Tarifergebnis Stahl 2019 - ein Erfolg oder eher nicht?
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Tarifergebnis Stahl 2019 – ein Erfolg oder eher nicht? Kuno Benz, Frederik Haber, Infomail 1051, 16. April 2019 Nach vielen Warnstreiks und Aktionen der Beschäftigten der nordwestdeutschen Stahlindustrie und etlichen, zähen Verhandlungsrunden gab es nun am 16. März einen Abschluss, der schließlich auch im Saarland mit einer 2-monatigen tariflichen Verschiebung übernommen wurde. Aber: Kann dieser Abschluss als Erfolg gewertet werden? Viele Beschäftigte sind unzufrieden. Selbst in der Tarifkommission regte sich Unmut, vor allem aus den norddeutschen Betrieben. Aber die Dominanz der VertreterInnen von Thyssen-Krupp in der Tarifkommission sorgte für ein eindeutiges Ergebnis. Offensichtlich waren die führenden Kräfte aus diesem Konzern genauso zufrieden mit dem Abschluss wie der IG Metall-Vorstand. Haben die SpitzengewerkschafterInnen wegen der aufziehenden Krisenwolken die Bremse reingehauen oder hatten sie zu Beginn der Tarifrunde zu laut geklappert? „Wir wollen von dem dicken Kuchen, der auf dem Tisch liegt, dieses Mal ein gutes Stück
abhaben“ tönte noch im Februar Duisburgs IG-Metall-Chef Dieter Lieske. „Nach den zum Teil hausgemachten Krisen der vergangenen Jahre, die wir als Arbeitnehmer zu einem guten Teil aufgefangen haben, hat die Stahlbranche im vergangenen Jahr wieder richtig gutes Geld verdient.“ Bei den Stahlpreisen in den vergangenen zwölf Monaten hätten die Arbeit„geber“Innen das Geld nur noch mit der Schneeschaufel in die Garagen schubsen müssen. Unmittelbar nach dem Abschluss werteten beide Seiten die Einigung als „schwierigen, aber vertretbaren“ Kompromiss. „Wir haben in den letzten drei Monaten und auch in den letzten 16 Stunden hart miteinander gerungen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen“, betonte IG Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler. „Gerade die unteren Entgeltgruppen profitieren besonders von den 1.000 Euro zusätzlicher tariflicher Vergütung.“ Damit habe der Vertrag eine starke soziale Komponente. Und mit den Regelungen für mehr freie Tage in der Stahlbranche setze die IG Metall ihre arbeitszeitpolitische Offensive fort. Nach dem Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie sei ihr in einer weiteren großen Branche ein Durchbruch für mehr Arbeitszeitsouveränität gelungen. „Damit tragen wir dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr Selbstbestimmung, Entlastung und mehr Freiräumen
für das Private Rechnung“, sagte Giesler. Die IG Metall ist also mehr als zufrieden mit dem Abschluss. Und die Arbeit„geber“Innen? Sie stöhnen zwar ein wenig – jedoch mehr über die Tarifrunde als solche denn über das Ergebnis: „Diese Tarifrunde war außergewöhnlich komplex und wurde dementsprechend intensiv geführt. Insbesondere die Forderung nach einem in Freizeit umwandelbaren Zusatzentgelt hat uns vor eine Zerreißprobe gestellt“, erklärte auch Christian Büttner, Geschäftsführer im Arbeitgeberverband Stahl. Wie ist aber der Abschluss für uns zu bewerten? Woher kommt der Unmut der Kolleginnen und Kollegen? Entgelt Man kann Tariferhöhungen unterschiedlich einschätzen. Auf lange Sicht ist die Erhöhung der Tabellenwerte entscheidend, für den Lebensunterhalt zählt dagegen das Volumen im laufenden Jahr.
Die Tabellenerhöhung von 3,7 % klingt ordentlich, ist aber die einzige Erhöhung der Entgeltgruppen während der gesamten Laufzeit von 26 Monaten. Dazu kommt dann noch das „zusätzliche Urlaubsgeld“ in Höhe von 1.000 Euro ab dem Jahr 2020. Dieses ist tarifdynamisch, soll also bei den nächsten Tariferhöhungen steigen. Immerhin bedeuten diese 1.000 Euro eine Sockelerhöhung, die in der Vergangenheit, wenn eine solche Forderung aus den Vertrauenskörpern kam, von der IG Metall-Führung heftig bekämpft wurde. Die 1.000 Euro entsprechen einer Tariferhöhung von etwa 1,5 % (geschätzter Mittelwert), wenn man 13,2 Monatsentgelte zugrunde legt. Zusammen ergibt sich also eine Erhöhung der Tarifentgelte von 3,7 % + 1,5 %, also 5,2 % über 26 Monate oder 2,4 % auf 1 Jahr gerechnet – denn die Preissteigerungsraten sind auch immer auf 1 Jahr gerechnet. Und dann sieht der Abschluss also alles andere als üppig aus! Wie viel mehr im Geldbeutel? Die Tariferhöhung von 3,7 % gilt ja erst ab 1. März. Zuvor gibt es 100 Euro für Januar und
Februar. Wenn man also das Volumen ab dem Zeitpunkt der Laufzeit – also ab 1. März 2019 – rechnet, dann erhöhen 3,7 % in zehn Monaten das Jahreseinkommen nur um rund 3,1 %, zu denen dann noch 100 Euro Einmalbetrag kommen. Die gleiche Betrachtung findet dann 2020 nochmals statt, wenn das zusätzliche Urlaubsgeld die einzige Tariferhöhung sein wird – je nach Entgelt im Mittel rund 1,5 %. Und 2021 startet aufgrund der Laufzeit des Tarifvertrags mit zwei Null- Monaten. Arbeitszeit Anders als in der Metall- und Elektroindustrie forderte die IG Metall keine „verkürzte Vollzeit“ oder „tarifliches Zusatzgeld“ (T-ZUG), sondern mehr Urlaub. Immerhin wurde dann das Ergebnis auch längst nicht so kompliziert – und auch nicht an bestimmte Beschäftigungsgruppen bzw. Voraussetzungen gekoppelt. Als Ergebnis kann jede(r) Beschäftigte ab 2020 das zusätzliche Urlaubsgeld in bis zu 5 freie Tage umwandeln – allerdings ist der Anspruch je nach Anzahl der Anträge gedeckelt. Für die Arbeit„geber“Innen ist das Ergebnis zunächst
„kostenneutral“ – dafür kostet einen Beschäftigten jeder freie Tag 200 Euro. Bewertung Eine genaue Betrachtung des Ergebnisses lässt wenig von der Begeisterung übrig, die die Verlautbarungen der IG Metall, aber auch manche BetriebsrätInnen und Vertrauensleute verbreiten. Die Erhöhung der Tariftabellen um rund 2,4 % auf 12 Monate gerechnet ist nicht der große Erfolg. Das gleicht kaum die Preissteigerungen aus. Der Produktionsfortschritt geht weiter überwiegend in die Kassen des Kapitals. Die maximal 5 Tage zusätzlicher Urlaub sind durchaus etwas, was vielen nützt, den zunehmenden Arbeitsstress oder private Belastungen zu bestehen – so es für sie finanziell verkraftbar ist. Wie weit diese Möglichkeit tatsächlich genutzt wird, bleibt abzuwarten. Die Regelung verliert bei der Umwandlung in Urlaub übrigens ihre „soziale Komponente“: Der zusätzliche Urlaubstag ist für alle Entgeltgruppen der gleiche! Wenn er freiwillig genommen wird, ist das dennoch okay. Nicht aber, wenn aus dieser Urlaubs-Flatrate per Betriebsvereinbarung ein Zwang werden
würde. In etlichen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie, so bei Ford, Opel, Audi, wird die Umwandlung der dort „tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG)“ genannten Komponente schon als Kurzarbeitsinstrument (ohne KurzarbeiterInnengeld) genutzt. Betrachtet man jedoch, was eigentlich tarifpolitisch nötig wäre, sieht der Abschluss schlecht aus. Der zunehmende Arbeitsdruck; bevorstehende Angriffe auf Arbeitsplätze und Standorte; massive Arbeitsplatzverluste durch E-Mobilität, Digitalisierung und Industrie 4.0; die Ausdifferenzierung der Belegschaften in überausgebeutete LeiharbeiterInnen und Ausgegliederte einerseits und tarifliche Stammbelegschaften andererseits – all das wurde schon im Vorfeld bei der Debatte um die Aufstellung der Forderungen ausgeblendet. In der betrieblichen Wirklichkeit bestimmt dies viel mehr das Arbeiten und das gewerkschaftliche Handeln als individuell einige Urlaubstage mehr oder weniger. Bei einer Gesamtbewertung des Abschlusses muss dies die Perspektive sein. Als Mittel gegen die schon bestehenden und drohenden weiteren Arbeitsplatzverluste hätte die Forderung nach einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung erhoben werden müssen. Die Arbeitsproduktivität ist in den letzten Jahren gestiegen, so dass mit weniger
KollegInnen in der gleichen Zeit mehr produziert werden kann. Von daher wäre es möglich und auch nötig gewesen, eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu fordern. Natürlich hätte man das mit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Abmilderung von Arbeitsdruck vor allem bei Schichtarbeit verbinden müssen. Kollektive Arbeitszeitverkürzung ist aber das einzige Mittel, um dem drohenden Arbeitsplatzabbau auf gewerkschaftlicher Ebene etwas entgegenzusetzen. Dass dies bei Aufstellung der Forderungen nicht diskutiert werden konnte, zeigt auch, wie wenig die KollegInnen in den Betrieben darüber in einer Tarifrunde entscheiden können. Und das Ergebnis zeigt auch, dass trotz des Kampfwillens, den viele in der Warnstreikrunde gezeigt haben, die IG Metall-Führung nicht geneigt ist, die ganze Kampfkraft durch unbefristete Streiks in die Waagschale zu werfen. Ihr ist ein Ergebnis, das die UnternehmerInnen nicht zu viel kostet, wichtiger, als die Arbeitenden vor Arbeitsdruck, Arbeitsplatzverlust und prekärer Beschäftigung zu schützen. Dieses Ergebnis reiht sich ein in die Tarifpolitik der letzten Jahre: Die Kampfkraft der Lohnabhängigen wird nicht ausgeschöpft, damit „Deutschland“ weiter Exportweltmeister bleibt. Auch die lange Laufzeit von 26 Monaten gibt den UnternehmerInnen Planungssicherheit,
wie VertreterInnen der Unternehmerverbände ganz unverhohlen loben. Sie ist auch ein Geschenk für die Bundesregierung von Seiten der (un)heimlichen MitkoalitionärInnen im IG Metall-Apparat an ihre ParteifreundInnen von der Koalitionspartnerin SPD. Auch der Kampf um die 35-Stundenwoche im Osten – eine Angleichung, die schon vor etlichen Jahren am Widerstand der westdeutschen BetriebsratsfürstInnen in der Automobilindustrie scheiterte – wird mit diesem Abschluss und der darauf folgenden Friedenspflicht untergraben. Von der IG Metall ist dazu nur zu hören, dass sie Vereinbarungen aushandeln wolle. Wie sollen hier Vereinbarungen auf reinem Verhandlungsweg erzielt werden, wenn die UnternehmerInnen schon jetzt sagen, alles solle im Osten so bleiben, weil die Produktivität dort nach wie vor geringer sei als im Westen. Eine Angleichung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden wie im Westen wird von den Arbeit„geber“Innen weiterhin abgelehnt. Die IG Metall will sie zumindest dazu bringen, mit ihr zu verhandeln. „Wir sind mit den Arbeitgebern in Ostdeutschland bereits im Gespräch“, sagt Bernd Kruppa, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig. Doch die Arbeit„geber“Innen rühren bereits Beton an: „Der Osten braucht diesen Wettbewerbsvorteil
weiterhin. Die längere Arbeitszeit muss bleiben“, stärkt Gesamtmetall- Präsident Rainer Dulger den HardlinerInnen in Sachsen den Rücken. Die ArbeiterInnen brauchen die Kontrolle über ihren Kampf von Anfang an – von Aufstellung der Forderungen, über die Durchführung, wo, wann und wie lange gestreikt wird, bis zum Abschluss der Verhandlungen. Es darf kein Übereinkommen geben, ohne dass die Beschäftigten in den Betrieben über die genauen Bedingungen des Tarifvertrags auf Betriebsversammlungen und mit Aushängen eingehend informiert wurden und in einer Urabstimmung darüber entschieden haben. Tarifkampf bei der Berliner BVG: Solidarität mit dem Streik! Lars Keller, Neue Internationale 236, April 2019 In den vergangenen Monaten fanden nicht nur die Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes der Länder statt. In Berlin kämpfen die ArbeiterInnen
der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) für bessere Arbeitsbedingungen. Zu dem Zeitpunkt, da dieser Artikel verfasst wird, steht ein 24- Stunden-Streik am 01. April an, nachdem die Verhandlungen zwischen ver.di und dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) am 28. März abgebrochen wurden. Dieser Streik verdient in jedem Fall unsere Solidarität! Forderungen Konkret gefordert werden von ver.di: eine 36,5-Stunden-Woche, Weihnachtsgeld für neu Eingestellte, Wegfall der unteren Lohngruppen in Verbindung mit schnelleren Gehaltssprüngen sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro für Gewerkschaftsmitglieder. Angesichts der explodierenden Mieten in der Stadt und der geringeren Entlohnung der BVG-ArbeiterInnen im Vergleich zu anderen Infrastrukturbeschäftigten (DB/Deutsche Bahn, BWB/Berliner Wasserbetriebe, BSR/Berliner Stadtreinigung) sind die Forderungen mehr als berechtigt. Zudem müssen die BVG-Beschäftigen seit Jahren die verfehlte Personalpolitik ausbaden. Auch
deshalb ist die Arbeitszeitverkürzung um 2,5 Stunden pro Woche so wichtig und richtig. Berlin bildet dabei nur die Spitze des Eisberges. Laut ver.di fehlen bundesweit im ÖPNV mehr als 30.000 Beschäftigte. Hier zeigen sich die Folgen von Privatisierungen und der sogenannten Schuldenbremse, die die Kommunen zum Sparen verdonnert und damit die Kosten der Finanzkrise 2008 vor allem auf die ArbeiterInnen abwälzt – sei es durch geringe Löhne, Überlastung, fehlendes Personal oder durch hohe Fahrpreise. Dementsprechend quer stellen sich die Arbeit„geber“Innen. Dreist war das Angebot Mitte März von 12 % über 5 Jahre Vertragslaufzeit. Das Ziel ist eindeutig: die Belegschaft durch einen hohen Wert blenden und sie gleichzeitig möglichst lange in die Friedenspflicht zwingen. Gleichzeitig verdient eine Sigrid Nikutta (BVG-Vorstand) 500.000 Euro pro Jahr und fährt selbstverständlich mit einer dicken Limousine durch die Gegend. Wo gestreikt wird, da lauert auch der Streikbruch. Beim zweiten Warnstreik am 15. März lieferte ver.di gleich selbst die Möglichkeit zur Schwächung
des Arbeitskampfes, indem die Gewerkschaft lediglich die FahrerInnen der Busse zum Streik mobilisierte. Wie kämpfen? Zu Recht empörten sich viele BVGlerInnen, viele Fahrgäste konnten auf Tram und U-Bahn ausweichen. Diese Art von Teilwarnstreik schwächt den Kampf. Daher ist es nur richtig, dass zum 1. April wieder die gesamte Belegschaft mobilisiert wird. Dazu gehört die Forderung, die ver.di nicht aufgestellt hat, an Subunternehmen ausgelagerte Buslinien mitsamt ihren Beschäftigten wieder unters Dach der BVG zu integrieren! Diese Linien werden am Montag nahezu uneingeschränkt betrieben und damit den Streik unterlaufen. Aber auch aus einer anderen Ecke droht der Streikbruch: Die S-Bahn Berlin – ihrerseits Tochter der Deutschen Bahn AG und daher nicht Teil der Tarifverhandlungen – hat bereits angekündigt, Betriebsreserven zu mobilisieren, um die Auswirkungen des Streiks abzufedern. Hier wären die EisenbahnerInnengewerkschaften EVG und GdL sowie die Betriebsräte gefragt, diesen Streikbruch zu verhindern.
Diese Widersinnigkeit gegenseitigen Streikbruchs von Beschäftigten desselben Sektors und die Untätigkeit, diesen zu verhindern, verweist darauf, wie notwendig der Kampf für eine Transport- und Logistikgewerkschaft ist, die alle im Sektor Beschäftigen umfasst und die demokratisch von diesen kontrolliert wird statt durch Vorgaben der BürokratInnen. Für diese klassenkämpferische Neuausrichtung muss in der Basis von ver.di, GdL und EVG in Form von oppositionellen Strukturen gegen die Apparatschiks gekämpft werden. Für den Streik selbst gilt, was wir bereits im Flugblatt zum ersten Ausstand der BVG schrieben: Nur ein entschlossener Arbeitskampf kann die Lage ändern – und das heißt: vom Warnstreik zum unbefristeten Vollstreik! Damit ein solcher breit getragen wird und erfolgreich sein kann, braucht es Vollversammlungen der Beschäftigten. Ver.di soll so rasch wie möglich die Urabstimmung einleiten. Inhalt von Versammlungen in den Depots wie einer Vollversammlung bei der BVG muss vor allem eine Diskussion sein, wie die Forderungen ohne faule Kompromisse erzwungen werden können. Dazu braucht es rechenschaftspflichtige Streikleitungen, die aus der Belegschaft heraus gewählt werden und den Arbeitskampf koordinieren. Die Verhandlungskommission muss diesen Versammlungen
gegenüber rechenschaftspflichtig und von diesen abwählbar sein. Es darf keinen Abschluss ohne Zustimmung der Gewerkschaftsmitglieder geben! Streik und Verkehrsfrage Eine Aufwertung des Berufes der FahrerIn ist eines der Versprechen der viel gepriesenen Verkehrswende. Die Parteien des Berliner Senats (SPD, Linke, Grüne) befinden sich in der Tarifauseinandersetzung auf Arbeit„geber“Innenseite, auch wenn sie vorgeben, die SchülerInnenbewegung Fridays for Future zu unterstützen und den öffentlichen Nahverkehr zu stärken. Trotzdem wird die Finanzierbarkeit als Grund vorgeschoben, die Forderungen ver.dis abzulehnen. Dies zeigt nicht nur die engen Grenzen der kommunalen Kassen, sondern auch die eines grünen Kapitalismus. Wenn sie nicht finanzierbar ist, gibt es eben keine Qualitätssteigerung im ÖPNV, gibt es weder mehr Personal noch Entlastung der FahrerInnen. Deswegen treten wir anstelle einer kapitalistischen Verwaltung durch Land und
BVG-ChefInnen für eine demokratische Kontrolle durch die VerkehrsarbeiterInnen und lohnabhängigen Fahrgäste in Form eines gewählten Verkehrsplanungskomitees ein. Unser Ziel ist ein kostenloser ÖPNV, finanziert durch hohe Besteuerung der Reichen und KapitalistInnen insbesondere der Automobil- und Ölindustrie sowie privater Verkehrsgesellschaften. Auch aufgrund dieses Zusammenhangs sollten sich ver.di und die streikenden SchülerInnen zusammentun, Schulstreiks und BVG-Streik zusammenführen. Unbefristeter Streik für unsere Zukunft! Massenentlassungen bei Opel Österreich: ein umfassender Streik ist nötig! Michael Märzen, Infomail 1048, 31. März 2019 Von der Ankündigung des Stellenabbaus sei man im Betriebsrat von Opel in Wien-Aspern nicht überrascht gewesen, nur vom tatsächlichen Ausmaß. Am Dienstag wurde der Belegschaft des Motoren- und Getriebe-Werks bei einer Betriebsversammlung mitgeteilt, dass bis Jahresende 350–400 Arbeitsplätze wegfallen sollen – angesichts der knapp
1.200 Beschäftigten ist das jede dritte Stelle! Kämpfen wolle man um die Arbeitsplätze aber nicht, immerhin gebe es noch vom Vorjahr, als damals schon 100 Jobs gestrichen wurden, einen Sozialplan. „Jetzt beginnen erst einmal die Detailverhandlungen mit der Geschäftsleitung“, sagt dazu die Vorsitzende des Arbeiter*innen-Betriebsrats, Renate Blauensteiner. In diese Richtung geht neben den Gewerkschaften PRO-GE (Produktionsgewerkschaft) GPA-djp (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) auch der Vorsitzende des Angestellten-Betriebsrats, Franz Fallmann: „Gesucht werden Mitarbeiter, die mit Jahresende freiwillig austreten, aus Altersgründen oder Jobwechsel.“ Das werde aber nicht reichen. Die Pläne der Konzernleitung bedeuten somit nicht einfach einen Haufen goldener Handschläge, sondern tatsächlich Arbeitslosigkeit sowie eine Arbeitsverdichtung für die restliche Belegschaft. Dass Betriebsrat und Gewerkschaften einen solchen heftigen Anschlag einfach hinnehmen, spricht Bände über die sozialdemokratische Gewerkschaftsfraktion FSG, deren Angehörige Blauensteier (nebenbei auch Vizepräsidentin der Arbeiterkammer Wien) ist.
Der rigorose Sparkurs der Opel-Automobilsparte Warum aber möchte die Konzernleitung überhaupt so viele Arbeitsplätze abbauen? Laut der Tageszeitung „Die Presse“ macht der deutsche Autokonzern Opel als Tochtergesellschaft von General Motors schon seit dem Jahr 2000 jährlich Verluste. Im März 2017 wurde das Unternehmen vom französischen Automobilhersteller PSA (Peugeot, Citroën, DS, Vauxhall) übernommen. Noch im selben Jahr begann man im Rahmen des sogenannten Zukunftsplans „Pace“ (zu deutsch: Tempo) mit der Umsetzung rigoroser Sparpläne. Größere „Umstrukturierungen“ gab es dann 2018 in Deutschland, wo bspw. 3.700 Jobs vernichtet wurden. Insgesamt konnte man so die Fixkosten stark reduzieren, sodass man schon 2018 wieder Gewinne verbuchte. PSA-Chef Carlos Tavares ist das aber offenbar nicht genug. Denn wie das deutsche Wochenmagazin „Stern“ berichtete, liegt es im strategischen Konzerninteresse, den operativen Gewinn bis 2026 weiter zu erhöhen. Insgesamt läuft die Strategie auf die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit hinaus, um neue Märkte zu erobern. So sollen die Übersee- Exporte bis 2020 verdoppelt werden und bis 2022 will man 20 neue Exportmärkte erschließen, etwa in Saudi-Arabien, Taiwan und Argentinien. Mittelfristig möchte man womöglich nach China und Brasilien liefern. Es steckt also viel mehr hinter der Arbeitsplatzvernichtung als irgendwelche
Wettbewerbsschwierigkeiten.Es geht um Expansion zur Gewinnsteigerung auf Kosten der ArbeiterInnen! Die sozialdemokratische Strategie ist gescheitert Nachdem PSA den Opel-Konzern übernommen hatte, mussten die Belegschaften in den verschiedenen Ländern um ihre Standorte fürchten. So auch in Wien-Aspern, wo in diesem Jahr die Aufträge zur Produktion von 5-Gang-Schaltgetrieben auslaufen. Damit ein neues Schaltgetriebe durch den Mutterkonzern in Auftrag gegeben wird, hat sich die Stadt Wien im Juni letzten Jahres zu einer „Innovationsförderung“ auf Kosten der Allgemeinheit in der Höhe von einer Million Euro hinreißen lassen, wobei man nicht einmal eine Arbeitsplatzgarantie erwirken konnte. Damit schrieb sich die Stadtregierung allerdings die Rettung des Standorts auf die Fahnen. Ähnlich wie die SPÖ Wien hat sich der Betriebsrat schon drei Jahre davor verhalten, als er mit der Geschäftsführung einen Standortsicherungspakt mit zwei mal 2 % Lohnverzicht unterzeichnete. Weder die Förderung der Stadt Wien noch der Lohnverzicht der Belegschaft haben Arbeitsplätze retten können. Und es stellt sich die Frage, was passiert, wenn die Autoproduktion angesichts der Tendenz zum Elektroantrieb in einigen Jahren auf die neuen
Schaltgetriebe verzichten kann. Werden dann noch mehr Arbeitsplätze abgebaut? Oder wird dann doch das ganze Werk geschlossen? ArbeiterInnen und Gewerkschaften müssen kämpfen! Die bisherige SPÖ-FSG-Strategie des Klein-Beigebens ist klar gescheitert. Durch kampflose Zugeständnisse erreicht man eben doch nichts weiter als neue Einsparungen. Die jetzige Orientierung von Betriebsrat, PROGE und GPA-djp auf einen Sozialplan bedeutet, den Kampf schon aufzugeben, bevor er überhaupt begonnen hat. Um die Vorstöße der Konzernführungen heute und morgen abzuwehren, muss man aber in die Offensive gehen, statt Schritt für Schritt zurückzuweichen! Wenn die ArbeiterInnen von Opel Wien-Aspern den Jobabbau nicht einfach hinnehmen wollen, dann müssen sie Druck auf ihre VertreterInnen in Betriebsrat und Gewerkschaft ausüben. Sie müssen neue Betriebsversammlungen fordern und über Kampfmaßnahmen diskutiert. Sollen die Arbeitsplätze und das Werk erhalten bleiben, dann muss gestreikt werden. Mit einem Streikkomitee, gewählt aus den eigenen Reihen, jederzeitig rechenschaftspflichtig und abwählbar, kann die Führung des Streiks durch die ArbeiterInnen selbst kontrolliert werden. In einem solchen Arbeitskampf dürfen die Streikenden auch nicht den Angaben der Geschäftsführung vertrauen, sondern müssen den Einblick in die Geschäftsbücher verlangen. Kann das
Unternehmen das Werk und die Arbeitsplätze nicht erhalten, dann sollte es entschädigungslos und unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten von der Allgemeinheit übernommen werden! „Aus unseren Kämpfen lernen“ – aber wie? Frederik Haber/Helga Müller, Infomail 1064, 14. März 2019 Unter obigem Motto fand die 4. Streikkonferenz vom 15. bis 17. Februar in Braunschweig statt. Mit rund 800 Teilnehmenden war sie die bisher größte ihrer Art. Offensichtlich gibt es Bedarf, über die Praxis der Gewerkschaften zu diskutieren. Von den Mitgliederzahlen her waren diese in den letzten 70 Jahren noch nie so schwach wie heute. Nur noch die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in Betrieben mit Betriebs- oder Personalräten, der Geltungsbereich von Tarifverträgen ist auf unter 50 Prozent gesunken. Niedergang Dieser Niedergang hat nicht nur auf Grundlage strategischer Niederlagen wie der Agenda 2010 stattgefunden, sondern setzte sich in den letzten Jahren auch ohne scharfe
offene Angriffe und Rückschläge fort, in Zeiten, in denen die Gewerkschaftsführungen mit der Regierung kooperieren, ja sie sogar offen unterstützen; in Zeiten, in denen der DGB gemeinsam mit den Unternehmerverbänden „Hundert Jahre Mitbestimmung“ feiert. Höchste Zeit also zu fragen, was die Gewerkschaften falsch machen. Ist es nur die Praxis oder steht dahinter auch eine bestimmte Politik? Die Rosa- Luxemburg- Stiftung als Veranstalterin der Braunschweiger Konferenz beschränkte sich allerdings bewusst auf ein Konzept, einzelne gute Beispiele zu präsentieren, die dann anderswo nachgeahmt werden können. Recht offen stellte ihre Vorsitzende dar, dass in den Gewerkschaftsführungen oft Leute sitzen, die nichts ändern möchten. Sie berichtete von der mühevollen Arbeit, diese trotzdem von der Notwendigkeit dieser Konferenz zu überzeugen. Die einfache Frage, warum die Leute, die für den Niedergang der Gewerkschaften verantwortlich sind, an der Klassenzusammenarbeit um praktisch jeden Preis festhalten und daran auch nichts ändern wollen, noch hofiert, stellt sie nicht und offensichtlich nicht viele im Publikum: Gehören solche Leute nicht einfach rausgeschmissen?
Die VeranstalterInnen setzen denn auch darauf, möglichst viele regionale Verantwortliche als UnterstützerInnen zu gewinnen. Überhaupt sind viele Hauptamtliche dabei. Beim Branchentreff Metall stellen sie rund die Hälfte der Anwesenden. Mag sie auch Unbehagen über die derzeitige Politik nach Braunschweig getrieben haben, in der Diskussion verteidigen sie die Politik der Führung – sei es aus Überzeugung oder Reflex. Der Tarifabschluss 2018 sei ein Einstieg in die Arbeitszeitdebatte und hätte eine Verkürzung der Arbeitszeit gebracht – meinte z. B. das IGM- Vorstandsmitglied Urban. Dass der Abschluss ein größeres Arbeitszeitvolumen ermöglicht und viele Unternehmen dies nutzen, wird genauso wenig erwähnt, wie dass der rechte Apparat der IGM mit diesem Abschluss die Arbeitszeitdebatte für beendet erklärt hat. Jegliche Strategie der Linken muss aber von der Realität ausgehen und nicht von Wunschdenken und Schönreden. Rechtsruck und Gewerkschaften Die Krise der Gewerkschaften drückt sich auch darin aus, wie sie mit dem
Rechtsruck in der Gesellschaft umgehen. So sorgte sich die IG Metall bei den Betriebsratswahlen 2018 sehr um das Abschneiden einiger betont rechter, rassistischer und gewerkschaftsfeindlicher Listen. Nachdem diese aber nur wenige Mandate erzielt hatten, ist das kein wirkliches Thema mehr. Dazu trug Klaus Dörre auf der Konferenz ein Referat vor, das darauf hinwies, dass „sich nur wenige Kandidaten gefunden haben, die sich während der Betriebsratswahlen auf Listen offensiv dazu bekennen, rechte Positionen zu vertreten, doch das bedeute nicht, dass diese nicht existieren.“ Allein 19 Prozent der Lohnabhängigen und 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben bei der Bundestagswahl 2017 der AfD ihre Stimme gegeben – bei einem Gesamtergebnis von 12,6 Prozent ein deutlich überdurchschnittlicher Wert. Er stellte dar, dass es nicht nur GewerkschafterInnen gibt, die sowohl „korrekte“ gewerkschaftliche Positionen vertreten wie auch rechtspopulistische Floskeln äußern, sondern auch überzeugte rassistische ReaktionärInnen, die manchmal eine führende Rolle in den betrieblichen Strukturen ausüben und als „gute InteressensvertreterInnen“ gelten. Wo diese einmal etabliert sind, wird das Thema vom Apparat tabuisiert,
solange die Mitglieder oder Betriebsräte keine Konkurrenzliste aufmachen. Das hätte viel Anlass zur Diskussion geben können und müssen. Es zeigt, dass die reformistischen BürokratInnen rassistische, nationalistische und rechtspopulistische Positionen dulden, solang diese Kräfte die Gesamtpolitik des Apparates nicht stören. Man könnte das als unausgesprochenes Stillhalteabkommen bezeichnen. Für die Linke in den Gewerkschaften bedeutet dies, dass es nicht reicht, nur gute, aktive Betriebsarbeit zu machen, auf „Organizing“ zu setzen und sich um die unorganisierten Bereiche insbesondere im prekären Sektor zu kümmern, der bekanntlich von der Bürokratie fast völlig vernachlässigt wird. Vielmehr muss dies mit einem aktiven Kampf gegen Rassismus verbunden werden – und eine solche Politik muss auch gegen den Apparat in den Gewerkschaften und in den Großkonzernen durchgesetzt werden. Es liegt auf der Hand, dass diese nicht in „Bunt statt Braun“- Bekenntnissen aller Gutmenschen oder in gemeinsamen Erklärungen von Betriebsräten mit den Unternehmensleitungen bestehen kann. Die richtige Erklärung, dass die AFD „neoliberale“ und arbeiterInnenfeindliche Politik mache, bleibt solange weitgehend unwirksam, wie
die Gewerkschaften auf Klassenzusammenarbeit mit den BetreiberInnen und ProfiteurInnen dieser „neoliberalen“ Politik setzen. Der Kampf gegen rechts ist in den Gewerkschaften zugleich einer gegen die Klassenzusammenarbeit und kann letztlich nur so erfolgreich sein. Dies wird nicht nur in den Gewerkschaftsstrukturen kaum thematisiert. Auch in Braunschweig gab es keine Diskussion mit Dörre zu dessen Studien und teilweise provozierenden Thesen. Nur ein Workshop ganz am Ende der Tagung betrachtete den „Umgang mit Rechtspopulismus in Betrieb und Gewerkschaft“ – ansonsten wurde das Thema routiniert ausgesessen. Beteiligung Ein gutes Drittel der TeilnehmerInnen kann man als „jung“ (also unter 40) bezeichnen und insgesamt lag der Altersdurchschnitt deutlich unter dem der meisten Gewerkschaftsveranstaltungen. Aber die in Braunschweig versammelte „Gewerkschafts-Jugend“ war nicht sonderlich radikal. Es schienen viele Studierende unter ihnen zu sein, denen die Konferenz mal erlaubt, an Betriebsarbeit zu schnuppern, aber auch viele, die direkt an
einem Aufstieg in den Apparat arbeiten. Frappant war der geringe Anteil an MigrantInnen auf der Konferenz. Sie sind bekanntlich in der Gewerkschaft umso schlechter vertreten, je höher es in die Ränge der FunktionärInnen geht. In Braunschweig kamen gerade mal 16 Menschen zum Workshop über Migration. Das stand in eklatantem Gegensatz zu Bernd Riexingers Statement in der Podiumsdiskussion am Freitagabend, dass Streiks „heute jünger, weiblicher und migrantischer“ seien. Diese Aussage ist dort gültig, wo Streiks im Handel, bei ErzieherInnen und in ähnlichen Bereichen stattfinden. Sie wirft aber auch ein Licht darauf, dass genau diese KollegInnen in Braunschweig wenig anwesend waren, sondern vor allem die GewerkschaftssekretärInnen, die diese Kämpfe betreuen und organisieren. Insgesamt war ver.di viel besser vertreten als die IG Metall – ein Indiz dafür, dass dort die Spielräume größer sind. Das liegt einerseits an deren branchenbedingter Vielfalt und einem relativ schwächeren Apparat, aber auch daran, dass die IG Metall die Schlachtschiffe des deutschen Groß- und Exportkapitals organisiert, insbesondere die Autoindustrie. Ihr Beitrag zu der dort herrschenden engen
Zusammenarbeit mit dem Kapital ist es, alle eigenständigen Bewegungen und Initiativen zu ersticken, die die arbeitsteilige Produktion und den Umsatz gefährden könnten. Ja, es werden sogar störende Elemente in Kollaboration mit dem Management aus den Betrieben entfernt. Pflegenotstand Ein wichtiger Schwerpunkt der Konferenz war die Debatte zum Gesundheitswesen. Kein Wunder fehlen nach ver.di-Angaben über 100.000 Pflegekräfte. Ver.di hatte deswegen vor ca. 2 Jahren eine Kampagne zur Entlastung der Klinikbeschäftigten initiiert und in immerhin 13 Krankenhäusern Tarifverträge und schuldenrechtliche Abkommen für mehr Personal durchsetzen können, teilweise durch wochenlange Durchsetzungsstreiks wie an den Unikliniken in Essen und Düsseldorf. In den Medien ist seitdem die Personalmisere insbesondere in den Krankenhäusern immer wieder Thema. Selbst die Politik musste mit diversen neuen Gesetzen reagieren, die vorgeben den Personalnotstand zu bekämpfen. Von daher wurden auf der Konferenz diverse Arbeitsgruppen zur Bilanz der Entlastungskampagne und wie es damit weitergeht angeboten. Trotz positiver
Beispiele wie Abkommen und Tarifverträge für mehr Personal durchgesetzt werden konnten, wurde hier versäumt intensiv darüber zu diskutieren, welche Mittel die Belegschaften einsetzen müssen, um die Tarifverträge auch gegen den Willen der Klinikleitungen in der Realität umzusetzen. Trotz eines Beschlusses des Bundesfachbereichsvorstandes 3 (Fachbereich 3 ist in ver.di für den Gesundheitsbereich zuständig), die Kampagne fortzuführen und trotz des ernstgemeinten Appells eines linken Gewerkschaftssekretärs, die Umsetzung des Personalaufbaus gemeinsam mit allen Beschäftigten der 13 Krankenhäuser gegen die Verweigerungshaltung der Klinikleitungen durchzusetzen, wurde es versäumt zu diskutieren, wie genau dieses gemeinsame Vorgehen gegen den Willen des Apparats durchgesetzt werden kann. Lag doch eine der Schwächen der Kampagne genau darin, dass die ver.di-Verantwortlichen die Kampagne in keiner Phase des Kampfes so angelegt hatten, dass die Belegschaften aller Krankenhäuser in einen gemeinsamen Kampf für die Durchsetzung von mehr Personal entsprechend dem Bedarf geführt wurden. Eigentlich eine gewerkschaftliche Binsenweisheit! Liegt doch die Kraft eines bundesweit angelegten gewerkschaftlichen Kampfes gerade darin, dass besser organisierte und kampffähigere Belegschaften schwächere mitziehen können und diese durch ein
bundesweites Abkommen für mehr Personal davon profitieren können. Immer wieder wurde auch gemunkelt, dass der Bundesvorstand die Kampagne gerne nur noch auf Sparflamme hätte fortführen wollen bis sie dann zu guter Letzt ganz aufgegeben wird. Das konnte tatsächlich durch den Kampf der Belegschaften der 13 Krankenhäuser durchbrochen werden. Sehr richtig wurde in den Diskussionen von ver.di-Seite angemerkt, dass diese Kampagne mehr ist als der „übliche“ gewerkschaftliche Kampf um einen Tarifvertrag, diese darüber hinausgeht und auch eine politische Kampagne beinhaltet. Aber anstatt Ross und Reiter zu nennen, dass es um einen politischen Streik geht gegen die Privatisierungspolitik der Regierungen und gegen die Einführung der sog. DRGs (Fallpauschalen), die die Privatisierung erst für Gesundheitskonzerne lukrativ gemacht haben, verwiesen die anwesenden Gewerkschaftssekretäre und die Vertreter der Linkspartei auf die diversen Volksbegehren in Hamburg, Berlin, Bremen und Bayern, die zum Ziel haben einen verbindlichen gesetzlichen Personalschlüssel durchzusetzen. Egal ob im Norden oder Süden der Republik – diese Volksbegehren haben den großen Nachteil, dass sie einerseits einem mehr oder weniger komplizierten gesetzlichen Verfahren unterworfen sind, das zum Ziel oder auch nicht führen kann und das andererseits vollkommen
vom politischen Willen der jeweiligen Regierungen abhängig ist. Perspektive Insgesamt ist diese Konferenz nicht darauf ausgelegt gewesen, die linken, kritischen oder oppositionellen Teile in den Gewerkschaften zu radikalisieren und zu vereinen. Dazu wäre auch eine Kritik an der Praxis der Bürokratie – einschließlich des linken Flügels des Apparates – nötig gewesen. Die Vereinbarungen zur „Standortsicherung“ beispielsweise verlieren ihren spalterischen Charakter – die Sicherung der Arbeitsplätze auf Kosten anderer Belegschaften und der prekär Beschäftigten – nicht dadurch, dass sie von kämpferischen Aktionen begleitet werden und dem Kapital das eine oder andere Zugeständnis abknöpfen. Die permanente Rechtfertigung solcher Politik durch „linke“ SekretärInnen als einzig Mögliche und damit, dass die KollegInnen ja noch nicht so weit wären („Ich selber bin ja auch SozialistIn“) blockiert und beschränkt zugleich die Entwicklung des Klassenbewusstseins und der Entschlossenheit der AktivistInnen. Aus dem Munde linker GewerkschafterInnen sind die Rechtfertigungen oftmals wirkungsvoller als aus dem Munde derer, die schon die Ansätze von Kämpfen
verhindern. Hinzu kommt, dass die Fortsetzung der Politik der Sozialpartnerschaft durch gewerkschaftliche Unterstützung der Regierungspolitik von SPD und Linkspartei auch weitgehend ausgeblendet wurde. Natürlich ist es für einzelne AktivistInnen enorm schwer, in der Masse von sowohl rückständigen Belegschaften als auch Gewerkschaftsstrukturen, die voll und ganz unter der Kontrolle der ReformistInnen stehen, den Spagat zu machen zwischen Mobilisierung für den Kampf, Kritik an den Apparatmethoden, der Entwicklung und Durchsetzung alternativer Strategien, die nicht nur kämpferischer sind, sondern zugleich eine antikapitalistische Perspektive entwickeln, die mit der Praxis verbunden sind. Aber genau das erfordert eine verbindliche Organisierung der klassenkämpferischen Kräfte in den Gewerkschaften und Betrieben, die nicht nur um eine andere Politik vertreten, sondern auch darum kämpfen, die Macht des Apparates zu brechen – eines Apparates, der nicht nur eine sozialpartnerschaftliche und bürgerliche Politik in der Klasse betreibt, sondern der auch über tausende Fäden eng mit
dem Herrschaftssystem des Kapitals verbunden ist. Schritte in diese Richtung unternahm die Streikrechtskonferenz nicht – und das war von der Linkspartei und den ihr nahestehenden Teilen der Gewerkschaftsspitzen auch nicht beabsichtigt. Zur organisierten Opposition können wir nur auf Grundlage einer Aufarbeitung der Krise der Gewerkschaften und einer Verständigung gelangen, worin die Politik des reformistischen Apparates besteht. Dazu sind Verabredungen zum Kampf gegen die reformistische Bürokratie nötig. Die nächste Gelegenheit dafür bietet sich voraussichtlich mit dem Projekt einer Strategiekonferenz im Jahr 2020. Die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken hatte dafür im Vorfeld geworben und schon einige Resonanz erhalten. Ein kurzes Treffen für die Organisierung zählte dann immerhin 70 TeilnehmerInnen. Offensichtlich gibt es bei einigen das Bedürfnis, tiefer zu gehen, als nur Anregungen für eine bessere Praxis zu sammeln. Möglicherweise hat die Übermacht des Apparates in Braunschweig die Notwendigkeit, über Strategie nachzudenken, noch befördert. Zur Vorbereitung der Strategiekonferenz 2020 findet ein nächstes Vernetzungstreffen am 18. Mai 2019 in Frankfurt/Main
statt. Das strategische Ziel muss die Befreiung der größten Organisationen der ArbeiterInnenklasse von denen sein, die sie in der Zusammenarbeit mit dem Kapital und dessen Staat fesseln. Tarifergebnis des öffentlichen Dienstes der Länder Helga Müller, Infomail 1045, 7. März 2019 Wie fast schon vorauszusehen war, endete auch diesmal die Tarifrunde der Länder nach einer mehrtägigen Marathonsitzung bei der letzten – bereits im Vorfeld vereinbarten – Verhandlung am 2. März mit einem Ergebnis. „Fast“, weil in dieser Tarifrunde die Blockadehaltung der öffentlichen Arbeit„geber“Innen doch sehr klar war. Selbst nach der zweiten Verhandlungsrunde waren sie nicht bereit, auch nur ein kleines Entgeltangebot zu machen.
Auf der anderen Seite haben sich noch nie zuvor soviel Beschäftigte der Länder – vor allem in den Sozial- und Lehrbereichen – mobilisiert. Es schien zunächst, dass die öffentlichen Arbeit„geber“Innen zu einer härteren Gangart bereit waren. Tatsächlich gab es am Schluss der Tarifverhandlungen zwischen dem SPD-Verhandlungsführer Matthias Kollatz und vor allem seinen CDU-LänderkollegInnnen wohl noch ein zähes Ringen, das verhandelte Ergebnis zwischen der TdL (Tarifgemeinschaft der Länder) und den Gewerkschaften doch noch anzunehmen. Er erhielt zwar 60 Prozent für seinen Kompromiss auf der TdL-Mitgliederversammlung, aber einige waren eben auch nicht dafür. Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) hätte sich „insgesamt einen weniger haushaltsbelastenden Abschluss gewünscht.“ (zit. nach sueddeutsche.de vom 3. März 2019). In Dresden ließ Finanzminister Matthias Haß (CDU) verlautbaren, dass der Abschluss zu geringeren Ausgaben in anderen Bereichen führen könnte: „Wir haben Vorsorge getroffen, aber das Geld fehlt dann an anderer Stelle, zum Beispiel für Investitionen.“ (zit. nach sueddeutsche de. vom 3. März 2019) Doch die Realität sieht so aus, dass beide Tarifparteien – ganz in der Tradition der Sozialpartnerschaft, in der sich vor allem ver.di und die Vertreter der Länderregierungen seit Jahrzehnten üben – mit dem erzielten
Ergebnis ganz zufrieden sind. Mathias Kollatz sprach von einem „fairen Tarifabschluss“ (sueddeutsche.de vom 2. März 2019) und Frank Bsirkse, der Verhandlungsführer auf Gewerkschaftsseite, zeigte sich höchst zufrieden und sprach von dem besten „Ergebnis im Länderbereich für einen Lohnabschluss seit Jahren“. Er redete sogar von „spektakuläre(n) Attraktivitätsverbesserungen für einzelne Berufsgruppen.“ (zit. nach: suedeutsche.de vom 3. März 2019). Wichtigste Ergebnisse Wie immer bei Tarifergebnissen, die im öffentlichen Dienst erzielt werden, ist dieses nicht leicht zu bewerten, da ja das Tarifwerk selbst sehr komplex ist und diesmal auch die Forderungen sich bekannterweise nicht nur auf reine Entgeltforderungen beschränkten, sondern auch auf eine Überprüfung der Entgeltordnung und Besserstellung von einzelnen Berufsgruppen. Zu den wichtigsten Ergebnissen: Im Gesamtvolumen wird es eine Erhöhung um 8 % (inkl. Zinseszins) in drei Stufen bei einer sehr langen Laufzeit von 33 Monaten (bis Ende September 2021) geben, immerhin ohne Nullmonate.
Die Entgelte werden in 3 Stufen angehoben: ab 1. Januar 2019 um 3,2 % im Gesamtvolumen(!), mindestens aber 100 Euro, ab 1. Januar 2020 wiederum um 3,2 %, aber mindestens 90 Euro, und die letzte Erhöhung ab 1. Januar 2021 beträgt 1,4 %, mindestens aber 50 Euro für 9 Monate bis Ende September 2021. BerufseinsteigerInnen bekommen in zwei Schritten rund 11 Prozent mehr Gehalt. Die Ausbildungsvergütung für Azubis wird ab 1. Jan. 2019 und 1. Januar 2020 um je 50 Euro erhöht. Sie erhalten außerdem noch einen Urlaubstag. Damit erhöht sich ihr Urlaub auf 30 Tage wie bei allen anderen Beschäftigten. Pflegekräfte erhalten 120 Euro im Monat mehr und auf diesen erhöhten Grundbetrag kommt dann die allgemeine Lohnerhöhung drauf und ab 1. Januar 2019 wird die kommunale Entgelttabelle für die Pflegekräfte übernommen. Bei LehrerInnen wird die Angleichungszulage (an die Besoldung der verbeamteten LehrerInnen) um 75 Euro auf 105 Euro erhöht. Die Bezahlung der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen/SozialpädagogInnen wird auf das Niveau des kommunalen Sozial- und Erziehungsdienstes (TVöD VKA) angehoben. Die Verbesserung der Gehälter für die ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen, Pflegekräfte und weitere wird teilweise kompensiert durch das Einfrieren der Jahressonderzahlung auf 4 Jahre (2019 bis 2022) und zwar auf das Niveau von 2018.
Die Große Tarifkommission hatte gleich nach dem Aushandeln des Ergebnisses diesem Kompromiss mit Applaus zugestimmt. Es sollen nun zwar die Mitglieder dazu befragt werden, das dient aber nur dazu, dem Ergebnis eine zusätzliche demokratische Legitimation zu verleihen. Zunächst sieht das Ergebnis auf den ersten Blick sehr positiv aus im Vergleich zu den übrigen Abschlüssen im Jahr 2018. Was aber daran als Erstes auffällt, ist die sehr lange Laufzeit von 33 Monaten – im öffentlichen Dienst nicht wirklich ungewöhnlich, auch die Laufzeit des TVöD VKA beträgt 30 Monate -, was eine Synchronisierung der Laufzeiten der Tarifverträge im öffentlichen Dienst aber immer schwieriger macht. So sind Bund und Kommunen nächstes Jahr mit ihrer Tarifrunde dran. Bekanntermaßen verfügt ver.di gerade im kommunalen Bereich noch über sehr gut organisierte Kampftruppen wie z. B. bei der Stadtreinigung. Eine Vereinigung der Tarifkämpfe und damit der Belegschaften im öffentlichen Dienst – wie es zu Zeiten des BAT (Bundesangestellten-Tarifvertrag, der für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst galt) üblich war – würde natürlich die Kampfkraft und die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den öffentlichen
Arbeit„geber“Innen deutlich erhöhen und gäbe auch die Chance, die Bezahlung der Länderbeschäftigten schneller an das Niveau der KollegInnen in Bund und Kommunen anzugleichen. Vor allem gibt der Abschluss den Ländern für fast drei Jahre (genauer gesagt für 2 Jahre + 9 Monate) „Planungssicherheit“ und die Gewissheit, dass es zu keinen weiteren Streiks in Kitas, Schulen oder Krankenhäusern kommt. Dies bildete auch ein gewichtiges Argument im ersten Kommentar des TdL–Verhandlungsführer Matthias Kollatz (SPD), der auf dem Kompromiss bestand, auch wenn sich die Kosten für die Länder nach seinen Angaben auf mehr als sieben Milliarden Euro belaufen werden. Zum anderen ist die dritte und letzte allgemeine Erhöhung ab 1. Januar 2021 um 1,4 % für 9 Monate sehr gering. Eine eher klägliche Erhöhung, zumal keiner voraussagen kann wie sich die Inflationsrate entwickeln wird. Bei näherer Betrachtung sieht das eher nach einem Reallohnverlust für 2021 aus und damit nach einem weiteren Abhängen der Länderbeschäftigten von den anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Zum Dritten – auch wenn die Durchsetzung einer sog. sozialen Komponente, die die unteren
und mittleren Einkommen etwas stärker anhebt, und die Angleichung der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen an den TVöD VKA zu begrüßen sind – muss man festhalten, dass damit sicher die Auseinanderentwicklung der Gehälter im öffentlichen Dienst – zwischen Ländern auf der einen und Bund/Kommunen auf der anderen Seite – nicht aufgehalten werden konnte. Dazu trägt, wie oben bereits erwähnt, auch die lange Laufzeit bei und erschwert die ganze Sache noch dazu. Last but not least fordern ver.di und die GEW zwar die zeitnahe Übernahme des Tarifabschlusses auf die ca. 2,3 % BeamtInnen und VersorgungsempfängerInnen. Da dies aber alleinige Ländersache ist und von den Beschlüssen der Landtage abhängt, kann dies in unterschiedlichen Ländern auch eine unterschiedliche Besoldung bedeuten. Heute schon verdienen BeamtInnen in Bayern mehr als im Rest der Republik. Ein weiterer Wehrmutstropfen besteht darin, dass für das Land Hessen, das seit 2004 nicht mehr der TdL angehört, die Tarifrunde noch aussteht. Aber zumindest steht im hessischen Koalitionsvertrag, dass eine Rückkehr in die TdL geprüft werden soll. Es liegt an ver.di und den verhandelnden Gewerkschaften, dies auch in der Tarifrunde einzufordern und zu erzwingen! Sozialpartnerschaft Natürlich geht niemand davon aus, dass in einer Tarifrunde dieses Auseinanderdriften, das seit
2007 – parallel zum Beginn der getrennten Verhandlungen von Ländern und Bund/Kommunen – begonnen hat, wettgemacht werden kann, aber die Frage darf gestellt werden: Hätten die streikenden KollegInnen in den Dienststellen, in den Behörden, in ihren Einrichtungen die Möglichkeit gehabt, vor Annahme des Kompromisses in aller Ausführlichkeit dieses Ergebnis zu diskutieren und darüber zu entscheiden, hätten sie es dann auch angenommen oder hätten sie dafür gestimmt, in die Urabstimmung über einen Durchsetzungsstreik zu gehen? Nur so wäre es möglich gewesen, substantielle Verbesserungen und einen realen Schritt zur bundesweiten Angleichung der Gehälter durchzusetzen. Diese Chance wurde von den Führungen von ver.di und GEW verspielt. Die Tarifkommissionen schufen mit ihrer Zustimmung gleich „Fakten“. Die noch ausstehende Befragung der Mitglieder verkommt zur Pseudo-Demokratie, die die Entscheidung bloß absegnen soll. Somit reiht sich dieser Abschluss in die Linie von ver.di im öffentlichen Dienst, aber auch der GEW, ein: ein bisschen was für die Mitglieder und Beschäftigten rauszuholen, um nicht zu schlecht dazustehen, aber den Länderregierungen auch nicht zu sehr weh zu tun und ihnen auch eine längere Planungssicherheit zu geben. Auch in dieser
Tarifrunde ließ ver.di vermissen, den Konflikt zwischen den Interessen der Beschäftigten nach mehr Geld und denen der Länder, lieber mehr einzusparen, politisch zuzuspitzen, indem sie zumindest die Forderung nach einer höheren Besteuerung der UnternehmerInnen und Vermögenden und Stopp aller weiteren Privatisierungen aufgestellt hätte. Damit einhergehend wurde auf die Zuspitzung der Tarifrunde für die eigenen Forderungen verzichtet. Statt für diese konsequent mit einem bundesweiten Streik zu kämpfen, begnügte sich die Bürokratie damit, den „Sozialpartner“ durch von oben kontrollierte Mobilisierung zur Rückkehr zur „Partnerschaft“ zu drängen. Diese wurde zweifellos gestärkt – und damit die Chance für eine echte Trendumkehr im Öffentlichen Dienst wieder einmal vertan. Frauenstreik 2019 – aber richtig! Anne Moll, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019 Am 10. November 2018 fand in Göttingen das erste Vernetzungstreffen zur
Planung eines internationalen Frauenstreiks am 8. März 2019 statt. Auf diesem Treffen wurde ein gemeinsamer Aufruf für den 8. März 2019 verabschiedet und eine Planung, wie dessen Umsetzung in Deutschland möglich ist. Mittlerweile existieren zudem lokale Strukturen in zahlreichen Städten. „Wenn Frau will, steht alles still…“? Auch wenn es für viele Frauen in der BRD heute kaum vorstellbar ist, ohne Tarifrunde, also für eigene Frauenthemen die Arbeit niederzulegen: Solche Streiks gab es in der Vergangenheit und sie sind international gar keine Seltenheit! Wie wir schon in einer früheren Ausgabe der Neuen Internationale im Artikel „Frauenstreik – ja bitte!“ ausgeführt haben, legten Millionen Frauen seit 1975 in Europa die Arbeit nieder und gingen auf die Straße, um gerechte Bezahlung, bessere Kinderbetreuung, Stopp der Gewalt gegen Frauen oder die Selbstbestimmung über ihre Körper zu fordern – in Deutschland zuletzt 1994 mit knapp einer Million TeilnehmerInnen.
Das Problem ist dabei immer wieder die Frage der Protestform. Die Frauenorganisationen, die aus dem bürgerlichen Spektrum kommen, lehnen den Begriff Streik und damit natürlich auch dessen praktische Ausführung ab. So überstimmten sie die radikalen Frauengruppen z. B. 1975 in Island und eine wirklich große Kampfaktion wurde unter dem so gar nicht kämpferischen Slogan „Frauen- Ruhetag“ angekündigt. Unter gewerkschaftlich organisierten Frauen konnte dann immerhin der Slogan „Frauenprotesttag“ 1994 in Deutschland durchgesetzt werden. Betriebliche Streikaktionen wurden aber abgelehnt mit der Begründung, politische Streiks seien in der BRD illegal. Womit wir bei dem eigentlichen Problem wären: Es ist dringend notwendig, dass sich politisch einiges ändert, sich die Situation von Millionen Frauen hierzulande bzw. weltweit Milliarden verbessert. Es muss sich noch viel ändern, damit das Wort Gleichstellung überhaupt ausgesprochen werden darf. Wesentlich ist aber die Frage: „Wie erreichen wir das?“ Wer wird politisch etwas mehr als schöne Worte und einen Butterkeks für Frauenrechte tun, wenn wir nicht über legale Protestformen hinausgehen? Wenn wir durch konsequente und sehr energische Maßnahmen nicht zeigen: Die Ansage „Wenn wir wollen, steht alles still!“ beinhaltet auch Streikmaßnahmen? Und es ist uns
ernst mit der vollständigen Gleichberechtigung, die natürlich auch bedeutet, dass Frauen in dieser Gesellschaft besonderen Schutz benötigen. Genau darum brauchen wir einen politischen Streik für die durch ihn erreichbaren Forderungen aus dem Göttinger Aufruf. Ein politischer Streik richtet sich im Gegensatz zu wirtschaftlichen Forderungen einzelner Branchen an und gegen den Staat mit der Aufforderung, Maßnahmen zu ergeifen, die im Interesse aller Arbeiterinnen liegen: zur Vergesellschaftung des Reproduktionssektors, der Haus-, Pflege- und Sorgearbeit, gegen Pflegenotstand; zur faktischen Gleichstellung mit den Männern vor dem Gesetz, bei Löhnen und Arbeitsbedingungen; zur Abschaffung der Abtreibungsgesetze; gegen Altersarmut; für gleiche StaatsbürgerInnenrechte aller, die hier leben; für offene Grenzen…Ein politischer Streik bündelt also die Interessen der gesamten ArbeiterInnenklasse. Sie sollte sich auch als Ganze daran beteiligen einschließlich ihrer Männer – vom politischen Massenstreik bis hin zum Generalstreik zur Durchsetzung der Forderungen! An zwei wesentlichen Punkten mangelt es zum Verständnis, warum es tatsächlich notwendig ist, einen Frauenstreik, der sowohl dem Kampfbegriff als auch
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