STÄRKUNG VON INVESTITIONEN IN DEUTSCHLAND - BERICHT DER EXPERTENKOMMISSION IM AUFTRAG DES BUNDESMINISTERS FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE, SIGMAR ...

Die Seite wird erstellt Heinrich Block
 
WEITER LESEN
STÄRKUNG VON INVESTITIONEN IN DEUTSCHLAND - BERICHT DER EXPERTENKOMMISSION IM AUFTRAG DES BUNDESMINISTERS FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE, SIGMAR ...
STÄRKUNG VON INVESTITIONEN
IN DEUTSCHLAND

BERICHT DER EXPERTENKOMMISSION IM AUFTRAG
DES BUNDESMINISTERS FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE, SIGMAR GABRIEL
STÄRKUNG VON INVESTITIONEN IN DEUTSCHLAND - BERICHT DER EXPERTENKOMMISSION IM AUFTRAG DES BUNDESMINISTERS FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE, SIGMAR ...
Impressum
Herausgeber                                         Gestaltung und Produktion
Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in   PRpetuum GmbH, München
Deutschland“
                                                    Druck
Vorsitz:                                            BMWi
Prof. Marcel Fratzscher, Ph.D.
Präsident                                           Bildnachweis
DIW Berlin                                          © mustafa deliormanli – Getty Images
Mohrenstr. 58
10117 Berlin                                        Stand
                                                    April 2015
Redaktion
Expertenkommission
Inhalt

Mitglieder der Expertenkommission                                                         2

Vorwort		                                                                                 3

Zusammenfassung                                                                           5

Ergänzende und abweichende Positionen der in der Kommission vertretenen Gewerkschaften
(IGM, ver.di, IG BCE, IG BAU und DGB)                                                    13

1.	Investitionsschwäche in Deutschland: Bestandsaufnahme                                17

2.   Mechanismen zur Sicherung nachhaltiger öffentlicher Investitionen                   26

3.   Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur                                           30

     3.A. Wege zur Stärkung kommunaler Infrastruktur                                    30

     3.B. Verkehrsinfrastruktur auf Bundesebene                                         38

     3.C. Mobilisierung zusätzlicher privater Infrastrukturfinanzierung                 44

4.   Rahmenbedingungen für private Investitionen                                         48

     4.A. Übergeordnete Maßnahmen                                                        48

     4.B. Rahmenbedingungen für Innovationen                                            53

5.   Private Infrastruktur                                                               63

     5.A. Digitale Infrastruktur                                                         63

     5.B. Energie                                                                        70

     5.C. Junge Unternehmen                                                              78

6. 	 Europa: Deutschlands Beitrag zu Europas Investitionsagenda                         84

Literatur		                                                                              88
Mitglieder der Expertenkommission

    – Prof. Marcel Fratzscher, Ph.D. (DIW Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin, Vorsitzender)
    – Dr. Stephan Articus (Deutscher Städtetag)
    – Frank Bsirske (ver.di); Vertretung: Frank Werneke, Dr. Dierk Hirschel
    – Robert Feiger (IG Bauen, Agrar, Umwelt); Vertretung: Dietmar Schäfers
    – Prof. Dr. Lars P. Feld (Walter Eucken Institut und Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)
    – Jürgen Fitschen (Deutsche Bank); Vertretung: Bernd Fislage, Michael Volkermann
    – Prof. Dr. Veronika Grimm (Universität Erlangen-Nürnberg)
    – Reiner Hoffmann (DGB); Vertretung: Dr. Mehrdad Payandeh
    – Dr. Helga Jung (Allianz); Vertretung: Dr. Maximilian Zimmerer, Dr. Andreas Gruber, Dr. Wilhelm Ruprecht
    – Dr. Markus Kerber (BDI); Vertretung: Dr. Klaus Günter Deutsch, Dieter Schweer
    – Wolfgang Lemb (IG Metall)
    – Franz-Josef Lersch-Mense (Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen); Vertretung: Jürgen Thiele
    – Dr. Hans-Hartwig Loewenstein (Zentralverband Deutsches Baugewerbe); Vertretung: Dr. Andreas Geyer
    – Dr. Thomas Mayer (Flossbach von Storch)
    – Dr. Torsten Oletzky (Ergo Versicherungsgruppe); Vertretung: Dr. Daniel von Borries
    – Prof. Dr. Siegfried Russwurm (Siemens); Vertretung: Dr. Udo Niehage, Michael Holtermann
    – Prof. Dr. Monika Schnitzer (Ludwig-Maximilians-Universität München)
    – Dr. Ulrich Schröder (KfW); Vertretung: Dr. Jörg Zeuner
    – Dr. Harald Schwager (BASF); Vertretung: Wolfgang Niedermark
    – Dr. Eric Schweitzer (DIHK); Vertretung: Dr. Achim Dercks
    – Michael Vassiliadis (IG Bergbau, Chemie und Energie); Vertretung: Tomas Nieber

    Gäste
    – Prof. Torsten R. Böger (VIFG, Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH)
    – Franz Nauschnigg (Österreichische Nationalbank)
    – Prof. Dr. Thorsten Posselt (Fraunhofer MOEZ)

    Ständige Beobachterinnen und Beobachter und Gäste
    – Annette Bender (Bundesministerium der Finanzen)
    – Wolfgang Eckart (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur)
    – Sven Eide (Bundesministerium der Finanzen)
    – Dr. Detlev Homann (Bundesministerium der Finanzen)
    – André Lieber (Bundesministerium der Finanzen)
    – Dr. Ludger Schuknecht (Bundesministerium der Finanzen)

    Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
    – Dr. Bastian Alm
    – Dr. Raphael L’Hoest
    – Dr. Martin Meurers
    – Udo Neuhäußer
    – Dr. Philipp Steinberg
    – Dr. Sebastian Weins
    – Dr. Jeromin Zettelmeyer

    DIW Berlin
    – Prof. Dr. Martin Gornig
    – Dr. Claus Michelsen
    – Dr. Beatrice Pagel
    – Dr. Alexander Schiersch

2
Vorwort

Die unabhängige Expertenkommission wurde im August             der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, mit negativen
2014 von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit          Konsequenzen für private Investitionen. Diese Mitglieder
dem Auftrag berufen, konkrete Handlungsempfehlungen            favorisieren steuerfinanzierte Erhöhungen öffentlicher
zur Stärkung privater und öffentlicher Investitionen in        Investitionen, verbunden mit der Ausnutzung existieren-
Deutschland auszuarbeiten. Die 21 Mitglieder der Exper-        den Spielraums unter der Schuldenbremse. Auch wenn
tenkommission repräsentieren breite Teile der Wirtschaft,      der Bericht dies nicht befürwortet, ist es einigen Mitglie-
Gesellschaft und Wissenschaft Deutschlands. Auftrag der        dern wichtig, eine Fehlinterpretation zu vermeiden und zu
Kommission ist es, eine ganzheitliche Perspektive auf die      betonen, dass eine Verlagerung von haushaltspolitischer
deutsche Gesellschaft und Wirtschaft einzunehmen. Eine         Verantwortung vom Bund auf Länder und Kommunen
leistungsfähige, zukunftsorientierte öffentliche Infrastruk­   nicht stattfinden soll. Die ergänzenden und abweichenden
tur und eine hohe Attraktivität des Wirtschaftsstandorts       Meinungen der fünf Mitglieder der Gewerkschaften wer-
Deutschland für in- und ausländische Investitionen sind        den in einem separaten Teil nach der Zusammenfassung
Grundvoraussetzungen für die langfristige Sicherung des        dargelegt.
Wohlstands in Deutschland.
                                                               Andere Kommissionmitglieder sehen den Schlüssel zur
Der Abschlussbericht der Expertenkommission widmet             Verbesserung der deutschen Infrastruktur sowohl in höhe-
sich der Frage, wie durch öffentliche Investitionstätigkeit    ren als auch in effizienteren öffentlichen Investitionen.
und durch die Schaffung verbesserter Rahmenbedingun-           Steuererhöhungen oder Neuverschuldung zur Finanzie-
gen Anreize für mehr private Investitionen geschaffen          rung höherer Investitionsausgaben werden von diesen
werden können, die langfristig Wachstum und Beschäfti-         Mitgliedern abgelehnt. Stattdessen sprachen sich einige für
gung in Deutschland sichern. Unser Ziel ist es, nicht nur      Ausgabenumschichtungen, eine Reduzierung der Sub­
Stärken und Schwächen der Rahmenbedingungen für                stanzbesteuerung und die systematische Mobilisierung
Investitionen in Deutschland kritisch aufzuzeigen, son-        zusätzlichen privaten Kapitals zur Erweiterung des Investi-
dern auch und gerade konkrete Handlungsempfehlungen            tionsspielraums aus.
an die Politik in Deutschland zu geben.
                                                               Einige dieser Mitglieder betonen, dass der erhebliche
Die zentralen Stärken der Expertenkommission sind die          Rück­stau bei Investitionen in die Erhaltung und den Aus-
breite Expertise und die Vielfalt der Perspektiven ihrer       bau öffentlicher Infrastruktur deutlich zeige, dass der Staat
Mitglieder. Die Empfehlungen des Berichts drücken den          alleine dieser Herausforderung nicht gerecht werden kön-
Konsens der Kommissionsmitglieder aus. Dies bedeutet           ne. Lösungen des Problems müssten daher über die bloße
nicht, dass jedes Mitglied hinter jedem Satz des Berichts      Reorganisation staatlichen Handelns hinausgehen. Öffent-
steht, wohl aber, dass die große Mehrheit der Ergebnisse       lich-Private Partnerschaften (ÖPP) könnten einen wesent-
und Handlungsempfehlungen des Berichts von allen Mit-          lichen Beitrag zur Schließung der Investi­tionslücke leis-
gliedern der Expertenkommission getragen wird. In man-         ten. Andere Länder hätten gezeigt, dass es mit ÖPP gelinge,
chen Fällen, in denen sich Kommissionsmitglieder nicht         private Ersparnisse gezielt und wirtschaftlich zur Finan-
einig waren oder zusätzlicher Prüfbedarf wahrgenommen          zierung öffentlicher Infrastruktur einzusetzen. Ziel der
wurde, werden verschiedene Optionen aufgezeigt, mit            Politik müsse es sein, die in Deutsch­land überwiegend
denen der Status quo verbessert werden kann.                   emotional geführte Debatte zu ÖPP zu versachlichen und
                                                               deutlich mehr Infrastrukturprojekte ÖPP-fähig auszu-
Trotz dieses starken Konsenses gibt es innerhalb der Ex­­      schreiben. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass vorhandene
pertenkommission durchaus unterschiedliche Meinungen           Finanzierungsmittel ausschließlich oder weit überwie-
zu den fundamentalen Ursachen der deutschen Investi­           gend außerhalb Deutschlands investiert würden.
tionsschwäche:
                                                               Gleichzeitig sind sich jedoch alle Mitglieder einig, dass es
Manche Kommissionmitglieder sind der Auffassung, dass          dem Auftrag der Expertenkommission widerspräche, den
die Investitionsschwäche in Deutschland zu einem               vorliegenden Bericht zum Schauplatz einer wirtschaftspo-
wesentlichen Teil Konsolidierungsdruck und Steuersen-          litischen Grundsatzdebatte zu machen. Die Analyse und
kungen in den vergangenen zehn Jahren reflektiert, die         Handlungsempfehlungen des Berichts konzentrieren sich
öffent­
      liche Ausgabenspielräume reduziert hätten. Dies          daher auf die Frage, wie Investitionen in Deutschland
habe einerseits zu einer Vernachlässigung öffentlicher Inf-    gesteigert werden können, ohne auf kontroverse und poli-
rastruktur geführt und andererseits zu einer Schwächung        tisch schwer umsetzbare Änderungen des fiskalpoliti-

                                                                                                                               3
VORWORT

    schen, steuerpolitischen, energiepolitischen oder euro-      Kommissionsmitglieder, die nicht an allen Sitzungen teil-
    papolitischen Rahmens zurückgreifen zu müssen.               nehmen konnten, aber auch eine Reihe externer Expertin-
                                                                 nen und Experten. Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr.
    Die Übergabe des Berichts am 21. April 2015 soll nicht der   Thorsten Posselt (Fraunhofer MOEZ), Prof. Torsten B.
    Endpunkt der Arbeit der Expertenkommission sein. Den         Böger (VIFG, Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell-
    Mitgliedern liegt es sehr daran, die Empfehlungen und das    schaft mbH) und Franz Nauschnigg (OENB) für ihre Bei-
    Handeln der Wirtschaftspolitik in Deutschland zu beglei-     träge sowie den Vertreterinnen und Vertretern aus mehre-
    ten. Die Expertenkommission setzt sich deshalb das Ziel,     ren Institutionen, wie dem BMF und dem BMVI.
    eine Evaluierung der Umsetzung der Empfehlungen des
    Berichts und anderer Maßnahmen zur Stärkung von              Das BMWi hat nicht nur die logistische Koordinierung
    Investitionen in Deutschland noch in dieser Legislaturpe-    und Ausrichtung der Sitzungen verantwortet, sondern
    riode durchzuführen und zu veröffentlichen.                  intensiv mit der Expertenkommission an der Ausarbeitung
                                                                 des Berichts gearbeitet. Ein großer Dank gilt Dr. Jeromin
    Der Bericht ist das Resultat sehr intensiver Arbeit der      Zettelmeyer und seinem Team um Dr. Martin Meurers,
    Expertenkommission seit August 2014. In sechs Sitzungen      Dr. Raphael L’Hoest und Dr. Bastian Alm. Ein herzlicher
    und vielen Telekonferenzen wurde der Bericht erarbeitet.     Dank geht an das Team vom DIW Berlin – Prof. Dr. Martin
    Nicht nur die 21 Mitglieder der Expertenkommission, son-     Gornig, Dr. Claus Michelsen, Dr. Beatrice Pagel, Dr. Alexan-
    dern viele andere haben wichtige Beiträge geleistet. Dazu    der Schiersch, Eva Tamim und Sabine Fiedler – für ihre
    zählen vor allem die Vertreterinnen und Vertreter der        exzellente Arbeit und Unterstützung.

4
Zusammenfassung

1. Investitionsschwäche in Deutschland:                      Auch die private Investitionstätigkeit hat sich in Deutsch-
   Bestandsaufnahme                                           land in den vergangenen Jahren schwach entwickelt. Priva-
                                                              te Nettoanlageinvestitionen waren zwischen den Jahren
                                                              1990 und 2005 stark rückläufig und bewegen sich seitdem
Investitionen sind das Fundament für Wachstum und             auf einem niedrigen Niveau von etwa zwei Prozent des
Beschäftigung einer Volkswirtschaft. Ein moderner Kapi-       Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Modernität des deut-
talstock ist die Grundlage für technologischen Fortschritt,   schen Kapitalstocks ist im Vergleich zu anderen großen
sichert die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, bildet die     Volkswirtschaften gering und muss verbessert werden.
Grundlage für unternehmerischen Erfolg sowie den nach-
haltigen Aufbau hochqualifizierter Beschäftigung und          Die Überwindung dieser Investitionslücke erfordert einen
ermöglicht ein intaktes und qualitativ hochwertiges Ge­­      breiten Ansatz. Der Bericht konzentriert sich zunächst auf
meinwesen. Damit der „Standort Deutschland“ auch für          die Analyse und Handlungsempfehlungen im Bereich
kommende Generationen Wohlstand und Beschäftigung             öffentlicher Infrastrukturinvestitionen, insbesondere auf
bieten kann, müssen heute die erforderlichen Investitio-      kommunaler Ebene, und im Bereich der Bundesfernstra-
nen für morgen getätigt werden.                               ßen. Zudem ist es Aufgabe des Staates, adäquate Rahmen-
                                                              bedingungen für private Investitionen zu schaffen. Ziel
Deutschland weist heute eine signifikante Investitions-       muss es sein, das Funktionieren von Märkten sicherzustel-
schwäche auf, sowohl im öffentlichen wie im privaten          len und zu verbessern. Die Expertenkommission unter-
Bereich. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag    streicht die hohe Komplementarität zwischen öffentlichen
das Ziel gesetzt, Deutschlands Investitionsrückstand zum      und privaten Investitionen. Beschäftigung, Wirtschafts-
OECD-Durchschnitt, der sich im Jahr 2013 auf drei Prozent     wachstum und Wohlstand hängen von einer dynamischen,
der Wirtschaftsleistung belief, auszugleichen. Die Exper-     innovativen Wirtschaft ab, die wiederum eine leistungs­
tenkommission hält eine Stärkung der Investitionen in den     fähige öffentliche Infrastruktur und entsprechende Rah-
kommenden Jahren für dringend erforderlich. Dem Staat         menbedingungen voraussetzt.
kommt die Aufgabe zu, durch öffentliche Investitionen den
Erhalt und die Entwicklung der technischen und der sozi-      Zu den Rahmenbedingungen gehören eine stabil hohe
alen Infrastruktur zu sichern, gesellschaftliche Bedarfe zu   Binnennachfrage, eine adäquate Regulierung und Anreiz-
decken sowie adäquate Rahmenbedingungen für private           strukturen für in- und ausländische Unternehmen in
Investitionen und Wirtschaftswachstum zu schaffen. Der        Deutschland. Konkret geht es beispielsweise um eine Ver-
bevorstehende demografische Wandel stellt Deutschland         besserung der Rahmenbedingungen im Energiesektor und
in den kommenden Jahrzehnten vor große Herausforde-           im Bereich digitaler Netze. Auch ein effizientes, anreizkom-
rungen. Während eine sinkende Anzahl der Erwerbsperso-        patibles Steuersystem ist wichtig, um private Investitionen
nen eine Anpassung des Kapitalbestands bedingt, erfordert     in Deutschland zu erhöhen. Entscheidend sind dabei nicht
es gleichzeitig spezifische und umfangreiche Investitionen,   nur deutlich höhere Investitionen in Sachanlagen, sondern
um den sich ändernden Verhältnissen in einer alternden        vor allem in „Köpfe“ und in ein intaktes und leistungsfähi-
Gesellschaft zu begegnen.                                     ges Gemeinwesen. Innovationsfähigkeit ist von zentraler
                                                              Bedeutung, um den Wirtschaftsstandort Deutschland und
Eine zentrale Schwäche in Deutschland ist die fehlende        seine globale Führungsposition in vielen Bereichen in den
Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur in den vergange-     kommenden Jahren und Jahrzehnten zu behaupten.
nen Jahren und Jahrzehnten. Da insbesondere Städte und
Gemeinden mit geringer Wirtschaftskraft ihre Investi­         Die Investitionsschwäche ist bei weitem kein rein deut-
tionsbudgets in den vergangenen Jahren erheblich redu-        sches Phänomen. Viele andere Länder in Europa weisen
ziert haben, zeichnet sich gerade auf kommunaler Ebene        gegenwärtig ein zu geringes Niveau öffentlicher und priva-
ein zunehmender Investitionsbedarf, etwa in den Berei-        ter Investitionen auf. Strategien für mehr Investitionen in
chen Verkehr, Bildung und soziale Infrastruktur, ab. Einer    Deutschland sollten daher eingebunden sein in eine
der zentralen Gründe hierfür liegt in der unzureichenden      gesamteuropäische Investitionsinitiative wie den Jun-
Finanzausstattung vieler Kommunen. Eine Behebung der          cker-Plan.
öffentlichen Investitionsschwäche erfordert deshalb neue
Impulse, um Kommunen zu helfen, neue Handlungsmög-
lichkeiten zu erlangen.

                                                                                                                             5
ZUSAMMENFA SSUNG

    2. Mechanismen zur Sicherung nach­                              verfügen, die kurzfristig nicht oder nur schwer reversi-
       haltiger öffentlicher Investitionen                           bel ist. Beispielhaft hierfür ist eine öffentliche Infra-
                                                                     strukturgesellschaft für Bundesfernstraßen, wie sie in
                                                                     Kapitel 3.B vorgeschlagen wird.
    Viele Gebietskörperschaften haben in den vergangenen
    Jahrzehnten einen Anstieg ihrer Schuldenquote und eine
    deutliche Verlagerung von öffentlichen Investitionen hin      3. Bereitstellung öffentlicher
    zu höheren öffentlichen Konsumausgaben erfahren. Die             Infrastruktur
    Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 und das
    haushaltspolitische Ziel der „Schwarzen Null“ für den Bun-
    deshaushalt zielen darauf ab, dem Trend einer höheren         A. Wege zur Stärkung kommunaler Infrastruktur
    öffentlichen Verschuldung entgegenzuwirken, um der Ver-
    schiebung von Lasten auf künftige Generationen zu begeg-      Von zentraler wirtschaftspolitischer Bedeutung ist die Stär­
    nen. Da staatlichen Transferausgaben oft eine höhere Prio-    kung der Investitionen in den Städten, Gemeinden und
    rität eingeräumt wird, diese aber zumindest kurzfristig       Landkreisen. Doch ausgerechnet die Kommunen in
    nicht disponibel sind, wirkt sich der entstehende Konsoli-    Deutschland haben in den vergangenen Jahren einen gro-
    dierungsdruck überproportional auf öffentliche Investitio-    ßen Investitionsstau aufgebaut. Rechnerisch hat sich das
    nen aus. Dies belastet künftige Generationen besonders        Nettoanlagevermögen der Kommunen in den Jahren 2003
    stark, etwa durch die Unterlassung von erforderlichen         bis 2013 um 46 Mrd. Euro verringert. Nach Schätzungen
    Erhaltungsinvestitionen. Deshalb schlägt die Experten-        des KfW-Kommunalpanels beläuft sich der gesamte kom-
    kommission zur Sicherung nachhaltiger Investitionen eine      munale Investitionsrückstand mittlerweile auf 118 Mrd.
    stärkere Selbstbindung der öffentlichen Hand vor. Dies        Euro.
    kann durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
                                                                  Deshalb ist die Stärkung der kommunalen Investitionen
    →→ Prüfung der Einrichtung einer haushaltsrechtlichen         von zentraler Bedeutung. Bei jeder Investitionsentschei-
       Verpflichtung zu öffentlichen Investitionen in einer       dung sind gesellschaftliche Bedarfe sowie die Wirtschaft-
       Höhe, die zumindest die Abschreibungen auf das Ver-        lichkeit, wie in den Landesverfassungen und vom Bundes-
       mögen der öffentlichen Hand kompensiert. Eine solche       finanzministerium dargelegt, zu berücksichtigen. Dabei
       Haushaltsregel erfordert die Erfassung von Vermögen        sollen Investitionen im Interesse des Gemeinwesens güns-
       und Abschreibungen, was wiederum die Einführung            tig finanziert, effizient und hochwertig umgesetzt und die
       einer doppelten Buchführung (Doppik) voraussetzt. Ein      möglichen Risiken bedacht und minimiert werden. Finan-
       Großteil der Kommunen hat die Doppik bereits über-         zierung, Effizienz und Risiken müssen in einem angemes-
       nommen. Der Bund und viele Länder haben dies bisher        senen Verhältnis zueinander stehen. Die Expertenkommis-
       noch nicht getan, sollten die Doppik jedoch zügig ein-     sion unterstreicht, dass der deutsche Staat aufgrund der
       führen.                                                    aktuell guten Konjunkturlage heute über einen ausrei-
                                                                  chend hohen finanziellen Spielraum verfügt, um der Inves-
    →→ Eine haushaltsrechtliche Festlegung auf Bundesebene,       titionslücke im öffentlichen Bereich bei Bund, Ländern
       unerwartete Überschüsse im Haushalt prioritär für          und Kommunen entgegenzuwirken. Dies gilt auch für die
       höhere öffentliche Investitionen zu verwenden. Auf         finanzschwachen Kommunen, wenn sie ausreichende
       diese Weise würde die symmetrische Behandlung von          Unterstützung vom Bund und ihren Ländern erhalten. Die
       öffentlichen Investitionen wiederhergestellt: So wie       Herausforderung liegt vor allem in der hohen Heterogeni-
       unter der Schuldenbremse unerwartet niedrige Einnah-       tät zwischen den Kommunen: Viele Kommunen verfügen
       men häufig zu Investitionsrückgängen führen, sollten       über ausreichende Spielräume, andere wiederum nicht.
       von einer unerwartet guten Haushaltslage in erster         Finanzschwache Kommunen wollen Anstrengungen
       Linie Investitionen profitieren.                           unternehmen und Verantwortung für öffentliche Investiti-
                                                                  onen übernehmen, benötigen jedoch Unterstützung in
    →→ Die Schaffung spezialisierter Institutionen, die öffent-   Form höherer Eigenmittel für Investitionen oder logisti-
       liche Gebietskörperschaften bei Neuinvestitionen und       scher Unterstützung, um knappe Ressourcen effizient ein-
       Instandhaltung in bestimmten Infrastrukturkategorien       zusetzen.
       unterstützen können. Diese Institutionen sollten über
       eine nachhaltige, verlässliche finanzielle Ausstattung

6
ZUSAMMENFA SSUNG

Zur Erweiterung finanzieller Spielräume für Kommunen             sucht werden, bevor sich eine Kommune dafür ent-
schlägt die Expertenkommission folgende Maßnahmen vor:           scheidet. Existierende öffentliche Kooperationen soll-
                                                                 ten evaluiert werden, um festzustellen, ob sie eine sinn-
→→ Schaffung eines „Nationalen Investitionspakts für             volle Ergänzung zur konventionellen Beschaffungsvari-
  Kommunen“ (NIK), der eine Erhöhung kommunaler                  ante sein können.
  Investitionen mindestens in Höhe des rechnerischen
  kommunalen Substanzverzehrs der letzten drei Jahre          Die Expertenkommission unterstreicht, dass diese Elemen-
  (15 Mrd. Euro) über die nächsten drei Jahre ermöglichen     te – der Nationale Investitionspakt, die kommunalen Infra-
  soll. Zusätzlich zu dem jüngst von der Bundesregierung      strukturgesellschaften und die Weiterentwicklung von
  angekündigten Sondervermögen von 3,5 Mrd. Euro für          Projekt- und Beschaffungsvarianten – unabhängig vonein-
  bestimmte Investitionszwecke, sollte der NIK ein zwei-      ander agieren und funktionieren können. Ziel dieser
  tes Instrument umfassen, das zeitlich nicht begrenzt ist    Elemente ist es, die Kommunen in die Lage zu versetzen,
  und flexibler – etwa für die Instandhaltung oder Erwei-     notwendige Investitionen zu tätigen, und dies effizient,
  terung kommunaler Verkehrswege – eingesetzt werden          nachhaltig und dennoch für den Steuerzahler und die
  kann. Förderwürdige Kommunen könnten durch die              Kommunen günstiger zu tun.
  bewährte Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
  besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW)
  identifiziert werden. Um ebenfalls rasch wachsende          B. Verkehrsinfrastruktur auf Bundesebene
  Kommunen zu erfassen, sollten dabei die grundsätzlich
  förderfähigen Gebiete so erweitert werden, dass sie         Der Verkehrsträger Straße ist und bleibt für den Frachtver-
  einen größeren Teil der deutschen Bevölkerung ein-          kehr und für den Personenverkehr von überragender
  schließen. Der kommunale Eigenanteil sollte spürbar,        Bedeutung. Daher ist der Erhalt und Ausbau insbesondere
  aber gering sein (zehn bis 30 Prozent).                     der überregionalen Straßen von zentraler Bedeutung für
                                                              die Funktions- und Leistungsfähigkeit des deutschen Ver-
→→ Die Stärkung kommunaler Kapazitäten, um Projekte so        kehrssystems. Eine besondere Herausforderung ist dabei
  wirtschaftlich wie möglich zu planen und durchzufüh-        der über die vergangenen Jahre aufgestaute Bedarf an
  ren. Sofern dies nicht mehr der Fall ist, sollten ausrei-   Erhaltungsinvestitionen im Bestand. Als langfristige
  chende Kapazitäten (wieder) aufgebaut werden. Außer-        Lösung zur Sicherung der Investitionen in Bundesfernstra-
  dem sollte die Schaffung einer von Bund und Ländern         ßen spricht sich die Expertenkommission dafür aus, die
  getragenen „Infrastrukturgesellschaft für Kommu-            Einrichtung einer öffentlichen Infrastrukturgesellschaft
  nen“ (IfK) oder alternativ mehrerer regionaler oder         für die Bundesfernstraßen (Verkehrsinfrastrukturgesell-
  infra­strukturspezifischer Infrastrukturgesellschaften      schaft) zu prüfen, welche folgende Eigenschaften erfüllt:
  ge­prüft werden. Diese sollen den Kommunen helfen,
  von den verschiedenen Projekt- und Beschaffungsvari-        →→ Bau, Instandhaltung und Betrieb der Bundesfernstra-
  anten die für sie beste und wirtschaftlichste Alternative      ßen „aus einer Hand“ nach dem Lebenszyklusansatz.
  auszuwählen, und den Planungs- und Umsetzungspro-
  zess zu stärken. Die Entscheidungsgewalt sollte dabei       →→ Finanzierung überwiegend oder ausschließlich aus
  bei den Kommunen verbleiben. Alle Kommunen, unab-              Nutzungsentgelten, ohne zu einer Mehrbelastung der
  hängig von ihrer Finanzkraft, Größe und ihren Kapazi-          PKW-Nutzerinnen und -Nutzer zu führen.
  täten, sollten Zugang zu dieser kommunalen Infra­
  strukturgesellschaft haben.                                 →→ Eigene Kreditaufnahmekapazität ohne staatliche
                                                                 Garantie, um eine klare Abgrenzung zum Staatssektor
→→ Prüfung und gegebenenfalls Weiterentwicklung von              zu gewährleisten.
  „Öffentlichen Kooperationen“ (ÖfK) – Beschaffungs-
  modelle, bei denen öffentliche Unternehmen und inter-       →→ Wahrung der öffentlichen Kontrolle, das heißt insbe-
  kommunale Kooperation im Vordergrund stehen. Diese             sondere keine „Privatisierung“ der Bundesfernstraßen
  können eine sinnvolle Alternative oder Ergänzung zu            in jeglicher Form.
  existierenden Beschaffungsvarianten sein, die gegen-
  über einer konventionellen Realisierung und ÖPP             Die Gestaltung einer solchen Gesellschaft sollte Gegen-
  bestimmte Vorteile bieten. Auch diese Variante sollte       stand einer sorgfältigen Prüfung durch die Bundesregie-
  selbstverständlich auf ihre Wirtschaftlichkeit hin unter-   rung sein. Von grundsätzlicher Natur ist die Entscheidung

                                                                                                                             7
ZUSAMMENFA SSUNG

    über die Besitzverhältnisse einer Infrastrukturgesellschaft,   →→ Zur Förderung der Bürgerbeteiligung einen „Bürger-
    aus denen sich unter den beschriebenen Rahmenbedin-               fonds“ als Sammelstelle für Infrastrukturfinanzierung
    gungen deren Aufgaben und Kompetenzen ableiten lassen.            durch individuelle Sparerinnen und Sparer. Dieser
    Die Expertenkommission ist sich einig, dass diese Infra-          würde Bürgerinnen und Bürgern eine neue Anlageform
    strukturgesellschaft zumindest mehrheitlich in öffentli-          bieten, die bei vertretbarem Risiko bessere Renditen
    cher Hand sein sollte; einige Mitglieder befürworten sogar        ermöglichen würde als Anlagealternativen wie etwa
    einen vollständigen Besitz in öffentlicher Hand. Die Exper-       Spar- und Sichteinlagen oder Staatsanleihen, und könn-
    tenkommission empfiehlt, bei der Konkretisierung und              te darüber hinaus einen gesellschaftlichen Beitrag leis-
    Detaillierung Erfahrungen anderer Länder mit verschiede-          ten.
    nen Organisationsmodellen, wie Österreich, Frankreich
    und der Schweiz, zu nutzen.                                    Bürgerbeteiligungen sollten nach dem Vermögensbil-
                                                                   dungsgesetz (Arbeitnehmersparzulage) gefördert werden.
                                                                   Um die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit den
    C. M
        obilisierung zusätzlicher privater                        von ihnen finanzierten Investitionen zu stärken, sollten
       Infrastrukturfinanzierung                                   u. a. im Anlegerschutzgesetz besondere Transparenz- und
                                                                   Informationspflichten für die Beteiligungsformen an Inf-
    Die große Mehrheit der Infrastrukturprojekte in Deutsch-       rastruktur eingefordert werden, die sicherstellen, dass sich
    land wird heute „konventionell“ realisiert, sodass Planung,    Bürgerinnen und Bürger beispielsweise über den Projekt-
    Bau und Betrieb von Projekten zum Teil durch den öffent-       fortschritt oder Kennzahlen zur Nutzung der Infrastruktur
    lichen Auftraggeber vergeben oder erbracht und aus Eigen-      informieren können.
    mitteln, Bankkrediten oder festverzinslichen Anleihen
    gedeckt werden. Bei diesem Beschaffungsmodell verblei-
    ben jedoch fast alle Risiken bei der öffentlichen Hand, was    4. Rahmenbedingungen für private
    vor allem kleinere Kommunen vor große finanzielle                 Investitionen
    Schwierigkeiten stellen und ihre Handlungsfähigkeit ein-
    schränken kann. Alternativ werden Projekte über ÖPP rea-
    lisiert, bei denen private Investoren finanzieren und für      A. Übergeordnete Maßnahmen
    Fehler bei Bau und Betrieb oder für andere Risiken haften
    sollen. In Konsequenz muss allerdings der öffentliche Auf-     Ein zentraler Grund für die hohe Wettbewerbsfähigkeit der
    traggeber für diese Risikoübertragung durch höhere Finan-      deutschen Volkswirtschaft ist der außergewöhnliche Mix
    zierungskosten bezahlen. Außerdem gelingt die Risiko-          aus großen Unternehmen, einer hohen Anzahl von Klein-
    übertragung nicht in allen Fällen.                             unternehmen und Selbstständigen sowie einem breiten
                                                                   Mittelstand. Jedoch sind die Investitionen deutscher Unter-
    Die Expertenkommission spricht sich dafür aus, zusätzli-       nehmen im Inland in den vergangenen Jahrzehnten deut-
    che Beschaffungs- und Finanzierungsstrukturen zu prüfen.       lich zurückgegangen. Sie sind zu gering, um einen moder-
    Konkret schlägt sie die Prüfung zweier Modelle vor:            nen Kapitalstock zu bewahren und die langfristige
                                                                   Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Wirtschafts-
    →→ Ein öffentlicher Infrastrukturfonds des Bundes und          standorts Deutschland zu sichern. Diese private Investi­
       der Länder, der ähnliche Aufgaben übernehmen würde          tionsschwäche in Deutschland ist das Resultat unzurei-
       wie ein privater Infrastrukturfonds. Private institutio-    chender Rahmenbedingungen in vielen Bereichen.
       nelle Investoren hätten die Möglichkeit, auf eigenes
       Risiko in diesen Fonds zu investieren. Gleichzeitig         Die Expertenkommission sieht deshalb dringenden Hand-
       würde sichergestellt, dass nur Projekte finanziert wer-     lungsbedarf in einer Reihe von Tätigkeitsfeldern. Vor allem
       den, bei denen sich dadurch Vorteile gegenüber kon-         im Hinblick auf den demografischen Wandel und den wirt-
       ventioneller Beschaffung ergäben und eine angemesse-        schaftlichen Strukturwandel muss die Politik viel stärker
       ne Risikoteilung stattfände. Durch die Bündelung vieler     als bisher in die Qualifikation und Ausbildung der Bürge-
       Projekte würde Risiko gestreut und der dadurch erzeug-      rinnen und Bürger investieren und die Verfügbarkeit von
       te Effizienzgewinn zwischen öffentlichen Auftragge-         qualifizierten Fachkräften sicherstellen. Sie muss die hohe
       bern und Investoren geteilt. Gegebenenfalls könnten         Zahl der Menschen ohne Schul- bzw. Berufsabschluss sen-
       Geschäftsmodelle existierender Förderbanken in diese        ken, ihnen insgesamt ein höheres Qualifikationsniveau
       Richtung erweitert werden.                                  ermöglichen, die Allianz für Aus- und Weiterbildung ver-

8
ZUSAMMENFA SSUNG

stetigen und ausbauen und für die berufliche Aufstiegsfort-    Planungssicherheit von Investitionsentscheidungen auch
bildung ein System der Qualitätssicherung schaffen. Da         im Ausland zu erhöhen. Auslandsinvestitionen ersetzen
aber inländische Potenziale nicht ausreichen, erhält die       nicht heimische Investitionen oder Innovationen; in vielen
Zuwanderung ausländischer Fachkräfte als ein Weg zur           Fällen ergänzen sie diese vielmehr. Zudem sollte die Han-
Fachkräftesicherung einen deutlich höheren Stellenwert.        delspolitik auf hohen ökologischen und sozialen Standards
                                                               beruhen, die Souveränität der Parlamente erhalten, kom-
Die Politik sollte der Verbesserung der Erwerbsbeteiligung     munale Selbstverwaltung und Aufgabenerfüllung gewähr-
und -chancen von Frauen eine höhere Priorität einräumen.       leisten und Transparenz in globalen Wertschöpfungsketten
Familienpolitische Maßnahmen, die dieses Ziel konterka-        erhöhen.
rieren, sollten daher auf den Prüfstand gestellt werden.
Maßnahmen, die dieses Ziel fördern, müssen gestärkt und
ausgebaut werden. Neben einem bedarfsgerechten Ange-           B. Rahmenbedingungen für Innovationen
bot an Kinderbetreuungsplätzen müssen die Investitionen
in den Ausbau der Ganztagsschulen deutlich forciert wer-       Eine wichtige Voraussetzung für private wie öffentliche
den, was bis zum Jahr 2020 erreicht werden sollte.             Innovationen in Deutschland ist eine Innovationspolitik,
                                                               die im internationalen Wettbewerb um Forscherinnen und
Ein möglicher Hebel zur Investitionsförderung ist die Ver-     Forscher und um Investitionen von forschungsintensiven
meidung unnötiger Bürokratie. So wichtig klare staatliche      Unternehmen bestehen kann. Eine zukunftsfähige Innova-
Regeln für die Rechtssicherheit sind, so wichtig ist eine      tionspolitik sollte darüber hinaus Fördermaßnahmen
angemessene Balance, die den Erfüllungsaufwand für die         effektiv gestalten und evaluieren. Wie innovationsfreund-
Unternehmen in den Blick nimmt. Eine Verbesserung der          lich die Rahmenbedingungen sind, wird nicht zuletzt
Rechtssicherheit, eine geringere Komplexität und höhere        durch die Offenheit und Akzeptanz der Gesellschaft für das
Praxistauglichkeit des Steuerrechts sowie eine effiziente      Eingehen von Risiken bestimmt, ohne die kein unterneh-
Verwaltung sind prioritär für den Innovationsstandort          merisches Handeln und keine Innovationsprozesse mög-
Deutschland.                                                   lich sind. Um langfristig zu den führenden Innovationsna-
                                                               tionen aufzuschließen, sollte Deutschland sich in Zukunft
Ein weiterer Faktor ist die langfristige Finanzierung priva-   nicht am Drei-Prozent-Ziel, sondern an der Forschungs-
ter Investitionen. Die Erfahrungen aus der Finanzkrise         und Entwicklungs-(FuE)intensität der weltweiten Spitzen-
haben zu einer strengeren Finanzmarktregulierung               gruppe orientieren und ein ehrgeizigeres Ziel von 3,5 Pro-
geführt. Wünschenswert wäre, die Regulierung des Finanz-       zent der Wirtschaftsleistung für FuE anstreben.
systems in Zukunft enger mit den Anliegen der Realwirt-
schaft abzustimmen.                                            Die Expertenkommission empfiehlt eine deutliche Verbes-
                                                               serung der Rahmenbedingungen für Innovationen in vier
Für die Investitionstätigkeit der privaten Wirtschaft spielt   Bereichen.
neben einer stabilen Inlandsnachfrage auch die Auslands-
nachfrage eine wichtige Rolle. Deshalb sind für die export­    →→ Erstens muss der Zugang zu externer Finanzierung,
orientierte Volkswirtschaft Deutschlands die Aufrechter-          insbesondere zur Beteiligungsfinanzierung, in Deutsch-
haltung offener Märkte und die Stärkung von                       land deutlich verbessert werden. Die Expertenkommis-
Handelsbeziehungen von zentraler Bedeutung. Die Stand-            sion spricht sich deshalb für eine Kapitalbesteuerung
ortattraktivität bei Investitionsentscheidungen wird in           aus, bei der Fremdkapital und Selbstfinanzierung nicht
Zeiten globaler Wertschöpfungsketten zunehmend von                gegenüber Eigenkapitalfinanzierung bevorzugt werden.
Handels- und spezifischen Investitionsabkommen beein-             Ein möglicher Ansatzpunkt dafür wäre der steuerliche
flusst. Deshalb ist der Ansatz der Europäischen Kommis­           Abzug einer kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung
sion, angesichts ausbleibender Fortschritte im Rahmen der         als Bestandteil einer aufkommensneutralen Steuerre-
WTO vermehrt bilaterale Handelsabkommen mit strate-               form. Zudem sollte das kapitalmarkt- und aufsichts-
gisch wichtigen Partnern zu verhandeln, prinzipiell richtig.      rechtliche Umfeld attraktiver gestaltet werden, um
Die Festlegung allgemeiner Handelsregeln sowie Vereinba-          potenzielle institutionelle Investoren nicht durch Regu-
rungen zur Förderung nachhaltigen Handels, z. B. durch            lierung zu stark einzuschränken.
beiderseitiges Hinwirken auf die Umsetzung internationa-
ler Abkommen zu Arbeits-, Umwelt- und Klimaschutz, tra-        →→ Zweitens muss einem Fachkräftemangel vorgebeugt
gen dazu bei, ein „level playing field“ zu schaffen und die       werden, vor allem durch eine frühzeitige Förderung von

                                                                                                                             9
ZUSAMMENFA SSUNG

        Fächern in den Bereichen Mathematik, Informatik, Natur-      Die Expertenkommission empfiehlt daher, die regulatori-
        wissenschaft und Technik (sog. MINT-Fächern) bereits im      schen Rahmenbedingungen für Investitionen in Breit-
        Schulsystem. Die Beteiligung von Frauen und Zuwande-         bandnetze zu verbessern. Eine mögliche Option dafür ist
        rern im Innovationssystem sollte erhöht werden.              die Vergabe von Konzessionen mit regulatorischen Aufla-
                                                                     gen und, falls notwendig, zusätzliche staatliche Subventio-
     →→ Drittens sollte sich die Innovationspolitik stärker an       nen.
        dem Ziel ausrichten, ausländische Investitionen in
        Forschung und Entwicklung in Deutschland zu                  Die Expertenkommission begrüßt eine ausführliche Ausei-
        erleichtern und den Abfluss von Know-how zu verhin-          nandersetzung mit dem Thema Netzneutralität und ihrer
        dern. Um international wettbewerbsfähige Rahmenbe-           Auswirkung auf die Investitionsanreize von Netz- und
        dingungen für FuE-Tätigkeiten von Unternehmen zu             Dienstanbietern. Zur Steigerung der Investitionsanreize
        schaffen, sollte die Einführung einer steuerlichen           auf Ebene der Netzanbieter sollte eine innovationsfreund-
        FuE-Förderung in Erwägung gezogen werden. Ziel sollte        liche Definition der Netzneutralität, wie sie vom Minister-
        es sein, dass die anschließende Wertschöpfung in             rat der Europäischen Union vorgeschlagen wurde, geprüft
        Deutschland getätigt wird.                                   werden. Eine solche Auslegung muss jedoch mit klaren
                                                                     Rahmenbedingungen einhergehen, die die Spielräume der
     →→ Viertens sollte eine systematische Evaluation von inno-      Netzanbieter bei der Preis- und Qualitätsdifferenzierung
        vationspolitischen Fördermaßnahmen in Deutschland            klar begrenzen. Diese sollten sowohl Maßnahmen zur Fest-
        entwickelt und umgesetzt werden. Die Einführung von          legung eines Mindeststandards des Best-Effort-Internets
        modernen Evaluierungsverfahren ist gerade für innova-        enthalten, als auch deutliche Anforderungen an das „traffic
        tionspolitische Fördermaßnahmen dringend geboten,            management“ setzen.
        um deren Wirksamkeit sicherzustellen und die Mittel-
        vergabe aus öffentlichen Geldern effektiv zu gestalten.      Staatliche Fördermaßnahmen für die Entwicklung neuer
                                                                     Anwendungen und die Durchführung von Pilotprojekten,
     Eine große Herausforderung für erfolgreiche Innovations-        wie etwa im Rahmen von Smart Grids oder zur Forcierung
     politik besteht darin, wichtige Zukunftsthemen frühzeitig       von Industrie 4.0, werden die Investitionsbereitschaft von
     zu erkennen und aufzugreifen. Um Innovationen in                Unternehmen steigern. Das Gleiche gilt für anwendungs-
     Zukunftsfeldern – wie etwa mit Blick auf die digitale Wirt-     nahe Forschung in diesen Bereichen. Die positiven Rück-
     schaft und Gesellschaft – voranzutreiben und die internati-     wirkungen auf Investitionen in neue Netze sollten als wei-
     onale Wettbewerbsfähigkeit des Innovationsstandorts             tere Instrumente zur Förderung des Infrastrukturausbaus
     Deutschland langfristig zu erhalten, ist eine aktive Innova-    berücksichtigt werden.
     tionspolitik notwendig. Die Innovationspolitik muss dabei
     so ausgestaltet werden, dass sie die Wettbewerbspolitik
     komplementiert und Innovationen fördert.                        B. Energie

                                                                     Die Energiewende und die Vertiefung des Energiebinnen-
     5. Private Infrastruktur                                        markts erfordern hohe Investitionen – bis zum Jahr 2020
                                                                     von insgesamt geschätzten 31 bis 38 Mrd. Euro pro Jahr – ,
                                                                     um die energiepolitischen Ziele der Versorgungssicherheit,
     A. Digitale Infrastruktur                                       Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit sowie der gesell-
                                                                     schaftlichen Akzeptanz zu erreichen. Investitionen sind in
     Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss Deutschland in sei-        fast allen Bereichen des Energiesystems notwendig: Netz­
     ne digitale Infrastruktur investieren. Digitale Infrastruktur   infrastruktur, Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen,
     bezieht sich dabei auf Breitbandnetze, digitale Dienstleis-     konventionelle Erzeugung, Energieeffizienz, Kraft-Wär-
     tungen (z. B. in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Ener-       me-Kopplung, Lastmanagement und Speichertechnologi-
     gie, Verwaltung) und daraus entstehende Innovationen. Es        en. Ein Teil der Investitionen betrifft öffentliche Haushalte,
     müssen vorrangig Investitionen auf der Ebene der Breit-         der überwiegende Teil muss jedoch privatwirtschaftlich
     bandnetze getätigt werden, da deren Verfügbarkeit und           getätigt werden. Die Investitionsanreize können zumeist
     Leistungsfähigkeit in Deutschland im internationalen Ver-       nur indirekt beeinflusst werden, durch die Ausgestaltung
     gleich unterdurchschnittlich ist und sich diese digitale        der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen und
     Lücke zu Wettbewerbern vergrößert.                              Anreizsetzungen oder durch gezielte Förderprogramme.

10
ZUSAMMENFA SSUNG

Um die Investitionstätigkeit im Energiesektor zu stärken          und einen geeigneten Ansatz zu identifizieren, sollte
und in die richtige Richtung zu lenken, identifiziert die         externe Expertise eingebunden werden.
Expertenkommission eine Reihe von Prioritäten für die
Politik:
                                                               C. Junge Unternehmen
→→ Netz- und Erzeugungsinvestitionen stärker an der
   Systemdienlichkeit ausrichten. Die Rahmenbedingun-          Die Rahmenbedingungen für und Förderung von jungen
   gen sollten für eine effiziente Koordination von Netz-      Unternehmen sind wichtige Aufgaben der Wirtschaftspoli-
   ausbau und Erzeugungszubau sorgen. Die so induzier-         tik, denn es sind gerade diese Unternehmen, die einen
   ten Anreize zum Bau und zur Standortwahl für Erzeu-         wichtigen Beitrag zur Innovationskraft und Wettbewerbs-
   ger sollten mittelfristig auch für erneuerbare Energien     fähigkeit der deutschen Wirtschaft leisten. Gründungen im
   greifen. Dafür ist es notwendig, deren Marktintegration     Bereich der Hochtechnologie und wissensintensiven
   entschieden voranzutreiben.                                 Dienstleistungen weisen eine überdurchschnittliche Inno-
                                                               vationsneigung auf, sind jedoch im internationalen Ver-
→→ Investitionen in Energieeffizienz stärken. Die Entwick­     gleich gering und waren in den vergangenen Jahren weiter
   lung neuer Finanzierungsinstrumente sollte geprüft          rückläufig. Die Gestaltung gründungsfreundlicher Rah-
   werden, um über eine Bündelung vergleichbarer Pro-          menbedingungen ist deswegen nicht nur für die Beschäfti-
   jekte Informations- und Transaktionskosten des Einzel-      gungspolitik wichtig, sie stellt eine wichtige Voraussetzung
   nen zu senken und durch Synergieeffekte die individu-       für eine erfolgreiche Innovationspolitik dar.
   ellen Kosten der Umsetzung zu reduzieren.
                                                               Die Expertenkommission hebt vor allem die folgenden
→→ Regulatorische Unsicherheit senken. Rahmenbedin-            Empfehlungen zur Stärkung der Rahmenbedingungen und
   gungen, die dem Ziel der Wirtschaftlichkeit möglichst       Förderung junger Unternehmen in Deutschland hervor:
   nahe kommen und gut mit europäischen Rahmenbe-
   dingungen harmonieren, versprechen eine höhere              →→ Verbesserung der Rahmenbedingungen für Gründun-
   Akzeptanz und haben eine längere Halbwertzeit.                 gen: Ein Abbau von bürokratischen Hürden für Unter-
   Dadurch verringern sie das regulatorische Risiko, eines        nehmensgründungen sowie eine Senkung der regulato-
   der zurzeit zentralen Investitionshemmnisse. Um geeig-         rischen Anforderungen für Existenzgründerinnen und
   nete Maßnahmen treffen zu können, wird nahegelegt,             -gründer sowie junge Unternehmen sind hierfür not-
   das subjektiv wahrgenommene regulatorische Risiko              wendig.
   entscheidender Akteure zu erfassen, z. B. mit Hilfe eines
   geeigneten Index.                                           →→ Finanzierungshemmnisse abbauen: Hierfür sollten
                                                                  steuerliche Hemmnisse für private Investitionen in
→→ Akzeptanz stärken. Die Ziele Wirtschaftlichkeit und Ver-       Beteiligungskapital abgebaut werden. Die Einführung
   sorgungssicherheit müssen – neben der Umweltverträg-           eines europäischen Börsensegments für junge Unter-
   lichkeit und der Akzeptanz vor Ort – klar in den Blick         nehmen könnte dem Fehlen von Anschlussfinanzierun-
   genommen werden. Niedrige Energiepreise und -kosten            gen entgegenwirken und private Wagniskapital-Investi-
   bei Einhaltung der Ziele der Energiewende sind Voraus-         tionen fördern.
   setzungen für die Akzeptanz in der Bevölkerung und der
   Wirtschaft und erhalten die Wettbewerbsfähigkeit des        →→ Informationen zu Schutzrechten besser vernetzen:
   Industriestandorts. Pro und Contra verschiedener Maß-          Die Einführung des Europäischen Patents mit einheitli-
   nahmen sollten mit Blick auf die Akzeptanz in transpa-         cher Wirkung in allen EU-Mitgliedstaaten sowie die
   renten Prozessen kommuniziert und diskutiert werden.           Errichtung eines europäischen Patentgerichts werden
                                                                  begrüßt. Sie haben das Potenzial, die Kosten für Anmel-
→→ Zielerreichung messbar machen. Um eine klare Orien-            dung und Durchsetzung internationaler Patente zu
   tierung am Ziel der Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen,         reduzieren und damit die Nutzung für kleine und mitt-
   sollte es besser messbar gemacht werden. Vorausset-            lere Unternehmen (KMU) zu erleichtern.
   zung ist die Bereitstellung geeigneter Daten, die eine
   Approximierung von Effizienzgewinnen durch ener-
   giepolitische Maßnahmen mit Hilfe von Modellen
   ermöglicht. Um verschiedene Ansätze zu evaluieren

                                                                                                                              11
Z U S A M M E N FA S S U N G

     6. Europa: Deutschlands Beitrag zu                            Die im Juncker-Plan vorgeschlagenen Investitionsfelder
        Europas Investitionsagenda                                  sind für Europas Zukunft von strategischer Bedeutung. Ein
                                                                    solcher europäischer Investitionsplan wird die Koopera­
                                                                    tion zwischen den europäischen Ländern verbessern, da
     Europa befindet sich nach wie vor in einer tiefen wirt-        die gewaltigen Herausforderungen von Zukunftsgestal-
     schaftlichen und finanziellen Krise. Viele EU-Mitgliedstaa-    tung und Krisenmanagement nur gemeinsam bewältigt
     ten haben bereits jetzt ein verlorenes Jahrzehnt hinzuneh-     werden können. Vor diesem Hintergrund sollten vor allem
     men. Das Risiko weiterer Jahre von Stagnation und hoher        strategische Investitionen in Breitbandnetze, eine europäi-
     Arbeitslosigkeit ist enorm. Wie Deutschland hat auch           sche Energiewende, Bildung, Inklusion sowie KMU und
     Europa eine private und öffentliche Investitionsschwäche.      Mid-Cap-Unternehmen gefördert werden.
     In Europa werden heute 430 Mrd. Euro weniger investiert
     als noch im Jahr 2007 und deutlich weniger als in den ver-
     gangenen 20 Jahren. Dies wirkt sich nachteilig auf die
     Konjunktur, die Schaffung von Arbeitsplätzen, das lang-
     fristige Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Europas
     aus.

     Viele Krisenstaaten müssen notwendige Reformen umset-
     zen. Sie benötigen jedoch auch Unterstützung, um wettbe-
     werbs- und zukunftsfest zu werden, auf einen stabilen
     Wachstumspfad zurückzukehren und ihre Volkswirtschaf-
     ten sozial ausgeglichen zu gestalten. Der Schlüssel für eine
     nachhaltige Erholung Europas liegt in einem stärkeren
     Wachstum, das vor allem durch eine gemeinsame Investi-
     tions- und Modernisierungsoffensive unterstützt werden
     muss. Ausschließlich auf Sparpolitik ausgerichtete Refor-
     men können nicht erfolgreich sein.

     Die Expertenkommission begrüßt den Juncker-Plan zur
     Einbindung privaten Kapitals in Zukunftsinvestitionen. Sie
     schlägt vor, eine dauerhafte Einrichtung des Juncker-Plans
     für Europa zu prüfen, wenn sich dieser als erfolgreich
     erweist. Dafür müsste der dem Plan zugrunde liegende
     Europäische Fonds für Strategische Investitionen (EFSI)
     einerseits mit höheren Mitteln ausgestattet werden und
     andererseits ein Mechanismus geschaffen werden, um ihn
     in Zukunft – falls notwendig – zu rekapitalisieren oder zu
     erweitern. Dies erfordert jedoch eine Entscheidungsstruk-
     tur, die das Kapital des EFSI schützt und sicherstellt, dass
     die Möglichkeit einer zukünftigen Rekapitalisierung nicht
     zu unvorsichtigem Umgang mit den jetzigen Geldern führt.
     Die Governance des EFSI sollte imstande sein, ökonomisch
     sinnvolle Projekte zu fördern und mit der Übernahme
     höherer Risiken private Investitionen zu mobilisieren. Die
     einfache und unbürokratische Bereitstellung von EFSI-Ga-
     rantien ist sicherzustellen.

12
Ergänzende und abweichende Positionen der
in der Kommission vertretenen Gewerkschaften
(IGM, ver.di, IG BCE, IG BAU und DGB)

Deutschland leidet seit Jahren unter einem massiven Inves-     →→ Zusätzlich wäre angesichts eines historisch einmaligen
titionsstau. Vor allem öffentliche, insbesondere kommu­           Niedrigzinsumfeldes von nur 0,2 Prozent für langfristi-
nale, Investitionen wurden in der Vergangenheit zurückge-         ge Bundesschulden eine Kreditfinanzierung – gerade
fahren. Der Grund: Steuersenkungen der vergangenen                im Interesse der künftigen Generationen – ein günsti-
Jahre haben bei Bund, Ländern und Kommunen Steuer-                ger Weg, die Infrastruktur zu modernisieren. Allein im
mindereinnahmen von jährlich 45 Mrd. Euro verursacht.             Jahr 2014 hätte der Staat einen Verschuldungsspiel-
Zudem hat die fiskalische Konsolidierung im Rahmen der            raum von etwa 35 Mrd. Euro ausschöpfen können, ohne
Schuldenbremse und der „Schwarzen Null“ zu einer Priori-          gegen die gesetzlichen Vorgaben der Schuldenbremse
sierung des Schuldenabbaus vor Investitionen geführt. Das         zu verstoßen. Für das Jahr 2015 werden es schätzungs-
Ergebnis ist verheerend: Öffentliche Ausgaben wurden              weise 18,6, für das Jahr 2016 17,8 und für das Jahr 2017
gekürzt, viele öffentliche Dienstleistungen sind dem Rot-         13,1 Mrd. Euro sein.1a Außerdem ist es sinnvoll, den Vor-
stift zum Opfer gefallen oder wurden privatisiert, Gebüh-         schlag des Sachverständigenrates (SVR) umzusetzen
ren wurden angehoben und Nutzerentgelte eingeführt.               und öffentliche Investitionen in die Infrastruktur von
Viele öffentliche Dienstleistungen wurden dadurch für             der Schuldenbremse auszunehmen.
Geringverdiener unerschwinglich. Kurzum: Deutschland
hat vom Investitions- zum Sparmodus umgeschaltet. Der          →→ Zusätzlich und erst dann, wenn alle diese Finanzie-
Schuldenbremse folgte eine faktische Investitionsbremse.          rungsoptionen ausgeschöpft sind, sollten die in diesem
Das muss sich im Interesse der Zukunft unseres Landes             Bericht vorgeschlagenen neuen Finanzierungsinstru-
ändern. Deshalb muss Deutschland wieder in seine Zukunft          mente wie ein öffentlicher Infrastrukturfonds für Kom-
und für eine wettbewerbsfähige, innovative Wirtschaft             munen oder ein Bürgerfonds geprüft werden. Auch
und für ein intaktes, soziales und grünes Gemeinwesen             dann gilt: Die private Finanzierung darf nicht wesent-
investieren. Die Investitionen von heute sind Arbeitsplätze       lich teurer sein als eine direkte Kreditaufnahme durch
und Wohlstand von morgen. Deren Finanzierung muss                 den Staat. Die private Finanzierung ist im Vergleich zu
gerecht und in einem historisch einmaligen Niedrigzins-           den oben genannten Alternativen immer teurer. Um
umfeld auch günstig erfolgen, um gerade den künftigen             diesen Nachteil zu minimieren, schlagen wir vor: Der
Generationen beides zu hinterlassen: eine moderne und             Infrastrukturfinanzierungsfonds oder ein Bürgerfonds
intakte Wirtschaft, Infrastruktur und Gesellschaft, die aber      sollten vollständig im öffentlichen Besitz bleiben und
gleichzeitig öffentliche Haushalte langfristig nicht stark        mit ausreichendem Eigenkapital, einer Staatsgarantie
belastet. Deshalb schlagen wir zur Stärkung der Investitio-       und mit eigenen Einnahmen ausgestattet werden. Der
nen in Deutschland einen „Pakt zur gerechten Finanzie-            Fonds begibt Anleihen, die über Auktionen am Markt
rung und Umsetzung öffentlicher Investitionen“ vor, der in        platziert und von institutionellen Anlegern wie Banken
den folgenden Punkten eine abweichende Position dar-              und Versicherungen, aber auch von privaten Haushal-
stellt.                                                           ten und kleinen Sparern erworben werden können. Die
                                                                  Refinanzierung der Kredite kann wahlweise durch die
Ein Pakt zur gerechten Finanzierung öffentlicher Investi­         künftigen Einnahmen aus der geplanten Finanztrans-
tionen soll diese Priorisierung beinhalten:                       aktionssteuer oder aus den Haushaltsmitteln und
                                                                  Nutzerentgelten wie z. B. einer Maut erfolgen.
→→ Öffentliche Investitionen müssen vorrangig aus Steuer-
     mitteln finanziert werden. Um die Lasten gerecht zu       →→ Um einen zielgerichteten Einsatz von Haushaltsmitteln
     verteilen, sollten die bisherigen Steuerprivilegien für      für Infrastrukturinvestitionen zu bewirken, wäre eine
     sehr hohe Vermögen, Einkommen und Erbschaften                Prüfung der Einrichtung einer haushaltsrechtlichen
     wieder rückgängig gemacht und mit den erzielten Mehr­        Verpflichtung zu öffentlichen Investitionen in einer
     einnahmen öffentliche Investitionen bereitgestellt wer-      bestimmten Höhe, die zumindest die Abschreibungen
     den.                                                         auf das Vermögen der öffentlichen Hand kompensiert,

1a    Vgl. BMF (2015).

                                                                                                                              13
Sie können auch lesen