Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine

 
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Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
DO 17.02.2022
                Sonderkonzert 1
                Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
SINFONIEKONZERT
   DO 17.02.2022
                   SONDERKONZERT 1
          20 UHR
             NDR
   GR. SENDESAAL   Andrew Manze Dirigent                         Peter Tschaikowsky | 1840 – 1893
                   Christian Tetzlaff Violine                    Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“ (1893)
                                                                 I. Adagio – Allegro non troppo
                   NDR Radiophilharmonie                         II. Allegro con grazia
                                                                 III. Allegro molto vivace
                                                                 IV. Finale. Adagio lamentoso – Andante

                   Dmitrij Schostakowitsch | 1906 – 1975         SPIELDAUER: CA. 47 MINUTEN
                   Violinkonzert Nr. 2 cis-Moll op. 129 (1967)
                   I. Moderato
                   II. Adagio                                    KEINE PAUSE
                   III. Adagio – Allegro                         (GESAMTDAUER DES KONZERTS: CA. 92 MINUTEN)

                   SPIELDAUER: CA. 35 MINUTEN

                                                                                                                                Das Konzert wird live
                                                                                                     auf NDR Kultur übertragen. (Hannover: 98,7 MHz)

                                                                                                Einen Video-Mitschnitt dieses Konzertes finden Sie zu
                                                                                                                        einem späteren Zeitpunkt auf
                                                                                              ndr.de/radiophilharmonie und youtube.com/ndrklassik.
Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
BIOGRAFIE
In Kürze
Gelegenheiten Andrew Manze mit Schostakowitsch und Tschaikowsky zu hören, gab es
bisher nur sehr wenige. Mit diesem Sonderkonzert laden der Chefdirigent und die NDR Ra-
diophilharmonie nun zu einem russischen Abend ein. Es erklingt Musik mit viel russischer
Seele – die in den zwei Kompositionen dieses Konzerts jedoch in sehr unterschiedlicher
Weise artikuliert wird und zum Ausdruck kommt. Schostakowitschs Violinkonzert Nr. 2
erscheint über weite Teile als ein in sich gekehrtes Seelenspiel mit eher schlaglichtartig
ausbrechenden Emotionen. Es sollte Schostakowitschs letztes Solokonzert sein. Er
brachte es 1967, körperlich und seelisch von Krankheit schwer gezeichnet, zu Papier –
„sehr langsam und nur mit Mühe, indem ich Note für Note aus mir herauspresse“. Und so
wirkt sein Zweites Violinkonzert im Vergleich zu seinem wesentlich häufiger gespielten
Ersten Violinkonzert von 1955 eher karg. Doch, so der Geiger Christian Tetzlaff, „es ist
alles das, was das erste Konzert ist, aber eingekocht in totaler Reduktion“. Die Feinheiten    Andrew Manze
und die versteckte Empfindamkeit dieses Stückes herauszukristallisieren erfordert viel
Einfühlungsvermögen - bei dem brillanten Klangästheten Tetzlaff liegt Schostakowitschs         Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie
Violinkonzert Nr. 2 in den genau richtigen Händen. Anders als Schostakowitschs Violinkon-
zert ist Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“ von sehr direkter emotionaler Wir-          Vor sieben Jahren begann die höchst intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit
kung. Hinter Tschaikowskys letzter Sinfonie steckt eine persönliche Geschichte, ein Pro-       von Chefdirigent Andrew Manze mit der NDR Radiophilharmonie. Auch in der Saison
gramm, wie der Komponist selbst betonte: „Dieses Programm ist mehr denn je von Subjek-         2021/22 ist Manze mit seinem Orchester bei zahlreichen Konzerten in Hannover
tivität durchdrungen, und nicht selten habe ich, während ich umherstreifte und in              und bei Gastspielen zu erleben. Sehr erfolgreich war z. B. im vergangenen Novem-
                                                                                               ber die dritte gemeinsame Tournee nach Salzburg mit drei Auftritten im Großen
Gedanken an ihr arbeitete, sehr geweint.“ Aber wovon die „Pathétique“ genau erzählt,
                                                                                               Festspielhaus. Als gefragter Gastdirigent erhält Manze Einladungen von führenden
dieses Geheimnis nahm er mit ins Grab. Nur neun Tage nach der Uraufführung seiner Sin-
                                                                                               Orchestern in der ganzen Welt, darunter das Concertgebouw Orchestra, das Ge-
fonie Nr. 6 starb Tschaikowsky 1893 in St. Petersburg. Vor allem der aufschreiende, resi-      wandhausorchester, das Los Angeles Philharmonic und das Boston Symphony Or-
gnative „Adagio lamentoso“-Finalsatz der Sechsten erzeugt Gänsehaut. Die Sätze zuvor           chestra sowie das Chamber Orchestra of Europe. In den vergangenen Wochen gab
sind ein Wechselbad der Gefühle. Da ertönen sehnsuchtsvolle Melodien, melancholische           er verschiedene Konzerte mit der Camerata Salzburg, u. a. im Wiener Konzerthaus.
Grazie. Der lautstarke marschartige dritte Satz wirkt triumphal wie trotzig. Ahnte Tschai-     Außerdem dirigierte er das Silvesterkonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Ber-
                                                                                               lin mit der Aufführung von Beethovens Sinfonie Nr. 9. Im Januar leitete er Händels
kowsky seinen nahen Tod voraus, oder spielte er bei der Komposition mit Suizidgedanken?
                                                                                               „Messiah“ beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, dessen Principal Guest
Wir wissen es nicht - doch es ist zu hören und zu spüren: Die „Pathétique“ wirft tiefe und     Conductor Manze seit 2018 ist. Bereits drei Mal gastierte er bei den Salzburger
eindringliche Blicke in die Seele eines hochsensiblen Künstlers, der stets mit sich und sei-   Festspielen. Und auch für den Festspiel-Sommer 2022 ist Andrew Manze wieder zu
nem Schicksal haderte und in den gesellschaftlichen Zwängen seiner Zeit gefangen war.          Dirigaten nach Salzburg eingeladen.

                                                                                                                                                                                      5
Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
BIOGRAFIE
                                                                                              Die Kraft der Reduktion

                                                                                              Schostakowitschs Violinkonzert Nr. 2 cis-Moll

                                                                                              So jubelt man nicht. Die gesamte Sowjetunion bereitet sich auf die Feierlichkeiten
                                                                                              zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution vor. Und nur zwei Monate zuvor legt Dmit-
                                                                                              rij Schostakowitsch mit seinem Zweiten Violinkonzert ein Werk voller Ingrimm vor,
                                                                                              ein Konzert düsterer und herber noch als vieles, was der 61-jährige Komponist bis-
                                                                                              lang veröffentlicht hat. Man schreibt das Jahr 1967, die Zeiten des Stalin-Terrors
                                                                                              sind Geschichte, doch auch die sogenannte Tauwetter-Periode, die mit vielen Lo-
                                                                                              ckerungen verbunden war, ist vorbei. Unter Leonid Breschnew wird ein härterer
                                                                                              Kurs gefahren, auch die Schaffensbedingungen für Künstler sind wieder schwieri-
                                                                                              ger geworden.

       Christian Tetzlaff                                                                     Man kann in Schostakowitschs Zweitem Violinkonzert einen Akt des Aufbegehrens
                                                                                              gegen die von oben verordnete Feierstimmung sehen, vielleicht aber auch ein Zei-

       Violine
                                                                                              chen einer ganz persönlichen Krise. Schostakowitsch war gesundheitlich schwer
                                                                                              angeschlagen, als er sein Violinkonzert Nr. 2 komponierte. Ein Herzinfarkt hatte den
                                                                                              Komponisten sehr geschwächt, zudem verursachte eine chronische Rückenmarks-
                                                                                              entzündung die fortschreitende Lähmung seiner rechten Hand. „Sehr langsam und
       Christian Tetzlaff, geboren 1966 in Hamburg, ist seit Jahren einer der gefragtesten    nur mit Mühe, indem ich Note um Note aus mir herauspresse, schreibe ich ein Vio-
       Geiger und spannendsten Musiker der Klassikwelt. Bei der NDR Radiophilharmonie         linkonzert“, verriet er im April 1967 seinem engen Freund Isaak Glikman in einem
       ist er ein gerne und oft gesehener Gast. Sein Debüt bei dem Orchester gab er 1987      Brief. Gewidmet wurde das Konzert einem anderen wichtigen Wegbegleiter: David
       unter Aldo Ceccato. Er konzertiert mit renommierten Orchestern, darunter die Wie-      Oistrach. Dem Solisten der Uraufführung des Ersten Violinkonzerts wollte Schosta-
       ner Philharmoniker, das New York Philharmonic, das Concertgebouw Orchestra und         kowitsch zum 60. Geburtstag eine Hommage erweisen. Schostakowitsch aber
       die führenden Londoner Orchester. Residenzkünstler war er u. a. bei den Berliner       muss sich um ein Jahr verrechnet haben – das Konzert wurde pünktlich zum 59. Ge-
       Philharmonikern. In der Saison 2021/22 ist er „Artist in Residence“ der Londoner       burtstag Oistrachs fertig und durch den Widmungsträger im Oktober 1967 urauf-
       Wigmore Hall. Konzerte mit Christian Tetzlaff werden oft zu einer existenziellen Er-   geführt.
       fahrung für Interpret und Publikum gleichermaßen, altvertraute Stücke erscheinen
       plötzlich in völlig neuem Licht. Daneben lenkt er den Blick immer wieder auf verges-   Reduktion und Konzentration bestimmen die späten Arbeiten Schostakowitschs,
       sene Meisterwerke wie das Violinkonzert von Joseph Joachim. Zudem engagiert er         und auch das Zweite Violinkonzert ist, vor allem in seinen Ecksätzen, durch Spar-
       sich für neue Werke, 2013 spielte er die Uraufführung von Jörg Widmanns Violinkon-     samkeit und Verdichtung geprägt. Fast schon kammermusikalisch beginnt das Kon-
       zert. Bereits 1994 gründete Tetzlaff, der an der Lübecker Musikhochschule bei Uwe-     zert. Zum tiefen Rumoren der Streicher tastet sich die Solovioline durch den Ton-
       Martin Haiberg studierte, sein eigenes Streichquartett. Für seine CD-Aufnahmen         raum, zunächst in kleinen Schritten, dann in größeren Intervallen, in höhere Regis-
       hat er zahlreiche Preise erhalten, z. B. 2018 den Diapason d’Or. Christian Tetzlaff    ter strebend, sich auf kürzere Notenwerte beschleunigend. Aber nicht befreiend,
       spielt eine Violine des deutschen Geigenbauers Peter Greiner.                          sondern eher beklemmend und bedrohlich wirkt dieser Einstieg in das Konzert. An

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Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
dieser Grundstimmung ändert sich auch nichts, wenn im weiteren Verlauf des Sat-          en vorgestellt und wieder aufgegeben, für Übergänge bleibt keine Zeit. Und auch
                 zes eine verspieltere Passage mit kecken Einwürfen der Flöte sowie ein verzerrter        die 150-taktige Solokadenz hat mit ihren unvermittelten Pausen und Taktwechseln
                 Marsch mit verschobenen Betonungen folgen. Für extreme Ausdrucksintensität               etwas Getriebenes. Als humorvoll wird diese für Schostakowitsch so typische Tech-
                 sorgt dabei vor allem der Soloviolinpart: Hier wird bewusst gegen den Strich ge-         nik oft bezeichnet. Wenn überhaupt, ist es tiefschwarzer, bissiger Humor, der hier
                 bürstet. Doppelgriffe mit dissonanten Reibungen, beharrliche Tonrepetitionen in          zum Ausdruck kommt, allemal aber ein Sich-Widersetzen gegen hohle Floskeln des
                 höchster Lage und scharfe Akzente lassen die Musik körperlich spürbar werden.            Jubels.
                 Eher melancholische Töne stimmt der zweite Satz an, wiederum mit der Solovioli-
                 ne und den tiefen Streichern beginnend. Hier werden die Bögen größer, lässt Schos-
                 takowitsch die Geige mehr singen – doch kaum ist der Hörer in dieser dunkel-lyri-
                 schen Stimmung gefangen, wird er aufgeschreckt durch eine wilde Kadenz der So-           Aus tiefster Seele
                 logeige. Mit diesen Klängen im Ohr vermag man dem strahlenden Hornsolo am
                 Ende des Satzes nicht mehr zu trauen. Schönheit wird immer wieder in Frage ge-
                 stellt, vertraute Muster werden aufgebrochen: Das gilt auch für den dritten Satz,        Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll „Pathétique“
                 den einzigen schnellen des Konzerts. Ihm vorgestellt ist eine kurze Adagio-Einlei-
                 tung, in der die Hörner die Sologeige als Echo widerspiegeln, mit Dämpfer und zu-
                 gleich im Fortissimo – ein klassischer Schönklang kann daraus wahrlich nicht resul-      Ein künstlerisches Vermächtnis, ein mysteriöser Tod, Verschwörungstheorien und
                 tieren. Schlaglichtartig wirkt das Allegro. In harten Schnitten werden hier Szeneri-     verschleierte Homosexualität: Aus diesem Stoff werden Romane gemacht. Das er-
                                                                                                          kannte 1935 der Schriftsteller Klaus Mann und veröffentlichte unter dem Titel
                                                                                                          „Symphonie Pathétique“ das Resultat seiner literarischen Auseinandersetzung mit
                                                                                                          der Vita des Komponisten Peter Tschaikowsky. Ein Werktitel gleichsam als Extrakt
    Schostakowitsch mit dem Pianisten Swjatoslaw Richter (l.) und dem Geiger David Oistrach (r.), 1970.   eines ganzen Lebens – im Falle der letzten Sinfonie Tschaikowskys eine durchaus
                                                                                                          berechtigte Schlussfolgerung. Schließlich hatte Peter Tschaikowsky selbst die
                                                                                                          Fährte ausgelegt und in Äußerungen über sein finales Orchesterwerk durchaus be-
                                                                                                          tont, dass es um ganz persönliche Dinge gehe, die da verhandelt werden. In einem
                                                                                                          Brief an seinen Neffen Wladimir Davidow berichtete Tschaikowsky am 11. Februar
                                                                                                          1893 erstmals von dem „Gedanken an eine Sinfonie, diesmal an eine mit einem Pro-
                                                                                                          gramm, aber mit einem Programm von der Art, dass es für alle ein Rätsel bleiben
                                                                                                          soll ... Dieses Programm ist mehr denn je von Subjektivität durchdrungen, und nicht
                                                                                                          selten habe ich, während ich umherstreifte und in Gedanken an ihr arbeitete, sehr
                                                                                                          geweint.“

                                                                                                          „Programm-Sinfonie“ wollte Tschaikowsky die neue Sinfonie zunächst nennen. Ver-
                                                                                                          wirrender hätte ein Werktitel kaum sein können. „Was heißt Programmsinfonie, da
                                                                                                          ich kein Programm dazu geben will!“, erkannte er denn bald selbst und lies sich auf
                                                                                                          den Vorschlag seines Bruders Modest ein, das Werk „die Pathetische“ zu nennen.
                                                                                                          Eine Sinfonie als emotional geprägte Rückschau, als bewusster Abschluss – und
                                                                                                          das, obwohl Tschaikowsky, als er seine Sechste komponierte, gerade erst 53 war
                                                                                                          und sich in bester gesundheitlicher Verfassung befand. Der Tod schien noch denk-

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Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
bar weit entfernt. Tschaikowsky konnte kaum ahnen, dass er am 21. Oktober, nur           nem motorischen Triolenmotiv und einem zackigen Marsch bezieht, welcher zu-
                fünf Tage nach der Uraufführung der Sinfonie, ein Glas verunreinigtes Wasser trin-       nächst etwas hölzern, marionettenhaft daherkommt, im Verlauf des Satzes jedoch
                ken, sich mit der Cholera infizieren und wiederum vier Tage später daran sterben         stetig an Eigendynamik gewinnt und sich zum Schluss geradezu brutal und fratzen-
                sollte. Viel ist spekuliert worden über diesen mysteriösen Tod. Hat sich Tschaikows-     haft gibt. Als „Parade höllischer Mächte“ bezeichnete der russische Musikforscher
                ky das todbringende Wasser gar in suizidaler Absicht selbst verabreicht, oder, noch      Boris Assafjew diesen dämonischen Auftritt – ein Spiel mit falschen Siegerposen
                kühner, wurde er von einem Ehrengericht aufgrund seiner Homosexualität zum               und martialischem Gehabe. Den fast unvermeidlichen verfrühten Schlussapplaus
                Freitod gezwungen?                                                                       des Konzertpublikums nach den triumphierenden Finalakkorden dürfte Tschai-
                                                                                                         kowsky bewusst in Kauf genommen haben. Auch der zweite Satz treibt ein Spiel mit
                  Die Sinfonie scheint jedenfalls bereits vom nahenden Tod zu künden (und dadurch        etablierten Formmodellen, hier einem Walzer, der mit seinen sonoren Cellophrasen
                  alle Gerüchte zu nähren, Tschaikowsky habe sein Schicksal selbst in die Hand ge-       und den schwelgerischen Geigenpassagen auf den ersten Blick nach allen Regeln
                  nommen). „Im langsamen letzten Satz singt der Sterbensmüde sich selber das Re-         gebaut zu sein scheint, aber doch
                  quiem“, schrieb Klaus Mann in seinem Tschaikowsky-Roman – und es braucht nicht         recht merkwürdig hinkt, weil Tschai-
                                                                einmal viel dichterische Freiheit, um    kowsky ihn in einen 5/4-Takt ge-
                                                                auf diese Metapher zu kommen.            zwängt hat. Die Form wird unter-            Skizzen Tschaikowskys zum 2. Satz (Allegro con grazia)
                                                                Tschaikowsky selbst hatte in Bezug       schwellig ausgehöhlt: Wer mag, wird         der Sechsten Sinfonie „Pathétique“.
     Peter Tschaikowsky, Porträtaufnahme von 1893.              auf den letzten Satz von einem „Re-      hier durchaus Parallelen erkennen
                                                                quiem“ gesprochen, und wer das           zu einem Leben, das geprägt war
                                                                klangliche Ergebnis hört, wird sich      vom Zwang, gesellschaftlichen Kon-
                                                                dieses Bildes kaum entziehen kön-        ventionen zu gehorchen. Eröffnet
                                                                nen. Alles scheint abwärts zu führen     wird die Sinfonie mit einem gewichti-
                                                                in diesem Satz, jedes Sich-Aufbäu-       gen Allegro-Satz, dem längsten der
                                                                men mündet in eine resignativ fallen-    Sinfonie. Er folgt allen Regeln der sin-
                                                                de Bewegung. Es sind die Instrumen-      fonischen Kunst und lässt sich lü-
                                                                te in tiefen Lagen, denen hier tragen-   ckenlos durch das traditionell etab-
                                                                de Rollen zukommen, etwa den Fa-         lierte Modell des Sonatenhauptsat-
                                                                gotten, die die Tonskala hinabsteigen    zes erklären. Und zugleich scheint er
                                                                bis zu ihrem tiefsten Ton. Leise, ver-   zu erzählen – von Gegenwart und Ver-
                                                                sinkend und ohne die Spur einer          gangenheit, von Düsternis und Lei-
                                                                Schlussapotheose haucht schließ-         den und von der Erinnerung an ro-
                                                                lich der Satz in vierfachem Pianissi-    mantische Zeiten. Ein Abgesang auf
                                                                mo sein Leben aus. So hat noch nie       das eigene Leben, vielleicht auch auf
                                                                eine Sinfonie geendet – schon gar        eine versinkende Epoche, in der die
                                                                nicht bei Tschaikowsky.                  Strukturen noch klar und die musika-
                                                                                                         lischen Ordnungsverhältnisse noch
                                                                Es ist, als sei die gesamte Kraft und    eindeutig waren.
                                                                Dynamik des Werkes in den dritten
                                                                Satz geflossen, ein wild wirbelndes      RUTH SEIBERTS
                                                                Scherzo, das seinen Schwung aus ei-

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Sonderkonzert 1 Andrew Manze Dirigent | Christian Tetzlaff Violine
TIPP
                                                                               Konzertvorschau
       KONZERTPLUS:
       „TSCHAIKOWSKY AUF DER COUCH“:                                           KLASSIK EXTRA 3                             6. SINFONIEKONZERT A
                                                                               SO 20.02.2022                               DO 17.03.2022 | FR 18.03.2022
       Unter dem Namen „KonzertPlus“ konzipiert und produziert die NDR         11.30 UHR + 18 UHR                          20 UHR
                                                                               NDR | GR. SENDESAAL                         NDR | GR. SENDESAAL
       Radiophilharmonie ein neues Videoformat. Stets in Verbindung mit
       klassischer Musik entsteht hier eine unkonventionelle Kunstform.        Andrew Manze Dirigent                       Fabien Gabel Dirigent
                                                                               Friederike Westerhaus                       Francesco Piemontesi Klavier
       Dabei werden die Kompositionen in erweiterte Kontexte gestellt,         und Andrew Manze Moderation                 NDR Radiophilharmonie
       verbinden sich mit Filmbildern, Texten, Schauspiel, Interviews und      NDR Radiophilharmonie
                                                                                                                           Hector Berlioz
       mehr. Beobachten Sie im Video „Tschaikowsky auf der Couch“ eine         Peter Tschaikowsky                          Ouvertüre zur Oper „Béatrice et Bénédict“
       Psychologin und einen Psychologen im Gespräch über den großen           Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“   Robert Schumann

       Künstler - und den Menschen dahinter. Die NDR Radiophilharmonie                                                     Klavierkonzert a-Moll op. 54
                                                                                                                           Engelbert Humperdinck
       spielt unter der Leitung von Nathalie Stutzmann Tschaikowskys           SONDERKONZERT 2                             Vorspiel zur Oper „Hänsel und Gretel“
                                                                               DO 24.02.2022                               Maurice Ravel
       Sinfonie Nr. 5 . Das Plus zum Konzert: In den Rollen der Psychologin    20 UHR                                      „Ma Mère l‘Oye“
       und des Psychologen sind Miriam Maertens und Philippe Goos zu           NDR | GR. SENDESAAL                         Suite für Orchester
       sehen, beide Ensemble-Mitglieder des Schauspiels Hannover.
                                                                               Antonello Manacorda Dirigent
                                                                               Denis Kozhukhin Klavier
                                                                               NDR Radiophilharmonie
       Dieser Film und andere Konzertvideos unter: ndr.de/konzertplus
                                                                               Edvard Grieg
                                                                               Klavierkonzert a-Moll op. 16
                                                                               Robert Schumann                             Karten erhalten Sie beim NDR Ticketshop.
                                                                               Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61                 ndr.de/radiophilharmonie

                                                    Philippe Goos und Miriam
                                                    Maertens

                                                                                                                                                                       13
Foto: Paul Schirnhofer | NDR
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                                                            Das                                              Publikum
                                                      ist immer                                              ein Teil
                                                            der                                              Musik.
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                                                                                                                 ALICE SARA OTT

     Herausgegeben vom Norddeutschen Rundfunk
                                                                                             15
     Programmdirektion Hörfunk
     Bereich Orchester, Chor und Konzerte
     NDR Radiophilharmonie

     Bereich Orchester, Chor und Konzerte
     Leitung: Achim Dobschall
                                                                                             15
     NDR Radiophilharmonie
     Manager: Matthias Ilkenhans
     Redaktion des Programmheftes:
     Andrea Hechtenberg

     Der Einführungstext ist ein Originalbeitrag
     für den NDR. Nachdruck, auch auszugsweise,
     nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

     Fotos: Nikolaj Lund (Titel, S. 5);
     Giorgia Bertazzi (S. 6); akg-images / SNA (S.
                                                        DIE KONZERTE DER NDR RADIOPHILHARMONIE
     8); akg-images (S. 10, 11); Micha Neugebauer
     (S. 12)
     Druck: Eurodruck in der Printarena
                                                        HÖREN SIE AUF NDR KULTUR
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