Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit

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Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit
Foto: Christian Ammann
    Steinwild im Lechquellengebiet:
Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit
                                     Bisherige Ergebnisse des Steinwildprojekts,
                                  präsentiert im Rahmen der 7. Oberländer Jägertage

Text und Fotos von                  ser des vielbeachteten Buches     von wandernden Gruppen              Forschungsprojekt „Wande­
Dr. Fredy Frey-Roos                 „Der Steinbock – Biologie und     und Einzeltieren. Allerdings        rungen von Steinböcken im
                                    Jagd“ ist, die wichtige Bedeu­    befand der Steinwildexperte,        Lechquellgebiet“ eingesetzt.
                                    tung von elfjährigen und älte­    dass der individuelle Aus­          Das Vorhaben wurde in
                                    ren Böcken. Zur Bemessung         tausch zwischen den Kolonien        zwölf Revieren in den Wild­
                                    der Abschussquote erwies          mittels der gewünschten Me­         regionen Großes Walsertal,
                                    sich die alljährliche Zählung     thode – der Telemetrie – un­        Klostertal und Lech realisiert.
                                    im Juli am sinnvollsten.          tersucht werden kann.               Abgestützt durch Leistungen
                                                                                                          von Berufsjägern der betei­

A    usgangslage des Stein­
     wildprojektes im Lech­
quellengebiet war die Studie
                                    Die Erfassung der Wande­
                                    rungen in die Brunftein­
                                    stände konnte Meile, unter­
                                                                      BOKU-Projekt
                                                                      Genau diese Technik wur­
                                                                                                          ligten Reviere wurde die Un­
                                                                                                          tersuchung auf privater Basis
                                                                                                          finanziert. Die Abwicklung
des Steinwildexperten Dr. Pe­       stützt durch die Berufs­ jäger,   de ab dem Jahre 2007 im             und Auswertung wurden
ter Meile. Diese Untersuchung       selbst    mit     intensivstem
wurde in einem Büchlein,            Beobachtungseinsatz wegen
welches bei der Vorarlberger        der Schneeverhältnisse, La­
Jägerschaft bezogen werden          winengefahr oder ernormen
kann (siehe Seite 34 oben),         Beobachtungsdistanzen nicht
abgefasst. Darin finden sich        hinlänglich durchführen. Auf
die aus den Jahren 2005/06 er­      Grund der Angaben aus der
hobenen Beobachtungen und           Jägerschaft legte er dar, dass
Ergebnisse, aber insbesondere       der große Populationsteil
auch Schlussfolgerungen zur         Lech-Quellengebirge mit der
nachhaltigen Bejagung. Hier­        Kolonie um die Rote Wand so­
zu formulierte er eine sehr gut     wie der Kolonie des Braunarl-
nachvollziehbare, biologisch        Gebiets zusammenhängt. Hin­
begründete Abschussplanung          weise für den Zusammenhang
aus. Dabei unterstrich Dr.          zwischen den letzten beiden
Meile, der übrigens Mitverfas­      Kolonien lieferten Sichtungen     Mit einem Narkosepfeil beschossener Steinbock am Plattnitzer Joch.
Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit
Mai / Juni 2012                                             Wildbiologie                                                            9

vom Institut für Wildbiologie                                                                           wiedererschaffen: ein star­
und Jagdwirtschaft, Univer­                                                                             ker Baumwollgurt wurde
sität für Bodenkultur Wien,                                                                             mit eingebaut. Vom neuen
ausgeführt.                                                                                             Typ waren mittlerweile zwei
Anhand von Halsbandsen­                                                                                 Bänder im Einsatz. Eines
dern wurde es möglich, ein                                                                              konnte wiederum gefunden
vollständiges Raum-Zeit-Ver­                                                                            werden. Die Begutachtung
halten der Böcke aufzuzeich­                                                                            ergab ein sehr positives Bild.
nen. Damit konnte klarer der                                                                            Außer dem nach etwas mehr
Frage, wie die verschiedenen                                                                            als einem Jahr durchrissenen
Kolonien       zusammenhän­                                                                             Baumwollgurt ist das Ganze
gen, nachgegangen werden.                                                                               nur unwesentlich abgenutzt,
Jedoch konnte gleichzeitig                                                                              aber voll intakt. Gleichwohl
auch das Ausmaß der Win­                                                                                lief die Batterie nur während
tereinstände registriert wer­                                                                           13 Monaten bei einer veran­
den oder überprüft werden,                                                                              schlagten, optimalen Laufzeit
woher die Tiere in den be­                                                                              von gegen zwei Jahren. Das
kannten     Wintereinständen                                                                            andere Halsband neueren
stammen. Zudem, ob bisher                                                                               Typs funktionierte gering­
unbekannte Überwinterungs­         Aufwachen aus der Narkose nachdem ein hellblaues Senderhalsband      fügig länger. Offensichtlich
orte vorkommen. Im Weite­          montiert wurde.                                                      beeinträchtigen die tiefen
ren kann aufgedeckt werden,                                                                             Temperaturen die Batterie­
ob allfällig gar ein Zusam­        einem Bock an der Fensterle         jekte hatten ähnliche hohe       leistung doch stark. Übrigens
menhang mit benachbarten           Wand überhaupt nicht wir­           Ausfallraten zu beklagen.        übermittelte das Modul des
Steinwildvorkommen         (z.B.   ken. Erst in den Felsen, wo es      Anscheinend setzen speziell      hellblauen Halsbandes von
Kanisfluh, Tirol) besteht.         tatsächlich möglich war, zu         die Böcke den Sendern arg        allen Sendern mit mehr als
Hierfür gelang es, in den Jah­     ihm hinzuklettern, tat er sich      zu. Das wurde bei einem          14 Monaten am längsten die
ren 2007 und 2009 elf Böcke        nieder. Danach trug er sein         aufgefundenen Halsband er­       GPS-Positionen. Diese Or­
mit GPS-Halsbandsendern            hellblaues Halsband (Bild           sichtlich: das oben montierte    tungen und somit die Wan­
zu versehen: vier um die           oben).                              Modul war abgerissen (Bild       derrouten konnten die Betei­
Göppinger Hütte, zwei je­                                              unten). Überdies verzeichne­     ligten am Projekt per Internet
weils um die Rote Wand und         Ausfall der Sender                  ten die Batterien einen un­      (bereitgestellt durch die Her­
am Gehren Grat; dazu kam                                               gewöhnlich schnellen Ener­       stellerfirma der Halsbän­
je ein Bock an der Fenster­        Diese Bänder wiesen, neben          gieverlust. Derartiges konnte    der) um einen Tag verzögert
le Wand, am Platnitzer Joch        einer unten liegenden Bat­          beim Rotwild mit demselben       nachverfolgen.
sowie in der Nähe der Ra­          terie, oben das GPS-SMS-            Halsbandtyp nie festgestellt
vensburger Hütte. Es wur­          Modul auf. Außerdem war             werden. Einerseits könnte        Wanderungen
den hauptsächlich vier- und        seitlich eine zeitlich vorein­      es an den besonders harten
fünfjährige Böcke besendert,       gestellte Sollbruchstelle ein­      Lebensbedingungen (Tem­          Zu den Wanderungen von
weil bekanntlich Tiere dieser      gearbeitet. Die Enttäuschung        peraturunterschiede) liegen,     Rudeltieren ist anzumerken,
Altersklasse besonders häu­        war groß, als gegen Ende            andererseits scheuern offen­     dass mit der Untersuchung
fig und weit herumwandern.         2007 von den acht Sendern           bar die Böcke das Halsband       eines einzelnen Tiers mit Sen­
Die zum Fang vorgesehenen          nur noch die Hälfte funk­           häufig an Felsen. Denkbar        der, gleichzeitig das Verhal­
Tiere wurden mit einem Nar­        tionierte. Die anderen vier         wäre auch, dass durch das        ten von anderen Gruppentie­
kosepfeil (Kaliber 11 mm,          Sender liefen rund ein Jahr         Schlagen das Modul getrof­       ren mit einschließt. Trotzdem
Länge 20 cm) aus einem Luft­       lang. Andere Steinwildpro­          fen wird. Dadurch bilden         ziehen beim Steinwild nicht
druckgewehr beschossen.                                                sich Risse am Modul. Das         selten    nahe     beieinander
Die effektiv noch Erfolg ver­                                          dort eindringende Wasser         stehende Böcke darauf teil­
sprechende maximale Reich­                                             zerstört in der Folge die emp­   weise über Wochen hinweg
weite liegt bei Windstille nur                                         findliche Elektronik.            in verschiedenen Bereichen
bei 40 m. Da Steinböcke nach                                                                            herum, um später sich wie­
dem Beschuss durchaus noch                                             Auf Grund der Darlegung          der an einem anderen Ort zu
200 m weiterziehen können,                                             dieses Falls zeigte sich die     treffen (s.a. Frey-Roos 2009).
wurde darauf geachtet, dass                                            Herstellerfirma der Hals­        Überdies durchstreifen Stein­
im Gelände nur entfernt                                                bandsender äußerst ent­          böcke nicht nur im Lechquel­
schroffe Felswände vorkom­                                             gegenkommend und war             lengebiet recht unterschied­
men. Andernfalls können                                                bereit, als Ersatz robustere,    lich große Flächen während
sich die getroffenen Böcke                                             besser gepolsterte Ausfüh­       ihren    Wanderungen.       So
dort niederbetten. In aller                                            rungen anzufertigen. Weil        beispielsweise der Bock mit
Regel verliefen die Besende­                                           der Mechanismus der Soll­        dem hellblauen Halsband.
rungsaktionen völlig unpro­                                            bruchstelle einer kleinen        Er wechselte von seinem
blematisch. Dennoch wollte         Durch die Aktivität des Bocks be-   Sprengladung gleicht, wurde      Sommereinstand beim Ga­
das Betäubungsmittel bei           schädigtes Halsband.                eine altbewährte Alternative     nalskopf schon Ende Septem­
Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit
10                                                         Wildbiologie                                            Vorarlberger Jagd

ber in den hauptsächlichen         während der Brunft noch
Wintereinstand im Klostertal       am Madratsch bei der Roten
unterhalb der Allhöhe über         Wand auf. Im November un­
Dalaas. Im November zog            ternahm dieser Bock einen
er wie ein weiterer Bock von       zirka 21 km langen Ausflug
dort zum bereits von Meile         auf die rechte Talseite des
beschriebenen Roggelskopf          Großen Walsertals. Es führte
vorbei bis zum Weißen Röss­        ihn bis zur Hochschere beim
le. Hier angekommen ließ           Zitterklapfen dem Grat nach
er seinen Kumpanen stehen          bis zum Schadonapass und
und wechselte unterhalb an         zurück zum Feuerstein (nähe
der Gamsfreiheit bis zum           Bad Rotenbrunnen). Inter­
Stierkopf, also bis fast über      essant ist, dass der andere        Lange Wanderung zum Brunfteinstand im Kleinen Walsertal.
Bings. Diese Strecke umfasst       Bock, ausgerüstet ebenfalls
rund 15 km. Wenige Tage            mit einem neuen Halsband­          meinschaft vorkommt. Wie          der relativ kurzen Wander­
später bezog er definitiv den      typ, nahezu auf derselben          die GPS-Daten zeigen, gibt        strecke vom Zitterklapfen
Haupteinstand über Dalaas.         Route den gleichen Ausflug         es einen Austausch zwischen       über das Furkajoch (etwas
Dagegen verblieben die Bö­         durchführte, aber vier Tage        der Kolonie Braunarl und der      mehr als 15 km (direkter Weg
cke in der Gegend um die           später. Auf diese Weise ha­        Kolonie Rote Wand. Oben­          um die 10 km), nicht ausge­
Rote Wand in einem Um­             ben sich die beiden gar nicht      drein existiert sogar eine Ver­   schlossen werden. Das Glei­
kreis von 2,5 km. Der Win­         getroffen.                         bindung zum Kleinen Wal­          che gilt grundsätzlich zu den
tereinstand lag an der Süd­        Darüber hinaus kehrte letz­        sertal. Freilich konnten bisher   Tiroler Populationen. Daraus
seite des Rothorn oder des         terer Bock nicht zurück, son­      keine      Brunftwanderungen      zu folgern, für die Steinwild-
Madratschs. Die vier nahe          dern wechselte innerhalb von       von der Roten Wand zur Ko­        Abschussplanung        müssen
der Göppinger Hütte besen­         27 Stunden ab dem Zitter­          lonie Klostertal (Sommerein­      viel weitreichendere Gebiete
derten Böcke wechselten in         klapfen ins Kleine Walsertal.      stände Ganalskopf - Gehren        einbezogen werden als bis­
den Sommermonaten regel­           Die gesamte Wanderstrecke          Grat - Plattnitzer Joch – Bra­    her, würde klar über das Ziel
mäßig zur Braunarlspitze,          von der Feuerspitze bis Win­       zer Spullers) oder umgekehrt      hinausschießen. Aber dort
teilweise 3 km weiter vorbei       tereinstand beim Geißhorn          gefunden werden. Hinweise         wo das Steinwild in einer in
an der Mohnenfluh bis zur          beträgt 25 km (Bild oben).         hierfür lieferten die Böcke       sich abgeschlossenen geogra­
Juppenspitze. Andererseits         Erst gegen Ende April trat         von der Roten Wand: mehr­         phischen Einheit vorkommt,
wurden dazu Ausflüge zur           dieser Bock seinen Heimweg         fach näherten sie sich in den     wie z.B. vom Klostertal bis
Roten Wand unternommen.            an. Dafür benötigte er sechs       Sommermonaten der Lech            zum Großen Walsertal, muss
Die Wintereinstände befan­         Tage.                              unterhalb der Formarin­alpe.      es durchführbar sein, den
den sich in einem bekannten                                           Von dort bis zum gegen­           Abschuss auf einer vorgän­
Wintereinstand im Großen           Vermutungen und                    überliegenden Einstand am         gigen Zählung abzustützen.
Walsertal bei der Hutlaspitze      Wirklichkeit                       Formaletsch sind es nur etwa      Hierin bin ich wiederum mit
(Bild unten) bzw. am Feu­                                             einen Kilometer, was, wie         Meile einig, dass diese am
erstein. Letzterer Ort wurde       Die geschilderten Beobach­         wir nun wissen, für das ört­      besten über Steinwildhege­
jedoch erst Mitte Jänner be­       tungen unterstützen die            liche Steinwild absolut keine     gemeinschaften      verlaufen,
zogen. Davor hielt sich der        Vermutung, dass im Lech­           Distanz bedeutet. Folglich        die je nach der räumlichen
Bock mit dem aufgefunde­           quellengebirge eine zusam­         ist es, aus wissenschaftlicher    Ausdehnung der Kolonie oft
nen Halsband neueren Typs          menhängende      Population,       Sicht, höchst wahrscheinlich,     den Rahmen von Rotwildhe­
tatsächlich im Dezember            d.h. eine Fortpflanzungsge­        dass ebenso zwischen diesen       gegemeinschaften oder gar
                                                                      Kolonien zumindest eine ge­       Bezirksgrenzen sprengen
                                                                      legentliche Bindung existiert.    können.
                                                                      Weiters fehlen bis anhin,
                                                                      wegen den Senderausfällen,
                                                                      genauso Peilungsdaten, die
                                                                      den Zusammenhang zwi­             Literatur:
                                                                      schen den Tieren vom Brazer       Meile, P. 2007: Steinwild-Pro-
                                                                      Spullers bzw. vom Plattnitzer     jekt Lechquellengebirge. Vorarl-
                                                                      Joch und dem Brunfteinstand       berger Jägerschaft.
                                                                      im Klostertal aufzeigen. Auch     Meile, P., Ratti, P. & Giaco-
                                                                      hier gilt immer noch die (ver­    metti, M. 2003: Der Steinbock -
                                                                      nünftige und sehr plausible)      Biologie und Jagd. Salm Verlag
                                                                      Vermutung einer einzigen          (vergriffen).
                                                                      Fortpflanzungsgemeinschaft.       Frey-Roos, F. 2009: Wanderun-
                                                                      Inwiefern eine Wanderung          gen von Steinböcken im Lech-
                                                                      von oder zur Kolonie Ka­          quellengebiet - Erste Ergebnisse
                                                                      nisfluh möglich wäre, kann        des Steinwildprojektes. Vorarl-
Streifgebiet eines bei der Göppinger Hütte besenderten Steinbockes.   in Anbetracht der nun vor­        berger Jagd und Fischerei Jän-
Brunfteinstand befand sich um die Hutlaspitze.                        liegenden Erkenntnisse und        ner/Februar 2009, S. 14-15.
Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit Steinwild im Lechquellengebiet: Bisherige Vermutungen und Wirklichkeit
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