STÄRKENA - ELTERN Das ultimative Arbeitsbuch für - POTENTIALO

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STÄRKENA - ELTERN Das ultimative Arbeitsbuch für - POTENTIALO
Das ultimative Arbeitsbuch für

                        ELTERN
ADHS

   Eltern-Kind-Beziehung

   STÄRKEN
STÄRKENA - ELTERN Das ultimative Arbeitsbuch für - POTENTIALO
VORWORT

Das Selbstbild und die Selbstwertgefühle
von ADHS-Patienten sind häufig gestört,
da sie im Falle eines Ausfalls negative Rück-
meldungen aus ihrer Umgebung erhalten.

Ohne Diagnose oder mangelnde Aufklä-
rung über die Krankheit verschmelzen ab
einem gewissen Alter das Krankheitsbild
des Patienten und das Selbstbild.

Durch das verminderte Selbstwertgefühl,
Überlastung und der durch das ADHS
bedingten Impulsivität reagieren die Be-
troffenen oft heftig, aggressiv und sozial
unzureichend. Völlig unbelastete Mo-
mente werden urplötzlich zu stressigen
Situationen. Missverständnisse führen
häufig zu einem Teufelskreis. Bei 50 Pro-
zent der von ADHS betroffenen Kinder
bleibt ADHS auch im Erwachsenenalter
fortbestehen. Deshalb ist es so wich-
tig, dass ADHS-Kinder so früh wie mög-
lich lernen, sich selbst zu unterstützen.
Wenn sie dann in der Lage sind, ihnen
angemessene Aufgaben zu erfüllen ha-
ben sie ein Erfolgsgefühl, das wiederum
das Selbstwertgefühl erhöht. Es ist auch
sinnvoll, den Betroffenen zu vermitteln,
dass es keinen typischen ADHS-Charak-
ter gibt und dass ihre Charakterzüge nur
geringfügig von der ADHS-Symptomatik
beeinflusst werden. Eltern können durch
eine entsprechende Alltagsgestaltung zu
einer gesunden Identitätsentwicklung ih-
rer Kinder beitragen.
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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort                                                                                            1
Was ist ADHS                                                                                       3
Problemsituationen im Alltag                                                                       6
Regeln sind wichtig                                                                                9
Die richtige Kommunikation                                                                        12
Schimpfst du noch oder lobst du schon?                                                            15
Konsequent sein                                                                                   17
Deine Beziehung zum Kind stärken                                                                  21
Dem Bewegungsdrang Spielraum geben                                                                21
Zusammenarbeit mit der Schule                                                                     22
Geschichte der ADHS                                                                               26
In welchem Arbeitsumfeld können
erwachsene ADHS-Betroffene arbeiten?                                                              27
Nachwort                                                                                          29
Literatur und Quellen                                                                             29
Angaben über die Verfasserin                                                                      30

© 2019 Sabine Gessenich

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustim-
mung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfälti-
gung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Das Kopieren der Arbeitsblätter
für die Arbeit mit Kindern ist erwünscht.

Design & Illustration: M. Kolbenschlag • www.kolbenschlag.desgin
STÄRKENA - ELTERN Das ultimative Arbeitsbuch für - POTENTIALO
WAS IST ADHS                                      Was sind nun die typischen Merkmale
                                                  von ADHS-Kindern? Grundsätzlich sind ja
Die Diagnose, ob dein Kind ADHS hat, soll-        alle Kinder sehr verschieden. Einige sind
te von einem speziell ausgebildeten Fach-         lebhafter, andere ruhiger. Jüngeren Kin-
mann gestellt werden. Zum Beispiel von:           dern fällt es schwerer „bei der Sache zu
                                                  bleiben“ als Älteren.
s   Kinder- und Jugendpsychiatern,
                                                  Kinder mit ADHS fallen im Vergleich zu
s   Kinderärzten mit entsprechender               gleichaltrigen und gleichbegabten Kindern
    Weiterbildung,                                durch folgende Eigenschaften auf:

s   Kinder- und Jugendlichenpsycho-               4. Sie haben große Aufmerksamkeits-
    therapeuten,                                     und Konzentrationsstörungen.

s   Ärzten in sozialpädiatrischen Zentren         5. Sie zeigen (meistens) ein sehr im-
                                                     pulsives Verhalten.
Es handelt sich hierbei um eine sehr um-
fangreiche Diagnostik. Dabei werden Symp-         6. Sie sind (meistens) sehr unruhig.
tombeschreibungen durch die Eltern, durch
die Schule oder den Kindergarten genauso          Hierbei sind jedoch Variationen möglich: Die
miteinbezogen wie Fragebögen und direk-           Probleme können mehr oder weniger stark
te Verhaltensbeobachtung durch den Be-            ausgeprägt sein und müssen nicht bei allen
handler. Andere Ursachen für auffälliges          Tätigkeiten auftreten. Wenn sich ADHS-Kin-
Verhalten müssen ausgeschlossen werden.           der ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen (z.
Aus der Distanz heraus kann ADHS nicht            B. Computer spielen), zeigen sie oft keine
diagnostiziert werden.                            oder nur geringe Symptome – selbst wenn
                                                  die Tätigkeit viel Konzentration erfordert. Es
Was heißt ADHS eigentlich?                        müssen auch nicht immer alle Auffälligkei-
                                                  ten vorhanden sein. Manche Kinder haben
ADHS steht für „Aufmerksamkeitsdefizit-/          hauptsächlich Aufmerksamkeitsprobleme
Hyperaktivitätsstörung“. Es bezeichnet eine       und sind kaum hyperaktiv oder impulsiv.
Verhaltensstörung von Kindern, Jugend-            Die Diagnose ist somit sehr komplex. Auch
lichen oder Erwachsenen mit folgenden             gibt es keine ganz klaren Grenzen, ab wann
Merkmalen:                                        ein Problem als Störung zu bezeichnen ist.
                                                  Ein umfassender Eindruck bei der Diagnos-
1. starke Aufmerksamkeits- und Kon-               tik ist daher sehr wichtig.
   zentrationsstörungen
                                                  Wenn die Diagnose ADHS zutrifft, bestehen
2. starke Impulsivität                            durchgehend starke Probleme seit mindes-
                                                  tens einem halben Jahr – meist aber schon
3. ausgeprägte körperliche Unruhe                 seit mehreren Jahren. Außerdem treten die
   (Hyperaktivität)                               Probleme in mehreren Lebensbereichen
                                                  auf, zum Beispiel zu Hause und in der Schule.
Neben ADHS gibt es übrigens auch ande-
re Bezeichnungen für diese psychische
Störung, wie „Hyperkinetische Störung“
oder „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“.

                                              3
FALLBEISPIEL                                         rollierten, impulsiven Verhaltens haben die-
                                                     se Kinder häufiger Unfälle im Haushalt und
Marie geht in die zweite Klasse. Sie hört            auf der Straße.
dem Lehrer nur selten zu, weil sie ständig
abgelenkt ist. Ein Blick aus dem Fenster             Der dritte Kernbereich, in dem Kinder mit
kann reichen, um den Unterricht völlig zu            ADHS auffallen, ist die starke körperliche
vergessen. Während andere Kinder das                 Unruhe (auch „Hyperaktivität“ genannt). Die
Matheheft rausholen, hat Marie noch nicht            typischen „Zappelphilippe“ sind ständig in
einmal mitbekommen, dass der Sachunter-              Bewegung, laufen oder klettern permanent
richt beendet ist. Für Arbeitsblätter braucht        herum und wenn sie ruhig sein sollen, hal-
sie oft doppelt so lange und hat sie dann            ten sie das nur für kurze Zeit durch.
nicht einmal vollständig bearbeitet. Da sie
Aufgaben nicht richtig durchliest, verfehlt
sie oft das Thema. Zu Hause ist es nicht
anders. Für Hausaufgaben, die locker in 20           FALLBEISPIEL
Minuten gemacht werden könnten, braucht
sie stundenlang.                                     In der Schule sind seine Finger und Füße
                                                     ständig in Bewegung. Er kippelt mit dem
                                                     Stuhl und schmeißt immer etwas um. Seine
                                                     ganze Umgebung macht er mit seinem Ge-
ADHS-Kinder fallen dadurch auf, dass sie             zappel nervös. Das geht schon morgens los.
schnell das Interesse verlieren und ihre Auf-        Punkt sechs Uhr trällert er bereits ein Lied-
gaben oder ihre Tätigkeiten vorzeitig be-            chen und muss seiner Mutter ständig etwas
enden. Dies gilt vor allem für Beschäftigun-         ganz Dringendes erzählen. Er rast zwischen
gen, die geistig anstrengend sind und von            Kinderzimmer, Küche und Wohnzimmer hin
anderen vorgegeben werden (z. B. Haus-               und her und kommt dabei gar nicht mit dem
aufgaben). ADHS-Kinder können sich also              voran, was er machen soll. Bei fast jedem
prinzipiell schon konzentrieren, sie benöti-         Mittagessen steht er drei- bis viermal auf, im-
gen dafür aber deutlich mehr Energie und             mer wieder fällt etwas um, weil er mit seinen
Motivation als andere. Bei selbst gewählten          Händen überall dran ist.
Tätigkeiten fällt es ihnen daher viel leichter
– obwohl es auch hier vorkommen kann,
dass sie schnell das Interesse verlieren und
etwas anderes machen.                                Bei Kindern mit ADHS fällt dieses Ver-
                                                     halten in mehreren Lebensbereichen auf
Neben Aufmerksamkeits- und Konzent-                  und vor allem dann, wenn sich das Kind
rationsproblemen fallen Kinder mit ADHS              ruhig verhalten soll – also zum Beispiel im
durch ihre ausprägte Impulsivität auf.               Unterricht, bei den Hausaufgaben oder
„Impulsiv“ bedeutet: Die Kinder können               wenn es anderen zuhören soll. Nur wenn
schlecht abwarten. Sie platzen mit Antwor-           sich die Kinder ihrer Lieblingsbeschäfti-
ten heraus, bevor Fragen zu Ende gestellt            gung widmen, zeigen sie oft keine oder
sind oder unterbrechen andere häufig. Sie            nur geringe Symptome – selbst wenn die
handeln plötzlich und unüberlegt. Wenn sie           Tätigkeit viel Konzentration erfordert.
etwas haben wollen, muss es sofort sein. Sie
denken nicht über die Folgen ihrer Hand-             Der Übergang zwischen „normalem“ und
lungen nach. In dieser Hinsicht benehmen             auffälligem Verhalten ist fließend. Bei
sie sich also so, wie es bei jüngeren Kindern        den meisten Kindern sind die Verhaltens-
eigentlich üblich ist. Aufgrund ihres unkont-        probleme noch im „normalen“ Bereich.

                                                 4
Manche Kinder sind einfach ein bisschen              So werden sie häufig deswegen schneller
wild, impulsiv und manchmal unkonzen-                wütend, weil sie impulsiver sind, sich nicht
triert. Diese Eigenschaften treten nicht in          gut kontrollieren können und weniger an
allen Situationen gleichermaßen auf und              die Folgen denken. Außerdem schieben sie
die Kinder können sich meistens auch                 die Schuld auch deswegen schneller auf
mal über einen längeren Zeitraum unauf-              andere, weil sie ohnehin viel kritisiert wer-
fällig verhalten. Nur wenn die Aufmerk-              den und sich schützen möchten. Wie die
samkeitsstörungen, die Hyperaktivität                meisten Kinder tun sie viel, um Aufmerk-
oder die Impulsivität so stark ausgeprägt            samkeit zu bekommen – Aufmerksamkeit
sind, dass sie das Kind oder seine Um-               entsteht auch, wenn sie andere ärgern.
welt stark beeinträchtigen, sprechen wir
von ADHS.                                            Viele Kinder mit ADHS haben schulische
                                                     Leistungsprobleme, weil es ihnen so
Zum Beispiel, wenn das Kind in seinen                schwerfällt, konzentriert und ausdauernd
Leistungen deutlich hinter seinem Poten-             zu lernen und im Unterricht aufzupassen.
tial zurückbleibt, wenn es in der Familie            Diese Kinder haben meistens auch Proble-
oft Streit gibt, weil das Kind nicht hört, un-       me bei den Hausaufgaben. Darüber hinaus
ruhig ist und ständig Aufmerksamkeit ver-            haben manche Kinder mit ADHS und schu-
langt oder wenn das Kind keine richtigen             lischen Leistungsproblemen zudem auch
Freunde findet und sich viel mit Gleichalt-          noch spezielle Defizite, wie zum Beispiel
rigen streitet.                                      eine Lese- und Rechtschreibschwäche.

Aber selbst wenn ein Kind Unruhe, Kon-               Viele Kinder mit ADHS leiden auch an Un-
zentrationsschwierigkeiten und impul-                sicherheit und mangelndem Selbstver-
sives Verhalten zeigt, heißt das noch im-            trauen – also der Fähigkeit, auf sich selbst
mer nicht, dass automatisch eine ADHS                und die eigenen Leistungen zu zählen.
vorliegen muss. Andere Ursachen für
Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten                Ein geringes Selbstvertrauen kann natür-
und impulsives Verhalten können Lern-                lich viele Gründe haben. Bei Kindern mit
behinderungen, geistige Behinderungen,               ADHS leidet das Selbstvertrauen häufig
schulische Überforderung, familiäre Be-              durch die vielen negativen Erfahrungen
lastungen, Ängste oder andere emotiona-              und Rückmeldungen. Alle reden nur von
le Belastungen sein.                                 den Problemen, oft im Beisein des Kindes.
                                                     Da die Kinder häufig Ablehnung von ande-
Häufig treten mit der ADHS auch noch                 ren Menschen erfahren, trauen sie sich we-
weitere Verhaltensprobleme auf. Am wei-              niger zu als andere. Einige entwickeln mit
testen verbreitet ist das so genannte „op-           der Zeit auch Ängste und Unsicherheiten.
positionelle Verhalten“. Das heißt, die Kin-
der können sich schlecht an Regeln halten            Diese Schwierigkeiten fallen häufig zu-
und reagieren aggressiver. Dadurch strei-            nächst weniger auf, weil die anderen Prob-
ten sie sich häufig mit vertrauten Erwach-           leme (vor allem die Schulprobleme) mehr
senen, Geschwistern und Gleichaltrigen.              ins Auge springen. Die Kinder wirken nach
                                                     außen eher stark und unbekümmert.
Das Temperament dieser Kinder ist oft
eine Herausforderung, aber sie sind des-             Ein weiteres häufiges Problem bei Kindern
wegen keine schlechten Menschen. Meis-               mit ADHS ist die Ablehnung durch Andere.
tens gibt es einen Grund für ihr Verhalten.

                                                 5
Das kann für das Kind, aber auch für die              PROBLEMSITUATIONEN IM ALLTAG
Eltern sehr belastend sein.
                                                      Wo läuft etwas schief und was kannst du
Viele Kinder mit ADHS haben mit diesem                dagegen tun?
Problem zu kämpfen. Sie werden abge-
lehnt, weil sie aufgrund ihrer Unruhe und             Der Alltag in Familien mit Kindern, die
Impulsivität beim Spiel stören oder wegen             eine ADHS – Diagnose haben, ist oftmals
ihres ewigen „auf dem Sprung seins“ als               eine Herausforderung. Wutanfälle oder
Störenfriede gelten. Viele dieser Kinder              der Streit mit Geschwistern sind keine Sel-
haben immer nur die eigenen Spielideen                tenheit. Oder dein Kind unterbricht dich
im Kopf. Es fällt ihnen schwer, die Bedürf-           ständig, ist extrem unordentlich, unruhig
nisse der anderen wahrzunehmen und                    und nicht vom Fernsehen oder Computer
die eigenen zurückzustellen. Dies führt               wegzubringen.
ebenfalls häufig dazu, dass sie abgelehnt
werden. Diese Erfahrung schmerzt sie.                 Schauen wir uns einmal diese einfache
                                                      Alltagssituation an: „Thomas, zieh bitte
Leider ist nicht nur die Beziehung zu                 deine Schuhe aus.“
Gleichaltrigen, sondern auch die Bezie-
hung zu Erwachsenen häufig belastet.                  Macht das Kind, was die Eltern gesagt ha-
                                                      ben, achten die meisten Eltern nicht wei-
Vielleicht hast du jetzt den Eindruck, dass           ter auf ihr Kind.
ein ADHS-Kind nur aus Schwächen und
Defiziten besteht. Um möglichst gezielt               Macht das Kind nicht, was die Eltern ge-
Hilfe zu leisten, ist es wichtig, sich ein kom-       sagt haben, wiederholen die Eltern ihre
plettes Bild von der Situation zu machen              Aufforderung.
und alle damit einhergehenden Probleme
zu beschreiben.                                       Beispiel: „Thomas, zieh JETZT BITTE deine
                                                      Schuhe aus!"
Trotzdem sind ADHS-Kinder wunderbare
Kinder mit vielen Stärken! Jenseits der Pro-          In der Regel werden die Eltern bei jeder
bleme zeichnen sich ADHS-Kinder zum Bei-              Wiederholung der Aufforderung gereizter.
spiel häufig durch ihre ausgeprägte Kreati-
vität, ihr Einfühlungsvermögen in andere,             Macht das Kind jetzt, was die Eltern sagen,
ihren starken Gerechtigkeitssinn oder ihre            wenden sich die Eltern – meist ärgerlich –
Hilfsbereitschaft aus. Außerdem sind sie              wieder ihren Beschäftigungen zu.
schnell im Denken und sehr leistungsfä-
hig – wenn sie motiviert sind. Wir werden             Macht das Kind immer noch nicht, was die
uns im Kapitel „Deine Beziehung zum Kind              Eltern sagen, fangen viele Eltern an, ihren
stärken“ noch näher damit beschäftigen.               Kindern zu drohen.

                                                      Beispiel: „Thomas, wenn du jetzt nicht END-
                                                      LICH deine Schuhe ausziehst, dann kannst
                                                      du deine Fernsehsendung vergessen!“

                                                      Diese meist unüberlegt geäußerten Dro-
                                                      hungen werden oft wiederholt und fallen
                                                      dabei häufig immer heftiger aus.

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Macht das Kind endlich, was die Eltern sa-         Tim und seine Mutter:
gen, wenden sich die Eltern meist wütend
ab und wieder ihren Beschäftigungen zu.            Vor anderen gebe ich häufig nach. Ich
                                                   habe Angst, dass Tim mich schlägt. Wenn
Macht das Kind immer noch nicht, was die           ich mit Tim alleine bin, reagiere ich meist
Eltern sagen, sind die Eltern häufig ratlos.       wütender und schimpfe mit ihm. Manch-
Viele Eltern geben nach, übernehmen die            mal bleibe ich hart und stehe das irgend-
Aufgabe selbst oder reagieren aggres-              wie durch. Manchmal gebe ich auch nach,
siv und werten ihre Kinder massiv ab. Im           weil ich einfach nicht mehr kann.
schlimmsten Fall werden die Kinder ge-
schlagen.                                          Wenn ich nachgebe, wird Tim ruhiger. Er
                                                   hat, was er will. Tim ist dann schnell wie-
Beispiel: „Du hast ja wohl einen Vogel,            der guter Laune. Wenn ich nicht nachgebe,
hier einfach mit Schuhen rumzurennen!              brüllt er bis zu einer halben Stunde, be-
Immer machst du nur Ärger!“                        schimpft mich und schlägt sogar nach mir.

Mit etwas Abstand betrachtet, kannst du            Tim kann schnell verzeihen. Mir fällt das
vielleicht erkennen, dass hier bereits in          deutlich schwerer. Seine Wörter und
einer einfachen Alltagssituation ein regel-        Schläge liegen mir schwer im Magen. Groß
rechter Teufelskreis entstehen kann. Wir           reden wir nicht darüber, weil wir dann
werden in den Kapiteln „Regeln“ und „Kom-          meistens erneut streiten oder schlechte
munikation“ noch näher darauf eingehen.            Stimmung entsteht

Eine Besonderheit im Zusammenhang                  Wenn Tim gut drauf ist, lässt er sich beim
mit ADHS sind die Wutanfälle.                      Essen von seiner Schwester weniger
                                                   schnell provozieren. Ums Fernsehen strei-
In welchen konkreten Situationen be-               ten wir uns aber eigentlich immer.
kommt Dein Kind häufig Wutanfälle?
                                                   Ich reagiere nicht großartig. Meistens ist
FALLBEISPIEL                                       die Stimmung in solchen Situationen ein-
                                                   fach besser zwischen uns.

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Schauen wir uns einmal die Wutanfall-Si-          Kinder. Solltest du dann irgendwie anders
tuationen von Tim und seiner Mutter ge-           reagieren? Du ahnst es vermutlich selbst:
nau an:                                           Es würde nichts helfen! Die Situation wür-
                                                  de sich einfach nur weiter aufschaukeln.
Können wir die Situationen so umgestal-           Verhalte dich also genau so, als ob es dein
ten, dass die Gründe für die Wut gar nicht        Kind nicht besser könnte. Fordere klar
mehr vorliegen?                                   auf und lasse natürliche Konsequenzen
                                                  folgen. (Wir werden hierüber noch mehr
1. Wutanfall-Situation: Beim Essen,               im Kapitel ‚Natürliche Konsequenzen‘ er-
   wenn Tim von seiner Schwester ge-              fahren). Lasse auch keine „härteren“ Kon-
   ärgert wird.                                   sequenzen folgen! Du zeigst damit: „Ich
                                                  lasse mich nicht provozieren. Es ist deine
   Situationsveränderung: Ein Elternteil          Verantwortung.“
   sitzt von nun ab zwischen Tim und
   Johanna.                                       Selbst wenn dein Kind schreit: „Ich hasse
                                                  dich, du bist doof!“, bleibe ruhig! Dieses
2. Wutanfall-Situation: Wenn Tim un-              Verhalten ist keinesfalls ungewöhnlich.
   gefragt fernsieht und seine Mutter             Dein Kind sagt vielleicht: „Ich hasse dich!“.
   es ihm dann verbietet.                         Es meint aber damit: „Ich hasse, dass du
                                                  mir das gerade verbietest!“, „Ich hasse,
   Situationsveränderung: Der Fernseher           dass du mir nicht das gibst, was ich will!“.
   steht in einem abschließbaren Fern-
   sehschrank.                                    SO KANNST DU DEINEM KIND IM UM-
                                                  GANG MIT SEINER WUT HELFEN:
Fallen dir Wutanfall-Situationen in deiner
Familie ein, die du durch Situationsverän-        Bleibe möglichst ruhig.
derung ausschalten kannst?
                                                  Reagiere schon bei den ersten Anzeichen
Hilf deinem Kind, sich nicht in einen Wut-        von Wut. Bringe dein Kind auf andere Ge-
anfall hineinzusteigern!                          danken: „Komm, wir schauen uns deine
                                                  Spielzeugautos an!“ und vereinbare ein
Bedenke: In den meisten Fällen wird dein          Zeichen: „Wir atmen jetzt dreimal tief
Kind nicht deswegen wütend, weil es dich          durch und bleiben cool!“.
ärgern möchte oder sich „keine Mühe“
gibt. Dein Kind kann sich wirklich schlech-       Weise auf die Regeln und die Konsequen-
ter kontrollieren – und leidet darunter           zen hin: „Wenn du dich an die Regel hältst,
meist genauso wie du.                             kannst du heute deine Lieblingssendung
                                                  schauen, ansonsten darfst du erst zehn
Wenn dein Kind eine ADHS-Diagnose hat,            Minuten später einschalten.“.
solltest du berücksichtigen, dass dein Kind
impulsiv ist und sich schwer zurückhalten         Machen deinem Kind Mut: „Komm, das
kann. Dass es sich für alles viel mehr an-        schaffst du!“.
strengen muss als andere Kinder.

Dennoch: Sicherlich gibt es auch mal Si-
tuationen, in denen sich dein Kind ab-
sichtlich „schlecht“ benimmt – so wie alle

                                              8
SO KANNST DU DEINEM KIND WÄHREND                      REGELN SIND WICHTIG
EINES WUTANFALLS HELFEN:
                                                      Für den Alltag mit einem ADHS Kind ist das
Nimm die Wut nicht persönlich. Je ruhiger             Erstellen von Regeln immens wichtig. Für
du selbst bleibst, desto günstiger wird die           alle Situationen in denen üblicherweise
Situation verlaufen! Sei zugewandt, klar              Stress entsteht, solltest du gemeinsame
und eindeutig.                                        Vereinbarungen mit deinem Kind treffen.
                                                      Experten empfehlen für besonders starke
Nenne deinem Kind Möglichkeiten, wie                  Probleme mit Wutanfällen, Belohnungs-
es seine Wut loszuwerden kann: Ins Kis-               pläne aufzustellen. Wohlverhalten wird
sen brüllen, Kissen auf den Boden wer-                mit einem Punktesystem belohnt und für
fen, laut schreien, einen weichen Ball fest           eine bestimmte Anzahl an Punkten er-
drücken, in sein Zimmer gehen...                      hält das Kind etwas Schönes, was es sich
                                                      schon länger wünscht.
Wenn dein Kind schlägt oder andere be-
schimpft: Führe dein Kind an einen neut-              Eigentlich hat Tim‘s Mutter klare Vorstel-
ralen Ort oder verlasse selbst den Raum.              lungen davon, was Kinder dürfen und was
                                                      nicht. Aber die Tage sind eben immer an-
Wenn dein Kind mit Gegenständen wirft:                ders und so achtet sie auch nicht immer in
Halte dein Kind auf ruhige Art fest und               gleicher Weise auf die Regeln. Manchmal
nimm ihm den Gegenstand aus der Hand.                 will Tim’s Mutter zum Beispiel unbedingt,
                                                      dass alle mit sauberen Händen am Tisch
Wenn sich alle beruhigt haben: Lasse                  sitzen. Dann wiederum vergisst sie, über-
dein Kind erklären, was es so wütend ge-              haupt darauf zu achten.
macht hat? Versuche, dein Kind zu ver-
stehen und Lösungen zu finden.                        Wie konsequent achtest du auf die Einhal-
                                                      tung von Familienregeln?
Kleiner Tipp: Wenn du selbst sehr wütend
bist: Atme dreimal tief durch oder verlasse
– nach Ankündigung – den Raum: „Wir sind
jetzt beide sehr wütend, das ist nicht gut. Ich
gehe jetzt erst mal in die Küche und du in
dein Zimmer und später sehen wir weiter!“
                                                      BEISPIEL FÜR FAMILIENREGELN
                                                      s   Um 08:00 Uhr wird gemeinsam ge-
                                                          frühstückt.
                                                      s   Straßenschuhe werden nicht in
                                                          der Wohnung getragen.
                                                      s   Jeder räumt nach dem Essen sei-
                                                          nen Teller in die Küche.
                                                      s   Um 19:00 Uhr gibt es Abendessen.

                                                  9
Eltern von schwierigen Kindern geraten häu-            Freiheiten ausgeglichen ist: Welche Re-
fig in Situationen, in denen sie mal auf eine          geln haben wir? Sind alle Regeln wichtig?
Regel pochen und dann wieder überhaupt                 Gibt es Regeln, die nicht unbedingt nö-
nicht. Manche Eltern lassen ihren Kindern              tig sind? Die nicht ganz so notwendigen
auch generell zu viel durchgehen. Dies ist an-         Regeln könnte man dann zugunsten der
gesichts der vielen schwierigen Situationen,           Freiheit der Kinder fallen lassen.
die man als Eltern mit seinen hyperaktiven
Kindern täglich erlebt, nachvollziehbar.               REGELN FÜR WUTANFALL-SITUATIONEN

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall:                Mit klaren Regeln kann man sowohl die
Manche Eltern stellen zu Hause auch zu                 Situationen von vornherein entschärfen,
strenge Regeln auf und lassen den Kin-                 in denen Wutanfälle häufig auftreten als
dern so zu wenig Freiheit.                             auch dem Kind im Falle eines Wutanfalls
                                                       klare Grenzen setzen. Das Kind weiß ge-
Ein konsequenter und ausgewogener Um-                  nau, was es darf und was nicht. Grundsatz-
gang mit Regeln ist bei der Erziehung allgemein        diskussionen können vermieden werden.
wichtig. Bei Kindern mit ADHS noch mehr.
                                                       Lasse uns mit den Regeln für die Situatio-
Jede Familie muss für sich selbst einord-              nen beginnen, in denen Wutanfälle häufig
nen, wie viele Regeln ihr gut tun. Fakt ist,           auftreten. Du hast dir bereits überlegt, wie
dass Kinder beides brauchen – sowohl                   du die Situationen so verändern kannst,
Freiheit als auch Grenzen und Regeln.                  dass weniger Ursachen für einen Wutan-
                                                       fall vorliegen.
Freiheit ist wichtig, damit Kinder sich unge-
hemmt entfalten und entdecken können.                  Überlege jetzt: Mit welchen Regeln kannst
Nur mit genügend Freiheit können Kinder                du diese Wutanfall-Situationen zudem
lernen, eigene Entscheidungen zu treffen               noch klarer gestalten?
und Verantwortung zu tragen. Kinder brau-
chen auch das Recht, etwas ablehnen zu                 Schreibe jeweils eine Regel in eine Zeile. Wir
können. Zu viel Freiheit kann Kinder aber              werden uns zu jeder Regel noch weitere Ge-
auch überfordern, weil ihnen dann die not-             danken machen – zum Beispiel wie du dein
wendige Orientierung in der Welt fehlt.                Kind lobst, wenn es die Regel einhält.

Grenzen und Regeln sind wichtig, weil die              Wir kommen noch darauf zu sprechen, wie
Welt dadurch überschaubar und bere-                    du es schaffst, dass sich dein Kind an die
chenbar wird. Klare Grenzen und Regeln                 Regeln hält. Jetzt ist es erst einmal wichtig,
bieten den Kindern Sicherheit und Ver-                 sich sinnvolle Regeln zu überlegen.
lässlichkeit. Außerdem können Kinder in
der Gesellschaft nur klarkommen, wenn                  Prüfe im Anschluss noch einmal: Sind dei-
sie es schaffen, sich an Regeln zu halten.             ne Regeln klar und eindeutig? Weiß dein
Gerade für Kinder mit ADHS sind klare                  Kind genau, wie es sich verhalten soll? Die
Grenzen und Regeln wichtig. Zu viel davon              Regel „Mein Kind soll nicht so viel fernse-
kann den Kindern jedoch auch „die Luft                 hen“ ist zum Beispiel nicht klar und ein-
zum Atmen nehmen”.                                     deutig. Hier können Eltern und Kind sehr
                                                       unterschiedliche Auffassungen haben.
Überprüft am besten regelmäßig, ob das                 Besser: „Mein Kind darf jeden Abend ab
aktuelle Verhältnis zwischen Regeln und                18.00 Uhr eine halbe Stunde fernsehen“.

                                                  10
WUTANFALL-SITUATION                                 Deine Regeln sollten unbedingt von Dei-
                                                    nem Kind angenommen oder zumindest
Tim bekommt jedes Mal einen Wutanfall, wenn         akzeptiert werden. Nur dann wird es sich
die Mutter ihm das Fernsehen verbietet.             künftig auch daranhalten. Beherzige daher
                                                    folgende Tipps:
Situationsveränderung: Der Fernseher steht
in einem abschließbaren Fernsehschrank.             1. Dein Kind sollte nicht denken, dass nur
                                                       es selbst sich an Regeln halten muss.
Regel: „Tim darf tagsüber nicht fernsehen“.
                                                       Überlege daher: Gilt eine der Regeln
                                                       auch für die anderen (z. B.: „Wir schlagen
Überlege, welche Regeln Dir am wichtigs-               nicht“)? Gibt es Regeln für andere Fami-
ten sind und übernimm nur die Regeln, für              lienmitglieder?
deren Einhaltung du auch wirklich sorgen
willst. Bitte nicht mehr als drei Regeln.           2. Überlege vorab, warum die Regel
                                                       nötig ist und was passiert, wenn es
Sollte dir die Auswahl schwerfallen, so                die Regel nicht gibt.
möchte ich dich beruhigen: Mit wenigen Re-
geln stellst du sicher, dass du konsequent             Die Regel „Tim darf tagsüber nicht
auf deren Einhaltung achten kannst. Auch               fernsehen“ in unserem Beispiel ist der
dein Kind ist so besser in der Lage, die Re-           Mutter zum Beispiel wichtig, weil sie
geln einzuhalten. Außerdem kannst du                   möchte, dass sich tagsüber alle aktiv be-
nicht alle Probleme an einem Tag lösen und             schäftigen und nicht vor dem Fernseher
schon erste kleine Schritte stellen oft eine           sitzen. Ohne die Regel streitet sie sich
große Entlastung dar!                                  mit Tim fast täglich über das Fernsehen.
                                                       Sie möchte nun Klarheit schaffen, was
                                                       Tim darf und was nicht.
BEISPIEL FÜR 3 REGELN
Regel 1:
„Tim darf tagsüber nicht fernsehen“.
                                                    KLEINER TIPP:
Regel 2:
„Tim darf keine Gegenstände herumwerfen“.           Da die Kinder ein beschriebenes Blatt mit Re-
                                                    geln selten lesen, hat es sich bewährt, die Re-
Regel 3:                                            geln mit Bildern zu verdeutlichen. Schön ist es
„Tim darf andere nicht schlagen“.                   auch, dieses Blatt gemeinsam zu gestalten.

                                                    3. Falls du einen Partner hast, besprich
                                                       die Regeln vorab mit ihm.

                                                       Bedenke : Es ist weniger wichtig, auf
                                                       welche Regeln ihr euch einigt, als dass
                                                       ihr euch überhaupt einigt.

                                               11
4. Haltet einen „Familienrat“ ab und              DIE RICHTIGE KOMMUNIKATION
   besprecht die Regeln mit dem Kind.
                                                  Bis hierher haben wir Klarheit über die
   Erkläre zum Beispiel, dass du über das         konkreten Probleme durch ADHS, haben
   Thema „Wutanfälle“ reden möchtest.             überlegt, wie du Situationen so ändern
                                                  kannst, dass manche Probleme gar nicht
   Erkläre in Ruhe, welche Regeln du dir          erst entstehen, und du hast klare Regeln
   überlegt hast und warum die Regeln             für die Probleme deines Kindes aufgestellt.
   wichtig sind.
                                                  Jetzt lernst du, wie du deine Aufforderun-
   Höre dir die Meinungen und Einwände            gen so stellen kannst, dass dein Kind dei-
   deines Kindes an und nehme diese ernst.        nem Aufruf auch wirklich nachkommt.

   Frage dein Kind auch nach eigenen Re-          Lasse uns wieder mit einem Beispiel beginnen:
   gelvorschlägen.
                                                  Die Mutter bereitet das Abendessen vor.
   Ändere die Regeln ab, wenn dir dies            Tim kommt nach Hause und rennt mit
   sinnvoll erscheint.                            Schuhen in sein Zimmer. Tim’ Mutter ruft
                                                  ihm aus der Küche hinterher: „Tim, du
   Legt am Ende die Regeln fest.                  sollst deine Schuhe auszie...“ Da knallt
                                                  schon die Tür des Kinderzimmers zu. Tim
   Mache deutlich, dass die Regeln akzep-         hat seine Mutter überhaupt nicht wahrge-
   tiert werden müssen, auch wenn dein            nommen. Kennst du das?
   Kind die Regeln dann immer noch nicht
   sinnvoll findet.                               Wie häufig gibst du deinem Kind eine Auf-
                                                  forderung, ohne darauf zu achten, ob dein
Wichtig ist, dem Kind von Anfang deut-            Kind dir zuhört?
lich zu machen, dass die Regeln kein Be-
strafungsinstrument sind, sondern dabei           Viele Eltern rufen einfach etwas „in den
helfen, die Situation und die Stimmung            Raum hinein“. Ohne darauf zu achten, ob
zu verbessern. Daher ist es wichtig, be-          das Kind sie überhaupt wahrnimmt, wie-
reits bei Einführung der Regeln auf eine          derholen sie ihre Aufforderungen immer
positive Atmosphäre zu achten.                    wieder, bis sie entnervt aufgeben oder
                                                  sehr wütend werden.
Die Regeln können erst einmal locker be-
sprochen werden. Du kannst jedoch nicht           Kinder kommen Aufforderungen eher
davon ausgehen, dass sich dein Kind die           nach, wenn Eltern diese auf eine andere
Regeln sofort merkt und sich daranhält.           Art und Weise stellen.
Du wirst noch eine Weile konsequent,
aber liebevoll an die Regeln erinnern und         Bevor du eine Aufforderung stellst, soll-
auf deren Einhaltung achten müssen.               test du immer schon wissen, was du tust,
                                                  wenn dein Kind der Aufforderung nicht
                                                  nachkommt.

                                                  Wie ist das bei dir? Weißt du immer schon
                                                  vorher, was du machen wirst, wenn dein
                                                  Kind der Aufforderung nicht nachkommt?

                                             12
Bevor du aufforderst, überlege erst, ob dir          Mache deinem Kind durch deine Stimme
die Aufforderung überhaupt wichtig ist.              deutlich, dass dir die Aufforderung wichtig
Fordere nur auf, wenn dir etwas wirklich             ist. Sprich aber unbedingt in einem Ton-
wichtig ist. Überlege dann, was du machst,           fall, mit dem du selbst auch angespro-
wenn dein Kind deiner Aufforderung nicht             chen werden möchtest. (Wird man auf
nachkommt. Erst wenn du das weißt, soll-             unfreundliche, kommandierende oder
test du auffordern.                                  abwertende Weise aufgefordert, hat man
                                                     selbst auch keine Lust, Folge zu leisten.)
Wenn du nicht reagieren kannst oder
willst – sei es weil Kraft, Zeit und Nerven          Natürlich bestimmt auch die Situation
fehlen oder die Situation ungeeignet ist             die Tonlage. Wenn man das Kind in einer
(weil z. B. Besuch da ist) – dann: Stelle die        völlig unkomplizierten Situation dazu auf-
Aufforderung gar nicht erst! Du kannst               fordert, seine Hände zu waschen, ist das
stattdessen dein Kind bitten. Dann kann              natürlich etwas ganz anderes, als wenn
es selbst entscheiden, ob es die Bitte frei-         das Kind wütend um sich schlägt. Sicher-
willig erfüllt oder nicht. Der Lerneffekt für        lich wird die Aufforderung im zweiten Fall
das Kind ist dann günstiger.                         nicht mehr so freundlich, sondern be-
                                                     stimmt klingen.
Was du tun kannst, wenn dein Kind deiner
Aufforderung nicht nachkommt, erfährst               Kleine Kinder oder Kinder mit ADHS kön-
du im Kapitel „Natürliche Konsequenzen“.             nen sich meistens nur eine oder höchs-
Hier geht es erst einmal um das richtige             tens zwei Aufforderungen auf einmal
Stellen einer Aufforderung.                          merken. Stelle daher zu einem Zeitpunkt
                                                     immer nur eine Aufforderung. Passe auf,
Wie sprichst du mit deinem Kind, wenn du             dass eine Aufforderung auch wirklich nur
ganz sicher sein möchtest, dass dein Kind            aus einer Aufgabe besteht. Stelle ansons-
die Aufforderung wirklich wahrnimmt?                 ten mehrere einzelne Aufforderungen
                                                     hintereinander.
Gehe auf die Höhe des Kindes herunter.
                                                     Aufforderungen und Regeln sind nicht
Stelle Körperkontakt her (z. B. Arm auf die          das Gleiche wie Bitten:
Schulter legen).
                                                     Richtest du eine Aufforderung an dein
Halte Blickkontakt zum Kind. Wenn nötig,             Kind, so hat das Kind deinem Aufruf Folge
wende das Gesicht des Kindes sanft dei-              zu leisten. Es darf nicht selbst entschei-
nem eigenen zu.                                      den, ob es sich daranhält oder nicht.

Bei jüngeren oder sehr aufmerksamkeits-              Das Gleiche gilt für Regeln – das Kind hat
schwachen Kindern kann man die Kinder                diese zu befolgen.
auch die Aufforderung wiederholen lassen.
                                                     Richtest du dagegen eine Bitte an dein Kind,
Durch deine Aufforderung sollte dein Kind            so darf es selbst entscheiden, ob es die Bitte
erkennen, dass es deinem Aufruf nachzu-              erfüllt oder nicht. Du musst seine Entschei-
kommen hat.                                          dung dann auf jeden Fall akzeptieren.

Sprich die Aufforderung klar und in einem            Häufig werden im Alltag Aufforderungen
neutralen Ton aus.                                   und Bitten vermischt und es funktioniert

                                                13
trotzdem. Bei Kindern mit ADHS ist aber              für zu streng halten. Dadurch rutschen
mehr Klarheit nötig. ADHS-Kinder müs-                Eltern schnell in einen aggressiven Erzie-
sen ohnehin schon viel Kritik einstecken.            hungsstil.
Wenn es auf eine Bitte mit „Nein“ antwor-
tet, hat es alles richtig gemacht! Hier darf         Zu strenge Strafe: Das Kind hat seine
also nicht kritisiert werden!                        Schuhe nicht ordentlich weggeräumt und
                                                     wird mit der unüberlegt ausgesproche-
Unterscheide genau zwischen Bitten und               nen Drohung „Eine Woche Fernsehver-
Aufforderungen.                                      bot!“ dann wirklich bestraft. Ähnlich hart
                                                     wäre es, wenn die Eltern die Drohung
Bitte dein Kind auch immer mal wieder um             „Dann darf dein Freund, den du morgen
einen Gefallen, bei dem es auch „Nein” sa-           zum Spielen eingeladen hast, nicht kom-
gen darf (z. B. helfen, den Mülleimer raus           men!“ wirklich umsetzen. Das Kind wird
zu bringen).                                         sich zu Recht ungerecht behandelt fühlen.
                                                     Darunter leidet meist auch die Familien-
Du solltest auf jeden Fall vermeiden, dich           stimmung deutlich.
selbst mit aggressivem Verhalten durchzu-
setzen. Dein Kind macht dabei ungünstige             Das ist verständlich. Die meisten Eltern
Erfahrungen und lernt, dass der körperlich           bleiben mit einem ratlosen Gefühl zurück.
Stärkere oder der, der am lautesten schreit,
gewinnt. Die Kinder verhalten sich dann              Hier geraten Eltern häufig in den Teufels-
selbst häufiger aggressiv – vor allem außer-         kreis: Jedes Mal, wenn sie nachgeben,
halb der Familie oder kleineren Geschwis-            geben sie auch ein bisschen mehr mit
tern gegenüber. Wenn du vermeiden willst             der Erziehung auf. Mit der Zeit lassen sie
dass sich dein Kind aggressiv verhält, ist es        dem Kind immer mehr durchgehen. Das
also wichtig, ein gutes Vorbild zu sein und          Kind gehorcht immer weniger. Seine er-
sich nicht selber aggressiv durchzusetzen.           wünschten Verhaltensweisen nehmen ab
                                                     und seine problematischen zu.
Tatsächlich passiert es den meisten El-
tern, auch mal unüberlegt Drohungen
auszusprechen. Viele merken im Nachhi-
nein, dass sie es gar nicht schaffen, die-
se Drohungen umzusetzen, weil ihr Kind
dann nur noch mehr Ärger macht (z. B. bei
Fernsehverbot). Dadurch geraten Eltern
immer wieder in Situationen, in denen
sie sich als hilflos wahrnehmen. Hinzu
kommt, dass die Kinder ihre Eltern immer
weniger ernst nehmen. Daher ist es gut,
sich vorher zu überlegen, welche Konse-
quenzen du wirklich folgen lassen kannst,
wenn das Kind die Aufforderung ignoriert.

Manche Eltern sind aber auch so sehr
um eine konsequente Erziehung bemüht,
dass sie ihre Drohungen immer durchset-
zen – selbst wenn sie diese im Nachhinein

                                                14
BEISPIEL:
SCHIMPFST DU NOCH                                   Wenn Tim endlich einmal das macht, was seine
                                                    Mutter sagt, lässt sie sich oft erschöpft in den
ODER LOBST DU SCHON?                                Sessel fallen, fertig vom ewigen „Tim hier, Tim
                                                    da!”. Oder sie muss sich ganz schnell um etwas
Versuche, dein Kind jedes Mal zu loben,             Wichtigeres kümmern, zu dem sie bis dahin
wenn es deiner Aufforderung nach-                   noch nicht gekommen ist. Bei Tim kommt das
kommt. Loben ist eine wirkungsvolle Me-             so an, als würde sich die Mutter nur mit ihm
thode: Dein Kind wird das Verhalten, das            beschäftigen, wenn er sich nicht an die Regeln
du lobst, häufiger zeigen!                          hält. Macht er das, was ihm gesagt wird, küm-
                                                    mert sich kein Mensch um ihn.

WENIGE, KLARE REGELN › AUFMERKSAMKEIT EINFORDERN › LOBEN

Vielleicht bist du einfach nur erleichtert,         Wichtig für Kinder und vor allem für ADHS-
wenn dein Kind – vielleicht nach vielen Er-         Kinder ist das zeitnahe Lob!
mahnungen – endlich einer Aufforderung
nachkommt und du das tun kannst, was                Bleibe also da, nachdem du eine Auffor-
bislang liegen geblieben ist. Vielen Eltern         derung gestellt hast und lobe dein Kind,
passiert es, dass sie in einer solchen Situ-        sobald es beginnt, deinen Anweisungen
ation schon fast ärgerlich sagen: „Warum            nachzukommen.
denn nicht gleich so?”
                                                    Eine sehr kurze Rückmeldung reicht. Du
Das Kind jedes Mal zu loben, wenn es eine           musst dein Kind nicht „über den grünen
Regel befolgt, erfordert viel Einsatzbereit-        Klee loben“.
schaft – keine Frage! Aber wenn Eltern
ihrem Kind nicht zeigen, dass sie sich über         Solltest du feststellen, dass dein Kind eine
sein erwünschtes Verhalten freuen, wird             Aufgabe aus freien Stücken und ganz
sich das Kind nicht ändern!                         ohne Aufforderung übernimmt, so hat es
                                                    sich hier natürlich ein Extra-Lob verdient.
Lob und positive Rückmeldungen sind                 Dies kann dazu führen, dass dein Kind öf-
sehr effektive Erziehungsstrategien. Das            ter mal Aufgaben übernimmt, ohne aus-
haben viele unabhängige Untersuchun-                drücklich dazu aufgefordert worden zu
gen gezeigt. Dies gilt allgemein, aber ganz         sein. Wenn du bei deinem Kind den Ein-
besonders bei ADHS-Kindern.                         druck hast, dass es bei Bitten nahezu im-
                                                    mer mit „Nein” reagiert, dann ist dieser
Lob für Selbstverständlichkeiten?                   Punkt besonders wichtig.

Viele Eltern sind durch die häufigen Pro-           Beim Loben solltest du deine Freude mit
bleme mit ihrem Kind sehr frustriert. Sie           Worten und/oder deinem Verhalten aus-
finden, dass es doch eigentlich selbstver-          drücken. Dadurch zeigst du auf direktem
ständlich ist, was sie von ihrem Kind ver-          Wege, dass du dich freust und stellst eine
langen und es dafür kein Lob braucht.               positive Stimmung her. Vor allem über die

                                               15
Zeit hinweg vermittelst du deinem Kind so          BEISPIELE FÜR BELOHNUNGEN
Anerkennung, Wärme und Liebe.
                                                   s   Du spielst mit deinem Kind drau-
Zusätzlich kannst du dein Kind auch mit Be-            ßen Fußball, Fangen oder Ball.
lohnungen auszeichnen, wenn es sich an
deine Regeln gehalten hat. Achte darauf,           s   Ihr geht zusammen Eis essen.
dass du nicht nur materiell belohnst, son-
dern auch mit gemeinsamen Aktivitäten.             s   Dein Kind darf sich ein Comic aus-
                                                       suchen.
BEISPIELE FÜRS LOBEN
                                                   s   Dein Kind darf länger fernsehen.
s   Du klopfst deinem Kind auf die
    Schulter.                                      s   Dein Kind darf etwas länger auf-
                                                       bleiben.
s   Du streichelst deinem Kind über
    die Haare.                                     s   Du spielst mit deinem Kind ein
                                                       kleines Gesellschaftsspiel.
s   Du lächelst dein Kind an und
    nickst ihm zu.                                 s   Du bastelst oder malst etwas mit
                                                       deinem Kind.
s   Du sagst einfach: „Danke. “.
                                                   s   Ihr macht zusammen einen ge-
s   Du sagst: „Es ist schön, wenn du                   mütlichen Fernsehabend mit Ka-
    tust, was ich dir sage.“.                          kao und Keksen.

s   Du sagst: „Ich freue mich, wenn                s   Ihr backt zusammen etwas.
    du das so schön machst.“ .
                                                   s   Dein Kind darf sich einen leckeren
s   Du motivierst: „Das klappt ja super!“.             Nachtisch aussuchen.

s   Du zeigst dem Kind wie ein Sport-              s   Als besondere Belohnung: Ihr
    trainer einen Daumen hoch.                         macht zusammen einen Ausflug
                                                       (Schwimmbad, Kinderbauernhof).

                                              16
KONSEQUENT SEIN
Wenn Regeln nicht eingehalten werden,
kommt es zu natürlichen Konsequenzen.

Wenn zum Beispiel eine kleine Beloh-             Lass uns einmal genauer über die natürli-
nung bei Wohlverhalten vereinbart war            chen Konsequenzen nachdenken. Mit „na-
und sich das Kind nicht an die Vereinba-         türlich“ ist gemeint: Die Konsequenz, die
rungen gehalten hat, gibt es diese nicht.        sich auf möglichst natürliche Weise ergibt.
Um Eskalationen oder Machtkämpfen                Also: Wenn das Kind ein Glas umschüttet,
vorzubeugen, kann man das Kind mit ei-           muss es den Saft aufwischen. Solange das
ner kleinen Ersatzbelohnung motivieren,          Kind nicht mit den Hausaufgaben fertig
weiterhin gut mitzumachen. Es kann in            ist, kann es nicht raus zum Spielen. Wenn
manchen Fällen notwendig sein, aus Si-           das Kind beim Essen ständig die Schwes-
tuationen rauszugehen. So könnte man             ter ärgert, gibt es keinen Nachtisch.
zum Beispiel einen Einkauf abbrechen,
wenn sich das Kind wiederholt nicht ent-
sprechend den gemeinsamen Vereinba-
rungen verhält. Das mag dir zeitaufwän-          KENNST DU DIESE SITUATION AUS EIGE-
dig erscheinen, ist aber für das Einüben         NER ERFAHRUNG MIT DEINEM KIND?
von Alltagssituationen sehr wichtig.
                                                 Eigentlich gibt es die Regel, dass Tim beim Es-
Wie häufig gibst du nach, wenn dein Kind         sen fragt, wenn er etwas haben möchte. Aber
nach wiederholter Aufforderung nicht             irgendwie versteht er das nicht: An manchen
macht, was du von ihm wünschst?                  Tagen ermahnt ihn die Mutter nur, wenn er
                                                 doch einfach über den Tisch greift. Und nur
Häufig geht es am schnellsten, die Auf-          einen Tag später muss er deswegen für eine
gabe einfach selbst zu übernehmen oder           halbe Stunde auf sein Zimmer. Und so geht
nichts mehr einzufordern, richtig? Dein          es weiter: Manchmal besteht die Mutter da-
Kind macht jedoch die Erfahrung, dass            rauf, dass er eine halbe Stunde im Zimmer
es die Nörgeleien der Eltern nur lange           bleibt. Dann wieder ist es ihr egal, wenn er
genug aushalten muss, um der Aufgabe             einfach früher wieder raus geht.
zu entgehen. Langfristig wird dein Kind
so nicht lernen, deinen Aufforderungen
nachzukommen. Daher ist es wichtig,
dass Eltern nicht nachgeben, sondern
konsequent bleiben.

Bespreche abends mit deinem Kind, wel-           Konzentriere dich hauptsächlich auf das,
che Aufforderungen es tagsüber gut be-           was gelungen ist. Kommen Aufforderungen
folgen konnte. Damit zeigst du deinem            und Regeln zur Sprache, die dein Kind nicht
Kind, dass du sein positives Verhalten           befolgt hat, dann solltest du es ermuntern,
wahrnimmst und schätzt.                          beim nächsten Mal auch auf diese zu achten.

                                            17
Wenn du einmal keine Kraft hast, eine nega-           WELCHE ARTEN VON NATÜRLICHEN
tive Konsequenz durchzuführen, dann ver-              KONSEQUENZEN GIBT ES ?
zichte lieber auf die Aufforderung oder teile
deinem Kind die Ausnahme ganz klar mit.               1. Etwas wiedergutmachen

Zum Beispiel: „Heute habe ich keine Kraft,             Der entstandene Schaden muss wiedergut-
dafür zu sorgen, dass du ruhig auf deinem              gemacht werden.
Stuhl sitzt. Ich freue mich, wenn du nicht
herumwackelst, aber ich kann mich jetzt                Das Kind baut den zerstörten Turm des
nicht darum kümmern.” Wenn dein Kind                   Bruders wieder auf.
dann „freiwillig” ruhig sitzt, solltest du mit
Lob nicht sparen.                                      Das Kind wischt den verschütteten Tee auf.

WENIGE, KLARE REGELN › AUFMERKSAMKEIT EINFORDERN › LOBEN

Wichtig ist, dass natürliche Konsequenzen
folgende Eigenschaften haben:
                                                        ODER NATÜRLICHE
Natürliche Konsequenzen müssen durch-                   KONSEQUENZ AUFFÜHREN
führbar sein! Sprich immer nur solche
negativen Konsequenzen aus, die du auch
durchführen kannst.                                   2. Aus der Situation herausmüssen

Natürliche Konsequenzen sollten sofort er-             Das Kind wird kurzzeitig aus der Situa-
folgen! Je zeitnaher, desto wirksamer! Dies            tion ausgeschlossen. Durch den Aus-
ist umso wichtiger, je jünger dein Kind ist.           schluss kann das problematische Ver-
                                                       halten schnell unterbrochen werden.
Falls einmal eine unmittelbare Konse-
quenz nicht sofort erfolgen kann (z. B. weil           Das Kind muss das Zimmer verlassen,
du das Haus verlassen musst), so solltest              in dem es den Bruder ärgert.
du deinem Kind die negative Konsequenz
unmittelbar ankündigen und zum nächst-                 Das Kind wird aus dem gemeinsamen
möglichen Zeitpunkt durchführen.                       Spiel ausgeschlossen oder muss eine
                                                       Runde aussetzen, weil es sich nicht an
Natürliche Konsequenzen müssen regel-                  eine Spielregel hält.
mäßig erfolgen! Nicht die Härte, sondern
die Regelmäßigkeit ist entscheidend. Nur               Das Kind wird für ein paar Minuten
durch die regelmäßigen und konstan-                    vom gemeinsamen Essen ausgeschlos-
ten natürlichen Konsequenzen lernt dein                sen, weil es laut rülpst.
Kind, dass sein unangemessenes Verhal-
ten nicht akzeptiert wird.                             Wirksam ist ein Ausschluss jedoch nur,
                                                       wenn er von Ihrem Kind auch als unan-
Behalte aber immer im Hinterkopf: Lob ist              genehm erlebt wird.
das A und O. Lobe dein Kind jedes Mal, wenn
es Aufforderungen und Regeln einhält!

                                                 18
Die Dauer des Ausschlusses sollte vor-           4. Geführt werden
  her von Dir festgelegt werden.
                                                     Setze die negative Konsequenz nicht
  Der Ausschluss muss nicht lange andau-             durch Worte, sondern durch eigene
  ern (eine Minute pro Altersjahr reicht).           Handlungen. Dies ist vor allem bei jün-
                                                     geren Kindern sinnvoll.
  Nach der Mindestzeit sollte das Kind
  die Möglichkeit haben, von sich aus den            Du führst die Hand des Kindes zu den
  Ausschluss zu beenden, wenn es die Re-             Schuhen, die es aufräumen soll.
  gel/Aufforderung jetzt einhalten kann.
                                                     Du begibst dich auf die Höhe deines Kindes
3. Etwas nicht mehr dürfen                           und führst seine Hand beim Aufräumen.

  Du kannst deinem Kind Dinge entzie-                Du nimmst deinem Kind das Spielzeug
  hen, die es gerne mag oder Beschäf-                aus der Hand, das es dem Bruder weg-
  tigungen untersagen, die es gerne                  genommen hat.
  macht. Der Entzug sollte möglichst mit
  dem Problemverhalten in Verbindung               DURCHFÜHRUNG
  stehen und zeitnah erfolgen.
                                                   Wenn sich dein Kind an eine Regel oder
  Das Kind kann seinen Freund nicht be-            Aufforderung nicht hält, gehe folgender-
  suchen, bevor die Hausaufgaben nicht             maßen vor:
  fertig sind.
                                                   1. Benenne zunächst die Regelverletzung
  Das Kind darf nicht mehr mit dem                 und kündige die negative Konsequenz an.
  Spielzeugschwert spielen, wenn es die
  Schwester damit haut.                            Du darfst deine Schwester nicht schlagen,
                                                   du musst jetzt in dein Zimmer!“
TIPPS FÜR DEN ENTZUG VON MEDIENZEIT:
                                                   „Du hast dein Zimmer nicht aufgeräumt.
Bei Medien sollte man statt des komplet-           Wenn du das jetzt nicht sofort machst,
ten Entzugs die Zeit einschränken. Dies            darfst du heute nur 15 Minuten fernsehen.“
kann auf Dauer sehr effektiv sein. Außer-
dem bestrafen sich die Eltern nicht selbst,        2. Gib deinem Kind eine Chance: Kommt
weil das Kind den ganzen Abend quen-               dein Kind jetzt der Aufforderung nach, so
gelt. Lasse das Kind die Medien später             lobe es dafür.
einschalten – aber nicht früher aufhören.
Das wäre zu hart. Wenn das Kind Theater            Schön, dass du jetzt aufräumst. Das freut
macht, weil es noch nicht beginnen darf,           mich! Dann darfst du heute auch deine 20
mache ihm deutlich, dass es gar nicht              Minuten fernsehen.“
schauen darf, wenn es sich nicht beruhigt.
                                                   3. Gib deinem Kind die Möglichkeit, sich
                                                   zur Regelverletzung zu äußern. Sobald
                                                   du verstanden hast, ob die Erklärung das
                                                   Fehlverhalten berechtigt oder nicht, re-
                                                   agiere entsprechend.

                                              19
„Ich habe meine Schwester gehauen, weil              Manche Eltern meinen, ihre Regeln vor
sie mir mein Spielzeug weggenommen hat.“             dem Kind verteidigen zu müssen. Wenn
                                                     ihr die Regel vorher ausführlich bespro-
„Ich habe mein Zimmer nicht aufgeräumt,              chen habt und sich dein Kind dazu äu-
weil ich Papa beim Fahrrad reparieren                ßern konnte, brauchst du in der Situation
helfen musste.“                                      selbst nicht zu diskutieren. Falls dein Kind
                                                     „neue“ Argumente hat, besprecht diese
4. Beende das Gespräch, indem du be-                 zu einem späteren Zeitpunkt in Ruhe. So
gründest, warum du die natürliche Konse-             verweigerst du deinem Kind nicht das Mit-
quenz umsetzt oder nicht.                            spracherecht.

„Du hast recht, deine Schwester darf dir             Bringe deinem Kind bei: Man kann sich
kein Spielzeug wegnehmen. Das darf aber              nicht immer rausreden, manchmal muss
trotzdem kein Grund sein, jemanden zu                man die Konsequenzen tragen.
schlagen! Du entschuldigst dich bei deiner
Schwester, sie gibt dir dein Spielzeug wie-          6. Bleibe selber ruhig.
der und ihr bleibt beide für zehn Minuten
in euren Zimmern!“                                   Wenn du selber sehr aufgewühlt bist, las-
                                                     se etwas Zeit verstreichen, verlasse den
„Verstehe. Es war lieb von dir, deinem               Raum oder atme tief durch.
Papa zu helfen. Das habe ich nicht ge-
wusst. Dann darfst du auch die vollen                Denke daran: Stelle nur dann eine Auf-
20 Minuten fernsehen. Bitte räume jetzt              forderung, wenn du weißt, was du tust,
einfach nur den Fußboden frei, damit ich             falls dein Kind deinem Aufruf nicht nach-
staubsagen kann.“                                    kommt. Wenn du dich daranhältst und
                                                     dann konsequent reagierst, wird sich die
5. Führe die negative Konsequenz durch               Situation gar nicht erst hochschaukeln:
und gehe auf keine Grundsatzdiskussio-               Du stellst deinem Kind die Aufforderung.
nen ein.                                             Hält es sich nicht daran, wiederholst du
                                                     diese noch ein zweites Mal. Kommt dein
Sohn: „Mama, wieso denn? Meine Schwester             Kind der Aufforderung wieder nicht nach,
hat angefangen, sie soll sich entschuldigen!“        führst du die natürliche Konsequenz
                                                     durch. Bei diesem Vorgehen vergeht so
Mutter: „Ich führe jetzt keine Grundsatz-            wenig Zeit, dass du dich gar nicht erst auf-
diskussion mit dir, warum du nicht hauen             regen wirst, sondern ruhig bleiben kannst.
darfst. Das können wir heute Abend ma-
chen. Jetzt gehst du in dein Zimmer. Du
kannst wiederkommen, wenn du bereit
bist, dich bei deiner Schwester zu ent-
schuldigen. Keine weitere Diskussion!“

Von Grundsatzdiskussionen in der Konflikt-
situation ist auf jeden Fall abzuraten: Dein
Kind ist emotional aufgewühlt und in diesem
Zustand für Deine Argumente gar nicht zu-
gänglich. Vielmehr lädt sich die Gesamtsitua-
tion weiter auf und kann unnötig eskalieren.

                                                20
DEINE BEZIEHUNG                                    Sage auch deinem Kind, was sich verbes-
                                                   sert hat und was du gut an ihm findest.
ZUM KIND STÄRKEN                                   Erinnere dich an das, was wir zum Thema
                                                   loben bereits gelernt haben.

BEDENKE                                            Schön wäre es, wenn ihr jeden Abend
                                                   über den Tagesablauf sprechen würdet.
Kinder, die sich geliebt fühlen, entwickeln
                                                   Nehmt euch abends zehn Minuten Zeit
sich grundsätzlich gesünder! Die Beto-
                                                   und geht gemeinsam den Tag noch ein-
nung liegt hier auf „fühlen“. Die meisten
                                                   mal in Gedanken durch. Was ist gut oder
Eltern lieben ihre Kinder, die Kinder kön-
                                                   besser als üblich gelaufen? Sage deinem
nen das aber – wenn viele Probleme da
                                                   Kind, worüber du dich gefreut hast.
sind – nicht immer spüren!
                                                   Die gute Beziehung zu deinem Kind ist
                                                   die Grundlage für alle Verhaltensände-
                                                   rungen, die du mit ihm gemeinsam an-
Wenn es tägliche Probleme gibt, kann man           streben möchtest.
die positiven Eigenschaften des eigenen
Kindes nur schwer erkennen. Deshalb lade
ich dich zu einer wohltuenden Übung ein.
Wo liegen die Stärken deines Kindes, was
                                                   DEM BEWEGUNGSDRANG
macht dein Kind einzigartig und was mag            SPIELRAUM GEBEN
es besonders? Schreibe hierzu mindestens
20 positive Eigenschaften auf. Du kannst           Da du auf der einen Seite durch Regeln dein
mit dem Vornamen des Kindes anfangen               Kind daran gewöhnst, in erforderlichen Si-
und dir zu jedem Buchstaben eine positive          tuationen Ruhe zu halten, musst du zum
Eigenschaft überlegen. Oder mache eine            Ausgleich innerhalb der täglichen Routine
Liste von A bis Z. Was magst du an deinem          Möglichkeiten bieten, wo sich das Kind austo-
Kind? Wann freust du dich über dein Kind?          ben darf. Das brauchen alle Kinder - ein Kind
Was kann dein Kind gut? Wann bist du auf           mit ADHS noch etwas mehr! Es gilt, diesen
dein Kind stolz? Beachte auch die Kleinig-         Bewegungsdrang in die richtigen Bahnen zu
keiten: Was läuft im Alltag gut? Was mag           lenken. Gezielte sportliche Aktivitäten sollten
ich, was mir vielleicht selbstverständlich         gefördert werden, damit die Kinder mal rich-
erscheint? Du wirst erstaunt sein, was dir         tig "Dampf ablassen" und sich austoben kön-
alles einfällt.                                   nen. Für konzentrierte Lernphasen bedeutet
                                                   das auch, dass immer mal wieder zwischen-
Wir haben bis hierher viel über Regeln,            durch kurze Bewegungszeiten erlaubt wer-
Kommunikation und natürliche Konse-                den müssen. Nach der Hälfte der Hausauf-
quenzen gelernt. Wenn du innerhalb dei-            gaben könnten ein paar Dehnübungen wie
ner Familie bereits begonnen hast, diese           der "Hampelmann" oder "Greifen nach den
Anregungen umzusetzen, wäre es gut,                Vögeln in der Luft" den "inneren Motor" der
wenn du wöchentlich darüber Tagebuch               ADHS-Kinder schon ein wenig ruhiger laufen
führst, wie gut eure Beziehung aktuell ist.        lassen. Des Weiteren ist Teamsport sinnvoll,
Anhand des Verlaufs kannst du schnell se-          weil das Kind hier lernt, sich zu integrieren.
hen, was sich bereits verbessert hat. Achte
besonders in Konfliktsituationen darauf,           Interessanterweise ist der Bewegungsdrang
ob sie weniger kompliziert ablaufen.               sowohl bei Kindern mit und ohne ADHS

                                              21
automatisch höher, wenn Anforderungen               ZUSAMMENARBEIT MIT DER SCHULE
an das Arbeitsgedächtnis gestellt werden
Kinder zappeln insbesondere bei geistig an-         In einem Klassenzimmer mit 25 bis 30
strengenden Aufgaben, bei denen eine Ver-           Kindern ist es wahrscheinlich, dass min-
bindung zwischen dem Kurzzeit- und Lang-            destens ein Kind ADHS hat.
zeitgedächtnis hergestellt werden muss und
bei denen man die Aufmerksamkeit bewusst            Die Erkrankung kann dazu beitragen, dass
fokussieren und immer wieder auf neue               ein Kind ein geringes Selbstwertgefühl,
wichtige Informationen ausrichten muss.             problematische Interaktionen mit Klas-
Verschiedene Forscher gehen davon aus,              senkameraden und eine schlechte Schul-
dass der enorm gesteigerte Bewegungs-               leistung aufweist. Allerdings können
drang ADHS-Betroffener in Leistungssitua-           Schüler mit der Störung sehr intelligent
tionen eine hilfreiche Kompensationsstrate-         sein.
gie sein könnte.
                                                    Die Unterscheidung eines hyperaktiv –
Bewegung kann Kindern und Jugendlichen              impulsiven Kindes von einem normalen,
mit ADHS also dabei helfen, ihre Leistungs-         aktiven Kind kann schwierig sein. Ein An-
fähigkeit bei langweiligen oder anstrengen-         haltspunkt ist, dass Kinder mit dieser Er-
den Aufgaben besser auszuschöpfen.                  krankung eher empfindlich auf Reize wie
                                                    Sehen, Hören und Berühren reagieren.
Diese Vermutung wird mittlerweile von               Wenn sie überreizt werden, können sie
weiteren aktuellen Studien bestätigt. So            ein außer Kontrolle geratenes Verhalten
erbringen ADHS-betroffene Kinder die                zeigen. Auf der anderen Seite scheinen
besten Leistungen in einem Kurzzeitge-              Kinder mit der unaufmerksamen Form
dächtnis-Test, wenn sie währenddessen               von ADHS ihre Umgebung zu verges-
exzessiv auf ihrem Stuhl herumwippen,               sen. Unterschiedliche Situationen führen
die Beine bewegen und ab und zu von                 bei diesen Kindern zu unterschiedlichen
ihrem Platz aufstehen. Eine geringe kör-            Symptomen, je nach den Anforderun-
perliche Aktivität in der Leistungssituation        gen der Situation und der Selbstbeherr-
ging hingegen mit schlechteren Testleis-            schung des Kindes.
tungen einher. Eine andere Studie zeigt
zudem, dass ADHS-betroffene Kinder vor-             Ein Kind, das in ständiger Bewegung ist,
schnelle Antworten und damit verbunde-              stört und vor dem Denken handelt, wird
ne Flüchtigkeitsfehler besser kontrollieren         bemerkt, aber das unaufmerksame Kind
können, wenn sie sich bei der Aufgaben-             vielleicht nicht. Dennoch können diese
bearbeitung stärker bewegen.                        beiden Schüler von Lehrpersonen als un-
                                                    motiviert angesehen werden.
Die Erfahrung mit ADHS-Betroffenen be-
stätigt außerdem, dass ihr Bewegungs-               Kinder, die die unaufmerksame Form
drang nicht abnimmt, wenn man ver-                  von ADHS haben, sind leicht abgelenkt
sucht, diesen zu unterbinden. Es baut               und vergesslich. Diese Kinder machen
sich bei den Betroffenen vielmehr ein               nachlässige Fehler und verrichten keine
inneres Gefühl der Unruhe auf und das               Schulaufgaben. Sie haben Schwierig-
Lernen wird als noch anstrengender und              keiten beim Zuhören, beim Aufrecht-
unangenehmer erlebt.                                erhalten der Aufmerksamkeit und beim
                                                    Befolgen von Anweisungen. Sie vermei-
                                                    den Arbeit, die anhaltende geistige An-

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