Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022-2025
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Aussenpolitische Strategie 2020–2023 Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022–2025 Beim vorliegenden Bericht, der vom Bundesrat am 2. Februar 2022 gutgeheissen wurde, handelt es sich um eine thematische Folgestrategie zur Aussenpolitischen Strategie 2020−2023 (APS 20−23) . Die Verabschiedung einer Rüstungskontroll- und Abrüstungsstrategie entspricht einer Massnahme des Bundesrats im Rahmen seiner Jahresziele 2021 . Mit dem Bericht erfüllt der Bundesrat zudem das Postulat 21.3012 der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. 2
Vorwort Müssen wir Waffen vernichten, um den Frieden zu erhalten, wie es das auf dem Titelbild abgebildete Fresko von Francesco Antonio Giorgioli im Schloss Heidegg im Kanton Luzern anzudeuten scheint? Die Allegorie bringt den universellen und jahrhundertealten Wunsch zum Ausdruck, bewaffnete Gewalt zu beenden und so unseren Wohlstand zu sichern. Das Gesicht der Medusa erinnert uns an die Schrecken von Ypern oder Hiroshima, aber ich sehe in diesem Bild auch die Entschlossenheit der Frauen und Männer, welche die Folgen Der Bundesrat legt erstmals eine Strategie für seine Rüstungs von Konflikten begrenzen wollen. Die Rüstungskontrolle und kontroll- und Abrüstungspolitik vor. Darin definiert er die Abrüstung sind der politische Ausdruck dieser manchmal wider- Aktionsfelder, Ziele und Massnahmen für den Zeitraum sprüchlich scheinenden Haltung, die Kriege als unvermeidbar in 2022–2025. Er misst der Aufrechterhaltung und Weiterent- Kauf nimmt, aber deren Auswirkungen eindämmen will. wicklung der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüs- tungsarchitektur grosse Bedeutung bei. Die Beseitigung von Die Schweiz blieb verschont von den blutigen Auseinander- Massenvernichtungswaffen und die Eindämmung der Folgen setzungen, die Europa im letzten Jahrhundert heimsuchten. In bewaffneter Gewalt bleiben Ziele des Bundesrates. Gleich- Genf, der Stadt des Friedens und dem Sitz des Internationalen zeitig will er sich in neuen Bereichen wie dem Cyberraum und Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), wurde eines der ersten dem Weltraum stärker positionieren. Die Schweiz will alte Rüstungskontrollabkommen der Moderne ausgehandelt: das Wahrheiten kritisch hinterfragen, um Bewegung in festge- Protokoll von 1925, das den Einsatz chemischer und biolo- fahrene Prozesse zu bringen. Sie will sich auch aktiv an der gischer Waffen verbot. Seither wurden zahlreiche weitere Erarbeitung von Normen beteiligen, die den Einsatz neuer Verträge und Konventionen in der Calvin-Stadt verabschiedet, Technologien in Konflikten regeln sollen – wie etwa autonomer die damit zu einer Drehscheibe der weltweiten Abrüstungsbe- Waffensysteme. strebungen geworden ist. Es ist kein Zufall, dass Präsident Biden und Präsident Putin 2021 Genf für ihr Treffen wählten und dort Die Strategie wurde unter Einbindung zahlreicher Akteuren bekräftigten, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann ausgearbeitet und soll die Kohärenz der Schweizer Politik in und niemals geführt werden darf. diesem Themenfeld weiter stärken. Auch ihre Umsetzung wird im Geiste eines «Whole of Switzerland»-Ansatzes erfolgen, Es sind turbulente Zeiten für die Rüstungskontrolle und die damit die Schweizer Aussenpolitik ihr Potenzial im Bereich der Abrüstung. Zum einen erschwert das neue globale Macht- Rüstungskontrolle und der Abrüstung ausschöpfen kann. gefüge, insbesondere die geopolitische Rivalität der Gross- mächte, die entsprechenden Anstrengungen. Zum andern verändern neue Technologien und Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung die Art der Konflikte und das Management von Krisen grundlegend. Wir müssen die Rüstungskontrolle daher neu denken und nach innovativen Ansätzen suchen. Die Schweiz will sich an diesen Überlegungen beteiligen. Bundespräsident Ignazio Cassis Vorsteher Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 1 1 Einleitung 2 1.1 Warum eine Strategie? 2 1.2 Rückblick 3 1.3 Kohärenz 5 2 Trends 6 2.1 Geopolitik 6 2.2 Technologischer Fortschritt 8 3 Positionierung der Schweiz 10 3.1 Profil und Rollen 10 3.2 Stärken 11 3.3 Prinzipien 12 4 Aktionsfelder 13 4.1 Nuklearwaffen 14 4.2 Chemische und biologische Waffen 17 4.3 Konventionelle Waffen 21 4.4 Autonome Waffen 25 4.5 Cyberraum und Weltraum 27 5 Partner für die Umsetzung 31 Anhang 1: Abkürzungsverzeichnis 34 Anhang 2: Glossar 36 Anhang 3: Postulat 21.3012 «Klare Regeln für autonome Waffen und künstliche Intelligenz» 41 Übersicht relevanter RAN Abkommen, Organisationen und Instrumente 46 Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung Die Rahmenbedingungen für die Rüstungskontrolle, Abrüstung 1. Nuklearwaffen und Nichtverbreitung haben sich aufgrund geopolitischer 2. Chemische und biologische Waffen Veränderungen und des rasanten, teils bahnbrechenden 3. Konventionelle Waffen technologischen Fortschritts markant verändert. In vielen 4. Autonome Waffen Bereichen dominieren derzeit Polarisierungs- und Erosions- 5. Cyberraum und Weltraum tendenzen. Manche Verträge wurden gekündigt, andere werden nicht mehr eingehalten oder aktualisiert. In wiederum anderen Fällen schleppen sich Verhandlungen jahrelang ohne Für jedes dieser Aktionsfelder formuliert der Bundesrat Ziele nennenswerte Fortschritte hin. Gleichzeitig verändern sich und Massnahmen. Die Kohärenz zwischen den involvierten die Mittel und Methoden der Kriegführung aufgrund wissen- Departementen nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein. Die schaftlich-technologischer Entwicklungen fortlaufend. Die Umsetzung der Strategie wird innerhalb der Bundesver- Digitalisierung und neuen Technologien bringen dabei neben waltung über die verschiedenen formellen und informellen Herausforderungen auch Chancen für die Rüstungskontrolle Koordinationsgefässe in den jeweiligen Teilbereichen und Abrüstung. gesteuert. Zusätzlich wird künftig jährlich ein gemeinsames Monitoring aller beteiligten Bundesakteure zum Stand der Der Bundesrat will diesen Entwicklungen gerecht werden, Zielerreichung durchgeführt. Die Strategie identifiziert zudem indem er erstmals eine Rüstungskontroll- und Abrüstungs- Partner, die für die Umsetzung wichtige Rollen spielen. Dazu strategie formuliert. Die Schweiz soll damit noch stärker als zählen u.a. die Wissenschaft, Unternehmen und NGOs. Ein glaubwürdige und initiative Akteurin in diesem Themenfeld Glossar stellt die begriffliche Klarheit sicher. positioniert werden, die für tragfähige Lösungen einsteht und damit zu mehr Sicherheit in ihrem europäischen und globalen Mit der Strategie erfüllt der Bundesrat auch das Postulat Umfeld beiträgt. Sie wird dabei Bewährtes fortführen und auf 21.3012 der Sicherheitspolitischen Kommission des Natio- bestehenden Stärken aufbauen, zugleich aber neue Themen- nalrats vom 25. Januar 2021. Dieses beauftragt ihn zu felder und Fragestellungen erschliessen und auf innovative prüfen, wie eine Einsatzdoktrin für künftige autonome Herangehensweisen setzen. Waffensysteme und künstliche Intelligenz in der Sicher- heitsinfrastruktur unter Berücksichtigung internationaler Die Strategie deckt die Jahre 2022−2025 ab. Sie erläutert ethischer Standards ausgestaltet werden kann und Möglich- zunächst den Wandel der geopolitischen Rahmenbedin- keiten aufzuzeigen, sich international für diese einzusetzen. gungen und die wichtigsten technologischen Entwicklungs- Während Kapitel 4.4 die Thematik in einem grösseren linien. Auf dieser Basis positioniert der Bundesrat die Schweiz Zusammenhang erläutert, geht der Bundesrat in Anhang 3 als Akteurin in der Rüstungskontrolle und Abrüstung und legt vertieft auf die einzelnen Aspekte ein. Prinzipien fest, die ihrem Handeln zugrunde liegen. Im Sinne der Schwerpunktbildung identifiziert er fünf Aktionsfelder: Zusammenfassung 1
1 Einleitung 1.1 Warum eine Strategie? Die Schweiz ist auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle, umgesetzt, was sich direkt und indirekt auf den Wirtschafts- Abrüstung und Nichtverbreitung (RAN)1 seit langem aktiv. und Forschungsstandort Schweiz auswirken kann. Auch In den aussen- und sicherheitspolitischen Grundlagendoku- die sicherheitspolitischen Implikationen von RAN-Verein- menten nimmt die Thematik seit den 1990er Jahren einen barungen müssen im Auge behalten werden, insbesondere hohen Stellenwert ein. Dabei hat die Schweiz über die betreffend die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz. In all Jahrzehnte ein eigenständiges Profil entwickelt, insbesondere diesen Bereichen ist jeweils ein sorgfältiger Interessenab- im normativen, humanitären und wissenschaftlich-techni- gleich vorzunehmen. schen Bereich. Auch das internationale Genf konnte entspre- chend positioniert werden. Die RAN muss sich also neuen politischen, technologischen und gesellschaftlichen Realitäten anpassen. Der Bundesrat Wirksame internationale RAN-Vereinbarungen sind im will dieser Anforderung gerecht werden, in dem er erstmals aussen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interesse eine RAN-Strategie formuliert und Aktionsfelder der Schweiz der Schweiz. Sie leisten wichtige Beiträge an die globale und mit konkreten Zielen und Massnahmen definiert. Die Strategie regionale Stabilität. Jedoch befinden sich viele Bereiche der will dabei sowohl Bewährtes fortführen, wie auch Impulse für RAN gegenwärtig in einer Krise. Manche Verträge wurden neue Herangehensweisen setzen und anstehende Opportuni- gekündigt, andere werden nicht mehr eingehalten oder aktua- täten, wie den angestrebten Sitz der Schweiz im UNO-Sicher- lisiert. In wiederum anderen Fällen schleppen sich Verhand- heitsrat 2023–24, nutzen. Die Stärken der Schweiz in diesem lungen jahre- oder gar jahrzehntelang ohne nennenswerte Themenbereich sollen mit der Strategie mehr noch als bisher Fortschritte hin. Das Bild ist zwar nicht durchwegs negativ, zur Geltung gebracht werden. Die Strategie ersetzt den aber insgesamt dominieren Erosionstendenzen. bisherigen Bericht über die Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik der Schweiz, den der Bundesrat Die Krise der RAN-Architektur lässt sich hauptsächlich auf seit 1995 einmal pro Legislatur vorgelegt hat. geopolitische Veränderungen zurückführen. Die zuneh- mende weltpolitische Fragmentierung, der Aufstieg Chinas Mit der Strategie erfüllt der Bundesrat auch das Postulat und insbesondere die wieder wachsende Konkurrenz der 21.3012 der Sicherheitspolitischen Kommission des Natio- Grossmächte stellen Errungenschaften in der RAN in Frage. nalrats vom 25. Januar 2021. Dieses beauftragt ihn zu Diese gehen zu einem grossen Teil auf den Kalten Krieg mit prüfen, wie eine Einsatzdoktrin für künftige autonome seinen spezifischen Begebenheiten zurück. Waffensysteme und künstliche Intelligenz in der Sicherheits- infrastruktur unter Berücksichtigung internationaler ethischer Auch aufgrund der rasanten, teils bahnbrechenden techno- Standards ausgestaltet werden kann und Möglichkeiten logischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre ändern sich aufzuzeigen, sich international für diese einzusetzen.2 die Rahmenbedingungen für die Rüstungskontrolle und Abrüstung markant. Die Digitalisierung und neuen Techno- logien bringen dabei neben Herausforderungen auch Chancen für die RAN. Das gilt namentlich auch für die Schweiz und das internationale Genf, wie der Bundesrat in seiner Strategie Digitalaussenpolitik 2021−2024 darlegt. Zu berücksichtigen ist schliesslich die innenpolitische Dimension, die sich bei verschiedenen RAN-Themen manifes- tiert. So wird etwa die Frage, wie sich das Ziel einer nuklearen Abrüstung unter den heutigen Bedingungen am besten erreichen lässt, politisch kontrovers diskutiert. Zudem werden einige RAN-Vereinbarungen national mittels Exportkontrollen 1 Der Einfachheit halber wird von einer Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung gesprochen. Die Kontrolle und gegebenenfalls Verhinderung der Verbreitung von Waffen sowie zivil und militärisch verwendbarer Güter (Nichtverbreitung bzw. Nonproliferation) sind jedoch fester Bestandteil dieses Themenfelds. Vgl. Glossar. 2 Kapitel 4.4. sowie Anhang 3. 2 Einleitung
1.2 Rückblick Die Grundzüge der heutigen Rüstungskontroll- und Abrüs- Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) und dem Kernwaf- tungsarchitektur entstanden ab der Mitte des vergangenen fenteststoppvertrag (CTBT) zu weiteren Erfolgen im Bereich Jahrhunderts. Die beiden Weltkriege, die Schaffung der UNO der Begrenzung von Massenvernichtungswaffen. Die vier und der Kalte Krieg prägen die RAN bis heute. Anfänglich internationalen Exportkontrollregime4 nahmen zahlreiche führten die Gräueltaten vergangener Kriege zur Einsicht, Staaten des ehemaligen Ostblocks auf, mit dem Ziel, fortan dass Wege zur Kriegsverhinderung gefunden und der Einsatz gemeinsam gegen die Verbreitung von Massenvernichtungs- gewisser Waffen limitiert oder verboten werden müssen. So waffen und Trägermitteln sowie die destabilisierende konven- untersagte das Genfer Protokoll von 1925 den Einsatz von tionelle Aufrüstung zu wirken. Allerdings liess sich nicht Giftgas und biologischen Waffen in bewaffneten Konflikten. verhindern, dass gleichzeitig neue Atommächte in Südasien 1949 wurden mit den Genfer Konventionen weitere Eckpfeiler hinzukamen und sich die nuklearen Ambitionen gewisser des humanitären Völkerrechts (HVR) geschaffen. Staaten, wie beispielsweise jene Nordkoreas, akzentuierten. Mit dem Beginn des Kalten Krieges zwischen dem Westen In dieser Phase konnten auch neuartige Abkommen unter der Führung der USA und der damaligen Sowjetunion vereinbart werden, die über die klassischen Abrüstungs- und begann eine Ära der bipolaren Blockbildung und Aufrüstung. Nichtverbreitungsansätze hinausgingen und neben Sicher- Beide Staaten bauten insbesondere grosse Arsenale an heitsaspekten gezielt auch humanitäre Belange integrierten. Kernwaffen auf. Das wachsende Bewusstsein bezüglich Eine Grundlage dafür bildete das bereits 1980 verab- der Gefahr der gegenseitigen Vernichtung im Zuge dieses schiedete UNO-Waffenübereinkommen (CCW), welches Wettrüstens und weitere Interessenüberlappungen veran- bestimmte konventionelle Waffen reguliert bzw. verbietet. lassten jedoch beide Seiten, multilaterale Verhandlungen Darauf folgten in den kommenden Jahrzehnten das Überein- anzustossen. Dabei ging es darum, zunächst gewisse Tests, kommen über das Verbot von Personenminen (APMBC) dann die Stationierung und 1968 mit dem auch heute noch und das Übereinkommen über Streumunition (CCM). Da im zentralen Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen Rahmen der UNO mangels Konsens keine Fortschritte mehr (NPT) den Besitz dieser Waffen auf wenige Staaten einzu- möglich waren, wurden diese Abkommen ausserhalb der schränken. traditionellen Foren in neuen Formaten unter gleichgesinnten Staaten abgeschlossen. Zentrale Impulse kamen dabei aus In den 1970er und 1980er Jahren folgte eine Reihe bilateraler der Zivilgesellschaft. Die Ansiedelung dieser und weiterer Verträge zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion Instrumente in Genf macht die Stadt zu einem wichtigen über die Begrenzung und Reduzierung ihrer strategischen Cluster in diesem Bereich. nuklearen Arsenale, wie etwa der SALT-, der ABM-, INF- oder START-Vertrag.3 Zudem unterstützten beide Seiten die Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verlor die RAN-Thematik im Biowaffenübereinkommen (BWÜ) von 1972 verankerte international an politischer Aufmerksamkeit. Der Fokus lag völkerrechtliche Ächtung biologischer Waffen. Parallel dazu vermehrt auf der Bedrohung durch den internationalen entstanden die Exportkontrollregime, die der Verbreitung von Terrorismus. Auch in der öffentlichen Meinung trat die Massenvernichtungswaffen und zugehörigen Trägermitteln Gefahr einer nuklearen Katastrophe in den Hintergrund, Einhalt gebieten und so den Nichtverbreitungsklauseln der trotz weiterhin enormer Arsenale. Der Blick der Staatenwelt jeweiligen Abrüstungsverträge zur Durchsetzung verhelfen verlagerte sich zunehmend auf die Aufgabe, die Verbreitung sollten. Gegen Ende des Kalten Krieges rückten auch von Massenvernichtungswaffen und Trägermitteln sowie zunehmend konventionelle Waffen ins Blickfeld. Die Staaten den unerlaubten Handel mit konventionellen Waffensys- des Warschauer Pakts und der NATO verpflichteten sich temen, vor allem auch Kleinwaffen und leichten Waffen5, mit dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa einzudämmen. Meilensteine waren die UNO-Sicherheitsrats- (KSE) zu Begrenzungen von Grosswaffensystemen (u.a. der resolution 1540, der Waffenhandelsvertrag (ATT) und das Anzahl Panzer und Kampfflugzeuge). Ziel war es, ein Gleich- UNO-Aktionsprogramm zu Kleinwaffen und leichten Waffen gewicht der konventionellen Streitkräfte herzustellen und die (UN PoA). Fähigkeit zu militärischen Überraschungsangriffen in Europa zu beseitigen. In den letzten Jahren war die RAN hauptsächlich von krisen- haften Entwicklungen geprägt. Staaten wie die USA, Russland Mit dem Zerfall der Sowjetunion trat die internationale und China haben ihre Fähigkeiten und Einflussmöglichkeiten RAN-Politik in eine neue Phase. Sie stand im Zeichen eines im militärisch-technologischen Bereich ausgebaut. Parallel westlich geprägten, liberalen Ordnungssystems und der Globalisierung mit neu aufstrebenden Akteuren. In den 1990er Jahren kam es mit dem Abschluss des 4 Australiengruppe (AG); Gruppe der Nuklearlieferländer (NSG); Raketentechnologie-Kontrollregime (MTCR) und Vereinbarung von Wassenaar (WA). 5 Der Einfachheit halber wird in der vorliegenden Strategie der Begriff «Kleinwaffen» anstatt des Begriffs «Kleinwaffen und leichte Waffen» 3 Vgl. Abkürzungsverzeichnis. verwendet. Vgl. Glossar. Einleitung 3
1910 1930 1950 1970 1990 2010 1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020 Nuklear 1918 1945 1991 Chemisch Ende Erster Ende Zweiter Ende Kalter Weltkrieg Weltkrieg Krieg Biologisch Konventionell Mehrere Grafik 1: Verabschiedung internationaler Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen (Quelle: UNODA). zur Zunahme der sicherheitspolitischen Spannungen ist die Die Schweiz spielte in den bipolar geprägten Rüs tungs Bereitschaft dieser Staaten gesunken, ihre Handlungsfreiheit kontrollanstrengungen zur Zeit des Kalten Krieges eine durch internationale Massnahmen der Begrenzung, Risiko- eher untergeordnete Rolle. Wertvolle Beiträge konnte sie minderung und Berechenbarkeit im Rahmen von Rüstungs- als Gaststaat des UNO-Hauptsitzes in Europa mit Genf als kontrollvereinbarungen einzuschränken. Austragungsort von Gipfeltreffen und Abrüstungsverhand- lungen leisten. Mit der Stärkung der politisch-militärischen Die zunehmende Rivalität und Polarisierung haben zur Folge, Dimension der Konferenz über Sicherheit und Zusammen- dass die in vielen RAN-Foren geltende Konsensregel als arbeit in Europa (KSZE) Mitte der 1980er Jahre sowie der faktisches Vetorecht missbraucht wird, wodurch die entspre- Aufnahme der Schweiz in die UNO-Abrüstungskonferenz chenden Prozesse zusehend gelähmt werden. Zweifel an der (CD) 1996 und dem UNO-Beitritt 2002 gingen ein Kapazi- gegenseitigen Einhaltung der Verpflichtungen führen zur tätsaufbau und eine kontinuierliche Schärfung des Schweizer Erosion bestehender Rüstungskontrollinstrumente, wie dies Profils im RAN-Bereich einher. Zudem setzte sich die Schweiz beim bilateralen INF-Vertrag oder dem multilateralen Vertrag für die Ansiedelung von RAN-Prozessen und -Institutionen über den Offenen Himmel (OST) der Fall war. Gleichzeitig in Genf ein, wie bspw. des ATT, und übernahm Vorsitzfunk- werden Vereinbarungen wie das Wiener Dokument durch tionen, etwa im UNO-Kleinwaffenprozess anfangs 2000 oder OSZE-Teilnehmerstaaten nur minimal umgesetzt und deren der Gruppe der Nuklearlieferländer (NSG) 2017. Ergänzend Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten verhindert. Vor zum konventionellen und humanitären Engagement brachte allem angesichts der rasanten technologischen Entwick- sie sich ab 2003 auch im Bereich der Massenvernichtungs- lungen der letzten Jahre haben sich zahlreiche neue Frage- waffen vermehrt mit konkreten Initiativen ein, etwa im stellungen ergeben, auf die Antworten gefunden werden Rahmen des CWÜ, der UNO-Generalversammlung oder des müssen, um glaubwürdig und effektiv zu bleiben. NPT mit dem Vorstoss zur humanitären Dimension. Sie hat dabei ein Profil und Aktivitäten entwickelt, die in Kapitel 3 und 4 näher erläutert werden. 4 Einleitung
1.3 Kohärenz Die RAN-Strategie ist die vierte thematische Folgestra- tegie zur Aussenpolitischen Strategie 2020−2023 (APS 20−23) , nach der IZA-Strategie 2021−2024, der Strategie Digitalaussenpolitik 2021−2024 und der Strategie Landes- kommunikation 2021−2024. In der APS 20−23 ist RAN Teil des thematischen Schwerpunkts Frieden und Sicherheit. Die entsprechenden Ausführungen werden mit der vorliegenden Strategie konkretisiert. Die Strategie betrifft alle Departe- mente und wurde in einem breiten Konsultationsprozess mit den zuständigen Stellen erarbeitet. Als Teil der aussenpoliti- schen Strategiekaskade trägt sie dazu bei, die Kohärenz der Aussenpolitik weiter zu stärken. Ebene 1 Aussenpolitische Strategie 2020–2023 Strategisch (Bundesrat) Geografisch Thematisch Thematisch Strategie Rüstungs- IZA-Strategie MENA Strategie China Strategie kontrolle und Abrüstung Ebene 2 2021–2024 2021–2024 2021–2024 2022–2025 Subsahara-Afrika Strategie Amerikas Strategie Strategie Strategie 2021–2024 2022–2025 Digitalaussenpolitik Landeskommunikation 2021–2024 2021–2024 (Departemente) Operationell Ebene 3 Aktionsplan OSZE Leitbild Privatsektor Leitlinien Menschenrechte 2022–2025 im Rahmen IZA 2021–2024 2021–2024 Grafik 2: Aussenpolitische Strategiekaskade (Quelle: EDA – illustrative Auswahl von Dokumenten). Schnittstellen im Rahmen der aussenpolitischen Grundlagen- Eine weitere zentrale Grundlage ist der Sicherheitspoli- dokumente bestehen sowohl zur Strategie Digitalaussen- tische Bericht des Bundesrats vom 24. November 2021, politik und der IZA-Strategie 2021−2024 als auch zu den der verdeutlicht, dass die Aussenpolitik umgekehrt zentrale geografischen Folgestrategien der APS 20−23 (MENA, Beiträge an die Sicherheit der Schweiz leistet. Der Bericht Subsahara Afrika, China, Amerikas). Relevant sind zudem die analysiert aktuelle Entwicklungen im RAN-Bereich und Botschaft zu den Massnahmen zur Stärkung der Rolle der erläutert die entsprechenden Instrumente der Schweiz. Mit Schweiz als Gaststaat 2020–2023 , die Botschaft zu einem Bezug auf das sicherheitspolitische Ziel einer «Stärkung der Rahmenkredit zur Weiterführung der Unterstützung der drei internationalen Zusammenarbeit, Sicherheit und Stabilität» Genfer Zentren 2020–2023 und der Freiwillige Bericht des formuliert der Bundesrat auch RAN-spezifische Ziele. Es sind Bundesrates zur Umsetzung des humanitären Völkerrechts dies namentlich der «Einsatz für die Weiterentwicklung der durch die Schweiz . Die Aussenpolitische Vision Schweiz Rüstungskontrolle und Abrüstung im Lichte neuer technolo- 2028 (AVIS 2028) dient als zusätzliche, längerfristige Inspi- gischer Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Waffen- rationsquelle für die Schweizer Aussenpolitik und zeigt unter systeme (z.B. Big Data, künstliche Intelligenz, Autonomie und anderem auf, wie die Bedeutung des Themas Sicherheit im neue Netzwerktechnologien)» und die «Erarbeitung einer Rahmen der Aussenpolitik zunimmt. neuen Strategie für Rüstungskontrolle und Abrüstung». Einleitung 5
2 Trends Im Folgenden werden die beiden für RAN wichtigsten die APS 20−23, die Aussenpolitischen Berichte, AVIS28, den Trends in den internationalen Beziehungen vertieft erläutert, Sicherheitspolitischen Bericht sowie die Lageberichte des nämlich die geopolitischen Entwicklungen und der techno- Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) verwiesen. logische Wandel. Für weiterführende Umfeldanalysen sei auf 2.1 Geopolitik Die internationale Sicherheitslage ist heute von der zuneh- abnehmender Wirtschaftsleistung im Kontext der Covid-19 menden Konkurrenz zwischen den Grossmächten und Pandemie.6 aufstrebenden Regionalmächten geprägt. Die Weltordnung ist dabei instabil geworden und im Banne einer wachsenden Gleichzeitig findet vor dem Hintergrund des technologi- Systemrivalität zwischen den USA und China. Charakteris- schen Fortschritts ein Wettlauf um die Verbesserung der tisch sind die zunehmende Unberechenbarkeit der inter- Qualität von Waffensystemen statt. Dieser Trend betrifft nationalen Beziehungen sowie das konfrontative Ringen sowohl konventionelle Waffen wie auch Nuklearwaffen. um Einflusssphären im politischen, wirtschaftlichen und Technologisch fortgeschrittene Staaten und speziell die militärischen Bereich und im Streben nach Vorherrschaft Kernwaffenstaaten investieren vermehrt in die Moderni- über Technologien, Ressourcen, Infrastrukturen und Trans- sierung ihrer Arsenale. Der Trend geht dabei in Richtung portwege. bessere Genauigkeit, höhere Geschwindigkeit und der weitreichenden Autonomie von Systemen. Von den System- und Wertedivergenzen, der wachsenden internationalen Vertrauenskrise und der zunehmenden Bereitschaft einiger Staaten, ihre Interessen mit militärischen und anderen machtpolitischen Mitteln durchzusetzen, ist auch die Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik betroffen. Die weltweiten Rüstungsausgaben sind auf dem höchsten 6 Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), World military Stand seit Jahrzehnten. Sie sind auch 2020 angestiegen, trotz spending rises to almost $2 trillion in 2020 , 2021. 1960 1909 2000 1842 1790 1793 1796 1779 1774 1767 1754 1740 1748 1639 1549 1469 1453 1490 1372 1443 Militärausgaben (in Milliarden US$) 1389 1500 1208 1123 1139 1094 1044 1062 1022 1010 993 984 970 987 1000 – 500 Grafik 3: Weltweite Militärausgaben nach Region, 1988–2020 (inflationsbereinigt; Quelle: SIPRI).7 0 2007 2017 1997 2004 2003 2008 2013 2014 2010 2018 2020 1993 1994 1998 2000 2009 2019 1988 1990 1989 1999 2011 2001 2015 2016 1991 2005 2006 1995 1996 2012 2002 1992 7 Da für das Jahr 1991 keine Daten der Sowjetunion vorliegen, kann kein Total Afrika Amerikas Asien und Ozeanien Europa Mittlerer Osten berechnet werden. 6 Trends
Begleitet werden diese Entwicklungen von der Beurteilung der Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 haben diese gewisser Staaten, dass sie ihre Interessen besser durch Krise akzentuiert und zu Reinvestitionen in die Verteidigung unilaterale Massnahmen wahren können und sich ihre sowie einer Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspo- Handlungsfreiheit und sektorspezifische Überlegenheit nicht litik der EU und der NATO geführt. Als Begleiterscheinung zu durch multilaterale Abrüstungs- und Rüstungskontrollver- den wieder aufflammenden Spannungen zwischen den USA einbarungen sowie transparenzfördernde Massnahmen und Russland kam es unter anderem zu deren Ausstieg aus einschränken lassen wollen. Dies gilt im Besonderen für die einer Reihe von Rüstungskontrollvereinbarungen. Das einzige technologische Überlegenheit der Grossmächte und deren verbleibende bilaterale Abkommen zwischen Washington Anwendung im Bereich neuer Waffensysteme, wie der und Moskau zur strategischen Nuklearwaffenkontrolle ist Raketenabwehr, Kampfdrohnen, autonomen Waffen oder der New START-Vertrag, der 2021 um weitere fünf Jahre Hyperschallwaffen. Nicht zuletzt aufgrund des Aufstiegs und verlängert wurde und seit 2010 dazu beigetragen hat, die des Unwillens Chinas, sich an solchen Massnahmen zu betei- Anzahl Kernwaffen beider Seiten effektiv zu verringern. ligen, haben sich entsprechende Kalkulationen in Washington und Moskau verändert. In Asien und dem indopazifischen Raum erweitert China seine Machtstellung und fordert die amerikanische Vormacht Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind in den internatio- sowie regionale Mächte heraus. Angetrieben durch das starke nalen Rüstungskontrollforen deutlich zu spüren und reichen Wirtschaftswachstum wächst Chinas Verteidigungshaushalt von der Lähmung des Multilateralismus, die wichtige Anpas- stetig und signifikant, womit das Land nach den USA diesbe- sungen an die militärischen und technologischen Realitäten züglich bereits an zweiter Stelle steht. Das Land hat sich verhindert, über die Untergrabung der regelbasierten zusehends zu einer technologischen Weltmacht entwickelt Ordnung bis hin zum bewussten Abbau von sicherheits- und investiert erhebliche Mittel in den digitalen Bereich, einem und rüstungskontrollpolitischen Errungenschaften. Vermehrt Pfeiler der Armeen der Zukunft. Gleichzeitig scheint China werden daher alternative Ansätze zur Weiterentwicklung derzeit wenig Interesse daran zu haben, sich auf bi- oder der RAN-Gouvernanzstruktur ausgelotet, etwa im Rahmen trilaterale Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen von Gruppen gleichgesinnter Staaten. Solche alternativen zur Erhöhung der strategischen Stabilität und Berechenbarkeit Ansätze werden häufig unterstützt oder angetrieben durch einzulassen. Es weist entsprechende Forderungen namentlich zivilgesellschaftliche Initiativen. der USA v.a. mit Verweis auf sein zahlenmässig nach wie vor deutlich kleineres Nuklearwaffenarsenal zurück. Zu den sicherheitspolitischen Entwicklungslinien gehört auch, dass sich das Konfliktbild wandelt. Konflikte dauern heute Die Rivalität Chinas mit Indien bleibt aufgrund latenter Terri- in der Tendenz länger, involvieren neue Operationssphären torialkonflikte und einer wachsenden geostrategischen und mehr Akteure. Es handelt sich dabei mehrheitlich um Konkurrenz wohl auf längere Zeit bestehen. Auch der nicht internationale bewaffnete Konflikte, wovon sich eine Antagonismus zwischen Indien und Pakistan, beides atomar zunehmende Zahl internationalisiert.8 Sie weisen oft asymme- bewaffnete Länder, hält sich hartnäckig. Auf der koreanischen trische und hybride Züge auf unter Einbezug von Desinfor- Halbinsel bleibt die Situation wegen des nuklearen und ballis- mationskampagnen und Cyberoperationen. Insbesondere tischen Arsenals Nordkoreas, das bereits in der Lage ist, die die steigende Präsenz nichtstaatlicher bewaffneter Akteure USA und den europäischen Kontinent zu bedrohen, besorgnis- und die Frage nach deren Einbindung stellt für die bisher erregend. Die Kernbewaffnung gewisser Staaten der Region weitgehend zwischenstaatlich ausgerichtete RAN-Politik eine ist eine Quelle der Instabilität und sorgt für Misstrauen und Herausforderung dar. Blockaden in den multilateralen Rüstungskontrollforen. Auch kommen heute vermehrt konventionell bewaffnete Der Nahe und Mittlere Osten, Nordafrika und Trägersysteme, wie Drohnen, ballistische Lenkwaffen oder Subsahara Afrika sind durch verschiedene interne Krisen Marschflugkörper, in bewaffneten Konflikten zum Einsatz. und bewaffnete Konflikte geprägt. Das resultierende Risiko Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure sind im der Proliferation von Waffen jeglicher Art bleibt eine zusätz- Besitz solcher Systeme, was die Eindämmung der Weiter- liche Quelle von Spannungen und Instabilität. Aufgrund der verbreitung zunehmend erschwert. Die vergleichsweise ungewissen Zukunft des Nuklearabkommens mit dem Iran, tiefen Kosten von Drohnen begünstigen diese Entwicklung der Verbreitung und des Einsatzes von ballistischen Raketen zusätzlich. Die Aufrüstung mit konventionellen Trägersys- und Drohnen sowie des völkerrechtswidrigen Gebrauchs von temen nehmen Nachbarstaaten oft als Bedrohung wahr, was Chemiewaffen in Syrien ist das Proliferationsrisiko für Massen- destabilisierende Auswirkungen haben und beispielsweise vernichtungswaffen in der MENA-Region besonders hoch. ein regionales Wettrüsten auslösen kann. Auch ist in den letzten fünf Jahren ein Drittel der weltweiten Waffenlieferungen in diese Region gegangen, welche zu Aus einer regionalen Perspektive ist zunächst die Krise der einer zentralen Drehscheibe für den internationalen Waffen- europäischen Sicherheitsordnung zu erwähnen. Der handel geworden ist.9 Konflikt in und um die Ukraine und namentlich die Annexion 8 Therése Pettersson et al., Organized violence 1989-2020, with a special 9 Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Trends In emphasis on Syria , Journal of Peace Research, 2021. International Arms Transfers 2020 , 2021. Trends 7
Das Fortbestehen bewaffneter Konflikte, zum Beispiel in Zahlreiche Staaten Lateinamerikas und der Karibik sind Libyen, dem Jemen, Syrien oder auch der Region Sahel, von bewaffneter Gewalt und Kriminalität stark betroffen, hat zu einer erheblichen, unkontrollierten Verbreitung von was sich in hohen Mordraten widerspiegelt.10 Kleinwaffen Kleinwaffen und Munition sowie zur Kontamination mit werden dabei besonders häufig eingesetzt.11 Zudem fordert Kampfmitteln wie Minen und behelfsmässigen Sprengvor- die Kontamination mit Kampfmitteln (namentlich Minen in richtungen mit schwerwiegenden humanitären Auswir- Kolumbien) weiterhin zahlreiche Opfer und behindert die kungen geführt. Dies belastet die betroffenen Gesellschaften nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. über längere Zeit und führt dazu, dass der Wiederaufbau wie auch die wirtschaftliche Erholung behindert werden und das Migrationspotenzial zunimmt. Gerade die Region Sahel ist durch eine Zunahme von Instabilität und bewaffneter Gewalt gekennzeichnet, welche sich über die Region hinaus auswirkt. 10 United Nations Office on Drugs and Crime, Global Study on Homicides 2019 – Homicides: extent, patterns, trends and criminal justice response , 2019. 11 United Nations Office on Drugs and Crime, Global Study on Homicides 2019 – Homicides: extent, patterns, trends and criminal justice response , 2019; Claire McEvoy and Gergely Hideg, Global Violent Deaths 2017 – Time to Decide , 2017. 2.2 Technologischer Fortschritt Die Welt befindet sich in einem rasanten technologiege- und werden besonders im Verbund relevant, auch für die triebenen Wandel. Dieser ist geprägt durch weitreichende Rüstungskontrolle. Die Folgeeffekte sind teilweise noch kaum Durchbrüche in unterschiedlichen wissenschaftlichen und vorhersehbar. technologischen Bereichen. Die Entwicklungen in den einzelnen Bereichen laufen überlagernd ab und dürfen Auch in der Rüstungskontrolle ist dabei der digitale Wandel deshalb nicht isoliert betrachtet werden. Die Technologien von besonderer Bedeutung. Dieser ermöglicht neue Informa- bauen aufeinander auf, laufen zusammen («Konvergenz») tions- und Kommunikationstechnologien (IKT), zunehmende Bio- und Gentechnologie Digitalisierung Informations- und Neuro- Kommunikations- wissenschaft technologien TECHNOLOGISCHER FORTSCHRITT Material- wissenschaft Künstliche Intelligenz Grafik 4: Hotspots des technologischen Fortschritts Nano- technologie Robotik (Quelle: EDA). 8 Trends
Automatisierung sowie die Erschliessung und Anwendung der zwischen Staaten werden aber weiterhin eine fundamentale künstlichen Intelligenz (KI) im Verbund mit der Generierung Rolle spielen – nicht zuletzt, weil ein Waffenprogramm auf und Verarbeitung riesiger Datenmengen, was zunehmend der Basis neuer Technologien die Folge eines bewussten, autonome Funktionen in Waffensystemen ermöglicht. meist staatlich beeinflussten Entscheids ist. Auch liegt es in Hinzu kommen bahnbrechende Fortschritte in der Robotik, der Verantwortung der Staaten, national Massnahmen zu der Nanotechnologie sowie den Materialwissenschaften, ergreifen, um zu verhindern, dass Forschung und Entwicklung inklusive additiver Fertigung («3-D Druck»), den Neurowis- durch private Akteure – ob beabsichtigt oder nicht – illegi- senschaften wie auch in der Bio- und Gentechnologie. timen oder illegalen Zwecken dienen. All diese Bereiche haben weitreichende Implikationen Den internationalen Exportkontrollregimen kommt dabei für die RAN. Sie ermöglichen die Entwicklung neuartiger eine besondere Rolle zu. Sie bieten den Teilnehmerstaaten die Waffensysteme und Munitionstypen, welche das Potenzial Möglichkeit, technologische Entwicklungen zu antizipieren, haben, auch die Art der Kriegsführung zu verändern. Diese um möglichst frühzeitig mittels harmonisierter Kontrollen hängt in gewissen Kontexten zunehmend vom Zugang zu zu verhindern, dass diese missbraucht werden. Zu diesem relevanten Daten und Informationen sowie der Fähigkeit ab, Zweck pflegen die zuständigen Behörden seit jeher einen diese im Rahmen eines komplexen vernetzten Systems in engen Austausch mit Unternehmen und der Wissenschaft, Echtzeit verarbeiten zu können. Die entsprechenden militä- da diese nicht nur über wichtiges technisches Know-how rischen Fähigkeiten sind dabei in vielen Bereichen durch eine verfügen, sondern auch ganz direkt mit Beschaffungsver- Verschiebung von quantitativen Faktoren zu qualitativen suchen konfrontiert werden können. Aspekten gekennzeichnet. Zudem eröffnet der technolo- gische Fortschritt neue Konfrontationsschauplätze im Cyber- Rivalitäten unter Staaten sind heute zunehmend wirtschafts- und Weltraum. und technologiegetrieben. Daten sind zu einer zentralen Grundlage von Macht geworden. Staaten versuchen dabei Es zeigt sich immer deutlicher, dass viele etablierte Rüstungs- immer entschiedener, technologische Einflusssphären kontrollstrukturen Schwierigkeiten haben, mit diesem Wandel abzustecken und in bestimmten Bereichen die technologische Schritt zu halten. Zwei der Ursachen dafür sind die zuneh- Überlegenheit zu erlangen. Der globale Wettlauf zur Erfor- mende Komplexität und das hohe Tempo der Entwicklungen. schung, Entwicklung und Anwendung neuer Technologien Allein schon eine internationale Einigung darüber, welches birgt das Potenzial, das Machtgleichgewicht zu verschieben. die Chancen und Risiken der neuen Technologien sind und Dabei besteht die Gefahr eines technologischen Wettrüstens wo die Rüstungskontrollmechanismen gefordert wären, mit destabilisierenden Auswirkungen auf die internationale hinkt der technologischen Realität zwangsläufig hinterher. Sicherheit. Zudem sind die potenziellen zivilen wie militärischen Anwen- dungen zu vielversprechend und die Risiken zu diffus, als Die Mittel und Methoden der Kriegführung werden sich dass die Staaten derzeit den gemeinsamen politischen Willen aufgrund dieser technologischen Entwicklungen weiter aufbringen könnten, sich (präventiv) einzuschränken. verändern. Die Auswirkungen auf die nationale und internationale Sicherheit sowie die humanitären Folgen Ein wichtiger Aspekt ist die Verschränkung zivil wie militä- hängen von den technologischen Entwicklungen selbst, risch nutzbarer Technologien («dual-use»). Viele Entwick- deren Anwendungen und allfälligen Leitplanken und Regeln lungen haben überwiegend positive Auswirkungen. Sie der Rüstungskontrolle ab. Dabei geht es zunächst darum, lassen aber nicht nur nützliche Anwendungen zu, sondern den Risikodialog und die Technologiefolgeabschätzung zu können auch für unerwünschte oder schädliche Zwecke fördern. Sofern sich sicherheitspolitische, humanitäre oder verwendet werden bzw. unbeabsichtigte Folgen haben. völkerrechtliche Probleme abzeichnen, sollen die relevanten Deren Verhinderung soll jedoch die legitime und verantwor- Rüstungskontrollforen dazu genutzt werden, um bedenkliche tungsvolle Nutzung nicht unnötig einschränken. Dass gewisse Bereiche der Technologienutzung zu thematisieren und die Technologien aussen- und sicherheitspolitische, rechtliche Anwendung des Völkerrechts einzufordern. Gegebenen- oder ethische Herausforderungen mit sich bringen, hat falls wird es auch nötig sein, dieses weiterzuentwickeln. oftmals weniger mit den Technologien selbst als mit deren Schliesslich ist es wichtig, die Relevanz bestehender Normen Anwendung zu tun. Rüstungskontrollansätze sind deshalb und Regime im Lichte technologischer Entwicklungen sicher- grundsätzlich technologieneutral anzugehen. zustellen. Das bedingt die Einhaltung und Stärkung beste- hender Verpflichtungen, schliesst aber auch die Erörterung Daraus ergibt sich auch, dass private Akteure besser in die von zusätzlichem Regelungsbedarf nicht aus. Rüstungskontrolle einbezogen werden müssen. Denn die Treiber dieser technologischen Entwicklungen sind oft nicht mehr Staaten oder die staatliche Rüstungsindustrie. Vielmehr sind private Technologie-Unternehmen und Forschungsein- richtungen die Hauptakteure. Vielschichtige, dezentralisierte Multi-Stakeholder Gouvernanzansätze unter Einbezug von Politik, Wissenschaft und Privatwirtschaft gewinnen daher an Bedeutung. Internationale Rüstungskontrollvereinbarungen Trends 9
3 Positionierung der Schweiz Die Aussen- und Sicherheitspolitik der Schweiz ist eigen- über der politischen oder militärischen Macht steht. Dies ständig und universell ausgerichtet. Die Schweiz ist neutral, sorgt für Berechenbarkeit und Stabilität in den internatio- bündnisfrei und dem Dialog mit allen Staaten verpflichtet. Mit nalen Beziehungen und gewährleistet ihre Unabhängigkeit ihrer Aussenpolitik steht sie ein für die Interessen und Werte und Handlungsfähigkeit. Auch trägt die Schweiz zu einem gemäss Bundesverfassung. Sie gestaltet ihr Umfeld entspre- wirksamen Multilateralismus bei. Globale Probleme brauchen chend mit. So setzt sie sich dafür ein, dass die Einhaltung globale Lösungen – Sicherheit und Rechtstaatlichkeit können des Völkerrechts, inklusive des humanitären Völkerrechts,12 nur so gewährleistet werden. Das RAN-Profil der Schweiz widerspiegelt ihre allge- 12 Der «Freiwillige Bericht zur Umsetzung des humanitären Völkerrechts durch meine aussen- und sicherheitspolitische Positionierung. Im die Schweiz» des Bundesrates vom 12. August 2020 gibt einen Überblick über Folgenden werden dieses Profil und die entsprechenden das Engagement der Schweiz in diesem Bereich. Unter Anderem analysiert er die wichtigsten Beispiele für gute Praktiken und Herausforderungen Rollen der Schweiz dargelegt, ihre spezifischen Stärken in bezüglich der Regulierung der Mittel und Methoden der Kriegführung. diesem Themenbereich identifiziert und die Prinzipien der Darunter werden die folgenden Themen erörtert: Regeln für bestimmte Waffen, Verfahren zur Prüfung neuer Waffen und internationaler Schweizer RAN-Politik erläutert. Waffenhandel. 3.1 Profil und Rollen Die Schweiz verfolgt eine aktive, pragmatische, sachorien- ihrem Fokus auf sachdienliche Kompromisslösungen kann tierte und innovative Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und die Schweiz als integrative, ausgleichende Kraft der Polari- Nichtverbreitungspolitik. Sie trägt damit zu Frieden, Stabilität sierung entgegenwirken und mit Dialogförderung und Guten und Sicherheit gemäss den Vorgaben der APS 20−23 bei. Diensten zu einer Stärkung des Vertrauens zwischen Staaten Die Schweiz zielt dabei auf die Wahrung der Sicherheit auf beitragen. möglichst tiefen globalen und regionalen Rüstungsniveaus. Sie nutzt die ihr offenstehenden Möglichkeiten der Einfluss- Die Einnahme einer vermittelnden Rolle ist jedoch angesichts nahme, sowohl auf der multilateralen als auch auf der bilate- der zu beobachtenden Zunahme von aktiven Spaltungs- ralen Ebene. So beteiligt sie sich mit wenigen Ausnahmen versuchen der Staatengemeinschaft in verschiedenen an allen rechtlich verbindlichen Instrumenten im Bereich RAN-Dossiers nicht immer angezeigt. Wenn etwa Fakten der multilateralen Rüstungskontrolle und Abrüstung, die ihr nicht mehr anerkannt werden, mittels Desinformation eine offenstehen. Polarisierung angestrebt oder internationale Organisationen als Spielball politischer Machtkämpfe instrumentalisiert Die globale Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur ist werden, bezieht die Schweiz bei Bedarf klar Position. ein wesentlicher Bestandteil der regelbasierten internatio- nalen Ordnung. Die Schweiz will diese Errungenschaften Ebenso wird der Einbezug weiterer Akteure wichtiger. Dazu bewahren und wo nötig modernisieren und weiterent- gehören namentlich die Wissenschaft, die Privatwirtschaft wickeln. Mittels politischer, technischer, finanzieller und sowie internationale Organisationen und zivilgesellschaft- personeller Unterstützung stärkt sie die Handlungsfähigkeit liche Gruppierungen. Die Schweiz verfügt über Erfahrung entsprechender Gremien und Prozesse und setzt sich für mit inklusiven Dialogformaten und Lösungsansätzen, die Umsetzung relevanter internationaler Übereinkommen die sie auch im RAN-Bereich einsetzt und fördert. Als glaub- ein. Wo dies im Interesse der Schweiz liegt, ist sie auch würdige Akteurin kann sie neue Ansätze mitgestalten, beste- offen für neue Ansätze. Zu deren Gestaltung liefert sie nach hende Kooperationen erweitern und innovative Formen der Möglichkeit entsprechende Impulse. Zusammenarbeit entwickeln. Angesichts geopolitischer Spannungen und zunehmender Aufgrund der Risiken bezüglich der konventionellen, chemi- Polarisierungstendenzen braucht es auch im RAN-Bereich schen, biologischen und nuklearen Aufrüstung und Proli- vermehrt vermittelnde Stimmen. Dank ihrer eigenstän- feration unterstellt die Schweiz Transfers von «dual-use» digen Positionierung, ihrem stabilen Wertekompass und und besonderen militärischen Gütern sowie Kriegsmaterial 10 Positionierung der Schweiz
nationalen Exportkontrollen. Sie ist Teilnehmerstaat der vier Gleichzeitig ist es für die Schweiz als neutrales Land aus politisch verbindlichen internationalen Exportkontroll- sicherheitspolitischer Perspektive wichtig, die eigene sicher- regime sowie des Vertrags über den Waffenhandel und heitsrelevante Technologie- und Industriebasis (STIB) zu setzt die dort vereinbarten und harmonisierten Kontroll- stärken. Dadurch können die Versorgungsicherheit bezüglich massnahmen um. Die Schweiz nimmt damit ihre aussen- und sicherheitsrelevanter Güter und Dienstleistungen verbessert sicherheitspolitischen sowie völkerrechtlichen Verpflich- und Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten in denjenigen tungen und Interessen wahr und schützt ihre Unternehmen Bereichen reduziert werden, die für die Sicherheit der Schweiz und Forschungseinrichtungen vor Reputationsschäden. und ihrer Bevölkerung von Bedeutung sind. In der Gestaltung der RAN-Politik ist dem Rechnung zu tragen. 3.2 Stärken Die Schweiz geniesst in RAN-Dossiers Glaubwürdigkeit und der Biotechnologie spielen global erfolgreiche Pharma- und Vertrauen. Dies ist das Fundament ihrer RAN-Politik und Chemieunternehmen eine bedeutende Rolle. Diese Unter- lässt sich auf ihre eigenständige aussen- und sicherheitspoli- nehmen und Hochschulen tragen zum guten Ruf der Schweiz tische Positionierung, ihre sachorientierte und pragmatische als Innovationsstandort bei. In Verbindung mit ihrem aussen- Haltung und ihre humanitäre, friedenspolitische, rechtliche und sicherheitspolitischen Profil erlaubt ihr dies, auch in sowie wissenschaftlich-technische Expertise zurückführen. RAN-Foren als glaubwürdige Akteurin im Technologiebereich aufzutreten. Die Stiftung Geneva Science and Diplomacy Drei weitere Stärken will der Bundesrat künftig noch deutlicher Anticipator (GESDA) schlägt hierfür Brücken zwischen den gewichten: Dazu gehört erstens das internationale Genf. verschiedenen Akteursgruppen. Die «Stadt des Friedens» ist Austragungsort für Friedensver- handlungen und Abrüstungsgespräche und beherbergt einen entsprechenden Expertise-Cluster von globaler Ausstrahlung. GESDA: HERAUSFORDERUNGEN Sie ist damit in einer einzigartigen Lage, Antworten auf die ANTIZIPIEREN – WEICHEN STELLEN globalen Herausforderungen zu liefern. Gründe dafür sind etwa das dichte Netzwerk an relevanten Akteuren, Instru- – EFFEKTIVE MASSNAHMEN menten und Prozessen, das vorhandene Fachwissen und die MITGESTALTEN zahlreichen humanitären, technologischen und rüstungs- Technologische Durchbrüche können die Welt si- kontrollpolitischen Themen, die dort behandelt werden. cherer machen und Menschenleben retten. Gewisse Wichtige internationale Organisationen wie die UNO oder Anwendungen können aber zentrale Normen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sind Werte unterhöhlen und die Welt destabilisieren. hier angesiedelt, ebenso Nichtregierungsorganisationen, Kriegsführung im Zeitalter der Robotik, autonomer welche die Diskussionen über die Zukunft der internationalen Waffen und Genmanipulation wirft grundlegende Rüstungskontrolle mitprägen. Die drei Genfer Zentren GCSP, Fragen zur Zukunft der Menschheit auf. DCAF und GICHD13 leisten ebenfalls wichtige Arbeit in diesen Bereichen. In Anlehnung an die Strategie Digitalaussenpolitik Mit der Stiftung Geneva Science and Diplomacy 2021–2024 sollen Synergien mit der Positionierung Genfs Anticipator (GESDA) unterstützt die Schweiz eine als globaler Hub der digitalen Gouvernanz noch stärker für systematische Antizipation der Entwicklung der RAN-Zwecke genutzt werden. Wissenschaften und deren Technologiefolgen. Damit will sie effektive multilaterale Massnahmen Zweitens sind in der Schweiz weitere Schlüsselakteure zur frühzeitig mitgestalten und Weichen stellen zur Weiterentwicklung der Rüstungskontrolle angesiedelt. Mit Sicherstellung einer verantwortungsvollen Nutzung ihren Technischen Hochschulen und anderen Forschungsein- der Technologien im Dienste aller. Mit Blick auf die richtungen wirkt die Schweiz an vorderster Front mit, wenn es Rüstungskontrolle sind diese Erkenntnisse in den um die Erforschung neuer Technologien geht. Innovative und Kontext geopolitischer Trends zu setzen. Dazu ge- weltweit führende Technologieunternehmen sind ebenfalls hört es, klare Regeln zu entwickeln und innovative hier ansässig, flankiert von einer vielfältigen KMU- und Instrumente für die Abrüstung zu entwerfen. Die Start-up Landschaft. So ist die Schweiz führend in gewissen vorliegende Strategie nimmt diesen Vorsatz in zahl- Bereichen der KI- und Blockchain-Forschung und gehört im reichen Aktionsfeldern auf. Maschinenbau und der Robotik zu den Spitzennationen. In 13 Vgl. Abkürzungsverzeichnis. Positionierung der Schweiz 11
Drittens bildet der angestrebte Sitz der Schweiz im UNO- ausserhalb des Rates und über die Ratsmitgliedschaft hinaus Sicherheitsrat 2023/24 eine Gelegenheit, RAN-Themen genutzt werden, um unterschiedliche Positionen besser zu auch in diesem Forum mitzugestalten und allenfalls verstehen, Lösungen zu entwerfen und Kompromisse zu anzustossen. Die Opportunitäten, welche sich aus der finden. Ratsmitgliedschaft ergeben, sollen nach Möglichkeit auch 3.3 Prinzipien Basierend auf ihrem Profil und ihren Stärken orientiert sich die • Die Schweiz will durch die Kontrolle des Transfers von Schweiz an den folgenden Prinzipien in der Ausgestaltung «dual-use» und besonderen militärischen Gütern sowie ihrer RAN-Politik: Kriegsmaterial insbesondere die Proliferation von Massen- vernichtungswaffen sowie die destabilisierende Anhäu- • Die Schweiz setzt sich bevorzugt für völkerrechtlich ver- fung und missbräuchliche Verwendung konventioneller bindliche Instrumente ein. Um der Fragmentierung von Waffen verhindern. Gleichzeitig will sie legitime wirtschaft- Regelwerken entgegenzuwirken, fördert sie deren Univer- liche und wissenschaftliche Aktivitäten nicht unnötig be- salisierung und inklusive, nichtdiskriminierende Vor- hindern und eine an die Bedürfnisse ihrer Landesverteidi- gehensweisen, die möglichst viele und relevante Staaten gung angepasste industrielle und technologische Kapazität gleichberechtigt miteinbeziehen, da dies die Nachhaltigkeit aufrechterhalten. Bei potenziellen Zielkonflikten in die- und Wirksamkeit verbriefter Regeln gewährleistet. sem Zusammenhang wird eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung klar • Die Schweiz steht für die umfassende Umsetzung und definierter Ausfuhrkriterien und den völkerrechtlichen Ver- eine bedarfsorientierte Weiterentwicklung von RAN- pflichtungen vorgenommen. Übereinkommen ein. Dazu zählen u.a. die Schliessung all- fälliger normativer, rechtlicher oder operationeller Lücken • Im Einklang mit dem Engagement der Schweiz im Rahmen und die Stärkung von Verifikationsmassnahmen zur Über- der Geschlechtergleichstellung und der Agenda «Frauen, prüfung der Einhaltung von Vertragsbestimmungen, inklu- Frieden und Sicherheit» sind die Chancengleichheit und sive der Auslotung neuer Gouvernanz- und Verifikations- eine Stärkung der Rolle von Frauen auch in der RAN-Poli- ansätze. tik essenziell. Die Schweiz legt Wert auf die Berücksichti- gung von geschlechterspezifischen Aspekten und auf die • Die Schaffung oder Stärkung von transparenz- und ver- gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in allen Bereichen trauensbildenden Instrumenten und Massnahmen im der RAN. RAN-Bereich, die in Anbetracht zunehmender geopoliti- scher Spannungen an Bedeutung gewinnen, ist für die Um- • Im Rahmen ihrer Aktivitäten im Feld misst die Schweiz der setzung der Schweizer RAN-Politik von grosser Bedeutung. Entwicklung nationaler Kapazitäten grosse Wichtigkeit bei, Indem entsprechende Massnahmen militärische Aktivitä- damit Partnerstaaten die Verantwortung für die vollstän- ten und Entwicklungen transparenter und berechenbarer dige Umsetzung ihrer Verpflichtungen übernehmen und machen, fördern sie das Vertrauen zwischen den Staaten nachhaltig mittragen können. Die Schweiz setzt dafür auf und leisten einen Beitrag zur Risikoverminderung, etwa lokale Eigenverantwortung und innerstaatliches Enga- durch die Verhinderung von Fehleinschätzungen. gement und folgt dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. • Die Schweiz unterstützt und fördert beide Zielrichtungen • Die Schweiz legt Wert auf die zielgerichtete Kooperation der internationalen RAN-Bestrebungen, namentlich die mit relevanten Akteuren der Wissenschaft, Wirtschaft Förderung der internationalen Sicherheit und die Ver- und Zivilgesellschaft. Damit kann die dort vorhandene hinderung humanitärer Konsequenzen. Expertise genutzt werden, um der RAN neue Ideen und Im- pulse zu geben und die Wirksamkeit der schweizerischen • Die Schweiz legt Wert darauf, relevante Aspekte des wis- Politik zu erhöhen. Die Förderung entsprechender Multi- senschaftlich-technologischen Fortschritts in den Stakeholder-Formate und des Dialogs mit der Wissenschaft RAN-Bereich einzubeziehen. Eine Auseinandersetzung mit und Unternehmen ist eine Priorität. dessen Auswirkungen auf das Völkerrecht und die jeweili- gen Übereinkommen ist unabdingbar, um die langfristige Relevanz und Wirksamkeit der entsprechenden Normen und Instrumente zu erhalten. Gleichzeitig bietet der tech- nologische Fortschritt neue Chancen für die RAN, zum Bei- spiel im Bereich Verifikation oder Ereignisbewältigung. 12 Positionierung der Schweiz
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