Skype-Interview mit Reiner Braun in Japan am 4.8.2014
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Skype-Interview mit Reiner Braun in Japan am 4.8.2014 Schattenblick: Herr Braun, Sie sind momentan in Japan. Welche Erwartungen knüpft die IALANA an die Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben und welche Impulse sollen von ihr ausgehen? Reiner Braun: Die Weltkonferenz gegen Atomwaffen, die jedes Jahr in Japan in Gedenken an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki stattfindet, hat diesmal eine ganz besondere Bedeutung und zwar unter zwei Gesichtspunkten. Erstens dient sie der Vorbereitung der Atomwaffensperrvertragskonferenz in New York und des 70. Jahrestags des Abwurfes der Atomwaffen, beides nächstes Jahr. Im Mittelpunkt steht hier ganz eindeutig die Frage, wie die Friedensbewegung den Druck erhöhen kann, damit es endlich zu Verhandlungen über eine Atomwaffenkonvention, also einen international juristisch fixierten Vertrag, kommt, mit dem weltweit sämtliche Atomwaffen abgeschafft werden. Dies wird vor allen Dingen von japanischen Kolleginnen und Kollegen von den Hibakushas, also von den Opfern des Atombombenabwurfes, bis zu den vielen jungen Menschen, die heute bei der großen Veranstaltung mit mehr als 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren, eingefordert und eingeklagt. Das zweite, was diese Konferenz prägt, ist die Sorge, dass die internationale Konfrontationspolitik nicht nur Kriege und Krisen weiter verschärft, sondern die Lösung der Atomwaffenfrage noch weiter hinauszögert. Denn es kann sich niemand ernsthaft vorstellen, wie es unter den Bedingungen einer internationalen Politik der Konfrontation zu realen Abrüstungsschritten im atomaren Bereich kommen soll. Die hier geführten Diskussionen werden natürlich verstärkt und intensiviert durch die vermittelten Erfahrungen unserer Gastgeber über das Unglück von Fukushima, einschließlich der immer noch nicht gelösten Probleme wie der Beseitigung der radioaktiven Abfälle, der Reparaturarbeiten an den beschädigten Reaktoren und der Tatsache, dass drei Jahre später immer noch mehr als 500.000 ehemalige Bewohner des Katastrophengebietes in Zelten und anderen menschenunwürdigen Unterkünften leben müssen – und das in einem der modernsten Industrieländer der Welt. Das sind die Themen, die die Konferenz sehr beschäftigt. SB: Das führt uns zur zweiten Frage. Es gibt unterschiedliche Bewertungen der Folgen der Fukushima-Katastrophe. Vor kurzem hat der japanische Mediziner Shigeru Mita in einem Artikel von einer sehr hohen Verstrahlung von Tausenden von Becquerel pro Kilogramm im Raum Tokio berichtet und zur Evakuierung der japanischen Hauptstadt geraten. Unter den vielen Atomexperten auf der Konferenz dürfte es auch zahlreiche aus Japan geben. Was meinen die japanischen Kollegen, wie die von Fukushima ausgehenden Gefahren einzuschätzen sind? RB: Heute haben an der Konferenz etwa 300 Menschen teilgenommen, die direkt aus der betroffenen Region um das Kernkraftwerk Fukushima kommen, und ich habe natürlich die Gelegenheit genutzt, mit einigen von ihnen darüber zu sprechen. Die Region um das havarierte Kernkraftwerk ist im engeren Umkreis von 30 -50 Kilometern weiter überdimensional verstrahlt. In einem Umkreis von 50 bis 80 Kilometern ist die Radioaktivität noch deutlich erhöht. Immer wieder hört man den Satz, Fukushima ist
schlimmer als Tschernobyl, denn beim ersteren geht es um zehn Reaktoren, beim letzteren ging es lediglich um einen. Die dramatische Situation wird von der japanischen Regierung – man kann es nicht anders bezeichnen – mit einem Lügengespinst völlig entstellt und verharmlost. Dazu benutzt Japans Regierung, wie es die Verantwortlichen in den 80.Jahren bei Tschernobyl auch getan haben, die internationale Atomenergiekommission, um die reale Lage vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen und zu verharmlosen. Der Premierminister Abbe will das japanische Atomprogramm fortsetzen, will die Reaktoren mit Ausnahme derjenigen in Fukushima, die vielleicht etwas später dazu kommen, umgehend wieder in Betrieb nehmen. Man will das Atomprogramm, um eine Modernisierung der bestehenden Reaktoren ergänzt, fortführen. Das ist eine völlig unverantwortliche Position. Die Menschen von Fukushima leiden schrecklich unter der Situation. Es gibt für sie kaum Hilfe. Die finanziellen Ressourcen für die Aufräumarbeiten sind mickrig. Das Meer vor Fukushima ist nach wie vor verseucht. Es handelt sich hier um eine gigantische Katastrophe, die überhaupt nicht bewältigt ist, und alle Bemühungen zur Wiederinbetriebnahme der japanischen Atomkraftwerke sind völlig unverantwortlich. SB: Am 1. Juli hat die Regierung von Premierminister Shinzo Abe eigenhändig Artikel 9 der japanischen Verfassung neu ausgelegt, um Operationen im Rahmen der sogenannten kollektiven Sicherheit zu ermöglichen. Kritiker befürchten eine Wiederbelebung des japanischen Militarismus einschließlich der Anschaffung eines Atomwaffenarsenals unter dem Vorwand von Inselstreitigkeiten mit der Volksrepublik China. Wie schätzen Sie die Lage ein bzw. was sagen Ihre japanischen Kollegen dazu? RB: Aus meinen Gesprächen hier entnehme ich, dass es eine völlige Verharmlosung ist, über den japanischen Militarismus als etwas Zukünftiges zu reden. Die bereits vorhandenen sogenannten Selbstverteidigungskräfte Japans sind höchstmodern ausgerüstet. Der Militarismus spielt an den Schulen und Universitäten Japans eine ganz große Rolle. Militärische Disziplin ist hier immer noch gang und gäbe und hat eine ganz andere Dimension als bei uns in Deutschland, denn in Japan hat es kein vergleichbares kulturelle und politische Rebellion 1968 gegeben. Was die japanische Regierung derzeit versucht, lässt sich mit dem, was wir in Deutschland Anfang der 1990er Jahre erlebt haben, vergleichen, nämlich Aufweichung, Neuinterpretation, Uminterpretation und schließlich Erweiterung des Paragraphen IX, weil sich Tokio derzeit noch keine wirkliche Verfassungsänderung zutraut, um die militärische Einsatzfähigkeit der eigenen Streitkräfte international auszuweiten. Genauso wie es die Bundesregierung nach dem Fall der Mauer bei uns getan hat – zuerst war es nur das eine Marineschiff, dann waren es ein paar Aufklärungsflugzeuge, bis es dann zur Teilnahme der Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Krieg der NATO in Jugoslawien kam – will Tokio kleine Schritte unternehmen, um die Japaner peu-à-peu noch mehr an den Krieg und an die eigene aktive Teilnahme zu gewöhnen. Das Projekt an sich widerspricht jedoch der tiefen Antikriegsstimmung in weiten Teilen der japanischen Bevölkerung. Deswegen wird es verbrämt umschrieben und die Regierung will es mit einer längerfristigen Strategie schrittweise bewerkstelligen. Auf die Weise soll Japan auch eine regionale militärische Hegemonialmacht (im engen Bündnis mit der USA siehe auch den nuklearen umbrella“)werden, die die eigenen militaristischen und ökonomischen Interessen sowie die der USA absichert. Das ist das klare Ziel der Abe-Regierung.
Dazu gehört auch immer wieder das Spielen mit der Möglichkeit des Griffs zur Atomwaffe. Klar ist, dass Japan über alle technologischen Voraussetzungen, eigene Atombomben in kürzester Zeit zu entwickeln, verfügt. Es gehört zu den 44 Ländern weltweit, die Atomwaffen entwickeln könnten. Dieses ist bisher weder in der Bevölkerung noch in der Regierung noch aus nachvollziehbaren Interessen auch gegenüber dem großen Bruder USA durchsetzbar, bleibt aber weiterhin der Traum der japanischen Rechten. Man darf aber nicht vergessen, dass Japan unter dem atomaren Schirm der USA steht. Das heißt, dass in Japan (auf der US-Basis in Okinawa) und um Japan herum auf Schiffen der USA Atomwaffen stationiert sind, die in einem Krisen- und Konfliktfall im amerikanischen und im japanischen Interesse eingesetzt werden könnten. SB: Nun zu einem ganz anderen Thema. Ihre Organisation, die IALANA, war an der Vorbereitung jener beider Klagen beteiligt, welche die Regierung der Marshallinseln im vergangenen April in Den Haag gegen die neun offiziellen und inoffiziellen Atommächte – also China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA plus Israel, Indien, Nordkorea und Pakistan – und in San Francisco gegen die USA eingereicht hat. Bitte erklären Sie uns, was sich IALANA und die Marshallinseln davon versprechen. RB: Diese Klage stützt sich auf die erfolgreiche Klage beim ICJ von 1996, als der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Atomwaffen für im Prinzip illegal und völkerrechtswidrig erklärt hat. Das Urteil damals hat den Atomwaffenmächten einen sehr schwer verdaulichen Schlag versetzt und gleichzeitig der Friedensbewegung ein weiteres, neues Instrument an die Hand gegeben. Im Urteil wird festgehalten, dass es sich das Gericht offenhält, sich erneut mit dem Thema zu befassen, sollten seiner Aufforderung an die Atommächte, endlich in gutem Glauben in Verhandlungen über die Abschaffung ihrer Atomwaffen zu treten, keine Taten folgen. Der Gerichtsbeschluss ist praktisch nur ein Rat an die Politik(advaisary opion). Und weil die UN-Vetomächte dem Gerichtshof nicht gefolgt sind, sondern ihre Atomwaffenpolitik einfach fortgesetzt haben, hatten wir bei IALANA die Idee, sich erneut mit einer Klage an das Gericht zu wenden, um die Weltöffentlichkeit wieder darauf hinzuweisen, dass diese Waffen gegen jegliche Prinzipien und gegen das Völkerrecht verstoßen. Dankenswerterweise haben sich die Marshallinseln, ein Staat, der politisch und ökonomisch von den USA abhängig wie kaum ein zweiter ist und der bis heute unter seiner Vergangenheit als früheres Atomwaffentestgebiet leidet, bereit erklärt, eine solche Initiative zu ergreifen und sind damit in Den Haag und San Francisco vor Gericht gegangen. Die Verantwortlichen der Marshallinseln haben damit ein hohes Maß an Zivilcourage bewiesen. Wir erwarten jetzt eine große öffentliche Debatte um die beiden Gerichtsverfahren und am Ende derselben eine Verstärkung unserer Position, dass es sich bei diesen Waffen um illegale Massenvernichtungswaffen handelt. SB: Am 18. September findet die Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands statt. Derzeit befinden sich die Befürworter im Aufwind. Zu den Kernversprechen der Regierung der Scottish National Party (SNP) in Edinburgh im Falle eines Sieges gehört die Schließung der Basis der britischen Atom-U-Boot-Flotte. Wie bedeutend ist der Kampf um ein atomwaffenfreies Schottland für die weltweite Antikriegsbewegung?
RB: Die Abstimmung in Schottland findet 14 Tage nach dem NATO-Gipfel in Wales statt, den wir mit großen Protestaktionen zu begleiten beabsichtigen. Bei diesen Protestveranstaltungen wird die Forderung nach Schließung aller Atomwaffenstützpunkte eine ganz wesentliche sein. Von daher unterstützen wir die Position der schottischen Regierung. Folglich wäre ein Sieg der Ja-Befürworter bei dem Unabhängigkeitsplebiszit ein großer Schritt zur Behinderung der Modernisierung der britischen Atomwaffen. Schließlich ist das schottische Faslane am Firth of Clyde von den topographischen Bedingungen her der einzige Hafen in Großbritannien, wo Atom-U-Boote stationiert und umfassend gewartet werden können. Die britischen Atom-U-Boote wären im Fall eines Ja der Schotten zur Unabhängigkeit ohne Hafen, wodurch die geplante Modernisierung der Flotte um ein vielfaches schwieriger und teurer werden würde. Hoffentlich wird der Fall eintreten. Doch was die schottische Regierung und bestimmte Positionen, die sie formuliert, betrifft wie zum Beispiel ihre illusionäre Hoffnung in Bezug auf die Europäische Union und auch zur NATO, habe ich Zweifel, wie aufrichtig sie im Endeffekt diese Position durchsetzen wird. Aber zunächst kann man ein positives Ergebnis der Abstimmung aus friedenspolitischer Sicht nur begrüßen. Und wenn sie dann nach der Unabhängigkeit in Schottland umgesetzt würde, wäre das durchaus ein „Schlag“ gegen den Militarismus. SB: Im November 2012 hat die israelische Offensive in Gaza die Bemühungen um eine Konferenz, die im Dezember desselben Jahres in Helsinki zwecks Schaffung eines atomwaffenfreien Nahen Ostens stattfinden sollte, torpediert. Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass die aktuelle Operation Protective Edge der israelischen Streitkräfte in Gaza das Streben der USA und des Irans um eine Lösung des Atomstreits zunichte machen könnte? RB: Ich denke, dass die atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten wahrscheinlich lange Zeit auf sich warten lassen muss, denn Israel tut mit seiner Kriegspolitik alles, um eine friedliche Lösung des Konfliktes mit den Palästinensern – wovon die Gaza-Problematik nur ein Teil ist – zu verhindern. Dies rechtfertigt aus meiner Sicht nicht die Raketenschläge der Hamas. Aber der Aggressor in diesem Konflikt ist eindeutig Israel. Ich hege durchaus Zweifel, ob es gelingen wird, die Gespräche zwischen dem Iran und der Gruppe P5+1 – also den fünf ständigen Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, China, Frankreich, Großbritannien, Russland, die USA, plus Deutschland – zum Erfolg zu bringen, und zwar aufgrund der weltweiten Gesamtsituation. Die Konfrontationspolitik, wie sie zurzeit vom Westen und von der NATO betrieben wird, macht jegliche Form der Übereinkunft, an der diese Mächte und auch Russland sowie Iran beteiligt wären, noch schwieriger. Ich kann der iranischen Bevölkerung nur wünschen, dass es zu einer Einigung kommt, damit die Sanktionen, die sie stark belasten, aufgehoben werden. Ich befürchte aber, dass das seht schwer wird. Den Optimismus Teherans, auch bei der jüngsten Verlängerung der Verhandlungen über den 20. Juli hinaus Chancen für einen Erfolg zu sehen, kann ich nur sehr schwer nachvollziehen. Es wäre sicher ein hoffnungsvolles Zeichen für die Menschen im Iran, käme es zu einer Einigung bei den Atomverhandlungen und einer Entspannung vor allem zwischen dem Iran und den USA, aber ich bin auf Grundlage der gesamten Konfrontationssituation, mit der wir
es zur Zeit zu tun haben, skeptisch. SB: Vor dem Hintergrund des neuen kalten Kriegs und der Ukraine-Krise modernisieren die USA ihr Atomwaffenarsenal und forcieren den Ausbau des Raketenabwehrsystems in Osteuropa, was Russland kürzlich mit der Bestückung der eigenen Iskander-Rakete mit dem P-500-Marschflugkörper beantwortet hat. Wenn jetzt nicht einmal mehr die strategische Abrüstung verfolgt wird, ist es da nicht illusorisch zu glauben, dass die fünf offiziellen Atommächte ihren Verpflichtungen nach Artikel 6 des Nichtverbreitungsvertrags nachkommen werden? RB: Ich will darauf eine philosophische Antwort geben. Die Geschichte setzt sich nicht nur in quantitativen Schritten fort, sondern hat auch qualitative Sprünge. Historische Veränderungen sind immer denkbar. Die dramatischen historischen Veränderungen in Europa von 1989/10990 sind dafür ein Beispiel. Die grundlegenden Veränderungen in Lateinamerika in den letzten 10 Jahren ebenfalls. Es gibt schon auch in der Geschichte eine Dialektik von Quantität und Qualität, von grundsätzlichen Umschwüngen und Veränderungen. Von daher würde ich auch niemals ausschließen, dass es auch in der Atomwaffenfrage zu einer Veränderung der Grundposition kommen kann. Dieses ist aber zur Zeit ausgesprochen schwierig und sicher auch nicht von heute auf morgen zu erreichen. Daher sind keine unserer Forderungen oder unserer Aktionen sinnlos, denn genau das alles ist es, was eine solche qualitative Veränderung der politischen Lage vorbereitet. Ich bin ganz sicher, dass die Konfrontationssituation von heute wie diejenige der 1950er und 1960er Jahre an der weltpolitischen Gesamtlage und den globalen Herausforderungen wie Zivilisationskrise, Klimawandel, et cetera, scheitern wird. Ein Überleben des Planten erfordert eine Politik der Kooperation. Bis es dazu kommt, haben wir durch unsere Aktionen, durch die Schaffung von neuen Koalitionen und Bündnissen, den Weg zu einer atomaren Abrüstung in vollem Umfang vorzubereiten. Von daher muss man das, was wir jetzt auch für die Prüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag 2015 machen, nicht nur unter dem kurzfristigen, sondern auch immer unter dem strategischen Gesichtspunkt sehen. Es geht stets darum, die Kräftekonstellationen in dieser Welt zu verändern, damit sie im Endeffekt im progressiven Sinne der Antikriegsbewegung qualitativ umschlagen. SB: Um einen ketzerischen Gedanken zu der Frage nach den Kräftekonstellationen aufzuwerfen: Ist es angesichts der Verweigerungshaltung der offiziellen Nuklearmächte im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags nicht vielleicht längst an der Zeit, dass die Nicht- Atomstaaten damit drohen, unter Hinweis auf ihr Recht, sich gegebenenfalls eigene Kernwaffen zum Schutz der nationalen Sicherheit anzuschaffen, aus dem Abkommen auszutreten, um so den Druck auf die fünf Vetomächte zu erhöhen? RB: Ich bin für jeden Schritt, der den Druck auf die P5 bzw. P9 erhöht. Die Bewegung der Blockfreien Staaten hat sich in der Atomwaffenfrage wieder zu Wort gemeldet, nachdem sie sich jahrelang sehr passiv verhalten hat. Non-Aligned Movement (NAM) bereitet unter anderem für 2018 im Rahmen der UNO eine Weltkonferenz vor, um genau diesen Druck zu erhöhen. Jede Atomwaffe mehr bringt diesen Planeten dem Untergang einen Schritt näher, eine weitere Proliferation erhöht die Schwierigkeiten atomarer Abrüstungsverhandlungen, steigert das Risiko eines bewussten oder unbewussten Einsatzes und trägt in sich das Risiko
einer noch weiteren Verbreiterung. Von daher kann mehr Atomwaffen niemals die Lösung sein. Statt dessen müssen die für die Abrüstung notwendigen politischen Kräftekonstellationen geschaffen werden. Das heißt vor allen Dingen ein größeres und aktiveres Engagement der Non-Aligned Movement und der Schwellenländer. Der Umstand muss ausgenutzt werden, dass es auch unter den Atommächten solche wie China und Indien gibt, die zumindest verbal bereit sind, auf Kernwaffen zu verzichten. Ich glaube, dass wir es momentan hier mit einem großen politisches Ringen um die Kräftekonstellationen der Zukunft zu tun haben. Genau wie ein militärischer Schritt in der Interventionspolitik immer falsch ist, ist ein auch ein militärischer Schritt zur Aufrüstung niemals hilfreich, um in der Abrüstung voranzukommen. Bei Atomwaffen würde es eher dazu führen, dass wir der Katastrophe der Vernichtung des Planeten einen Schritt näher kämen. SB: Vor kurzem hat NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen diejenigen, die gegen Fracking in Europa eintreten, praktisch als Marionetten Moskaus, als fünfte Kolonne Putins, diffamiert. Müssen sich nicht auch die Gegner von Atomwaffen und die Friedensbewegung im Allgemeinen auf noch mehr Repressalien bzw. Feindschaft seitens Staat und Industrie in den westlichen Industriestaaten gefasst machen? RB: Ja, der Ton wir rauer; darauf müssen wir uns einstellen. Die Auseinandersetzungen werden härter. Wenn ich ehrlich bin, habe ich von dem Rasmussen nicht viel anderes erwartet. Ein Genie des Geistes ist er niemals gewesen, und einmal Äußerungen von Konrad Adenauer oder Franz Josef Strauss aus den 50. Jahren nachzulesen und das nochmal nach zu plappern, ist auch keine Leistung. Aber insgesamt stimmt es, dass der Druck, den die zum Krieg bereiten Kräfte in den westlichen Gesellschaften auf uns ausüben, zu neuen Anforderungen an die Friedensbewegung führen. Leider sind wir, meiner Meinung nach, diesen Herausforderungen noch nicht gewachsen. Wir sind noch nicht in der Lage, unsere Kräfte mit großen Aktionen so zu bündeln, dass wir auf diese aggressive Kriegspolitik und alle sie begleitenden ideologischen Absicherungsmaßnahmen entsprechende Antworten geben können. Da sind wir wirklich gefordert – auch über traditionelle Grenzen von Bündnissen und Bündnisstrukturen hinwegzugehen, um zu neuen gemeinsamen großen Aktionen zu kommen. Das wirft viele Fragen auf, wie können auch konservative Kriegsgegner, deren Gesellschaftsbild zu mindestens ich nicht teile, mitgenommen werden, wie kann die Jugend stärker gewonnen oder Aktionen von jungen Menschen stärken mit traditionellen Strukturen zusammengeführt werden. Ich habe mit großem Interesse hier im Japan mitverfolgen können, wie in den USA für Ende September einen Marsch von einer Million Menschen gegen die Klimaveränderungen und für eine verantwortliche Klimapolitik vorbereitet wird, bei dem die Friedensbewegung eine wichtige Rolle spielen soll. Wir sollten auch in Deutschland verstärkt überlegen, wie wir zusammen mit anderen sozialen Bewegungen – zum Beispiel mit Blick auf den G7-Gipfel 2015 im oberbayerischen Schloss Elmau – zu neuen und verstärkten Aktionen kommen. Ohne eine Antwort auf der Straße werden wir das Klima in diesem Land nicht wieder für uns positiv gestalten können. SB: Vielen Dank, Reiner Braun, für das Gespräch. © Schattenblick - www.schattenblick.de
Sie können auch lesen