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Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW 6/2018 Schwerpunkt: Out of Line Zur Theorie und Geschichte ungewöhnlicher Werbemittel
Impressum Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW http://www.werbeforschung.org Im Auftrag des RVW herausgegeben von Bernhard J. Dotzler und Sandra Reimann ISSN 2198-0500 Elektronische Veröffentlichung Universität Regensburg, Publikationsserver http://epub.uni-regensburg.de/rvw.html Bezugsbedingungen CC BY-SA 3.0 DE Anschrift der Herausgeber Regensburger Verbund für Werbeforschung Prof. Dr. Sandra Reimann · Universität Regensburg 93040 Regensburg info@werbeforschung.org Einreichung von Beiträgen Unaufgefordert eingesandte Beiträge sind grund- sätzlich willkommen und werden von den Heraus- gebern oder geeigneten Fachreferenten geprüft. Redaktion, Layout & Satz Christine Fraunhofer M. A.
Inhaltsverzeichnis 5 ……………………….………………………….….…………………………………………………….……………….……....…………….... Editorial 6 …..………….…..……….………….…….. Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Silke Roesler-Keilholz 16 ….………………..….………….………….…….. Memorierungsstrategien im Audio-Branding Nadine Kronforst …………………………………………………….…………………….……….………….……….... Schwerpunkt: Out of Line Zur Theorie und Geschichte ungewöhnlicher Werbemittel 27 .…....…………….…………….………………………….…....……....……....……....…….....….……....………………... Programm 28 ……………………………...………………………...... Über Zusammenhänge von Literatur und Werbung in der klassischen Moderne Thomas Wegmann 41 …………………….....….…..…………….... Die Schallplatte als interaktives Werbemittel Solveig Ottmann & Sandra Reimann
54 …….……...………………... Aufstieg und Fall der Himmelsschreiber von Henkel Dirk Schindelbeck 62 ……………………..... Das Erbe von „Carosello“ in der italienischen Werbung Sabine Heinemann 79 …..……………...………...………...………...………...………....…………….…………... Das Tattoo als Werbung Oliver Bidlo 87 ………………….………….….………....…………….... Über die Flugblätter der Kommune I als Exemplum für die Werbeforschung Bernhard J. Dotzler 97 ........................................................................................................................................ Notizen
Editorial Bernhard J. Dotzler Sandra Reimann Dass Werbung uns auf Schritt und Tritt durch un- dieser Stelle oder eben in dieser Form ser Leben begleitet, ja uns im „elektronischen nicht erwartet hätte oder bisher einfach Zeitalter“ nachgerade verfolgt, ist kaum noch als weniger beachtet hat; Neuigkeit zu bezeichnen – kein Spaziergang ohne 3. aktuell sich herausbildende Machen- Reklameplakat, keine Fernsehserie ohne Werbe- schaften der Produktinformation, die unterbrechung und keine Google-Suche ohne An- aufgrund ihrer Neuheit noch kaum er- zeige. forscht sind. Gleichzeitig wird immer unabweisbarer, dass Thema wurden so etwa Werbeschallplatten und die „klassische“ Werbung, wie sie sich von der Sportbekleidung, Postkarten und Sammelbilder, Litfaßsäule bis zum TV-Spot entfaltet hat, in die Tattoos und Graffiti, die Postwurfsendung als Krise geraten ist, wo nicht ihrem Ende entgegen- „Vorschein“ personalisierter Werbung, das Caro- sieht. Immer häufiger trifft man auf Werbeflä - sello, Streuartikel und in den Himmel geschriebe- chen, die – à la „Hier könnte Ihre Werbung ste- ne Werbebotschaften. Gleichsam als Propädeuti- hen“ – für nichts anderes als sich selber Werbung kum diente ein Überblick über Reklame im litera- machen. So scheint sich das, was man die „Epo- rischen Feld der klassischen Moderne. che der Werbung“ nennen könnte, auf ihre Ergänzt um einen nachträglich erst geschrie- Schließung zuzubewegen. Die Kunst der Wer- benen Versuch über die Flugblätter der Kommune bung ist dabei, nach der Seite ihrer höchsten Be- I, dokumentiert der Themenschwerpunkt dieser stimmung ein Vergangenes zu werden. „Mitteilungen“ einen Teil dieser Vortragsreihe, Vor diesem Hintergrund – das heißt: um den wie üblich gerahmt von Notizen am Ende, freien aktuell zu beobachtenden Wandel weniger im Beiträgen zu Beginn: diesmal zum Bereich des Sinne der Ursachenforschung als vielmehr ange- Audio-Branding und zur Gefahr personalisierter reicherter Perspektivierung zu begreifen – konzi- Werbung, zu deren Archäologie die hier beige- pierte der RVW seine lecture series 20171 unter dem fügte Abbildung einen Hinweis liefern mag. Titel Out of line – Zur Theorie und Geschichte unge- wöhnlicher Werbemittel. Sie lud zu Vorträgen ver- schiedenster Fachrichtungen ein, die sich mit im weitesten Sinne ungewöhnlichen bzw. in der For- schung wie in der öffentlichen Wahrnehmung noch eher wenig reflektierten Werbeformen be- fassten, als da wären: 1. Formen der Werbung, die vormals bereits „ein Vergangenes“ geworden sind; 2. Werbeauftritte, die im ersten Moment überraschen, weil man sie vielleicht an 1 Der RVW dankt auch an dieser Stelle noch einmal für großzügige Unterstützung und erfolgreiche Kooperati- Abbildung 1: Werbeplakat auf Verteilerkasten, Berlin, on: der andré media AG, der Ludwig-Delp-Stiftung, der Elisabethkirchstraße, 19.7.2016. Quelle: Dotzler (Photo). Stiftung Medien und Zeitgeschichte sowie dem PresseClub Regensburg. Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 5
Perfect match! Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Silke Roesler-Keilholz Das Internet informiert. Das Internet (ist) ver- zont des Verbrauchers, sondern auch die Werbe- netzt. Wer das Netz nutzt, um Informationen ab- treibenden in der ursprünglichen Breite ihres zufragen oder zu kommunizieren, kann dies Handwerks. Kreativität, Originalität und Vielfalt nicht tun, ohne von Werbung überhäuft zu wer - weichen rein technischer Berechnung. Die Ma- den. Zumindest nicht seit das Internet 1991 für schine ‚kennt‘ den Verbraucher besser als er sich kommerzielle Zwecke freigegeben wurde. Nicht selbst. Somit beschneidet und bereinigt das ‚Netz‘ nur ist nahezu jede Website von Werbung ge- sowohl die Komplexität des Kunden als auch das spickt, die dort angebotenen Produkte sind zu- kreative Schaffen des Werbers. In letzter Instanz dem meist personalisiert, das heißt auf den Ver- wird das Subjekt (sowohl den Konsumenten als braucher und sein virtuelles Handeln zugeschnit- auch den Werber meinend) im Rahmen persona- ten. Auf der Basis von Überwachungsmechanis- lisierter Werbung zum Objekt. Im Fluchtpunkt men suggeriert die Werbeanzeige in diesem Mo- der digitalen Werbung, und damit grundsätzlich ment, den Adressaten individuell, als Einzelnen, in einer im 21. Jahrhundert virulenten Gesell- anzusprechen. Indem die jeweilige Werbung die schaft der Überwachung, verschwindet das Sub - (angenommenen) Interessen und den Geschmack jekt. „ des Users ‚antizipiert‘ und diesen bedient, wird Dass die Werbung einen Schlüssel für das Ver- die Aufmerksamkeit des Nutzers gewonnen. Ich ständnis sowie das Wirken von Kultur und Ge- möchte die These vertreten, dass der Form perso- sellschaft darstellt, macht bereits Marshall nalisierter Werbung eine strukturelle Gefahr in- McLuhan in Die Magischen Kanäle (1968) deutlich: härent ist: Die dem Nutzer präsentierte Werbung bestätigt diesen in seinem Konsumverhalten, Die Historiker und Archäologen werden eines zeigt ihm nichts Neues oder Andersartiges und Tages entdecken, daß die Werbung unserer Zeit die einfallsreichsten und tiefsten täglichen Be- verhindert somit in der Konsequenz ein Über- trachtungen darstellt, die eine Kultur je über ihr gan- denken eigener Standpunkte. Insofern sind die zes Tun und Lassen angestellt hat“.2 im Internet zu beobachtenden Werbeformen stark politisch. Sie basieren auf neo-liberalen So stelle jede annehmbare Reklame eine „aus- Steuerungsmechanismen, die mit der Blendung drucksstarke Dramaturgisierung der Erfahrung von Individuen arbeiten, um rein ökonomische der Gemeinschaft dar“. 3 Werbung wird in diesem Ziele zu erreichen. Der Konsument wird auf einer Gefüge zu einem Indiz von „Wissen und Gesell- semantischen Ebene mit Attributen von Freiheit, schaft“4, indem sie ihre Themen verdichtet und Offenheit und Individualität umgarnt,1 das Ge- prägnant präsentiert. Die Werbung dient mit an- genteil ist jedoch der Fall: Personalisierte Werbe- deren Worten seit jeher als Seismograph der ge- formen begrenzen nicht nur den geistigen Hori- sellschaftlichen Situation; sie ist eine Bestands- aufnahme des gesellschaftlichen Zustands, ein 1 Edmund Lysinski zählt bereits in den 1920er Jahren in Die Organisation der Reklame Werbung zu einem der 2 McLuhan (1968:253). wichtigsten Prozesse der Vereinheitlichung und spricht entsprechend von „Ausgleichs- und Vereinheit- 3 McLuhan (1968:248). lichungsvorgänge[n] der Gesellschaft“ (1924:14). 4 Bartz & Miggelbrink (2013:13). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 6
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz Destillat. Dennoch formuliert wiederum ein Jean eine Form von gerichteter Beobachtung mit ei- Baudrillard in Das System der Dinge (1968) pole- nem konkreten Vorhaben und dem Ziel eines Er- misch, dass die Werbung en bloc eine überflüssi- kenntnisgewinns. Meist bedingt oder evoziert die ge und unwesentliche Welt darstelle,5 da sie Überwachung eine sich anschließende Handlung „ebensoviel Zutrauen wie Mißtrauen“6 erwecke. (durch die überwachende Instanz). Funktionierte Das Ambivalente, Zwiespältige, Täuschende und die Überwachung von Individuen einst durch das Manipulative, das auf eklatante Weise heutzuta- Einsperren und Züchtigen9 von menschlichen ge digitale Werbestrategien durchzieht, wird in Körpern, also über räumliche Mechanismen (das den Ausführungen des französischen Theoreti- Gefängnis, das Krankenhaus etc.), ist aktuell die kers bereits antizipiert. Wie eng Geist, Manipula- Generierung von (immer mehr) Wissen das Ziel „ tion und Werbung zusammenhängen, steht be- von Überwachungssystemen. Das ‚Netz‘ beobach- merkenswerterweise nochmals früher, nämlich tet das Nutzungsverhalten des Menschen, spei- bereits 1909, in einem Handbuch für Werber ge- chert die gesammelten Informationen und wertet schrieben: sie aus. Die Kenntnis der Wirtschaft über das In- dividuum ist immens und wird zur Profitmaxi- Unser Verstand verfährt mechanisch, viel mierung instrumentalisiert. Die gesammelten In- mehr noch als bisher gedacht worden war. formationen lassen eine Macht entstehen, die Die Art und Weise, wie uns Dinge beeindrucken, kann mit ziemlicher Sicherheit ermittelt werden. […] den Nutzer ‚dem Fischer ständig ins Netz gehen‘ Das ist Psychologie. Dies ist ein schwieriges Wort, lassen (siehe Amazon, Google, Zalando etc.). Topo- doch für den Werber öffnet es die Tore der Möglich- graphische Strukturen weichen im 21. Jahrhun- keiten. Damit zusammen hängt das Studium des dert offensichtlich topologischen Mechanismen. Menschen, der wiederum das Instrument ist, auf Die Rechenmaschine Internet produziert ein dem wir spielen müssen, wenn wir Werbung ma- chen.“7 Wissen von Raum, welches sich als Topologie be- zeichnen lässt. Diese Topologie ist zweifach co- Angedeutet wird in diesem Zitat, dass der Kunde diert: Zum einen impliziert sie ein Wissen über genutzt, gebraucht, verfügbar gemacht wird, ja den Raum, den es zu überwachen gilt. Zum ande- sein Geist bzw. das „Instrument“ Mensch beein- ren erzeugt sie ein Gefühl des Überwacht-Wer- flusst und verführt werden soll. dens beim Beobachtungsobjekt; ein Empfinden, Zwischen diesen beiden Themenfeldern, der welches in der Vernetzung der Welt, der Verwe- bung sämtlicher Daten und Fakten, begründet „ gesellschaftlichen Seismographie (McLuhan) so- wie der Manipulation des Menschen (Baudril- liegt. Von der Werbeindustrie soll dieses Gefühl lard), oszilliert das medienkulturwissenschaftli- bei dem Konsumenten möglichst verschleiert be- che Nachdenken über Werbung. Der vorliegende ziehungsweise in den Hintergrund gedrängt wer- Beitrag möchte beide Ansätze unter dem Brenn- den. Mit Zygmunt Bauman heißt es: glas der Überwachung zusammenführen. Tech- Einerseits nähert sich die alte panoptische no-logisch verankert ist die digitale Form der Strategie (‚Nie sollst du wissen, wann wir dich Werbung im Internet als einem Überwachungs- beobachten, damit du dich nie unbeobachtet fühlen medium.8 Dabei begreife ich Überwachung als kannst‘) langsam, aber offenbar unaufhaltsam ihrer nahezu universellen Anwendung.“10 5 Vgl. Baudrillard (1968/1991:203). 6 Baudrillard (1968/1991:204). 7 French (1909:28 f.). löschung des Menschen beziehungsweise seiner Indi- vidualität und Fähigkeiten führen. Explizit wird dieser 8 Die hier vorgestellten Gedanken sind Teil der aktuell Prozess auch im Kontext der personalisierten Wer- im Entstehen befindlichen Habilitationsschrift der Au- bung. torin. Die Schrift unter dem Arbeitstitel Überwachungs- Architekturen. Der topographische Raum zwischen Sichtbar- 9 Vgl. dazu Michel Foucaults Ausführungen in Foucault keit und Unsichtbarkeit basiert u. a. auf der Annahme, (1975/1994). dass Überwachungsmedien in letzter Instanz zur Aus- 10 Bauman & Lyon (2013:37). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 7
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz Die Werbung ist Teil einer räumlichen Anord- auch das Individuum, die Vielen als auch den Ein- nung, die Bauman in letzter Konsequenz als zelnen erreichen zu wollen. Am Beispiel einer ka- „post-panoptisch“11 bezeichnet, indem sie – so lifornischen Orangensaft-Kampagne von Sunkist meine These – nicht mehr topographisch, son- analysiert Leo Spitzer die Komplexität von Wer- dern topologisch funktioniert. bung. Wenn die Obstware als „fresh for you“15 be- schrieben wird, beobachtet der Theoretiker eine “ Ambivalenz in der Adressierung. Er erläutert: You and the Internet If we would ask ourselves what is involved in the use of this advertising ‘you’, we must first inquire, superfluous and far-fetched as the procedure Bereits Ende der 1960er Jahre beobachtet may seem, into the meaning of this second personal pronoun, according to the philosophy of grammar, McLuhan im öffentlichen Raum einen „Wald von ‘You’ is a startling word: it calls up the dormant ego in Inseraten“12, den es zu lesen und zu entziffern every human being: ‘you’ is in fact nothing but the gälte.13 Dass die Digitalisierung förmlich zu ei- ego seen by another; it addresses itself to our feeling nem Labyrinth von Inseraten führen würde, ließ that we are a unified person recognizable from the sich offenbar am Horizont bereits erahnen. Das outside; it also suggests someone outside of us who is able to say ‘you’ and who feels akin to ‘us’ as a fellow Internet ist heute die Werbeplattform per se: Bil- man. Now, in English, the pronoun ‘you’ enjoys an der jeglicher Funktion und Nicht-Funktion domi- ambiguity to a degree unknown in the main Euro- nieren das Netz. Wir werben für uns selbst durch pean languages, which are characterized by greater das Hochladen von Profilfotos14 und scannen si- infection; it is equally applicable to a singular or a multan Werbeanzeigen durch unser persönliches plural audience, and in advertising, this double refe- rence is fully exploited: the advertiser, while prepa- Raster. Der User ist sowohl Produzent als auch ring his copy for the general public, thinks the ‘you’ Rezipient von Werbemaßnahmen. Der Medien- as an ‘all of you’ – but intends it to be interpreted as a nutzer beginnt allerdings erst, eine (unbedingt ‘you personally’, applicable to the individual A, B, or nötige!) digitale Medienkompetenz zu entwi- C. In the case of our advertisement A translates the ckeln und die gebotenen Informationen richtig zu algebraic X of the ‘you’ as ‘fresh for me has the orange been brought here from California’; and B and C do lesen und zu deuten. Inhalte werden bisher nicht the same. Though he is only one of millions, every konsequent geprüft oder durch ein persönliches single individual is individually addressed and flatte- Raster von Wissen gescannt. Das von Baudrillard red.”16 erwähnte „Mißtrauen“ ist aufgrund einer omni- präsenten Unwissenheit bezüglich der Black Box Dem englischen you ist also eine Doppelfunktion, Internet wichtiger denn je. Ein durch dieses sowohl die Vielen als auch den Einzelnen adres- ‚Scannen‘ möglich werdendes Stärken des Sub- sieren zu können, inhärent. Man könnte sagen, jektstatus‘ könnte dem Objektwerden des Men- ein ‚genialer‘ grammatikalischer Clou. Spitzer schen entgegenwirken. beobachtet ferner das der US-amerikanischen Während der Objektstatus das Individuum als Kultur eigene Paradoxon, im kulturellen und Teil der Masse begreift, ist der Subjektstatus an zwischenmenschlichen Miteinander sowohl For- den Einzelnen gekoppelt. Seit jeher befindet sich men von Standardisierung perfektioniert zu ha- Werbung in dem Zwiespalt, sowohl die Masse als ben als auch gleichzeitig den Wert von Individua- lität und deren Wahrnehmung auszustellen. In 11 Bauman (2003:18). diesem Zwiespalt entwickelt sich eine ganz eige- 12 McLuhan (1968:25). ne Form von Werbung und Adressierung, die den 13 Wenn Marshall McLuhan in Die mechanische Braut Wer- Gemeinschaftssinn ebenso wie das Persönliche beanzeigen in Form von Einzelstudien analysiert, prä- erreichen soll. Jean Baudrillard kommentiert ei- sentiert sich seine Medienwissenschaft als Werbefor- schung; vgl. Dotzler (2010:61). 15 Spitzer (1949/1975:122). 14 Vgl. Bernard (2017:7 ff.). 16 Spitzer (1949/1975:123 f.). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 8
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz nige Jahre später, dass dieses Nebeneinander der mus als ‚content marketing‘ bezeichnet und er beiden Parolen gar nicht so widerspruchsvoll sei, durchzieht aktuell zahlreiche Bereiche der Be- denn jeder fühle sich als Einzigartiger, obwohl werbung19: “Content marketing is about stories, (SRK: ohnehin) alle gleichartig seien.17 Er erklärt not selling. Finally, marketers are looking to evo- ferner, dass diese Doppelsinnigkeit genuin in der ke an emotion so they can make a connection.”20 persönlichen Anrede, im Sie, You oder Vous – der Der Kunde soll nicht nur nach einem konkreten Anrede eines Kollektivs, die eine Höflichkeits- Artikel suchen, sondern sich durch eine Narrati- form ebenso in der Einzahl wie in der Mehrzahl on beeinflussen lassen und Neuentdeckungen meinen kann – begründet liege. machen. Er soll durch das virtuelle Angebot fla- Aktuell macht sich das Online-Verkaufsportal nieren, sich umgucken und (vordergründig) Be- About You (ein 2013 gegründetes Tochterunter- sonderes entdecken und dabei einen gewissen nehmen der Otto-Gruppe) die von den beiden ‚spirit‘ fühlen. Die emotionale Ebene des Käufers Theoretikern beschriebene Doppelstruktur zu ei- soll mit Slogans wie „Fühl dich fit/gut/verzau- gen. Schon der Name der Marke suggeriert, dass bert“21 erreicht und ein Lebensgefühl evoziert man als Individuum im Fokus des Interesses werden. In der grundsätzlich auf Partizipation stünde. Der Konsument soll vermuten, es gehe und Teilhabe angelegten digitalen Welt gilt es fer- um ihn selbst. Sobald man sich als Kunde über ner, nicht mehr nur Kunden zu verführen oder zu die Login-Funktion angemeldet hat, wird der ei- manipulieren, sondern einen Dialog zwischen gene Rufname in die virtuelle Maske eingefügt Unternehmen und Konsument entstehen zu las- und prangt wie ein Motto über jeder Seite: „About sen. Die angestrebte Kommunikationssituation Ava“ [Abb. 1], soll einem Austausch gleichkommen und der Kunde dahingehend beeinflusst werden, dass er sich ernstgenommen fühlt und mit dem Werbe- treibenden auf Augenhöhe kommuniziert.22 Das Werben über Inhalte und ‚stories‘ kann dabei als eine Fortentwicklung des sogenannten Retarge- ting betrachtet werden, welches wiederum auf dem klassischen Targeting aufbaut. Unter Targe- ting versteht man „das zielgenaue Ausspielen von Werbung an besonders vielversprechende Ziel- Abbildung 1: About Ava. Quelle: Screenshot auf About You – Zugriff: 4.1.2019. 19 So auch das Zeitungswesen; Einstein (2017:193): “Al- most every major newspaper uses custom content, no- „About Otis“, die persönliche Ansprache des Ver- tably in the New York Times, the Washington Post, and the brauchers soll so sichergestellt werden. Doch Wall Street Journal. The Times’s first native ad was a piece auch ohne Anmeldung kann man durch die Sei- about women in prison. It looked like any other article ten des Portals ‚surfen‘. Stärker noch als die gro- that might appear in the paper. There was a headline, ‘Women Inmates: Why the Male Model Doesn’t Work,’ ßen Konkurrenten Zalando, Amazon & Co. gibt and a byline of the ‘reporter’. There was a graphic of About You vor zu inspirieren. Während die übri- women entering a prison and there were a number of gen Online-Modeportale von den About You-Ma- videos. But this wasn’t unbiased Times journalism. It chern als „digitale Lagerhallen“18 bezeichnet wer- was an ad paid for by Netflix as a promotion for its den (Aufbewahrungssysteme für immer gleiche series Orange is the New Black”. Ware), meint About You sogenannte ‚stories‘ zu 20 Einstein (2017:202). liefern. Im Werbejargon wird dieser Mechanis- 21 Vgl. hierzu beispielsweise die #fühldichgut-Kampagne von La Roche-Posay (2018), https://www.laroche- posay.de/Artikel/f%C3%BChldichgut/a33913.aspx 17 Vgl. Baudrillard (1968/1991:227). – Zugriff: 30.12.2018. 18 Schwär (2018). 22 Vgl. Scharrer (2016:14 f.). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 9
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz gruppen“.23 Die Usability-Forscher sehen die Vor- halten und Funktionen in der Wissenschaft re - teile des Targeting in der Minimierung von Streu- flektiert. Beschrieben wird also ein omnipräsen- verlusten durch Werbung, die auf die Nutzer zu- ter Zugriff auf das Subjekt, ein Netz aus Werbe- geschnitten ist.24 Die Erfolgswerte (der Kauf von mechanismen, das sich wie eine Schlinge zuzu- „ Produkten) können optimiert und die Effizienz ziehen scheint. der Werbekampagne maximiert werden, da weni- Targeting und Retargeting haben das im Rah- ger Budget für irrelevante Werbung ausgegeben men der About You-Struktur vorgestellte ‚Pro- werden muss. Die Hoffnung ist ferner, dass mit grammatic content marketing‘ hervorgebracht: ‚guten Targeting-Methoden‘ generell eine größere Akzeptanz gegenüber der Werbung erzielt wer- Wenn die Leute keine manipulative (und stö- den könne, da diese nicht mehr als lästig emp- rende) Unterbrecherwerbung mehr wollen (zumindest nicht im digitalen Raum), dann geben wir funden werde. Die zielgenaue Adressierung ba- „ ihnen eben Inhalte und ‚echte Mehrwerte‘“,28 siert auf einem ausgeklügelten ‚tracking‘-System, dem der Nutzer durch das Akzeptieren von Coo- heißt es von Tina Beuchler, der Verbandschefin kies seine Zustimmung gibt (“Every click is tra- der Organisation Werbungtreibende im Markenver- cked. Every post is noted”).25 band (OWM). Sie erläutert weiter: Beim sogenannten Retargeting werden Nut- zer, die bereits auf einer Website waren und diese Für mich geht es bei Programmatic nicht nur wieder verlassen haben, zur Rückkehr aufgefor- um Einkaufsvorteile, sondern vor allem um den qualitativen Aspekt, zum richtigen Zeitpunkt die dert.26 Gerade in diesem ‚Rückholmoment‘ mani- richtigen Menschen mit den richtigen Botschaften zu festiert sich die vorgegaukelte Subjektivierung adressieren.“ des Konsumenten. Spezielle Werbeanzeigen scheinen uns aktuell quer durch das Internet über Programmatic Advertising werde das Zeitalter “ verschiedene Seiten zu ‚verfolgen‘: des Retargeting, bei dem wir die Menschen zu oft mit Werbung „zugeballert“ haben, schrittweise If you put an item into the cart – say, a pair of ablösen. Digitale Werbung könne durch Pro- jeans or the latest bestseller – and then decide you don’t have time to buy it right away, an ad for that grammatic nicht nur kostengünstiger, sondern product will begin to follow you around the internet. auch relevanter und interessanter werden. And it will go from your computer to your cellphone About You sieht sich nun als Vorreiter des „digi- to your iPad or other tablet. The same holds true if talen Online-Bummels“. In Bilderstrecken wer- you are doing research for something to buy. You be- den komplette ‚looks‘ oder ‚outfits‘ präsentiert, so gin looking into vacations on Cape Cod or a bicycle trio to Ireland and you can be sure that competitive dass der Kunde zum Kauf animiert werden soll. advertising will follow – even after you book your Ästhetisch ähneln die Bilderstrecken Hochglanz- trip”.27 Modemagazinen und der Filter-Ästhetik von Ins- tagram, zum Teil werden Bewegtbilder eingefügt. Mara Einstein beschreibt in dem geschilderten Dabei stehen nicht (nur) die Modeartikel im Fo- Anwendungsszenario nicht nur den Mechanis- kus, sondern vielmehr auch die sie präsentieren- mus des Retargeting, sondern bestätigt bereits den Personen. Bei diesen handelt es sich häufig die über verschiedene Endgeräte stattfindende um die der angesprochenen Zielgruppe bekann- Bewerbung. Unter dem Schlagwort der Medien- ten Influencer [Abb. 2]. Sie verlinken die About konvergenz wird die Kopplung von medialen In- You-Werbung mit ihren privaten Social-Media- Accounts und steigern so die Reichweite sowie 23 Keßler, Rabsch & Mandić (2015:45). den Absatz der Produkte. Circa 80 Influencer ste- 24 Vgl. Keßler, Rabsch & Mandić (2015:45). hen bei About You unter Vertrag.29 Sie sind ver- 25 Keßler, Rabsch & Mandić (2015:184). 26 Vgl. Keßler, Rabsch & Mandić (2015:50). 28 Scharrer (2016:14). 27 Einstein (2017:181). 29 Vgl. Schwär (2018). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 10
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz traglich verpflichtet, Produkte des Online-Han- Die Überwachung der Daten des Kunden (‚Big dels auf ihren Privataccounts zu präsentieren Data Marketing‘) bedeutet also nicht (mehr) nur und zu bewerben. Auf Grund der engen Verknüp- individualisiertes Marketing, sondern auch zeit- fung zwischen Influencer und Follower, einer Art genaues Werben. virtuelles Band30, ist die Wirkung beachtlich. Trotz der technisch fortgeschrittenen Ent- wicklung von Retargeting sind dessen rechtliche Rahmenbedingungen bislang nicht klar definiert und äußerst umstritten.33 Zugelassen ist Retarge- ting nur mit der Einwilligung des Nutzers, welche aktuell über sogenannte Cookie-Banner funktio- niert. Allerdings scheint dies keine absolut zu- friedenstellende Lösung zu sein, da je nach Im- plementierung die Mindestanforderungen an eine informierte und ausdrückliche Einwilligung nicht eingehalten werden.34 Außerdem stellen sich die Möglichkeiten, nicht einzuwilligen, be- Abbildung 2: Elena Carrière. Quelle: Screenshot auf grenzt dar und auch der Widerruf kann in der Instagram – Zugriff: 4.1.2019. Praxis nur sehr schwer umgesetzt werden. Grundsätzlich ist daher auf einer gesellschafts- Andere Unternehmen kopieren bereits die Idee politischen Ebene weniger in der allgemeinen des Influencer-Marketings, so dass die Erfolge Existenz der Daten das zentrale Problem zu se- von About You zurückgehen. Die Buchung von In- hen als vielmehr in der Auswertung 35 und der fluencern wird immer teurer, außerdem wird von Nutzung jener Daten; vornehmlich für kommer- den Konsumenten auf Grund der Fülle von Wer- zielle Zwecke. bung diese immer stärker ausgeblendet und die Der Konflikt, durch Werbung sowohl den Ein- Kaufbereitschaft minimiert. Zukünftig müssen zelnen als auch die Vielen adressieren zu wollen, also abermals neue Strategien zur Steigerung des findet in Form der personalisierten Werbung im Absatzes angewendet werden. Seit jeher gilt, dass Internet einen Höhepunkt und seine vordergrün- sich Werbemechanismen stetig weiterentwickeln dige ‚Erfüllung‘. Die digitale Marketingstrategie müssen, um funktionieren zu können.31 Eine Op- gibt vor, das Individuum und seine ganz speziel- „ tion kann das Real-Time-Marketing darstellen. len Wünsche zu kennen und befriedigen zu kön- Ferner schleicht sich die Dimension der Zeit ak- nen. Ein Subjekt-Status wird suggeriert, obwohl tuell in den Werbemechanismus ein. Wenn etwas der Mensch eigentlich als Objekt, als Teil der im Digitalen nicht Masse, adressiert wird. Dabei handelt es sich bei dem dem Konsumenten angebotenen Produkt le- performt, wird es geändert, sowohl was seine diglich um das Ergebnis einer Berechnung, wel- Platzierung betrifft als auch die Kreation. che wiederum einem massentauglichen Ge- Was nicht passt, wird passend gemacht, und das so schmack entspricht. So steht also weder das Wohl schnell wie möglich.“32 des Individuums noch das der Werbung selbst im 30 In der Fernsehtheorie der 1950er Jahre wurde dieses Fokus. Die Individualität des Konsumenten wird „Band der Intimität“ zwischen Showmaster und Zu- ebenso obsolet, wie sich die Werbetreibenden in schauer von Donald Horton und Richard R. Wohl (1956) der reglementierten Präsentation ihrer Produkte als Teil der parasozialen Interaktion thematisiert. selbst beschneiden. Auch wenn der Slogan von 31 Ein Beispiel ist der im TV ausgestrahlte About You- Award, eine im Mai 2018 über ProSieben ausgestrahlte Dauerwerbesendung, bei der die Influencer umsonst 33 Vgl. Venzke-Caprarese (2017:578). für diverse Marken warben. 34 Vgl. Venzke-Caprarese (2017:582). 32 Schwär (2018). 35 Vgl. Baumann (2003:187). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 11
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz About You mit „Jedes Teil Dein Style“ ein Verspre- ter Umgang in Bezug auf die semantische Diffe- chen gibt, werden dem Konsumenten de facto auf renz beider Begriffe wichtig. Während Werbung Algorithmen basierende Standardwaren angebo- überzeugen will, geht mit einer Empfehlung ein ten. Rat einher. Eine Empfehlung will dem Adressa- ten etwas Gutes tun, die Werbung hat häufig öko- nomische Interessen. Problematischerweise prä- sentiert sich die Werbung oft als ‚Wolf im Schaf- Vom Werben zum pelz‘, nämlich als wohl gemeinter Rat. Empfehlen Damit diese Empfehlungssysteme computer- basierter Medien funktionieren, muss der Werbe- treibende „seine Zielperson gut genug kennen, Auf einer medienhistorischen sowie medienkul- um mit der Werbung deren Bedürfnisse anzu- turellen Ebene vollzieht sich ein bedeutender sprechen.“38 Einerseits sollen bereits vorhandene shift: Waren Medien einst als (Hilfs-)Mittel und Bedürfnisse befriedigt werden, andererseits aber Werkzeuge zur Optimierung der menschlichen auch neue Bedürfnisse durch eine bestimmte An- Kommunikation konzipiert,36 kippt im Überwa- sprache des Kunden hervorgerufen werden. chungszeitalter ihre ursprüngliche Funktion ins Um ein möglichst genaues Bild des Verbrau- Destruktive. Der Mensch ist im digitalen Werbe- chers zeichnen und ihn möglichst präzise adres- „ kontext nur noch Objekt und ‚Opfer‘ von Berech- sieren zu können, greifen verschiedene Kontroll- nungen sowie Adressat von standardisierten An- maßnahmen. Bemerkenswerterweise ist das Ziel geboten, die seine Individualität zu karikieren dieser Mechanismen wie beim traditionellen scheinen. In der ‚bubble‘ personalisierter Wer- Werben immer noch, bung gibt es keinen Raum für Fremdes, Anders- artiges oder Neues. Zu groß scheint die Sorge, ei- klassische zielgruppenspezifische (Massen-) nen User zu überraschen und dadurch verärgern Kampagnen zu starten, die jeweiligen Werbe- mittel aber möglichst nur noch jenen zu kommuni- zu können. Bestätigen statt Irritieren ist offenbar zieren, denen ein (mögliches) Bedürfnis nach dem die proklamierte Devise. Dabei ignorieren die beworbenen Produkt unterstellt wird.“39 Werbetreibenden aktuell, wie stark sie selbst ihre Chancen und ihr Potential beschränken. Neue Die Profilierung erfolgt dabei technisch über die Adressatengruppen können durch die Entschei- Aufzeichnung von Kauf- und Surfverhalten mit- „ dung für ‚passende‘ Werbung kaum erreicht wer- tels Cookies oder Accounts.40 Virulente Konzepte den; grundsätzlich neue Produkte kaum einge- versuchen zudem, auch die von den Nutzern führt, geschweige denn etabliert werden. Das selbst angelegten Profile in sozialen Netzwerken Versprechen von Individualität durch den Kauf zu diesem Zweck auszuwerten, da sie personalisierter Werbung führt offensichtlich in eine gesellschaftliche Sackgasse. in ihren Profilen ihre Interessen sehr genau an[geben] – man kann also den Nutzer identi- Julius Othmer und Andreas Weich beobachten fizieren und über moderne Technologien Zielgruppen eine Verschiebung von dem Konzept des Werbens zuordnen“.41 zu dem des Empfehlens.37 Vor allem aus sprach- wissenschaftlicher Perspektive ist ein reflektier- 36 Im allgemeinen Sprachgebrauch verweist die vielfälti- 37 Vgl. Othmer & Weich (2013:43). ge Bedeutung des Wortes Medium als Mittel bezie- 38 Kloss (2012:8). hungsweise Vermittlung laut Alexander Roesler und 39 Othmer & Weich (2013:45). Bernd Stiegler auf eine genuin instrumentelle Dimen- sion des Mittel-Zweck-Verständnisses von Medien und 40Vgl. zu den verschiedenen technischen und konzeptu- Medientechnologien. Diese war für die medienwissen- ellen Umsetzungen exemplarisch Othmer & Weich schaftliche Theoriebildung maßgebend. Vgl. Roesler & (2013:3–21). Stiegler (2005:150). 41 Altendorf (2011:79). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 12
„ Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz Es heißt weiter: fern Machtbeziehungen und ist in ihrer Implemen- tierung immer auf Medientechnologien angewiesen Neu ist hier, dass es sich um reale Daten han- (beispielsweise in Form von Tabellen, Vektoren, Da- delt, was eine völlig neue Dimension des Tar- tenbanken, Interfaces), die ihrerseits diskursive Ein- geting ermöglicht und Streuverluste quasi völlig eli- schreibungen aufweisen.“45 miniert, da die Nutzer selbst angeben, was ihre Interessen sind oder wo sie sich gerade befinden.“ Auf die Typisierung des Subjekts folgt sein Obso- let-Werden. Laut Othmer und Weich wird ein Bemühen um Zunächst werden die Menschen auf sich selbst potentielle Kunden überflüssig, wenn jede und aufmerksam gemacht, indem sie ein Profil ein- „ jeder ausschließlich jene Produkte präsentiert richten, sich selbst beschreiben und ihre inners- bekommt, die laut des Profils zu ihr oder ihm „ ten Interessen angeben sollen. In der Folge wer- passen. Genau dies führt zu einer Logik der Emp- den sie im wahrsten Sinne des Wortes ‚ausge- fehlung als profilbasierter Praktik des matching, zählt‘: die auf ein Werben im klassischen Sinne verzich- ten kann.42 Die Anbieterinnen sind permanent in der Situation, sich selbst im Angesicht von Ver- Es geht also nicht mehr so sehr darum, die kaufsrankings und Produktbewertungen einem Mo- Aufmerksamkeit der Kund*Innen durch aus- nitoring-Prozess aussetzen, sich reflektieren und geklügelte Werbemittel mit zielgruppenspezifischen managen zu müssen. Die Kundinnen werden grund- Slogans, Designs und Images auf ein bestimmtes sätzlich und seit jeher durch Werbung auch mit dem Produkt zu lenken (‚Push‘), sondern darum, dass die eigenen Selbst konfrontiert. Doch erst durch die per- Profile der Kund*Innen selbst signalisieren, welchen sönliche Empfehlung wird die oder der Einzelne sehr Produkten sie wahrscheinlich ohnehin ihre Auf- konkret auf ihr oder sein Profil und auf sich selbst merksamkeit schenken werden (‚Pull‘).“43 zurückgeworfen und in eine Position des individuel- len Monitorings versetzt.“46 Amazon vollzieht dieses Empfehlungssystem kon- sequent. Die hier zu beobachtende Rückwärtsgewandtheit der Werbestruktur führt zu einer „Logik des Als Folge dieser funktionalen Verschiebung von Werbung beobachten die Autoren eine Ver- ‚more of the same‘“.47 ‚Überraschende‘ Empfeh- lungen und Irritationen sind Fehler im System.48 änderung in der Rhetorik der Werbeindustrie. Da das Produkt nicht mehr besonders hochwertig oder positiv überhöht dargestellt werde, sondern einfach nur ‚passen‘ müsse, könne auf Slogans und aufwändige Kampagnen verzichtet werden.44 „ Die medienkulturelle Implikation ist extrem: So- wohl für die Profilierten als auch für die Profilie- renden gerät bis zu einem gewissen Grad die Tat- 45 Othmer & Weich (2013:50). sache aus dem Blick, 46 Vgl. Othmer & Weich (2013:50). 47 Othmer & Weich (2013:51). dass es sich bei Profilen grundsätzlich um eine sehr spezifische und ‚gemachte‘ Forma- 48 Vgl. dazu Eli Parisers Konzept der „Filter Bubbles“ in tierung von Wissen handelt. Sie impliziert die Ver- Pariser (2011). Das Konzept beschreibt ähnliche Phäno- messbarkeit ihrer Objekte (die in den genannten Fäl- mene. Ein Projekt, das dieser Entwicklung nach eige- len gleichzeitig einen Subjekt-Status beanspruchen), nen Angaben entgegenzuwirken versucht, ist das Por- ist in der Wahl ihrer Merkmale, Parameter und Vari- tal http://stumble-upon.com. Durch den Begriff des ablen stets diskursiv durchwirkt, reproduziert inso- Stolperns im Titel der Website werden ein Zufallsmo- ment und damit die Möglichkeit neuer Erfahrungen suggeriert. Letztendlich handelt es sich hierbei jedoch 42 Vgl. Othmer & Weich (2013:47). ebenfalls um ein profilbasiertes Empfehlungssystem, 43 Othmer & Weich (2013:47). das nach einer gewissen Nutzungsdauer die gleiche 44Vgl. Othmer & Weich (2013:48). „more of the same“-Problematik aufweist. Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 13
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz angedeuteten und im Bereich der Werbung so wichti- And beyond … gen Prinzip des ‚Neue-Bedürfnisse-Schaffens‘ entge- genzulaufen.“51 Mit Baudrillard denkend sind sämtliche Marken Die vorausgehenden Ausführungen haben deut- und Artikel als Alibi für eine grundsätzliche lich gemacht, dass es sinnvoll ist, digitales Wer- Funktion der Gesellschaft zu betrachten. 52 Am ben aus Perspektive der Surveillance Studies zu Horizont der personalisierten Werbung steht die betrachten. So steht der ‚Auflösung‘ des topogra- Auflösung der eigenen Disziplin. phischen Raumes die Generierung von Daten gegenüber, die wiederum zu einer Auslöschung des Subjekts zu führen scheinen. Das Sammeln von Informationen wird daher von Beginn an von Literatur einer destruktiven Spur begleitet. Die unbemerk- te Überwachung verunmöglicht zunehmend ein Leben im Verborgenen. Sukzessive vollzieht sich Altendorf, Michael (2011). Social Media Targeting. In: Bauer, Christoph; Greve, Goetz & Hopf, Gregor (Hg.). eine Verschiebung von der vertikalen Überwa- Online Targeting und Controlling. Grundlagen – Anwen- chung, wie sie noch im Panoptikum und auch bei dungsfehler – Praxisbeispiele. Wiesbaden: Gabler. S. 67–92. der Drohnenaufnahme funktioniert, zur rhizo- Bartz, Christina & Miggelbrink, Monique (2013). Wer- matischen Überwachung im Internet. Wie Gilles bung. Einleitung in den Schwerpunkt. In: Zeitschrift für Deleuze in seinem Postskriptum über die Kontrollge- Medienwissenschaft, 5(2). S. 10–19. sellschaften zeigt, wächst Überwachung in „Kon- Baudrillard, Jean (1968/1991). Das System der Dinge. Über trollgesellschaften“ nicht baumartig – also verti- unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frank- kal und geordnet wie im Panoptikum –, sondern furt/M.: Campus. breitet sich eher wie ein Bodendecker, also rhizo- Baumann, Zygmunt (2003). Flüchtige Moderne. martig, aus.49 In der Konsequenz bezeichnet Zyg- Frankfurt/M.: Suhrkamp. munt Baumann die heutigen Machtverhältnisse Bauman, Zygmunt & Lyon, David (2013). Daten, Drohnen, als „post-panoptisch“.50 Topologisches Knowhow Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung. Frank- furt/M.: Suhrkamp. gewinnt gegenüber topographischer Anordnung (dem Überwachungsdispositiv Raum) an Rele- Bernard, Andreas (2017). Komplizen des Erkennungsdienstes. Das Selbst in der digitalen Kultur. Frankfurt/M.: S. Fischer. vanz und kann den ‚Referenten‘, das Subjekt, de- Deleuze, Gilles (1993). Unterhandlungen. 1972–1990. Frank- codieren. furt/M.: Suhrkamp. Dass sich die Werbeindustrie durch eine aus- Dotzler, Bernhard (2010). Die mechanische Braut. Werbe- geflaggte Form personalisierter Werbung selbst forschung als Anfang von Medienwissenschaft. In: Rei- beschneidet, darf nicht ignoriert werden. Neue, mann, Sandra & Sauerland, Martin (Hg.). Wissen spezielle, andersartige Produkte können durch schaf(f)t Werbung. Regensburg: Universitätsverlag Re- Retargeting-Maßnahmen nur schwer platziert gensburg. S. 44–72. „ werden, ohne beim Käufer für Irritation zu sor- Einstein, Mara (2017). Advertising. What Everyone Needs to gen. Nur selten tauchen Vorschläge (z. B. bei Ama- Know. New York: Oxford University Press. zon) auf, die nicht zum Profil passen. Othmer & French, George (1909). The Art and Science of Advertising. Weich konstatieren daher: Boston: Sherman, French, and Company. URL: https://archive.org/details/artandsciencead00frengoog Die Iteration von Gewohnheit scheint der /page/n19 – Zugriff: 31.10.2018. neoliberal geforderten Flexibilität und per- Foucault, Michel (1975/1994). Überwachen und Strafen. manenten Weiterentwicklung und gerade auch dem Frankfurt/M.: Suhrkamp. 49 Deleuze (1993:254–262). 51 Othmer & Weich (2013:51). 50 Bauman (2003:18). 52 Vgl. Baudrillard (1968/1991:205). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 14
Eine Stellungnahme zur Gefahr personalisierter Werbung im Internet Roesler-Keilholz Horton, Donald & Wohl, Richard R. (1956/2002). Massen- Roesler, Alexander & Stiegler, Bernd (2005). Grundbegriffe kommunikation und parasoziale Interaktion. Beob- der Medientheorie. Paderborn: Wilhelm Fink. achtungen zur Intimität über Distanz. In: Adelmann, Scharrer, Jürgen (2016). Programmatic statt Retargeting Ralf; Hesse, Jan O. & Keilbach, Judith (Hg.). Grundlagen- OWM: Die Verbandschefin Tina Beuchler über Milleni- texte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. als, Agenturmodelle – und was man von Zalando ler- Konstanz: UVK. S. 74–104. nen kann. In: Horizont, 25(45). S. 14 f. URL: http://wiso- Keßler, Esther; Rabsch, Stefan & Mandić, Mirko (2015). net.de/document/HOR_20161110383050%7CAHOR_20 Erfolgreiche Websites. SEO, SEM, Online-Marketing, Usabili- 16110383050 – Zugriff: 31.10.2018. ty. Bonn: Rheinwerk. Schwär, Anna (2018). Mit diesen Tricks luchst About You der Kloss, Ingomar (2012). Werbung. Handbuch für Studium und Konkurrenz die Kunden ab. URL: https://www.welt.de- Praxis. München: Verlag Franz Vahlen. /wirtschaft/article179387650/Onlinehandel-Der- McLuhan, Marshall (1968). Die magischen Kanäle. Understan- Modeshop-About-You-behauptet-sich-gegen- ding Media. Düsseldorf/Wien: Econ. Zalando-und-Amazon.html – Zugriff: 31.10.2018. Lysinski, Edmund (1924). Die Organisation der Reklame. Ber- Spitzer, Leo (1949/1975). Eine Methode Literatur zu interpretie- lin: Industrieverlag Spaeth Linde. ren. Frankfurt/M./Berlin/Wien: Ullstein. Othmer, Julius & Weich, Andreas (2013). „Wirbst du noch Venzke-Caprarese, Sven (2017). Retargeting in der oder empfiehlst du schon?“ Überlegungen zu einer Onlinewerbung. Rechtliche Rahmenbedingungen für Transformation der Wissensproduktion von Werbung. zielgenaue Werbung. In: Datenschutz und Datensicherheit In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, 5(2). S. 43–52. – DuD, 41(9). S. 577–582. URL: https://www.daten- schutz-notizen.de/wp-content/uploads/2017/07/ - Pariser, Eli (2011). The Filter Bubble. What the Internet Is Hi- Retargeting_in_der_Onlinewerbung.pdf – Zugriff: ding from You. London et al.: Penguin. 31.10.2018. Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 15
Memorierungsstrategien im Audio-Branding Eine interdisziplinäre Analyse am Beispiel des Möbelhauses Segmüller Nadine Kronforst Dieses Thema kann und darf nicht allein aus lin- Abstract1 guistischer Perspektive heraus betrachtet wer- den, sondern muss sich mithilfe von gedächtnis- psychologischen und wirtschaftswissenschaftli- Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf. – Mit diesem Slo- chen Überlegungen einer interdisziplinären Her- gan wirbt eine groß angelegte Kampagne der Ra- angehensweise unterziehen. diozentrale für die Werbeplattform Radio.2 Anders als bei den meisten Werbungen richtet sich der Appell hier nicht an den Endverbraucher, son- dern an werbende Unternehmen. Das beworbene Einführung: Forschungs- Produkt ist kein Produkt, sondern das Mittel, wo- mit ein Produkt an den Mann gebracht werden gegenstand Audio-Bran- soll – Radiowerbung. Metawerbung existiert auch ding zwischen Wirtschaft bei Printanzeigen: Hier könnte Ihre Werbung stehen. TV-Metawerbung wäre hingegen unvorstellbar. und Wissenschaft Es scheint, als ob Fernsehwerbung nicht zwin- gend beworben werden müsse, weil die werbliche Interdisziplinarität ist die Basis einer linguisti- Effizienz im Gegensatz zu anderen Medien nicht schen Untersuchung, die hinsichtlich ihrer Ziel- angezweifelt wird. Fernsehen hat das Prestige er- gruppenausrichtung neben dem sprachwissen- reicht, das schon Ende der 70er Jahre von der schaftlichen Publikum ausdrücklich auch die Band The Buggles vorhergesehen wurde: Video Kil- „ Werbepraxis ansprechen will: Wirksamkeit in led the Radio Star. sprachwissenschaftlichen Untersuchungen ist ein In meiner Arbeit wird entgegen dieser Annah- Forschungsdesiderat. Nicht viele Linguisten wa- me bewusst und ausschließlich mit Radiower- gen sich aufgrund der Nicht-Quantifizierbarkeit bung gearbeitet, denn unserer oftmals subjektiven Forschungsgebiete an die Aufgabe, selbst Bewertung und Tipps für [k]aum ein anderes Medium bietet so viele die wirtschaftliche Praxis liefern zu können. Der kreative Möglichkeiten und wird gleichzeitig in der Wahrnehmung immer noch so unterschätzt.“3 Schlüssel, auch als Sprachwissenschaftlerin dazu einen Beitrag leisten zu können, ist die Interdis- ziplinarität in Methodik und Forschungsinhal- 1 Der Beitrag geht auf eine Masterarbeit, die an der Ka- ten. So setzt sich die Arbeit das Ziel, eine Antwort tholischen Universität Eichstätt verfasst wurde, zu- auf folgende Fragen zu finden: rück. 2 Vgl. Kampagne pro Radio. Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im - Hält die aktuelle Hörfunkwerbung das, Kopf. – Zugriff: 11.12.2018. was der Slogan „Geht ins Ohr. Bleibt im 3 Kampagne pro Radio. Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kop f. – Zugriff: 11.12.2018. Kopf.“ verspricht? Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 16
Memorierungsstrategien im Audio-Branding Kronforst - Welche sprachlichen Mittel tragen wie angesetzt, während Bayern 1 vom 6.11.2015 bis zur intendierten Werbewirkung, dem zum 14.11.2015 aufgenommen wurde. Einprägen, bei und welche sind dahinge- Der erste Kategorisierungsschritt ist die Fest- hend besonders erfolgversprechend? stellung identischer Werbespots. Danach erfolgt die Zusammenlegung aller Spots, die sich in ein Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der einziges werbendes Unternehmen fassen lassen. Untersuchung eines Zusammenhangs zwischen In einem weiteren Selektionsschritt werden Mo- aufmerksamkeitssteigernden Mitteln, der Me- no- und Mixkampagnen voneinander unterschie- morierung von Slogans und Produktnamen und den, weil sich die Erinnerungsleistung der Pro- schließlich dem Kauf des Produkts. banden allein auf das Medium Radio beziehen Das Fundament der zugrundeliegenden Theo- soll. Im Verständnis dieser Untersuchung handelt rie ist ein gedächtnispsychologisches und werbe- es sich um Monokampagnen, wenn eine zusätzli- theoretisches. Anhand eines eigens entworfenen che Präsenz des Slogans und des Produktnamens Analysemodells werden besonders auffällige durch Fernsehwerbung ausgeschlossen werden sprachliche Werbemittel vorgestellt. Beim Text kann. Diese werden zudem nach Branchen kate- beginnend verengt sich der Blickwinkel von der gorisiert, um sowohl brancheninterne als auch Syntax über das Wort zum einzelnen Laut. Mit- branchenübergreifende Vergleiche zu gewähr- hilfe eines breit angelegten Korpus werden leisten. sprachliche, aber auch außersprachliche Beson- Danach folgt die sprachliche Analyse der derheiten für 34 Mono-Radiowerbespots heraus- Spots zunächst quantitativ, dann qualitativ: gearbeitet. Diese Ergebnisse fungieren als Basis für Memorierbarkeitsthesen. Hierbei gehe ich zu- Außersprachliche Analyse: nächst von der trivialen Annahme „viel hilft viel“ - Grobe Skizzierung der Kontexte des wer- aus, d. h., quantitativ und qualitativ „hochwerti- benden Unternehmens ge“ aufmerksamkeitssteigernde Mittel führen zu - Branchenzugehörigkeit und Produktin- einer hohen Memorierungsrate. Als Prüfinstanz formationen wird ein halbstandardisierter Fragebogen ver- - Positionierung des Spots (Datum, Uhr- wendet, der als Verbindung zum Konsumenten zeit, Werbeblock, Position im Werbe- zur Beantwortung der zuvor formulierten Fragen block) beitragen soll. Natürlich kann im begrenzten - Länge des Spots Rahmen dieser Arbeit nicht auf alle 34 Werbe- - Häufigkeit des Spots spots eingegangen werden. Stattdessen wird eine Radiowerbung gezielt als Beispiel herangezogen Untersuchung der Textebene und exemplarisch anhand der aufgestellten Me- - Textgrammatik (Form & Funktion) thodik untersucht. - Sprachspielerische Stilelemente auf Text- ebene - Inszenierung von Varietäten Untersuchung der Satzebene Methodik der - Satzarten, Negation und Funktionen linguistischen Analyse - Stilelemente auf Satzebene - Phraseologismen Das Korpus setzt sich aus zwei chronologisch Untersuchung der Wortebene direkt aufeinanderfolgenden Daueraufnahmen - Wortwahl zusammen, die insgesamt eine Anzahl von 2264 - Wortbildung Werbespots ergeben. Die Aufzeichnung von An- - Fremdwörter tenne Bayern ist vom 28.10.2015 bis zum 6.11.2015 - Stilelemente auf Wortebene Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 17
Memorierungsstrategien im Audio-Branding Kronforst Untersuchung der Lautebene wie beispielsweise die Stimme des Sprechers, - Metrik eine Melodie, Textteile aus dem Fließtext oder der - Akustisch-auditive Ebene Headline, etc. Hiermit soll überprüft werden, ob - Stilelemente auf Lautebene sich die Probanden überhaupt an den Spot erin- nern können, d. h., ob er als Gesamtkonzept vom Nachdem in jedem einzelnen Werbespot die auf- sensorischen Register des Gehirns aus weiter tretenden sprachlichen Phänomene kategorisiert vorgedrungen ist. und quantifiziert wurden, erfolgt anschließend Eine abschließende Frage soll klären, inwie- für jeden Spot eine tiefgehende qualitative, inter- fern ein Zusammenhang zwischen der Memorie- pretative Untersuchung. rung und dem Kauf oder Konsum der Produkte All diese Faktoren entfalten als Gesamtkom- besteht. Die Durchführung der Befragung hat den plex eine Wirkung auf den Rezipienten, wodurch Anspruch hoher (lokaler) Repräsentativität und im besten Fall Aufmerksamkeit und Memorie- Aktualität. Sie erfolgt im Dezember 2015 und im rung der Produktnamen und des Slogans erreicht Januar 2016 an vier Stationen in den Landkreisen werden. Nach dem oben genannten Grundsatz Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen und Ingol- „viel hilft viel“ wird eine These zur Memorierung stadt. aufgestellt, die anschließend durch die Ergebnis- se eines Fragebogens entweder bestätigt oder fal- sifiziert wird. Ein nächster Schritt stellt zusätzlich den Zu- Forschungsstand sammenhang zwischen der Einprägsamkeit des Slogans und dem realen Kontakt des Kunden mit Zur Werbeforschung wurde in der Linguistik ei- dem Produkt dar. Dieser Zusammenhang lässt niges an einschlägiger Fachliteratur veröffent- sich ebenfalls aus den Auswertungen des Frage- licht. Als besonders umfassend gelten Janichs Ti- bogens entnehmen. tel zur Werbekommunikation5, das Arbeitsbuch Der Fragebogen umfasst folgende Informatio- zur Werbesprache6 und die Bibliographie7. Janich nen: Zunächst sollen die Probanden einschätzen, geht mit einem ganzheitlichen Anspruch an die wie oft sie Radio hören. Diese Erkenntnis reiht Thematik heran. Im Vergleich zu anderen Arbei- sich ein in die außersprachlichen Einflüsse, die ten fällt bei ihren neueren Titeln ein verstärkt auf die Memorierung von Radiowerbung einwir- medienübergreifender Ansatz auf. Hier deutet ken. Denn wer nicht Radio hört, kann nach den sich die allmähliche Ausweitung des wissen- Regeln der Logik auch keine der gefragten Mono- schaftlichen Horizonts an, die heute für die ge- kampagnen kennen. Da durchschnittlich „95 Pro- samte Forschungsgemeinschaft bezeichnend ist. zent der Deutschen [...] regelmäßig Radio/Audio“ 4 Die meisten linguistischen Arbeiten zur Wer- hört, ist eine schlechte Wiedergabeleistung nicht besprache beziehen sich aber noch immer auf dem Image oder der Frequentierung des Medi- Printanzeigen. Römer8 und Baumgart9, die beide ums, sondern möglicherweise der Quantität und auch heute noch als Standardwerke gehandelt sprachlichen Qualität der Radiowerbespots anzu- werden, gehen z. B. ausschließlich auf geschrie- lasten. bene Sprache ein. Nach der allgemeinen Einführung wird zu- Linguistische Arbeiten, die sich ausschließlich nächst nach der Bekanntheit der einzelnen Un- mit Hörfunkwerbung beschäftigen, sind rar. Da- ternehmen und nach der spontanen Erinnerung an den Slogan gefragt. Falls Letzteres nicht mög- 5 Vgl. Janich (Hg.) (2012). lich ist, haben die Probanden die Möglichkeit, an- 6 Vgl. Janich (2013). dere Bruchstücke der Werbung wiederzugeben, 7 Vgl. Greule & Janich (1997). 8 Vgl. Römer (2002). 4 Media-Analyse 2018 – Zugriff: 11.12.2018. 9 Vgl. Baumgart (1992). Mitteilungen des RVW 6/2018 Seite 18
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