Sicherheit Schweiz - Sicherheits-Nationalmannschaft Doktrin Bodentruppen Weiterentwicklung Luftwaffe - ASMZ
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Nr. 09 – September 2016 – 182. Jahrgang Sicherheit Schweiz Herausgeber: Schweizerische Offiziersgesellschaft Sicherheits- Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift Nationalmannschaft Doktrin Bodentruppen Weiterentwicklung Luftwaffe
Wirtschaftsnotiz Master of Business Action In einer seiner wöchentlichen Zivile Titel als Anerkennung und Unterricht «im Felde» – das genössische Diplom als Führungs- «Befehlsausgabe» brachte es Wertschätzung von militärischen ideale Klassenzimmer, ergänzt expertin/Führungsexperte darstel- unser Chef der Armee, André Führungsleistungen mit zielgerichtetem Prüfungs- len. Solche verdiente Auszeichnun- Blattmann, einmal mehr auf Auf dem schweizerischen Ar- training von AKAD Business gen gehören, je nach Ihren beruf- den Punkt: Die Schweiz braucht beitsmarkt geniesst die Höhere Be- Armeekader sollen eine gleich- lichen und persönlichen Zielset- bewährte Führungspersönlich- rufsbildung (HBB) mit ihren eid- wertige Anerkennung ihrer erwor- zungen, in Ihr Bewerbungsdossier. keiten, aus- und weitergebil- genössischen Fachausweis- und benen Führungskompetenzen im det in Theorie und Praxis. Diplomabschlüssen nicht nur ei- «Feldstudium» erhalten – die An- nen ausgezeichneten Ruf, sondern gehörigen unserer Armee haben André Meier André Meier diese Titel stellen gar die «wert- eine solche Auszeichnung ver- Schulleiter vollsten» Türöffner bei der Stel- dient. Diesem Wunsch kommt Schule für Personal Das schweizerische Bildungs- lensuche dar – das bestätigt das AKAD Business durch ein einfa- & Führung system geniesst weltweit den Ruf, Bundesamt für Statistik in jährli- ches, kurzes, zielgerichtetes und AKAD Business eines der besten Aus- und Weiter- cher Regelmässigkeit. explizit für unser Armeekader kon- a.meier@akad.ch bildungssysteme zu sein, wie un- Es gilt also, Theorie und Praxis zipiertes Prüfungstraining sehr ent- www.akad.ch/ ter anderem eine Studie des Welt- nachweisen zu können. Unsere gegen. Ziel ist der Erwerb eines an- business wirtschaftsforums erneut nach- Armee stellt eine der besten prak- erkannten und namhaften schwei- weist. Eine erfreuliche Tatsache. tischen Führungsschulen über- zerischen Führungstitels, wie es bei- Mitglied des Vorstands der Schweizerischen Dennoch fehlen der Schweizer haupt dar, lernt man doch in ihren spielsweise das Zertifikat SVF Lea- Vereinigung für Führungsausbildung SVF- Wirtschaft in vielen Branchen ver- Assessments, anders als in her- dership, der eidgenössische Fach- ASFC mit langjähriger Erfahrung als HR Leiter in Wirtschaft und Verwaltung und als ehe- sierte Fach- und Führungskräfte, kömmlichen «Managerschulen» ausweis als Führungsfachfrau/Füh- maliger Kommandant mechanisierter Ein- vor allem solche mit Führungs- stets mit seinem direkten Gegen- rungsfachmann oder gar das eid- heiten in der Schweizerischen Armee. Erfahrung aus der Praxis. Am bes- über, 1:1 und Face-to-Face. Ar- ten nachweisbar ist Führungs- meekader brauchen nach meinen praxis in unserer militärischen persönlichen Erfahrungen keine Führungsschule – die wohl ein- Studiengänge mehr abzusitzen. drücklichsten und lehrreichsten Vielmehr benötigen sie eine Be- Erfahrungen, er- und durchlebt stätigung ihrer erworbenen Füh- während beinahe 24 Stunden rungserfahrung in Form eines pro Tag und über viele Wochen zivilen, eidgenössischen Ab- hinweg. schlusses/Titels.
Editorial Luftwaffe 3 Andreas Bölsterli Werner Epper, Enric Amigo 30 Weiterentwicklung der Luftwaffe Aktuelles Peter Regli, Andreas Bölsterli Höhere Kaderausbildung 4 Milizarmee – Unsere Sicherheits-Nationalmannschaft Michael Arnold 33 Militärische Führungsausbildung von Sicherheitspolitik Hochschulen anerkannt 15 Das System Artillerie Walter Schilling Daniel Baumgartner, Stephan Kuhnen morgen 6 Nationalisierung der 36 Bodentruppen: Doktrin und Sicherheitspolitik in der EU Umsetzung mit WEA André Blattmann 8 Das Wort des CdA Forschung und Lehre Heino Matzken Tibor Szvircsev Tresch 9 Frischer Wind in «Hamastan»? 40 Berufsvorstellungen junger Thierry Tardy Frauen und Männer 12 EU und Afrika Heinrich L. Wirz Internationale Nachrichten 14 Bericht aus dem Bundeshaus 43 Pascal Kohler, Henrique Schneider 24 Neue russische Einsatz und Ausbildung SOG und Sektionen Kampffahrzeuge Markus Oetterli 47 Markus Schuler 15 Das System Artillerie morgen Daniel Seelhofer, Flavius Baumgartner 18 Hoher ziviler Nutzen militäri- Vermischtes scher Führungsausbildung 52 Dieter Kläy Karl J. Heim 21 Moment der Stille vor dem nächsten Einsatz Bücher Karl J. Heim 56 Andrea Grichting-Zelenka 22 Profis bestätigen: Ohne Miliz geht nichts 33 Militärische Führungsausbildung Wirtschaft / Rüstung Hans Peter Gubler 24 Neue russische Kampf- fahrzeuge – Einführung verzögert sich Quentin Ladetto, Marco Dâmaso Titelbild 26 Technologiefrüherkennung: Member of the European Exoskelette Military Press Association Häuserkampf- (EMPA) – ISSN 0002-5925 parcours SOG Vorstand mit Exoskelett Foto: armasuisse W+T Stefan Holenstein 29 Mehrwert dank Frauen Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016 1
Wirtschaftsnotiz Wird in der Armee zeitgemäss geführt? Die Milizkader sollen in Krieg und Führung in der Krise zwei und Krisen bestehen können, in grundlegend verschiedene Din- der Rekrutenschule und Wieder- ge oder nicht? Welche Erwar- holungskursen aber besonnen tungen haben Wirtschaft und führen – ein Spannungsfeld? Gesellschaft allgemein an die Dasselbe gilt für die Kader auch Führungskultur in der Miliz- in ihrem zivilen Umfeld. Soll armee? die Schweizer Milizarmee in der Bevölkerung verankert bleiben, Nehmen Sie kostenlos an die- darf sich die Führungskultur sem Anlass vom 5. November ihrer Kader nicht von derjeni- 2016 in Luzern teil. Informie- gen der Gesellschaft trennen. ren und melden Sie sich unter www.Chance-Miliz.ch an. Die Veranstaltung Chance Miliz geht in zwei Podien den folgenden Fragen nach: Wird die Führungskultur der Armee den Anforderungen von Ex- tremsituationen gerecht, auf die sich die Armee auszurichten hat? Sind Führung im Alltag Wirtschaftsnotiz Zu nah am Briefkasten parkiert – wer bezahlt den Schaden? Versicherung von Motorfahrzeugen Mein Freund hat mir kürzlich Freund hat ja für sein neues Auto len auf. Auch hier dürfte ein mög- zudem auch die Selbstbehalte, die sein neues Auto ausgeliehen. die obligatorische Motorfahrzeug- licher Bonusschutz über die ent- Ihr Freund allenfalls zu zahlen hat. Beim Parkieren habe ich leider Haftpflichtversicherung abgeschlos- sprechende Zusatzversicherung be- Die Versicherung wird aber nur den Briefkasten seines Nach- sen. Die Kosten für die Reparatur stehen. dann für solche Schäden aufkom- barn übersehen. Wie sind nun des demolierten Briefkastens sind men, wenn Sie das Auto – wie in daher über diese Haftpflicht-Versi- Umfassender Schutz diesem Fall – gelegentlich auslei- die Schäden an Briefkasten cherung gedeckt. In der Regel hat Grundsätzlich raten wir Ihnen hen und nicht regelmässig. Den- und Auto versichert, zahlt mei- er einen Bonusschutz mitversichert, trotzdem zu einem Zusatz in Ihrer selben Versicherungsschutz genies- ne Privathaftpflicht? sodass für ihn und auch für den Privathaftpflicht-Versicherung für sen übrigens auch Ihre Familien- Nachbarn keine Kosten entstehen, das Führen fremder Fahrzeuge. angehörigen wie Partner, Partnerin Unter Freunden ist es selbstver- welche durch Sie, beziehungswei- Darüber wäre dann eine allfällige und die Kinder im gleichen Haus- ständlich, dass man für Schäden se Ihre private Haftpflichtversi- Prämienerhöhung versichert, wel- halt. aufkommt, welche an ausgeliehe- cherung gedeckt werden müssten. che Ihr Freund zu tragen hätte, nen Gegenständen verursacht wer- Da es sich beim Auto Ihres Freun- falls mit dem Schaden ein Bonus- Weitere Informationen: den. Naheliegend ist auch, dass Sie des um einen Neuwagen handelt, verlust verbunden wäre. Auch die www.helvetia.ch/auto für den Schaden am Briefkasten ge- hat er wohl eine Vollkaskoversi- Reparaturkosten am Auto wären ge- radestehen möchten. cherung abgeschlossen. Diese Ver- deckt, falls Ihr Freund keine Voll-, Versicherungstechnisch ist die sicherung kommt für die Beseiti- sondern nur eine Teilkaskoversi- Sachlage aber etwas anders. Ihr gung der Kratzschäden und Del- cherung hätte. Versichert sind so 2 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser kennen zu können. Und weiter heisst es dann noch, dass Nizza, Brüssel, Paris oder Würzburg ja nicht ver- Die Halbwertszeiten* hindert werden konnten. Niemand weiss aber, wie des Vergessens sind sehr viele Anschläge dank genauerer Kontrollen noch vor unterschiedlich. So blei- deren Ausübung verhindert wurden. ben uns Ereignisse, die wir selber erlebt haben, län- Die Kontrollen der Kontrolleure sind politisch ger in Erinnerung als jene, mehrstufig und umfangreich – geben wir uns selbst die wir nur vom Hören- eine Chance, die eigene Sicherheit zu erhöhen, in- sagen kennen. Viele von dem wir die Revision des Nachrichtendienstgeset- uns könnten die Schrif- zes unterstützen. Leute, die Anschläge planen, ken- ten «Streitkräfte Ost» oder nen keine Halbwertszeiten des Vergessens – sie wol- «Fremde Streitkräfte» (Regl 52.15) noch fast zitieren len und werden handeln. Also sorgen wir dafür, und einen Staffelwechsel erklären. Aber die aktuel- dass die Halbwertszeiten der Information und des len Gefahren richtig einordnen, wird immer schwie- Wissens auf Seiten der Nachrichtendienste kürzer riger, weil wir sie nicht genau kennen. Die britische werden, weil sie über die richtigen Werkzeuge verfü- «Times» hat dieser Tage eine Studie, die im Auftrag der gen können. Britischen Armee er- stellt wurde, veröffent- Und zum Schluss licht. Darin werden die «Leute, die Anschläge planen, noch eine nicht ganz konventionellen Streit- ernst gemeinte Erklä- kräfte Grossbritanniens kennen keine Halbwertszeiten – rung der Halbwertszeit mit jenen Russlands ver- sie wollen und werden handeln.» des Vergessens für Poli- glichen. Für das König- tiker: Sie dauert für Po- reich fällt der Vergleich litiker vier Jahre, näm- nicht schmeichelhaft aus. Aber insbesondere macht lich bis zu den nächsten Wahlen. Für Finanzpolitiker die Studie auch auf die Risiken aus dem Cyber-Be- im Besonderen dauert sie ein Jahr, nämlich bis zur reich und Gefahren aus den sozialen Netzwerken, wie nächsten Budgetdebatte. Ich hoffe allerdings sehr, Facebook und Twitter, aufmerksam. Sorgen machen dass diese Aussage dann nicht stimmt, wenn es um den Analysten vor allem die Fähigkeiten der Russen die konkreten Armee-Budgets und -Ausgaben im zum sogenannten Cyber-Krieg. Dabei wird die Elek- Hinblick auf die WEA geht! tronik gegnerischer Waffen gestört oder sogar ausser Kraft gesetzt. Weiter meint das Papier, dass man sich darauf einstellen müsse, dass GPS-Daten gestört, wenn nicht gar manipuliert werden können. Was hat das jetzt mit der Halbwertszeit zu tun? Wir Andreas Bölsterli, Chefredaktor laufen wie Eingangs erwähnt Gefahr, uns auf das Be- andreas.boelsterli@asmz.ch kannte auszurichten und das Unbekannte zu verdrän- gen. Wir richten uns eher auf lange Halbwertszeiten der Information und des Vergessens aus. Leider trifft dies auch auf alle Fragen im Zusammenhang mit dem, diesen Monat zur Abstimmung gelangenden Nach- richtendienstgesetz zu. Man erinnert sich rasch und gerne an den «Fichen- staat» von damals, statt dem Nachrichtendienst die Instrumente von heute zu geben. Die Gegner können * Duden: (bei radioaktiven Stoffen) Zeitspanne, innerhalb deren die sich nicht vom Vergangenen lösen und wollen damit Hälfte der Atome zerfällt. Beispiele: Elemente mit langer Halbwerts- bekämpfen, dass der Staat Mittel haben muss, um zeit – in übertragener Bedeutung: politische Aussagen von kurzer Vorbereitungen zu einem Verbrechen rechtzeitig er- Halbwertszeit (Gültigkeit). Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016 3
Aktuelles Die Milizarmee – Unsere Sicherheits- Nationalmannschaft Die Sicherheitslage in Europa hat sich deutlich verändert. Die ASMZ hatte die Chance, sich mit dem ehemaligen Direktor des Schweizerischen Nachrichtendienstes, Divisionär a D Peter Regli, zur Sicherheitslage der Schweiz auszutauschen. Peter Regli in allen Lagen. Im Falle der Bewältigung Viele junge Männer ziehen den Zivildienst Andreas Bölsterli, Chefredaktor von komplexen Ereignissen, welche die dem Militärdienst vor. Woran liegt diese nationale Sicherheit bedrohen, kommen Tendenz? Herr Regli: Was haben die Terroranschlä- die zivilen Behörden (Polizei, Grenzwacht- Bundesrat und Parlament haben den ge in Frankreich und in Deutschland, nach korps, Bevölkerungsschutz, Blaulichtorga- Zivildienst in der Zwischenzeit zu einer dem 14. Juli, bei Ihnen ausgelöst? nisationen) nach rund 72 Stunden an die Wohlfühloase gemacht. Wer nicht in der Tiefe Betroffenheit und grosse Sorge. Grenzen ihrer Einsatzbereitschaft. Dann Armee dienen will (und sich somit elegant Die Anschläge, mit Ausnahme des Falls in rufen die Kantone die Landesregierung um dieser Bürgerpflicht entzieht), kann sich, München durch den wild um sich schies- Hilfe. Die Armee kommt immer und so- ohne grossen Aufwand und ohne Begrün- senden Fanatiker, deuten auf eine Inten- fort. Sie unterstützt, hilft, rettet, schützt und dung, beim Zivildienst melden. Die Ar- sivierung des «heiligen Krieges» seitens des ist auch bereit, zu kämpfen. So könnte die mee verliert jedes Jahr rund 6000 Ange- Islamischen Staates in Westeuropa hin. Armee, in besonderen Bedrohungssitua- hörige an den Zivildienst. Während sich Was man seit den militärischen Verlusten tionen, Teile der kritischen Infrastruktur dienstwillige Männer und Frauen einer des IS in Syrien und im Irak befürchtete, schützen, wie es heute militärische Verbän- harten, entbehrungsreichen, Wind und scheint sich nun Schritt für Schritt zu be- de in Frankreich und Belgien bereits tun. Wetter ausgesetzten und Disziplin un- stätigen. Der IS hat begonnen, seine Krie- terstehenden militärischen Ausbildung ger nach Libyen, in den Balkan und ins- Ist die Schweiz, seit dem Fall der Mauer unterziehen, können die «Zivis» eine be- besondere nach Europa zu verschieben. 1989, bedrohter und somit unsicherer ge- quemere Art ihrer Dienstleistung wählen. Diese Entwicklung bedroht die nationale worden? Es ist angenehmer, auf dem Schulhof des Sicherheit unserer Länder und die Sicher- Europa und die Schweiz sind eindeutig Wohnortes den Pausenplatz zu beaufsich- heit unserer Bürger in erhöhtem Masse. bedrohter als noch vor 1989, der Periode tigen oder in einem Brockenhaus die Re- des «Kalten Krieges». Die Welt ist ein Pul- gale zu ordnen, als im WK in Davos, bei Was bedeutet für Sie Sicherheit? Wie de- verfass, die Lunte brennt! Die allgemeine grosser Kälte, das WEF zu schützen. finieren Sie den Zustand eines Schweizer Bedrohungslage ist sehr komplex, unvor- Bürgers in Sicherheit? hersehbar und schwer zu beurteilen. In Wirkt sich die aktuelle Migration auf die Ein Mensch ist sicher, wenn er, ohne dieser Situation richtig zu regieren, einen Rolle der Armee aus? Angst und Einschränkungen jeglicher Staat politisch weitsichtig und strategisch Völkerwanderung und Migration sind Art, frei leben kann. Alle Menschen in geschickt zu führen («gouverner c’est pré- ein strategisches Problem für ganz Euro- der Schweiz haben Anrecht auf Sicher- voir»), stellt sehr hohe Anforderungen an pa und somit auch für die Schweiz. Die heit. Neben der Selbstverantwortung je- Politiker und Verantwortliche aller Stufen. Armee ist ein Mittel unserer Landesregie- des einzelnen Bürgers ist der Staat für die Man spricht heute von der «hybriden Be- rung, um, wenn nötig, auch diese Heraus- Sicherheit verantwortlich. Unsere natio- drohung», in welcher die Psychologie, die forderung zu meistern. Im Falle der Mi- nale Sicherheit wurde, nach dem Fall der Medien, das Internet, extreme politische gration sprechen wir von «subsidiärem Ein- Mauer 1989, von unserer Politik auf Stu- Ansichten und auch Militärpotentiale eine satz der Armee» zugunsten der zivilen Be- fe Bund und Kantone über die Finanzen wichtige Rolle spielen. Die Einverleibung hörden, ganz konkret der Polizei und des anstatt aufgrund der aktuellen, neuen Be- der Krim in die Russische Föderation im Grenzwachtkorps. Die Armee-Verbände drohungen gesteuert. Beim Nachrichten- März 2014 oder der aktuelle islamistische werden aufgeboten, wenn die zivilen Mit- dienst, bei der Polizei, beim Grenzwacht- Terrorismus in Europa sind Beispiele dafür. tel (der Kantone) an die Grenzen ihrer Leis- korps, bei der Armee und beim Bevölke- In dieser unsicheren Welt ist die auf tungsfähigkeit gelangen. Dies wäre z.B. rungsschutz wurde gespart. Der Staat hat 100000 Angehörige reduzierte Milizarmee der Fall, wenn plötzlich, in kurzer Zeit, daher heute nicht genügend Mittel, um unsere «Sicherheits-Nationalmannschaft», Tausende von Migranten im Mendrisiot- die Sicherheit seiner Bürger umfassend si- auf die wir sehr stolz sein dürfen. Nur die to über unsere Grenze treten würden. cherstellen zu können. Besten werden heute Teil dieser Armee! «Dienen» ist angesagt. Viele junge, verant- Haben die Migranten für die nationale Was ist die Rolle unserer Armee im Kontext wortungsvolle Männer und Frauen neh- Sicherheit eine Bedeutung? dieser nationalen Sicherheit? men die Aufgabe wahr und sind im Extrem- Wir müssen zuerst begrifflich unter- Unsere Milizarmee ist und bleibt die fall bereit, ihr Leben für die Sicherheit un- scheiden: Asylbewerber haben, wenn an strategische Reserve der Landesregierung seres Landes und unseres Volkes zu opfern. Leib und Leben bedroht, gemäss unseren 4 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016
Aktuelles Unser Nachrichtendienst besitzt immer noch weniger Mittel und Kompetenzen als potentielle Täter und Gegner haben, ins- besondere im Cyber-Bereich. Mit dem neuen Gesetz könnte die Frühwarnung respektive das rechtzeitige Erkennen von Bedrohungen für unser Land wesentlich verbessert werden. Dies würde durch ge- zielte Verwendung von modernsten tech- nischen Hilfsmitteln bei der Überwachung wie auch bei der Aufklärung von geg- nerischen Aktionen, privater und staatli- cher Provenienz, insbesondere im Cyber- Raum, ermöglicht. Wie kann unser Land dem Gefahrenpo- tenzial der Cyber-Kriminalität begegnen? Unser Land muss, über seine Sicher- heitsdienste, die Lage permanent analy- sieren, die Täter identifizieren, deren Ar- beitsmethoden und Mittel kennen lernen, um dann eine Abwehrstrategie definieren zu können. Dazu braucht es aber nicht nur technische Kenntnisse, sondern auch den politischen Mut, am Cyber-Krieg ak- tiv teilzunehmen zu wollen. Cyber-Angrif- fe abzuwehren, ist die eine Disziplin. Cy- ber-Angriffe selber zu führen, ist dann be- reits «höhere Schule». Dafür benötigt man Bild: zVg Peter Regli erfahrene, motivierte und sehr engagierte Spezialisten, eigentliche «Cyber-Krieger». An welchem Ort dieser Welt fühlen Sie sich heute persönlich am sichersten? Ein sicherer Ort ist im Augenblick im- Gesetzen, Anrecht auf Schutz und Sicher- Ort sein, wo sich ein Fanatiker zum Bei- mer noch unsere Schweiz. Ich fühle mich heit. Kriegsvertriebene dürfen bleiben, bis spiel in die Luft jagt, mit einem Messer an- hier gut aufgehoben und bin dankbar, dass ihr Land wieder Frieden findet und neu greift oder motorisiert in eine Menschen- wir bis heute von grösseren negativen Er- aufgebaut wird. Dann sollen sie zurück menge rast. Die Wahrscheinlichkeit, sel- eignissen verschont blieben. und beim Wiederaufbau helfen. Die meis- ber betroffen zu sein, ist allerdings klein. ten Migranten jedoch sind Armutsmig- Wie verhalten Sie sich persönlich bei der ranten aus der dritten Welt. Sie stellen ein Ist der Cyber-Krieg in der Arbeit des Nach- aktuellen Unsicherheit? grosses Problem für unsere Länder dar. richtendienstes von Bedeutung? Ich verfolge die Lage, beurteile sie und Meistens kann man sie, wegen mangeln- Der Cyber-Krieg und somit auch die plane mein tägliches Leben danach. Vor den Kenntnissen und fehlender Ausbil- Cyber-Kriminalität sind ein sehr wichti- Reisen ins Ausland analysiere ich mög- dung, nicht im Arbeitsprozess integrieren. ges Thema bei den Nachrichtendiensten. liche Gefährdungen vor Ort und plane Sie müssen möglichst rasch wieder in ihr Um den aktuellen und zukünftigen Cyber- meine Reiseroute entsprechend. Absolu- Heimatland zurück. Wenn dies nicht ge- Bedrohungen effizient die Stirne bieten zu te Sicherheit gibt es allerdings nicht. Un- lingt, entsteht mit der Zeit ein Gewalt- können, braucht unser Nachrichtendienst ser Leben beinhaltet viel Positives, aber und Unruhepotential. Diese Entwicklung des Bundes (NDB) aber das neue Gesetz, auch Risiken und Gefahren. Damit müs- sollte man möglichst früh erkennen. Dies welches am 25. September beim Volk zur sen wir heute und morgen leben lernen. ist primär eine Aufgabe der zivilen Be- Abstimmung kommt. Neben einem neu- Das Motto meiner Gattin und mir ist nun- hörden und nicht der Armee. en Gesetz benötigt der Dienst auch die mehr: «carpe diem»! ■ notwendigen Spezialisten, welche als «Cy- Wie schätzen Sie die Terrorgefahr in der ber-Krieger» eingesetzt werden können. Schweiz ein? Diese hochqualifizierten Leute findet man Divisionär a D Zurzeit gibt es, gemäss Nachrichten- aber nicht einfach auf der Strasse. Peter Regli dienst des Bundes, keine Anzeichen, wel- Dipl. Ing. ETHZ che auf Anschläge in unserem Land hin- Welche wichtigen Vorteile würde das neue ehem. Militärpilot / ehem. weisen würden. Doch auch wir Schweizer Gesetz dem Nachrichtendienst des Bun- Direktor Nachrichtendienst können im falschen Moment am falschen des bringen? 3000 Bern Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016 5
Sicherheitspolitik Die Nationalisierung der Sicherheitspolitik in der EU Nicht erst seit den äusserst unterschiedlichen Reaktionen der EU-Staaten auf den gewaltigen Zustrom von Migranten aus Asien, dem Nahen Osten und Afrika nach Europa ist offenbar geworden, dass es in unserer Epoche immer schwieriger wird, eine gemeinsame «europäische Sicherheitspolitik» zu betreiben. Walter Schilling Gesellschaften auf, für ihren Schutz und Osten zu finden, die Sicherheitspolitik des die Durchsetzung ihrer vitalen Interessen Staatenverbundes in eine neue Phase ein- Schon die unterschiedlichen Einschät- die angemessenen «Opfer» zu bringen. getreten ist. Die von einigen Regierungen, zungen der aktuellen Herausforderungen der EU-Kommission und dem EU-Parla- und das uneinheitliche Vorgehen der EU- Betonung der nationalen Interessen ment erhobene Forderung nach einer ge- Staaten haben uns schon frühzeitig da- rechten Verteilung der Migranten auf die rauf hingewiesen, dass mit Blick auf die Den sicherheitspolitischen Herausfor- Mitgliedsländer der Europäischen Union Sicherheitspolitik in der Europäischen derungen wirksam zu begegnen, ist schon bleibt nicht nur eine Quelle heftigen Union längst ein grundlegender Wandel deshalb schwierig, weil es auf wichtigen Streits. Es setzt sich in den meisten EU- im Gange ist. Dieser Wandel scheint zum Feldern der Politik kein einheitliches In- Staaten auch die Tendenz fort, die Kon- einen darauf zurückzugehen, dass man in teressenprofil in der Europäischen Union trolle über die nationalen Grenzen wieder den einzelnen europäischen Ländern den gibt. In der Tat lässt sich nicht leugnen, in die eigene Hand zu nehmen. instrumentellen, funktionalen Daseins- dass mit dem Versagen der Europäischen Das Gewicht nationalstaatlich begrün- grund des Staates, den Schutz der Bürger Union, ihre Aussengrenzen zu sichern und deter und organisierter Sicherheitspolitik nach innen und aussen, unterschiedlich eine praktikable gemeinsame Antwort auf erweist sich inzwischen als so gross, dass wahrnimmt. Zum anderen fällt die un- die Frage des gewaltigen Zustroms von Mi- die häufige Beschwörung der «Wertege- terschiedlich ausgeprägte Bereitschaft der granten aus Asien, Afrika und dem Nahen meinschaft» Europas, der Appell an die So- Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) Strukturen der GASP Verfolgung der internati nationalen ionalen Lage Kontrolle von v Operationeen Politischess und Stellungnahmen sicherheitspoolitisches Ersuchen h Komiteee Rat der Europäischen Union Außenministeer der EU-Staateen strategische Interessen, Ziele Vorsitzender Beschlüsse Internationale Europäischeer Rat Leituung Vorschlägee Organisationeen / Konferenzen Repräsentanz Vorschläge Unterstützung Hoher Vertreter für die Vizepräsident Außen- und Sicherheitspolitik Europäischeer Auswärtiger Dienst Europäische Koommission Kontrolle Anhörung GASP Umsetzung Europäisches Parlament Bundeszentrale für politische Bildung, 20 011, www.bpb.de Lizenz: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de 6 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016
Sicherheitspolitik lidarität und die Androhung von Sanktio- dass auch die Regierungen der übrigen nen Mitgliedsländern zur Betonung und nen keine substantielle Wirkung erzielen. Staaten Ostmitteleuropas und des Balti- Durchsetzung ihrer nationalen Interes- Vielmehr verstärken solche Versuche füh- kum ähnlich denken. sen nicht gelingen kann, eine konsistente render Repräsentanten der höchsten EU- Auch im Hinblick auf die wirtschaft- gemeinsame Sicherheitspolitik zu prakti- Institutionen sogar die Neigung bei den liche und soziale Sicherheit schälen sich zieren, die sich auf alle Bereiche erstreckt. angesprochenen nationalen Regierungen, die nationalen Interessen immer klarer Dies muss aber nicht bedeuten, die inter- ihren Weg unbeirrt weiter zu gehen. Die heraus. Sollte die ge- meisten EU-Staaten wollen keine oder nur meinsame Währung Counccil of Euroope wenige Migranten aufnehmen. Sie fühlen des Euro einst als In- Sche engen Area a Union Sttate sich dazu weder rechtlich noch moralisch strument dienen, um BSEC verpflichtet und achten strikt darauf, ihre die stark divergieren- nationale und kulturelle Identität nicht zu den Wirtschaftssys- gefährden. Feste Aufnahme-Quoten kom- teme der EU-Staaten Nordic Council Visegrrád Group GUAM men insbesondere für Länder wie Gross- zu homogenisieren, so EFT TA britannien, Irland, Dänemark, Slowenien, hat sich dieser Ansatz CE EFT TA Ba altic Assem mbly y Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, im Zuge der Griechen- Rumänien, Bulgarien und die baltischen land-Krise als völlig Staaten nicht in Frage. Sie wollen die Be- untauglich erwiesen. Beneluxx dingungen, unter denen Migranten aufge- Der Streit um die ge- Common E Eurozone t travel l area nommen werden, selbst bestimmen. Zwar meinsame Währung EEA ist den Regierungen und politischen Eli- und die Massnahmen European Union ten auch in diesen Ländern bewusst, dass zu ihrer Rettung ver- Monnetary agreementt es schon lange keine ethnisch homogene gifteten das Verhält- EU Customs U Union with h the EU Staatlichkeit mehr gibt. Doch verstehen nis der europäischen Bilder: Wikipedia sich die Gesellschaften in den einzelnen Nationen. Die meis- Supranationale Körperschaften in Europa. Nationalstaaten zu Recht als politische Wil- ten Euro-Länder ver- lensgemeinschaften und als Geschichts- suchen nunmehr, sich den ökonomischen nationale Politik dem Selbstlauf zu über- subjekte, die ihre eigene Identität haben Zwängen zu entziehen. Sie wehren sich lassen und auf die vielfältigen sicherheits- und behalten wollen. Die damit einherge- gegen die Regeln, die der Beitritt zur ge- politischen Herausforderungen keine Ant- hende Betonung der nationalen Souverä- meinsamen Währung mit sich brachte und wort zu geben. Schliesslich gehören zum nität ist keine Rückkehr zu den Denkmus- betonen zunehmend ihre nationale Souve- Staatenverbund der Europäischen Union tern des 19. Jahrhunderts. Sie reflektiert le- ränität. Dabei sucht insbesondere Frank- einige Länder, in denen die pazifistischen diglich ein tieferes Verständnis der eigenen reich mit seiner beharrlichen Forderung Grundströmungen und ideologischen Be- Interessen. Die unterschiedliche Ausprä- nach einer gemeinsamen Wirtschaftsregie- grenzungen mit Blick auf den Einsatz von gung dieser Sichtweise in den Mitglieds- rung für die Euro-Zone sein nationales militärischen Streitkräften weniger stark ländern der Europäischen Union können Interesse an einer Transferunion in euro- ausgeprägt sind. So haben z.B. Frankreich wir täglich beobachten. Sie lässt sich weder päische Formeln zu kleiden. und Grossbritannien – anders als Deutsch- durch die vielfach geforderte Anpassung Darüber hinaus treten in der bedeuten- land – nicht nur eine bruchlose Tradition an die Ideologie der «politischen Korrekt- den Frage der Energiesicherheit Europas in der Anwendung militärischer Macht. heit», noch durch Verordnungen aus Brüs- immer stärker die unterschiedlichen In- Die französischen und britischen Füh- sel beseitigen. teressen und nationalen Ansätze hervor. rungseliten scheinen auch eher in der Wenngleich die charakteristische Be- Während die Bundesrepublik Deutsch- Lage zu sein, Probleme in wichtigen Welt- tonung der nationalen Interessen und die land die Nutzung der Kernkraft zur Ener- regionen ebenso wie die geographischen sich daraus ergebenden Verhaltensweisen giegewinnung beenden will, setzen ande- Räume im Vorfeld der europäischen Aus- derzeit besonders mit Blick auf die unter- re EU-Staaten, wie z.B. Grossbritannien, sengrenzen machtpolitisch wahrzuneh- schiedlichen Reaktionen auf die gewalti- Frankreich, Finnland und Tschechien, wei- men. Diese Fähigkeit bietet immerhin die ge Zuwanderung nach Europa auffallen, terhin auf diese Technik. Auch in Polen Grundlage dafür, in nationaler Verantwor- können wir eine Nationalisierung auch orientiert man sich in Richtung Energie- tung geeignete Massnahmen zu ergreifen, in anderen Bereichen der Sicherheitspoli- souveränität. Die Nutzung von Schiefer- um sicherheitspolitische Probleme zu lö- tik beobachten. So zeigen etwa Grossbri- gas, Kohle und Kernkraft steht hier im sen, ohne dass die speziellen Sichtweisen tannien und Frankreich ein deutlich an- Mittelpunkt. Angesichts der tiefen Zer- und Widerstände anderer Partnerstaaten deres Verhalten mit Blick auf den Einsatz strittenheit in der Europäischen Union in das eventuell notwendige militärische Han- ihrer militärischen Streitkräfte zur Vertei- der Energiepolitik bleibt der Trend unge- deln verhindern. digung ihrer nationalen Interessen als die brochen, die Sicherheit der Energieversor- Abgesehen von der Tatsache, dass Frank- Bundesrepublik Deutschland. Polen sieht gung auf nationalem Wege zu erreichen. reich und Grossbritannien als Nuklear- im Vergleich zu anderen EU-Ländern eher mächte einen Sonderstatus haben und alle die Verteidigung des eigenen Territoriums Konsequenzen damit verknüpften Fragen auch künftig im im Vordergrund und erscheint immer we- nationalen Kontext entscheiden wollen, niger geneigt, militärischen Einsätzen aus- Realismus zwingt uns zu erkennen, dass erscheint die vom Präsidenten der EU- serhalb des Landes zuzustimmen. Und die es der Europäischen Union angesichts der Kommission, Jean Claude Juncker, erneut aktuellen Tendenzen deuten darauf hin, machtvollen Tendenzen in den einzel- vorgebrachte Idee einer «Europa-Armee» Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016 7
Sicherheitspolitik schon angesichts der britischen Forderung EU-Länder rechnen können. Die Unter- nach sicherheitspolitischer Handlungsfrei- schiede in der Herangehensweise an die- Das Wort des CdA heit und vor dem Hintergrund der engen se bedeutsame sicherheitspolitische Frage Kooperation Grossbritanniens mit den dürften auch weiterhin bestehen bleiben. Geschätzte Leserschaft USA unrealistisch. Da sich der Bedin- Angesichts der zum Teil recht grossen Ab- der ASMZ gungshorizont militärischer Machtanwen- hängigkeit von auswärtigen Energieliefe- dung in unserer Epoche deutlich verscho- rungen sollte man jedoch stärker als bisher Nach der Sommer- ben hat und weiter verschieben wird, könn- auf gegenseitige Hilfe setzen und Me- pause steigen wir te es sich sogar als Vorteil erweisen, wenn chanismen schaffen, die verhindern, dass in eine zukunftswei- einzelne EU-Staaten ohne langwierige De- machtbewusste Lieferländer, wie z.B. Russ- sende zweite Jah- batten ihre Entscheidungen treffen und land, die europäischen Staaten auseinan- reshälfte. Um das das tun, was die Lage erfordert. Dies reicht derdividieren können. Erscheinungsdatum dieser Ausgabe he- von der Bereitschaft einzelner Mitglieds- rum sollte der Name des künftigen CdA länder der Europäischen Union zu Kampf- bekannt werden, und in den kommen- Perspektiven den Wochen und Monaten werden auch einsätzen ihrer Streitkräfte in entfernten die weiteren Verantwortungsträger der Regionen bis zur Nutzung neuer militäri- Vor dem Hintergrund der unverkenn- künftigen Armee ernannt werden. Es ist scher Technologien, z.B. von Kampfdroh- baren Tendenzen zur nationalstaatlich or- wichtig, dass wir Klarheit darüber haben, nen in dem Krieg gegen den islamischen ganisierten Antwort auf sicherheitspoliti- wer wofür verantwortlich ist. Djihadismus oder die notwendigen Mass- sche Herausforderungen und der prekä- Die ersten WEA-Umsetzungen werden nahmen zur Verteidigung im Cyberwar. ren Situation, in die sich die Führung der die Mitte 2017 beginnenden Kaderschu- Dabei wird Grossbritannien, anders als Europäischen Union in Brüssel und die len sein, damit wir pünktlich auf den die übrigen Mitgliedsländer der Europäi- europäischen Regierungen selbst durch 01.01.2018 bereit sind. Abgeschlossen schen Union, auch die enge Kooperation ihre mangelnde Flexibilität gebracht ha- wird die Umsetzung der WEA plange- mit den USA auf dem sicherheitspolitisch ben, macht es wenig Sinn, an ideologi- mäss Ende 2021. so bedeutsamen Gebiet der Nachrichten- schen Vorstellungen festzuhalten, die längst Warum aber soll die Weiterentwicklung dienste fortsetzen. nicht mehr in die Zeit passen. Vielmehr der Armee (WEA) im Gegensatz zu den An dem militärischen Engagement werden sich die Regierungen in Europa an letzten Reformen (A95 und AXXI) ein Er- Frankreichs und Grossbritanniens bei der der Realität orientieren, analytisch vorge- folg sein? Die Frage nach dem Erfolg ist Bekämpfung der Terrormiliz IS (Islami- hen und pragmatisch handeln müssen. in der Tat eine sehr berechtigte. scher Staat) in Syrien und im Irak kann Angesichts der dramatischen Entwicklun- Für die Beantwortung dieser Frage ist man zudem ablesen, dass national be- gen in der Welt – von den brutalen Krie- es zentral, die kritischen Erfolgsfaktoren zu kennen. Personal, und zwar Miliz und stimmtes sicherheitspolitisches Handeln gen im Nahen Osten und dem Vordrin- Lohnempfänger. Kontinuität, insbeson- europäischer Länder sinnvoll ist, lange gen der islamischen Djihadisten in Afrika dere bezüglich Finanzen; zusammenge- Diskussionen vermeidet und wenig An- bis zu den gewaltigen Migrationsströmen – fasst muss zugelassen werden, dass Pla- lass bietet, den betroffenen Regierungen und der unüberwindbaren Schwierigkeit, nungen auch umgesetzt werden. Genau in den Arm zu fallen. Die beiden EU-Staa- darauf eine gemeinsame Antwort zu ge- diese beiden Punkte wurden in der Ver- ten nehmen damit wichtige sicherheits- ben, sollte es niemanden überraschen, gangenheit nicht eingehalten. politische Aufgaben wahr, die Europa als wenn das «Projekt Europa» nur als locke- Und da merken wir: Zur erfolgreichen Ganzes derzeit nicht erfüllen kann. Und rer Staatenverbund überleben kann. Die Umsetzung braucht es eine gute Arbeit es ist in diesem Kontext zu erwarten, dass Nationalstaaten werden de jure und de an der Basis, intensive Dienstleistun- auch bei dem notwendigen Versuch, z.B. facto die zentralen Basiseinheiten der Eu- gen, aber auch Kontinuität in der Pla- Tunesien und Libyen militärisch zu sta- ropäischen Union bleiben. Der wachsen- nung und damit in den politischen Vor- bilisieren, nur das Engagement von EU- de Zuspruch für politische Parteien in gaben; diese wiederum betreffen Aufga- Staaten in Frage kommt, die ihre nationa- den meisten EU-Staaten, die sich der Ver- ben und Mittel – insbesondere Finanzen; len Interessen zu betonen pflegen. tretung nationaler Interessen in besonde- zum einen für das Personal, zum ande- Auch auf dem wichtigen Feld der Be- rer Weise angenommen haben, wird diese ren für die zeitgemässe Ausrüstung. wahrung wirtschaftlicher und sozialer Si- Tendenz weiter verstärken. Diese Parteien Ich verstehe durchaus, wenn jemand aus diesem Grund kritisch ist. Und darum cherheit dürfte das Festhalten an nationa- drängen beharrlich und mit Erfolg darauf, möchte ich gerne alle, welche die Armee len Präferenzen nicht in jedem Fall ein dass die Mitgliedsländer der EU auch die unterstützen, einladen, die ausgewoge- Nachteil sein. Die Betonung der eigenen Sicherheitspolitik auf diese Entwicklung ne und breit abgestützte Lösung mitzu- Sichtweise wird dabei helfen können, die zuschneiden und in der täglichen Praxis tragen und zum Erfolg zu bringen. beharrlich wiederholten Forderungen eini- zum Prinzip des Intergouvernementalis- Allerdings ist der Beginn der Umsetzung ger Mitgliedsländer der Europäischen Uni- mus zurückkehren. ■ der WEA nicht am 01.01.2018 oder Mit- on nach der Umverteilung finanzieller Res- te 2017, sondern heute. Die Basis legen sourcen abzuwehren und die Notwendig- wir mit unserem täglichen Wirken, mit keit von Strukturreformen zu untermau- Oberst i Gst a D intensiver, zielgerichteter Arbeit in Schu- ern, die geeignet sind, die Wettbewerbs- Walter Schilling len und Kursen. fähigkeit der EU-Staaten zu verbessern. Dr. phil. Freier Publizist Korpskommandant André Blattmann Und mit Blick auf die Energiesicherheit Chef der Armee wird man in absehbarer Zukunft ebenso I-39012 Meran (Bz) wenig mit einer gemeinsamen Haltung der 8 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016
Sicherheitspolitik Frischer Wind in «Hamastan»? – Führen Verhandlungen zum Bau des Hafens? Ein unglaublicher Fortschritt im jahrzehntelangen Streit um Autonomie, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung bahnt sich an. Fast zwei Millionen Palästinenser leben in einem Küstenstreifen, der über einen Fischerei-, nicht aber über einen Seehafen verfügt. Heino Matzken liert auch strengstens den Import von Bau- senquote in der Enklave auf 40 Prozent. materialen. Tel Aviv befürchtet den Miss- Noch hoffnungsloser steht es um die Frau- Verhandlungen zwischen Israel und der brauch für den Bau von Tunneln, welche en im Gaza-Streifen – acht von zehn sind Türkei – Palästina selbst wird nicht in die HAMAS sowohl für illegalen Schmug- ohne Arbeit. Das Fehlen einer Zukunfts- die Gespräche involviert – könnten den gel via Ägypten als auch offensiv für militä- perspektive könnte mittelfristig zu erneu- Durchbruch bringen und damit den seit rische Aktivitäten nach Israel hinein nut- ten Ausschreitungen und somit Gefahr für Jahren immer wieder diskutierten und er- zen könnte. Israel führen. Auch Mushir al-Masri, ein sehnten Bau endlich Wirklichkeit werden Das bilaterale Gespräch in London An- Sprecher der Islamisten, bestätigte diese lassen. Jüngste Meldungen berichten von fang April soll die Herstellung einer mari- Situation: «Es wird eine Explosion geben». einer vermeintlichen Einigung zwischen timen Verbindung zwischen der palästi- Mit der Aussage des Geheimdienstchefs, den Verhandlungspartnern und so heizte nensischen Enklave und dem nördlichen, auch vom Militär gestützt, offenbart sich die entsprechende Ankündigung Selon von der Türkei kontrollierten Teil Zyperns der interne Zwist um die israelische Blo- Ahmed Youssefs, ehemaliger Berater des zur Folge haben. Aussenminister Cavu- ckadepolitik. Die Armeeführung setzt HAMAS-Führers und Ex-Premierminis- soglu sprach von grossen Verhandlungs- ebenfalls auf einen wirtschaftlichen Auf- ters Ismael Haniyya, die Diskussionen er- fortschritten und stellte eine baldige Ei- schwung für das dicht bevölkerte Gebiet neut an. Eine solche infrastrukturelle Ver- nigung in Aussicht. Israelische Verhand- (mehr als 5000 Menschen pro Quadrat- änderung könnte nicht nur Arbeitsplätze lungsführer äusserten sich zurückhalten- kilometer, Deutschland 230), um einer und Zukunftsvisionen eröffnen, sondern der. Gleichzeitig erkannten sie aber die möglichen Gewaltexplosion zuvorzukom- vor allem das leidgeplagte Volk einen gros- Notwendigkeit, die beständig schlechter men. Bereits der UN-Bericht vom Septem- sen Schritt in Richtung Unabhängigkeit werdenden Lebensumstände im Gaza- ber 2015 prognostizierte die «Unbewohn- bringen. Doch leider ist die Problematik Streifen zu verbessern. In einer Knesset- barkeit des Gaza-Streifens in 2020». Die eines Hochseehafens für den Gaza-Strei- Anhörung im April schätzte der Geheim- seit 2006 herrschende Blockade sowie die fen weit komplexer als man auf den ersten dienstchef, Herzl Halevi, die Arbeitslo- drei israelisch-palästinensischen militä- Blick denken mag. Nicht die erforderliche rischen Auseinandersetzun- infrastrukturelle Ingenieurleistung, son- gen seit 2008 hätten Ver- Bild: Wikipedia dern die politischen Auswirkungen auf die luste in fast dreifacher Höhe umliegenden Staaten werfen ihre Schatten des Wirtschaftsvolumens im voraus. Ein Zugang zum Seehandel wür- Gaza-Streifen verursacht. de die Unabhängigkeit des Palästinensi- Die positive wirtschaft- schen Autonomiegebietes stärken, damit liche Perspektive eines Ha- aber gleichzeitig Neider in Ramallah und fens befürworten auch an- Kairo auf den Plan rufen. dere politische Offizielle. Eine Einigung könnte die Verheerende Wirtschaftslage HAMAS mittelfristig zu im Gaza-Streifen einer Waffenruhe bewegen. Geheimdienstchef Halevi ist tickende Zeitbombe bescheinigt der islamisti- Nach dem demokratischen Wahlsieg der schen Gruppe derzeit ein HAMAS 2006 und verschiedener militä- aktives Bemühen um Ruhe rischer palästinensisch-israelischer Ausei- in dem Konflikt. Vereinzel- nandersetzungen verhängte Jerusalem eine te Raketenangriffe in der Blockade über das übermässig stark besie- letzten Zeit schreibt er sa- delte Gebiet. Seit der Machtergreifung der lafistischen Splittergrup- Islamisten 2007 schloss Israel die Gren- pen zu. Auch populistische zen der Enklave für Ex- und Import na- Äusserungen Haniyyas im hezu vollständig. Selbstredend verbot es Mai gegen vermeintliche die Einführung von Waffen, aber kontrol- israelische Grenzverletzun- Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016 9
Sicherheitspolitik gen trüben diese positive Entwicklung über Prinzipien zur Erleichterung und Er- erneuten Konflikt noch verstärken oder nicht. möglichung der Bauarbeiten am Meeres- beschleunigen könnten. Neben Waffen al- Die vermeintliche Einigung stellt eine hafen von Gaza. Die israelische Seite war ler Art, könnte der Hafen als Umschlag- riesige Überraschung dar, bedenkt man einverstanden, dass die palästinensische platz für Terroristen der HAMAS und an- dem «Ship-to-Gaza-Zwischenfall» 2010 Seite die Arbeiten am und im Zusam- derer Organisationen dienen. Die regel- extrem abgekühlten Verhältnis zwischen menhang mit dem Meereshafen von Gaza mässige Entdeckung von Tunneln in das Ankara und Tel Aviv. Erst 2013 sprach am 1. Oktober 1999 aufnahm. Effektive israelische Staatsgebiet verstärkt das Miss- Premierminister Netanjahu Präsident Er- Sicherheits- und Zollinspektionen für Per- trauen weiter. Premierminister Netanjahu dogan sein Bedauern aus. Doch seit eini- sonen und Güter sollten etabliert werden. und sein Ex-Verteidigungsminister Jaalon gen Monaten lässt sich eine Annäherung Die Konstruktion des Hafens begann im positionieren sich bislang gegen das Pro- der beiden Regionalmächte auf interna- Sommer 2000 und seine Fertigstellung war jekt. Einer internationalen Kontrolle des tionalem Parkett feststellen. Für die Er- innerhalb von zwei Jahren vorgesehen. Al- Hafens durch UN oder EU stehen sie öffnung eines Hochseehafens und damit lerdings stoppte Israel die Arbeiten kurze ebenfalls kritisch gegenüber. die Beendigung der Blockade scheint die Zeit später. Die Baustelle wurde im Rah- Der Verkehrsminister und Minister für HAMAS einen fünfjährigen Waffenstill- men der Zweiten Intifada bombardiert Nachrichtendienste, Israel Katz, schlug stand anzubieten. Sie hat ein grosses In- und zerstört, weitere Verhandlungen ab- daher bereits 2014 den Bau einer künstli- teresse an einem international zugängli- gebrochen. Mit dem Ausbruch der von chen Insel, verbunden über eine Brücke chen Hafen. Zum ersten – und sicherlich den Palästinensern sogenannten Al Aqsa- mit dem 4,5 Kilometer entfernten Gaza- unbestritten – könnte ein solcher die not- Intifada stellten Geberstaaten ihre Unter- Streifen, vor. Ziel dieser Idee sei, so Katz, leidende Wirtschaft der Enklave ankur- stützung ein und die Arbeiten am Hafen «jede zivile Verbindung zwischen Israel beln. Der Grossteil der international ver- kamen zum Stillstand. Erst nach einer und Gaza zu vermeiden» und die Grenze sprochenen Wiederaufbau-Milliarden ist Waffenruhe im Anschluss an die «Ope- – auch zu Ägypten – zu schliessen. Diese bislang nicht angekommen und der Gaza- ration Protective Edge» 2014, sollten die könnte dann die israelische Kontrolle der Streifen bildet hinsichtlich Arbeitslosig- Verhandlungen nach vielen Jahren wieder importierten Güter ermöglichen und je- keitsquote das Schlusslicht in der Welt. aufgenommen werden. derzeit wieder unterbrochen werden. Yoav Zweitens würde ein Hafen das Gefühl der Galant, zuständig für Wohnungsbau, un- Autonomie und Selbstbestimmung durch Kritiker des Hafens fürchten terstützte diesen Ansatz. Da Israel nicht eine aktuell nicht vorhandene Verkehrs- Machtzuwachs der HAMAS bereit ist, die Kontrolle über Warenliefe- freiheit stärken – für Güter und Bevöl- rungen aufzugeben, werden noch vier an- kerung. Drittens und vielleicht am wich- Doch längst nicht alle Israelis sind be- dere Vorschläge diskutiert, wie zum Bei- tigsten, bedeutete dieses Infrastrukturpro- geistert von der Idee des Hafenbaus. Vie- spiel ein palästinensischer Hafen in der jekt einen Sieg für die HAMAS innerhalb le schätzen die HAMAS – immerhin von ägyptischen Stadt Al-Arish oder der israe- des palästinensischen Machtgerangels. Es den USA offiziell als terroristische Orga- lischen Stadt Aschdod. Gegen neutrale würde ihren Status als regionalen Akteur nisation eingestuft – als nicht vertrauens- Überprüfungen hätte man keinen Wider- enorm anheben. würdig ein. Sie sehen die grosse Gefahr, spruch, räumte der HAMAS-Funktionär dass durch einen maritimen Zugang Waf- as-Sahar ein, beharrt aber darauf, dass der Die Idee für den Bau fen unkontrolliert und ungehindert in die eines Hochseehafens war bereits Palästinensergebiete gelangen und einen Möglicher Ausbau des Hafens von Gaza. mehrfach auf dem Tisch Bereits das Oslo-Abkommen, auch be- kannt als «Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements», eine israelisch-palästinensische Rahmen- vereinbarung – am 13.09.1993 in Wa- shington D.C. von der PLO und Israel un- terzeichnet – diskutierte einen Hochsee- hafen. Artikel VII spricht von der Aufstel- lung einer «Gaza Sea Port Authority, in order to enable the council to promote economic growth». Die darauf folgenden Bild: Jerusalem Post, Verkehrsministerium Israel Abkommen beschrieben die Konstrukti- on eines Hafens in Gaza als Gegenstand künftiger Verhandlungen und bekräftig- ten frühere Verpflichtungen diesbezüg- lich. 1994 wurden erste Bauverträge ab- geschlossen. Jedoch verhinderte der Streit um Betrieb und Kontrolle das Projekt. Im Sharm El Sheikh-Memorandum von 1999 legten die Vertragspartner neue Plä- ne fest. Beide Seiten einigten sich darin 10 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016
Sicherheitspolitik Hafen «im Gazastreifen liegen muss». Der Bau einer künstlichen Insel würde Tau- sende Arbeitsplätze für die Palästinenser schaffen. Darüber hinaus stellt die vermut- lich mehrjährige Bauzeit einen Anreiz für die HAMAS-Führung dar, die Fertigstel- lung nicht durch erneute Provokationen oder neue Feindseligkeiten zu gefährden. Strategisch betrachtet, ist eine langfristige und beständige Waffenruhe mit der HA- MAS für Israel eine Schlüsselfrage. Mit der Hafen-Idee könnte nicht nur der in- ternationale Druck auf die Regierung des Judenstaats vermindert, sondern gleich- zeitig der HAMAS als staatstragende Bild: Wikipedia Organisation zusätzliche Verantwortung übertragen werden. Eine «Win-win-Situa- tion» für Tel Aviv. Falls das Projekt schei- tern sollte, wäre der klare Beweis erbracht, Der Hafen von Gaza im Jahr 1980. dass die Terrororganisation mit der Ver- sche Schirmherrschaft» bei den Verhand- waltung des Gaza-Streifens, ergo der Re- lungen um die Zukunft eines Teiles der gierungsverantwortung für zwei Millio- za-Streifen. Ein Versöhnungsversuch mit Palästinenser. nen Palästinenser, überfordert ist. Bei der Bildung einer Einheitsregierung 2014 Auch wenn die Verhandlungen auf einem erfolgreichen Abschluss der Infra- scheiterte bereits ein Jahr später. Obwohl einem guten Wege sind und diverse Vor- strukturmassnahme könnte Netanjahu der «Einheitspremierminister» sowohl im schläge diskutiert werden, könnten sich dahingegen als grosser und vernünftiger Westjordanland als auch im Gazastreifen die Gespräche zwischen Israel und der Unterstützer der palästinensischen Sache herrschen sollte, blieb die HAMAS im Ga- Türkei noch lange hinziehen. Nach dem und somit des Friedens in der Region an zastreifen de facto alleine an der Macht. gescheiterten Putschversuch hat Erdo- Ansehen gewinnen. gan sicher zurzeit andere Gegenwind erfährt das Schwerpunkte. Ob trotz- Projekt jedoch auch aus dem «HAMAS-Funktionär as-Sahar fordert: dem am Ende neben einer Westjordanland. Die von für die Region sicherlich der FATAH geführte paläs- ‹Der Hafen muss im Gazastreifen liegen›.» wichtigen Entspannung tinensische Autonomiebe- auch ein infrastruktureller hörde in Ramallah hält sich Meilenstein für die Palästi- mit der Begeisterung für die Hafenpläne Ein langfristiger Ausgleich zwischen den nenser herausspringt, bleibt abzuwarten. merklich zurück. Ein solcher wirtschaft- beiden palästinensischen Protagonisten Zu wünschen wäre es den auf 365 Qua- lich-politischer Erfolg würde das Ansehen scheint derzeit in weite Ferne gerückt. dratkilometern eingeschlossenen knapp ihrer Erzfeinde, also der HAMAS, in der Deshalb zeigten sich die Offiziellen in zwei Millionen Einwohnern. Doch wie Bevölkerung erheblich verbessern. Inner- Ramallah überrascht und erbost über die immer im Nahen Osten verfolgen zu viele halb der PLO war die FATAH lange die im Dezember 2015 begonnenen Verhand- «player» ein eigenes Interesse, welches aus stärkste Fraktion. Sie vertrat jahrzehntelang lungen zwischen der Türkei und Israel. einem einfachen Hafenprojekt ein hoch- erfolgreich einen Absolutheitsanspruch auf Eine mögliche Einigung könnte einen komplexes politisches Spiel macht. Es geht die Vertretung palästinensischer Interes- weiteren Schritt hin zur türkischen «Be- bei weitem nicht nur um wirtschaftlichen sen. Die aus der ägyptischen Muslimbru- aufsichtigung/Kontrolle» des Gaza-Strei- Aufschwung, sondern um politische An- derschaft hervorgegangene islamistische fens bedeuten und damit den Graben zwi- erkennung, Bruderkampf, Regionaldo- HAMAS gewann dank einer Reihe von schen HAMAS und FATAH sogar noch minanz und Unabhängigkeit. Schon der sozialen Projekten grosse Anerkennung verstärken, so Politiker aus dem Westjor- durch EU-Gelder finanzierte internationa- innerhalb der palästinensischen Bevölke- danland. le Flughafen von Gaza fiel diesem orienta- rung – vergleichbar mit der schiitischen Aber auch der südliche Nachbar Ägyp- lischen Interessenchaos zum Opfer. ■ HISBOLLAH im Libanon. Nach dem Tod ten steht einer türkisch-israelischen An- des PLO-Chefs Jassir Arafat 2004 gewann näherung und dem Bau eines Hochsee- Der Artikel gibt die persönliche Meinung die HAMAS dann auch überraschend die hafens kritisch gegenüber. Kairo betrach- des Autors wieder. Wahlen zum palästinensischen Legislativ- tet den Gaza-Streifen als seinen «Hinter- rat 2006. Im Juni 2007 konnten die sunni- hof» und somit als sein Interessengebiet. tisch-islamistischen Fundamentalisten im Die bilateralen Verhandlungen zwischen OTL im Generalstab Kampf um Gaza die Oberhand behalten. Tel Aviv und Ankara könnte die Position Heino Matzken Seit diesen bürgerkriegsähnlichen Ge- der Regionalmacht Türkei weiter zuun- M.Sc. Ph.D fechten zwischen Milizen der beiden ver- gunsten Kairos stärken. Kritiker befürch- Berlin feindeten palästinensischen Bewegungen ten das Unterlaufen der Palästinensischen stellt die HAMAS die Regierung im Ga- Autonomiebehörde durch diese «osmani- Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 09/2016 11
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