Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband

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Mieten + Wohnen   Nr. 6, Dezember 2021   www.mieterverband.ch

«Wohnen zur Miete»
Die grosse Umfrage
Seite 5–7
Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband
Editorial                                                  Inhaltsverzeichnis

Liebe Leser*innen                                          Aktuell Basel setzt beim Wohn-
                                                             schutz neue Massstäbe         3
                                                           Umfrage «Wohnen zur Miete»:
                                                             Die wichtigsten Ergebnisse    5
                                                           Zürich Reichen die Forderungen
                                                             der Stadt im Bergacker?       8
Falls Sie zu den 18 000 Personen gehören, die sich an
unserer Umfrage beteiligt haben – herzlichen Dank!
                                                           Interview Stadtforscher
In dieser Ausgabe präsentieren wir Ihnen nun die             Philippe Koch im Gespräch 12
Resultate. Was auffällt: Fast drei Viertel aller
Befragten hatten bei der letzten Wohnungssuche             Mietverträge Diese Klauseln
Mühe, etwas Bezahlbares zu finden. Das ist einer-
seits unglaublich viel. Anderseits zeigt es nur, was wir
                                                             können Sie vergessen         15
schon lange wissen: Es gibt in der Schweiz viel zu         Verlosung Gewinnen Sie das
wenig bezahlbaren Wohnraum. Dabei wären die
Mietenden eigentlich durch Verfassung und Gesetz             neue Buch von Elif Shafak    17
vor zu hohen Mieten geschützt. Solange das aber
niemand kontrolliert, können renditeorientierte
                                                           Miettipp Hilfe, das Haus wird
Immobilienbesitzende auf Verfassung und Gesetz               verkauft                     18
pfeifen und dank Renditen von 6, 7 oder noch mehr
Prozent Milliarden zu viel einstreichen.                   Hotline Darf ich eine Lichter-
    Es gibt aber eine erfreuliche Entwicklung in
dieser Sache: Das Bewusstsein der Mietenden dafür,
                                                             kette aufhängen?             21
was zu tun wäre, scheint zu wachsen. Das zeigt sich
in unserer Umfrage – aber nicht nur dort. In Basel
haben die Stimmberechtigten Ende November die
Wohnschutzinitiative angenommen, dank der die
Mietzinse nach Sanierungen künftig nur noch gering
erhöht werden dürfen. Mehr dazu im Text auf den
kommenden Seiten.
    Zum Schluss noch ein Anliegen in eigener Sache:
Sie lesen grad das Editorial des M+W, unserer Mit-
gliederzeitschrift, die sechsmal jährlich an alle Mit-
glieder verschickt wird. Beim Versand profitieren wir
von der indirekten Presseförderung, die einen Teil
                                                           Herausgeber                                Druck
der Portokosten übernimmt. Die Idee hinter dieser          Mieterinnen- und Mieterverband             Stämpfli AG, Bern
Förderung ist, die Presse- und Meinungsvielfalt in         Deutschschweiz                             Beglaubigte Auflage
                                                                                                      127 679 Exemplare
der Schweiz zu erhalten. Viele Publikationen wären         Redaktion                                  Erscheinen
ohne diese Förderung wohl längst weggespart                Andrea Bauer                               6-mal pro Jahr
worden, denn die Porti gehören zu den grössten             m+w@mieterverband.ch                       Abonnementspreis
                                                           www.mietenundwohnen.ch                     Fr. 40.–/Jahr
Posten im Budget einer Mitgliederzeitschrift. Am           Administration und ­Adressverwaltung       Inserate und Beilagen
13. Februar 2022 stimmen die Schweizer Stimmbe-            Mieterinnen- und Mieterverband             Katanja Schwander
rechtigten über das «Massnahmenpaket zugunsten             Deutschschweiz                             katanja.schwander@mieterverband.ch
                                                           Bäckerstrasse 52, 8004 Zürich              T 043 243 40 40
der Medien» ab, das eine Aufstockung der indirekten        T 043 243 40 40
Presseförderung beinhaltet. Ich freue mich, wenn           info@mieterverband.ch
Sie zu dieser Vorlage Ja stimmen und damit aner-           www.mieterverband.ch
                                                           Mitarbeit
kennen, dass die Verbandspresse wichtig ist für die        Walter Angst, Esther Banz, Ernst Feurer,
öffentliche Meinungsbildung in der Schweiz.                Urs Geiser, Fabian Gloor, Natalie
                                                           Imboden, Beat Leuthardt, Patric Sandri,
                                                           Reto Schlatter, Carlo Sommaruga
   Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre und einen           Gestaltungskonzept
   erholsamen Jahreswechsel. Bleiben Sie gesund!           Hubertus Design GmbH, Zürich               www.facebook.com/Mieterverband
   Andrea Bauer                                            Layout
                                                           Atelier Bläuer, Joel Kaiser, Bern
                                                           Titelbild
                                                           Patric Sandri                              Gedruckt in der Schweiz

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Aktuell           Text von Andrea Bauer

                   Sie liessen sich
                  nicht «verseggle»

                                              Foto: zVg

Mieten + Wohnen   Nr. 6, Dezember 2021    3
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Als erster Kanton in der                 Die Liegenschaft leerkündigen, ein wenig sanieren und
                                         die Wohnungen dann viel teurer vermieten? – Khasch
Deutschschweiz schiebt                   vergässe. Der Traum von der Renditesanierung gehört in
Basel-Stadt Rendite­                     Basel-Stadt schon bald der Vergangenheit an. Denn am
                                         28. November haben die Stimmberechtigten mit über
sanierungen einen Riegel.                53 Prozent die vom Mieterinnen- und Mieterverband
Die Annahme der Wohn-                    Basel-Stadt lancierte Initiative «Ja zum echten Wohn-
schutzinitiative ist ein                 schutz!» angenommen. 80 Prozent der Basler Wohnun-
                                         gen sind damit künftig vor Renditesanierungen ge-
Signal für die ganze                     schützt. Konkret dürfen die Mietzinse nach Sanierungen
Schweiz.                                 oder Umbauten nur noch moderat erhöht werden – eine
                                         4-Zimmer-Wohnung etwa darf nicht mehr als 160 Fran-
                                         ken teurer werden. Ausserdem gilt eine Bewilligungs-
                                         pflicht. Alte Liegenschaften dürfen nur noch in Aus­
                                         nahmefällen abgerissen und ersetzt werden.

                                            Steiniger Weg
                                            Basel ist der erste Kanton in der Deutschschweiz,
                                         der Bestimmungen einführt, um Renditesanierungen zu
                                         verunmöglichen. Ähnliche Regelungen gab es in den
                                         letzten Jahrzehnten nur in den Kantonen Genf und
                                         Waadt. Der Weg zu einem «echten Wohnschutz» für
                                         Basel war allerdings steinig. Dabei hatte eigentlich alles
                                         so gut begonnen: Am 10. Juni 2018 nahmen die Stimm-
                                         berechtigten gleich vier Miet-Initiativen an der Urne an.
                                         Darunter mit 61 Prozent Ja-Stimmen die Wohnschut­z­
                                         initiative, die eine Verankerung des Wohnschutzes
                                         in die Verfassung schrieb. Nach der ersten Euphorie
                                         wurde schon bald klar, dass die Umsetzung der Initiative
                                         hart erkämpft werden musste. Hauptsächlicher Streit-
                                         punkt war die Definition von «bezahlbarem Wohnraum»:
                                         Wie viele Wohnungen sollten unter dieses Label fallen
                                         und damit vor Renditesanierungen geschützt werden?
                                         Die Regierung arbeitete ein Gesetz aus, das nicht einmal
                                         einen Drittel aller Wohnungen einschliessen wollte.
                                         Der MV ergriff das Referendum dagegen und lancierte
                                         gleichzeitig eine Initiative, mit der vier Fünftel der
                                         Wohnungen geschützt sind: die «Initiative für echten
                                         Wohnschutz». Den Stimmberechtigten riet er im
                                         Abstimmungskampf, sich von der Regierung nicht
                                         «verseggle» zu lassen – mit Erfolg, wie wir mittler-
                                         weile wissen.
                                            Basel setzt mit seinem Wohnschutzgesetz neue
                                         Massstäbe beim Schutz der Mietenden und dient als
                                         Vorbild für den Rest der Schweiz. Der Mieterinnen- und
                                         Mieterverband eruiert gemeinsam mit den Kantonal­
                                         sektionen, wie in weiteren Kantonen und Städten ähnli-
                                         che Mietpreiskontrollen verankert werden können.

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Umfrage                Text von Andrea Bauer

                    So geht es den Mietenden

Wie schwierig war es bei
Ihrer letzten Wohnungs-
suche, ein geeignetes und be-
zahlbares Objekt zu finden?
Haben Sie Probleme mit Ihrer
Vermieterschaft (und wenn ja,
welche)? Haben Sie bei der
letzten Senkung des Referenz-
zinssatzes eine Mietreduktion
erhalten? Worauf soll der Miete-
rinnen- und Mieterverband
seine Arbeit künftig fokussieren?
Diese und weitere Fragen stellte
die Forschungsstelle Sotomo im
Herbst unseren Mitgliedern.
Rund 18 000 Personen aus allen
Landesteilen der Schweiz haben
geantwortet, entstanden ist
die erste grosse Mieter*innen-
Umfrage der Schweiz. M+W
hat die wichtigsten Ergebnisse
zusammengefasst.

Mieten + Wohnen        Nr. 6, Dezember 2021    5
Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband
Schwierige Wohnungssuche                                                                       der Hausordnung, Nachbarschaftskonflikten oder mit Sanie-
                                                                                                              rungen.
Die Schweiz ist mit einem Anteil von rund 60 Prozent ein Land                                                    Am meisten belastet die Mietenden jedoch die Angst vor
der Mietenden. Das macht die Wohnungssuche aber nicht ein-                                                    einer Kündigung. Danach gefragt, ob sie innerhalb der nächsten
facher. Für rund drei Viertel der Befragten gestaltete sich die                                               zwei Jahre eine Kündigung befürchten, antworteten 17 Prozent
letzte Suche nach einer bezahlbaren und geeigneten Wohnung                                                    der Befragten mit Ja. Hauptgrund für die Befürchtungen sind
schwierig (siehe Abbildung links).                                                                            Sanierungen (41 Prozent).
    Besonders schwierig war die Suche nach einem neuen
Zuhause in den grossen Städten. Aber auch unter den Befrag-                                                    Beziehung zur Vermieterschaft
­ten, die auf dem Land wohnen, gaben noch fast zwei Drittel                                                    Für über vier Fünftel der Befragten ist eine gute Beziehung
an, die letzte Wohnungssuche habe sich «eher schwierig» oder                                                   zur Vermieterschaft wichtig. Knapp die Hälfte bezeichnete
«sehr schwierig» gestaltet.                                                                                    diesen Aspekt sogar als sehr wichtig. Je älter eine Person
    Grössere Mühe als andere, eine passende Wohnung zu                                                         ist, desto wichtiger ist ihr ein gutes Verhältnis zu ihrer Ver-
finden, hatten Familien mit minderjährigen Kindern sowie                                                       mieterschaft: So bezeichneten 55 % der über 65-Jährigen dies
Personen, bei denen die Miete mehr als einen Drittel des                                                       als sehr wichtig, während es bei den 18- bis 35-Jährigen mit
Budgets ausmacht.                                                                                              34 Prozent deutlich weniger sind. Mehr zu dieser Zahl im
                                                                                                               Kommentar von Carlo Sommaruga (rechts).

                          Ungelöste Probleme
Auf die Frage, ob sie Probleme mit der Vermieterschaft hatten                                                                   Erfolg bei Anfechtungen
oder haben, antworteten 71 Prozent mit Ja. Die Top Five der
Probleme sind: Reparaturen/Unterhalt, Anspruch auf Mietzins-                                                  Wenn der Referenzzinssatz sinkt – und das tut er seit 2008
senkung, Beanstandung von Mängeln (z. B. Schimmel), Haus-                                                     unablässig –, haben die Mietenden einen Anspruch auf eine
ordnung/Pro­bleme mit der Nachbarschaft und Nebenkosten                                                       Reduktion ihres Mietzinses. Die meisten Vermieter*innen
(-abrechnung). Ein grosser Teil der Probleme waren zum Zeit-                                                  senken den Mietzins allerdings nicht unaufgefordert, wie die
punkt der Befragung ungelöst.                                                                                 Zahlen dazu zeigen.
    Es zeigt sich, dass nicht alle diese Probleme von den                                                        Lediglich 6 Prozent der Befragten gaben nämlich an,
Befragten als gleichermassen belastend angesehen werden.                                                      ihre Vermieterschaft habe die letzte Senkung des Referenz-
Überdurchschnittlich oft genannt und gleichzeitig als                                                         zinses im März 2020 von sich aus weitergegeben. 39 Prozent
überdurchschnittlich belastend angesehen wurden Probleme                                                      der Befragten forderten die Mietzinsreduktion ein, 42 Prozent
in Zusammenhang mit der Beanstandung von Mängeln,                                                             nicht (siehe Abbildung rechts).

Schwierigkeiten bei Wohnungssuche                                                                             Senkung Referenzzinssatz
«Wie schwierig war es bei Ihrer letzten Wohnungssuche, ein                                                    «Wie haben Sie auf die letzte Senkung des Referenzzinssatzes
bezahlbares Mietobjekt zu finden?»                                                                            (vom März 2020) reagiert?»
                                         Gesamt                                                                                         Anderes
                                                 34                   38                  21          7          Weiss es nicht mehr           10

                                         Nach Haushaltszusammensetzung
               Einpersonenhaushalt               33                  37                   22          8                                                                   39    Reaktion
                       Paarhaushalt          25                38                    27              10
Familienhaushalt mit Minderjährigen                   43                       38               14        4
Familienhaushalt ohne Minderjährige               36                      38               20         6                   Keine    42
                                                                                                                          Reaktion
                                                                                                                                                                 6
                                         Nach Stadt/Land
                                                                                                                                                                      Automatische Weitergabe
                       Grosse Stadt               39                      36               18         6                                                               durch Vermieterschaft
                          Kleine Stadt           31                  38                  23           8
                     Agglomeration               31                  39                   22         8                  Senkung bei Vermieterschaft
                                                                                                                        eingefordert und bekommen                                             57
                                 Land        26                 38                   26              10
                                                                                                                        Senkung bei Vermieterschaft
                                                                                                                  eingefordert und nicht bekommen                    17
   Sehr schwierig                        Nach Anteil Mietzins am Einkommen                                            Senkung bei Schlichtungsstelle        6
                                                                                                                        eingefordert und bekommen
   Eher schwierig              < 20%        23                38                    27               11               Senkung bei Schlichtungsstelle
   Eher nicht schwierig      20–30%          31                      39                   23          7           eingefordert und nicht bekommen
   Überhaupt nicht             > 30%                  43                       36              15     6                            Andere Reaktion                    20
   schwierig                         0%               25%           50%             75%              100%                                              0%       10%       20%   30%   40%   50%    60%

Mieten + Wohnen                                        Nr. 6, Dezember 2021                                                                                                                              6
Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband
Kommentar
   Dabei lohnt sich die Einforderung der Mietzinsreduktion,
wie die Zahlen zeigen: Von den 39 Prozent der Befragten, die
angaben, die Senkung eingefordert zu haben, waren 63 Prozent
                                                                 Unser Auftrag
erfolgreich.
   Interessant ist die Begründung derjenigen Befragten, welche
                                                                 ist klar
die Senkung nicht einforderten: Rund die Hälfte gab an, die
Beziehung zur Vermieterschaft nicht belasten zu wollen. Gut
ein Fünftel antwortete, nicht über den Anspruch Bescheid
gewusst zu haben.
   Eine noch grössere Erfolgsquote als beim Referenzzinssatz
zeigt sich beim Anfangsmietzins: Von denjenigen, die einen
zu hohen Anfangsmietzins anfochten, waren mehr als drei
Viertel zumindest teilweise erfolgreich.
                                                                 Ich freue mich sehr darüber, dass wir hier
                                                                 die Resultate unserer grossen Umfrage
       Das wünschen sich die Mietenden                           präsentieren können. Dank ihr haben wir
                                                                 nun zum ersten Mal einen Überblick
Mit Blick auf die künftige politische Arbeit des Mieterinnen-    darüber, welches die Probleme der Mie-
und Mieterverbands wurden die Teilnehmenden gefragt, für         tenden in der Schweiz sind. Zusammen-
welche Anliegen sich der Verband vorrangig einsetzen solle.      gefasst zeigen die Resultate vor allem
   Am meisten Zuspruch erhielt mit 90 Prozent der Vorschlag      eins: wie stark die Abhängigkeit der Mie-
einer automatischen Weitergabe der Mietzinssenkung bei einer     tenden von der Vermieterschaft hierzu-
Senkung des Referenzzinssatzes. Dies deckt sich mit den An-      lande ist. Wenn vier von fünf Befragten
gaben zum Referenzzinssatz, wonach nur ganz wenige Vermie-       angeben, ein gutes Verhältnis zu ihrer
ter*innen bei einer Senkung den Mietzins von sich aus gegen      Vermieterschaft sei ihnen wichtig, dann
unten anpassen. Mit 80 oder mehr Prozent ebenfalls grossen       heisst dies, dass sie sich bewusst sind,
Zuspruch erhielten die Förderung von preisgünstigem Wohn-        im Mietverhältnis am kürzeren Hebel zu
raum, die Einschränkung von Spekulation und ein besserer         sitzen. Noch deutlicher zeigt sich das
Kündigungsschutz (z. B. bei Renovationen oder Sanierungen).      Machtgefälle an anderer Stelle: Nur
   Generell wünschen sich die Befragten rechtliche Verbesse-     wenige Befragte gaben nämlich an, nach
rungen, durch die die Pflicht wegfallen würde, selber aktiv zu   einer Senkung des Referenzzinssatzes
werden und damit potenziell das Verhältnis zur Vermieterschaft   oder bei einem zu hohen Anfangsmiet-
zu gefährden. Dazu gehören die bereits genannte automatische     zins eine Mietzinsreduktion eingefordert
Weitergabe der Mietzinssenkung, die Offenlegung des Miet-        zu haben. Obschon sie das Recht dazu
zinses der Vormieterschaft oder eine Kontrolle der Rendite der   hätten – und die Erfolgsaussichten gut
Vermieterschaft.                                                 sind, wie unsere Umfrage zeigt.
                                                                     Hoffnungsvoll stimmt mich, dass die
                                                                 Befragten offensichtlich wissen, wie ihre
                                                                 Situation verbessert werden kann. So
                                                                 wünscht sich eine riesige Mehrheit eine
Die Umfrage in Kürze                                             automatische Weitergabe geschuldeter
• Rund drei Viertel der Befragten hatten bei der                 Mietzinssenkungen oder eine Kontrolle
   Wohnungssuche Probleme, eine bezahlbare oder                  der Renditen. Beide Instrumente würden
   geeignete Wohnung zu finden.                                  die Mietenden davon befreien, bei Miss-
• Über 70 Prozent der Mieter*innen hatten oder                   ständen selber aktiv werden zu müssen
   haben Probleme im Mietverhältnis.                             und so das gute Verhältnis mit der Ver-
• Für Mieter*innen hat ein gutes Verhältnis zur                  mieterschaft aufs Spiel zu setzen.
   Vermieterschaft einen hohen Stellenwert.                          Für uns als Verband ist dieser Wunsch
• Die Sorge um die Wohnsicherheit zeigt sich                     der Mietenden ein Auftrag. Denn wir be-
   deutlich in der Angst vor einer Kündigung, die                gnügen uns nicht damit, uns ein Bild ihrer
   als sehr belastend wahrgenommen wird.                         Situation zu machen. Wir wollen ihre Be-
• Mieter*innen wehren sich oft nicht, auch wenn                  dingungen verbessern. Dafür sind wir da!
   sie rechtlich die Möglichkeit dazu hätten.
• Vermieter*innen reagieren selten «von selbst»                                        Carlo Sommaruga,
   im Sinne der Mieterschaft.                                                       Präsident MV Schweiz
• Mieter*innen wünschen sich mehr Kontrollen
   und Automatismen.

Mieten + Wohnen                 Nr. 6, Dezember 2021                                                      7
Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband
Zürich                                Text von Esther Banz

                                      Über 400 Woh­nungen sollen im Bergacker in
                                      Zürich-Affoltern abgerissen und ersetzt werden.
                                      Eigen­tümerinnen sind die gemein­nützige AG
                                      Habitat 8000 und die Swiss Life. Die Stadt fordert
                                      soziale Mass­nahmen. Aber reicht das?

Wird alles gut?
Die Siedlung Bergacker in Zürich-Affoltern (vorne im Bild) gehört je etwa zur Hälfte der gemeinnützigen AG Habitat 8000 und der Swiss Life.

                                                                                                                                                  Foto: Reto Schlatter

Mieten + Wohnen                       Nr. 6, Dezember 2021                                                                                    8
Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband
Wie Legosteine stehen sie am Hang:              Stadt mit 100 000 Bewohner*innen mehr          Der Haken: Es wird abgerissen
17 Mehrfamilienhäuser der gemeinnüt-            als heute – 520 000 würden es dann              Es gibt aber einen Haken: Lange bevor
zigen AG Habitat 8000 und 15 Mehr­              schätzungsweise sein. Der jetzt angenom-    die Stadt Zürich in die Planung involviert
familienhäuser des landesweit grössten          mene Siedlungs-Richtplan macht den          worden war, hatten Swiss Life und Ha-
Immobilienkonzerns Swiss Life, mit ins-         Weg frei für eine grossflächige Erneue-     bitat 8000 bereits entschieden, die ganze
gesamt über 400 Wohnungen. Dazwi-               rung der Bausubstanz, insbesondere in       Siedlung mit ihren 32 Mehrfamilien­
schen viel Rasengrün und wenige Bäume.          den Gebieten Altstetten und Zürich-         häusern abzureissen. Und dies – trotz
Einen zeitgemässen Spielplatz gönnen            Nord – zu Letzterem gehört Affoltern.       Etappierung – in einem kurzen Zeitraum
die Eigentümer den Familien hier nicht –        Beide Gebiete sind ausgerechnet auch        von nur fünf Jahren. Eine kontinuierliche
das einzige Spielgerät für kleine Kinder        solche, in denen besonders viele beson-     Erneuerung mit Erhalt eines Teils der
ist eine Schaukel, die aus der Anfangszeit      ders verletzliche Menschen leben, in        Bestandesbauten über einen viel längeren
der Siedlung zu stammen scheint, den            kleinen, aber heute noch günstigen Woh-     Zeitraum hinweg, wie es die Baugenos-
1950er-Jahren. Erstaunlich, denn seit ein       nungen, die in den 1950er- und 1960er-      senschaften machen, war nie ein Thema.
paar Jahren steigt die Zahl der Kinder,         Jahren gebaut worden sind.                  Wer nach dem Grund fragte, habe sehr
die in der Siedlung wohnen. Dass nicht                                                      allgemein gehaltene Antworten erhalten,
in die Infrastruktur investiert wird, hat           Wendepunkt in der Stadtentwicklung?     sagt Walter Angst, der auch AL-Gemein-
aber einen Grund: Der Bergacker, ein            Für den Bergacker gab es eine soge-         derat ist: «Die knappen Grundrisse der
4,5 Hektaren grosses Areal, soll abgerissen nannte Testplanung, an der die Stadt mit        Wohnungen seien nicht mehr zeitgemäss
und durch neue Häuser ersetzt werden.       dem Amt für Städtebau – es untersteht           und die Häuser böten nur wenig Abstell-
Wer konnte, zog bereits weg. Wer nichts     dem Hochbauvorsteher André Odermatt             plätze für Autos und Velos. Und auch auf
findet, bleibt und wartet. Zu ihnen         (SP) – beteiligt war. Das Amt hatte seine       Nachfrage gab es nur vage Ergänzungen:
stossen Menschen, die froh sind, über-      Mitwirkung an die Bedingung geknüpft,           Man habe unterschiedliche Varianten
haupt irgendwo wohnen zu können,            dass Swiss Life und Habitat 8000 bei            geprüft. Oder: Die Investitionen in den
wenigstens für ein paar Jahre – bevor       der Planung auch soziale Aspekte berück-        Bestand hätten zu entsprechenden An-
sie wieder gehen müssen. Viele mit Kin-     sichtigen. Larissa Plüss, Projektleiterin für   passungen der Mietzinse geführt, ohne
dern. Von diesen Veränderungen über         sozialverträgliche Innenentwicklung im          einen substanziellen Mehrwert für die
die letzten paar Jahre erzählte uns ein     der Stadtpräsidentin Corine Mauch unter-        Mieter*innen zu schaffen – und so
Mann, der im Quartier lebt und schon        stellten Stadtentwicklungs-Amt, erklärte        weiter. Zahlen, Fakten, CO2-Bilanzen?
bei vielen Umzügen mitgeholfen hat.         den Testplanern am 9. Mai 2019, was die         Nichts davon ist öffentlich zugänglich.»
                                            Stadt von ihnen erwartet: Habitat 8000          Er vermutet dahinter auch zeitliche
    Heikles Projekt                         und Swiss Life sollten bei der Bergacker-       Gründe: «Die von den Grundeigentü-
    Es wird früh dunkel in diesen Tagen.    Siedlung erstens den Bau klar etappieren,       mern im Alleingang durchgeführte Mach-
Ein bisschen weiter unten an der Strasse    zweitens einen substanziellen Anteil an         barkeitsstudie, die der Testplanung vor-
putzt eine Frau noch rasch das Küchen-      preisgünstigen Wohnungen vorsehen und           ausging, wurde 2016 abgeschlossen – zu
fenster. Sie bittet die Fremden herein –    drittens die neuen Wohnungsgrössen              einem Zeitpunkt also, als in Zürich noch
in ihre Wohnung, die sie zusammen mit       und den neuen Wohnungsmix an der heu-           niemand über die CO2-Bilanz eines Ab-
den beiden Kindern bewohnt, sie ist         tigen Situation ausrichten. Ausserdem           bruchs sprach.»
allein­erziehend. Die Küche ist alt, es sei brauche es einen angemessenen Anteil                Im September dieses Jahres reichte
halt nie etwas gemacht worden. Wie wir      altersgerechter Wohnungen. Die Kommu-           Gemeinderat Andreas Kirstein (ebenfalls
wieder auf die Strasse treten, nähert sich  nikation zum ganzen Projekt solle früh-         AL) eine dringliche Interpellation zum
ein Auto, hinter dem Steuerrad ein älterer zeitig erfolgen und es müssten Partizipati-      Bergacker ein – um der Öffentlichkeit
Herr. Nachdem er eigenhändig die Gara- onsmöglichkeiten für die Siedlung und                endlich Einblick zu verschaffen in wich-
gentüre hochgezogen, das Auto versorgt      das Quartier geschaffen werden. Zu guter        tige Fragen dieses Giga-Bauprojekts mit
und die Garagentür wieder herunterge-       Letzt solle eine individuelle Betreuung         den nahezu tausend betroffenen Mie-
zogen hat, erzählt er: «Ich wohne seit 1956 bei der Wohnungssuche mittels Mie­              ter*innen. Die Antworten der Stadtregie-
hier. Jetzt bin ich über 90 Jahre alt. Wenn ter*in­nen-Büro gewährleistet sein.             rung sollten Licht ins Dunkel bringen.
wir hier raus müssen, bin ich wohl 95.»         Das klingt vielversprechend. Walter         Aber die Stadtregierung beantwortete
Aber dazu will er sich jetzt noch keine     Angst vom Mieterinnen- und Mieterver-           nur, was ihr für das riesige Bauprojekt als
Gedanken machen. Der Mann hat ein Be- band Zürich spricht sogar von einem                   «zielführend» erschien. Unbeantwortet
rufsleben lang für die Stadt gearbeitet.    Wendepunkt der Zürcher Stadtentwick-            blieben im Parlament weitgehend und
    Die Erneuerung des Bergackers ist ein lung, «falls die Empfehlungen in klare            ausgerechnet die Fragen nach den Mass-
heikles Projekt. Mit ihm muss die Stadt-    Vorgaben für die weitere Entwicklung            nahmen, die sicherstellen sollen, dass die
regierung nach der Abstimmung über den des Areals münden».                                  Menschen nicht aus ihrer Siedlung und
Richtplan beweisen, dass sie ihr Verspre-       Tatsächlich stimmt nun auch das, was        ihren sozialen Strukturen vertrieben
chen einlöst, die Verdichtung nach innen die beiden Eigentümerinnen der Woh-                werden. Das Amt für Städtebau und die
sozialverträglich zu gestalten. Die Innen- nungen zum Projekt kommunizieren,                Grundeigentümer stünden zurzeit in
verdichtung soll jetzt zügig voran-         optimistisch – sie wollen sich an den Vor-      einer Dialogphase über das weitere Vor-
schreiten, denn bis 2040 rechnet die        stelllungen der Stadt orientieren.              gehen. Aufgrund des konstruktiven

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Seite 5-7 "Wohnen zur Miete" Die grosse Umfrage - Mieterverband
Dialogs könne «zu gewissen Verfahrens-            Umfrage. Sie werde erste Anhaltspunkte       Seiten.» Im Folgenden erläuterten die
 fragen keine Antwort gegeben werden».             liefern und eine Handhabe für die indi­      Verantwortlichen von Swiss Life und
 So bleibt für die Mieter*innen und das            viduelle Beratung und Unterstützung          Habitat 8000, was geplant ist. Hörbare
 Quartier weiterhin völlig unklar, was die         bieten. Und dann noch dieser Satz:           Erleichterung unter den Zuhörenden, als
 Stadt zum Umgang der Grundeigentümer              «Es wäre gegenüber den Mieter*innen          schon früh am Abend gesagt wird, der
 mit den bisherigen Mietenden verein-              eher bevormundend, heute eine Quote zu       Rückbau verzögere sich um zwei Jahre
 baren kann.                                       definieren, wie viele in der erneuerten      und beginne erst 2026. Für Zuversicht
                                                   Siedlung bleiben sollen.»                    sorgte auch die Ankündigung, dass der
     Können die Menschen bleiben?                      Die Perspektive bietende Zusiche-        Bau in mehreren Etappen erfolgen werde.
     Man ist geneigt zu denken: Alles wird         rung, bleiben zu können, soll bevormun-      Und eine weitere erst mal richtig gut klin-
 gut, immerhin beziehen sich Habitat               dend sein? Eine interessante Interpreta-     gende Nachricht: Der Quadratmeterpreis
 8000 und Swiss Life ja auf die Sozialver-         tion. Nach dieser Antwort ist klar: Die      der Habitat-8000-Wohnungen solle
 träglichkeits-Ziele der Stadt (wie sie            Stadt muss Verbindlichkeit einfordern,       gleich bleiben, vielleicht sogar günstiger
 ebenfalls im Richtplan stehen), indem sie         wenn sie es ernst meint mit ihrer Forde-     werden. Habitat-8000-Geschäftsführer
 beispielsweise versprechen, für eine «gute        rung, dass die anstehenden flächende-        Philipp Blum: «Wir schaffen mehr güns-
 Durchmischung» zu sorgen. Die Gemein-             ckenden Erneuerungsprozesse im Berg-         tigen Wohnraum.» Die Zuhörenden
 nützige von beiden – Habitat 8000 –               acker sozialverträglich vonstatten gehen     schienen zufrieden, es wurde geklatscht.
 werde zu diesem Zweck auch jene Mie-              werden. Denn in den nächsten Jahren
 ter*innen von Swiss Life übernehmen,              werden viele weitere Quartiere mit              Wenig Zuversicht bei den Mietenden
 die sich den Mietzins in den künftig am           Bewohner*innen wie im Bergacker um-              Beim anschliessenden Apéro war die
 Markt ausgerichteten Swiss-Life-Woh-              gestaltet. Dieser Prozess muss nicht         Stimmung trotz grosszügigen Angebotes
 nungen nicht werden leisten können (was           zwingend zu einem Austausch der Bevöl-       an Alkohol und Delikatessen etwas ge-
 auf die meisten zutreffen dürfte). Zuver-         kerung führen – aber genau das wird          dämpfter. Ein Paar, das in einer Habitat-
 sichtlich stimmten Walter Angst die               passieren, wenn die Stadt bei geplanten      Wohnung lebt, sagte: «Wir sind froh, dass
 im Sommer geführten Gespräche mit den             Wohnbau-Erneuerungen von Privaten            wir noch etwas mehr Zeit haben. Die zu-
 Grundeigentümern. Wie es nun weiter-              weiterhin einfach auf ihren Leitfaden ver-   künftige Wohnung darf ein klein wenig
 geht, bleibt aber völlig unklar. 2022 soll        weist, der sensibilisieren soll, in dem      mehr kosten, aber mehr als 1500 können
 das Programm für den Architektur­                 aber noch nicht einmal ein einziger Satz     wir uns nicht leisten.» Ein 62-Jähriger
 wettbewerb definiert werden. Dann                 zu den Wohn-Grundrechten steht, die          meinte, er sei schon seit eineinhalb Jahren
 werden die Weichen gestellt. Offen ist vor        Mieter*innen im Fall von Erneuerungen        bei der Stiftung Alterswohnungen ange-
 allem, ob die neuen Wohnungen zu                  haben. Und schon gar nicht zielführend       meldet. Er mache sich keine Sorgen, denn
 Bruttomieten angeboten werden, die sich           ist es, wenn die Stadt einfach den guten,    bis abgerissen werde, sei er ohnehin
 an den heutigen Mietzinsen orientieren.           aber unverbindlichen Absichten von           schon längstens weg. Eine Frau, die mit
 Walter Angst: «Die Grundeigentümer                Bauherren vertraut, wie es in der Antwort    ihrem Mann seit den 1970er-Jahren im
 müssten jetzt ein Bekenntnis dazu ab-             des Stadtrates an die Adresse des Inter-     Bergacker in einer Wohnung von Swiss
 geben, dass die Menschen, die heute dort          pellanten den Anschein macht. Dort           Life wohnt, gab zu Protokoll: «Ich sehe
 leben und zumindest hinsichtlich Alter            steht, dass die konkrete Ausgestaltung       für uns keine grosse Zukunft hier. Wir
 und Sprachen bereits für eine grosse              eines sozialverträglichen Erneuerungs-       ziehen weg.» Und dann waren da noch
 Vielfalt im Quartier sorgen, bleiben              prozesses mit entsprechenden Mass-           Herr und Frau Moser, die seit 66 Jahren
 können. Sonst haben wir es hier mit Ab-           nahmen «gemäss Auskunft der Grund­           im Bergacker wohnen. Er erzählte: «1955
 sichtserklärungen ohne jede Verbindlich-          eigentümerinnen» Thema sei an der            mussten wir bei der Rentenanstalt (heute
 keit zu tun – mit Versprechen, die im             Informationsveranstaltung für die Mie-       Swiss Life – Anm. d. Red.) eine Lebens-
 weiteren Prozess per äxgüsi auch unter            ter*innen des Bergackers.                    versicherung abschliessen, sonst hätten
 den Tisch fallen können.»                                                                      wir die Wohnung gar nicht erhalten.» Sie
                                                       Rückbau beginnt erst 2026                seien jetzt bei den Alterswohnungen an-
     Stadt muss Verbindlichkeit einfordern             Diese Informationsveranstaltung, zu      gemeldet, «aber die haben schon 4000
     Diese Frage an die Grundeigentümer            der Habitat 8000 und Swiss Life einge-       Anmeldungen». Auch bei vier Genossen-
 ist also dringlich: Welchen Anteil, in Pro-       laden haben, fand am 22. November in         schaften habe er sich und seine Frau an-
 zenten ausgedrückt, sollen in der erneu-          der Kirche Glaubten in Zürich-Affoltern      gemeldet, «aber sie sagen alle, sie hätten
 erten Siedlung Bergacker jene Menschen            statt. Von den insgesamt rund 900 be-        nichts». Um einen Bistrotisch herum
 haben, die schon jetzt dort leben? Die            troffenen Mieter*innen im Bergacker          stehen fünf Familienväter. Ihre Kinder
 Frage geht an Mike Weibel, Sprecher für           kamen etwa 150. Das Jüngste ein Klein-       gehen zusammen in die Krippe respektive
 das Projekt. Er antwortet: «Die Eigen­            kind, die ältesten ein Paar, beide über      in den Kindergarten. Zwei haben eine
 tümerinnen können heute keine Prog-               90 Jahre alt. Begrüsst wurden die Anwe-      Wohnung bei Habitat, drei bei Swiss Life.
 nose machen, wie viele der Bestandes-             senden von Mike Weibel. Er eröffnete den     Werden sie bleiben, wenn sie können?
 Mieter*innen den Wunsch äussern, in               Abend mit einem Plädoyer, sich Verände-      Die Männer schauen skeptisch. Einer
 eine der neuen Wohnungen auf dem                  rungen gegenüber offen zu zeigen, denn:      sagt: «Ich möchte gerne. Aber wir wissen
 Bergacker zu ziehen.» Geplant sei eine            «Veränderungen haben auch positive           ja nicht, wie teuer die Wohnungen sein

Mieten + Wohnen                     Nr. 6, Dezember 2021                                                                                10
werden. Ein tiefer Quadratmeterpreis                 Wissen abschöpfen, das dem Planungs-             Besonders vulnerable Bewohner*innen
tönt gut, aber jetzt sind unsere Woh-                prozess dienlich sein soll, ohne ihnen eine       Die tiefgreifenden Veränderungen
nungen klein. Was, wenn die neuen                    Perspektive zu bieten, bleiben zu können?     im Verdichtungsgebiet Zürich-Affoltern
grösser sind?» Nicht eine der im Nach-               Mike Weibel: « Es wäre zu diesem Zeit-        sind längst im Gang, Wohnen sei dort
gang der Veranstaltung befragten Per-                punkt unredlich, die Erfüllung aller Wün-     bereits in den letzten Jahren teurer ge-
sonen äusserte sich zuversichtlich zu                sche der Mieter*innen in Aussicht zu          worden, berichtet die Präsidentin des
einer Zukunft im Quartier.                           stellen.» Aller Wünsche? Es ginge um eine     Quartiervereins, Pia Meier, im An-
                                                     grundsätzliche Zusicherung, nicht mehr        schluss an die Informationsveranstal-
   Quartier-Wissen abschöpfen                        und nicht weniger. Für den Mieterinnen-       tung – nicht zuletzt auch wegen der
    Mit der Umfrage, die Habitat 8000                und Mieterverband Zürich ist dieses           neuen Genossenschaftswohnungen, die
und Swiss Life 2022 unter den jetzigen               Bekenntnis zentral. Walter Angst: «Echter     nicht per se günstig sind. Zum Berg-
Mieter*innen durchführen werden, wolle               Einbezug beinhaltet zwingend, diese           acker sagt sie: «Wir haben die Dimen-
man die Bedürfnisse erheben, geben die               Perspektive zu geben: Dass die Menschen       sion des Projekts etwas unterschätzt.
beiden Unternehmen an – Ziel sei es, bei             dort, wo sie wohnen, eine Zukunft haben.      Erst vor einigen Monaten realisierten
der Wohnungssuche Unterstützung zu                   Unabhängig davon, ob sie in der Siedlung      wir, wie viele Menschen betroffen sind
bieten. Gleichzeitig möchten die Eigentü-            schon lange verwurzelt sind oder dort         – und dass einige von ihnen nicht in
merinnen auch herausfinden, «wie sich                endlich einen Ort gefunden haben, wo          einer privilegierten Situation sind.» Das
die heutigen Bewohner*innen den Berg-                sie – und, falls sie Familie haben, auch      weiss – schon etwas länger – auch die
acker in Zukunft vorstellen. Da sie teil-            ihre Kinder – ein soziales Netz, ein          Stadt: Die Bewohner*innen des Berg-
weise lange da gewohnt haben, sind sie               Zuhause aufbauen können. Dieses Be-           ackers gehören hinsichtlich sozioöko-
Expert*innen für den Nahraum und das                 kenntnis ist ganz einfach die Basis, auf      nomischer und demographischer Krite-
Quartier und können wertvolle Inputs                 der man die Menschen, die man mit             rien zu den «besonders vulnerablen»:
für das Wettbewerbsprogramm geben»,                  tiefgreifenden, unfreiwilligen Verän­         viele Ältere, viele Kinder, viele Spra-
schreibt Sprecher Mike Weibel auf                    derungen konfrontiert, in die Planung         chen, wenig Einkommen. Was diese
Anfrage. Das macht Sinn. Aber ist das ihr            und die Gestaltung der Zukunft mit            Menschen brauchen, ist die Sicherheit,
Ernst: Von den Mieter*innen Quartier-                einbezieht.»                                  hier bleiben zu können.

Das einzige Spielgerät für kleine Kinder: eine Schaukel, wohl aus der Anfangszeit der Siedlung.

                                                                                                                                                    Foto: Reto Schlatter

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Stadtforschung    Interview von Esther Banz und Andrea Bauer

«Wohnen ist nicht privat»
Immer mehr Wohnungen sind im Besitz von renditeorientierten
Unternehmen. Es wird en masse abgerissen, neu gebaut, luxussaniert.
Die Mietpreise steigen. Was bedeutet das für die Städte? Wie wehren
sie sich? Ein Gespräch mit Philippe Koch, Professor für urbane
Prozesse an der ZHAW.

                                                               Philippe Koch ist Politikwissenschaftler mit
                                                               Schwerpunkt Stadt- und Agglomerationspoli-
                                                               tik. Seit fünf Jahren lehrt und forscht er an der
                                                               Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-
                                                               schaften (ZHAW) im Departement Architektur,
                                                               Gestaltung und Bauingenieurwesen. Als Sozial-
                                                               wissenschaftler interessieren ihn die politi-
                                                               schen und sozialen Ursachen und Wirkungen
                                                               räumlicher Transformationen und wie diese
                                                               sichtbar oder unsichtbar gemacht werden.
                                                               Aktuell untersucht er gemeinsam mit For-
                                                               schenden des ETH Wohnforums die Rolle der
                                                               Genossenschaften in der Schweiz und in
                                                               Uruguay beim Bereitstellen von gemeinnützi-
                                                               gem, bezahl­barem Wohnraum. Gemeinsam
                                                               mit Hanna Hilbrandt, Lindsay Blair Howe und
                                                               David Kaufmann hat er «urban publics Zurich»
                                                               (upZ) gegründet, um den Austausch zwischen
                                                               Stadtforschung und der Praxis der Stadt­
                                                               produktion zu fördern.

                                                                                                                        Foto: Reto Schlatter

Mieten + Wohnen   Nr. 6, Dezember 2021                                                                             12
M+W: Kürzlich diskutierten Sie an einem           Eine Wohnungs-Garantie?                    Welchen Stellenwert hat das Wohnen
Podiumsgespräch in Zürich mit einer                  Nein, ich meine nicht ein lebenslanges  eigentlich in der Stadtforschung?
Ak­tivistin aus Berlin darüber, wie dort –        Recht, in einer bestimmten Wohnung zu          Einen zentralen. Man kann auch
gerade eben – eine Initiative angenommen          bleiben. Aber eine Garantie, im vertrauten sagen: Ein Ursprung der Stadtforschung
wurde, die renditeorientierte Immobilien-         Umfeld, im Quartier bleiben zu können,     war die Beschäftigung mit dem Wohnen
konzerne enteignen will. Hätte eine solche        so etwas müsste etabliert werden können.   als ökonomischem, kulturellem, aber
Initiative auch hierzulande eine Chance?          Denn die sozialen Netzwerke sind           auch politischem Phänomen. Friedrich
    Philippe Koch: Nein. Die Voraus­              wichtig fürs Quartier, da wird viel Wissen Engels’ Texte über die Wohnsituation der
setzungen sind ganz andere. In Berlin             weitergegeben und soziales Kapital auf-    Arbeiter im Norden von England sind
verkaufte die hoch verschuldete Stadt             gebaut. Dazu gibt es etliche Studien.      hier zentral. Engels war der Erste, der das
ausgerechnet ihre eigenen Sozialwoh-                                                         Wohnen auch unter dem Aspekt der Aus-
nungsbauten, um an Geld zu kommen.                Was bedeuten diese nachbarschaftlichen     beutung anschaute. Später war das lange
So etwas hat es hierzulande nie gegeben.          Verbindungen zwischen Menschen?            Zeit kein Thema mehr. In der Nachkriegs-
In Zürich etwa gibt es eine starke Vor­               Man fühlt sich zugehörig, ohne dass    zeit gab es Wohnraum für mehr oder
stellung, dass der Staat zusammen mit             man sich zwingend als gleich wahrnimmt. weniger alle.
Genossenschaften das Wohnproblem                  Es geht nicht um Identität und Homo­
lösen kann – und gemeinnützige Wohn-              genität, sondern um Vertrautheit, die      Und die Stadtforschung zum Wohnen
baugenossenschaften mit ihrer teils über          über alltägliche Begegnungen zwischen      wurde folglich weniger dringlich. Wann
hundertjährigen Geschichte garantieren            Fremden geschaffen wird – so können so- änderte sich das wieder?
bis heute Wohnsicherheit auch an zent-            genannte «Communities of Strangers»            Eine ganz neue Bedeutung für die
ralen Lagen. Der Genossenschaftsanteil            entstehen. Das ist meiner Meinung nach     Stadtforschung erhielt das Thema
ist allerdings nur in Zürich so hoch.             das Ideal einer städtischen Gesellschaft:  Wohnen nach der Finanzkrise 2008. Da
                                                  eine grosse Vielfalt an Menschen, die sich zeigte sich – in England und vor allem
Wo sehen Sie heute die Brennpunkte im             gegenseitig respektieren, ohne dass sie    auch in den USA – wieder in aller Deut-
Zusammenhang mit dem Wohnen, räum-                sich vergemeinschaften müssen. Das ist     lichkeit, dass angemessenes oder men-
lich-geografisch und sozialpolitisch?             das eine, das extrem wichtig ist.          schenwürdiges Wohnen keine Selbstver-
    Ganz klar: Je länger, je mehr an den                                                     ständlichkeit ist und vom Markt allein
Rändern der Stadt, in räumlichen Ge-              Und das andere?                            nicht bereitgestellt werden kann. Und es
bieten, von denen man wenig weiss, im                 Dass diese Leute, die unfreiwillig die zeigte sich sogar auch, dass die Politik
«Nowhereland». Dort leben die Leute, die          Stadt verlassen, nicht «nur» ihre Woh-     und die Entscheidungsträger durchaus
am meisten unter den räumlichen Verän-            nung verlieren, sondern auch ganz vieles, bereit sind zu akzeptieren und zu tole-
derungen leiden. Es sind jene, die kein           das die Stadt gewährleistet. Subventio-    rieren, dass massenweise Leute ihre Woh-
Stimm- und Wahlrecht haben und die                nierte ausserschulische Kinderbetreuung nungen respektive Häuser verlassen und
Sprache nicht beherrschen. Für die politi-        etwa. Oder Gemeinschaftszentren,           auf der Strasse leben müssen. Dass in
schen Parteien sind sie elektoral uninter-        Schwimmbäder – all diese Angebote, die einem kapitalistisch-demokratischen
essant, weil sie nicht wählen können.             in der Stadt selbstverständlich sind, gibt Staat Leute in Zelte flüchten müssen,
                                                  es in Agglomerationsgemeinden deutlich hatte man zuvor lange Zeit nicht mehr
Die Siedlung Bergacker in Zürich ist              weniger. Man muss sich überlegen,          gesehen. Kam dazu, dass Investoren
so ein Beispiel am Rand der Stadt. Über           was das für all die Kinder bedeutet, die   unzählige dieser Häuser aufkauften und
400 bezahlbare Wohnungen wollen die               ohnehin nicht die gleichen Vorausset-      sie seither selber vermieten. Als Folge
Eigentümer Swiss Life und Habitat 8000            zungen haben, rein vom ökonomischen        dieser Entwicklungen entstand eine neue,
abreissen (vgl. S. 8). Die Folge solcher Leer-    und sozialen Kapital her, das die Eltern   urbane Wohnforschung, die sich ver-
kündigungen ist oft, dass die Mieter*innen        mitbringen. Und dann haben sie nicht       mehrt als aktivistisch versteht.
das Quartier oder sogar die Stadt verlassen       einmal mehr das, was man in der Stadt
müssen, weil sie nichts mehr finden, das          mit den öffentlichen Angeboten zu          Auch in der Schweiz ist immer mehr
sie sich leisten könnten. Was bedeutet es für     kompensieren versucht. Darüber wird viel Wohnraum im Besitz von institutionellen
die Struktur der Stadt, wenn im grossen           zu wenig gesprochen. Man weiss auch        Eigentümerschaften. Was ist die Folge
Stil Nachbarschaften kaputt gemacht               wenig darüber, wohin diese Leute über-     davon für die Städte?
werden?                                           haupt gehen. Und auch noch einen               Das ist bislang schwierig zu sagen. Das
    Dieser Punkt wird politisch tatsächlich       dritten Punkt gilt es zu bedenken: Eine    Gute hierzulande ist, die Lex Koller ver-
viel zu wenig thematisiert – in der For-          Stadt, die sich nicht verändert, die nicht hindert, dass ausländische Kapitalströme
schung wird er aber vermehrt hervorge-            weiter baut und wächst, sich nicht öffnet ungehindert in den Schweizer Immobili-
hoben. Es geht um die soziale Bedeutung           für Leute, die zuziehen möchten, läuft     enmarkt fliessen und in grossen Mengen
des Wohnens, um die soziale Infrastruktur,        Gefahr, zur geschlossenen Stadt zu         und anonym Wohnraum gekauft werden
die an das Wohnen gebunden ist und die            werden. Zu einer Stadt der Privilegierten, kann. Gleichzeitig ist innerhalb der
vom Wohnen ausgeht. Diese Infrastruktur           wo es plötzlich selbstverständlich ist,    Schweiz viel Kapital vorhanden, das diese
kann nur bestehen, wenn die Leute eine            dass Wohnungen 4000 Franken kosten         Rolle ebenfalls übernehmen kann. Und
gewisse Bestandesgarantie haben.                  dürfen.                                    die Käufer wollen Rendite abschöpfen …

Mieten + Wohnen                     Nr. 6, Dezember 2021                                                                              13
… vor allem mit den Mieten?                   man einfach umzont oder aufzont, gibt      ist das, was der französische Soziologe
    Nicht nur. Viele Unternehmen kaufen        man viel Verhandlungsmacht aus den         und Philosoph Henri Lefebvre mit «Recht
jetzt vor allem wegen des Buchwerts            Händen. Eine Stadt, die möglichst viel     auf Stadt» meinte: Als eine Form und ein
Liegenschaften. Sie müssen das Geld            Einfluss nehmen möchte, muss schauen,      Instrument zum Organisieren, Mobili-
irgendwo deponieren. Das hat in den            dass sie auf der planerischen Ebene        sieren, um Fragen anders zu stellen und
letzten zehn Jahren unter anderem auf-         möglichst viel Verhandlungsmacht und       neu zu beantworten. Das Recht auf ange-
grund der Tiefzinspolitik angefangen.          Eingriffsmöglichkeiten behält.             messenes Wohnen ist, wie die Menschen-
                                                                                          rechte überhaupt, eines der Rechte,
Mit welchen Konsequenzen?                     Wie sichert sie sich die Verhandlungsmacht auf die wir am meisten angewiesen sind.
    Was man in der Stadt Zürich jetzt         – ganz konkret? Und lassen sich die Instru- Man kann sie zwar nicht per Gerichts­
schon sieht, ist, dass immer mehr natür-      mente aufzählen?                            entscheid unmittelbar realisieren, inso-
liche Personen ihre Häuser verkaufen.             Zunächst einmal: Auf Wohnhäuser,        fern hat Corine Mauch Recht. Aber man
Das andere ist, dass viele Pensionskassen die der Stadt gehören oder die auf städti- kann das Recht auf Wohnen auch als
oder andere institutionelle Anleger ab-       schem Grund stehen, kann die Stadt di-      Versprechen oder politischen Horizont
reissen und neu bauen wollen, um mög-         rekt Einfluss nehmen. Hier könnte die       verstehen und sagen: «Dafür müssen
lichst viel Geld zu binden. Die Erträge aus Stadt – und mit ihr die Genossenschaften wir kämpfen! Und immer, wenn jemand
den Mieten wären vermutlich höher,            – auf Abriss und Neubau im Grundsatz        dieses Recht brechen will, kämpfen
wenn man sanieren oder weiterbauen            verzichten und das Weiterbauen im Be-       wir dafür, dass es eingehalten wird!»
würde. Aber wenn man hundert Mil­             stand zum Normalfall erklären. Beim pri- Diese Haltung kann auch eine Stadtregie-
lionen hat und nicht weiss, wo anlegen,       vaten Wohnraum ist der Handlungs­           rung einnehmen, wenn sie will. Vielleicht
dann lohnt sich Abriss und Neubau             spielraum weniger offen. Aber es gibt ihn. würde es sich tatsächlich lohnen, vor
immer.                                        In München hat sich die Regierung in        Gericht zu gehen und diese fundamen-
                                              Gebieten mit «Milieuschutz» ein Vor-        talen Ziele – wie das Recht auf eine ange-
Ist für die Grossen der Mietertrag nur noch kaufsrecht auf Grundstücke gesichert, um messene Wohnung in Artikel 41 der
Peanuts im Vergleich zur Wertsteigerung       Verdrängungsprozesse zu verhindern.         Bundesverfassung – oder die zahlreichen
einer Immobilie?                              Das stärkt die Verhandlungsposition der     Ziele in der Gemeindeordnung einzu­
    Durchaus. Das Perfide ist: Der Wert       Stadt. In Basel wurde eben erst eine        fordern. Der Rechtsweg ist ja immer auch
von Häusern nahm in den letzten dreissig Wohnschutzinitiative angenommen, die             ein politischer Weg.
Jahren stetig zu, jedes Jahr. Ich nehme       die Position der Stadt auch bei Sanie-
an, dass die grossen institutionellen An-     rungen und Umbauten stärkt. Sie kann        Könnten auch die Genossenschaften eine
leger wie Black Rock heute so funktio-        nun die Bewilligung an Mietbedingungen politischere Rolle spielen?
nieren, dass sie sagen: Wir haben zwar        knüpfen. Die Verhandlungsmacht der              Unbedingt. Sie bieten alle Voraus­
laufende Erträge aus Mieten, das ist gut;     Stadt wird immer dann geschwächt, wenn setzungen, um politische Organisationen
aber vor allem bauen wir ein Portfolio auf, Ent­wicklungspotenzial bedingungslos          zu sein – solche also, die die Auseinan-
das wir gegebenenfalls neu schnüren           festgesetzt wird. Dann wird es für die      dersetzung und das Austragen politischer
und weiterverkaufen können – und dann Stadt schwierig, im nachhinein noch                 Konflikte als ihre Aufgabe sehen und
wird richtig Gewinn gemacht. Das              etwas einzufordern. Vergangenheit und       nicht nur das Anbieten von Wohnungen.
funk­tioniert natürlich nur mit einem         Gegenwart zeigen, dass die Politik, wenn In der Geschichte und auch in anderen
grossen Portfolio.                            Ziel und Hartnäckigkeit vorhanden sind, Ländern, wie zum Beispiel in Uruguay,
                                              viel erreichen kann. Ein erster Schritt     haben Genossenschaften oftmals eine
Was heisst es für die Planbarkeit einer       wäre, menschenwürdiges Wohnen und           sehr politische Rolle eingenommen und
Stadt, wenn massenhaft Investoren             einen gewissen Bestandsschutz – ähnlich sich für Ziele eingesetzt, die über die
kommen und Immobilien kaufen? Hat die dem Lärmschutz – zum öffentlichen                   unmittelbaren Interessen ihrer Mitglieder
Stadtregierung überhaupt noch Einfluss        Interesse zu erheben.                       hinausgingen. Daher finde ich es sogar
darauf, was die mit denen machen?                                                         sehr wichtig, dass sich Wohnbaugenos-
    Man kann als Stadtregierung immer         Nachdem die UNO-Sonderbeauftragte für senschaften – aber auch andere beste-
Einfluss nehmen.                              das Recht auf angemessenes Wohnen,          hende wohnpolitische Verbände – als ge-
                                              Leilani Farha, in Zürich gewesen war und nuin politische Organisationen verstehen
Das klingt bisweilen anders vonseiten der     die Credit Suisse für ihr Brunau-Abriss-    und entsprechend handeln. Die Mie-
Verantwortlichen ... Ist ihr Einfluss denn    Projekt kritisiert hatte, sagte die Zürcher ter*innen können sich schlecht organi-
gar nicht so beschränkt, wie sie selber gerne Stadtpräsidentin Corine Mauch:              sieren und der MV braucht Verbündete.
behaupten?                                    Das Recht auf Wohnen können wir nicht       Wohnen wird heute allzu oft als eine Art
    Der Stadt und auch anderen politi-        durchsetzen, das ist rechtlich nicht        privates Konsumgut betrachtet – man
schen Gemeinwesen steht eine Kaskade          bindend.                                    leistet sich ein Auto und eine tolle Woh-
von Instrumenten zur Verfügung. Und es            Da kommen wir zum Kern des Prob-        nung. Wohnen ist vermeintlich privat.
können – wie der Zürcher Stadtpräsident lems: Recht kann man als statisch ge-             Dass es das nicht ist, muss immer wieder
Emil Klöti in den 1930er-Jahren zeigte –      geben behandeln oder als ein politisches    und von verschiedenen Seiten artikuliert
bei Bedarf neue geschaffen werden. Wenn Instrument, um etwas zu fordern. Das              werden.

Mieten + Wohnen                  Nr. 6, Dezember 2021                                                                             14
Standardmietverträge             Text von Fabian Gloor

                  Wo wird überall getrickst?
             Viele Standardmietverträge des Hauseigentümerverbands
             weisen ungültige Bestimmungen auf. M+W verrät Ihnen,
                   auf welche Klauseln Sie getrost pfeifen können.

Schliessen Sie einen Mietvertrag ab, ver-      muliert mit dem Ziel, dass sie für eine      vertragliche Vereinbarung. Verstossen
pflichtet sich die Vermieterschaft, Ihnen      Vielzahl von Verträgen mit der jeweils an-   Vertragsklauseln gegen zwingendes
als Mieter*in ein Mietobjekt zum               deren Partei übernommen werden               Recht, gelten sie als nicht vereinbart.
Gebrauch zu überlassen. Im Gegenzug            können, spricht man von «Allgemeinen
versprechen Sie, dafür einen Mietzins zu       Geschäftsbedingungen» oder «AGB».               Reparaturen von Geräten
bezahlen. Es gibt knapp gehaltene Miet-            Der Einsatz solcher AGB ist für beide  Der Unterhalt eines Mietobjekts ist
verträge und solche, die mehrere Seiten        Seiten praktisch. Dank der Vorbereitunglaut Art. 256 OR Sache der Vermieter-
umfassen. Ein Mietvertrag muss nicht           der einen Partei als «Expertin» kann   schaft. Folglich muss diese grundsätzlich
unbedingt schriftlich abgeschlossen            ein komplexes Geschäft wie beispiels-  für Reparaturen aufkommen. Eine Aus-
werden, Sie können ihn auch per Hand-          weise ein Mietvertrag ohne grossen Auf-nahme gilt für kleine Reparaturen. Diese
schlag oder sogar stillschweigend ein-         wand abgeschlossen werden. Die ein­    gehen gemäss Art. 259 OR zulasten der
gehen. In der Praxis sind mündliche                                                   Mieterschaft. Im Fachjargon spricht man
                                               seitige Vorbereitung birgt allerdings auch
Mietverträge allerdings selten. Wegen der                                             vom «kleinen Unterhalt». Darunter fallen
                                               die Gefahr, dass in den AGB die vertrag­
Schwierigkeit, mündlich «Abgemachtes»          lichen Rechte und Pflichten respektive zum Beispiel das Ölen von Türschar-
im Nachhinein zu beweisen, ist ein             Risiken und Chancen asymmetrisch ver-  nieren, das Entstopfen des Syphons beim
schriftlicher Mietvertrag eindeutig vor-       teilt werden.                          Lavabo, der Ersatz eines Backblechs,
teilhafter.                                                                           eines Duschschlauchs, eines Backofen­
                                                                                      gitters, eines Dampfabzugsfilters oder
    Take it or leave it                        Verstossen Vertrags­                   von Dichtungen bei Wasserhahnen.
    Dass Mieterschaft und Vermieter-
schaft den Mietvertrag respektive dessen
                                               klauseln gegen zwingen- tonsImBern             Standardvertrag des HEV des Kan-
                                                                                                  steht allerdings: «Alle kleinen,
Inhalt gemeinsam aushandeln, ist               des Recht, gelten sie als              für den gewöhnlichen Gebrauch der
Wunschdenken. Meistens wird den Mie-           nicht vereinbart.                      Mietsache erforderlichen Reinigungs­
tenden ein Standardmietvertrag der ört­                                               arbeiten und Ausbesserungen hat der
lichen Sektion des Hauseigentümerver-                                                 Mieter auf eigene Kosten fachmännisch
bands vorgelegt. Getreu nach dem Motto         Auch Standardmietverträge enthalten ausführen zu lassen». Was darunter kon-
«Take it or leave it» haben Mietende dann AGB. Nicht alles, was in einem Stan­        kret zu verstehen ist, wird auch gleich de-
die Wahl, die von der Vermieterschaft dik- dardmietvertrag steht, ist jedoch verbind- finiert: «Als kleine Ausbesserung gelten
tierten Vertragsbedingungen zu akzep-      lich. Denn bei vielen Gesetzesbestim-      unabhängig vom Rechnungsbetrag insbe-
tieren oder auf den Vertragsabschluss zu   mungen zum Mietrecht handelt es sich       sondere (…) die Instandhaltung der elekt-
verzichten.                                um sogenannt zwingendes Recht. Das         rischen Schalter, Steckdosen, Telefon und
    Werden Vertragsbestimmungen von        bedeutet: Die Parteien können nicht        Fernsehanschlüsse, der Glasscheiben
einer Vertragspartei allgemein vorfor­     davon abweichen, auch nicht durch eine     (…)». Ähnliche Klauseln finden sich in

Mieten + Wohnen                  Nr. 6, Dezember 2021                                                                                 15
den Standardmietverträgen der HEV der          überholt. Die Kostengrenze gilt nur noch    sind Sie vertraglich nur so lange ge-
Kantone Solothurn, Thurgau, Oberwallis         beim Ersatz von Bestandteilen wie z. B.     bunden, bis Sie der Vermieterschaft eine
und Zürich.                                    einem fehlenden Backblech oder einer        zumutbare und zahlungsfähige Person
   Der HEV Zürich geht sogar noch              defekten Kühlschrankschublade. Rech-        vorschlagen, die an Ihrer Stelle die Woh-
weiter und verdonnert die Mieterschaft         nungen von Handwerker*innen dagegen         nung mietet. Das muss nicht am Ende
neben dem «Ersetzen von elektrischen           können nicht auf dieser Basis beurteilt     oder in der Mitte eines Monats sein. Es ist
Schaltern» gar zur Instandhaltung von          werden, denn sobald eine Fachperson         jederzeit erlaubt.
«Spülkästen, Geschirrspüler, Backofen,         hinzugezogen werden muss, liegt per se
Kühlschränken, Keramikkochfeldern,             kein kleiner Unterhalt mehr vor und            Keine Pflicht zur Unterschrift
Kochplatten und Brennern bei Gas-              die Kosten müssen sowieso von der Ver-          Noch eine weitere haarsträubende
                                               mieterschaft übernommen werden.             Klausel enthält der Standardmietvertrag
                                                  Nicht verbindlich ist auch die Klausel   des HEV Bern. Gemäss Ziffer 16 «Rück-
   Zum kleinen Unterhalt                       im Standardvertrag des HEV Zürich, die      gabe der Mietsache» sei «ein Zustands-
   gehören nur Reparaturen,                    von den Mietenden die Übernahme aller       protokoll aufzunehmen, das von den Ver-
                                               «weiteren kleineren Reparaturen und         tragsparteien oder deren Vertreter zu
   die eine handwerklich                       Instandstellungen, welche im Einzelfall     unterzeichnen ist». Und weiter: «Werden
   normal begabte Mieter-                      1 % des Jahres-Netto-Mietzinses nicht       nachträglich schriftlich anerkannte
                                               übersteigen» fordert. Gemäss Schlich-       Mängel vom Mieter nicht innert 10 Tagen
   schaft ohne Fachwissen                      tungsbehörden und Mietgerichten des         seit Erhalt der Mitteilung schriftlich be-
   ausführen kann.                                                                         stritten, gelten sie als anerkannt». Auch
                                                                                           der Standardmietvertrag des HEV Zürich
                                                   Sollte Ihr Geschirrspüler               enthält diesbezüglich eine sonderbare
herden». Besonderen Wert auf Sauberkeit            den Geist aufgeben,                     Regelung. So müsse die Mieterschaft,
legen die HEV-Sektionen der Kantone                                                        welche die Mitwirkung am Rückgabepro-
Aargau, Solothurn, Zürich und Bern.                müssen Sie die Repara-                  tokoll verweigere, «sich dieses als richtig
In ihren Standardmietverträgen                     turkosten nicht berappen,               entgegenhalten lassen». Auch diese Ver-
schreiben sie ausziehenden Mietenden                                                       tragsbestimmungen sind nicht ver­
vor, «sämtliche textilen Bodenbeläge               selbst wenn Sie sich                    bindlich. Als Mieter*in sind Sie nicht ver-
durch einen Fachmann» reinigen zu                  mietvertraglich dazu                    pflichtet, an der Erstellung des
lassen.
                                                   verpflichtet haben.
   Normale handwerkliche Fähigkeiten                                                          Als Mieter*in sind Sie
    Solche Klauseln sind nicht verbind-        Kantons Zürich ist die Obergrenze für          nicht verpflichtet, an der
lich. Denn gemäss neuer Rechtsprechung         Ersatzteile, die von der Mieterschaft be-
gehören nur Reparaturen zum kleinen            zahlt werden müssen, 150 Franken. Und          Erstellung des Abgabe-
Unterhalt, die eine handwerklich normal        dies unabhängig von der Höhe des               protokolls mitzuwirken
begabte Mieterschaft ohne spezielles           Mietzinses.
Fachwissen selber ausführen kann.                                                             oder dieses gar zu
    Mietvertraglich lässt sich die Grenze          Ausserterminliche Kündigung                unterschreiben.
des kleinen Unterhalts nicht beliebig aus-        Auch beim Recht der Mietenden, ein
weiten, sonst würde die grundsätzliche         Mietverhältnis vorzeitig zu kündigen,
Unterhaltspflicht der Vermieterschaft          wird getrickst. Laut Mietvertrag des HEV    Abgabeprotokolls mitzuwirken oder
ausgehebelt. Das ist gemäss Artikel 256        Bern kann «die vorzeitige Auflösung nur     dieses gar zu unterschreiben. Von einer
Abs. 2 OR unzulässig. Die Vermieter-           auf ein Monatsende erfolgen». Diese         Unterschrift des Abgabeprotokolls ist so-
schaft kann von der Mieterschaft nur ver-                                                  wieso dringend abzuraten. Denn mit
langen, für die Kosten von Eigenrepara-                                                    Ihrer Unterschrift anerkennen Sie unter
turen aufzukommen, nicht jedoch für den            Das Gesetz schränkt den                 Umständen Schäden, für welche Sie gar
Beizug einer Fachperson. Konkret heisst            Zeitpunkt für eine ausser-              nicht haftbar sind.
das: Sollte Ihr Geschirrspüler den Geist
aufgeben, so müssen Sie die Reparatur-             terminliche Kündigung
kosten nicht berappen, selbst wenn                 nicht ein.
Sie sich mietvertraglich dazu verpflichtet
haben.
    Bis vor einigen Jahren galt, dass          Regelung ist gesetzeswidrig. Das Gesetz
Mieter*innen sämtliche Reparaturen             schränkt nämlich den Zeitpunkt für
bezahlen müssen, die nicht mehr als            eine ausserterminliche Kündigung nicht
150 Franken kosten. Diese Faustregel ist       ein. Wenn Sie ausserterminlich kündigen,

Mieten + Wohnen                  Nr. 6, Dezember 2021                                                                               16
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