Seide, Sand, Papier Ein Basler Sommerpalais und seine globalen Bezüge - CHRISTOPH MERIAN

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Seide, Sand, Papier Ein Basler Sommerpalais und seine globalen Bezüge - CHRISTOPH MERIAN
Seide,
Sand,
Papier
Ein Basler Sommerpalais
und seine globalen Bezüge

                            CHRISTOPH
Susanna Burghartz           MERIAN
Madeleine Herren            VERLAG
Seide, Sand, Papier Ein Basler Sommerpalais und seine globalen Bezüge - CHRISTOPH MERIAN
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Seide,
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Ein Basler Sommerpalais
und seine globalen Bezüge

                            CHRISTOPH
Susanna Burghartz           MERIAN
Madeleine Herren            VERLAG
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Inhalt

  01 Global vernetzt                                                  9
      Die Sandgrube als Brennpunkt einer Basler Globalgeschichte

  02 Die Leisler in Basel                                            27
      Eine kosmopolitische Migrantenfamilie, 1658–1795

  03 Der grosse Umbau                                                77
      Wirtschaft, Gesellschaft und städtischer Raum, 1670–1800

  04 Konsum global — das Chinazimmer                                123
      Die Entstehung eines globalen Stils, 1700–2021

  05 Lokal verwandt — global vernetzt                               161
      Arkadien in einer pulsierenden Stadt, 1790–1931

  06 Verloren in Transformationen                                   201
      Vom privaten Sommerhaus zum öffentlichen Gebäude, 1931–2021

      Dank                                                          235
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Global
vernetzt
Die Sandgrube als Brennpunkt
einer Basler Globalgeschichte

01
Ein Garten im Haus, ein verborgenes Paradies
oder ein verbotenes Zimmer? Das Chinazimmer
in der «Sandgrube», dem barocken Sommerhaus
der Familie Leisler in Basel, gibt Rätsel auf. Im
heutigen Sitz des Europainstituts der Universi­-
tät Basel liegt hinter verschlossenen Türen und
Fensterläden ein Zimmer, das ganz mit original
chinesischen Papiertapeten aus dem 18. Jahr­
hundert ausgekleidet ist. Sie wurden dort in der
Mitte des 18. Jahrhunderts angebracht und sind
bis heute vollständig erhalten geblieben.

Das Chinazimmer ist der zentrale Aus-                        dert bis in die Gegenwart in globaler Per-
gangspunkt für das vorliegende Buch. In                      spektive. Das Sommerhaus der Leislers
diesem aussergewöhnlichen Raum wird                          erzählt von grenzübergreifenden familiä-
die Globalgeschichte Basels sichtbar.                        ren Beziehungen und global vernetzten
Das Haus und seine Interieurs berichten                      Biografien, von materiellen Spuren des
über Generationen von Bewohnern und                          Globalen und von Häusern, deren lokale
Bewohnerinnen, deren lokale Bedeutung                        Vorstellung von Weltoffenheit zeitwei-
von der Teilnahme in globalen Netzwer-                       se glänzend in den Vordergrund trat und
ken geprägt war und deren Tätigkeiten                        sich manchmal in ein verträumtes Arka-
von der wachsenden Bedeutung Basels                          dien zurückzog.
als Drehscheibe des globalen Marktes                             Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich
erzählen. Die «Sandgrube» bietet einen                       das junge Seidenfabrikanten-Ehepaar
geradezu idealtypischen Brennpunkt für                       Achilles und Marie Leisler-Hoffmann vor
eine Stadtgeschichte vom 17. Jahrhun-                        den Toren der Stadt ein grosszügiges
                                                             Hôtel entre Cour et Jardin bauen lassen.
Abb. 1 — Sandgrube, Chinazimmer im 1. Stock. Auf insgesamt   Im ersten Stock statteten sie den pri-
vierzehn Paneelen sind original chinesische Tapeten aus      vaten Rückzugsort der Hausherrin mit
Maulbeerbaum montiert. — Foto: Kantonale Denkmalpflege
Basel-Stadt, Erik Schmidt, 1989.                             einer spektakulären chinesischen Ta-

                                                                                           Global vernetzt | 11
Abb. 2 — Sandgrube, Chinazimmer im 1. Stock. Links ein Paneel mit Fasan im stark vergilbten heutigen Zustand. Daneben ein
digitaler Rekonstruktionsvorschlag. Er gibt einen Eindruck von den ursprünglich brillanten Farben, welche die Päonienblüten
ebenso wie die Vogelfedern zum Leuchten bringen. Die digitale Technologie ermöglicht eine Annäherung an das ursprüngliche
Erscheinungsbild des Raumes. Zwar lassen sich die ursprünglichen Farben der Paneele nicht durch eine einfache digitale Umko-
dierung der Farbtöne erreichen. Einzelne Charakteristika können allerdings mit Hilfe von Software identifiziert werden, selbst
wenn die Farbtöne stark ausgebleicht und nur noch schwer zu unterscheiden sind. Die Anwendung einer in der Filmindustrie
entwickelten Kombination aus Automatisierung und manuellen Techniken ermöglicht einen Farbabgleich mit anderen zeitge-
nössischen Beispielen. Das Chinazimmer wird derzeit in einer digitalen Rekonstruktion bearbeitet, die allerdings noch weitere
Vergleichsbeispiele von noch vorhandenen chinesischen Tapeten benötigt. — Foto links: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt,
Erik Schmidt, 1989; Foto rechts: Europainstitut Basel, https://chinaroom.europa.unibas.ch.

12 | Global vernetzt
Abb. 3 — Louis Carrogis de Carmontelle (1717–1806), Mme. Brissard, ca. 1760er Jahre (Ausschnitt). Das Porträt von Mme.
Brissard zeigt eine Tapete im chinesischen Stil. Der Raum ist durch das grosse Fenster mit dem Park eng verbunden. Das Porträt
dokumentiert die globale Übernahme chinesischer Stilelemente und deren Integration in das Ensemble eines Hauses. Mit Dank
an Emile de Bruijn für den Hinweis. — Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2021, RCIN 913117.

                                                                                                            Global vernetzt | 13
pete aus Maulbeerbaumpapier aus. Sol-       duell unterschiedlich intensiv koloriert.1
che Tapeten waren seit der Mitte des 18.    Der heutige Zustand der Tapeten lässt
Jahrhunderts zunächst im alten chinesi-     nur noch ansatzweise erahnen, wie far-
schen Druckerzentrum Suzhou und dann        benfroh der Raum ursprünglich aus-
in Kanton (Guangzhou) hergestellt wor-      sah. Vergleichsbeispiele lassen darauf
den. Diese für den europäischen Markt       schliessen, dass wir uns als Hintergrund
hergestellten, kostbaren chinesischen       ein gebrochenes Weiss vorzustellen ha-
Exportartikel kamen als Rollen in ganzen    ben, auf dem die Grün- und Blautöne so-
Bündeln auf den Schiffen der Britischen,    wie kräftiges Rot umso leuchtender her-
Niederländischen, Französischen, Däni-      vortraten.
schen, Schwedischen und zuletzt auch
Preussischen       Ostindien-Kompanien      Das Chinazimmer in der Sandgrube
nach Europa. In London, Amsterdam, Lo-      In Basel wurden die Tapetenbahnen auf
rient, Hamburg, Kopenhagen oder auch        insgesamt vierzehn Paneele aufgezo-
Paris wurden die Schiffsladungen in Auk-    gen, mit denen das Leislersche Boudoir
tionen verkauft und neben Porzellanen,      bis heute ausgekleidet ist. Auf jedem
Gewürzen und Farben auch Tapeten an-        dieser Paneele windet sich ein Ast oder
geboten. Diese wurden von Händlern für      Baum mit Blüten und Früchten empor.
die reichen europäischen Konsumenten        Wir sehen exotische Pflanzen und Vögel,
erworben und dann vor Ort in den Häu-       die Glück bringen sollen: Päonien stehen
sern von fachkundigen Tapezierern an        für Reichtum und Schönheit, Magno-
die Räume angepasst und montiert. Vor       lien für Schönheit und Tugend, Hibiskus
allem die englische Forschung hat in den    für Ruhm und Reichtum, Kiefern für ein
letzten Jahren solche Tapeten als globa-    langes Leben, Bambus für Fröhlichkeit
le Waren entdeckt und am Beispiel eng-      und Litschis für Kindersegen. Die Vogel-
lischer und irischer Landhäuser, die sich   paare, die fast immer im unteren Teil der
heute im Besitz des National Trust be-      Paneele stehen oder sitzen, evozieren
finden, neue Erkenntnisse über Details      chinesische Vorstellungen eines glück-
der chinesischen Produktion ebenso wie      lichen Lebens und rufen Assoziationen
über die Verwendung der Tapeten in Eng-     zu Darstellungen europäischer Paradies-
land und Irland und deren Montage durch     gärtlein auf: Mandarinenten stehen für
englische Tapisseure herausgearbeitet.      Eheglück, Pfauen für Würde und Krani-
Die chinesischen Kunsthandwerker hat-       che für ein langes Leben. Die stilisier-
ten für die Herstellung der Tapeten ein     ten Steine und Felsen unterstreichen
ganzes Arsenal von Druckstöcken zur         diese Bedeutung. Die Kombination von
Auswahl, die einer festgelegten Gram-       Blumen oder Früchten mit spezifischen
matik guter Wünsche folgten. Nach dem       Vögeln lassen sich als Segenswünsche
Druck wurden die Tapeten von Hand mit       lesen: So bedeutet die Verbindung von
leuchtenden, zum Teil kostbaren Farben      Lotusblume und Reiher etwa «auf dem
ganz unterschiedlicher Herkunft indivi-     Lebensweg immer höher steigen», wäh-

14 | Global vernetzt
rend die Kombination von Päonie und
Wildapfel den Wunsch zum Ausdruck
bringt «Möge dein Haus in Ansehen und
Reichtum stehen.»2 Im Umgang mit dem
fragilen und kostbaren Material erwiesen
sich die Basler Tapezierer als geschickte
Handwerker. Sie passten die aus China
gelieferten Bahnen auf die (Raum-)Be-
dürfnisse ihrer Kundschaft an, ergänzten
und rekombinierten Motive und schnitten
Blumen und Vögel aus nicht montiertem
Material aus, die sie kunstvoll in die be-
stehenden Tapeten integrierten. Damit
entstand ein auf den jeweiligen Ort spe-
zifisch zugeschnittenes transkulturel-
les Ensemble, das auf die Zeitgenossen
einen spektakulären Eindruck gemacht
haben muss. Ursprünglich erstrahlte
das Zimmer in leuchtenden Farben, die        Abb. 4 — Sandgrube, Chinazimmer im 1. Stock. Eines der
mit dem aufwendig gestalteten Barock-        vierzehn Paneele zeigt ein Pfauenpaar, dessen Federn mit
                                             kostbarem Malachitgrün ausgemalt wurden. Ein zweites
garten korrespondierten, auf den das         Paneel mit der gleichen Konfiguration wurde bei der
Privatgemach der Hausherrin den Blick        Montage von den Tapisseuren getrennt und die ursprüng-
                                             lichen Formate an den Raum angepasst. — Foto: Kantonale
freigab. Eindrucksvoll unterstrichen sie     Denkmalpflege Basel-Stadt, Erik Schmidt, 1989.

damit zugleich den Charakter des Hau-
ses als Sommerpalais.                        tionalstaat, Kriege und Weltkriege in
     Heutzutage sind die Tapeten aus         grenznaher Lage und schliesslich sogar
konservatorischen Gründen nicht mehr         die massive Verdichtung der Stadt mit
öffentlich zugänglich und der Raum           ihrem stark wachsenden Bedarf nach
darf derzeit nicht mehr benutzt wer-         Wohnraum und Raum für öffentliche Ge-
den. Umso bemerkenswerter ist es, wie        bäude wie Schulen und den damit ein-
lange die Drucke und Farben auf fragi-       hergehenden Bodenpreissteigerungen.
lem Papier die wechselvollen Zeitläufte      Dieser Prozess führte zwischen 1930
bis in die Gegenwart überdauert haben.       und 1970 in Basel zum Abbruch zahlrei-
Im 18. Jahrhundert aus Guangzhou auf         cher Barockpalais und Sommerhäuser.
ein Schiff aus dem Westen verladen           Die seit 1931 im öffentlichen Besitz be-
und anschliessend in einem europäi-          findliche Sandgrube entging der Zer-
schen Hafen verkauft, überstanden die        störung, indem das ehemalige Leisler-
Tapeten die Französische Revolution          sche Sommerpalais 1956 als Kantonales
und ihre Folgen, den Umbau der Eidge-        Lehrerseminar eröffnet und seine Ge-
nossenschaft zu einem modernen Na-           schichte als denkmalgeschützter öffent-

                                                                                      Global vernetzt | 15
licher Raum neu erzählt wurde. In dieser     dieser fragilen Gebrauchsartikel mit der
Transformationsphase entstanden zwei         Zeit verschwanden, ist deren Präsenz an
bemerkenswerte Darstellungen zur Ge-         so unterschiedlichen Orten wie Québec
schichte der Sandgrube. Das Manuskript       und St. Petersburg, London und Paris
des Bandfabrikanten Emil Seiler-La Ro-       bemerkenswert.
che, Die Geschichte der Sandgrube und            Nach wie vor müssen Fragen zum
die Anwohner der Riehenstrasse, wurde        Chinazimmer der Sandgrube offen-
im Jahr 1925 abgeschlossen. Es erzählt       bleiben: Bislang konnten wir nicht ab-
die Geschichte der Sandgrube als priva-      schliessend klären, auf welchem Schiff
tes Wohnhaus und Treffpunkt der Basler       genau die Tapeten nach Europa gelang-
marchands-fabriquants in einem Mo-           ten, auf welchen Wegen und zu welchem
ment, als das Haus erstmals an Fremde        Zeitpunkt genau Bauherr Achilles Leisler
vermietet wurde. Der Basler Kunsthisto-      in den Besitz der Tapeten kam und wer
riker Paul Ganz publizierte 1961 die erste   genau die Maulbeerbaumtapeten in der
(und bislang einzige) wissenschaftlich       Sandgrube auf die spezifischen Verhält-
fundierte Geschichte der Sandgrube,          nisse vor Ort anpasste und sie montierte.
die in ihrer Breite und Präzision bis zum    Ebenso schwierig ist die Klärung der Fra-
heutigen Tag grundlegend bleibt.3 Ganz       ge, ob die verschiedenen Betrachter und
dokumentierte die Transformation der         Betrachterinnen in der chinesischen Flo-
Sandgrube vom Privatbesitz zum Denk-         ra und Fauna lediglich eine schöne De-
mal der Basler Barockarchitektur eben-       koration sahen oder vielmehr glaubten,
so wie den Übergang von Leislers Villa       ein authentisches Stück China an den
zum öffentlich genutzten Raum. In der        Rhein geholt zu haben. Auch Seide, Sand,
wechselvollen Geschichte des Hauses          Papier wird diese Fragen nur teilweise
ist das Überleben des Chinazimmers           beantworten können. Der globalhisto-
besonders hervorzuheben. Die Tapeten         risch informierte Blick auf die Sandgrube
wurden weder überstrichen noch über-         und ihre Bewohner und Bewohnerinnen
klebt, so dass das Chinazimmer heu-          eröffnet am lokalhistorischen Beispiel
te in seiner unterdessen verblichenen        dennoch viele neue faszinierende Per-
Schönheit zu den wenigen vollständigen       spektiven.
Ensembles aus dem 18. Jahrhundert ge-
hört, die weltweit erhalten geblieben        Zur Perspektivierung von materieller
sind. Dass die chinesischen Tapeten im       Kultur in der Mikroglobalgeschichte
Verlauf der letzten gut zweihundertfünf-     Die Globalgeschichte hat in den letzten
zig Jahre trotz aller turbulenten Verän-     Jahren neue Zugänge zum Verständnis
derungen weiterhin auf Interesse sties-      einer global vernetzten Welt ermöglicht
sen, ist bemerkenswert und mag damit         und grenzübergreifende Austausch-
zusammenhängen, dass sie wie in der          prozesse in den Blick genommen. Da-
Sandgrube ein Stilmerkmal von globa-         mit ist ein neues Interesse an den Din-
ler Bedeutung aufnahmen. Obwohl viele        gen erwacht, die seit den Anfängen der

16 | Global vernetzt
Globalisierung in wachsenden Mengen        Historikerinnen zu neuen Überlegungen
zwischen verschiedenen Kulturen und        veranlasst und zur Verbindung von Glo-
Kontinenten ausgetauscht und gehan-        bal- und Mikrogeschichte geführt. Die
delt wurden. In mikrohistorischer Per-     Merkmale der Globalgeschichte — durch-
spektive betrachtet, können globale        lässige Grenzen, die Verbindung bislang
Objekte Auskunft über ihre Herstellung     getrennter Analyseebenen, neue For-
ebenso wie über ihre Verwendung in         men von connecting oder networking
neuen kulturellen Zusammenhängen ge-       power — verändern das Gefüge von Raum
ben.4 Eine solche Globalgeschichte inte-   und Zeit viel deutlicher, als wir bislang
ressiert sich für Fragen der Produktion,   angenommen haben. Welche Konse-
des Konsums und der Zirkulation dieser     quenzen dies vor Ort für die Akteure und
Objekte. Sie fragt nach lokalen Ausprä-    für deren Selbstverständnis hatte, gilt
gungen des globalen Konsums und dem        es an konkreten Beispielen darzustel-
Zugang zu weltweiten Märkten und sie       len. Bislang haben weder Basel noch die
interessiert sich für den Wissenstrans-    Schweiz für die mikroglobale Perspekti-
fer und die Praktiken im Umgang mit        ve und die Auswahl lokaler Fallbeispiele
einzelnen Objekten und ganzen Waren-       eine entscheidende Rolle gespielt. Zu
gruppen. Sie bietet für ein Ensemble wie   gering erschien der Beitrag im Vergleich
das Chinazimmer in der Sandgrube auf-      mit den europäischen Hauptstädten und
schlussreiche neue Fragen und eröffnet     den weltumspannenden Imperien, zu
neue Zugänge zu bislang nicht verfügba-    einladend war die Annahme, dass eine
ren Informationen. Gleichzeitig schafft    transnationale Schweiz letztendlich die
sie die Möglichkeit, die Netzwerke der     Schaffung des modernen Bundesstaates
Erbauer, Eigentümer und Bewohner und       voraussetzte. Im Blick auf die Sandgrube
Bewohnerinnen der Sandgrube und ihrer      und Basel kristallisiert sich allerdings zu-
Familien auf ihre überregionalen, bis-     sehends ein mikroglobales Fallbeispiel
weilen sogar globalen Zusammenhän-         heraus, mit dem sich Raum und Zeit auf
ge hin zu befragen. Das Chinazimmer in     faszinierende Weise neu zueinander in
der Sandgrube mit seiner chinesischen      Beziehung setzen lassen.
Maulbeerbaumtapete und vor allem die
Geschichte seiner Bewohner und Be-             In einer solchen Forschungsper-
wohnerinnen erlauben es, über mehr         spektive materialisiert das Chinazimmer
als zweihundertfünfzig Jahre eine Ge-      den Erfolg einer weltweit tätigen Gruppe
schichte intensiver Interaktionen zwi-     von marchands-fabriquants, die als In-
schen dem Lokalen und dem Globalen         diennes- und Seidenbandhändler nicht
für Basel zu recherchieren.                nur glänzende Geschäfte machten, son-
    Die Annahme, dass globale Objekte      dern in einer die new history of capitalism
und Netzwerke notwendigerweise in der      zusehends interessierenden Weise vom
jeweiligen lokalen Umgebung ihre Spu-      Weltmarkt profitierte und diesen mitge-
ren hinterlassen, haben Historiker und     staltete.

                                                                          Global vernetzt | 17
Abb. 5 — Sandgrube. Das 1752/53 fertiggestellte Sommer-
haus des Seidenbandfabrikanten Achilles Leisler und seiner   dert keineswegs. Die globale Perspektive
Frau Marie Leisler-Hoffmann. — Foto: Europainstitut Basel.
                                                             kann vielmehr auf der lokalen Ebene ei-
                                                             nen komplexen Transformationsprozess
    Eine mikroglobale Perspektive ver-                       offenlegen, der zeigt, wie vormoderne
leiht auch jenen Akteuren Gesicht und                        Netzwerke in die Institutionen des Natio-
Stimme, die, wie der Erbauer der Sand-                       nalstaates übersetzt wurden, auch wenn
grube, Achilles Leisler, für lange Zeit aus                  die protestantische Internationale des
dem Blickfeld der Geschichtsschreibung                       18. Jahrhunderts und die transnationalen
verschwunden sind. Mehr noch lässt der                       Missionsgesellschaften des 19. und 20.
Blick auf globale Netzwerke ein Bild des                     Jahrhunderts einer unterschiedlichen
18. Jahrhunderts entstehen, bei dem                          institutionellen Logik folgten, und auch
Basel über die europäische Vernetzung                        das Direktorium der Kaufmannschaft
der Banque protestante hinaus zu einem                       aus dem 18. Jahrhundert mit einer mo-
Knotenpunkt im Netz der zunehmend                            dernen Handelskammer auf den ersten
global agierenden protestantischen In-                       Blick wenig zu tun hat. Der mikroglobale
ternationale avancierte. Die damit ent-                      Zugang erlaubt so auf neue Weise Konti-
standenen, grundlegenden Strukturen                          nuitäten zu thematisieren und diese mit
verschwanden im 19. und 20. Jahrhun-                         der gängigen Periodisierung gegenzu-

18 | Global vernetzt
prüfen. So korrigiert die Geschichte der     innenpolitisch eine Schwächung globa-
Sandgrube die Annahme, dass erst das         ler Kompetenzen nach sich, zumal Welt-
19. Jahrhundert mit Dampfkraft und Te-       markt und Imperialismus in der zweiten
legrafie Distanzen schrumpfen liess und      Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer Wei-
damit «a world connecting» ermöglich-        se amalgamierten, die dem republikani-
te. In einer mikroglobal ausgerichteten      schen Kleinstaat scheinbar nur geringe
Globalgeschichte sind Periodisierungen       Bedeutung attestierte? Oder lassen sich
anders getaktet und Grenzziehungen           die weitreichenden globalen Verknüp-
zwischen Epochen folgen nicht notwen-        fungen Basels als Beispiel dafür nutzen,
digerweise einer modernisierungsorien-       dass eine neue Geschichte des Kapitalis-
tierten Entwicklungsgeschichte. Dieser       mus neben der Betonung des Güterkon-
unterschiedliche Blick bringt bislang sel-   sums auch zusehends das Merkmal des
ten berücksichtigte, lokale Akteure (und     Transithandels und des Ausbaus weitrei-
Kleinstaaten) in den Vordergrund. Er         chender Transitkorridore diskutiert und
hebt weniger die territoriale Expansion      dabei auch die dunklen Seiten des Sys-
hervor, sondern interessiert sich mehr       tems berücksichtigt hat?5 Die neueste
für das historisch unterschiedlich aus-      Literatur zur Globalgeschichte erzählt
geprägte Potenzial, Netzwerke zu knüp-       die Formen globalen Wirtschaftens zu-
fen und connecting power zu entwickeln.      nehmend aus einer personen- und fa-
Für das 19. und 20. Jahrhundert bleibt       milienbezogenen Perspektive.6 Zur Ge-
der moderne Nationalstaat ohne Zweifel       schichte der Objekte gehören jene, die
ein wichtiger Akteur. Aber aus einer mi-     diese brauchen, nachfragen, herstellen
kroglobalen Perspektive rücken bereits       und schliesslich auch beschaffen. Mit
bestehende, weitreichende, aber infor-       Leislers Sommerhaus lässt sich doku-
melle Netzwerke stärker in den Blick, die    mentieren, wie sich kosmopolitische
bei der Etablierung moderner Staatlich-      Netzwerke verschoben und veränderten
keit und Institutionen in ein neues Regel-   — und wer dabei in Vergessenheit geriet.
werk «übersetzt» wurden.
                                             Vom Verschwinden der Leisler und
    Der Umbau der Eidgenossenschaft          dem Durchhalten der Sandgrube
zur modernen Schweiz kann aus der            Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war
Sicht regional bestehender Netzwer-          die Sandgrube als verstecktes Arkadien
ke mit globaler Reichweite neu gedacht       beinahe aus dem Blickfeld der Öffent-
werden: Gerieten die Basler marchands-       lichkeit verschwunden. Noch schlech-
fabriquants beim schweizerischen Na-         ter erging es ihrem Erbauer, dem Bas-
tion Building ins Hintertreffen, nachdem     ler Oberstzunftmeister Achilles Leisler.
sie sich zuvor noch so erfolgreich der       Ohne Nachkommen verstorben, traf
Marginalisierung im napoleonischen           ihn das Verdikt von Daniel Burckhardt-
Kontinentaleuropa entzogen hatten?           Werthemann, der als letzter Bewohner
Zieht moderne Staatsbildung zumindest        des von Leislers Schwager zum Barock-

                                                                          Global vernetzt | 19
palais ausgebauten Württembergerho-         nen Barockbau, den Markus Weiss, der
fes 1938 über die Basler Leisler urteil-    Schwager und Geschäftspartner von
te: «Kaltherzige Geldmenschen neigen        Achilles Leisler, erst zu dem gemacht
fast immer zur Prachtliebe, die sich zum    hatte, was Burckhardt-Werthemann
Protzentum zu steigern pflegt, wenn         nach dessen Abriss und dem Neubau
keine ererbte Geisteskultur vorhanden       des heutigen Kunstmuseums schmerz-
ist. Die Basler Leisler männlichen und      lich vermisste. Ein ähnlich negatives
weiblichen Geschlechts sind dafür Be-       Bild hatte schon der Kleinbasler Chro-
leg: Wer eine der reichen Leisslerinnen     nist Lindner, ein Zeitgenosse von Achil-
heiratete, mußte im Laufe des achtzehn-     les und Mitarbeiter von Emanuel Ryhi-
ten Jahrhunderts wohl oder übel zum         ner beim Tod des Oberstzunftmeisters
Bauherrn modernen Geschmacks wer-           gezeichnet, als er erklärte, Achilles sei
den, so Markus Weis, Emanuel Ryhiner        «wenig betrauert» gestorben. Ganz an-
und Johannes Faesch. Den Vogel ab-          ders die Würdigung eines anderen Zeit-
geschossen hat wohl Achilles Leissler-      genossen, Peter Ochs, Ratschreiber und
Hoffmann, der letzte männliche Ver-         Anführer der bürgerlichen Revolution in
treter des monumental gesinnten, erst       Basel. Er hielt in seiner achtbändigen Ge-
zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts        schichte der Stadt und Landschaft Basel,
(1675) ins Bürgerrecht aufgenommenen        deren ersten Band Ochs 1786 übrigens
Geschlechts. […] Beim jungen Leissler       der Fürstin Friederike Auguste Sophie
ging alles im Schnellposttempo. Im Alter    von Anhalt-Zerbst widmete, fest: «Isak
von 22 Jahren heiratete er; im Alter von    Iselin, mein Vorfahr, mein Freund und
noch nicht 30 Jahren verführte ihn sein     mein Lehrer, schrieb die Geschichte der
Geltungstrieb, durch den gleich ihm noch    Menschheit; sein Nachfolger, sein Ver-
jugendlichen Architekten J.J. Fechter       ehrer, sein Schüler liefert die Geschichte
den Wunderbau eines Landhauses, der         des kleinsten Theils derselben.»8 Als er
‘Sandgrube’, hinstellen zu lassen. Es       etwas später die Leser und Leserinnen
hat ihn offenbar gejuckt, mit seiner aus    über seine Quellen informierte, nannte er
dem öden Rebgelände wie durch einen         explizit die «Leißlerische[n] Manuskrip-
Zauber entstandenen Schöpfung mög-          ten. Der unlängst verstorbene Oberst-
lichst rasch vor die erstaunten Mitbür-     zunftmeister hatte aus verschiedenen
ger zu treten; sonst hats der alte Basler   Standesbüchern Auszüge und Register
nicht geliebt, im Scheinwerferlicht zu      gemacht. Als ein Denkmal seiner Ach-
stehen.»7                                   tung sind sie mir verehrt worden.»9

   Dieses insgesamt doch sehr negati-          Damit wurde Achilles Leisler, der Sei-
ve Urteil über die Leisler erstaunt umso    denbandfabrikant, Deputat und Oberst-
mehr, als Burckhardt-Werthemann weh-        zunftmeister, über das von ihm zusam-
mütig auf seine Kindheit und Jugend im      mengestellte Material Teil der Basler
Württembergerhof zurückschaute, je-         Geschichtsschreibung. Umso auffälliger

20 | Global vernetzt
ist, dass es heute weder von Achilles        zugehörigen Landbesitzes und den wei-
noch von seiner Frau, Marie Leisler, Por-    ten Blick auf die Höhenzüge jenseits des
träts gibt, deren Verbleib aktuell bekannt   Rheins gebracht, gehört das Leislersche
wäre. Wie noch dargestellt wird, ist von     Sommerhaus mittlerweile zum Kanon
Achilles immerhin die Fotografie eines       der barocken Basler Architektur, zusam-
Porträtmedaillons im Staatsarchiv und        men mit weiteren Highlights wie dem
in verschiedenen Publikationen über-         Ramsteinerhof, dem Holsteinerhof, dem
liefert. Es handelt sich wohl um jenes       Wildtschen Haus oder dem Weissen und
Miniaturporträt an einem Armband, das        Blauen Haus.
seine Frau in ihrem Testament explizit
erwähnte.10 Ein Bild von Marie Leisler       Lokal-global — die Sandgrube und ihre
hingegen fehlt bislang. Und dies obwohl      Bewohner und Bewohnerinnen
gemäss lokaler Überlieferung die Über-       Ausgehend von einem Zimmer und sei-
sendung aller Familienbildnisse nach         nen Bewohnern und Bewohnerinnen
Hanau an die Leislerschen Verwandten         erzählt Seide, Sand, Papier in den fol-
in männlicher Linie, die Marie in ihrem      genden Kapiteln die Geschichte eines
Testament vorgesehen hatte, von ihrer        Ortes und seiner globalen Vernetzungen
Schwägerin, Elisabeth Ryhiner-Leisler,       und Verstrickungen über mehr als 350
verhindert worden sein soll.11               Jahre. Es ist eine Geschichte, die von
                                             ebenso erstaunlichen Kontinuitäten wie
    Mit dem Transfer der Sandgrube in        dramatischen Brüchen und schleichend
den Besitz der Öffentlichkeit änderte        eingetretenen Strukturwandlungen han-
sich die Rolle des ehemaligen Landhau-       delt. Es ist zugleich eine Geschichte, in
ses nochmals grundlegend. Das gab An-        der Familien, Netzwerke und Dinge eine
lass, seine historische Bedeutung neu        wichtige Rolle spielen, aber auch Weltof-
zu reflektieren. In den Jahren zwischen      fenheit, Traditionsbewusstsein und Dis-
1930 und 1950, als in Basel immer mehr       tinktionswille. Das zweite Kapitel verfolgt
Barockbauten dem Abriss zum Opfer fie-       die Geschichte der zur «calvinistischen
len, wurde ausgerechnet Leislers Villa       Internationale» gehörenden Immigran-
zur «schönsten Barockanlage Basels»          tenfamilie Leisler und ihren wirtschaft-
und dokumentierte in vielfacher Weise,       lich und gesellschaftlich erfolgreichen
was ein Rezensent treffend als «grundle-     Aufstieg in Basel am Ende des 17. und
gende Umschichtung historischer Werte        im 18. Jahrhundert. Ihre Integration in
und menschlicher Lebensformen» be-           die Basler Elite führte schliesslich Mitte
zeichnete, indem er die Rolle des Staa-      des 18. Jahrhunderts zum Bau der Sand-
tes als «sozialer Hüter kultureller Über-    grube, die ganz im Zeichen modischen
lieferung» würdigte.12 In den 1950er         Luxuskonsums mit einem exotischen
Jahren in einer Reinvention of Tradition     Chinazimmer ausgestattet wurde. Das
von seinen Anbauten aus dem 19. Jahr-        dritte Kapitel erzählt mit Blick auf die Fa-
hundert befreit und um grosse Teile des      milie Leisler und deren Schwiegerfami-

                                                                            Global vernetzt | 21
lien Weiss und Ryhiner von der grossen       bauten und der von ihnen umschlosse-
Transformation der Basler Wirtschaft         ne Garten sorgsam renoviert und das
im Zeichen technischer Innovation,           Ensemble Teil der Kunstdenkmäler der
wachsender Bedeutung der Seiden-             Schweiz. An einem Ort der Vermittlung
bandverlage und dem Aufkommen der            europäischer Bildung schien die Histo-
Indienneindustrie. Es stellt den Bau der     rizität des Globalen zu verblassen wie
Sandgrube in den Kontext des barocken        die Tapeten im Chinazimmer, das nun
Umbaus von Basel und thematisiert das        als Büro des Direktors benutzt wurde.
Aufkommen einer eigentlichen China-          Doch in einer zusehends digital vernetz-
und Chinoiserienbegeisterung in einigen      ten Welt bietet Leislers Sommerhaus mit
führenden Handels- und Fabrikantenfa-        seiner wechselvollen Geschichte glo-
milien. Das vierte Kapitel diskutiert am     baler Vernetzung einen nahezu idealen
Beispiel der chinesischen Tapeten, wie       Denkraum für jene, die mit den globalen
globale Konsumgüter einen neuen Stil         Herausforderungen des 21. Jahrhun-
prägten, der in Europa kopiert und ad-       derts konfrontiert sind.
aptiert wurde, und wie Leisler und sein
Schwager Weiss-Leisler in unterschied-
licher Weise französische Interieurs mit
chinesischen Tapeten und Chinoiserien
kombinierten. Das fünfte Kapitel stellt
die Sandgrube als Familiensitz der Me-
rians und Treffpunkt einer Grossfamilie
vor und zeigt, wie der Landsitz mit der
Verwandlung Kleinbasels zum modernen
Verkehrsknotenpunkt als idyllisches Ar-
kadien aus der Zeit zu fallen drohte, wäh-
rend sich gleichzeitig die Basler Museen
mit Objekten aus Asien füllten und eine
neue Generation von Unternehmern aus
Basel nach Asien aufbrach. Mit dem Ver-
kauf der Sandgrube an den Staat im Jahr
1931 setzte ein grundlegender Transfor-
mationsprozess ein. Im sechsten Kapi-
tel wird dargelegt, wie die Sandgrube
vom privaten Landsitz zum öffentlichen
Raum umdefiniert wurde und fortan zum        Abb. 6 — Tapeten mit Vögeln und blühenden Bäumen, 18. Jahr-
ausführlich dokumentierten13 kulturellen     hundert. Die chinesischen Tapeten waren im 18. Jahrhundert
                                             als kostbares Interieur weit verbreitet. Sie prägten einen glo-
Erbe Basels gehörte. Als die Sandgrube       balen Stil, der mehrfach adaptiert und transformiert wurde
im Jahr 1956 als Kantonales Lehrersemi-      und auch im 21. Jahrhundert seine Spuren hinterlässt. —
                                             G. Broudic, Musée de la Compagnie des Indes, Ville de
nar eröffnet wurde, waren die Barock-        Lorient, ML-181-E.

22 | Global vernetzt
13 Thomas Lutz, Die Altstadt von Kleinbasel.
Anmerkungen
                                                        Profanbauten, Die Kunstdenkmäler der Schweiz,
                                                        Bd. 6, Basel 2004; Martin Möhle, Die Altstadt von
1     Helen Clifford, «Chinese Wallpaper. From
                                                        Grossbasel II. Profanbauten, Die Kunstdenkmä-
Canton to Country House», in: The East India
                                                        ler der Schweiz, Bd. 8, Basel 2016; Hans-Rudolf
Company at Home 1757–1857, hg. von Margot Finn
                                                        Heyer, Der Bezirk Arlesheim, Kunstdenkmäler des
und Kate Smith, London 2018, 39–67; Emile de
                                                        Kantons Basel-Landschaft, Bd. 1, Basel 1969.
Bruijn, Chinese Wallpaper in Britain and Irland,
London 2017; Friederike Gabriele Wappen-
schmidt, Chinesische Tapeten für Europa. Vom
Rollbild zur Bildtapete, Berlin 1989.
2     Zit. nach Uta Feldges, Alfred Wyss, Erwin
Oberholzer, «Zur Restaurierung einer Chinesi-
schen Tapete im Haus 'Sandgrube' in Basel: das
Haus 'Sandgrube' und die Herkunft der Chinesi-
schen Tapete aus dem 18. Jahrhundert», in: Zeit-
schrift für Kunsttechnologie und Konservierung 15,
Nr.1 (2001), 34–46, hier 35.
3     Emil-Rudolf Seiler-La Roche, Die Geschichte
der Sandgrube und die Anwohner der Riehenstras-
se, Typoscript, Basel 1926; Paul Leonhard Ganz,
Die Sandgrube. Von einem Basler Landsitz zum
Kantonalen Lehrerseminar, Basel 1961.
4     Anne Gerritsen und Giorgio Riello, «The
global lives of things: material culture in the
first global age», in: The Global Lives of Things.
The Material Culture of Connections in the Early
Modern World, hg. von Anne Gerritsen und Gior-
gio Riello, London, New York 2016, 1–29; Maxine
Berg, «Introduction», in: Goods from the East,
1600–1800: Trading Eurasia, hg. von Maxine Berg
u.a., Basingstoke 2015, 1–6, hier 4.
5     Lea Haller, Transithandel: Geld- und Waren-
ströme im globalen Kapitalismus, Berlin 2019.
6     Als neuestes Beispiel siehe Emma Roth-
schild, An Infinite History: The Story of a Family in
France over Three Centuries, Princeton, Oxford
2021.
7     Daniel Burckhardt-Werthemann, Blätter der
Erinnerung an Baslerische Landsitze, Basel 1938, 1.
8     Peter Ochs, Geschichte der Stadt und Land-
schaft Basel, Bd. 1, Basel 1786, I.
9     Ebd., XIII.
10 Vgl. Kap. 02, Abb. 19, S. 60.
11 Ganz, Sandgrube (wie Anm. 3), 21–22.
12 Ernst Murbach, «Die schönste barocke An-
lage in Basel. Der Herrschaftssitz ‘Die Sandgrube’
ist wiederhergestellt», in: Unsere Kunstdenk-
mäler. Mitteilungsblatt für die Mitglieder der Ge-
sellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte 11
(1960), 8–11, hier 8.

24 | Global vernetzt
Global vernetzt | 25
Die Leisler
in Basel
Eine kosmopolitische
Migranten­familie, 1658–1795

02
Drei Generationen Leisler prägten von der Mitte
des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Ent-
wicklung Basels im Zeitalter der Verlagsindustrie
entscheidend mit. Aus einer Familie von Juristen
und Theologen gebürtig, brachte Franz, der erste
Leisler in Basel, ebenso internationale wie kosmo-
politische Beziehungen mit. Er integrierte sich
schnell in die lokale Elite und wurde zum Inbegriff
des neuen Typus des marchand-fabriquant-banquier.
Sein Sohn Achilles I stieg zum bedeutendsten Seiden-
bandverleger in Basel auf. Der Enkel, Achilles II,
unterhielt florierende internationale Handelsbezie-
hungen, stiess in die politische Spitze der Stadt vor
und erbaute mit der Sandgrube ein Barockpalais,
das mit seinem Interieur den global orientierten
Konsum der Eliten exemplarisch zur Schau stellte.

Zehn Jahre nach dem Ende des Dreissig-                           sin-Burckhardt an. Bis Ende des 17. Jahr-
jährigen Krieges und fünf Jahre nach der                         hunderts stieg der erste Leisler in Basel
Niederschlagung des Schweizerischen                              vom Kaufmannslehrling zum Mitglied im
Bauernkriegs, die in Basel unter Bürger-                         Direktorium der Kaufmannschaft und
meister Wettstein besonders grausam                              Financier für den Württembergischen
ausfiel, traf im Jahr 1658 Franz Leisler                         Hof auf. Sein Sohn, Achilles I, baute die
aus Frankfurt im Haus zum Kardinal an                            Firma weiter aus und wurde als Zunft-
der Freien Strasse im wirtschaftlichen                           vorstand der Hausgenossen, zu denen
Zentrum von Basel ein.1 Der vierzehn-                            u.a. die Wechsler, Münzer, Goldschmie-
jährige Halbwaise trat hier seine Lehre                          de und Büchsenmacher gehörten, Mit-
im Geschäft des Kaufmanns Peter Sara-                            glied des Grossen Rats. Dessen Sohn,
Abb. 1 — Anonym, Porträt von Franz Leisler-Werthemann            Achilles II, der einzige Grosssohn des Fir-
(1644–1712), 1685. Das Bild zeigt den erfolgreichen Verleger-
Kaufmann mit dunkler Kleidung, schwarzer Allongeperücke
                                                                 mengründers in männlicher Linie, stieg,
und einer geränderten Krawatte, wie sie in Paris in den 1670er   wirtschaftlich ebenfalls sehr erfolgreich,
Jahren modisch waren. In der rechten Hand hält er als deut-
lichen Hinweis auf seine überregionalen Handelsnetzwerke         zum Oberstzunftmeister in Basel auf.
einen an «Monsieur François Leisler, Marchand à Basle»
adressierten Brief. — HMB 1983.657. © Historisches Museum
                                                                 Alle drei Generationen Leisler — Männer
Basel, Foto: A. Niemz.                                           wie Frauen — waren intensiv am Aufbau

                                                                                            Die Leisler in Basel | 29
Abb. 2 — Ausschnitt aus dem Basler Stadtplan von Matthäus
Merian, 1615. Gelb markiert das Haus zum Kardinal an der       kanischen und indischen Kontinent ge-
Freien Strasse. Der Firmensitz von Peter Sarasin-Burckhardt,
bei dem der junge Franz Leisler die Kaufmannslehre absol-      führt wurde und damit zugleich auch der
vierte, lag neben dem Zunfthaus der Wechslerzunft und ganz
in der Nähe des städtischen Kaufhauses, nicht weit entfernt
                                                               erste globale Krieg war. Dabei stellten
vom Marktplatz und Rathaus. — Staatsarchiv Basel-Stadt,        sich für die Basler Kaufleute und Fabri-
BILD 1, 293.
                                                               kanten auf den internationalen Märkten
                                                               immer wieder neue Herausforderungen.
einer frühkapitalistischen Wirtschaft in                       Wer agil reagierte, wie die Basler Leis-
Basel und deren Vernetzung in interna-                         ler, konnte mit etwas Glück unter diesen
tionale und globale Bezüge beteiligt. Sie                      Umständen ein Vermögen machen.
nutzten neue Organisationsformen wie
den Verlag, neue Produktionstechniken                          Calvinistische Vorfahren und die
wie die «Bändelmühle» und damit ein-                           protestantische Internationale
hergehende gesellschaftliche Transfor-                         Franz und seine Brüder, Jacob und Jo-
mationsprozesse ebenso geschickt wie                           hann Adam, waren die ersten Kaufleute in
die in einer Grenzstadt wie Basel immer                        der Familie. Ihr Vater und ihre Grossväter
wieder anfallenden «windfall profits» im                       waren Juristen, Theologen und Pfarrer
Schatten der zahlreichen Kriege; vom                           gewesen. Grossvater Jacob Leisler, hat-
Holländischen Krieg (1672–1679) über                           te nach einem Studium in Tübingen 1593
den Pfälzischen (1688–1697), den Spani-                        an der Basler Universität das Examen als
schen (1701–1714) und den Österreichi-                         Doktor «utriusque iuris» abgelegt.2 Spä-
schen Erbfolgekrieg (1740–1748) bis zum                        testens 1595 trat er in die Dienste des
Siebenjährigen Krieg (1756–1763), der als                      Grafen Gottfried von Oettingen. Inspiriert
Kampf um die Kolonien auf dem ameri-                           von dessen zweiter Ehefrau, Gräfin Bar-

30 | Die Leisler in Basel
bara, wurde Leisler zum Anhänger Cal-         mon Goulart, dem Nachfolger von Theo-
vins. 1614 wechselte er als Rechtsberater     dor Beza.4 Jacob Victorian war damit im
und Zivilankläger nach Amberg in den          Zentrum des internationalen Protestan-
Dienst von Fürst Christian I. von Anhalt-     tismus angekommen. In den folgenden
Bernburg, um «seine geliebten Kinder          Jahren wurde der junge Pfarrer für seine
[…] unter einem reformierten Fürsten          Unterstützung verfolgter französischer
aufwachsen» zu lassen.3 Christian I. war      Glaubensgenossen bekannt. 1635 be-
ein dezidierter Anhänger der reformier-       rief ihn die französisch-reformierte Ge-
ten Seite. Er hatte 1608 in der Oberpfalz     meinde der spanisch besetzten Stadt
als Statthalter die protestantische Union     Frankenthal zu ihrem Pfarrer. Schon 1637
unter Führung Friedrichs V. von der Pfalz     musste er die Stadt wegen Säuberun-
gegründet. Grossvater Jacob verfügte          gen durch die Spanier verlassen. Mög-
demnach als Beamter nicht nur über Zu-        licherweise dank verwandtschaftlicher
gang zum höfischen Milieu, sondern über       Beziehungen seiner Schwiegermutter
seinen Dienstherrn auch über Kontakte         erhielt er, «nachdem er sich gantz aus-
in die Spitze der protestantischen Politik.   gezehrt, eine geraume Zeit mit Weib
                                              und Kindt sich im Exilo aufgehalten»,
    Jacob Victorian, der Vater von Franz,     eine Anstellung als Pfarrer der französi-
wurde 1606 in Oettingen als jüngster          schen Gemeinde in Frankfurt.5 In seiner
Sohn von Jacob Leisler geboren. Wie           Frankfurter Zeit wurde Jacob Victorian
schon sein Grossvater studierte Jacob         Leisler in ganz Europa für seine Fund-
Victorian Theologie und wurde refor-          raising-Aktivitäten zugunsten bedürf-
mierter Prediger. Er immatrikulierte sich     tiger Flüchtlinge bekannt und konnte
zunächst 1623 in Altdorf, bevor er 1625       dank seiner familiären Verbindungen die
als Anhänger der Lehren von Theodor           Interessen reformierter Gemeinden vor
Beza zum Studium nach Genf ging. Dort         dem Reichstag und dem Brandenbur-
wurde er im folgenden Jahr, 1626, in der      gischen Kurfürsten vertreten. Bei den
deutschen reformierten Gemeinde or-           Friedensverhandlungen von Münster und
diniert und schliesslich 1632 als Pfarrer     Osnabrück profilierte er sich mit Ver-
angestellt. 1633 immatrikulierte er sich —    mittler- und Botendiensten für Adlige.6
mitten im Dreissigjährigen Krieg — mit        Es gelang ihm so, ein eigenes calvinisti-
einem vergleichsweise hohen Betrag            sches Netzwerk in ganz Europa und der
von 1 Pfd. an der Universität Basel. Im       atlantischen Welt aufzubauen. Mit Kol-
folgenden Jahr heiratete er in Genf Su-       legen und Glaubensbrüdern in London,
sanna Adelheit Wissenbach, die Tochter        Hamburg, Emden, Amsterdam, Nürnberg
des Regenten des dortigen Collegiums,         und Basel unterhielt er ein ausgedehn-
Professor Heinrich Wissenbach. Dank           tes Korrespondenznetzwerk.7 Für eine
dieser Heirat bestanden nun über die          intensive Vernetzung in die Verwaltungs-
Mutter seiner Frau, Catharina Aubert,         und Wirtschaftselite Frankfurts nutzte
verwandtschaftliche Beziehungen zu Si-        Pfarrer Leisler die Patenschaften seiner

                                                                         Die Leisler in Basel | 31
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