Semi-integrale Gumpenbachbrücke in kornwestheim - Querverschub einer Brücke einschließlich Stützen und Fundamente
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DOI: 10.1002/bate.202000008 BERICHT Report Markus Gehring, Daniela Bayer Bericht Semi-integrale Gumpenbachbrücke in Kornwestheim Querverschub einer Brücke einschließlich Stützen und Fundamente Für eine ressourcensparende und zukunftsorientierte Bauwei- Lateral shifting of a bridge including columns and foundations se ist der Querverschub einer semi-integralen Brücke inkl. ihrer How we can tackle the challenge of building a new two-lane Stützen und Fundamente die passende Antwort auf die Frage, bridge on an extremely busy main traffic axis without reducing wie man eine zweibahnige Brücke im Zuge einer stark befahre- the traffic from four lanes to two lanes for longer than four nen Hauptverkehrsachse ersetzt, ohne den Verkehr länger als weeks? The appropriate answer to this question in the context vier Wochen auf zwei Fahrspuren einzuengen. Die Gumpen- of resource-efficient and forward-looking planning processes bachbrücke im Zuge der B 27 in Kornwestheim inmitten der is to shift the semi-integral bridge including its columns and Metropolregion Stuttgart hat eine Länge von ca. 100 m. Inner- foundations laterally. This method is used for the Gumpenbach orts liegend, besteht sie aus zwei Teilbauwerken mit jeweils Bridge on the main B 27 road in Kornwestheim in the metropoli- drei Feldern. Die gevouteten Spannbetonplattenbalken sind tan region of Stuttgart which has a length of nearly 100 m. The monolithisch mit den Stützen verbunden und ergeben mit der two bridges, each with three spans, are located in the centre of Kalottenlagerung an den Widerlagern ein semi-integrales Bau- town so noise reduction barriers will be installed. The vaulted, werk. Eines der beiden Teilbauwerke der zweibahnigen Bun- pre-stressed concrete slab beams are monolithically connect- desstraße wird zunächst in Seitenlage gebaut, um den Verkehr ed to the supports so that a semi-integral structure exists with darauf umzuleiten. In mehreren Bauphasen werden die parallel spherical bearings at the abutments. First of all one of the two liegenden Bestandsbauwerke abgebrochen und das zweite partial structures of the two-lane highway is built in a lateral Teilbauwerk errichtet. Schlussendlich wird das in Seitenlage position so that the traffic can be transferred onto it before the erstellte semi-integrale Brückenbauwerk einschließlich seiner other bridge is demolished. Finally, the semi-integral bridge Stützen und Fundamente mittels hydraulischer Hub- und Ver- structure, including its supports and foundations, is moved to schubsysteme in seine Endlage verschoben. Bei der Dimensio- its final position by means of hydraulic lifting and displacement nierung und der konstruktiven Ausbildung des Bauwerks ist der systems. The static pre-dimensioning and the structural design Querverschub für Bau- und Endzustand zu berücksichtigen. of the structure as well as its structural conditions take this Im folgenden Beitrag wird auf die wichtigsten Aspekte der lateral shifting into account. The following report summarizes Entwurfsplanung eingegangen. the most important aspects of the design process. Stichworte RAB-ING-Entwurf; semi-integral; 3-Feld-Brücke; Querverschub; Keywords design planning; semi-integral; 3-span-bridge; lateral shifting; Spannbeton; Plattenbalken; Seitenlage pre-stressed concrete; T-beam; lateral position 1 Einleitung 60 km/h angeordnet. Daraufhin wurde auf Veranlassung des Regierungspräsidiums Stuttgart mit den Planungen Die Bundesstraße B 27 durchquert auf 303 km das für den Ersatzneubau der 1954 erbauten Spannbetonbrü- „Ländle“ und stellt eine wichtige Nord-Süd-Verbindung cke begonnen. in Baden-Württemberg dar. Auf dem stark befahrenen Abschnitt zwischen Ludwigsburg und Stuttgart, zwischen Durch die Querschnittsverbreiterung des Ersatzneubaus den innerorts gelegenen Anschlussstellen Kornwestheim- gegenüber dem Bestand konnten auch straßenplaneri- Mitte und Kornwestheim-Nord, führt die B 27 zweibah- sche Zielsetzungen wie Ein- und Ausfädelungsstreifen an nig über die ca. 100 m lange Gumpenbachbrücke. der Anschlussstelle Kornwestheim-Nord auf dem neuen Brückenbauwerk umgesetzt werden. Nach Vorliegen und Im Zuge der Brückenhauptprüfungen im Jahre 2009 wur- Genehmigung des RE-Entwurfs Ende 2015 wurde im den Schädigungen der Querspannglieder, insbesondere Herbst 2016 Baurecht im Rahmen eines Planfeststel- an den Kragarmen der Fahrbahnplatte, sowie starke lungsverfahrens geschaffen. Im Zuge des Gesamtprojekts, Chloridbelastungen festgestellt. Nach der 2010 erfolgten welches auf einem Streckenabschnitt von 566 m einen Sonderprüfung wurden aufgrund des schlechten Bau- Straßen-Vollausbau vorsieht, wurden außerdem an das werkszustands straßenverkehrsrechtliche Sofortmaßnah- Brückenbauwerk anschließende Stützwände und Lärm- men wie die Reduzierung der Fahrstreifenbreite auf schutzwände geplant. Im Januar 2019 erfolgte mit der 2,75 m und 3,25 m je Überbau, ein Lkw-Überholverbot Erteilung des Gesehensvermerks die Genehmigung des und die Geschwindigkeitsreduzierung von 80 km/h auf Ersatzneubauprojekts durch das BMVI in Bonn. © 2020 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 97 (2020), Heft 7517
M. Gehring, D. Bayer: Semi-integrale Gumpenbachbrücke in Kornwestheim 2 Bauwerksbeschreibung einer mehrwöchigen Verkürzung der Bauzeit führt. Die Ausführung ohne temporäre Hilfskonstruktionen ist eine 2.1 Allgemeines nachhaltige Vorgehensweise, um Ressourcen zu schonen. Ziel der Entwurfsbearbeitung war es, an Ort und Stelle Die Planung, den Überbau mitsamt den Mittelstützen des Bestands, in möglichst kurzer Zeit, ein wirtschaftli- und Fundamenten zu verschieben, führte zu weiteren ches, aber auch gestalterisch gut in die Umgebung einge- kosten- und zeitsparenden Effekten. Daraus ergab sich als passtes Bauwerk zu entwerfen. Die Brückenplanung weitere Besonderheit die Ausführung als semi-integrales wurde unter komplexen Randbedingungen mit der Maß- Bauwerk. Durch den monolithischen Anschluss der Mit- gabe der Machbarkeit und möglichst wenig Kollisionen telstützen an den Überbau entfallen hier die Lager, was mit bestehenden Fundamenten, Kanälen, Leitungen, wiederum zu einer Verminderung zukünftiger Instand- nachbarschaftlicher Bebauung, deren verkehrlicher Er- haltungskosten führt. schließung und dem Naturschutz erarbeitet. Im Rahmen der Vorplanung wurden daher zahlreiche Varianten unter Berücksichtigung des Bauablaufs untersucht. 2.2 Brückenquerschnitt Eine der wichtigsten Randbedingungen für die Ersatzneu- Der Streckenabschnitt der Gesamtmaßnahme wurde neu bauplanung war die Aufrechterhaltung des Verkehrs auf trassiert, wobei die Hauptachse der Bundesstraße B 27, der sehr stark befahrenen Bundesstraße. Im Jahr 2017 welche im Bauwerksbereich in einer Geraden verläuft, betrug der durchschnittliche tägliche Verkehr (DTV) unverändert blieb. Ebenfalls unverändert blieb das Längs- 49 000 Kfz/d. Die Überlegung, jeweils ein Teilbauwerk gefälle von 1,0 % in Richtung Ludwigsburg. Die Quernei- nach dem anderen zu erneuern, wurde schnell verworfen, gung beider bestehender Überbauten beträgt konstant da dies zu massiven Verkehrsstörungen geführt hätte. Bei 1,50 % nach außen, diese wurde auf 2,50 % nach außen der hierfür erforderlichen Einrichtung eines 2+0-Ver- erhöht. Die vorhandene Strecken- und Verkehrscharakte- kehrs (Gegenverkehr mit Schwerverkehr) auf dem ver- ristik bleibt durch die Anpassungen weitgehend erhalten. bleibenden Bestandsteilbauwerk wäre zudem vorab eine Aufgrund der zu berücksichtigenden Ein- und Ausfädel- umfangreiche Ertüchtigung erforderlich geworden. spuren der Anschlussstelle wurde als Regelquerschnitt ein modifizierter RQ 25B nach RAA mit einer Fahrbahn- Die naheliegendste Lösung zum Erhalt der Anzahl der breite von 12 m gewählt, um eine 4+0-Baustellen-Ver- bestehenden Fahrspuren während der Bauzeit ist eine kehrsführung auch in der Zukunft zu ermöglichen. Damit temporäre Behelfsbrücke. Im vorliegenden Fall wurde ergibt sich eine Querschnittsbreite von 30,95 m für das auch der Bau eines Teilbauwerks in Seitenlage diskutiert gesamte Brückenbauwerk (Bild 1). und alsbald favorisiert. Der weitere Entwurfsprozess ver- folgte den Bau des östlichen Teilbauwerks in Seitenlage, Nachdem die Festlegung getroffen war, einen Überbau da ausreichend Platz dafür zur Verfügung steht und sich mittels späterem Querverschub zu erstellen, ergaben sich ein Bau in Seitenlage wirtschaftlich günstiger als eine Be- zwei Favoriten: der zur Ausführung kommende Spannbe- helfsbrücke darstellte. tonquerschnitt und die Variante eines luftdicht geschweiß- ten Stahlhohlkastens mit aufbetonierter Stahlbetondruck- Diese Variante ermöglicht auch während des Großteils platte. Insbesondere der gegenüber anderen Varianten der dreijährigen Bauzeit die Aufrechterhaltung eines leichtere Stahlverbundüberbau hätte sich günstig auf den 2+2-Verkehrs. Zudem entfällt der Rückbau der Behelfs- Querverschub ausgewirkt. Der dichtgeschweißte, nicht be- brücke einschließlich der zugehörigen Auflager, was zu gehbare Stahlhohlkasten birgt jedoch große Schwierigkei- Bild 1 Brückenquerschnitt Ersatzneubau Gumpenbachbrücke Cross section of the reconstruction of the Gumpenbach bridge 518 Bautechnik 97 (2020), Heft 7
M. Gehring, D. Bayer: Lateral shifting of a bridge including columns and foundations BERICHT Report ten bei der Prüfbarkeit der innen liegenden Bauteile. Die dem Bauwerk. Weiterhin rückt im Grundriss (Bild 2) das aus der Bauweise resultierenden Vorteile überwiegen aus temporäre Widerlager in Seitenlage von der bestehenden Sicht aller Planungsbeteiligter nicht die Risiken, welche bei östlichen Bebauung ab. einem luftdicht geschweißten Stahlhohlkasten auftreten können. Aus diesem Grund wurde diese Querschnittsvari- Die großzügigen Feldweiten des gevouteten 3-Feld-Trä- ante in einer Entwurfsbesprechung wieder verworfen. gers bei Stützweiten von 29,90 m – 40 m – 29,90 m erge- Damit ergab sich als durchzuplanende Vorzugsvariante für ben die beste Lösung unter Berücksichtigung aller gege- den Querschnitt ein zweistegiger Spannbetonplattenbal- benen Randbedingungen. Das Bauwerk fügt sich harmo- ken mit einer Bauhöhe von 1,9 m im Feld und 2,6 m über nisch in die darunterliegende innerörtliche Parklandschaft den Stützen. ein. Die gevouteten Spannbetonbalken entsprechen einer robusten Schlankheit von L/15 im Innenfeld und ergeben für den Betrachter eine ausgewogene Bauwerksansicht 2.3 Brückenlängsschnitt (Bild 3). Aufgrund der direkt an die Bundesstraße angren- zenden Bebauung werden entlang dem neu auszubauen- Das bestehende Brückenbauwerk ist ein tiefgegründeter den Streckenabschnitt Lärmschutzwände hergestellt. 4-Feld-Träger mit einer Gesamtlänge von 99,80 m. Bei der Diese ca. 2,70 m bzw. 4,50 m hohen Wände auf dem Untersuchung zahlreicher Varianten erwies es sich als Bauwerk beeinflussen die Ansicht der Brücke signifikant. ungünstig, die bestehende Stützenstellung aufzugreifen. Sie wurden in enger Abstimmung mit der Stadt Kornwest- Um die bestehende Rammpfahlgründung zu umgehen heim von einem Architekten geplant. An der Lärmschutz- und eine möglichst ungestörte Gründungssituation zu er- wand auf dem westlichen Teilbauwerk sticht besonders zielen, wurde der Neubau als 3-Feld-Träger geplant. Wi- ein goldener Stahlrohrbrückenbogen ins Auge (Bild 3). derlager- und Stützenachsen sind unter einem Winkel Dieser symbolisiert die verbindende Wirkung einer Brü- von 85 gon zur Hauptachse gedreht. Die Schiefwinklig- cke und vermittelt dem Verkehrsteilnehmer die Überfahrt keit in Talhauptrichtung ergibt sich aus den unterführten eines Bauwerks. Straßen und führt zu einer besseren Durchsicht unter Bild 2 Grundriss Ersatzneubau Gumpenbachbrücke Plan view of the reconstruction of the Gumpenbach bridge Bild 3 Westliche Ansicht des Bauwerks mit Lärmschutzwänden West elevation of the bridge with noise reduction barriers Bautechnik 97 (2020), Heft 7519
M. Gehring, D. Bayer: Semi-integrale Gumpenbachbrücke in Kornwestheim Bild 4 Geplanter Bauablauf mit Verkehrsführung (Hauptbauphasen) Planned construction process including traffic routing (main steps) 3 Bauablauf Richtung Ludwigsburg verbleibt auf dem östlichen Über- bau in Seitenlage. Das verbliebene östliche Bestandsbau- Für den Bauablauf (Bild 4) des Ersatzneubaus ergeben werk befindet sich nun in einer „Insellage“ zwischen den sich aufgrund der verkehrlichen Randbedingungen zahl- beiden Neubauten und wird abgebrochen. Die endgültigen reiche komplex mit der Streckenplanung abzustimmende Widerlager des sich in östlicher Seitenlage befindlichen Bau- und Verkehrsphasen. Die für den Brückenbau signi- Neubaus werden zwischen den neuen Bauwerken erstellt. fikanten Hauptphasen sind wie folgt: Bauphase 4: Der Verkehr wird für beide Fahrtrichtungen Vorabmaßnahme: In der sog. Bauphase 0 werden sämtli- auf das neue westliche Teilbauwerk verlegt (4+0-Ver- che vorbereitenden Arbeiten des Straßen-, Tief- und Ka- kehr). Nun erfolgt der Querverschub des östlichen, sich nalbaus sowie die Leitungsverlegungen unter der Brücke in Seitenlage befindlichen Überbaus einschließlich Mit- durchgeführt. telstützen und Fundamenten in seine endgültige Lage. Bauphase 1: In Bauphase 1 bleibt die bestehende Ver- Im Zuge der verschiedenen Bauphasen sind umfangrei- kehrsführung der Bundesstraße B 27 unverändert. Das che Verbauarbeiten erforderlich. Es kommen Bohrträger- östliche Teilbauwerk wird in Seitenlage auf einem boden- verbauten und Bodenvernagelungen zum Einsatz, welche gestützten Traggerüst hergestellt. Der Bau erfolgt mit den je nach Bauphase unterschiedliche Richtungen der endgültigen Mittelstützen und der zugehörigen Grün- Rückverankerungen erfordern. Die Verbauten müssen dung. Die Widerlager an den Brückenenden werden be- also „umgeankert“ werden. Teilweise kommen auch helfsmäßig hergestellt. „Totmann“-Konstruktionen zur Ausführung. Bauphase 2: Nach Verlegung der Verkehrsführung auf den neuen östlichen Überbau in Seitenlage und das beste- 4 Konstruktion semi-integrale Bauweise hende östliche Teilbauwerk wird in Bauphase 2 das beste- hende westliche Teilbauwerk komplett bis zur Abbruch- Das Brückenbauwerk wird statisch für das Lastmodell grenze entlang der Achse der Bundesstraße abgebrochen. LM 1 nach dem Eurocode 2 (DIN EN 1991-2 i.V.m. Im Anschluss wird das westliche Teilbauwerk in endgülti- DIN EN 1991-2/NA) bemessen. Da das Brückenbauwerk ger Lage vollständig hergestellt. im Zuge der Bundesstraße, welche gleichzeitig Lateral- straße 720 ist, innerhalb des Militärstraßengrundnetzes Bauphase 3: Der Verkehr in Richtung Stuttgart wird auf liegt, ist die Militärlastklasse MLC 50/50-100 nach den neuen westlichen Überbau verlegt, der Verkehr in STANAG 2021 erforderlich. 520 Bautechnik 97 (2020), Heft 7
M. Gehring, D. Bayer: Lateral shifting of a bridge including columns and foundations BERICHT Report schen Mittelstützen und Bohrpfahlgründung hergestellt. Bei Teilbauwerk Ost erfolgt, bedingt durch den geplanten Querverschub, eine Trennung zwischen Stützenfunda- menten und Pfahlkopfbalken der Tiefgründung. In einer Grenzwertbetrachtung wurde der biegesteife Anschluss am Stützenfuß einer gelenkigen Lagerung gegenüberge- stellt. Aufgrund der großen Normalkräfte in den Stützen wird auch im Bereich des Gelenks das zugehörige Mo- ment in die Pfahlgründung übertragen. Somit ergeben sich für die statischen Systeme der beiden Teilbauwerke nur marginale Differenzen und keine Unterschiede bei Bild 5 Modell der dreidimensionalen FE-Berechnung (Gesamtsystem) den Bauteilabmessungen. Finite element 3-D-model of the semi-integral construction 5 Querverschub 5.1 Statische Randbedingungen Auf den Widerlagern liegt der Überbau mittels Kalotten- lager querfest und in Längsrichtung verschieblich auf. Die Der östliche Überbau wird in Seitenlage hergestellt und beiden Mittelstützenreihen bilden die allseitigen Fest- später einschließlich Mittelstützen und Fundamenten in punkte der semi-integralen Brückenkonstruktion, sie sind die Endlage verschoben. Dies ist laut BMVI der erste biegesteif mit dem Überbau verbunden. Die Ableitung der Querverschub einer semi-integralen Talbrücke in Horizontalkräfte erfolgt über vier Stützen pro Teilbau- Deutschland. werk mit Höhen von ca. 8,0 m und einem Durchmesser von 1,60 m. Auf den Fundamentvorsprüngen der Widerlager erfolgt der Aufbau einer Behelfskonstruktion, auf der die jeweili- Das Konstruktionsprinzip der integralen Bauweise, wel- ge Verschubeinheit installiert wird. Die Mittelstützen in ches auf schlanken, verformbaren Bauteilen basiert, wird den beiden Stützenachsen sind an die verschiebbaren mit einer horizontal nachgiebigen Gründung der beiden 1,0 m hohen und 3,0 m breiten Fundamentbalken (Ver- Stützenreihen erreicht. Die Gründung besteht aus nur schiebebalken) sowie auch an den Überbau monolithisch einer Bohrpfahlreihe pro Stützenachse. Aufgrund der ho- angeschlossen. Die Pfahlkopfbalken werden als U-förmi- rizontal weichen Bettung der Pfähle im oberen Bereich ge Verschubbahnen mit einer Gesamthöhe von ca. 2,10 m des Baugrunds können sich auftretende Bauteilbewegun- und einer Breite von 3,0 m ausgebildet. In der sich erge- gen zwängungsarm einstellen. Gemäß RE-ING 2016/12, benden 1,60 m breiten und 1,20 m hohen Aussparung Teil 2, Abschnitt 5 wurde das Gesamtsystem (Bild 5) mit (Bild 7) findet die technische Verschubeinrichtung in den oberen und unteren Grenzwerten der Steifemoduln Form von hydraulischen Hubzylindern auf Gleitbahnen Es vorbemessen. Platz. Das statische System sieht für den Anschluss der Stützenfüße auf der Verschubbahn eine gelenkige Lage- Durch die unterschiedliche Herstellung der beiden Teil- rung vor. Für die Bauphase des Querverschubs werden bauwerke ergibt sich eine unterschiedliche Ausbildung die beiden Stützenreihen am Fuß über eine Zug-Druck- der Stützenfundamente. Das Teilbauwerk West wird in kopplung aus einer Stahl-Fachwerkkonstruktion (Bild 6) endgültiger Lage mit einer biegesteifen Verbindung zwi- miteinander verbunden. Das statische System wird somit Bild 6 Längsschnitt des östlichen Teilbauwerks in der Bauphase 4 (Querverschub) Longitudinal section of the Eastern bridge in construction phase 4 (lateral shifting) Bautechnik 97 (2020), Heft 7521
M. Gehring, D. Bayer: Semi-integrale Gumpenbachbrücke in Kornwestheim 5.3 Kraftübertragung Fußpunkt Im Spalt zwischen Verschubbahn und Verschiebebalken wird ein Mörtelbett auf einer Trennlage eingebaut. Da es sich bei den beiden Pfeilerachsen um die Festpunkte des Bauwerks handelt, wird eine bauzeitliche Anschlagkons truktion zur Aufnahme der Horizontalkräfte in Brücken- längsrichtung angebracht. Im Zuge des Querverschubs wird das Mörtelbett ausgebaut und in Endlage des Bau- werks durch einen Fugenvergussmörtel ersetzt. Um einen vollständig hohlraumfreien Fugenverguss und damit einen sehr guten Kraftübertrag zu gewährleisten, werden auf den Oberkanten der U-förmigen Verschubbahn und der Unterkante des Verschiebebalkens Edelstahlplatten eingebaut. Zur Überprüfung des Fugenvergusses wird im Vorfeld des Querverschubs im Baufeld ein Probebauteil des Verschiebebalkens sowie der Verschubbahn im Ver- Bild 7 Detailschnitt der Verschubbahn hältnis 1:1 hergestellt. Die Bedeutung des Fugenvergusses Detailed section of the skidway wird hervorgehoben, da im Endzustand zu den vorhande- nen Vertikallasten sämtliche Horizontallasten über Rei- bung in der Vergussfuge übertragen werden. Für die zu übertragenden Horizontalkräfte genügt ein Reibbeiwert kurzgeschlossen. Dadurch werden außerplanmäßige ge- von µ = 0,15. genseitige Verschiebungen der Stützenfüße während des Verschubs verhindert. 5.4 Hindernis Kanal Die Bohrpfähle des Bauwerks erfahren unter Betrieb in der Seitenlage eine planmäßige Setzung. Beim Querver- Durch das innerorts liegende Baufeld unterhalb der Brü- schub wird das Bauwerk auf teilweise noch unbelastete cke führt ein großer Abwasserkanal DN 2000, welcher Pfähle verschoben. Die sich hierbei ergebende Setzung nicht verlegt werden kann. Die neuen Gründungsbauteile wird durch das geplante Verschubsystem sofort hydrau- der Brücke in Seitenlage, insbesondere die Verschub- lisch ausgeglichen. Um zu große Verformungen zu ver- bahn, kommt in einer der mittleren Stützenachsen dem meiden, wird das Brückenbauwerk in Endlage um die Kanal DN 2000 und einem weiteren bestehenden Kanal sich bis dato eingestellte Setzung angehoben. Die sich DN 500 bis zu einem Abstand von 25 cm sehr nahe. Die einstellende Sofortsetzung der erstmals belasteten Bohr- dortigen Bohrpfähle werden mit einem lichten Mindest- pfähle der Endlage ergibt somit keine weiteren Verfor- abstand von 1,0 m zu den Kanälen vom bestehenden Ge- mungen für den Überbau. lände aus gebohrt. Bei der Herstellung der Baugrube der Gründungsbauteile wird der Kanal DN 2000 teilweise vollständig freigelegt. Da dieser nicht beschädigt werden 5.2 Kriterien Verschubsystem darf, wird der freigelegte Kanal mittels einer Stahlkons truktion in der Lage gesichert. Hierfür werden entlang Um einen sicheren Verschub zu gewährleisten, werden des Rohrs Bohrträger eingebracht, an welchen der Kanal folgende Mindestkriterien für das Verschubsystem festge- zug- und druckfest in horizontaler und vertikaler Rich- legt: tung temporär befestigt wird (Bild 7). – geringer Reibungsbeiwert von ≤ 1 % und geringe Diffe- renz zwischen Haft- und Gleitreibung zur Minimie- 5.5 Verschubvorgang rung der Anfangsreibung (z. B. durch Fluid-Technik) – kontinuierlicher Verschub durch hydraulische Ver- Der Verschubvorgang ist nach Aufbau des Verschubsys- schubanlage (konventionelle Litzenheber sind ungeeig- tems wie folgt geplant: net) und Zug- und Druckeinheiten als Verschubgeräte – Aufnahme und Übertragung der bauzeitlichen Hori- – temporäre Queraussteifung (Auskreuzung) zwischen zontallasten (z. B. aus Wind) durch die hydraulische den Stützen Verschubanlage – temporäre Zug-Druck-Kopplung der vier Stützenfüße – Ausgleichsmöglichkeit von Setzungen während des in Längsrichtung Verschubs zur Vermeidung von Zwängungen im Bau- – Freimachen bzw. Lösen der Lager-, Übergangs- und werk temporären Anschlagkonstruktionen in den Widerla- – zentrische Lasteinleitung in das Verschubsystem und ger- und Stützenachsen Vermeidung von Verdrehungen und Exzentrizitäten – Anheben der Brücke in allen vier Achsen gleichzeitig (z. B. durch Kalottenlagerung) um wenige cm 522 Bautechnik 97 (2020), Heft 7
M. Gehring, D. Bayer: Lateral shifting of a bridge including columns and foundations BERICHT Report – Elastomereinlage zwischen Verschubbahn und Ver- genen verkehrlichen Anforderungen sowie der höheren schiebebalken zum Schutz der Betonflächen bei un- Lasten ist eine Ertüchtigung in vielen Fällen nicht wirt- planmäßigem Absetzen der Last einlegen schaftlich. Da die Verkehrsachsen bereits bestehen, ist – paralleler, gleichzeitiger kraft- und weggesteuerter i. d. R. ein Ersatzbauwerk an Ort und Stelle zu erstellen. (Quer-)Verschub in allen Achsen um 10,55 m bis in In den meisten Fällen ist eine Sperrung des Verkehrswegs die Endlage kaum möglich. Aus diesem Grund ist stets ein Hauptkri- – Ausbau der Elastomereinlage terium für die Planung, den Verkehr auf der bestehenden – Einbau neuer Kalottenlager in den Widerlagerachsen Verkehrstrasse während der Bauzeit so wenig wie mög- – Bauwerk auf planmäßige Höhe absenken lich zu beeinträchtigen. Anstelle des Baus und der Unter- – Vergießen der Vergussfuge zwischen Verschubbahn haltung einer Behelfsbrücke kommt die Herstellung des und Verschiebebalken endgültigen Bauwerks in Seitenlage mit anschließendem – Ab- und Ausbau von Verschubeinrichtungen, Behelfs- Verschub in Endlage als kosten- und zeitsparende Alter- konstruktionen, temporärer Queraussteifung und Zug- native immer häufiger zur Ausführung. Mit dem Entwurf Druck-Kopplung der Gumpenbachbrücke in Kornwestheim ist unter kom- – Fundamentschacht in U-förmiger Verschubbahn mit plexen Randbedingungen eine gesamtheitlich innovative Beton verfüllen und fortschrittliche Planung für einen Brückenersatzneu- bau entstanden. Das neuartige Bauverfahren wurde im Rahmen der Entwurfsplanung bereits mit einem Prüfinge- 6 Schlusswort nieur abgestimmt und wird im Zuge der Bauausführung intensiv begleitet. Die gefällig gestaltete Gumpenbachbrü- In den letzten Jahren und für die nächsten Jahrzehnte cke mit monolithisch verbundenen Pfeilern garantiert wird der Fokus in der Brückenplanung vom Brückenneu- nach ihrem Verschub und der Fertigstellung des Gesamt- bau zum Ersatzneubau wandern. Die Bauwerke im Ver- projekts eine langfristige Nutzung des Bauwerks auch im kehrsinfrastrukturnetz in Deutschland sind zahlreich und Hinblick auf das zukünftige Verkehrsaufkommen auf der häufig in einem schlechten Zustand. Aufgrund der gestie- Bundesstraße. Autoren Zitieren Sie diesen Beitrag Dipl.-Ing. (FH) Markus Gehring Gehring, M.; Bayer, D. (2020) Semi-integrale Gumpenbachbrücke in gehring.m@kuhndecker.de Kornwestheim – Querverschub einer Brücke einschließlich Stützen Kuhn Decker GmbH & Co. KG und Fundamente. Bautechnik 97, H. 7, S. 517–523. Bunsenstraße 80 https://doi.org/10.1002/bate.202000008 71032 Böblingen Dipl.-Ing. Daniela Bayer (Korrespondenzautorin) bayer.daniela@lra-es.de Landratsamt Esslingen (vormals Regierungspräsidium Stuttgart) Osianderstraße 6 73230 Kirchheim unter Teck Bautechnik 97 (2020), Heft 7523
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