Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

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Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
Sicheres Radfahren
  in einem gemeinsam
genutzten Straßenraum

                     Berichte der
 Bundesanstalt für Straßenwesen
                 Allgemeines Heft A 44
Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
Sicheres Radfahren
  in einem gemeinsam
genutzten Straßenraum

                                                     von

                                        Ingo Koßmann
                           Benjamin Schreck-von Below
     BASt - Abteilung Verhalten und Sicherheit im Verkehr

                                unter der Beteiligung von

                                    Markus Schumacher
                                          Martina Suing
     BASt - Abteilung Verhalten und Sicherheit im Verkehr

                                           Janine Kübler
                                          Caroline Rose
                                        Andreas Walkling
                BASt - Abteilung Straßenverkehrstechnik

                                         Maxim Bierbach
                                           Oliver Zander
                       BASt - Abteilung Fahrzeugtechnik

                                       Florian Schneider
                              Stadt Freiburg im Breisgau

                     Berichte der
 Bundesanstalt für Straßenwesen
                           Allgemeines Heft A 44
Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs­
ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
besteht aus folgenden Unterreihen:
A -   Allgemeines
B -   Brücken- und Ingenieurbau
F -   Fahrzeugtechnik
M-    Mensch und Sicherheit
S -   Straßenbau
V -   Verkehrstechnik
Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
dem Namen der Verfasser veröffentlichten
Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
Herausgebers wiedergeben.
Nachdruck und photomechanische Wiedergabe,
auch auszugsweise, nur mit Genehmigung
der Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Kommunikation.
Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen können
direkt bei der Carl Ed. Schünemann KG,
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
Über die Forschungsergebnisse und ihre
Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
Informationsdienst Forschung kompakt berichtet.
Dieser Dienst wird kostenlos angeboten;
Interessenten wenden sich bitte an die
Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Kommunikation.
Die Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)
stehen zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
https://bast.opus.hbz-nrw.de

Impressum

Bericht zum Forschungsprogramm Straßenverkehrssicherheit
Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum
Herausgeber
Bundesanstalt für Straßenwesen
Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
Telefon: (0 22 04) 43 - 0
Redaktion
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Druck und Verlag
Fachverlag NW in der
Carl Ed. Schünemann KG
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53
Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48
www.schuenemann-verlag.de
ISSN 0943-9285
ISBN 978-3-95606-588-0
Bergisch Gladbach, Mai 2021
Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
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Kurzfassung – Abstract

Sicheres Radfahren in einem gemeinsam ge-               •   Infrastrukturelemente entwickeln und pilothaft
nutzten Straßenraum                                         untersuchen

Radfahren liegt im Trend. In Kommunen, Ländern          •   Maßnahmenumsetzung und deren Hindernisse
und auf Bundesebene wird das Ziel verfolgt, den             in der Praxis
Anteil des Fahrradverkehrs als ökologische Mobili-      •   Technische Maßnahmen
tätsform weiter zu steigern. Die Förderung des Rad-
                                                        Das Forschungsprogramm ist in Teilen offen und
verkehrs kann einen wesentlichen Beitrag zur Errei-
                                                        dynamisch angelegt, so dass neue Erkenntnisse
chung wichtiger verkehrspolitischer Ziele wie der
                                                        und Erfahrungen noch Eingang finden können. Alle
Reduzierung der CO2-Emmissionen oder der Ver-
                                                        Projekte sind so angelegt, dass sich die zu erwar-
ringerung von innerstädtischen Verkehrsproblemen
                                                        tenden Erkenntnisse am realen Bedarf in der Praxis
liefern.
                                                        orientieren.
Dass vor allem in Großstädten immer mehr Men-
                                                        Bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung
schen Rad fahren, führt allerdings auch dazu, dass      des Radverkehrs sehen sich die Kommunen immer
es auf den vorhandenen Radverkehrsanlagen im-           wieder vor Herausforderungen gestellt, die aus ört-
mer enger wird. Radfahren findet in der Stadt im All-   lichen und verkehrlichen Gegebenheiten resultie-
gemeinen in einem gemeinsam genutzten Straßen-          ren. Um in solchen Fällen trotzdem dem Rad- und
raum statt. Dabei ist der zur Verfügung stehende        Kfz-Verkehr dienliche Lösungen zu finden, werden
Verkehrsraum in Städten begrenzt und geprägt von        in enger Zusammenarbeit zwischen der BASt und
einer Konkurrenz zwischen Mobilitätsformen um           der Stadt Freiburg im Breisgau pilothafte Untersu-
entsprechende Verkehrsflächen. Vor diesem Hin-          chungen durchgeführt werden.
tergrund stellt eine Umverteilung von Flächen hin-
sichtlich z. B. der Akzeptanz aller Verkehrsteilneh-    Die Umsetzung des Sicherheitsforschungspro-
menden eine große Herausforderung dar. Es müs-          gramms mit einer Laufzeit von sechs Jahren erfolgt
sen daher Gesamtlösungen gefunden werden, die           interdisziplinär und wird von einer abteilungsüber-
auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen,        greifenden und interdisziplinären Arbeitsgruppe in-
da sich optimale Bedingungen für alle nur schwer        nerhalb der BASt gesteuert. Neben einem kontinu-
realisieren lassen. Hierbei ist das übergeordnete       ierlichen Monitoring des Programmfortschritts wird
Ziel, ein rücksichtsvolles Miteinander im Straßen-      es auch Aufgabe dieser Arbeitsgruppe sein, gewon-
verkehr zu fördern.                                     nene Erkenntnisse zu verbreiten und regelmäßig
                                                        über den Programmfortschritt zu berichten. Die Er-
Das vorliegende Sicherheitsforschungsprogramm           gebnisse von abgeschlossenen Teilprojekten wer-
der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) greift        den u. a. in der Schriftenreihe der BASt veröffent-
die Fragestellungen auf, konzentriert sich auf For-     licht. Zum Abschluss des Programms wird durch die
schungsaktivitäten zum sicheren Radfahren in ei-        Arbeitsgruppe ein zusammenfassender Bericht er-
nem gemeinsam genutzten Straßenraum und damit           stellt.
auf Interaktionen insbesondere zwischen Rad-, Kfz-
und Fußverkehr auf innerörtlichen Straßen, um
letztendlich wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse
und Maßnahmenansätze bereitstellen zu können.           Safe cycling on shared roads

Hierbei stehen folgende Forschungsthemen im Fo-         The cycling trend continues. In municipalities,
kus:                                                    federal states and at the federal level, the goal is to
                                                        further increase the share of cycling as an
•   Verkehrskultur, -klima und rücksichtsvolles Mit-    environmentally friendly mobility option. Promoting
    einander                                            cycling can make a significant contribution to
                                                        achieving important transport policy goals such as
•   Gefahrenwahrnehmung und -bewertung
                                                        reducing CO2 emissions or solving inner-city traffic
•   Bekanntheit und Einhaltung von Verkehrsregeln       problems.
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However, as more and more people are cycling,              interdisciplinary    and    is    steered     by   an
especially in large cities, existing cycling facilities    interdepartmental and interdisciplinary working
are getting congested. Cycling in the city generally       group within the BASt. In addition to continuous
takes place in a shared road space. At the same            monitoring of the progress of the programme, it will
time, the available traffic space in cities is limited     also be the task of this working group to disseminate
and dominated by competition between different             findings and report regularly on the progress of the
forms of mobility. Against this background, a              programme. The results of sub-projects will be
reallocation of space presents many challenges,            published in the BASt publication series, among
e.g., the acceptance by all road users. Therefore,         others. Upon completion of the programme, a
overall solutions must be found that meet with broad       summary report will be prepared by the working
public approval, as it is difficult to realise optimal     group.
conditions for all. The overriding goal here is to
promote considerate coexistence of all road users.

The present safety research programme of the
Federal Highway Research Institute (BASt) takes
up these issues, focuses on research activities for
safe cycling in a shared road space and thus on
interactions in particular between cycling, motor
vehicle and pedestrian traffic on inner-city roads, in
order to ultimately be able to provide scientifically
sound findings and approaches to measures.

The focus is on the following research topics:

•   Traffic culture and climate as well as considerate
    coexistence

•   Danger perception and assessment

•   Awareness of and compliance with traffic
    regulations

•   Developing and piloting infrastructure elements

•   Practical implemenation of measures

•   Technical measures

The research programme is open and dynamic in
parts, so that new findings and experiences can still
be incorporated. All projects are designed in such a
way that the expected findings are oriented towards
practical needs.

When implementing measures to promote cycling,
municipalities are repeatedly confronted with
challenges resulting from local infrastructure and
traffic conditions. In order to find solutions that are
beneficial both to cycling and to motor vehicle traffic,
pilot studies will be carried out in close cooperation
between the BASt and the city of Freiburg im
Breisgau.

The implementation of the safety research
programme, which will run for six years, is
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Inhalt

Vorbemerkung............................................................ 6     3           Umsetzung des Forschungsprogramms
                                                                                           und Verbreitung der Inhalte...................... 21
1          Ausgangssituation und Stand der                                     3.1         Organisatorisches......................................... 21
           Forschung..................................................... 6
                                                                               3.2         Formales....................................................... 22
1.1        Mobilitätsstruktur............................................. 7
1.2        Radverkehrssicherheit.................................... 8         Literatur .................................................................... 22

1.3        Innerstädtische Verkehrsnetze und
           Routenwahl der Radfahrenden...................... 9
1.4        Einordnung in den Forschungsrahmen........ 11
1.5        Folgerungen.................................................. 12

2          Ziele des Forschungsprogramms............ 12
2.1        Verkehrskultur, -klima und
           rücksichtsvolles Miteinander........................ 12
2.2        Gefahrenwahrnehmung und
           -bewertung.................................................... 14
2.3        Bekanntheit und Einhaltung von
           Verkehrsregeln.............................................. 14
2.3.1      Erfassung und Verbesserungspotenziale.... 14
2.3.2      Bekanntheit und Nutzung der
           Führungsformen des Radverkehrs.............. 15
2.4        Infrastrukturelemente entwickeln
           und pilothaft untersuchen............................. 17
2.4.1      Radverkehrsnetze und deren
           Entwurfselemente......................................... 17
2.4.2      Umsetzung und pilothafte Untersuchung
           von Infrastrukturelementen........................... 18
2.4.3      Pilothafte Untersuchungen in Kooperation
           mit der Stadt Freiburg im Breisgau.............. 18
2.4.4      Technische Anforderungen an
           Infrastrukturelemente ................................... 19
2.5        Maßnahmenumsetzung und deren
           Hindernisse in der Praxis............................. 19
2.6        Technische Maßnahmen.............................. 20
2.6.1      LED-Beleuchtung im Straßenraum.............. 20
2.6.2      Persönliche Schutzausrüstung und
           fahrzeugtechnische Sicherungssysteme..... 21
Sicheres Radfahren in einem gemeinsam genutzten Straßenraum - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
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Vorbemerkung                                                    um entsprechende Verkehrsflächen. Hierbei stehen
                                                                auch neue Mobilitätsformen z. B. Elektrokleinstfahr-
Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat                   zeuge im Fokus. Eine aktuelle Befragung1 des
u. a. die Aufgabe, eine zielgerichtete Forschungs-              ADAC zeigt zwar eine hohe Zustimmung für die
planung und -koordinierung auf dem Gebiet der                   Umverteilung von Flächen zulasten des Pkw-Ver-
Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr zu                kehrs. Wenig überraschend ist jedoch, dass die Zu-
betreiben und Maßnahmen zur Erhöhung der Ver-
                                                                stimmung hierfür unter den Radfahrenden höher
kehrssicherheit zu entwickeln und auf ihre Effizienz
                                                                ausfällt als unter den Pkw Fahrenden.
zu prüfen. Zu diesem Zweck erarbeitet die BASt
jährlich ein Sicherheitsforschungsprogramm, wel-                Vor diesem Hintergrund stellt eine Umverteilung
ches ausgehend von bekannten bzw. zu erwarten-                  von Flächen hinsichtlich z. B. der Akzeptanz aller
den Sicherheitsdefiziten im Straßenverkehr gezielt              Verkehrsteilnehmenden eine große Herausforde-
Fragestellungen aufgreift, um wissenschaftlich fun-             rung dar. Es müssen daher Gesamtlösungen gefun-
dierte Erkenntnisse und Maßnahmenansätze be-                    den werden, die auf breite Zustimmung in der Be-
reitstellen zu können.                                          völkerung stoßen, da sich optimale Bedingungen
                                                                für alle nur schwer realisieren lassen.

                                                                Die Entwicklung von Maßnahmen für eine sichere
1       Ausgangssituation und Stand                             Gestaltung des Straßenraumes mit einer breiten
        der Forschung                                           Akzeptanz sowie die Förderung eines kooperati-
                                                                ven Miteinanders aller Beteiligten ist Ziel des vor-
Radfahren liegt im Trend. Sei es für den Weg zur
                                                                liegenden Forschungsprogramms Straßenver-
Arbeit, für Erledigungen oder in der Freizeit – immer
                                                                kehrssicherheit (SiFo). Es berücksichtigt das in Er-
mehr Menschen in Deutschland nutzen dieses Ver-
                                                                arbeitung befindliche Verkehrssicherheitspro-
kehrsmittel. Radfahren hat viele Vorteile: Es fördert
                                                                gramm der Bundesregierung für den Zeitraum
die Gesundheit, ist umweltfreundlich und auf kürze-
                                                                2021 bis 2030. Die Handlungsfelder „Sicherer
ren Strecken oft auch eine zeitsparende Alternative
                                                                Radverkehr“ und „Sicherer Fußverkehr und Teilha-
z. B. zur Fahrt mit dem Pkw. Die Förderung des
                                                                be für Alle“ nehmen hier in der gemeinsamen Stra-
Radverkehrs – auch in Zusammenhang mit der zu-
                                                                tegie für die Verkehrssicherheitsarbeit in Deutsch-
nehmenden Nutzung von Elektrofahrrädern – kann
                                                                land 2021 - 2030 (Pakt für Verkehrssicherheit)2 ei-
einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung wichti-
ger verkehrspolitischer Ziele wie der Reduzierung               nen zentralen Stellenwert ein und werden vom
der CO2-Emmissionen oder der Verringerung von                   SiFo unmittelbar aufgegriffen. Das Handlungsfeld
innerstädtischen Verkehrsproblemen liefern. Nicht               „Sicherer Radverkehr“ zeigt auf, dass für einen
zufällig gilt in der Trendforschung der „Bike-Boom“             stetig wachsenden Radverkehr vorhandene erfolg-
im Zuge der Urbanisierung deshalb als Megatrend,                reiche Lösungskonzepte besser umgesetzt und
der die zukünftige Gestaltung der Mobilität stark be-           neue Maßnahmenansätze auf Basis von For-
einflussen wird.                                                schung erarbeitet werden müssen.

In Kommunen, Bundesländern und auf Bundesebe-                   Im Radverkehr soll neben tatsächlichen objektiven
ne wird das Ziel verfolgt, den Anteil des Fahrradver-           Gefahren auch das subjektive Sicherheitsempfin-
kehrs als ökologische Mobilitätsform weiter zu stei-            den stärker berücksichtigt werden. Das Hand-
gern. Dass vor allem in Großstädten immer mehr                  lungsfeld „Sicherer Fußverkehr und Teilhabe für
Menschen Rad fahren, führt allerdings auch dazu,                Alle“ zeigt schwerpunktmäßig den Blick auf den
dass es auf den vorhandenen Radverkehrsanlagen                  demografischen Wandel. Darüber hinaus soll mit
immer enger wird. Radfahren findet in der Stadt im              dem derzeit in Erarbeitung befindlichen neuen Na-
Allgemeinen in einem gemeinsam genutzten Stra-                  tionalen Radverkehrsplan (NRVP) – NRVP 3.0 –
ßenraum statt. Dabei ist der zur Verfügung stehen-              die Strategie der Bundesregierung zur Förderung
de Verkehrsraum in Städten begrenzt und geprägt                 des Radverkehrs in Deutschland weiter verfestigt
von einer Konkurrenz zwischen Mobilitätsformen                  werden.

1   https://www.adac.de/verkehr/standpunkte-studien/mobilitaets-trends/umfrage-flaechenkonkurrenz-verkehr/?redirectId=quer.
    flaechenkonkurrenzen
2   Beschluss der Verkehrsministerkonferenz (TOP 6.6) am 15. Oktober 2020, www.paktfuerverkehrssicherheit.de
7

1.1 Mobilitätsstruktur                                            und liegen damit deutlich über den von konventio-
                                                                  nellen Fahrrädern mit 3,7 km.8
Gemäß der Studie3 Mobilität in Deutschland 2017
(MiD 2017) besaßen im Jahr 2017 78 % der Haus-                    Ein weiterer hierzu beachtender Trend ist, dass äl-
halte mindestens ein Fahrrad und bereits 8 % ein                  tere Menschen zunehmend mobiler werden und
Pedelec (Fahrrad mit elektrischer Tretunterstüt-                  sich dies nicht nur bei Fahrerlaubnisbesitz9 und
zung). Damit gab es im Jahr 2017 in deutschen                     Pkw-Nutzung zeigt, sondern auch beim Modal Split.
Haushalten 72 Mio. Fahrräder (davon 4 Mio. Pede-                  So hat sich beispielsweise zwischen 2002 und 2017
lecs), was im Vergleich zu 2002 einer Erhöhung des                der Modal Split für die Verkehrsbeteiligungsart Rad-
Bestands um rund 5 Mio. entspricht.4                              fahren in der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen
                                                                  von 9 % auf 11 % erhöht. Dies spiegelt sich auch im
Die Verkaufszahlen des Zweirad-Industrie-Verban-                  Fahrradbesitz wider. Der Anteil der Haushalte mit
des5 unterstreichen die deutlich gestiegene Nach-                 Personen ab 65 Jahren, die mindestens ein Fahr-
frage. Im Jahr 2017 wurden 3,85 Mio. Fahrräder                    rad besitzen, stieg zwischen 2002 und 2017 von
(davon 19 % Pedelecs) und im Jahr 2019 4,31 Mio.                  54 % auf 62 % an.10
Fahrräder (davon 32 % Pedelecs) in Deutschland
verkauft. Im ersten Halbjahr 2020 wurden schon ca.                Besonderer Beliebtheit erfreut sich bei den älteren
3,2 Mio. Fahrräder verkauft und damit fast so viele               Radfahrenden die Nutzung von Pedelecs. So wird
wie 2017. Ein deutlicher Zuwachs zeigt sich auch                  von den Personen ab 60 Jahren die Hälfte aller
bei den Verkaufszahlen der Lastenräder. So wur-                   Wege mit dem Pedelec zurückgelegt, von Personen
den im Jahr 2019 knapp 80.000 Lastenräder ver-                    ab 70 Jahren immerhin noch 29 %. Insgesamt hat
kauft, während es 2018 noch rund 55.000 Stück                     sich über alle Altersgruppen jenseits der 60 Jahre
waren.                                                            sich die mit dem Fahrrad zurückgelegte Entfernung
                                                                  erhöht.11
Die Zahlen der MiD 2017 belegen auch, dass sich
nicht nur der Bestand an Fahrrädern erhöht hat,                   Wird nun miteinbezogen, dass sich in Deutschland
sondern auch deren Nutzung. So ist die Anzahl der                 die Anzahl der Menschen ab 67 Jahren von rund
mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege pro Tag von                   16,2 Mio. im Jahr 2013 auf 21,4 Millionen in 204012
rund 24 Mio. im Jahr 2002 auf rund 29 Mio. im Jahr                erhöhen könnte, darf davon ausgegangen werden,
2017 angestiegen. Der Anteil am Modal Split ist im                dass die Nutzung des Fahrrades durch ältere Ver-
gleichen Zeitraum im Bundesdurchschnitt entspre-                  kehrsteilnehmer auch in den nächsten Jahren be-
chend von 9 % auf 11 % angestiegen. Radfahren                     ständig zunehmen wird.
nimmt bundesweit zu, in Metropolen ist die Zunah-
me deutlicher.6 Beispielsweise ist der Modal Split                Dabei muss weiterhin berücksichtigt werden, dass
der Bevölkerung in Köln von 12 % im Jahr 2006 auf                 ältere Radfahrende vielfach deutlich langsamer fah-
19 % in 2017 angestiegen.7 Die bundesweite mittle-                ren und sich gründlicher im Verkehr orientieren als
re Wegelänge ist von 3,2 auf 3,8 km gestiegen. Im                 jüngere Radfahrende.13 Seniorinnen und Senioren
Vergleich zu konventionellen Fahrrädern betragen                  fahren jedoch mit einem Pedelec 2 bis 4 km/h
die mittleren Wegelängen von Pedelecs rund 6,1 km                 schneller als Seniorinnen und Senioren mit einem

3    Repräsentative Studie zum Mobilitätsverhalten in Verbindung mit der Soziodemographie von Personen und Haushalten.
4    FOLLMER, R.; GRUSCHWITZ, D. (2019): Mobilität in Deutschland – MiD Kurzreport. Ausgabe 4.0 Studie von infas, DLR, IVT und
     infas 360. Bonn, Berlin.
5    https://www.ziv-zweirad.de/marktdaten/
6    NOBIS, C.; KUHNIMHOF, T. (2018): Mobilität in Deutschland – MiD Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360.
     Bonn, Berlin.
7    Stadt Köln, Kurzzusammenfassung der aktuellen Erhebungsergebnisse der MiD 2017 zum Mobilitätsverhalten der Kölnerinnen
     und Kölner, Sitzung des Verkehrsausschusses am 11.09.2018
8    NOBIS, C.; KUHNIMHOF, T. (2018), a.a.O.
9    Grund: Steigerung aufgrund der nachwachsenden Generationen, welche einen deutlich höheren Besitz der Pkw-Fahrerlaubnis im
     Vergleich zu den Älteren aufweisen.
10   NOBIS, C.; KUHNIMHOF, T. (2018), a.a.O.
11   NOBIS, C.; KUHNIMHOF, T. (2018), a.a.O.
12   Destatis (2019): 14. Bevölkerungsvorausberechnung, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/
     Bevoelkerungsvorausberechnung/_inhalt.html. Statistisches Bundesamt. Wiesbaden.
13   STEFFENS, U., PFEIFFER, K. & SCHREIBER, N. (1999): Ältere Menschen als Radfahrer. Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft
     M112. Bergisch Gladbach.
8

konventionellen Fahrrad.14 Da mit zunehmendem                       Radnetz Deutschland, Radschnellwege usw.) zur
Alter das Sehvermögen, die Beweglichkeit sowie                      Verfügung.
Reaktions- und Koordinationsvermögen abnehmen
und vermehrt motorische und kognitive Einschrän-
kungen auftreten15, sind diese Alterseinflüsse auf
das sichere Radfahren in Hinblick auf Fahrmanö-                     1.2 Radverkehrssicherheit
ver, Interaktionen usw. insbesondere in einem ge-                   Radfahrende sind als ungeschützte Verkehrsteil-
meinsam genutzten Straßenraum vertieft zu analy-                    nehmende im Vergleich zu Pkw-Insassen einem
sieren. Es gibt also nicht „die Radfahrenden“ als                   deutlich erhöhten Risiko ausgesetzt, bei einem Ver-
Gruppe, sondern, wie auch bei Maßnahmen für                         kehrsunfall schwer verletzt zu werden. Wird hierbei
Pkw-Fahrende, müssen verschiedene Zielgruppen                       die höhere Verkehrsbeteiligung von älteren Men-
mit ihren jeweiligen Besonderheiten adressiert wer-                 schen als Radfahrende berücksichtigt und deren
den.                                                                höhere Verletzbarkeit bedacht, ist zu erwarten, dass
                                                                    die Unfallzahlen mit Beteiligung von Radfahrenden
Unabhängig vom allgemeinen Trend hat das Rad-
fahren im Zuge der Covid-19-Pandemie einen wei-                     nicht die gleiche positive Entwicklung zeigen wer-
teren Boom und Veränderungen insbesondere bei                       den wie die Unfallentwicklung insgesamt.
der städtischen Mobilität erfahren. Aufgrund des
                                                                    Die Kenntnis der Exposition von Personen im Stra-
Einbruchs der Fahrgastzahlen im öffentlichen Per-
                                                                    ßenverkehr ermöglicht, das jeweilige Unfallrisiko für
sonenverkehr gibt es ebenfalls deutliche Verlage-
                                                                    bestimmte Verkehrsteilnehmergruppen zu relativie-
rungen auf das Fahrrad. Diese Auswirkungen sind
                                                                    ren. Es ist nachgewiesen, dass die unfallbeteiligten
vor dem Hintergrund des langfristigen Mobilitätsver-
                                                                    Radfahrenden eine deutlich höhere jährliche Fahr-
haltens der Bürger zu prüfen.
                                                                    leistung als die nicht-verunfallten Radfahrenden
Insbesondere in Städten gibt es ein „Umdenken“                      aufweisen. Jedoch gibt es bisher keine systemati-
und den Beginn der Neuverteilung der Verkehrsflä-                   sche Erfassung der Jahresfahrleistung von Radfah-
chen. So wurden und werden zum Beispiel Flächen                     renden, die eine belastbaren Relativierung des Un-
für den Fahrverkehr ausschließlich für den Radver-                  fallrisikos ermöglicht. Hierbei ist zu berücksichtigen,
kehr markiert („temporäre“ Radfahrstreifen) und                     dass besonders Personen, die selten Fahrrad fah-
z. B. in Berlin, Düsseldorf, München oder Stuttgart                 ren, die gefahrenen Distanzen über das Jahr nur
öffentlichkeitswirksam umgesetzt. Auch schon vor                    schwer einschätzen können. Hinzu kommt, dass
längerer Zeit wurden in einigen Städten vierstreifige               möglicherweise für das Unfallrisiko von Radfahre-
Straßen in z. B. zweistreifige Straßen mit Radfahr-                 nden nicht die gefahrene Strecke ausschlaggebend
streifen umgewandelt. Aber auch die Verbreiterung                   ist, sondern die Zeit, die sie als Radfahrende im
von Radwegen oder die Umwandlung von Flächen                        Straßenverkehr verbringen. Somit ist die Angabe
des ruhenden Verkehrs für die ungeschützten Ver-                    der jährlichen Fahrleistung für Radfahrende, im
kehrsteilnehmenden stellen eine Neuverteilung der                   Vergleich z. B. für Kfz-Nutzende, deutlich schwieri-
Verkehrsflächen dar.                                                ger zu erfassen und somit ungenauer.16

Die Mittel des Bundes für die Radverkehrsinfra-                     Im Jahr 2019 waren laut amtlicher Straßenver-
struktur (investive Mittel) wurden auch vor dem Hin-                kehrsunfallstatistik bei 94.780 Unfällen mit Perso-
tergrund des Energie- und Klimafonds der Bundes-                    nenschaden Radfahrende beteiligt. Dabei wurden
regierung deutlich erhöht. Neben nicht-investiver                   445 getötete und 15.176 schwerverletzte sowie
Mittel zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrs-                    71.721 leichtverletzte Radfahrende registriert.17
plan (NRVP) – fachlich begleitet durch das Bundes-                  Besonders auffällig ist der Anteil der Radfahrenden
amt für Güterverkehr – stehen nun eine Vielzahl an                  mit einem Alter ab 65 Jahren: 261 (59 %) der getö-
Programmen (Sonderprogramm „Stadt und Land“,                        teten Radfahrenden (dabei fuhr ein Drittel mit einem

14   ALRUTZ, D.; BOHLE, W; HACKE, U.; LOHMANN, G; FRIEDRICH, N. (2015): Potentielle Einflüsse von Pedelecs und anderen
     motorunterstützten Fahrrädern auf die Verkehrssicherheit unter besonderer Berücksichtigung älterer Radfahrer“, Schlussbericht
     der Forschungsarbeit, FE 82.0533 der Bundesanstalt für Straßenwesen. Hannover. Darmstadt.
15   von BELOW, A. (2016): Verkehrssicherheit von Radfahrern: Analyse sicherheitsrelevanter Motive, Einstellungen und Verhaltens-
     weisen, Heft M 264. Bergisch Gladbach.
16   von BELOW, A. (2016), a.a.O.
17   Destatis (2020): Verkehr Verkehrsunfälle 2019, Fachserie 8 Reihe 7. Statistisches Bundesamt. Wiesbaden
9

Bild 1:    Anzahl Getötete im Straßenverkehr (innerhalb von Ortschaften) nach Altersgruppe und Art der Verkehrsbeteiligung

Pedelec) und 27 % aller schwerverletzten Radfah-                   das Unfallgeschehen mithilfe von Modellrechnun-
renden gehören zu dieser Altersgruppe.                             gen analysiert. Als Empfehlung wurde festgestellt,
                                                                   dass für Streckenabschnitte – höhere Radverkehrs-
Wird das Unfallgeschehen differenziert nach Orts-                  stärken, mehr ältere Radfahrende und höhere Rad-
lage analysiert, so zeigt sich, dass 61 % (272) der                verkehrsgeschwindigkeit – grundsätzlich nicht zu
getöteten Radfahrenden bei Unfällen innerhalb von                  einer anteiligen Verschiebung des Unfallgesche-
Ortschaften versterben (vgl. Bild 1). Bei schwerver-               hens zwischen den Radverkehrsanlagen und Fahr-
letzten Radfahrenden liegt der Anteil bei 82 %                     bahnführungen führen und diese daher alle unter
(12.386)18                                                         Beachtung der Sicherungsmaßnahmen im techni-
                                                                   schen Entwurfsregelwerk, wie z. B. ausreichende
Der Anteil der getöteten Radfahrenden an allen Ge-
                                                                   Sicherheitsräume, weiterhin in der Umsetzung in
töteten steigt innerorts kontinuierlich an. Der Anteil
                                                                   Betracht kommen. Jedoch führt der demografische
der Radfahrenden an allen Getöteten innerhalb von
                                                                   Wandel – mit einem höheren Anteil von über 65-Jäh-
Ortschaften beträgt 2019 bereits 29 % (zum Ver-
                                                                   rigen am Radverkehr – zu einer Zunahme von Rad-
gleich 20 % im Jahr 2000). Hinsichtlich des gesam-
                                                                   verkehrsunfällen und insbesondere zu mehr schwe-
ten Unfallgeschehens ist seit dem Jahr 2000 ein po-
                                                                   ren Unfällen. Mit dem ermittelten Anstieg der Unfall-
sitiver Trend zu verzeichnen (vgl. Bild 2). Die Anzahl
                                                                   dichten für einige Formen der Radverkehrsführun-
der innerhalb von Ortschaften Verunglückten (2000:
                                                                   gen begründen die Autoren einen besonderen
302.627 Verunglückte) ist ausgehend vom Jahr
                                                                   Handlungsbedarf, um die Verkehrssicherheit zu er-
2000 um 15 % zurückgegangen. Jedoch ist im glei-
                                                                   höhen.
chen Zeitraum auch ein Anstieg der verunglückten
Radfahrenden (2000: 65.245 Verunglückte) um
19 % zu verzeichnen.
                                                                   1.3     Innerstädtische Verkehrsnetze
Im Rahmen einer Studie19 wurden – ausgehend                                und Routenwahl der
vom heutigen Radverkehrsgeschehen – Szenarien                              Radfahrenden
in Abhängigkeit der Alterszusammensetzung, des
Radverkehrsanteils am Modal Split und der Fahrge-                  Für den Radverkehr sowie für Verknüpfungspunkte
schwindigkeiten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf                zwischen Rad und anderen Verkehrsmitteln besteht
18   Destatis (2020), a.a.O.
19   ALRUTZ, A.; BOHLE, W; MAIER, R.; ENKE, M.; POHLE, M.; ZIMMERMANN, F. (2015): Einfluss von Radverkehrsaufkommen
     und Radverkehrsinfrastruktur auf das Unfallgeschehen, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Unfallfor-
     schung der Versicherer, Berlin.
10

Bild 2:    Entwicklung der Unfälle mit Personenschaden insgesamt und Unfälle mit Personenschaden mit Radverkehrsbeteiligung
           2000 bis 2019 (innerhalb von Ortschaften)

noch ein erheblicher Mangel hinsichtlich der Netz-               oder landschaftlich schöne Routen, während für
gestaltung. Der Bedarf an allgemeingültigen Emp-                 den Arbeitsweg der kürzeste bzw. schnellste Weg
fehlungen für die Gestaltung von Radverkehrsnet-                 ausgewählt wird. Hierbei stellen Hauptverkehrsver-
zen stieg in den letzten Jahren immer mehr. Die                  bindungen in vielen Fällen die kürzeste Strecken-
konkrete Entscheidung, das Fahrrad zu benutzen,                  länge zwischen Quelle (Startpunkt) und Ziel dar.
wird von einer Reihe verschiedener Faktoren beein-
flusst. Dabei spielen, neben Einstellungen und Mo-               Ebenfalls spielt das subjektive Sicherheitsempfin-
tiven der Verkehrsteilnehmenden, die Infrastruktur               den eine nicht unbedeutende Rolle bei der Routen-
und ihre Eigenschaften eine entscheidende Rolle.
                                                                 und Flächenwahl. Eine in internationalen Studien22
Verschiedene Faktoren wiederum beeinflussen
                                                                 gesicherte Erkenntnis ist dabei, dass für Fahrräder
dann die Wahl der Route, die Radfahrende wählen.
                                                                 ausgelegte Radverkehrsanlagen dem Fahren auf
Diese ist ebenfalls nicht ausschließlich von infra-
strukturellen Merkmalen der möglichen Strecken                   der Fahrbahn bzw. auf Fahrbahnniveau vorgezo-
abhängig. Von Bedeutung sind hier ebenfalls indivi-              gen und entsprechend viel genutzt werden. Je nach
duelle Präferenzen, Motive (z. B. gesundheitliche                Art der Radverkehrsanlage zeigen sich Unterschie-
Gründe, geringe Kosten und Umweltschutz) und                     de in den Präferenzen: Komplett vom Kfz-Verkehr
Einstellungen der Radfahrenden.20 Einen ganz                     getrennte Wege sind beliebter als z. B. Lösungen,
wichtigen Aspekt stellt in diesem Zusammenhang                   die auf Fahrbahnmarkierungen beruhen (z. B.
das subjektive Sicherheitsempfinden beim Befah-                  Schutzstreifen). Insgesamt lässt sich konstatieren,
ren eines Straßenraumes dar.21                                   dass von Radfahrenden offenbar Infrastrukturtypen
Die Wahl der Route und damit auch die Nutzung                    bevorzugt werden, die mit möglichst wenigen Inter-
von getrennten Netzen ist auch vom Wegezweck                     aktionen mit dem Kfz-Verkehr verbunden sind und
des Radfahrenden abhängig. Beispielsweise bevor-                 damit Konfliktsituationen auf der knotenpunktfreien
zugen Radfahrende in der Freizeit getrennte und/                 Strecke reduzieren.23

20   von BELOW, A. (2016), a.a.O.
21   LUX, S.; SCHLEINITZ, K. (2018): Entwicklung einer Methodik zur Untersuchung der Determinanten der Routenwahl von Rad-
     fahrern (unveröffentlichter Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen).
22   u. a. MENGHINI, G.; CARRASCO, N.; SCHÜSSLER, N.; AXHAUSEN, K. W. (2010): Route choice of cyclists in Zurich. Trans-
     portation Research Part A: Policy and Practice, 44(9), S. 754-765.
23   LUX, S.; SCHLEINITZ, K. (2018), a.a.O.
11

Auch aus diesen Gründen werden immer wieder                        individuell von Situation zu Situation unterscheiden
getrennte Netze für den Kfz-Verkehr und den Rad-                   und ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig.26
verkehr gefordert und umgesetzt. Ein Instrument für
die Umsetzung dieser Forderung sind beispielswei-                  Im Bereich der Fahrzeugsicherheitssysteme ist mit
se selbstständig geführte Radschnellverbindungen.                  der EU-Verordnung Nr. 2019/214427 der technische
Dies ist im innerörtlichen Bereich jedoch ein Son-                 Fortschritt verpflichtend eingeführt. Beispielsweise
derfall. Wichtig wäre aber auch eine innerörtliche                 werden neue Bus-/schwere Nutzfahrzeugtypen ab
Trennung der Netze, um die Attraktivität und Sicher-               Mitte des Jahres 2022 Abbiegeassistenz- und Kolli-
heit für den Radverkehr zu erhöhen. Hier gibt es be-               sionswarnsysteme für Fuß- und Radverkehr aufwei-
reits vereinzelt Realisierungen, zum Beispiel in                   sen. Ab Mitte des Jahres 2024 folgen Notbremsas-
Form von Fahrradstraßen. Allerdings werden in der                  sistenzsysteme für neue Pkw- und leichte Nutzfahr-
Praxis Fahrradstraßen im Allgemeinen auch für den                  zeugtypen, welche bei zu Fuß Gehenden und Rad-
Kfz-Verkehr zugelassen, so dass hier nicht wirklich                fahrenden vor dem Kraftfahrzeug automatisch und
von getrennten Netzen gesprochen werden kann.                      selbständig bremsen. Der Schwerpunkt von Wirk-
                                                                   vorschriften von Kraftfahrzeugen für die Sicherheit
Insgesamt führt ein lückenhafter Ausbau der Rad-
                                                                   von ungeschützten Verkehrsteilnehmern wurde auf
verkehrsinfrastruktur bzw. unvollständige Radver-
                                                                   die Unfallsituationen mit der Beteiligung von zu Fuß
kehrsnetze zur falschen Flächennutzung durch die
                                                                   Gehenden gesetzt. Zur Bewertung des Schutzpo-
Radfahrenden und damit zu Akzeptanzhindernis-
                                                                   tenzials von Kraftfahrzeugfronten wurden durch
sen und Problemen in der Verkehrssicherheit.
                                                                   den Verbraucherschutz und später durch die Ge-
                                                                   setzgebung zunächst Testverfahren mit unter-
                                                                   schiedlichen Körperregionen von zu Fuß Gehenden
1.4      Einordnung in den                                         repräsentierenden Impaktoren (Kopf, Hüfte und un-
         Forschungsrahmen                                          tere Extremitäten) verwendet. In der Radverkehrs-
                                                                   sicherheit wurden Modifikationen der Kopfanprall-
Das SiFo baut auf Forschungsergebnissen des For-
                                                                   prozeduren in der Gesetzgebung und im Verbrau-
schungsprogramms           Straßenverkehrssicherheit
                                                                   cherschutz angepasst. Aufbauend auf den Ergeb-
„Radverkehrssicherheit auf Innerortsstraßen“ 2016                  nissen des europäischen Forschungsprojektes SE-
auf 24. Dabei zeigte sich, dass das Miteinander zwi-               NIORS28 fokussiert sich ein BASt-Projekt29 darüber
schen den Radfahrenden und dem Kfz-Verkehr ver-                    hinaus auf Verletzungen des Brustkorbs (i. w. S.)
besserungswürdig ist. So zeigt sich, dass Radfah-                  von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden.
rende teilweise auf andere Flächen, z. B. auf den
Gehweg ausweichen und es dann dort in Folge zu                     In den nächsten Jahren werden Überarbeitungen
Konflikten mit dem Fußverkehr kommen kann. Als                     zahlreicher technischer Regelwerke der Forschungs-
besonders konfliktträchtig gelten u. a. die teilweise              gesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen veröf-
zu geringen Überholabstände zwischen Kfz und                       fentlicht, wie beispielsweise die Richtlinien für die An-
Radverkehr auf der Fahrbahn – dies zeigt sich ins-                 lage von Stadtstraßen, Empfehlungen für Radver-
besondere bei Schutzstreifen.25 Es ist zu vermuten,                kehrsanlagen oder das Hinweispapier für Rad-
dass nicht nur das tatsächliche Unfallgeschehen für                schnellverbindungen und -vorrangrouten. Ebenso
die Nutzung des Fahrrades als Verkehrsmittel oder                  fordert die im Jahr 2019 veröffentlichte EU-Direktive
zum Beispiel die Wahl einer bestimmten Route rele-                 „Directive on Road Infrastructure Safety Manage-
vant ist, sondern auch das subjektive Sicherheits-                 ment“ (RISM)30 eine stärkere Berücksichtigung der
empfinden. Dieses kann sich inter- aber auch intra-                ungeschützten Verkehrsteilnehmenden.
24   Hierbei sind die Forschungsergebnisse der abgeschlossen und laufenden Forschungsprojekte zu beachten.
25   OHM, D.; FIEDLER, F.; ZIMMERMANN, F.; KRAXENBERGER, T. (2015): Führung des Radverkehrs im Mischverkehr auf inner-
     örtlichen Hauptverkehrsstraßen, Heft V257. Bergisch Gladbach.
26   von BELOW, A. (2016), a.a.O.
27   Richtlinie 2019/2144 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bautei-
     len und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz
     der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Europäische Parlament und der Rat der Europäischen
     Union.
28   EU-Projekt „Safety Enhancing Innovations for Older Road users (SENIORS)“
29   FE 82.0741 „Entwicklung eines Thorax-Impaktors Innerhalb eines Thorax-Prüfverfahrens“
30   Richtlinie 2019/1936 über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur. Europäische Parlament und der Rat
     der Europäischen Union.
12

1.5      Folgerungen                                           in einem gemeinsam genutzten Straßenraum sehr
                                                               relevant und bildet daher den Schwerpunkt im SiFo.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Rad-                Das SiFo lässt sich den Forschungsschwerpunkten
verkehr in den nächsten Jahren – wie in Kapitel 1.1            „Sichere Mobilität im Personen- und Güterverkehr“
dargelegt – kontinuierlich weiter an Bedeutung ge-             und „Neue Mobilitätskonzepte“ der BASt-Langfrist-
winnen wird. Gleichermaßen zeigt die Straßenver-               planung zuordnen.
kehrsunfallstatistik (Kapitel 1.2) in den letzten Jah-
ren einen kontinuierlichen Zuwachs an (schweren)
Verkehrsunfällen mit Radfahrenden, insbesondere
innerhalb geschlossener Ortschaften. Damit wird                2      Ziele des Forschungspro-
deutlich, dass der Radverkehr für die Verkehrssi-                     gramms
cherheitsarbeit besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
Dabei gilt es, die Attraktivitätssteigerung und Zu-            Das SiFo konzentriert sich auf Forschungsaktivitä-
nahme des Radverkehrs von der Zunahme an                       ten zum sicheren Radfahren in einem gemeinsam
(schweren) Verkehrsunfällen zu entkoppeln.                     genutzten Straßenraum und damit auf Interaktionen
                                                               insbesondere zwischen Rad-, Kfz- und Fußverkehr
Im Kontext der Umsetzung, Neuentwicklung und                   auf innerörtlichen Straßen. Hierbei stehen folgende
Optimierung von Maßnahmen wird der Fokus so-                   Aufgabenstellungen – nachfolgend dargelegt nach
wohl in der Forschung als auch in der Praxis ver-              Forschungsthemen – im Fokus. Diese Forschungs-
mehrt auch auf die Betrachtung von subjektiven                 themen werden im Folgenden zunächst benannt.
Faktoren, wie z. B. die subjektive Sicherheitsein-             Dann werden Fragestellungen angeführt, die es zu
schätzung der Radfahrenden gelegt. Hierbei sind                adressieren gilt. Schließlich werden Ziele formuliert,
Analysen von Gründen für die Routenwahl und die                die im jeweiligen Themenbereich erreicht werden
Betrachtung der tatsächlichen Flächennutzung der               sollen, um sicheres Radfahren in einem gemein-
verschiedenen Radverkehrsflächen von hohem                     sam genutzten Straßenraum zu realisieren.
Wert. Insbesondere das subjektiv Sicherheitsemp-
finden hat großen Einfluss darauf, ob Radfahrende
eine Radverkehrsanlage auch tatsächlich nutzen.
Dieses ist vor allem bei Radfahrenden im Stadtver-             2.1    Verkehrskultur, -klima und rück-
kehr noch ausbaufähig.                                                sichtsvolles Miteinander

Ein Ziel zur Förderung eines attraktiven und siche-            •   Welche langfristigen Lösungen dienen der Ver-
ren Radverkehrs ist die Schaffung durchgängiger                    besserung der Verkehrskultur und der Förde-
Netze mit direkten, zusammenhängenden, sicheren                    rung des Radverkehrs bei begrenzter Flächen-
und möglichst niveaufreien Radverkehrsanlagen.                     verfügbarkeit in einem gemeinsam genutzten
Die Radverkehrsnetze sollen gänzlich vom Kfz-Ver-                  Straßenraum in Deutschland?
kehr getrennt werden. Dafür hat die BASt im Rah-               •   Welchen Anteil haben subjektiv wahrgenomme-
men des Forschungsprogramms Straßenverkehrs-                       ne und objektiv vorhandene Sicherheit bei der
sicherheit „Radverkehrssicherheit auf Innerortsstra-               Wahl des Verkehrsmittels, der Routenwahl, Flä-
ßen“ 2016 auf Basis von über 15 Forschungsvorha-                   chennutzung und beim Verhalten der Verkehrs-
ben zahlreiche Ergebnisse und Praxisempfehlun-                     teilnehmenden?
gen (u. a. für Radschnellverbindungen31) erarbeitet.
                                                               Ein effizientes und sicheres Verkehrssystem bedarf
Dennoch kann die Netztrennung in vielen Fällen                 eines verantwortungsvollen und rücksichtsvollen
nicht kurzfristig umgesetzt werden oder ist aus der            Miteinanders aller Verkehrsteilnehmenden. Dieses
Sicht der Radfahrenden nicht sinnvoll. Zum Beispiel            zu fördern birgt ein nicht zu unterschätzendes Po-
stellen Hauptverkehrsverbindungen des Kfz-Ver-                 tenzial für die Verkehrssicherheitsarbeit. Dabei las-
kehrs in vielen Fällen die kürzesten und schnellsten           sen sich nicht alle Verhaltensweisen allein über das
Strecken zwischen Quelle und Ziel dar. Damit wer-              Verhaltensrecht (StVO) steuern und kontrollieren.
den noch auf längere Zeit gemeinsame Flächen                   Die Schaffung von gegenseitiger Akzeptanz ist da-
von Rad- und Kfz-Verkehr oder ein gemeinsam ge-                her gerade im von Radfahrenden und Kfz-Nutzen-
nutzter Straßenraum Bestand haben. Aus diesem                  den gemeinsam genutzten Straßenraum ein beson-
Grund ist diese Thematik des sicheren Radfahrens               ders wichtiges Thema.
31   https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Publikationen/Medien/Radwegschnellverbindungen.html?nn=1825088
13

In den letzten Jahrzehnten wurde der Fokus in der              ge Voraussetzung aber auch, dass die innerörtliche
urbanen Verkehrsplanung mehr auf den Kfz-Ver-                  Gestaltung der Infrastruktur keine Konflikte zwi-
kehr als auf den Radverkehr gelegt. Das größte                 schen Radfahrenden und Kfz-Nutzenden provo-
Hemmnis für die Umsetzung von Radverkehrsmaß-                  ziert.
nahmen besteht, nach Angaben kommunaler Ver-
treter, in der begrenzten Flächenverfügbarkeit bzw.            Verkehrssicherheitskampagnen, die zur Sicherheit
in der Nutzungskonkurrenz zwischen den unter-                  von Radfahrenden beitragen sollen, gibt es sowohl
schiedlichen Verkehrsbeteiligungsarten.32 Hier                 auf Bundes- als auch auf Landes- oder kommunaler
könnten sowohl politische Entscheidungen auf                   Ebene. Ebenfalls sind Kommunikationskampagnen
kommunaler Ebene als auch Maßnahmen zur Ver-                   (z. B. Einhaltung des vorgeschriebenen Überholab-
besserung der gegenseitigen Akzeptanz hilfreich                stands von Kfz-Verkehr zum Radverkehr) auch zur
sein (Verwaltungsebene siehe Kapitel 2.5).                     Förderung des subjektiven Sicherheitsempfindens
                                                               im Radverkehr ein wichtiger Baustein. Für diese
Neben bereits etablierten Maßnahmen müssen                     Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen ist jedoch
auch innovative Maßnahmen und Konzepte aus                     kaum bekannt, ob und wenn ja wie stark sich diese
einzelnen Bundesländern und Kommunen (z. B. die                auf die Verkehrssicherheit von Radfahrenden aus-
Umsetzung der sog. „Protected bike lanes“ wie in               wirken. Für die Entwicklung neuer Maßnahmen,
Berlin) sowie aus dem Ausland (z. B. sog. „Shared              aber auch für Entscheidungen über die Weiterfüh-
bike lanes“/„Sharrows“ wie z. B. in Wien oder die              rung oder Veränderung bestehender Maßnahmen,
Gestaltung der Knotenpunkte in den Niederlanden                ist es notwendig zu wissen, welche Aspekte erfolg-
und Dänemark) in den Fokus der Forschung rü-                   reich und welche weniger Erfolg versprechend sind.
cken. Denn das bisherige Wissen darüber, inwie-
fern infrastrukturelle Maßnahmen – auch in Kombi-              Ein Ansatzpunkt für die Verbesserung des rück-
nation mit begleitenden Maßnahmen (z. B. Kampa-                sichtsvollen Miteinanders ist der Ansatz, Verständ-
gnen), die deren Einführung begleiten – tatsächlich            nis für die anderen Arten der Verkehrsbeteiligung zu
zu einer Veränderung des Mobilitätsverhaltens und              schaffen, in dem Konflikte aus deren Perspektive
gleichzeitig zu einer Verbesserung der Verkehrssi-             betrachtet werden. Hierfür wurde von der BASt das
cherheit führen, ist noch lückenhaft. Insbesondere             Projekt #Augenblickwinkel36033 initiiert. Mittels Vir-
Länder, in denen das Radfahren weit verbreitet ist,            tual Reality können Konfliktsituationen im Straßen-
wie z. B. die Niederlande oder Dänemark, können                verkehr auch aus der Perspektive möglicher Kon-
wichtige Ansatzpunkte dafür liefern, wie ein besse-            fliktgegner erlebt werden. Damit soll ein gegenseiti-
res Miteinander im gemeinsam genutzten Straßen-                ges Verständnis gefördert und dafür geworben wer-
raum erzielt werden kann.                                      den, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen. Hier
                                                               soll neben der Erweiterung der Virtual Reality-An-
Es sollen die Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie             wendung auch die Implementierung unter anderem
in gemeinsam genutzten Straßenräumen die För-                  im Schulunterricht, in der Fahrschule und in der
derung des Radverkehrs bei begrenzter Flächen-                 Präventionsarbeit von Polizei oder Verbänden im
verfügbarkeit, z. B. durch die Neuverteilung der Ver-          Vordergrund stehen.
kehrsflächen (siehe Kapitel 1.1) realisiert werden
kann. Radfahrende wünschen sich zur Verbesse-                  Ziele für eine Verbesserung von Verkehrskultur, -kli-
rung der Fahrradfreundlichkeit die Maßnahmen                   ma und rücksichtsvollem Miteinander sind:
„mehr eigene Radwege“ und/oder „eine bessere
                                                               •   Etablierte und innovative Maßnahmen im In- und
Trennung von Rad- und Pkw-Verkehr“. Da es weder
                                                                   Ausland hinsichtlich ihres radverkehrsfördern-
möglich noch immer sinnvoll ist, für jede Verkehrs-
                                                                   den Potenzials bewerten und eine Orientie-
beteiligungsart eine separate Verkehrsfläche aus-
                                                                   rungshilfe für die nationale Politik und die stadt-
zuweisen, gilt es einerseits herauszuarbeiten, wie
                                                                   planerische Praxis entwickeln.
gemeinsam genutzte Verkehrsflächen gestaltet
werden können, um ein besseres Miteinander der                 •   Die Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen
verschiedenen Arten der Verkehrsbeteiligung zu er-                 zur Konzeption und Durchführung wirkungsvol-
zielen und dabei die Entwicklung des Radverkehrs                   ler kommunikativer Maßnahmen zur Verbesse-
voranzutreiben. Andererseits ist eine weitere wichti-              rung der Radverkehrssicherheit interessierten
32   SCHRECK-von BELOW, B.; REINARTZ, A. (2019): Radverkehr – Sicherheit, Forschung und Infrastrukturelle Maßnahmen,
     Straßenverkehrstechnik, Jahrgang 63, Nr. 12.
33   https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Verkehrssicherheit/Fachthemen/u5-VR.html?nn=1817128
14

     Umsetzern und Kommunen mithilfe eines Leitfa-      Die Sicherheitsforschung zeigt, dass der Gefahren-
     dens zur Verfügung stellen und damit zur erfolg-   wahrnehmung Radfahrender eine deutlich höhere
     reichen Konzeption und Umsetzung maßnah-           Bedeutung eingeräumt werden muss. Es gilt auch
     menbegleitender Kampagnen beitragen.               die Motive zu analysieren, aufgrund derer sich Rad-
                                                        fahrende wissentlich in vermeintlich gefährliche Si-
•    Das Projekt #Augenblickwinkel360 um weitere        tuationen bringen. So sollten Radfahrende eigent-
     relevante Konfliktsituationen im gemeinsam ge-     lich um die Gefahren wissen, wenn sie an einem
     nutzten Straßenraum erweitern.                     bereits im Abbiegevorgang befindlichen Lkw vorbei-
                                                        fahren. Das Wissen scheint sie hier jedoch nicht
                                                        von diesem Verhalten abzuhalten. Anders sieht es
2.2      Gefahrenwahrnehmung und                        bei Kindern aus. Hier sind zum Teil die Wahrneh-
         -bewertung                                     mungsfähigkeiten noch nicht ausreichend ausgebil-
                                                        det, um Gefahrensituationen im Verkehr ausrei-
•    Kann die Sicherheit Radfahrender durch Maß-        chend schnell erkennen zu können. Hinzu kommt
     nahmen zur Verbesserung der Gefahrenwahr-          ein Mangel an Erfahrungen. Hinzu kommt, dass El-
     nehmung erhöht werden?                             tern die verkehrsrelevanten Wahrnehmungsfähig-
                                                        keiten ihrer Kinder oft überschätzen. Eine andere
•    Welche Maßnahmen sind dafür geeignet?              und ebenfalls spezifische Gruppe stellen die älteren
•    An welche Zielgruppen müssen sich diese Maß-       Verkehrsteilnehmenden dar.
     nahmen mit welchen Inhalten richten?
                                                        •   Ziel ist eine ganzheitliche Aufarbeitung der vor-
Die Gefahrenwahrnehmung ist eine der grundle-               handenen Kenntnisse zur Rolle der Gefahren-
genden Fähigkeiten für eine sichere Teilnahme am            wahrnehmung für die sichere Teilnahme Rad-
Straßenverkehr. Es ist erforderlich, Gefahrensitua-         fahrender am Straßenverkehr (Schwerpunkt:
tionen schnell zu erkennen und die Entstehung von           Radverkehr in einem gemeinsam genutzten
Gefahrensituationen antizipieren zu können. Es ge-          Straßenraum) in allen Altersgruppen sowie
hört aber auch dazu, in Gefahrensituationen ange-       •   über Maßnahmen zur Verbesserung der Gefah-
messen und schnell zu reagieren oder diese zu ver-          renwahrnehmung unter besonderer Betrachtung
meiden. Fehler in der Gefahrenwahrnehmung bzw.              digitaler Angebote.
zu späte oder falsche Reaktion auf Gefahren sind
Ursache vieler Unfälle. Die Fähigkeit zur Gefahren-
wahrnehmung nimmt mit zunehmender Erfahrung             2.3    Bekanntheit und Einhaltung von
im Verkehr zu. Bestimmte Situationen, die nur sehr             Verkehrsregeln
selten auftreten, sind jedoch sehr gefährlich. Die
Wahrscheinlichkeit, diese zu erleben, ist sehr ge-      •   Welche Verkehrsregeln sind bei den Verkehrs-
ring. An diesem Punkt setzen Maßnahmen zu ge-               teilnehmenden bekannt, welche werden einge-
zielter Verbesserung der Gefahrenwahrnehmung                halten und was sind Gründe für deren Einhal-
an.                                                         tung oder Missachtung?
                                                        •   Welche ganzheitlichen Konzepte zum lebens-
Bei Radfahrenden zeigt sich, dass mit zunehmen-             langen Lernen sind geeignet, um Kenntnislü-
der Nutzungshäufigkeit und Exposition die Wahr-             cken – auch vor dem Hintergrund des demogra-
nehmung von Risiken abnimmt und die Bewertung               phischen Wandels – zu schließen?
der eigenen Kompetenzen im Umgang mit gefährli-
chen Situationen zunimmt.34 Während bereits recht       •   Wie können Akzeptanz und Einhaltung der Ver-
                                                            kehrsregeln in der Bevölkerung verbessert wer-
umfassende Befunde zur Gefahrenwahrnehmung
                                                            den?
bei Pkw-Fahranfängern nach dem Fahrerlaubniser-
werb vorhanden sind und auch umfassende Kennt-
nisse über Maßnahmen bestehen, um diese zu ver-         2.3.1 Erfassung und Verbesserungspotenziale
bessern, ist die Gefahrenwahrnehmung in Zusam-          Aufgrund stetiger Veränderungen gewinnt das Kon-
menhang mit den Radfahrenden noch recht wenig           zept des lebenslangen Lernens auch im Straßen-
erforscht.                                              verkehr zunehmend an Bedeutung. Bislang gibt es
34   von BELOW, A. (2016), a.a.O.
15

keine umfassende bevölkerungsrepräsentative Er-                     setzt. Es ist hinreichend bekannt, dass der baulich
hebung zur Regelkenntnis und zu Gründen für de-                     getrennte Radweg u. a. aufgrund des höheren sub-
ren Befolgung oder Missachtung. Dabei ist es eine                   jektiven Sicherheitsempfinden im Vergleich zum
wichtige Voraussetzung für ein rücksichtsvolles Mit-                Fahren auf der Fahrbahn bzw. auf markierten Rad-
einander im Straßenverkehr (vgl. Kapitel 2.1), dass                 verkehrsführungen, vermehrt genutzt werden. Dies
die geltenden Regeln von allen Verkehrsteilneh-                     gilt insbesondere für ältere Radfahrende und Kin-
menden eingehalten werden. Voraussetzung hierzu                     der.37 Im Hinblick auf die Zunahme der Nutzung von
ist, dass diese auch bekannt sind. So zeigen bei-                   S-Pedelecs – welche rechtlich keine Fahrräder son-
spielsweise Untersuchungen zu Schutzstreifen,                       dern Kleinkraftfahrzeuge darstellen, aber äußerlich
dass Radfahrende dort von Kfz mit zu geringem Ab-                   kaum von konventionellen Fahrrädern bzw. Pede-
stand überholt werden. Eine Vermutung hierzu ist,                   lecs unterschieden werden können – sind u. a. die
dass dies auf mangelndes Regelwissen zurückzu-                      Fragen zu klären: Wie verbreitet sind diese Fahr-
führen ist. Für den Radverkehr gibt es die Erkennt-                 zeuge? Auf welchen Verkehrsflächen werden die
nis, dass Radfahrende die wesentlichen Regeln                       Fahrzeuge genutzt? Welche Risiken können z. B.
kennen, jedoch in Abhängigkeit der Altersgruppe,                    durch deren höheren Geschwindigkeiten entste-
aus verschiedenen Gründen typische Regelverstö-                     hen?38 Auf welcher Infrastruktur sollten S-Pedelecs
ße (z. B Missachtung des Rotlichts, falsche Flä-                    außerorts geführt werden und könnte eine Zulas-
chennutzung) durchführen.35 36                                      sung auf gemeinsamen Geh- und Radwegen eine
                                                                    sinnvolle Lösung sein.
•    Aufbauend auf der Erfassung der Bekanntheit
     und Einhaltung von Verkehrsregeln, müssen die                  Die Überprüfung der Benutzungspflicht von Rad-
     effektiven Ansätze zur Verbesserung der Regel-                 verkehrsanlagen führte in den Kommunen dazu,
     kenntnis identifiziert und ein Maßnahmenkon-                   dass bei zahlreichen Radwegen keine Benutzungs-
     zept für das lebenslange Lernen entwickelt wer-                pflicht (z. B. Zeichen 237 StVO) mehr angeordnet
     den.                                                           wurde. Damit stehen den Radfahrenden, zusätzlich
                                                                    zur Fahrbahn, noch nichtbenutzungspflichtige Rad-
•    Ebenso sind die Gründe für die Befolgung bzw.                  wege zur Verfügung. Da jedoch in vielen Fällen le-
     Missachtung der geltenden Regeln und Maß-                      diglich das Verkehrszeichen durch die Kommunen
     nahmen zu identifizieren, mit denen die Regel-
     befolgung verbessert werden kann.

2.3.2 Bekanntheit und Nutzung der Führungs-
      formen des Radverkehrs
In den letzten Jahren wurden immer mehr verschie-
dene Führungsformen des Radverkehr in der Pra-
xis umgesetzt. Neben sehr bekannten Führungsfor-
men wie z. B. fahrbahnbegleitenden Radwegen,
wurden Markierungslösungen, wie z. B. Radfahr-
und Schutzstreifen, auch insbesondere zur Verbes-
serung der Sichtbeziehungen in den Knotenpunk-
ten zwischen Kfz-Verkehr und Radverkehr, umge-
setzt. Ebenfalls wurden in den Kommunen das Ins-
trument der Fahrradstraße – in vielen Fällen ledig-                 Bild 3:   Beispiel für die Wahlfreiheit des Radverkehrs (Bild-
lich mit einer Änderung der Beschilderung – umge-                             quelle: PGV)

35   ALRUTZ, D.; BOHLE, W.; MÜLLER, H.; PRAHLOW, H. (2009): Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern, Heft V184.
     Bergisch Gladbach.
36   KOLREP-ROMETSCH, H.; LEITNER, R.; PLATHO, C.; RICHTER, T.; SCHREIBER, A.; SCHREIBER, M. (2013): Abbiegeunfälle
     Pkw/Lkw und Fahrrad, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Unfallforschung der Versicherer. Berlin.
37   Hierbei ist die laufende NRVP-Studie „Sira - Infrastrukturelle und verhaltensbezogene Lösungen zur Erhöhung der Sicherheit im
     Radverkehr und Steigerung der Fahrradnutzung auf Basis einer zielgruppenspezifischen Identifizierung subjektiver und objekti-
     ver Gefährdungen“ und die Seite https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/forschung/schwerpunktthemen/rad-und-fussverkehr-
     auf-gemeinsamen-flaechen-teil-0 zu beachten.
38   Siehe auch: ALRUTZ, D.; BOHLE, W; HACKE, U.; LOHMANN, G; FRIEDRICH, N. (2015): Potentielle Einflüsse von Pedelecs
     und anderen motorunterstützten Fahrrädern auf die Verkehrssicherheit unter besonderer Berücksichtigung älterer Radfahrer“,
     Schlussbericht der Forschungsarbeit, FE 82.0533 der Bundesanstalt für Straßenwesen. Hannover. Darmstadt.
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