STÄRKENA - ELTERN Das ultimative Arbeitsbuch für - POTENTIALO
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VORWORT Das Selbstbild und die Selbstwertgefühle von ADHS-Patienten sind häufig gestört, da sie im Falle eines Ausfalls negative Rück- meldungen aus ihrer Umgebung erhalten. Ohne Diagnose oder mangelnde Aufklä- rung über die Krankheit verschmelzen ab einem gewissen Alter das Krankheitsbild des Patienten und das Selbstbild. Durch das verminderte Selbstwertgefühl, Überlastung und der durch das ADHS bedingten Impulsivität reagieren die Be- troffenen oft heftig, aggressiv und sozial unzureichend. Völlig unbelastete Mo- mente werden urplötzlich zu stressigen Situationen. Missverständnisse führen häufig zu einem Teufelskreis. Bei 50 Pro- zent der von ADHS betroffenen Kinder bleibt ADHS auch im Erwachsenenalter fortbestehen. Deshalb ist es so wich- tig, dass ADHS-Kinder so früh wie mög- lich lernen, sich selbst zu unterstützen. Wenn sie dann in der Lage sind, ihnen angemessene Aufgaben zu erfüllen ha- ben sie ein Erfolgsgefühl, das wiederum das Selbstwertgefühl erhöht. Es ist auch sinnvoll, den Betroffenen zu vermitteln, dass es keinen typischen ADHS-Charak- ter gibt und dass ihre Charakterzüge nur geringfügig von der ADHS-Symptomatik beeinflusst werden. Eltern können durch eine entsprechende Alltagsgestaltung zu einer gesunden Identitätsentwicklung ih- rer Kinder beitragen.
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 1 Was ist ADHS 3 Problemsituationen im Alltag 6 Regeln sind wichtig 9 Die richtige Kommunikation 12 Schimpfst du noch oder lobst du schon? 15 Konsequent sein 17 Deine Beziehung zum Kind stärken 21 Dem Bewegungsdrang Spielraum geben 21 Zusammenarbeit mit der Schule 22 Geschichte der ADHS 26 In welchem Arbeitsumfeld können erwachsene ADHS-Betroffene arbeiten? 27 Nachwort 29 Literatur und Quellen 29 Angaben über die Verfasserin 30 © 2019 Sabine Gessenich Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustim- mung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfälti- gung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Das Kopieren der Arbeitsblätter für die Arbeit mit Kindern ist erwünscht. Design & Illustration: M. Kolbenschlag • www.kolbenschlag.desgin
WAS IST ADHS Was sind nun die typischen Merkmale von ADHS-Kindern? Grundsätzlich sind ja Die Diagnose, ob dein Kind ADHS hat, soll- alle Kinder sehr verschieden. Einige sind te von einem speziell ausgebildeten Fach- lebhafter, andere ruhiger. Jüngeren Kin- mann gestellt werden. Zum Beispiel von: dern fällt es schwerer „bei der Sache zu bleiben“ als Älteren. s Kinder- und Jugendpsychiatern, Kinder mit ADHS fallen im Vergleich zu s Kinderärzten mit entsprechender gleichaltrigen und gleichbegabten Kindern Weiterbildung, durch folgende Eigenschaften auf: s Kinder- und Jugendlichenpsycho- 4. Sie haben große Aufmerksamkeits- therapeuten, und Konzentrationsstörungen. s Ärzten in sozialpädiatrischen Zentren 5. Sie zeigen (meistens) ein sehr im- pulsives Verhalten. Es handelt sich hierbei um eine sehr um- fangreiche Diagnostik. Dabei werden Symp- 6. Sie sind (meistens) sehr unruhig. tombeschreibungen durch die Eltern, durch die Schule oder den Kindergarten genauso Hierbei sind jedoch Variationen möglich: Die miteinbezogen wie Fragebögen und direk- Probleme können mehr oder weniger stark te Verhaltensbeobachtung durch den Be- ausgeprägt sein und müssen nicht bei allen handler. Andere Ursachen für auffälliges Tätigkeiten auftreten. Wenn sich ADHS-Kin- Verhalten müssen ausgeschlossen werden. der ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen (z. Aus der Distanz heraus kann ADHS nicht B. Computer spielen), zeigen sie oft keine diagnostiziert werden. oder nur geringe Symptome – selbst wenn die Tätigkeit viel Konzentration erfordert. Es Was heißt ADHS eigentlich? müssen auch nicht immer alle Auffälligkei- ten vorhanden sein. Manche Kinder haben ADHS steht für „Aufmerksamkeitsdefizit-/ hauptsächlich Aufmerksamkeitsprobleme Hyperaktivitätsstörung“. Es bezeichnet eine und sind kaum hyperaktiv oder impulsiv. Verhaltensstörung von Kindern, Jugend- Die Diagnose ist somit sehr komplex. Auch lichen oder Erwachsenen mit folgenden gibt es keine ganz klaren Grenzen, ab wann Merkmalen: ein Problem als Störung zu bezeichnen ist. Ein umfassender Eindruck bei der Diagnos- 1. starke Aufmerksamkeits- und Kon- tik ist daher sehr wichtig. zentrationsstörungen Wenn die Diagnose ADHS zutrifft, bestehen 2. starke Impulsivität durchgehend starke Probleme seit mindes- tens einem halben Jahr – meist aber schon 3. ausgeprägte körperliche Unruhe seit mehreren Jahren. Außerdem treten die (Hyperaktivität) Probleme in mehreren Lebensbereichen auf, zum Beispiel zu Hause und in der Schule. Neben ADHS gibt es übrigens auch ande- re Bezeichnungen für diese psychische Störung, wie „Hyperkinetische Störung“ oder „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“. 3
FALLBEISPIEL rollierten, impulsiven Verhaltens haben die- se Kinder häufiger Unfälle im Haushalt und Marie geht in die zweite Klasse. Sie hört auf der Straße. dem Lehrer nur selten zu, weil sie ständig abgelenkt ist. Ein Blick aus dem Fenster Der dritte Kernbereich, in dem Kinder mit kann reichen, um den Unterricht völlig zu ADHS auffallen, ist die starke körperliche vergessen. Während andere Kinder das Unruhe (auch „Hyperaktivität“ genannt). Die Matheheft rausholen, hat Marie noch nicht typischen „Zappelphilippe“ sind ständig in einmal mitbekommen, dass der Sachunter- Bewegung, laufen oder klettern permanent richt beendet ist. Für Arbeitsblätter braucht herum und wenn sie ruhig sein sollen, hal- sie oft doppelt so lange und hat sie dann ten sie das nur für kurze Zeit durch. nicht einmal vollständig bearbeitet. Da sie Aufgaben nicht richtig durchliest, verfehlt sie oft das Thema. Zu Hause ist es nicht anders. Für Hausaufgaben, die locker in 20 FALLBEISPIEL Minuten gemacht werden könnten, braucht sie stundenlang. In der Schule sind seine Finger und Füße ständig in Bewegung. Er kippelt mit dem Stuhl und schmeißt immer etwas um. Seine ganze Umgebung macht er mit seinem Ge- ADHS-Kinder fallen dadurch auf, dass sie zappel nervös. Das geht schon morgens los. schnell das Interesse verlieren und ihre Auf- Punkt sechs Uhr trällert er bereits ein Lied- gaben oder ihre Tätigkeiten vorzeitig be- chen und muss seiner Mutter ständig etwas enden. Dies gilt vor allem für Beschäftigun- ganz Dringendes erzählen. Er rast zwischen gen, die geistig anstrengend sind und von Kinderzimmer, Küche und Wohnzimmer hin anderen vorgegeben werden (z. B. Haus- und her und kommt dabei gar nicht mit dem aufgaben). ADHS-Kinder können sich also voran, was er machen soll. Bei fast jedem prinzipiell schon konzentrieren, sie benöti- Mittagessen steht er drei- bis viermal auf, im- gen dafür aber deutlich mehr Energie und mer wieder fällt etwas um, weil er mit seinen Motivation als andere. Bei selbst gewählten Händen überall dran ist. Tätigkeiten fällt es ihnen daher viel leichter – obwohl es auch hier vorkommen kann, dass sie schnell das Interesse verlieren und etwas anderes machen. Bei Kindern mit ADHS fällt dieses Ver- halten in mehreren Lebensbereichen auf Neben Aufmerksamkeits- und Konzent- und vor allem dann, wenn sich das Kind rationsproblemen fallen Kinder mit ADHS ruhig verhalten soll – also zum Beispiel im durch ihre ausprägte Impulsivität auf. Unterricht, bei den Hausaufgaben oder „Impulsiv“ bedeutet: Die Kinder können wenn es anderen zuhören soll. Nur wenn schlecht abwarten. Sie platzen mit Antwor- sich die Kinder ihrer Lieblingsbeschäfti- ten heraus, bevor Fragen zu Ende gestellt gung widmen, zeigen sie oft keine oder sind oder unterbrechen andere häufig. Sie nur geringe Symptome – selbst wenn die handeln plötzlich und unüberlegt. Wenn sie Tätigkeit viel Konzentration erfordert. etwas haben wollen, muss es sofort sein. Sie denken nicht über die Folgen ihrer Hand- Der Übergang zwischen „normalem“ und lungen nach. In dieser Hinsicht benehmen auffälligem Verhalten ist fließend. Bei sie sich also so, wie es bei jüngeren Kindern den meisten Kindern sind die Verhaltens- eigentlich üblich ist. Aufgrund ihres unkont- probleme noch im „normalen“ Bereich. 4
Manche Kinder sind einfach ein bisschen So werden sie häufig deswegen schneller wild, impulsiv und manchmal unkonzen- wütend, weil sie impulsiver sind, sich nicht triert. Diese Eigenschaften treten nicht in gut kontrollieren können und weniger an allen Situationen gleichermaßen auf und die Folgen denken. Außerdem schieben sie die Kinder können sich meistens auch die Schuld auch deswegen schneller auf mal über einen längeren Zeitraum unauf- andere, weil sie ohnehin viel kritisiert wer- fällig verhalten. Nur wenn die Aufmerk- den und sich schützen möchten. Wie die samkeitsstörungen, die Hyperaktivität meisten Kinder tun sie viel, um Aufmerk- oder die Impulsivität so stark ausgeprägt samkeit zu bekommen – Aufmerksamkeit sind, dass sie das Kind oder seine Um- entsteht auch, wenn sie andere ärgern. welt stark beeinträchtigen, sprechen wir von ADHS. Viele Kinder mit ADHS haben schulische Leistungsprobleme, weil es ihnen so Zum Beispiel, wenn das Kind in seinen schwerfällt, konzentriert und ausdauernd Leistungen deutlich hinter seinem Poten- zu lernen und im Unterricht aufzupassen. tial zurückbleibt, wenn es in der Familie Diese Kinder haben meistens auch Proble- oft Streit gibt, weil das Kind nicht hört, un- me bei den Hausaufgaben. Darüber hinaus ruhig ist und ständig Aufmerksamkeit ver- haben manche Kinder mit ADHS und schu- langt oder wenn das Kind keine richtigen lischen Leistungsproblemen zudem auch Freunde findet und sich viel mit Gleichalt- noch spezielle Defizite, wie zum Beispiel rigen streitet. eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Aber selbst wenn ein Kind Unruhe, Kon- Viele Kinder mit ADHS leiden auch an Un- zentrationsschwierigkeiten und impul- sicherheit und mangelndem Selbstver- sives Verhalten zeigt, heißt das noch im- trauen – also der Fähigkeit, auf sich selbst mer nicht, dass automatisch eine ADHS und die eigenen Leistungen zu zählen. vorliegen muss. Andere Ursachen für Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten Ein geringes Selbstvertrauen kann natür- und impulsives Verhalten können Lern- lich viele Gründe haben. Bei Kindern mit behinderungen, geistige Behinderungen, ADHS leidet das Selbstvertrauen häufig schulische Überforderung, familiäre Be- durch die vielen negativen Erfahrungen lastungen, Ängste oder andere emotiona- und Rückmeldungen. Alle reden nur von le Belastungen sein. den Problemen, oft im Beisein des Kindes. Da die Kinder häufig Ablehnung von ande- Häufig treten mit der ADHS auch noch ren Menschen erfahren, trauen sie sich we- weitere Verhaltensprobleme auf. Am wei- niger zu als andere. Einige entwickeln mit testen verbreitet ist das so genannte „op- der Zeit auch Ängste und Unsicherheiten. positionelle Verhalten“. Das heißt, die Kin- der können sich schlecht an Regeln halten Diese Schwierigkeiten fallen häufig zu- und reagieren aggressiver. Dadurch strei- nächst weniger auf, weil die anderen Prob- ten sie sich häufig mit vertrauten Erwach- leme (vor allem die Schulprobleme) mehr senen, Geschwistern und Gleichaltrigen. ins Auge springen. Die Kinder wirken nach außen eher stark und unbekümmert. Das Temperament dieser Kinder ist oft eine Herausforderung, aber sie sind des- Ein weiteres häufiges Problem bei Kindern wegen keine schlechten Menschen. Meis- mit ADHS ist die Ablehnung durch Andere. tens gibt es einen Grund für ihr Verhalten. 5
Das kann für das Kind, aber auch für die PROBLEMSITUATIONEN IM ALLTAG Eltern sehr belastend sein. Wo läuft etwas schief und was kannst du Viele Kinder mit ADHS haben mit diesem dagegen tun? Problem zu kämpfen. Sie werden abge- lehnt, weil sie aufgrund ihrer Unruhe und Der Alltag in Familien mit Kindern, die Impulsivität beim Spiel stören oder wegen eine ADHS – Diagnose haben, ist oftmals ihres ewigen „auf dem Sprung seins“ als eine Herausforderung. Wutanfälle oder Störenfriede gelten. Viele dieser Kinder der Streit mit Geschwistern sind keine Sel- haben immer nur die eigenen Spielideen tenheit. Oder dein Kind unterbricht dich im Kopf. Es fällt ihnen schwer, die Bedürf- ständig, ist extrem unordentlich, unruhig nisse der anderen wahrzunehmen und und nicht vom Fernsehen oder Computer die eigenen zurückzustellen. Dies führt wegzubringen. ebenfalls häufig dazu, dass sie abgelehnt werden. Diese Erfahrung schmerzt sie. Schauen wir uns einmal diese einfache Alltagssituation an: „Thomas, zieh bitte Leider ist nicht nur die Beziehung zu deine Schuhe aus.“ Gleichaltrigen, sondern auch die Bezie- hung zu Erwachsenen häufig belastet. Macht das Kind, was die Eltern gesagt ha- ben, achten die meisten Eltern nicht wei- Vielleicht hast du jetzt den Eindruck, dass ter auf ihr Kind. ein ADHS-Kind nur aus Schwächen und Defiziten besteht. Um möglichst gezielt Macht das Kind nicht, was die Eltern ge- Hilfe zu leisten, ist es wichtig, sich ein kom- sagt haben, wiederholen die Eltern ihre plettes Bild von der Situation zu machen Aufforderung. und alle damit einhergehenden Probleme zu beschreiben. Beispiel: „Thomas, zieh JETZT BITTE deine Schuhe aus!" Trotzdem sind ADHS-Kinder wunderbare Kinder mit vielen Stärken! Jenseits der Pro- In der Regel werden die Eltern bei jeder bleme zeichnen sich ADHS-Kinder zum Bei- Wiederholung der Aufforderung gereizter. spiel häufig durch ihre ausgeprägte Kreati- vität, ihr Einfühlungsvermögen in andere, Macht das Kind jetzt, was die Eltern sagen, ihren starken Gerechtigkeitssinn oder ihre wenden sich die Eltern – meist ärgerlich – Hilfsbereitschaft aus. Außerdem sind sie wieder ihren Beschäftigungen zu. schnell im Denken und sehr leistungsfä- hig – wenn sie motiviert sind. Wir werden Macht das Kind immer noch nicht, was die uns im Kapitel „Deine Beziehung zum Kind Eltern sagen, fangen viele Eltern an, ihren stärken“ noch näher damit beschäftigen. Kindern zu drohen. Beispiel: „Thomas, wenn du jetzt nicht END- LICH deine Schuhe ausziehst, dann kannst du deine Fernsehsendung vergessen!“ Diese meist unüberlegt geäußerten Dro- hungen werden oft wiederholt und fallen dabei häufig immer heftiger aus. 6
Macht das Kind endlich, was die Eltern sa- Tim und seine Mutter: gen, wenden sich die Eltern meist wütend ab und wieder ihren Beschäftigungen zu. Vor anderen gebe ich häufig nach. Ich habe Angst, dass Tim mich schlägt. Wenn Macht das Kind immer noch nicht, was die ich mit Tim alleine bin, reagiere ich meist Eltern sagen, sind die Eltern häufig ratlos. wütender und schimpfe mit ihm. Manch- Viele Eltern geben nach, übernehmen die mal bleibe ich hart und stehe das irgend- Aufgabe selbst oder reagieren aggres- wie durch. Manchmal gebe ich auch nach, siv und werten ihre Kinder massiv ab. Im weil ich einfach nicht mehr kann. schlimmsten Fall werden die Kinder ge- schlagen. Wenn ich nachgebe, wird Tim ruhiger. Er hat, was er will. Tim ist dann schnell wie- Beispiel: „Du hast ja wohl einen Vogel, der guter Laune. Wenn ich nicht nachgebe, hier einfach mit Schuhen rumzurennen! brüllt er bis zu einer halben Stunde, be- Immer machst du nur Ärger!“ schimpft mich und schlägt sogar nach mir. Mit etwas Abstand betrachtet, kannst du Tim kann schnell verzeihen. Mir fällt das vielleicht erkennen, dass hier bereits in deutlich schwerer. Seine Wörter und einer einfachen Alltagssituation ein regel- Schläge liegen mir schwer im Magen. Groß rechter Teufelskreis entstehen kann. Wir reden wir nicht darüber, weil wir dann werden in den Kapiteln „Regeln“ und „Kom- meistens erneut streiten oder schlechte munikation“ noch näher darauf eingehen. Stimmung entsteht Eine Besonderheit im Zusammenhang Wenn Tim gut drauf ist, lässt er sich beim mit ADHS sind die Wutanfälle. Essen von seiner Schwester weniger schnell provozieren. Ums Fernsehen strei- In welchen konkreten Situationen be- ten wir uns aber eigentlich immer. kommt Dein Kind häufig Wutanfälle? Ich reagiere nicht großartig. Meistens ist FALLBEISPIEL die Stimmung in solchen Situationen ein- fach besser zwischen uns. 7
Schauen wir uns einmal die Wutanfall-Si- Kinder. Solltest du dann irgendwie anders tuationen von Tim und seiner Mutter ge- reagieren? Du ahnst es vermutlich selbst: nau an: Es würde nichts helfen! Die Situation wür- de sich einfach nur weiter aufschaukeln. Können wir die Situationen so umgestal- Verhalte dich also genau so, als ob es dein ten, dass die Gründe für die Wut gar nicht Kind nicht besser könnte. Fordere klar mehr vorliegen? auf und lasse natürliche Konsequenzen folgen. (Wir werden hierüber noch mehr 1. Wutanfall-Situation: Beim Essen, im Kapitel ‚Natürliche Konsequenzen‘ er- wenn Tim von seiner Schwester ge- fahren). Lasse auch keine „härteren“ Kon- ärgert wird. sequenzen folgen! Du zeigst damit: „Ich lasse mich nicht provozieren. Es ist deine Situationsveränderung: Ein Elternteil Verantwortung.“ sitzt von nun ab zwischen Tim und Johanna. Selbst wenn dein Kind schreit: „Ich hasse dich, du bist doof!“, bleibe ruhig! Dieses 2. Wutanfall-Situation: Wenn Tim un- Verhalten ist keinesfalls ungewöhnlich. gefragt fernsieht und seine Mutter Dein Kind sagt vielleicht: „Ich hasse dich!“. es ihm dann verbietet. Es meint aber damit: „Ich hasse, dass du mir das gerade verbietest!“, „Ich hasse, Situationsveränderung: Der Fernseher dass du mir nicht das gibst, was ich will!“. steht in einem abschließbaren Fern- sehschrank. SO KANNST DU DEINEM KIND IM UM- GANG MIT SEINER WUT HELFEN: Fallen dir Wutanfall-Situationen in deiner Familie ein, die du durch Situationsverän- Bleibe möglichst ruhig. derung ausschalten kannst? Reagiere schon bei den ersten Anzeichen Hilf deinem Kind, sich nicht in einen Wut- von Wut. Bringe dein Kind auf andere Ge- anfall hineinzusteigern! danken: „Komm, wir schauen uns deine Spielzeugautos an!“ und vereinbare ein Bedenke: In den meisten Fällen wird dein Zeichen: „Wir atmen jetzt dreimal tief Kind nicht deswegen wütend, weil es dich durch und bleiben cool!“. ärgern möchte oder sich „keine Mühe“ gibt. Dein Kind kann sich wirklich schlech- Weise auf die Regeln und die Konsequen- ter kontrollieren – und leidet darunter zen hin: „Wenn du dich an die Regel hältst, meist genauso wie du. kannst du heute deine Lieblingssendung schauen, ansonsten darfst du erst zehn Wenn dein Kind eine ADHS-Diagnose hat, Minuten später einschalten.“. solltest du berücksichtigen, dass dein Kind impulsiv ist und sich schwer zurückhalten Machen deinem Kind Mut: „Komm, das kann. Dass es sich für alles viel mehr an- schaffst du!“. strengen muss als andere Kinder. Dennoch: Sicherlich gibt es auch mal Si- tuationen, in denen sich dein Kind ab- sichtlich „schlecht“ benimmt – so wie alle 8
SO KANNST DU DEINEM KIND WÄHREND REGELN SIND WICHTIG EINES WUTANFALLS HELFEN: Für den Alltag mit einem ADHS Kind ist das Nimm die Wut nicht persönlich. Je ruhiger Erstellen von Regeln immens wichtig. Für du selbst bleibst, desto günstiger wird die alle Situationen in denen üblicherweise Situation verlaufen! Sei zugewandt, klar Stress entsteht, solltest du gemeinsame und eindeutig. Vereinbarungen mit deinem Kind treffen. Experten empfehlen für besonders starke Nenne deinem Kind Möglichkeiten, wie Probleme mit Wutanfällen, Belohnungs- es seine Wut loszuwerden kann: Ins Kis- pläne aufzustellen. Wohlverhalten wird sen brüllen, Kissen auf den Boden wer- mit einem Punktesystem belohnt und für fen, laut schreien, einen weichen Ball fest eine bestimmte Anzahl an Punkten er- drücken, in sein Zimmer gehen... hält das Kind etwas Schönes, was es sich schon länger wünscht. Wenn dein Kind schlägt oder andere be- schimpft: Führe dein Kind an einen neut- Eigentlich hat Tim‘s Mutter klare Vorstel- ralen Ort oder verlasse selbst den Raum. lungen davon, was Kinder dürfen und was nicht. Aber die Tage sind eben immer an- Wenn dein Kind mit Gegenständen wirft: ders und so achtet sie auch nicht immer in Halte dein Kind auf ruhige Art fest und gleicher Weise auf die Regeln. Manchmal nimm ihm den Gegenstand aus der Hand. will Tim’s Mutter zum Beispiel unbedingt, dass alle mit sauberen Händen am Tisch Wenn sich alle beruhigt haben: Lasse sitzen. Dann wiederum vergisst sie, über- dein Kind erklären, was es so wütend ge- haupt darauf zu achten. macht hat? Versuche, dein Kind zu ver- stehen und Lösungen zu finden. Wie konsequent achtest du auf die Einhal- tung von Familienregeln? Kleiner Tipp: Wenn du selbst sehr wütend bist: Atme dreimal tief durch oder verlasse – nach Ankündigung – den Raum: „Wir sind jetzt beide sehr wütend, das ist nicht gut. Ich gehe jetzt erst mal in die Küche und du in dein Zimmer und später sehen wir weiter!“ BEISPIEL FÜR FAMILIENREGELN s Um 08:00 Uhr wird gemeinsam ge- frühstückt. s Straßenschuhe werden nicht in der Wohnung getragen. s Jeder räumt nach dem Essen sei- nen Teller in die Küche. s Um 19:00 Uhr gibt es Abendessen. 9
Eltern von schwierigen Kindern geraten häu- Freiheiten ausgeglichen ist: Welche Re- fig in Situationen, in denen sie mal auf eine geln haben wir? Sind alle Regeln wichtig? Regel pochen und dann wieder überhaupt Gibt es Regeln, die nicht unbedingt nö- nicht. Manche Eltern lassen ihren Kindern tig sind? Die nicht ganz so notwendigen auch generell zu viel durchgehen. Dies ist an- Regeln könnte man dann zugunsten der gesichts der vielen schwierigen Situationen, Freiheit der Kinder fallen lassen. die man als Eltern mit seinen hyperaktiven Kindern täglich erlebt, nachvollziehbar. REGELN FÜR WUTANFALL-SITUATIONEN Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Mit klaren Regeln kann man sowohl die Manche Eltern stellen zu Hause auch zu Situationen von vornherein entschärfen, strenge Regeln auf und lassen den Kin- in denen Wutanfälle häufig auftreten als dern so zu wenig Freiheit. auch dem Kind im Falle eines Wutanfalls klare Grenzen setzen. Das Kind weiß ge- Ein konsequenter und ausgewogener Um- nau, was es darf und was nicht. Grundsatz- gang mit Regeln ist bei der Erziehung allgemein diskussionen können vermieden werden. wichtig. Bei Kindern mit ADHS noch mehr. Lasse uns mit den Regeln für die Situatio- Jede Familie muss für sich selbst einord- nen beginnen, in denen Wutanfälle häufig nen, wie viele Regeln ihr gut tun. Fakt ist, auftreten. Du hast dir bereits überlegt, wie dass Kinder beides brauchen – sowohl du die Situationen so verändern kannst, Freiheit als auch Grenzen und Regeln. dass weniger Ursachen für einen Wutan- fall vorliegen. Freiheit ist wichtig, damit Kinder sich unge- hemmt entfalten und entdecken können. Überlege jetzt: Mit welchen Regeln kannst Nur mit genügend Freiheit können Kinder du diese Wutanfall-Situationen zudem lernen, eigene Entscheidungen zu treffen noch klarer gestalten? und Verantwortung zu tragen. Kinder brau- chen auch das Recht, etwas ablehnen zu Schreibe jeweils eine Regel in eine Zeile. Wir können. Zu viel Freiheit kann Kinder aber werden uns zu jeder Regel noch weitere Ge- auch überfordern, weil ihnen dann die not- danken machen – zum Beispiel wie du dein wendige Orientierung in der Welt fehlt. Kind lobst, wenn es die Regel einhält. Grenzen und Regeln sind wichtig, weil die Wir kommen noch darauf zu sprechen, wie Welt dadurch überschaubar und bere- du es schaffst, dass sich dein Kind an die chenbar wird. Klare Grenzen und Regeln Regeln hält. Jetzt ist es erst einmal wichtig, bieten den Kindern Sicherheit und Ver- sich sinnvolle Regeln zu überlegen. lässlichkeit. Außerdem können Kinder in der Gesellschaft nur klarkommen, wenn Prüfe im Anschluss noch einmal: Sind dei- sie es schaffen, sich an Regeln zu halten. ne Regeln klar und eindeutig? Weiß dein Gerade für Kinder mit ADHS sind klare Kind genau, wie es sich verhalten soll? Die Grenzen und Regeln wichtig. Zu viel davon Regel „Mein Kind soll nicht so viel fernse- kann den Kindern jedoch auch „die Luft hen“ ist zum Beispiel nicht klar und ein- zum Atmen nehmen”. deutig. Hier können Eltern und Kind sehr unterschiedliche Auffassungen haben. Überprüft am besten regelmäßig, ob das Besser: „Mein Kind darf jeden Abend ab aktuelle Verhältnis zwischen Regeln und 18.00 Uhr eine halbe Stunde fernsehen“. 10
WUTANFALL-SITUATION Deine Regeln sollten unbedingt von Dei- nem Kind angenommen oder zumindest Tim bekommt jedes Mal einen Wutanfall, wenn akzeptiert werden. Nur dann wird es sich die Mutter ihm das Fernsehen verbietet. künftig auch daranhalten. Beherzige daher folgende Tipps: Situationsveränderung: Der Fernseher steht in einem abschließbaren Fernsehschrank. 1. Dein Kind sollte nicht denken, dass nur es selbst sich an Regeln halten muss. Regel: „Tim darf tagsüber nicht fernsehen“. Überlege daher: Gilt eine der Regeln auch für die anderen (z. B.: „Wir schlagen Überlege, welche Regeln Dir am wichtigs- nicht“)? Gibt es Regeln für andere Fami- ten sind und übernimm nur die Regeln, für lienmitglieder? deren Einhaltung du auch wirklich sorgen willst. Bitte nicht mehr als drei Regeln. 2. Überlege vorab, warum die Regel nötig ist und was passiert, wenn es Sollte dir die Auswahl schwerfallen, so die Regel nicht gibt. möchte ich dich beruhigen: Mit wenigen Re- geln stellst du sicher, dass du konsequent Die Regel „Tim darf tagsüber nicht auf deren Einhaltung achten kannst. Auch fernsehen“ in unserem Beispiel ist der dein Kind ist so besser in der Lage, die Re- Mutter zum Beispiel wichtig, weil sie geln einzuhalten. Außerdem kannst du möchte, dass sich tagsüber alle aktiv be- nicht alle Probleme an einem Tag lösen und schäftigen und nicht vor dem Fernseher schon erste kleine Schritte stellen oft eine sitzen. Ohne die Regel streitet sie sich große Entlastung dar! mit Tim fast täglich über das Fernsehen. Sie möchte nun Klarheit schaffen, was Tim darf und was nicht. BEISPIEL FÜR 3 REGELN Regel 1: „Tim darf tagsüber nicht fernsehen“. KLEINER TIPP: Regel 2: „Tim darf keine Gegenstände herumwerfen“. Da die Kinder ein beschriebenes Blatt mit Re- geln selten lesen, hat es sich bewährt, die Re- Regel 3: geln mit Bildern zu verdeutlichen. Schön ist es „Tim darf andere nicht schlagen“. auch, dieses Blatt gemeinsam zu gestalten. 3. Falls du einen Partner hast, besprich die Regeln vorab mit ihm. Bedenke : Es ist weniger wichtig, auf welche Regeln ihr euch einigt, als dass ihr euch überhaupt einigt. 11
4. Haltet einen „Familienrat“ ab und DIE RICHTIGE KOMMUNIKATION besprecht die Regeln mit dem Kind. Bis hierher haben wir Klarheit über die Erkläre zum Beispiel, dass du über das konkreten Probleme durch ADHS, haben Thema „Wutanfälle“ reden möchtest. überlegt, wie du Situationen so ändern kannst, dass manche Probleme gar nicht Erkläre in Ruhe, welche Regeln du dir erst entstehen, und du hast klare Regeln überlegt hast und warum die Regeln für die Probleme deines Kindes aufgestellt. wichtig sind. Jetzt lernst du, wie du deine Aufforderun- Höre dir die Meinungen und Einwände gen so stellen kannst, dass dein Kind dei- deines Kindes an und nehme diese ernst. nem Aufruf auch wirklich nachkommt. Frage dein Kind auch nach eigenen Re- Lasse uns wieder mit einem Beispiel beginnen: gelvorschlägen. Die Mutter bereitet das Abendessen vor. Ändere die Regeln ab, wenn dir dies Tim kommt nach Hause und rennt mit sinnvoll erscheint. Schuhen in sein Zimmer. Tim’ Mutter ruft ihm aus der Küche hinterher: „Tim, du Legt am Ende die Regeln fest. sollst deine Schuhe auszie...“ Da knallt schon die Tür des Kinderzimmers zu. Tim Mache deutlich, dass die Regeln akzep- hat seine Mutter überhaupt nicht wahrge- tiert werden müssen, auch wenn dein nommen. Kennst du das? Kind die Regeln dann immer noch nicht sinnvoll findet. Wie häufig gibst du deinem Kind eine Auf- forderung, ohne darauf zu achten, ob dein Wichtig ist, dem Kind von Anfang deut- Kind dir zuhört? lich zu machen, dass die Regeln kein Be- strafungsinstrument sind, sondern dabei Viele Eltern rufen einfach etwas „in den helfen, die Situation und die Stimmung Raum hinein“. Ohne darauf zu achten, ob zu verbessern. Daher ist es wichtig, be- das Kind sie überhaupt wahrnimmt, wie- reits bei Einführung der Regeln auf eine derholen sie ihre Aufforderungen immer positive Atmosphäre zu achten. wieder, bis sie entnervt aufgeben oder sehr wütend werden. Die Regeln können erst einmal locker be- sprochen werden. Du kannst jedoch nicht Kinder kommen Aufforderungen eher davon ausgehen, dass sich dein Kind die nach, wenn Eltern diese auf eine andere Regeln sofort merkt und sich daranhält. Art und Weise stellen. Du wirst noch eine Weile konsequent, aber liebevoll an die Regeln erinnern und Bevor du eine Aufforderung stellst, soll- auf deren Einhaltung achten müssen. test du immer schon wissen, was du tust, wenn dein Kind der Aufforderung nicht nachkommt. Wie ist das bei dir? Weißt du immer schon vorher, was du machen wirst, wenn dein Kind der Aufforderung nicht nachkommt? 12
Bevor du aufforderst, überlege erst, ob dir Mache deinem Kind durch deine Stimme die Aufforderung überhaupt wichtig ist. deutlich, dass dir die Aufforderung wichtig Fordere nur auf, wenn dir etwas wirklich ist. Sprich aber unbedingt in einem Ton- wichtig ist. Überlege dann, was du machst, fall, mit dem du selbst auch angespro- wenn dein Kind deiner Aufforderung nicht chen werden möchtest. (Wird man auf nachkommt. Erst wenn du das weißt, soll- unfreundliche, kommandierende oder test du auffordern. abwertende Weise aufgefordert, hat man selbst auch keine Lust, Folge zu leisten.) Wenn du nicht reagieren kannst oder willst – sei es weil Kraft, Zeit und Nerven Natürlich bestimmt auch die Situation fehlen oder die Situation ungeeignet ist die Tonlage. Wenn man das Kind in einer (weil z. B. Besuch da ist) – dann: Stelle die völlig unkomplizierten Situation dazu auf- Aufforderung gar nicht erst! Du kannst fordert, seine Hände zu waschen, ist das stattdessen dein Kind bitten. Dann kann natürlich etwas ganz anderes, als wenn es selbst entscheiden, ob es die Bitte frei- das Kind wütend um sich schlägt. Sicher- willig erfüllt oder nicht. Der Lerneffekt für lich wird die Aufforderung im zweiten Fall das Kind ist dann günstiger. nicht mehr so freundlich, sondern be- stimmt klingen. Was du tun kannst, wenn dein Kind deiner Aufforderung nicht nachkommt, erfährst Kleine Kinder oder Kinder mit ADHS kön- du im Kapitel „Natürliche Konsequenzen“. nen sich meistens nur eine oder höchs- Hier geht es erst einmal um das richtige tens zwei Aufforderungen auf einmal Stellen einer Aufforderung. merken. Stelle daher zu einem Zeitpunkt immer nur eine Aufforderung. Passe auf, Wie sprichst du mit deinem Kind, wenn du dass eine Aufforderung auch wirklich nur ganz sicher sein möchtest, dass dein Kind aus einer Aufgabe besteht. Stelle ansons- die Aufforderung wirklich wahrnimmt? ten mehrere einzelne Aufforderungen hintereinander. Gehe auf die Höhe des Kindes herunter. Aufforderungen und Regeln sind nicht Stelle Körperkontakt her (z. B. Arm auf die das Gleiche wie Bitten: Schulter legen). Richtest du eine Aufforderung an dein Halte Blickkontakt zum Kind. Wenn nötig, Kind, so hat das Kind deinem Aufruf Folge wende das Gesicht des Kindes sanft dei- zu leisten. Es darf nicht selbst entschei- nem eigenen zu. den, ob es sich daranhält oder nicht. Bei jüngeren oder sehr aufmerksamkeits- Das Gleiche gilt für Regeln – das Kind hat schwachen Kindern kann man die Kinder diese zu befolgen. auch die Aufforderung wiederholen lassen. Richtest du dagegen eine Bitte an dein Kind, Durch deine Aufforderung sollte dein Kind so darf es selbst entscheiden, ob es die Bitte erkennen, dass es deinem Aufruf nachzu- erfüllt oder nicht. Du musst seine Entschei- kommen hat. dung dann auf jeden Fall akzeptieren. Sprich die Aufforderung klar und in einem Häufig werden im Alltag Aufforderungen neutralen Ton aus. und Bitten vermischt und es funktioniert 13
trotzdem. Bei Kindern mit ADHS ist aber für zu streng halten. Dadurch rutschen mehr Klarheit nötig. ADHS-Kinder müs- Eltern schnell in einen aggressiven Erzie- sen ohnehin schon viel Kritik einstecken. hungsstil. Wenn es auf eine Bitte mit „Nein“ antwor- tet, hat es alles richtig gemacht! Hier darf Zu strenge Strafe: Das Kind hat seine also nicht kritisiert werden! Schuhe nicht ordentlich weggeräumt und wird mit der unüberlegt ausgesproche- Unterscheide genau zwischen Bitten und nen Drohung „Eine Woche Fernsehver- Aufforderungen. bot!“ dann wirklich bestraft. Ähnlich hart wäre es, wenn die Eltern die Drohung Bitte dein Kind auch immer mal wieder um „Dann darf dein Freund, den du morgen einen Gefallen, bei dem es auch „Nein” sa- zum Spielen eingeladen hast, nicht kom- gen darf (z. B. helfen, den Mülleimer raus men!“ wirklich umsetzen. Das Kind wird zu bringen). sich zu Recht ungerecht behandelt fühlen. Darunter leidet meist auch die Familien- Du solltest auf jeden Fall vermeiden, dich stimmung deutlich. selbst mit aggressivem Verhalten durchzu- setzen. Dein Kind macht dabei ungünstige Das ist verständlich. Die meisten Eltern Erfahrungen und lernt, dass der körperlich bleiben mit einem ratlosen Gefühl zurück. Stärkere oder der, der am lautesten schreit, gewinnt. Die Kinder verhalten sich dann Hier geraten Eltern häufig in den Teufels- selbst häufiger aggressiv – vor allem außer- kreis: Jedes Mal, wenn sie nachgeben, halb der Familie oder kleineren Geschwis- geben sie auch ein bisschen mehr mit tern gegenüber. Wenn du vermeiden willst der Erziehung auf. Mit der Zeit lassen sie dass sich dein Kind aggressiv verhält, ist es dem Kind immer mehr durchgehen. Das also wichtig, ein gutes Vorbild zu sein und Kind gehorcht immer weniger. Seine er- sich nicht selber aggressiv durchzusetzen. wünschten Verhaltensweisen nehmen ab und seine problematischen zu. Tatsächlich passiert es den meisten El- tern, auch mal unüberlegt Drohungen auszusprechen. Viele merken im Nachhi- nein, dass sie es gar nicht schaffen, die- se Drohungen umzusetzen, weil ihr Kind dann nur noch mehr Ärger macht (z. B. bei Fernsehverbot). Dadurch geraten Eltern immer wieder in Situationen, in denen sie sich als hilflos wahrnehmen. Hinzu kommt, dass die Kinder ihre Eltern immer weniger ernst nehmen. Daher ist es gut, sich vorher zu überlegen, welche Konse- quenzen du wirklich folgen lassen kannst, wenn das Kind die Aufforderung ignoriert. Manche Eltern sind aber auch so sehr um eine konsequente Erziehung bemüht, dass sie ihre Drohungen immer durchset- zen – selbst wenn sie diese im Nachhinein 14
BEISPIEL: SCHIMPFST DU NOCH Wenn Tim endlich einmal das macht, was seine Mutter sagt, lässt sie sich oft erschöpft in den ODER LOBST DU SCHON? Sessel fallen, fertig vom ewigen „Tim hier, Tim da!”. Oder sie muss sich ganz schnell um etwas Versuche, dein Kind jedes Mal zu loben, Wichtigeres kümmern, zu dem sie bis dahin wenn es deiner Aufforderung nach- noch nicht gekommen ist. Bei Tim kommt das kommt. Loben ist eine wirkungsvolle Me- so an, als würde sich die Mutter nur mit ihm thode: Dein Kind wird das Verhalten, das beschäftigen, wenn er sich nicht an die Regeln du lobst, häufiger zeigen! hält. Macht er das, was ihm gesagt wird, küm- mert sich kein Mensch um ihn. WENIGE, KLARE REGELN › AUFMERKSAMKEIT EINFORDERN › LOBEN Vielleicht bist du einfach nur erleichtert, Wichtig für Kinder und vor allem für ADHS- wenn dein Kind – vielleicht nach vielen Er- Kinder ist das zeitnahe Lob! mahnungen – endlich einer Aufforderung nachkommt und du das tun kannst, was Bleibe also da, nachdem du eine Auffor- bislang liegen geblieben ist. Vielen Eltern derung gestellt hast und lobe dein Kind, passiert es, dass sie in einer solchen Situ- sobald es beginnt, deinen Anweisungen ation schon fast ärgerlich sagen: „Warum nachzukommen. denn nicht gleich so?” Eine sehr kurze Rückmeldung reicht. Du Das Kind jedes Mal zu loben, wenn es eine musst dein Kind nicht „über den grünen Regel befolgt, erfordert viel Einsatzbereit- Klee loben“. schaft – keine Frage! Aber wenn Eltern ihrem Kind nicht zeigen, dass sie sich über Solltest du feststellen, dass dein Kind eine sein erwünschtes Verhalten freuen, wird Aufgabe aus freien Stücken und ganz sich das Kind nicht ändern! ohne Aufforderung übernimmt, so hat es sich hier natürlich ein Extra-Lob verdient. Lob und positive Rückmeldungen sind Dies kann dazu führen, dass dein Kind öf- sehr effektive Erziehungsstrategien. Das ter mal Aufgaben übernimmt, ohne aus- haben viele unabhängige Untersuchun- drücklich dazu aufgefordert worden zu gen gezeigt. Dies gilt allgemein, aber ganz sein. Wenn du bei deinem Kind den Ein- besonders bei ADHS-Kindern. druck hast, dass es bei Bitten nahezu im- mer mit „Nein” reagiert, dann ist dieser Lob für Selbstverständlichkeiten? Punkt besonders wichtig. Viele Eltern sind durch die häufigen Pro- Beim Loben solltest du deine Freude mit bleme mit ihrem Kind sehr frustriert. Sie Worten und/oder deinem Verhalten aus- finden, dass es doch eigentlich selbstver- drücken. Dadurch zeigst du auf direktem ständlich ist, was sie von ihrem Kind ver- Wege, dass du dich freust und stellst eine langen und es dafür kein Lob braucht. positive Stimmung her. Vor allem über die 15
Zeit hinweg vermittelst du deinem Kind so BEISPIELE FÜR BELOHNUNGEN Anerkennung, Wärme und Liebe. s Du spielst mit deinem Kind drau- Zusätzlich kannst du dein Kind auch mit Be- ßen Fußball, Fangen oder Ball. lohnungen auszeichnen, wenn es sich an deine Regeln gehalten hat. Achte darauf, s Ihr geht zusammen Eis essen. dass du nicht nur materiell belohnst, son- dern auch mit gemeinsamen Aktivitäten. s Dein Kind darf sich ein Comic aus- suchen. BEISPIELE FÜRS LOBEN s Dein Kind darf länger fernsehen. s Du klopfst deinem Kind auf die Schulter. s Dein Kind darf etwas länger auf- bleiben. s Du streichelst deinem Kind über die Haare. s Du spielst mit deinem Kind ein kleines Gesellschaftsspiel. s Du lächelst dein Kind an und nickst ihm zu. s Du bastelst oder malst etwas mit deinem Kind. s Du sagst einfach: „Danke. “. s Ihr macht zusammen einen ge- s Du sagst: „Es ist schön, wenn du mütlichen Fernsehabend mit Ka- tust, was ich dir sage.“. kao und Keksen. s Du sagst: „Ich freue mich, wenn s Ihr backt zusammen etwas. du das so schön machst.“ . s Dein Kind darf sich einen leckeren s Du motivierst: „Das klappt ja super!“. Nachtisch aussuchen. s Du zeigst dem Kind wie ein Sport- s Als besondere Belohnung: Ihr trainer einen Daumen hoch. macht zusammen einen Ausflug (Schwimmbad, Kinderbauernhof). 16
KONSEQUENT SEIN Wenn Regeln nicht eingehalten werden, kommt es zu natürlichen Konsequenzen. Wenn zum Beispiel eine kleine Beloh- Lass uns einmal genauer über die natürli- nung bei Wohlverhalten vereinbart war chen Konsequenzen nachdenken. Mit „na- und sich das Kind nicht an die Vereinba- türlich“ ist gemeint: Die Konsequenz, die rungen gehalten hat, gibt es diese nicht. sich auf möglichst natürliche Weise ergibt. Um Eskalationen oder Machtkämpfen Also: Wenn das Kind ein Glas umschüttet, vorzubeugen, kann man das Kind mit ei- muss es den Saft aufwischen. Solange das ner kleinen Ersatzbelohnung motivieren, Kind nicht mit den Hausaufgaben fertig weiterhin gut mitzumachen. Es kann in ist, kann es nicht raus zum Spielen. Wenn manchen Fällen notwendig sein, aus Si- das Kind beim Essen ständig die Schwes- tuationen rauszugehen. So könnte man ter ärgert, gibt es keinen Nachtisch. zum Beispiel einen Einkauf abbrechen, wenn sich das Kind wiederholt nicht ent- sprechend den gemeinsamen Vereinba- rungen verhält. Das mag dir zeitaufwän- KENNST DU DIESE SITUATION AUS EIGE- dig erscheinen, ist aber für das Einüben NER ERFAHRUNG MIT DEINEM KIND? von Alltagssituationen sehr wichtig. Eigentlich gibt es die Regel, dass Tim beim Es- Wie häufig gibst du nach, wenn dein Kind sen fragt, wenn er etwas haben möchte. Aber nach wiederholter Aufforderung nicht irgendwie versteht er das nicht: An manchen macht, was du von ihm wünschst? Tagen ermahnt ihn die Mutter nur, wenn er doch einfach über den Tisch greift. Und nur Häufig geht es am schnellsten, die Auf- einen Tag später muss er deswegen für eine gabe einfach selbst zu übernehmen oder halbe Stunde auf sein Zimmer. Und so geht nichts mehr einzufordern, richtig? Dein es weiter: Manchmal besteht die Mutter da- Kind macht jedoch die Erfahrung, dass rauf, dass er eine halbe Stunde im Zimmer es die Nörgeleien der Eltern nur lange bleibt. Dann wieder ist es ihr egal, wenn er genug aushalten muss, um der Aufgabe einfach früher wieder raus geht. zu entgehen. Langfristig wird dein Kind so nicht lernen, deinen Aufforderungen nachzukommen. Daher ist es wichtig, dass Eltern nicht nachgeben, sondern konsequent bleiben. Bespreche abends mit deinem Kind, wel- Konzentriere dich hauptsächlich auf das, che Aufforderungen es tagsüber gut be- was gelungen ist. Kommen Aufforderungen folgen konnte. Damit zeigst du deinem und Regeln zur Sprache, die dein Kind nicht Kind, dass du sein positives Verhalten befolgt hat, dann solltest du es ermuntern, wahrnimmst und schätzt. beim nächsten Mal auch auf diese zu achten. 17
Wenn du einmal keine Kraft hast, eine nega- WELCHE ARTEN VON NATÜRLICHEN tive Konsequenz durchzuführen, dann ver- KONSEQUENZEN GIBT ES ? zichte lieber auf die Aufforderung oder teile deinem Kind die Ausnahme ganz klar mit. 1. Etwas wiedergutmachen Zum Beispiel: „Heute habe ich keine Kraft, Der entstandene Schaden muss wiedergut- dafür zu sorgen, dass du ruhig auf deinem gemacht werden. Stuhl sitzt. Ich freue mich, wenn du nicht herumwackelst, aber ich kann mich jetzt Das Kind baut den zerstörten Turm des nicht darum kümmern.” Wenn dein Kind Bruders wieder auf. dann „freiwillig” ruhig sitzt, solltest du mit Lob nicht sparen. Das Kind wischt den verschütteten Tee auf. WENIGE, KLARE REGELN › AUFMERKSAMKEIT EINFORDERN › LOBEN Wichtig ist, dass natürliche Konsequenzen folgende Eigenschaften haben: ODER NATÜRLICHE Natürliche Konsequenzen müssen durch- KONSEQUENZ AUFFÜHREN führbar sein! Sprich immer nur solche negativen Konsequenzen aus, die du auch durchführen kannst. 2. Aus der Situation herausmüssen Natürliche Konsequenzen sollten sofort er- Das Kind wird kurzzeitig aus der Situa- folgen! Je zeitnaher, desto wirksamer! Dies tion ausgeschlossen. Durch den Aus- ist umso wichtiger, je jünger dein Kind ist. schluss kann das problematische Ver- halten schnell unterbrochen werden. Falls einmal eine unmittelbare Konse- quenz nicht sofort erfolgen kann (z. B. weil Das Kind muss das Zimmer verlassen, du das Haus verlassen musst), so solltest in dem es den Bruder ärgert. du deinem Kind die negative Konsequenz unmittelbar ankündigen und zum nächst- Das Kind wird aus dem gemeinsamen möglichen Zeitpunkt durchführen. Spiel ausgeschlossen oder muss eine Runde aussetzen, weil es sich nicht an Natürliche Konsequenzen müssen regel- eine Spielregel hält. mäßig erfolgen! Nicht die Härte, sondern die Regelmäßigkeit ist entscheidend. Nur Das Kind wird für ein paar Minuten durch die regelmäßigen und konstan- vom gemeinsamen Essen ausgeschlos- ten natürlichen Konsequenzen lernt dein sen, weil es laut rülpst. Kind, dass sein unangemessenes Verhal- ten nicht akzeptiert wird. Wirksam ist ein Ausschluss jedoch nur, wenn er von Ihrem Kind auch als unan- Behalte aber immer im Hinterkopf: Lob ist genehm erlebt wird. das A und O. Lobe dein Kind jedes Mal, wenn es Aufforderungen und Regeln einhält! 18
Die Dauer des Ausschlusses sollte vor- 4. Geführt werden her von Dir festgelegt werden. Setze die negative Konsequenz nicht Der Ausschluss muss nicht lange andau- durch Worte, sondern durch eigene ern (eine Minute pro Altersjahr reicht). Handlungen. Dies ist vor allem bei jün- geren Kindern sinnvoll. Nach der Mindestzeit sollte das Kind die Möglichkeit haben, von sich aus den Du führst die Hand des Kindes zu den Ausschluss zu beenden, wenn es die Re- Schuhen, die es aufräumen soll. gel/Aufforderung jetzt einhalten kann. Du begibst dich auf die Höhe deines Kindes 3. Etwas nicht mehr dürfen und führst seine Hand beim Aufräumen. Du kannst deinem Kind Dinge entzie- Du nimmst deinem Kind das Spielzeug hen, die es gerne mag oder Beschäf- aus der Hand, das es dem Bruder weg- tigungen untersagen, die es gerne genommen hat. macht. Der Entzug sollte möglichst mit dem Problemverhalten in Verbindung DURCHFÜHRUNG stehen und zeitnah erfolgen. Wenn sich dein Kind an eine Regel oder Das Kind kann seinen Freund nicht be- Aufforderung nicht hält, gehe folgender- suchen, bevor die Hausaufgaben nicht maßen vor: fertig sind. 1. Benenne zunächst die Regelverletzung Das Kind darf nicht mehr mit dem und kündige die negative Konsequenz an. Spielzeugschwert spielen, wenn es die Schwester damit haut. Du darfst deine Schwester nicht schlagen, du musst jetzt in dein Zimmer!“ TIPPS FÜR DEN ENTZUG VON MEDIENZEIT: „Du hast dein Zimmer nicht aufgeräumt. Bei Medien sollte man statt des komplet- Wenn du das jetzt nicht sofort machst, ten Entzugs die Zeit einschränken. Dies darfst du heute nur 15 Minuten fernsehen.“ kann auf Dauer sehr effektiv sein. Außer- dem bestrafen sich die Eltern nicht selbst, 2. Gib deinem Kind eine Chance: Kommt weil das Kind den ganzen Abend quen- dein Kind jetzt der Aufforderung nach, so gelt. Lasse das Kind die Medien später lobe es dafür. einschalten – aber nicht früher aufhören. Das wäre zu hart. Wenn das Kind Theater Schön, dass du jetzt aufräumst. Das freut macht, weil es noch nicht beginnen darf, mich! Dann darfst du heute auch deine 20 mache ihm deutlich, dass es gar nicht Minuten fernsehen.“ schauen darf, wenn es sich nicht beruhigt. 3. Gib deinem Kind die Möglichkeit, sich zur Regelverletzung zu äußern. Sobald du verstanden hast, ob die Erklärung das Fehlverhalten berechtigt oder nicht, re- agiere entsprechend. 19
„Ich habe meine Schwester gehauen, weil Manche Eltern meinen, ihre Regeln vor sie mir mein Spielzeug weggenommen hat.“ dem Kind verteidigen zu müssen. Wenn ihr die Regel vorher ausführlich bespro- „Ich habe mein Zimmer nicht aufgeräumt, chen habt und sich dein Kind dazu äu- weil ich Papa beim Fahrrad reparieren ßern konnte, brauchst du in der Situation helfen musste.“ selbst nicht zu diskutieren. Falls dein Kind „neue“ Argumente hat, besprecht diese 4. Beende das Gespräch, indem du be- zu einem späteren Zeitpunkt in Ruhe. So gründest, warum du die natürliche Konse- verweigerst du deinem Kind nicht das Mit- quenz umsetzt oder nicht. spracherecht. „Du hast recht, deine Schwester darf dir Bringe deinem Kind bei: Man kann sich kein Spielzeug wegnehmen. Das darf aber nicht immer rausreden, manchmal muss trotzdem kein Grund sein, jemanden zu man die Konsequenzen tragen. schlagen! Du entschuldigst dich bei deiner Schwester, sie gibt dir dein Spielzeug wie- 6. Bleibe selber ruhig. der und ihr bleibt beide für zehn Minuten in euren Zimmern!“ Wenn du selber sehr aufgewühlt bist, las- se etwas Zeit verstreichen, verlasse den „Verstehe. Es war lieb von dir, deinem Raum oder atme tief durch. Papa zu helfen. Das habe ich nicht ge- wusst. Dann darfst du auch die vollen Denke daran: Stelle nur dann eine Auf- 20 Minuten fernsehen. Bitte räume jetzt forderung, wenn du weißt, was du tust, einfach nur den Fußboden frei, damit ich falls dein Kind deinem Aufruf nicht nach- staubsagen kann.“ kommt. Wenn du dich daranhältst und dann konsequent reagierst, wird sich die 5. Führe die negative Konsequenz durch Situation gar nicht erst hochschaukeln: und gehe auf keine Grundsatzdiskussio- Du stellst deinem Kind die Aufforderung. nen ein. Hält es sich nicht daran, wiederholst du diese noch ein zweites Mal. Kommt dein Sohn: „Mama, wieso denn? Meine Schwester Kind der Aufforderung wieder nicht nach, hat angefangen, sie soll sich entschuldigen!“ führst du die natürliche Konsequenz durch. Bei diesem Vorgehen vergeht so Mutter: „Ich führe jetzt keine Grundsatz- wenig Zeit, dass du dich gar nicht erst auf- diskussion mit dir, warum du nicht hauen regen wirst, sondern ruhig bleiben kannst. darfst. Das können wir heute Abend ma- chen. Jetzt gehst du in dein Zimmer. Du kannst wiederkommen, wenn du bereit bist, dich bei deiner Schwester zu ent- schuldigen. Keine weitere Diskussion!“ Von Grundsatzdiskussionen in der Konflikt- situation ist auf jeden Fall abzuraten: Dein Kind ist emotional aufgewühlt und in diesem Zustand für Deine Argumente gar nicht zu- gänglich. Vielmehr lädt sich die Gesamtsitua- tion weiter auf und kann unnötig eskalieren. 20
DEINE BEZIEHUNG Sage auch deinem Kind, was sich verbes- sert hat und was du gut an ihm findest. ZUM KIND STÄRKEN Erinnere dich an das, was wir zum Thema loben bereits gelernt haben. BEDENKE Schön wäre es, wenn ihr jeden Abend über den Tagesablauf sprechen würdet. Kinder, die sich geliebt fühlen, entwickeln Nehmt euch abends zehn Minuten Zeit sich grundsätzlich gesünder! Die Beto- und geht gemeinsam den Tag noch ein- nung liegt hier auf „fühlen“. Die meisten mal in Gedanken durch. Was ist gut oder Eltern lieben ihre Kinder, die Kinder kön- besser als üblich gelaufen? Sage deinem nen das aber – wenn viele Probleme da Kind, worüber du dich gefreut hast. sind – nicht immer spüren! Die gute Beziehung zu deinem Kind ist die Grundlage für alle Verhaltensände- rungen, die du mit ihm gemeinsam an- Wenn es tägliche Probleme gibt, kann man streben möchtest. die positiven Eigenschaften des eigenen Kindes nur schwer erkennen. Deshalb lade ich dich zu einer wohltuenden Übung ein. Wo liegen die Stärken deines Kindes, was DEM BEWEGUNGSDRANG macht dein Kind einzigartig und was mag SPIELRAUM GEBEN es besonders? Schreibe hierzu mindestens 20 positive Eigenschaften auf. Du kannst Da du auf der einen Seite durch Regeln dein mit dem Vornamen des Kindes anfangen Kind daran gewöhnst, in erforderlichen Si- und dir zu jedem Buchstaben eine positive tuationen Ruhe zu halten, musst du zum Eigenschaft überlegen. Oder mache eine Ausgleich innerhalb der täglichen Routine Liste von A bis Z. Was magst du an deinem Möglichkeiten bieten, wo sich das Kind austo- Kind? Wann freust du dich über dein Kind? ben darf. Das brauchen alle Kinder - ein Kind Was kann dein Kind gut? Wann bist du auf mit ADHS noch etwas mehr! Es gilt, diesen dein Kind stolz? Beachte auch die Kleinig- Bewegungsdrang in die richtigen Bahnen zu keiten: Was läuft im Alltag gut? Was mag lenken. Gezielte sportliche Aktivitäten sollten ich, was mir vielleicht selbstverständlich gefördert werden, damit die Kinder mal rich- erscheint? Du wirst erstaunt sein, was dir tig "Dampf ablassen" und sich austoben kön- alles einfällt. nen. Für konzentrierte Lernphasen bedeutet das auch, dass immer mal wieder zwischen- Wir haben bis hierher viel über Regeln, durch kurze Bewegungszeiten erlaubt wer- Kommunikation und natürliche Konse- den müssen. Nach der Hälfte der Hausauf- quenzen gelernt. Wenn du innerhalb dei- gaben könnten ein paar Dehnübungen wie ner Familie bereits begonnen hast, diese der "Hampelmann" oder "Greifen nach den Anregungen umzusetzen, wäre es gut, Vögeln in der Luft" den "inneren Motor" der wenn du wöchentlich darüber Tagebuch ADHS-Kinder schon ein wenig ruhiger laufen führst, wie gut eure Beziehung aktuell ist. lassen. Des Weiteren ist Teamsport sinnvoll, Anhand des Verlaufs kannst du schnell se- weil das Kind hier lernt, sich zu integrieren. hen, was sich bereits verbessert hat. Achte besonders in Konfliktsituationen darauf, Interessanterweise ist der Bewegungsdrang ob sie weniger kompliziert ablaufen. sowohl bei Kindern mit und ohne ADHS 21
automatisch höher, wenn Anforderungen ZUSAMMENARBEIT MIT DER SCHULE an das Arbeitsgedächtnis gestellt werden Kinder zappeln insbesondere bei geistig an- In einem Klassenzimmer mit 25 bis 30 strengenden Aufgaben, bei denen eine Ver- Kindern ist es wahrscheinlich, dass min- bindung zwischen dem Kurzzeit- und Lang- destens ein Kind ADHS hat. zeitgedächtnis hergestellt werden muss und bei denen man die Aufmerksamkeit bewusst Die Erkrankung kann dazu beitragen, dass fokussieren und immer wieder auf neue ein Kind ein geringes Selbstwertgefühl, wichtige Informationen ausrichten muss. problematische Interaktionen mit Klas- Verschiedene Forscher gehen davon aus, senkameraden und eine schlechte Schul- dass der enorm gesteigerte Bewegungs- leistung aufweist. Allerdings können drang ADHS-Betroffener in Leistungssitua- Schüler mit der Störung sehr intelligent tionen eine hilfreiche Kompensationsstrate- sein. gie sein könnte. Die Unterscheidung eines hyperaktiv – Bewegung kann Kindern und Jugendlichen impulsiven Kindes von einem normalen, mit ADHS also dabei helfen, ihre Leistungs- aktiven Kind kann schwierig sein. Ein An- fähigkeit bei langweiligen oder anstrengen- haltspunkt ist, dass Kinder mit dieser Er- den Aufgaben besser auszuschöpfen. krankung eher empfindlich auf Reize wie Sehen, Hören und Berühren reagieren. Diese Vermutung wird mittlerweile von Wenn sie überreizt werden, können sie weiteren aktuellen Studien bestätigt. So ein außer Kontrolle geratenes Verhalten erbringen ADHS-betroffene Kinder die zeigen. Auf der anderen Seite scheinen besten Leistungen in einem Kurzzeitge- Kinder mit der unaufmerksamen Form dächtnis-Test, wenn sie währenddessen von ADHS ihre Umgebung zu verges- exzessiv auf ihrem Stuhl herumwippen, sen. Unterschiedliche Situationen führen die Beine bewegen und ab und zu von bei diesen Kindern zu unterschiedlichen ihrem Platz aufstehen. Eine geringe kör- Symptomen, je nach den Anforderun- perliche Aktivität in der Leistungssituation gen der Situation und der Selbstbeherr- ging hingegen mit schlechteren Testleis- schung des Kindes. tungen einher. Eine andere Studie zeigt zudem, dass ADHS-betroffene Kinder vor- Ein Kind, das in ständiger Bewegung ist, schnelle Antworten und damit verbunde- stört und vor dem Denken handelt, wird ne Flüchtigkeitsfehler besser kontrollieren bemerkt, aber das unaufmerksame Kind können, wenn sie sich bei der Aufgaben- vielleicht nicht. Dennoch können diese bearbeitung stärker bewegen. beiden Schüler von Lehrpersonen als un- motiviert angesehen werden. Die Erfahrung mit ADHS-Betroffenen be- stätigt außerdem, dass ihr Bewegungs- Kinder, die die unaufmerksame Form drang nicht abnimmt, wenn man ver- von ADHS haben, sind leicht abgelenkt sucht, diesen zu unterbinden. Es baut und vergesslich. Diese Kinder machen sich bei den Betroffenen vielmehr ein nachlässige Fehler und verrichten keine inneres Gefühl der Unruhe auf und das Schulaufgaben. Sie haben Schwierig- Lernen wird als noch anstrengender und keiten beim Zuhören, beim Aufrecht- unangenehmer erlebt. erhalten der Aufmerksamkeit und beim Befolgen von Anweisungen. Sie vermei- den Arbeit, die anhaltende geistige An- 22
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