SCHWERPUNKTTHEMA: ONKOLOGISCHE REHABILITATION - Ambulante OnkoReha Erfahrungen aus dem Programm der Krebsliga Zürich
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SCHWERPUNKTTHEMA: ONKOLOGISCHE REHABILITATION Ambulante OnkoReha Erfahrungen aus dem Programm der Krebsliga Zürich Dr. med. Magdalena Maria Berkhoff Warum ambulante OnkoReha? Ein mögliches Hindernis ist für entfernter wohnende Betroffene ein ungünstiges Verhältnis von Reisezeit zu Dem onkologischen Fortschritt ist eine zunehmen- de Zahl sogenannter «cancer survivors» zu verdanken, Therapiezeit. in den letzten 20 Jahren hat sich ihre Zahl rund ver- doppelt. In der Schweiz werden jedes Jahr 42 500 neue Strukturiert oder Modular? Krebsfälle registriert und 370 000 Menschen leben mit In einem strukturierten Modell ist das Programm vorab de- einer Krebsdiagnose (Nationales Institut für Krebsepi- finiert, ein Wochenplan mit feststehenden Elementen und demiologie und –registrierung NICER, 2013-2017). eine bestimmte Rehadauer (meist 8-12 Wochen) sind vor- Viele Betroffene leiden lange an den Auswirkungen der gegeben. Krankheit oder an den Folgen der Behandlung. Ver- schiedene Lebensbereiche sind davon betroffen, Körper, Bei einem modularen Modell wird das Programm indivi- Psyche und die soziale Integration [1, 2, 3]. Besonders duell aus Modulen kombiniert. In der Krebsliga Zürich einschränkend wird chronische Müdigkeit und Schwä- gab es bis 2017 einen Pilotversuch einer ambulanten On- chegefühl (Cancer-Related-Fatigue Syndrom) erlebt. koReha mit einem modularen Modell, nach einem Erst- Körperliche Folgen sind z.B. beeinträchtigte Mobilität, gespräch fanden die meisten Module an unterschiedlichen Schmerzen, Neuropathien und Funktionseinschränkun- externen Orten statt. Aufgrund ungenügender Teilneh- gen. Psychisch belastend ist die Angst vor dem Fort- merzahlen wurde dieses Modell aufgegeben. Eine Über- schreiten oder Wiederauftreten der Krankheit, also die sicht über die ambulanten Programme in der Deutsch- Progedienz- bzw. Rezidivangst, und Gefühle der Hilflo- schweiz bei [7]. sigkeit, Überforderung oder Hoffnungslosigkeit. Sozia- le Auswirkungen können finanzielle Folgen, Sorge um Das ambulante OnkoRehaprogramm der den Arbeitsplatz oder familiäre Veränderungen sein. Die Krebsliga Zürich Vielfalt und Komplexität der Auswirkungen bedingt ein interprofessionelles Vorgehen [1, 4, 5]. Das ambulante OnkoReha Programm startete im April 2019 mit einem neuen Konzept und einer Kombination Ambulant oder stationär? aus modularen und strukturierten Elementen. Das struk- turierte Vorgehen ermöglicht eine gute Planbarkeit an- Anders als die Frage suggerieren könnte, sind ambulant hand eines definierten Wochenplans (Abb. 1), zugleich oder stationär keine alternativen oder konkurrierenden Behandlungsoptionen [6]. Vielmehr sind beide Möglich- erlaubt der modulare, individuelle Aufbau eine gute An- keiten notwendig, um eine angemessene Versorgung passung an die Bedürfnisse und Rehabilitationsziele der für Krebsbetroffene zu gewährleisten. Die stationä- Betroffenen. Durch eine Kombination mehrerer Module re Versorgung ermöglicht eine Entlastung vom Alltag in der gleichen Woche kann eine hohe Intensität erreicht bei zugleich intensiver Therapie, ausserdem kann nur werden. Geschwächte Betroffene können durch eine nied- sie somatisch schwerer Kranke nach einer stationären rige Frequenz mit wenigen Modulen pro Woche «sanft Akuttherapie ärztlich und pflegerisch ausreichend auf- aber stetig» Fortschritte erreichen. Dafür kann die Be- fangen. Die ambulante onkologische Rehabilitation handlungsdauer verlängert werden, die benötigten Modu- ermöglicht einen guten Übergang in den «normalen» le werden dann nacheinander statt gleichzeitig besucht. Alltag. Sie wird von manchen Betroffenen bevorzugt, Ausserdem ist eine gute Vereinbarkeit mit einem teil- die Gründe angeben wie Versorgung von Kindern, das zeitlichen beruflichen Wiedereinstieg gegeben und damit «eigene Bett», die vertraute Umgebung oder ein Haus- ein angemessener Übergang von der Krankheitsphase zur tier. Zudem ist sie kostengünstiger und wohnortsnah. Rückkehr in die Normalität. Schweizer Krebsbulletin Nr. 2/2021 107
SCHWERPUNKTTHEMA: ONKOLOGISCHE REHABILITATION Das ambulante Rehabilitationsteam umfasst ähnlich wie bei Während des Lockdowns kam es zur Schliessung des Al- der stationären OnkoReha die Sport/Bewegungstherapie, terszentrums, in dem sich unsere Therapieräume befin- Physiotherapie, Ernährungsberatung, Sozialberatung, Ergo- den, und dadurch zu einer ungewollten Pause von Mitte therapie, ÄrztInnen und Psychologen. Der psychologische Februar bis April. Viele Betroffene erlebten diese Zeit als Mitarbeiter unseres Teams hat zusätzlich eine psycho-sexo- Rückschritt. logische Ausbildung, die Ergotherapeutin führt auch Ener- giemanagement-Gruppen. Durch Kooperationen können Evaluation wir weitere Module gewährleisten, die Komplementärme- dizin mit dem Institut für komplementäre und integrative Die Evaluation unseres Programms wurde zusammen mit Medizin des USZ, Sexualmedizin mit dem Brustzentrum der Krebsliga Schweiz geplant. Die Auswertung erfolgte und lymphologische Therapie durch die Klinik Susenberg. anonymisiert durch die Krebsliga Schweiz (KLS), Evalua- tionsbericht, ambulantes onkologisches Rehabilitations- Die Indikationsstellung und Anmeldung zu den Modulen programm Zürich 2019/20, verantwortlich J. Sonderegger erfolgt in einem ärztlichen Erstgespräch. Die Module wer- und N. Sperisen. Alle Teilnehmenden, die bis zum Zeit- den unterschiedlich stark genutzt, Übersicht Abbildung 2. punkt der Evaluation am Programm teilgenommen hatten (n=116), wurden brieflich kontaktiert. Eine Teilnahme war Corona-Effekt 2020 schriftlich in Papierform oder Online möglich, es antwor- Die Corona-Pandemie 2020 und die Massnahmen zu de- teten n=54 der Teilnehmenden. Zusätzlich wurden die am ren Bekämpfung hinterliessen deutliche Spuren (Abb. 3). Programm beteiligten TherapeutInnen befragt, n=5. Abb. 1. Wochenplan ambulante OnkoReha Krebsliga Zürich Zeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Bewegung 08:00 Bewegung MTT Physiotherapie MTT Individuelle Bewegung 09:00 Bewegung MTT Individuelle Planung* Physiotherapie Planung* MTT Bewegung 10:00 Bewegung MTT Physiotherapie MTT Physiotherapie Bewegung 11:00 Bewegung MTT zur Entspannung MTT (Gruppe) 12:00 Mittag Mittag Mittag Mittag Mittag Ärztliches Gruppentherapie Individuelle 13:00 Erstgespräch Ergotherapie Progredienzangst Physiotherapie Planung* Soziale Body-Mind- Individuelle 14:00 Ergotherapie Ernährungsberatung Physiotherapie Beratung Programm** Planung* Ärztliches Soziale 15:00 Erstgespräch Ergotherapie Physiotherapie Beratung Energie Physiotherapie zur Soziale 16:00 Management Entspannung Beratung Gruppe (Gruppe) * lndividuelle Planung: psychoonkologische Einzelgespräche Ruhephase oder Wiedereinstieg in die berufliche Tätigkeit, Sexualtherapie, Sozialberatung ** Das Body-Mind-Programm ist ein Angebot des lnstituts fiir komplementäre und integrative Medizin Universitätsspital Zürich, Leitung von Fr. Prof C. Witt. Ort: Sonneggstrasse 6 108 Schweizer Krebsbulletin Nr. 2/2021
SCHWERPUNKTTHEMA: ONKOLOGISCHE REHABILITATION 200 187 180 160 140 120 99 100 80 66 62 60 52 42 38 40 20 15 4 3 0 1 Psychoonkologie Sozialberatung Physio Einzel MTT Physio Gruppe Ernährungsberatung Angstgruppe Ergotherapie Lymphdrainage MBM USZ Susenberg Abb. 2. Modulnutzung: Teilnehmende pro Modul pro Monat 2020 20 18 16 14 12 ANZAHL TEILNEHMER 10 8 6 4 2 0 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember 19 10 0 0 1 10 11 8 6 10 11 5 Abb. 3. Corona-Effekt: Teilnehmende pro Monat im ambulanten OnkoRehaProgramm 2020 Schweizer Krebsbulletin Nr. 2/2021 109
SCHWERPUNKTTHEMA: ONKOLOGISCHE REHABILITATION Rehabilitationsprozess und Zufriedenheit Qualitätskriterien, vor allem zur Strukturqualität, liegen Die Teilnehmenden waren insgesamt mit dem Programm Vorschläge vor [8]. Aussagekräftige Kennzahlen der Qua- sehr zufrieden (Durchschnitt 8.4, Antwort auf Skala 1-bis litätsentwicklung, die einfach zu erheben sind und durch 10 mit 1-sehr schlecht, 10-sehr gut), Abbildung 4. Rehabilitationsmassnahmen positiv veränderbar sind, sollten definiert werden [8]. Gemäss neuem Artikel 58 im Zielerreichung der ambulanten OnkoReha KVG sind Qualitätsmessungen verpflichtend, die Rah- Der Effekt der Rehabilitation bezüglich Verbesserung menbedingungen sollen in nationalen Qualitätsverträgen der Zielsymptome, also die Wirksamkeit, wurde von den geregelt werden (zur Genehmigung an den Bundesrat bis Teilnehmenden der ambulanten OnkoReha mehrheitlich spätestens 1.4.2022). Eine einfache und klinisch relevan- als gut bis sehr gut eingeschätzt, einen Überblick gibt te Messung wäre die subjektive Zielerreichung wie in Abbildung 5. Bezüglich der Schmerzen berichteten mehr Abbildung 5. als die Hälfte einen guten oder sehr guten Effekt, die re- lativ tiefste Zielerreichung. Bei der Verbesserung der be- Finanzierung einträchtigten Mobilität, dem Ziel mit der höchsten Ziel- erreichung, gaben sogar alle Betroffenen einen guten oder Die Krebsliga Zürich ist eine non-profit Organisation, sehr guten Effekt an. die für die Verbesserung der Situation von Krebsbetrof- fenen auf verschiedenen Ebenen engagiert ist. Die Krebs- Einschätzung der Therapeutinnen liga Zürich ermöglichte den Aufbau des Programmes, Die Rücklaufquote war sehr gut, alle befragten Thera- in dem sie personelle und räumliche Ressourcen dafür peutInnen antworteten, die Auswertung erfolgte ano- zur Verfügung stellte. Es bestanden Synergismen zu be- nymisiert extern durch die KLS. Das ganze Programm reits bestehenden Angeboten wie Psychoonkologie und (Durchschnitt 8.4) und die Zufriedenheit mit den eigenen Sozialberatung. Die Teilnehmenden konnten von wei- Aufgaben wurde positiv beurteilt. teren Angeboten ergänzend zum OnkoRehaprogramm profitieren, wie Rauchstoppkursen, anderen Kursen und Ausblick Selbsthilfegruppen. Eine Stiftung unterstützte uns fi- Wirksamkeit und Qualität nanziell (Drittmittel, Bockhoff-Stiftung). Die Krebsliga Die Wirksamkeit der onkologischen Rehabilitation ist Schweiz ermöglichte die Evaluation durch know-how belegt, dies gilt für gesamte Programme ebenso wie für und die Auswertung der erhobenen Daten im Rahmen die einzelnen Module eines Programmes, einen Über- ihrer vorhandenen Ressourcen. Die nach Tarmed ver- blick geben [1] und [2]. Weitere Studien sollten helfen, rechenbaren Einheiten des Programmes wurden nach eine mögliche «best practice» zu identifizieren. Zu den KVG in Rechnung gestellt. Zufriedenheit mit dem Programm Lymphologische Therapie Gruppe Progredienzangst MBM USZ Soziale Beratung Ergotherapie Ernährungsberatung Medizinische Trainingstherapie Physiotherapie Psycho-Onkologie 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 n=51, Skala 1-10, 1-gar nicht zufrieden, 10-vollkommen zufrieden, Durchschnittswert Abb. 4. Zufriedenheit mit den Therapien 110 Schweizer Krebsbulletin Nr. 2/2021
SCHWERPUNKTTHEMA: ONKOLOGISCHE REHABILITATION Beurteilung des Rehabilitationsprogramms auf verschiedene Aspekte des Lebens Ernährungssituation Berufliche Situation Soziale Situation Umgang mit den Krankheitsfolgen und Behandlungen Depressionen Angstzustände Schmerzen Ermüdung Lebensqualität Autonomie im täglichen Leben Körperliche Leistungsfähigkeit Mobilität Allgemeiner Gesundheitszustand Negativer Effekt Kein Effekt Guter Effekt Sehr guter Effekt Frage: «Wie beurteilen Sie die Auswirkungen des Rehabilitationsprogramms auf die folgenden Aspekte? (Bitte antworten Sie nur für die Aspekte, für die Sie sich ein Ziel gesetzt haben)», n=47 Abb. 5. Beurteilung der Wirksamkeit der ambulanten OnkoReha Der erhebliche zusätzliche Aufwand für ein umfassendes Literatur Programm wird durch die Verrechnung einzelner Leistun- 1. Strasser F. Onkologische Rehabilitation integriert in die Behan- gen nach Tarmed nicht ausreichend finanziert. Vordring- dlungspfade der modernen Onkologie. Therapeutische Umschau lich ist daher die Sicherung einer künftigen Finanzierung, 76: 449-459, 2019. um solche Programme nachhaltig und unabhängig von 2. Stout N, Santa D, Lyons K, et al. A systematic review of rehabili- tation and exercise recommendations in oncology guidelines. CA Drittmitteln finanzieren zu können. Cancer J Clin 00: 1-27, 2020. 3. Eberhard S and Buser K. Rehabilitation bei onkologischen Er- Fazit krankungen. Schweizer Zeitschrift für Onkologie 3: 45-51, 2007. 4. Heim M. Onkologische Rehabilitation: Wege zurück ins Leben. Die ambulante onkologische Rehabilitation ist ein wich- LEADING OPINIONS Hämatologie & Onkologie 1: 8-13, tiges Element der onkologischen Behandlung. Kritisch 2008. sind die noch weitgehend fehlenden Angebote, vermut- 5. Heim M, Schröter T, Wünnenberg E, et al. Ambulante integrative onkologische Rehabilitation: Ein Pilotprojekt in der Schweiz. Sch- lich eine direkte Folge der bis anhin ungenügenden weizerische Zeitschrift für Ganzheitsmedizin 24: 367-370, 2012. Finanzierung der ambulanten Rehabilitationsprogram- 6. Eberhard S. Onkologische Rehabilitation; wann, wo, und für me. Um die ambulante onkologische Rehabilitation für wen? Schweizer Krebsbulletin 1: 17-20, 2015. Krebsbetroffene nachhaltig anbieten zu können, wäre 7. Schneider-Mörsch B. Onkologische Rehabilitation. Ambu- eine solide, kostendeckende Finanzierung notwendig. lante Programme in der Deutschweiz: Wo stehen wir heute? Fachzeitschrift Onkologiepflege 1: 5-8, 2016. Ausserdem sollte eine verlässliche Integration der Re- 8. Zerkiebel N. Qualitätssicherung in der onkologischen Rehabilita- habilitation in das onkologische Procedere gewährleistet tion – Wo stehen wir heute? Schweizer Krebsbulletin 1: 23-25, werden. 2015. Korrespondenz: Dr. med. Magdalena Maria Berkhoff, Ärztliche Leitung, Zentrum für Psychoonkologie und ambulante Onko-Reha Krebsliga Zürich, Freiestrasse 71, CH-8032 Zürich, magdalena.berkhoff@krebsligazuerich.ch Schweizer Krebsbulletin Nr. 2/2021 111
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