover- tungsaufsichtsbehörden Rechnung tragen.13 Mit der Redak- nance handelt.11 Aus Sicht des Stiftungssektors ist eine sol- tion von Art. 86c ZGB soll ausserdem klargestellt werden, che Änderung begrüssenswert: Nur wenn klar ist, wer nach dass bei Änderungen der Stiftungsurkunde, die von einer welchen Kriterien gegen unrechtmässige Handlungswei- staatlichen Stelle mittels Änderungsverfügung gutgeheis- sen zulasten der Stiftung vorgehen kann, sind die jeweili- sen werden, keine notarielle Beurkundung erforderlich ist. gen Stiftungen und damit der ganze Sektor sinnvoll ge- Da sich der Gesetzestext in der heutigen Form diesbezüg- schützt. lich nicht äussere, bestehe in jedem Kanton eine unter- schiedliche Handhabung des Beurkundungserfordernis- ses.14 Die soeben behandelten Vorschläge stellen insgesamt betrachtet, neben notwendigen Korrekturen, eine massvol- le Flexibilisierung der Rechtsform in den Vordergrund, wes- halb sie aus stiftungsrechtlicher Sicht zu begrüssen sind. II. Rechtliche Entwicklungen
18 Weitere Änderungen: Vorgesehen sind ausserdem eine rungsforderungen würde eine solche Norm falsche Signa- regelmässige Datenpublikation von wegen Gemeinnützig- le senden und könne nicht zur Erhöhung der Attraktivität keit befreiten Organisationen in Form eines Gemeinnützig- des Stiftungssektors beitragen. Vor allem sei die Verknüp- keitsregisters, eine steuerliche Privilegierung für Zuwen- fung mit der Ehrenamtlichkeit sowie die Möglichkeit, ver- dungen aus dem Nachlass, die Möglichkeit eines Spenden- schiedene Haftungsregimes in einem Stiftungsrat zu ge- vortrags auf spätere Veranlagungsperioden sowie eine Re- statten, als heikel einzustufen.20 gelung, dass gemeinnützige Organisationen, die ihre strate- gischen Leitungsorgane angemessen honorieren, deswe- Modernisierung des Erbrechts mit Auswirkungen gen nicht ihre Steuerbefreiung verlieren. auf Stiftungen und Trusts Der weitere Verlauf des Gesetzgebungsprozesses und Die ebenfalls seit Jahren laufende Erbrechtsrevision die Stellungnahmen des Sektors sind nun abzuwarten. Der (18.069) bekommt neue Facetten: Wie im Vorjahr themati- Vernehmlassungsentwurf hat aber bereits für hinreichend siert, hatte der Bundesrat 2017 beschlossen, die ursprüngli- Diskussionsstoff gesorgt. So war dieser auch im Rahmen che Vernehmlassungsvorlage zur Erbrechtsrevision (18.069) des 5. Zürcher Stiftungsrechtstags am 30. Januar 2020 ein in zwei Botschaften aufzuteilen. Nach der am 29. August zentrales Thema: Dabei präsentierte Dominique Jakob sei- 2018 verabschiedeten Botschaft I sollte die Botschaft II die ne Stellungnahme 15 und Vorschläge zur Vernehmlassung. eher technischen Punkte behandeln. Mit den «Massnah- Nach Jakob verdiene der Vernehmlassungsentwurf grund- men für die erbrechtliche Unternehmensnachfolge» (dazu sätzlich Unterstützung, doch seien Ergänzungen vorzu- sogleich) wird die Vorlage um einen faktischen dritten Teil nehmen, um eine in sich geschlossene Reform zu erhalten, erweitert. die die wichtigsten Probleme des Standorts auch tatsäch- In der Botschaft I wurde vorgeschlagen, die Pflichttei- lich löst und eine ausgewogene Mischung zwischen Frei- le für die Nachkommen zu senken, um die frei verfügbare heitlichkeit und Governance herstellt. Jakob forderte, die Quote des Vermögens des Erblassers zu erhöhen. Eine Härte- Stifterfreiheit durch eine Verankerung im Gesetz zu schüt- fallregelung soll zudem die faktischen Lebenspartner zen und die wesentlichen Grundsätze zur Stiftungsauf- nach einem Todesfall vor Armut schützen (sog. Unterstüt- sicht und zur Stiftungsaufsichtsbeschwerde zu normieren. zungsanspruch). Die Rechtskommission des Ständerats ist Es seien zudem weitere Optimierungen der Tatbestände am 18. Januar 2019 auf die Vorlage eingetreten. Nach diver- zu Statutenänderungen mit Blick auf die Flexibilisierung sen Expertenanhörungen nahm sie den Entwurf in der der Stiftung nötig. Zugleich müssten die Familienstiftung Gesamtabstimmung am 14. August 2019 an.21 Der Stände- liberalisiert, die Bestimmungen zu religiösen Stiftungen rat stimmte ebenfalls für die Vorlage und sprach sich für überarbeitet und gemischte Stiftungen im Gesetz geregelt eine Reduktion der Pflichtteile aus, strich aber den Unter- werden.16 stützungsanspruch für den überlebenden Partner.22 In der Auch SwissFoundations hat eine Stellungnahme 17 zur Frühjahrssession 2020 kommt es zur Beratung im Natio- Vernehmlassung eingereicht: SwissFoundations befürwor- nalrat. tet den Vorschlag, eine regelmässige Publikation von Daten Botschaft II zu den technischen Aspekten der Erb- zu den wegen Gemeinnützigkeit steuerbefreiten Organisa- rechtsrevision, zu denen auch die Informationsrechte ge- tionen durch das Bundesamt für Statistik durchzuführen, genüber Stiftungen und Trusts sowie (möglicherweise) die warnt aber vor einer unzumutbaren Belastung der Schwei- angedachte Revision des Art. 335 ZGB für Familienstiftun- zer Förderstiftungen durch eine weitere Reportingpflicht gen zählen, steht noch aus. gegenüber den Steuerbehörden. Ebenfalls Unterstützung In der Zwischenzeit veröffentlichte der Bundesrat ei- findet der Vorschlag zur Verankerung der Stiftungsauf- nen Vernehmlassungsentwurf 23 für vier zusätzliche Mass- sichtsbeschwerde auf Gesetzesebene; allerdings schliesst nahmen zur Erleichterung der erbrechtlichen Unterneh- sich SwissFoundations den Anpassungsvorschlägen von mensnachfolge.24 Geschaffen werden soll ein Recht auf Jakob an.18 Auch die übrigen Revisionsvorschläge finden Integralzuweisung eines Unternehmens im Rahmen der mit einigen Präzisierungen und Ergänzungen 19 Zuspruch. Erbteilung, um vor allem die Zerstückelung von Unterneh- Ebenfalls überwiegend positiv wurden die steuerrechtli- men zu verhindern. Weiter ist für Unternehmensnachfol- chen Punkte beurteilt. Kritisch steht SwissFoundations ger die Möglichkeit vorgesehen, von den anderen Erben allerdings der geplanten Haftungsbegrenzung für leichte einen Zahlungsaufschub zu erhalten (insbesondere zur Fahrlässigkeit gegenüber: In Zeiten von Professionalisie- Vermeidung von schwerwiegenden Liquiditätsproblemen). II. Rechtliche Entwicklungen
19 Auch sollen spezifische Regeln für den Anrechnungswert Aufsicht unterstellt ist und aufgrund des kirchlichen Cha- eines Unternehmens festgelegt werden. Schliesslich soll rakters keine Revisionsstelle bezeichnen muss (allenfalls ausgeschlossen werden, dass pflichtteilsgeschützten Er- mit Angabe des Datums des Befreiungsentscheids) sowie ben ihr Pflichtteil gegen ihren Willen in Form von einem der Name der kirchlichen Instanz, welche die Aufsicht Minderheitsanteil an einem Unternehmen zugewiesen wahrnimmt (Art. 95 E-HRegV). werden kann, wenn die Kontrolle über dieses Unternehmen Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 6. März 2020 durch andere Erben ausgeübt wird.25 beschlossen, die neuen Vorschriften über das Handelsre- Die Vernehmlassungsfrist ist mittlerweile abgelaufen, gister auf den 1. Januar 2021 in Kraft zu setzen. Damit an der die weiteren Entwicklungen der Vorlage bleiben abzuwarten. zentralen Datenbank Personen weitergearbeitet werden kann, treten die entsprechenden Bestimmungen im Obli- Revision des Handelsregisterrechts gationenrecht und in der Handelsregisterverordnung be- Das Handelsregisterrecht wurde umfassend revidiert. reits per 1. April 2020 in Kraft.29 Durch die neuen OR-Regelungen ist eine Teilrevision der HRegV nach weniger als zehn Jahren notwendig gewor- Revision des Datenschutzgesetzes (DSG) den. Ausserdem muss die Gebührenverordnung ergänzt Über die geplante Revision des Datenschutzrechts werden. Die bereits verabschiedeten Änderungen betref- (17.059) wurde bereits in der Vorauflage berichtet.30 Es wur- fen das Handelsregister im Obligationenrecht (OR; SR 220) de dort vor allem der Pflichtenkatalog der Datenbearbei- und sollen zusammen mit der Teilrevision der Handelsre- ter 31 thematisiert, den es auch für Stiftungen zu beachten gisterverordnung 26 sowie der neuen Verordnung über die gilt.32 Allerdings verfolgt die Revision ferner das Ziel, das Gebühren für das Handelsregister 27 in Kraft treten («Paket Datenschutzrecht einem umfassenden Update zu unter- Handelsregister»). Der Vernehmlassungsentwurf zur Han- ziehen.33 Die hierbei wohl wichtigste Revisionsänderung delsregisterverordnung sieht insbesondere folgende An- betrifft die Einschränkung des Geltungsbereichs des DSG: passungen vor: Geschaffen werden soll eine Grundlage für Nur noch die Bearbeitung von Daten, die sich auf eine be- Berichtigungen und Nachträge. Die Einreichung von An- stimmte oder bestimmbare natürliche Person beziehen, meldungen soll künftig auch durch bevollmächtigte Ver- sollen umfasst sein, wodurch der Schutz von juristischen treter einer Rechtseinheit (Anwalt, Treuhänder, Notare) Personen und somit auch von Stiftungen entfällt.34 möglich sein. Die Registersperre wird auf Verordnungs- Am 24. September 2019 wurde der Entwurf des Bun- stufe abgeschafft. Es soll eine Vereinheitlichung der amtli- desrats vom Nationalrat teilweise gutgeheissen.35 In Bezug chen Verfahren, die mit einer Aufforderung des Handels- auf den Anwendungsbereich folgte der Nationalrat diesem registeramts starten, vorgenommen werden. Zudem soll diskussionslos.36 Im Weiteren hat auch der Ständerat am mit der Revision der Gebührenverordnung klargestellt 18. Dezember 2019 dem Entwurf des Bundesrats sowie dem werden, dass für Handelsregistergebühren ausschliesslich Beschluss des Nationalrats zur Änderung des Anwendungs- die Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Abgaberechts bereichs ohne Abweichung zugestimmt.37 In anderen gelten. Um dem Kostendeckungsprinzip zu entsprechen, Punkten ist der Ständerat hingegen vom Nationalrat abge- sollen die Gebühren um etwa ein Drittel reduziert werden. wichen; insbesondere möchte er den Schutz persönlicher Dies soll durch eine anteilsmässige Verringerung der ein- Daten verstärken und die Regeln für sogenanntes Profiling zelnen Gebührenpositionen geschehen.28 verschärfen.38 Aus stiftungsrechtlicher Sicht relevant sind zudem Nach der Erstberatung durch die beiden Räte wurde die Anpassungen im Nachvollzug an die seit dem 1. Janu- am 24. Januar 2020 das Differenzbereinigungsverfahren ar 2016 geltende Eintragungspflicht von kirchlichen Stif- zur Totalrevision des Datenschutzgesetzes durchgeführt. tungen und Familienstiftungen. An sich gelten für kirch- Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats kam liche Stiftungen und Familienstiftungen die gleichen zum Schluss, dem Nationalrat die Annahme zu empfehlen. Voraussetzungen für den Handelsregistereintrag wie für die klassischen Stiftungen. Neu muss bei einer Familienstif- tung angegeben werden, dass die Stiftung nicht der staatli- chen Aufsicht unterstellt ist und als Familienstiftung keine Revisionsstelle bezeichnen muss; bei einer kirchlichen Stif- tung ist anzuführen, dass die Stiftung nicht der staatlichen II. Rechtliche Entwicklungen
20 Bundesrat verzichtet vorerst auf die Anwendbar- Der Bundesrat trägt dem Resultat der Vernehmlas- keit des AIA für gemeinnützige Stiftungen sung in seiner November-Botschaft zum AIA Rechnung. Er Der Bundesrat plant, die Schweizer Bestimmungen hält dazu explizit fest, dass es unter Berücksichtigung der zum Automatischen Informationsaustausch (AIA) mit den Tatsache, dass auf internationaler Ebene noch Unklarhei- internationalen Standards in Einklang zu bringen und da- ten zum Umgang mit gemeinnützigen Einrichtungen un- bei die Empfehlungen des Global Forum on Transparency ter dem AIA-Standard bestünden, verfrüht sei, die Emp- and Exchange of Information for Tax Purposes (Global Fo- fehlungen des Global Forum umzusetzen. Der Entscheid rum) umzusetzen. Dem Schweizer Stiftungsstandort droh- des Bundesrats ist sehr zu begrüssen und stellt einen wich- te in diesem Zusammenhang ein einschneidender Wech- tigen Schritt in Richtung der Beibehaltung der liberalen sel. Der Bundesrat hatte Ende Februar 2019, gestützt auf Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Weiterentwick- eine Empfehlung des Global Forum, eine Vorlage in die lung und die Wettbewerbsfähigkeit des Stiftungsplatzes Vernehmlassung geschickt, die vorsah, die bestehenden Schweiz dar. Zu den Einzelheiten und Perspektiven dieses Ausnahmebestimmungen für gemeinnützige Stiftungen Geschäfts siehe den Gastbeitrag von Prof. Dr. Andrea Opel (Art. 6 und 11 AIAV) aufzuheben und diese Stiftungen da- (siehe Seite 24 f.). mit neu dem AIA zu unterstellen. Die vorgeschlagene Aufhebung der Ausnahmebestim- mungen für Vereine und Stiftungen sowie deren Konten wurde in der Vernehmlassung von fast allen betroffenen Akteuren und weiteren Stellungnahmen heftig kritisiert und ausdrücklich abgelehnt. II. Rechtliche Entwicklungen
21 AKTUELLE RECHTSPRECHUNG VW-Abgasskandal: Der Stiftung für Konsumen- wähnten und damit verwandten Handlungen beziehe. Die tenschutz wird das Recht zur Sammelklage Sammelklage-erhebung sei indes keine Tätigkeit, die der abgesprochen Zweck mit sich bringen könne. Die Klage verfolge allein Der Streit um die Folgen des VW-Abgasskandals geht die Interessen einzelner Konsumentinnen und Konsu- in eine zweite Runde: Das Handelsgericht Zürich ist auf menten – mit existenzbedrohlichen Risiken ohne Ent- die zweite Klage der Stiftung für Konsumentenschutz wie- schädigung für die Stiftung.44 Es handle sich somit um derum nicht eingetreten.39 Es sprach der Stiftung für Kon- die Erfüllung eines ähnlichen Ziels mit anderen Mitteln, sumentenschutz betreffend die diesmal geltend gemach- wofür eine Zweckänderung notwendig sei, weshalb es der ten Schadenersatzansprüche die Prozessfähigkeit ab. Im Stiftung an der Handlungsfähigkeit und damit der Prozess- Vorfeld hatte sich die Stiftung für Konsumentenschutz von fähigkeit mangle und auf die Klage nicht einzutreten sei.45 ca. 6’000 betroffenen Fahrzeughaltern deren Schaden- Die Sammelklage ist im Schweizerischen Zivilprozess- ersatzansprüche abtreten lassen. recht bisher unbekannt. Die Unterbindung dieser Möglich- Die Stiftung verfolgt insbesondere den Zweck der keit, um den Missbrauch von juristischen Personen als In- «Wahrung der Interessen der Konsumentinnen und Konsu- kasso-Vehikel zu verhindern, ist rechtspolitisch nach- menten». Fraglich für die Beurteilung der Prozessfähigkeit vollziehbar. Dafür argumentiert das Handelsgericht mit bzw. Handlungsfähigkeit war, ob die vorliegende Klage der – im Ausland verbreiteten, dem Schweizer Recht aber durch den Zweck der Stiftung gedeckt werde. Das Handels- fremden – «ultra vires»-Doktrin, die den Organen nur dann gericht resümierte, dass die Handlungsfähigkeit der Stif- Handlungsfähigkeit einräumen will, wenn diese vom tung durch den Zweck beschränkt werde, mit der Folge, Zweck gedeckt ist. dass keine Aktivprozesse geführt werden könnten, wenn Überzeugend ist die Begründung gleichwohl nicht: diese nicht durch den Zweck getragen würden. Es müsse Aus stiftungsrechtlicher Sicht sind die Organe der Stiftung zudem beachtet werden, dass der geltend gemachte Scha- berufen, alles zu tun, was dem Stiftungszweck und Stifter- denersatzanspruch nicht aus einem Schaden resultiere, willen entspricht. Beim Zweck der Wahrung der Interes- den die Stiftung selbst erlitten habe. Durch die Abtretung sen der Konsumentinnen und Konsumenten stehen den der Ansprüche der Käufer der Fahrzeuge habe sich die Stif- Exekutivorganen alle Handlungen zu, die mit den vorhan- tung «selbst als Klagevehikel für eine Sammelklage zur denen Mitteln zur Wahrung der Interessen der Konsumen- Verfügung» gestellt. Die juristische Person müsse daher tinnen und Konsumenten förderlich sind. Die Stiftungsräte geschützt werden, nicht «als Vehikel für die Durchsetzung sind im Rahmen ihrer ordnungsgemässen Ermessensaus- von Massenschäden missbraucht zu werden». Zudem müs- übung innerhalb der Vorgaben der Stiftungsdokumente frei se ein erhebliches Kostenrisiko beachtet werden, das nur zu entscheiden, wie sie diese Mittel einsetzen.46 Einer Er- eingegangen werden könne, wenn es vom Stiftungszweck laubnis oder Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde be- gedeckt sei.40 darf es gemäss ständiger Rechtsprechung nicht. Im Nach- Von der Vertretungsmacht der Organe gedeckt seien gang einer solchen Ermessensausübung darf diese Ent- nur Verhaltensweisen, die dem Zweck mittelbar dienen scheidung nur auf Rechtsfehler, insbesondere einen Ermes- bzw. die vorgeschriebenen Tätigkeiten fördern. «Es sind sensmissbrauch, überprüft werden. Und selbst bei der Fest- aber nicht jegliche Handlungen zulässig, welche einem stellung, dass der Stiftungsrat sein Ermessen überschritten ähnlichen (oder gar gleichen) Zweck auf andere Weise als hat, hat dies nicht die Unwirksamkeit des Geschäfts zur durch den Stifter vorgesehen dienen können.»41 Die Stif- Folge, sondern lediglich aufsichtsrechtliche Massnahmen tung müsse vielmehr selbst vor einem Überschreiten der der Aufsichtsbehörde und allenfalls zivilrechtliche Verant- Vertretungsmacht geschützt werden.42 In einer ausführli- wortlichkeiten der Organe. Dem Stiftungsrat a priori die chen Auslegung kam das Gericht zum Schluss, dass zwi- Handlungsfähigkeit abzusprechen, geht indes zu weit. schen dem Kreis der Konsumentinnen und Konsumenten Es darf schliesslich nicht vergessen werden, dass es als Zweckadressaten sowie der Erhebung einer Sammel- vorliegend um die Durchsetzung von zedierten Ansprü- klage unterschieden werden müsse.43 Mangels Angaben chen von Konsumentinnen und Konsumenten geht, die in der Stiftungsurkunde kam das Handelsgericht bei der semantisch in die weite Formulierung des Stiftungszwecks Auslegung zum Ergebnis, dass vom Stiftungszweck grund- fallen. Zudem würde der Handlungsspielraum der Stif- sätzlich nur natürliche Personen erfasst seien und sich der tungsratsmitglieder künstlich verkleinert, wenn man ver- Zweck der Stiftung auf die in der Zweckbestimmung er- lange, dass eine positive Zustimmung der Aufsichtsbehörde II. Rechtliche Entwicklungen
22 notwendig sei («Schliesslich macht die Klägerin auch nicht stellung («behauptet und belegt aber nicht») auf einem Ver- geltend, dass die Stiftungsaufsicht in einem allgemeinver- sehen beruhen würde. Die Revision diene nicht dazu, wie bindlichen positiven Entscheid die Vereinbarkeit des Vor- von der Gesuchstellerin beabsichtigt, Versäumtes nachzu- gehens mit dem Stiftungszweck festgestellt hätte») 47 oder holen, d.h. den massgebenden Sachverhalt zu ergänzen eine konkretere Umschreibung dieser Handlung im Zweck und zu berichtigen.53 der Stiftung.48 Bei Stiftungen mit bewusst abstrakt formu- Darüber hinaus brachte die Gesuchstellerin vor, wel- lierten Zweckbestimmungen (in der Praxis die Regel), die che Vorkehrungen sie alle seit Oktober 2016 getroffen habe, eine breite Gemeinnützigkeitstätigkeit ermöglichen sol- um sich im Stiftungsrat einzubringen. Sie rügte, dass es len, könnte das eine ständige Handlungsunfähigkeit zur «weltfremd» sei, von ihr noch mehr zu verlangen. Das BGer Folge haben. erwiderte, dass sie damit seine rechtliche Würdigung kri- Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist momentan tisiere. Auch dafür sei die Revision nicht bestimmt.54 Ent- vor dem Bundesgericht hängig. Aus Sicht des Stiftungs- sprechend wies das BGer das Revisionsgesuch ab. sektors ist zu hoffen, dass die stiftungsrechtlichen Erwä- Aufgrund der in der Praxis bekannten hohen Anforde- gungen vom Bundesgericht korrigiert werden. rungen an eine Revision stand das Revisionsgesuch von Beginn an unter ungünstigen Vorzeichen. Das Vorbringen Immer noch kein vorgängiger Beschluss vorhan- der ehemaligen Stiftungsrätin zeigt aber eindrücklich, dass den: keine Revision für ehemalige Stiftungsrätin die Praxis Mühe mit dem neu eingeführten Erfordernis der In BGE 144 III 433 ff. hatte das Bundesgericht (BGer) «Ausschöpfung des internen Instanzenzugs» hat, das selbst entschieden, dass der Grundsatz der Ausschöpfung des auch nicht das entscheidende Kriterium für die Zulässig- vereinsinternen Instanzenzuges auch für Stiftungsräte gel- keit einer Aufsichtsbeschwerde sein kann. Entsprechend ten müsse. Ein Stiftungsratsmitglied müsse folglich, be- ist das Revisionsgesuch auch so zu deuten: als letzter Hilfe- vor es Stiftungsaufsichtsbeschwerde erheben dürfe, einen schrei gegen die unverständlichen Anforderungen der Beschluss zu den entsprechenden Anträgen herbeiführen. Rechtsprechung an die Stiftungsaufsichtsbeschwerde. Thematisiert wurde dieser Aspekt in Hinblick auf die Be- gründung der Beschwerdelegitimation einer ehemaligen Fristbestimmung für die Stiftungsaufsichts- Stiftungsrätin. Da es ihr nicht gelungen war, nachzuweisen, beschwerde? dass sie den stiftungsinternen Instanzenzug ausgeschöpft Nachdem schon in der Vorausgabe 55 von der unglück- habe, wurde ihr die Beschwerdebefugnis abgesprochen. lichen Rechtsprechung in puncto Fristbestimmung zur Dieses Urteil hat in Wissenschaft und Praxis herbe Kritik Stiftungsaufsichtbeschwerde berichtet wurde, steigt die erfahren,49 weil es die Natur der Stiftungsaufsichtsbe- Rechtsunsicherheit mit dem neusten bundesgerichtlichen schwerde verkennt: Es geht nicht um die Rechte eines Urteil aus der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung zur Vereinsmitglieds, die durch Untätigkeit des Handelnden beruflichen Vorsorge nochmals an. In BGer, Urteil 9C_15/ verwirken können, sondern um den Schutz der Stiftung, 2019 vom 21. Mai 2019, wandte das Bundesgericht gleich der weder verfristen noch verwirken kann.50 mehrere Anwendungsanalogien an, um eine Frist für die Im Nachgang zu diesem Urteil stellte die ehemalige Stiftungsaufsichtsbeschwerde zu bestimmen (zum Vereins- Stiftungsrätin ein Revisionsgesuch vor dem Bundesge- recht, zum Verwaltungsrecht, zum Sozialversicherungs- richt.51 Dabei stützte sie sich auf Art. 121 lit. d BGG, nach recht) und kam so auf unterschiedlichen Wegen auf eine dem die Revision eines Bundesgerichtsurteils verlangt Frist von 30 Tagen. Der stossende Punkt: Es legte sich werden kann, wenn das Gericht in den Akten liegende er- schliesslich auf keine der dargelegten Varianten fest und hebliche Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt hat. liess die Frage offen, wie nun die Frist zu bestimmen sei.56 Sie erachtete die bundesgerichtliche Äusserung, dass sie Obgleich dies eine nicht unübliche Vorgehensweise des nicht «die Einberufung einer Stiftungsratssitzung und die Bundesgerichts ist, so ist sie in der Folge doch fragwürdig, Beschlussfassung über Massnahmen betreffend die Zu- denn im Ergebnis wies das Gericht die Beschwerde wegen sammensetzung des Stiftungsrates, die Verwaltung des Fristverletzung ab. Nachdem es schon an sich fragwürdig Stiftungsvermögens und das Projekt förmlich veranlasst» ist, die Aufsichtsbeschwerde als Rechtsmittel sui generis habe, als unzutreffend und unvollständig.52 Hiergegen einer Frist zu unterstellen, so ist es noch unbefriedigender, wendet das BGer ein, dass es der Gesuchstellerin nicht ge- die Grundlage für die Fristbestimmung nicht zu kennen. lungen sei, darzulegen, dass die bundesgerichtliche Fest- II. Rechtliche Entwicklungen
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