Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Forschungsschwerpunkt                  ß
Sprachliche Bildung und
Mehrsprachigkeit
2013 – 2020

Projektvorstellungen und
Zwischenergebnisse         ê
1. und 2. Förderphase

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Impressum

Copyright © Hamburg, 2018
2. überarbeitete und ergänzte Auflage,
Stand: Mai 2018

Koordinierungsstelle für Mehrsprachigkeit und sprach­
liche Bildung, Universität Hamburg, Institut für Inter­
kulturelle und International Vergleichende Erziehungs­
wissenschaft, Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg

kombi@uni-hamburg.de
www.kombi-hamburg.de

Konzeption und Redaktionelle Bearbeitung
Dr. Sarah Mc Monagle (KoMBi), Antje Hansen (KoMBi)
Gestaltung
Sebastian Vollmar & Pauline Altmann, Berlin
Druck
Universitätsdruckerei der Universität Hamburg

Der Forschungsschwerpunkt Sprachliche Bildung und
Mehrsprachigkeit ist Teil des Rahmenprogramms zur
Förderung der Empirischen Bildungsforschung und wird
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
gefördert.
Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Vorwort

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,               falls wachsend ist die Zahl der Kinder und Jugend­
der Forschungsschwerpunkt Sprachliche Bildung            lichen, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen
und Mehrsprachigkeit wird seit 2013 vom Bundes­          und leben; sie stammen oft aus Familien mit
ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ge­         Mirgations­hintergrund.
fördert. Mit dieser Broschüre informieren wir über          Der Forschungsschwerpunkt Sprachliche Bildung
die Projekte und ihre (Zwischen-)Ergebnisse. Ziel der    und Mehrsprachigkeit, unterstützt von der Koordi­
Forschung ist es, das Wissen über sprachliche Ent­       nierungsstelle KoMBi, vereint Forschungsprojekte an
wicklung und Bildung unter Mehrsprachigkeits­            deutschen Universitäten, die sich vorgenommen
bedingungen zu erhöhen. In Deutschland leben Men­        ­haben, Beiträge zur Klärung der offenen Fragen zu
                                                                                                                 © Stefan Lenz
schen aus ca. 190 Herkunftsstaaten – also beinahe        leisten. In der ersten Förderphase (2013 – 2017) kon­   – Fotolia.com
allen Staaten der Welt. Die meisten Staaten sind         zentrierte sich die Forschung auf grundlegende
mehrsprachig. Also ist wahrscheinlich, dass mehr als     Frage­stellungen zu Potentialen von Mehrsprachig­
190 Sprachen in Deutschland alltäglich gebraucht         keit im Bildungssystem und der Minderung von
werden.                                                  ­Risiken. In Phase 2 (2017 – 2020) geht es eher um
   Was aber sind die Konsequenzen mehrsprachigen         ­vertiefende Analysen und die Relevanz von
Aufwachsens und Lebens für (nicht nur sprachliche)       Forschungs­ergebnissen für die Bildungspraxis. Die
Entwicklung, Erziehung und Bildung? Darüber war          Ergebnisse sollen nicht nur das wissenschaftliche
zu wenig bekannt. Wir wissen z.B. nicht genug über       Wissen mehren, sondern auch Grundlagen für prak­
die Entwicklung von Mehrsprachigkeit im Verlauf          tisches Handeln bieten. Dabei steht die Frage im
der Bildungskarriere. Auch die Frage, wie Sprachent­     ­Vordergrund, ob und wie Potentiale, die in der Mehr­
wicklung vonstattengeht, wenn nicht nur zwei,            sprachigkeit liegen, für bessere Bildung genutzt wer­
­sondern drei, vier oder mehr Sprachen beteiligt sind,   den können.
ist kaum geklärt. Das jedoch ist die sprachliche Lage
einer zunehmenden Zahl von Kindern und Jugend­           Wir wünschen Ihnen eine angenehme und
lichen in Deutschland: Für alle Heranwachsenden ist      an­regende Lektüre
selbstverständlich Deutsch eine wichtige Sprache des
alltäglichen Lebens und der Bildung. Zudem erlernen      Ihr KoMBi-Team
fast alle Kinder in der Schule eine erste Fremdspra­     Ingrid Gogolin – Antje Hansen – Sarah McMonagle
che – zumeist Englisch. Für eine zunehmende Zahl
von Kindern – alle jene, die das Abitur anstreben –
kommt eine zweite Fremdsprache hinzu. Und eben­

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Inhaltsverzeichnis

    1   Vorwort                                           40 Folgeprojekt MEG-SKoRe II – Sprachliche und
                                                              kognitive Ressourcen der Mehrsprachigkeit im
    3   Übersicht über Stand und Zwischenergebnisse           Englischerwerb in der Grundschule
        des Forschungsschwerpunkts Sprachliche Bildung
        und Mehrsprachigkeit                              42 Mehrschriftlichkeit – Zur Wechselwirkung von
                                                              Sprachkompetenzen in Erst- und Zweitsprache und
    13 Forschungslandkarte                                    außersprachlichen Faktoren

    16 BiPeer – Förderung der Deutsch-Lesekompetenz       46 MEZ – Mehrsprachigkeitsentwicklung im Zeitverlauf
        bilingualer Grundschüler durch Peer-Learning
                                                          50 MIKS – Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld
    20 Folgeprojekt meRLe – Förderung der Deutsch-            Interkultureller Schulentwicklung.
        Lesekompetenz durch mehrsprachigkeitssensibles        Eine Interventionsstudie in Grundschulen
        Reziprokes Lehren im Grundschulunterricht
                                                          54 Folgeprojekt MIKS II – Dissemination eines
    22 IMe – Inszenierte Mehrsprachigkeit in drama- und       Professionalisierungs- und Schulentwicklungs-
        theaterpädagogischen Settings im Regel- und           konzepts in Zeiten der Neuzuwanderung
        Projektunterricht
                                                          56 MuM-Multi – Sprachförderung im Mathematik-
    26 IMKi – Effekte einer aktiven Integration von           unterricht unter Berücksichtigung der
        Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen          Mehrsprachigkeit

    34 MEG-SKoRe – Sprachliche und kognitive              60 Folgeprojekt MuM-Multi II – Sprachenbildung im
        Ressourcen der Mehrsprachigkeit im Englisch-          Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der
        erwerb in der Grundschule                             Mehrsprachigkeit – Strategien mehrsprachigen
                                                              Handelns in mathematischen Lehr-Lern-Prozessen
                                                              von Bildungsinländern und Neu-Zugewanderten

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
62 Russische & polnische Herkunftssprache als           84 Sprachkompetenzen und Sprachbewusstheit –
    Ressource im Schulunterricht                            Metasprachliche Interaktionen in mehrsprachigen
                                                            Lernsettings als Prädiktor für Sprachbewusstheit
66 Folgeprojekt Sprachbewusstheit und Mehr-                 und deren Bedeutung für sprachliches Lernen im
    sprachigkeit – Entwicklung einer ressourcen-            Deutsch-, Fremdsprachen- und Herkunfts-
    orientierten Didaktik für den Herkunfts- und            sprachenunterricht
    Fremdsprachenunterricht am Beispiel russischer
    und polnischer Herkunftssprecher*innen              90 Folgeprojekt MehrSprachen – Eine Interventions-
                                                            studie zur Förderung von Sprachkompetenzen und
68 SchriFT – Schreiben im Fachunterricht der                Sprachbewusstheit in der Grundschule
    Sekundarstufe I unter Einbeziehung des Türkischen
                                                        92 KoMBi – Koordinierungsstelle Mehrsprachigkeit
74 Folgeprojekt SchriFT II – Schreiben im ­Fach-            und sprachliche Bildung
    unterricht der Sekundarstufe I unter Einbeziehung
    des Türkischen – Eine empirische Studie zur Wirk-
    samkeit von schreibfördernden Konzepten im
    Fachunterricht und im Herkunftssprachen-
    unterricht Türkisch

76 SimO – Schreibförderung in der multilingualen
    Orientierungsstufe

82 Folgeprojekt TimO – Textrevisionen in der multi-
    lingualen Orientierungsstufe

                                                                                                               3
Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Übersicht über Stand und Zwischenergebnisse
    des Forschungsschwerpunkts Sprachliche Bildung und
    Mehrsprachigkeit

    Bisherige Forschung, die den Zusammenhang von          mit sich bringt. Solche wurden für die Sprachan­
    Migration, Mehrsprachigkeit und Bildung unter­         eignung im engeren Sinne gefunden, aber auch für
    sucht, kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen:         andere – vor allem kognitive – Anforderungen des
       Einerseits wird durch die großen Schulleistungs­    Lernens. Die Vorteile blieben auch unter Kontrolle
    vergleichsstudien nahegelegt, dass Mehrsprachig­       relevanter Einflussfaktoren sichtbar, wie z. B. der
    keit, festgemacht am Sprechen einer anderen Spra­      sozialen Lage der Familien.
    che als Deutsch im Elternhaus, ein Risiko für den         Die Forschungsprojekte des Schwerpunkts
    Bildungserfolg darstellt – insbesondere, wenn Kin­     Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit setzen an
    der aus Familien stammen, die unter ungünstigen        dieser Gemengelage vorliegender Forschungsergeb­
    sozioökonomischen Bedingungen leben. Dies ist in       nisse an. Sie haben sich vorgenommen, Wissens­
    Familien mit Migrationshintergrund überdurch­          lücken zu schließen und Ergebnisse zu erzielen, auf
    schnittlich oft der Fall.                              deren Grundlage es gelingen kann, die Potenziale
       Andererseits zeigte sich jedoch auch, dass Rück­    der Mehrsprachigkeit im Bildungsprozess besser zu
    stände in der Lesekompetenz auch bei denjenigen        nutzen und die gleichfalls vorhandenen Risiken
    Schüler*innen nachgewiesen werden können, die in       zu verringern.
    der Familie überwiegend Deutsch sprechen. Im in­          Eine verbindende Perspektive dabei ist es, das
    ternationalen Vergleich wird zudem deutlich, dass es   Konzept einer ›erfolgreichen Mehrsprachigkeit‹
    Bildungssysteme gibt, in denen es sich nicht negativ   theoretisch, empirisch fundiert und mit Relevanz für
    auf die Bildungskarriere auswirkt, wenn im Eltern­     die Praxis weiterzuentwickeln. Der ›Erfolg‹ der
    haus andere Sprachen als die Schulsprache gespro­      Mehrsprachigkeit bemisst sich hier an der Teilhabe
    chen werden. Zudem liegen Studien vor, die zu dem      an Bildung. Als bildungsrelevante Mehrsprachigkeit
    Schluss kommen, dass mehrsprachiges Aufwachsen         wird im Schwerpunkt Sprachhandlungsfähigkeit
    und Leben förderliche Konsequenzen für das Lernen      verstanden, die komponiert ist aus :

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
a. der allgemeinen Verständigungssprache Deutsch,      • Funktionen und Wirkungen einer Einbeziehung
  so dass diese Sprache in allen Bereichen der Bil­      der Herkunftssprachen in Lehr- und Lernprozesse.
  dung zur Aneignung von Wissen und Fähigkeiten          In diesen Vorhaben wird vor allem die Frage
  genutzt werden kann.                                   geprüft, ob und unter welchen Bedingungen sich
b. dem sprachlichen Wissen und Können, das alle          eine Einbeziehung der Herkunftssprachen positiv
  Kinder und Jugendlichen in mindestens einer, in        auf das fachliche Lernen auswirkt.
  vielen Fällen aber auch weiteren Fremdsprachen       • Besondere Potenziale Mehrsprachiger. Hier wer­
  gewinnen, die in der Schule und in anderen             den Forschungsergebnisse aufgegriffen und in
  Bildungsinstitutionen gelehrt und gelernt werden.      bildungspraktischen Kontexten überprüft, die zu
c. dem sprachlichen Wissen und Können, das Kinder        den Vorteilen der Mehrsprachigkeit vorliegen –
  und Jugendliche besitzen, die in der Familie           zum Beispiel mit Blick auf die systematische
  andere Sprachen als das Deutsche oder neben der        Nutzung metasprachlicher Fähigkeiten zur Unter­
  deutschen alltäglich nutzen – also den Herkunfts­      stützung von Lernprozessen.
  sprachen, die durch Migration nach Deutschland       • Gestaltungsmerkmale von Bildungsinstitutionen
  gebracht werden.                                       und ihre Entwicklung, von denen eine förder-
                                                         liche Wirkung auf sprachliche Fähigkeiten und
Dabei werden von den Schwerpunktprojekten                Bildungserfolge im Mehrsprachigkeitskontext
­folgende Bereiche bearbeitet:                           erwartet werden kann.
• Sprachentwicklung über den Verlauf der Bildungs­
  biographie. Hier geht es um Untersuchungen der       Im Folgenden geben wir einen Überblick über die
  sprachlichen Entwicklung von Kindern in Bil­         bisherigen Ergebnisse der Schwerpunktprojekte.
  dungsinstitutionen – vom Kindergarten bis in die     Dabei handelt es sich um Resultate aus der ersten
  Sekundarstufe I und den Übergang in die Sekun­       Förderphase (2013 – 2017). Viele der Projekte
  darstufe II oder die berufliche Bildung. Insbeson­   ­erhielten die Möglichkeit in einer zweiten Förder­
  dere die späteren Stationen im Bildungsverlauf       phase (2017 – 2020) ihre Forschung weiterzu­
  und der Übergang in den Beruf wurden in der bis­     entwickeln und verschiedene Aspekte zu vertiefen.
  herigen Forschung kaum in den Blick genommen.        Dies geschieht z. B. durch Interventionsstudien, in
• Grundlegende Anforderungen an die Entwicklung        denen Effekte einer Aktivierung von Mehrsprachig­
  von Literalität im Kontext der Mehrsprachigkeit.     keit im Unterricht auf sprachliche, fachliche und
  Hier geht es beispielsweise darum, Alternativen      motivationale Dimensionen untersucht werden.
  oder Ergänzungen zur üblichen Förderung der          Die Projekte des Schwerpunkts untersuchen dies so­
  Lesefähigkeit zu entwickeln und ihr Erfolgspoten­    wohl im Fachunterricht (MuM-Multi II), im Fremd­
  zial zu ermitteln.                                   sprachenunterricht (Meg-SkoRe II), in Bezug auf die

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Förderung von Sprachbewusstheit (MehrSprachen)
    und auch für das Lesen lernen (meRLe). Der Ansatz
    einer Förderung von Mehrsprachigkeit als Ziel inter­
    kultureller Schulentwicklung, der bereits in der
    ­ersten Förderphase erprobt wurde, wird nun in der
    zweiten Phase auf mehrere Schulen ausgeweitet und
    weiter entwickelt (MIKS II). Andere Projekte befassen
    sich in der zweiten Förderphase mit der Entwicklung
    einer Herkunftssprachendidaktik auf Basis vorhan­
    dener Kompetenzen von Herkunftssprecher*innen
    (Sprachbewusstheit und Mehrsprachigkeit); sowie
    mit der Durchführung weiterer Erhebungen und
    ­damit der Weiterverfolgung der Entwicklung von
    Mehrsprachigkeit in longitudinaler Perspektive
    (IMKi, MEZ). Ein weiterer Aspekt ist die Auswertung
    des umfangreichen Datenkorpus aus der ersten
    ­Förderphase unter vertiefenden Gesichtspunkten
    (Timo). Die Resultate dieser vertiefenden Untersu­
    chungen und damit die finalen Ergebnisse des
    ­Forschungsschwerpunktes Sprachliche Bildung und
    Mehrsprachigkeit werden wir Ihnen 2020 präsentie­
    ren können.
       Es folgt nun eine Zusammenfassung der Ergeb­
    nisse der ersten Förderphase. Detailliertere Darstel­
    lungen der Projekte der ersten und zweiten
    ­Förderphase finden sich in den ausführlichen
    Selbst­portraits in dieser Broschüre oder auf der
    ­Website des Schwerpunkts: www.kombi-hamburg.de.

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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
Übersicht über den bisherigen Stand
und Erträge der Schwerpunktprojekte

Forschungsmethoden und Instrumente                      Erprobte Prototypen für solche Instrumente liegen
Zu den bedeutenden Erträgen der Forschung im            nun erstmals für Deutsch und relevante Herkunfts-
Schwerpunkt gehört die Weiterentwicklung von For­       bzw. Fremdsprachen vor und können in weiterer
schungsmethoden und Instrumenten für die Mehr­          Forschung eingesetzt werden.
sprachigkeitsforschung. In ihren Untersuchungen
entwickeln die Projekte Instrumente weiter, die sich    Inhaltliche Erträge
für eine angemessene Erfassung von Einflussfakto­       Auswirkungen der Nutzung von Mehrsprachigkeit
ren auf Bildung im Kontext von Migration und Mehr­
sprachigkeit eignen. Ein Beispiel ist die Erfassung     a) im Sprach- und Fachunterricht
familialer Sprachpraxis in Migrantenfamilien.           Eine Leitfrage der Arbeiten in diesem Bereich ist,
Diese lässt sich mit den üblicherweise verwendeten      welche Auswirkungen der Einbezug von Herkunfts­
dichotomisierenden Kategorien (ȟberwiegend             sprachen im Fachunterricht auf die Aneignung
Deutsch«/ »überwiegend Herkunftssprache«) nicht         von Fachinhalten und die fachsprachliche Kompe­
angemessen abbilden, so dass darauf basierende          tenz im Deutschen und in den Herkunftssprachen
Interpretationen oft irreführend sind.                  hat. Hier wurden Formen des Einbezugs von Her­
   Von großer Bedeutung ist die Pionierarbeit, die im   kunftssprachen in den Fachunterricht und Formen
Hinblick auf Instrumente zur Erfassung von Sprach­      der Kooperation des Fachunterrichtes mit dem
stand in verschiedenen Herkunftssprachen und            Herkunftssprachenunterricht untersucht.
in langzeitlicher Perspektive geleistet wird. Solche       Es konnte gezeigt werden, dass eine mehr­
Instrumente bilden eine Grundvoraussetzung dafür,       sprachige Förderung, also eine Förderung im Fach­
Mehrsprachigkeit und ihre Entwicklung überhaupt         unterricht, die Herkunftssprachen zulässt und
verfolgen zu können. Erforderlich ist es, dass die      gezielt zweisprachig unterstützt, zu fachlichen
Verfahren sprachübergreifende Vergleiche erlauben.      Leistungs­zuwächsen führt. Für Lernende mit guten

                                                                                                             7
Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit - Forschungsschwerpunkt Projektvorstellungen und Zwischenergebnisse 1. und 2. Förderphase
herkunftssprachlichen Kompetenzen lässt sich           deutscher Familiensprache noch von Schüler*innen
    sogar die Tendenz nachweisen, dass sie von einer       mit deutscher und einer nichtdeutschen Familien­
    zweisprachigen Förderung mehr profitieren als          sprache unterschieden.
    von einer ein­spra­chig deutschen.                        Angesichts der Vielfalt der Sprachen schließlich,
      Dieser Nutzen scheint sich auch in den Fällen        die durch die Lernenden in die Bildungseinrich­
    zu ergeben, in denen Schüler*innen erst relativ spät   tungen mitgebracht werden, stellt sich die Frage, wie
    in ihrer Bildungsbiographie die Erfahrung machen,      man herkunftssprachliche Ressourcen der Kinder
    dass ihre Herkunftssprachen wertgeschätzt und als      für das Lernen nutzen kann, ohne dass die Lehrkräfte
    Ressource für das Lernen genutzt werden.               selbst mehrsprachig sein müssen. Eine Möglichkeit
      Es zeigte sich weiterhin, dass durch eine Koor­      ist es, dass sich Kinder gegenseitig mit Hilfe ihrer
    dinierung des Herkunftssprachenunterrichts             Herkunftssprache unterstützen. Wie es scheint,
    (am Beispiel von Türkisch) mit dem Fachunterricht      hängt der Erfolg solcher Maßnahmen unter anderem
    Transferleistungen vom Türkischen ins Deutsche         davon ab, wie Kindergruppen zusammengesetzt sind
    und umgekehrt möglich sind und dass grundlegende       und welche Erfahrungen sie bereits damit gemacht
    Fähigkeiten, die in einem Fach erworben wurden,        haben, ihre Herkunftssprachen für das Lernen zu
    auf andere Fächer übertragen werden können –           nutzen.
    beispielsweise die Fähigkeit zum Verfassen fach­
    spezifischer Textsorten.                               Projekte: Schreiben im Fachunterricht der Sekundar­
      Zudem liegen Hinweise darauf vor, dass die För­      stufe I unter Einbeziehung des Türkischen (SchriFT);
    derung spezifischer Strategien der Verbesserung von    Sprachförderung im Mathematikunterricht unter Be­
    Schreibfähigkeit im Deutschen auch Rückwirkungen       rücksichtigung der Mehrsprachigkeit (MuM-Multi);
    auf herkunftssprachliche Schreibfähigkeiten hat:       Förderung der Deutsch-Lesekompetenz bilingualer
    Schüler*innen, die nach entsprechender Interven­       Grundschüler durch Peer-Learning. Zur Bedeutung
    tion im Deutschen bessere Texte schreiben, produ­      des Sprachintergrunds und der Sprache der Peer-
    zieren im Verhältnis auch im Türkischen bessere        Kommunikation (Bi-Peer); Schreibförderung in der
    Texte. Die verbreitete Annahme hingegen, dass das      multilingualen Orientierungsstufe (SimO).
    Sprechen einer anderen als der deutschen Sprache
    im Elternhaus negative Konsequenzen für die Ent­       b) zur Funktion von metasprachlichen und
    wicklung der literalen Fähigkeiten im Deutschen mit    sprachbegleitenden Fähigkeiten
    sich bringt, wird durch die vorliegenden Ergebnisse    In den Studien zu diesem Themenfeld soll das Poten­
    nicht unterstützt: Schüler*innen mit nichtdeutscher    zial der Mehrsprachigkeit für die Ausbildung von
    Familiensprache haben sich mit Bezug auf Textlänge     fachunabhängigen, allgemein förderlichen (meta­
    und Textqualität weder von Schüler*innen mit nur       sprachlichen) Fähigkeiten ausgelotet werden, die

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nach vorliegenden Forschungsresultaten eine            keit der Schüler*innen aufgreifen. Mit Hilfe von
Begleit­erscheinung mehrsprachigen Lebens sind.        Spielsequenzen soll hier sprachbegleitendes Wissen
­Dabei geht es insbesondere um Formen von Sprach­      und Können angebahnt werden, das Verständigung
bewusstheit (also des Wissens über Sprache), über      auch über ihre im engeren Sinne verbalen Anteile
die mehrsprachig lebende Menschen meist intuitiv       hinaus unterstützt.
verfügen. Der systematische und strategische Einsatz     In einem weiteren Projekt zu diesem Thema zeigt
dieses Wissens kann die Aneignung von weiteren         sich, dass mehrsprachige Grundschulkinder tatsäch­
sprachlichen Kompetenzen unterstützen. Offen ist       lich sowohl eine größere Gesamtzahl meta­sprach­
unter anderem die Frage, ob und unter welchen          licher Äußerungen als auch niveauhöhere Sprach­
Umständen die lebensweltlich angelegten Fähig­         reflexionen produzierten als einsprachig lebende
keiten den Bildungsprozess überdauern und ihre         Kinder. Am prägnantesten zeigen sich metasprach­
Weiterentwicklung unterstützt werden kann. Zudem       liche Fähigkeiten bei jenen Kindern, bei denen
geht es um den Einsatz von sprachbegleitenden          sowohl die herkunftssprachlichen als auch die
Fähigkeiten – wie mimischer, gestischer Ausdrucks­     Deutschkenntnisse gut ausgebaut sind.
möglichkeiten – als Bestandteil sprachlicher
Kompetenz.                                             Projekte: Metasprachliche Interaktionen in mehr­
  In den Projekten zu diesem Thema werden die          sprachigen Lernsettings als Prädiktor für Sprach­
Fragen, welche Einflüsse lebensweltliche Mehrspra­     bewusstheit und deren Bedeutung für sprachliches
chigkeit auf die Ausbildung von Sprachbewusstheit      Lernen im Deutsch-, Fremdsprachen- und Her­
hat, auf Lern- und Leistungsbereiche der Schule hin    kunftssprachenunterricht (Sprachkompetenzen und
konkretisiert. Dabei geht es unter anderem um das      Sprachbewusstheit); Mehrschriftlichkeit: Zur
Lernen von Fremdsprachen. In einer Untersuchung        Wechselwirkung von Sprachkompetenzen in Erst-
zum Lernen des Englischen zeigte sich, dass Mehr­      und Zweitsprache und außersprachlichen Faktoren;
sprachigkeit an sich weder eine allgemeine Ressour­    Inszenierte Mehrsprachigkeit in drama- und theater­
ce noch einen Nachteil bedeutet. Einflussreich sind    pädagogischen Settings im Regel- & Projektunter­
vielmehr individuelle Faktoren – unter anderem         richt. Empirische Analysen zu sprachlich & kulturell
eine hohe metasprachliche Bewusstheit und andere       heterogenen Kontexten unter Berücksichtigung von
kognitive Fähigkeiten. Auch zum wechselseitigen        Herkunftssprachen und Deutsch als Zweitsprache
Einfluss von Textkompetenz, Sprachbewusstheit und      (IMe); Sprachliche und kognitive Ressourcen der
außersprachlichen Faktoren liegen Ergebnisse vor.      Mehrsprachigkeit im Englischerwerb in der Grund­
Eine Variante des Anknüpfens an mehrsprachige          schule (MEG-SkoRe).
Erfahrungen ist es, dramapädagogische Übungen in
den Unterricht einzubeziehen, die die Mehrsprachig­

                                                                                                              9
Implementation von Maßnahmen zur Nutzung von            zu erproben und ihre Erfahrungen anschließend
     Mehrsprachigkeit in Bildungseinrichtungen               begleitet zu reflektieren. Lehrkräfte benötigen die
     In zwei Projekten werden Bildungseinrichtungen          Gelegenheit, Vorschläge zum konstruktiven Umgang
     dabei begleitet, die in ihrer Klientel vorhandene       mit Mehrsprachigkeit an den eigenen Unterricht
     Mehrsprachigkeit als Ressource wahrzunehmen und         anzupassen. Eine andere Gelingensbedingung ist es,
     produktiv zu nutzen. Befragungen in den beteiligten     dass Kooperation im Kollegium angeregt und ermög­
     Einrichtungen ergaben, dass Fach- und Lehrkräfte        licht wird. Inhalte der Qualifizierung sollten mit
     den sprachbildenden Maßnahmen einen hohen               anderen Inhalten des Schulentwicklungsprogramms
     Stellenwert einräumen. In Beobachtungen hingegen        verzahnt und an anstehende Entwicklungsaufgaben
     waren kaum Spuren einer Praxis nach dieser Auf­         angeknüpft werden.
     fassung zu finden. Die in den Projekten durchge­
     führten Qualifizierungsmaßnahmen richteten sich         Projekte: Effekte einer aktiven Integration von Mehr­
     daher auf die Verbesserung der Wissensgrundlagen        sprachigkeit in Kindertageseinrichtungen (IMKi);
     des Personals über Sprachentwicklung und Mehr­          Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld Interkultureller
     sprachigkeit sowie darauf, die Umsetzung von            Schulentwicklung. Eine Interventionsstudie in
     Wissen in praktisches Handeln zu begleiten.             Grundschulen (MiKS).
        Vielfach besteht die Hoffnung, dass der Einsatz
     von Personal, das eigene Mehrsprachigkeitserfah­        Individuelle mehrsprachige Entwicklung
     rung besitzt, eine ausreichende Ressource für die       im Zeitverlauf
     Verbesserung der Sprachbildungspraxis in mehr­          Diesem Thema ist das Projekt ›Mehrsprachigkeits­
     sprachigen Kindertageseinrichtungen sei. In der         entwicklung im Zeitverlauf (MEZ)‹ gewidmet. Es
     Untersuchung zeigt sich demgegenüber, dass auch         untersucht die Entwicklung in den Sprachen Deutsch
     diese Kräfte Wissenserweiterungs- und Reflexions­       (Schulsprache), Englisch (als erste Fremdsprache),
     prozesse durchlaufen müssen, um ihre eigene             Türkisch und Russisch (als Herkunftssprachen),
     Mehrsprachigkeit als Ressource in der Praxis ein­       Französisch und Russisch (als zweite Fremdspra­
     setzen zu können.                                       chen). Erstmalig – nicht nur für Deutschland – wird
        In der Untersuchung zum Einbezug von Mehr­           parallel und systematisch die Entwicklung rezeptiver
     sprachigkeit in die Grundschule werden Qualitäts­       (Leseverständnis) und produktiver Fähigkeiten
     merkmale für eine erfolgreiche Praxis sichtbar.         (schriftliche Textproduktion) in allen beteiligten
     Auch hier steht die Qualifizierung des Personals im     Sprachen untersucht. Zudem werden in einer umfas­
     Mittelpunkt. Der Erfolg der Qualifizierung steht und    senden Weise Einflussfaktoren auf die sprachliche
     fällt damit, dass die Lehrkräfte in die Lage versetzt   Entwicklung einbezogen (individuelle Faktoren,
     werden, Handlungsvorschläge in der eigenen Praxis       ­familiale Bedingungen, Migrations- und Sprach­

10
erwerbsgeschichte, schulischer Kontext, soziale Ein­   Projekt: Russische & polnische Herkunftssprache als
bindung, Bildungs- und Berufsaspirationen). Die        Ressource im Schulunterricht.
Entwicklung der Schüler*innen wird über vier Mess­
zeitpunkte verfolgt Untersucht wird eine substan­      Ein genaueres Bild von der Anlage der Untersuchungen
zielle Stichproben n = ca. 1800). Das Design der       und ihren vorläufigen Resultaten geben die Kurzdar­
Untersuchung erlaubt es, Annahmen über kausale         stellungen im folgenden Kapitel.
Zusammenhänge zu plausibilisieren.

Projekt: Mehrsprachigkeitsentwicklung im Zeit­
verlauf (MEZ).

Förderung der Herkunftssprachen
Das Projekt ›Russische & polnische Herkunftsspra­
che‹ untersucht die familiale Sprachpraxis und
Kompetenzen von Jugendlichen in ihren Herkunfts­
sprachen und identifiziert Bereiche, in denen eine
gezielte Förderung dieser Kompetenzen sinnvoll
ist. Bei den untersuchten Jugendlichen zeigen sich
vor allem Stärken in der gesprochenen Sprache
einschließlich des Hörverstehens. Viele verfügen
über eine akzentfreie Aussprache. Hingegen bereitet
das Schreiben in der Herkunftssprache eher Schwie­
rigkeiten, obwohl die Mehrzahl der untersuchten
Jugendlichen Einführungen in die Schrift in der
Herkunftssprache erhalten hatten (häufig durch die
Eltern).
   Vom regelmäßigen Besuch eines Unterrichts der
Herkunftssprache profitieren die Jugendlichen
insbesondere im Bereich der literalen Fähigkeiten.
Allerdings wird auch festgestellt, dass die lebens­
weltlich vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten als
Potenzial im Unterricht dieser Sprachen zumeist
ungenutzt bleiben.

                                                                                                              11
Forschungslandkarte: Übersicht, der am Schwerpunkt
     beteiligten Projekte der 1. und 2. Förderphase

     BiPeer – Förderung der Deutsch-Lesekompetenz           MuM-Multi – Sprachförderung im Mathematikunter­
     ­bilingualer Grundschüler durch Peer-Learning          richt unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit
     meRLe – Förderung der Deutsch-Lesekompetenz            MuM-Multi II – Strategien mehrsprachigen Han­
     durch mehrsprachigkeitssensibles Reziprokes            delns in mathematischen Lehr-Lern-Prozessen von
     ­Lehren im Grundschulunterricht                        Bildungs­inländern und Neu-Zugewanderten

     IMe – Inszenierte Mehrsprachigkeit in drama- und       Russische und polnische Herkunftssprache als
     theaterpädagogischen Settings im Regel- & Projekt­     ­Ressource im Schulunterricht – Eine Bestandsauf­
     unterricht                                             nahme zur Rolle des familiären & schulischen Kon­
                                                            texts für die Nutzung von Herkunftssprachen
     IMKi – Effekte einer aktiven Integration von Mehr­
                                                            Sprachbewusstheit und Mehrsprachigkeit –
     sprachigkeit in Kindertageseinrichtungen
                                                            ­Entwicklung einer ressourcenorientierten Didaktik
     MEG-SKoRe + MEG-SKoRe II – Sprachliche und             für den Herkunfts- und Fremdsprachenunterricht
     ­kognitive Ressourcen der Mehrsprachigkeit im Engli­
                                                            SchriFT + SchriFT II – Schreiben im Fachunterricht
     scherwerb in der Grundschule
                                                            der Sekundarstufe I unter Einbeziehung des Türki­
     Mehrschriftlichkeit – Zur Wechselwirkung von           schen
     Sprachkompetenzen in Erst- und Zweitsprache und
                                                            SimO – Schreibförderung in der multilingualen
     außersprachlichen Faktoren
                                                            ­Orientierungsstufe
     MEZ – Mehrsprachigkeit im Zeitverlauf                  TimO – Textrevisionen in der multilingualen
                                                            ­Orientierungsstufe
     MIKS – Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld Inter­
     kultureller Schulentwicklung. Eine Interventions­      Sprachkompetenzen und Sprachbewusstheit –
     studie in Grundschulen                                 Metasprachliche Interaktionen in mehrsprachigen
     MIKS II – Dissemination eines Professionalisie­        Lernsettings als Prädiktor für Sprachbewusstheit
     rungs- und Schulentwicklungskonzepts in Zeiten der     und deren Bedeutung für sprachliches Lernen
     Neuzuwanderung                                         MehrSprachen – Eine Interventionsstudie zur Förde­
                                                            rung von Sprachkomeptenzen und Sprachbewusst­
                                                            heit in der Grundschule

12
Russische und polnische
MEZ Uni Hamburg,                                                                                                                    Herkunftssprache +
MIKS + MIKS II Uni Hamburg                                           Schleswig
                                                                                                                                    Sprachbewusstheit und
MuM-Multi + MuM-Multi II                                              Holstein                                                      Mehrsprachigkeit
Uni Hamburg                                                                                         Mecklenburg-                    Uni Greifswald
                                                                                                    Vorpommern

SimO + TimO
                                                                      Hamburg
Uni Bremen
                                                                                                                                          MEG-SKoRe + MEG-
                                                       Bremen
                                                                                                                                          SKoRe II TU Braunschweig
MuM-Multi + MuM-Multi II
TU Dortmund                                                        Niedersachsen
                                                                                                                   Berlin                 BiPeer + meRLe
                                                                                                                                          UNI Wuppertal
SchriFT + SchriFT II
                                                                                                                      Brandenburg
Uni Duisburg-Essen                                                                     Sachsen-Anhalt

SimO + TimO
                                        Nordrhein-
Uni Siegen                              Westfalen                                                                   Sachsen

                                                                                   Thüringen
Sprachkompetenzen
                                                          Hessen
und Sprachbewusstheit +                                                                                                             Russische und polnische
MehrSprachen                      Rheinland-                                                                                        Herkunftssprache +
                                    Pfalz
Uni Koblenz-Landau                                                                                                                  Sprachbewusstheit und
                                                                                                                                    Mehrsprachigkeit
BiPeer + meRLe                                                                                                                      Uni Leipzig
DIPF
                             Saarland
                                                                                               Bayern
                                                                                                                                    IMKi KU
MEG-SKoRe + MEG-SKoRe II                                                                                                            Eichstätt-Ingolstadt
Universität Mannheim

                                                     Baden-Württemberg
IMKi PH Heidelberg                                                                                                                  IMe Universität Augsburg

                                                                                                                                    Mehrschriftlichkeit
                                                                                                                                    LMU München

                                                                                                                                                               13
Projektvorstellungen und Ergebnisse
            im Einzelnen
BiPeer

                                Förderung der Deutsch-Lesekompetenz bilingualer Grundschüler
                                durch Peer-Learning: Zur Bedeutung des Sprachhintergrunds der
                                Peers sowie der Sprache der Peer-Kommunikation

Institution                     Projektvorstellung                                       der Unterrichtssprache des monolingualen Kindes
Deutsches Institut für Inter­   Kinder mit Zuwanderungshintergrund aus der Tür­          profitieren. Auch wenn zwei bilinguale K
                                                                                                                                ­ inder
nationale Pädagogische          kei verfügen bereits in der Grundschule über niedri­     ­gemeinsam beide Sprachen beim Lernen n
                                                                                                                               ­ utzen,
Forschung                       gere Lesekompetenzen als ihre Mitschüler*innen.          könnte dies die Kommunikation während des Peer-
                                Dieses Projekt untersuchte Möglichkeiten, die Lese-      Learnings erleichtern und so zu höherem Lesever­
Laufzeit                        und Rechenkompetenz Türkisch/Deutsch bilingua­           ständnis führen. In dieser Studie wird deshalb
Juli 2014 – Juli 2017           ler Grundschüler*innen durch Peer-Learning zu un­        ­untersucht, inwieweit es gelingt, die Lesefertigkeiten
                                terstützen. Beim Peer-Learning lernen jeweils zwei       von Türkisch/Deutsch bilingualen 3.- und 4.-Kläss­
Leitung & Mitarbeitende         Kinder (Peers) gemeinsam nach strukturierten Ab­         ler*innen mit einem Peer-Learning-Training zu ver­
Jun. Prof. Dr. Dominique        läufen. Interventionsstudien haben gezeigt, dass         bessern (Forschungsfrage 1) und welchen Einfluss
Rauch, Prof. Dr. Jasmin         Peer-Learning schulisch relevante Kompetenzen wie        die Zusammensetzung der Tandems hinsichtlich des
Decristan, Martin Schastak,     Lesekompetenz fördert und Kinder mit niedrigem           Sprachhintergrunds (Forschungsfrage 2) und der in
Valentina Reitenbach            sozioökonomischem Status oder mit Zuwanderungs­          den Peer-Interaktionen gesprochenen Sprachen
                                hintergrund hiervon besonders profitieren. Forschung     (Forschungsfrage 3) auf den Trainingserfolg haben.
                                zur Tandem-Zusammenstellung berücksichtigte
                                hauptsächlich das Geschlecht, Alter und Leistungs­       Wie und was wurde untersucht?
                                niveau der Peers. Obwohl kommunikative Fähigkei­         BiPeer untersucht die oben angeführten Fragestel­
                                ten für erfolgreiches Peer-Learning essentiell sind,     lungen in einer Peer-Learning gestützten Interven­
                                wurde die Tandem-Zusammensetzung hinsichtlich            tionsstudie mit 164 monolingual deutschsprachig
                                des Sprachhintergrunds sowie Sprachgebrauchs             und ­bilingual türkisch-deutschsprachig aufwachsen­
                                ­bilingualer Peers bisher kaum erforscht. Ein bilingu­   den Kindern der 3. und 4. Klasse: ›Das Besondere‹ an
                                ales Kind könnte mit einem monolingualen zusam­          der ­Interventionsstudie ist, dass die drei Lese-Inter­
                                men lernen und dabei vom größeren Vokabular in           ventions-Gruppen (LG) mit drei Rechen-Kontroll-

16
Gruppen (RG) verglichen werden, in denen die Kin­                       war. Auch wurden in den beiden Gruppen ausge­
der ebenso im Tandem lernten. Dementsprechend                           wählte Teile der Instruktionen, Materialien und Spie­
­können die Forschungsfragen dieser Studie auch                         le auf Türkisch eingebracht, um die Kinder zum Tür­
hinsichtlich des Förderinhalts »Rechnen« unter­                         kischsprechen anzuregen.
sucht werden.

Interventionsdesign                LG1              LG2                LG3           RG1           RG2           RG3

Förderinhalt                       Lesen            Lesen              Lesen         Rechnen       Rechnen       Rechnen

Sprachhintergrund                  M+B              B+B                B+B           M+B           B+B           B+B
(Kind 1 + Kind 2)

Sprache während des                Deutsch          Deutsch            Türkisch /    Deutsch       Deutsch       Türkisch/
Trainings                                                              Deutsch                                   Deutsch

Anmerkungen M: monolingual Deutsch; B: bilingual Türkisch / Deutsch.

Die Trainings                                                           Erhebungen
Die Kinder nahmen zwei Mal pro Woche nachmittags                        Erhebungen fanden vor, während und unmittelbar
für jeweils 45 Minuten an einem Peer-Learning-Trai­                     nach der Intervention sowie etwa ca. 6 Wochen
ning teil (insgesamt 12 Sitzungen). Im Lesetraining                     später statt. Neben dem Einsatz von Fragebögen,
wurden Tandemlesen und drei Lesestrategien einge­                       standardisierten Kompetenz- und Leistungstests
übt: Wortbedeutung klären, Zusammenfassen und                           zum Lesen und Rechnen, zu Türkischfähigkeiten
Vorhersage. Das Rechentraining bestand aus Kopf­                        und Intelligenz (z. B. elfe 1-6; vsl; hrt 1-4; wwt
rechnen und drei Rechenstrategien: Hilfsaufgabe,                        6-10; cft 20-R) sowie trainingsnahen Erhebungsver­
Vereinfachen und Ergänzen.                                              fahren wurden ausgewählte Sitzungen mit Diktier­
   Die Inhalte der zwölf Sitzungen waren vorstruktu­                    geräten aufgenommen. Diese Aufnahmen ermögli­
riert, um den Ablauf für alle Kinder vergleichbar zu                    chen eine detaillierte Analyse der Peer-Interaktion
halten. Während der Sitzungen nahmen die Kinder                         hinsichtlich der genutzten Sprache(n). Die Eltern der
wechselnde Rollen als Tutor (Lehrender) oder Tutand                     teilnehmenden Kinder wurden fragebogengestützt
(Lernender) an. Jedes Tandem wurde durch eine ge­                       in einem Telefoninterview unter anderem zum Spra­
schulte Übungsleitung begleitet, die in den Gruppen                     cherwerb und zur Sprachnutzung innerhalb der
lg3 und rg3 ebenfalls Türkisch/Deutsch bilingual                        Familie befragt.

                                                                                                                                17
Erste Ergebnisse                                          sichtlich der Gruppenzusammenstellung fokussiert
     Das Lese- und Rechenstrategietraining ist trotz der       werden können, wenn das Sprachangebot mono­
     relativ kurzen Dauer und des außerunterrichtlichen        lingual Deutsch ist. Peer-Learning stellt eine anwen­
     Settings erfolgreich. Kinder, die am Lesetraining teil­   dungsorientierte Möglichkeit dar, Herkunftsspra­
     genommen haben, verbessern ihr Leseverstehen über         chen in den schulischen Lernkontext zu integrieren,
     die Dauer des Trainings hinweg und signifikant mehr       ohne zusätzliche Sprachkenntnisse von Lehrkräften
     als diejenigen, die am Rechentraining teilgenommen        vorauszusetzen. Die zusätzliche zweisprachige
     haben. Ebenso haben sich Kinder durch das Rechen­         ­Kommunikation beim Lernen hat keine Nachteile
     training in der Anwendung der Rechenstrategien            für den Lernzuwachs der bilingualen Kinder und
     ­gesteigert und signifikant mehr verbessert als Kinder,   birgt hinsichtlich Rechenstrategien gar zusätzliche
     die am Lesetraining teilnahmen (Forschungsfrage 1).       positive Effekte. Gezielte Anregungen (z. B. durch
     Die Zusammensetzung der Tandems hinsichtlich des          Spiele auf Türkisch) scheinen hilfreich zu sein, damit
     Sprachhintergrunds spielte für den Lernerfolg keine       die Kinder das Angebot zur Türkischnutzung auch
     Rolle: bilinguale Kinder lernen mit monolingualen         annehmen. Zudem sollten explizit Möglichkeiten
     und bilingualen Peers gleich gut (Forschungsfrage 2).     mit den Kindern entwickelt und aufgezeigt werden,
     Auf Basis der bisherigen Datenauswertung deutet           wie die Mehrsprachigkeit beim Peer-Learning genutzt
     sich an, dass sich ein zusätzlicher förderlicher Effekt   werden kann.
     der zweisprachigen Kommunikation während des
     Trainings nur für das Rechentraining nachweisen
     lässt: bilinguale Kinder, die mit ihrem biligualen Peer
     sowohl Deutsch als auch Türkisch in der Kommuni­
     kation nutzen durften, hatten einen signifikant
     ­größeren Zuwachs in der Anwendung der Rechen­
     strategien als bilinguale Kinder, die die kein mehr­
     sprachiges Angebot erhielten (Forschungsfrage 3).

     Was bedeutet das für die Praxis?
     Peer-Learning ist ein vielversprechender Ansatz,
     um die Lese- und Rechenkompetenz von Türkisch-
     Deutsch bilingualen Grundschulkindern zu fördern.
     Hierbei scheint es unerheblich zu sein, ob sie mit
     monolingualen oder anderen bilingualen Kindern
     zusammenarbeiten, sodass andere Faktoren hin­

18
Publikationen aus dem Projekt

M. Schastak, V. Reitenbach, D. Rauch & J. Decristan
(2017) »Türkisch-Deutsch bilinguale Interaktion beim
Peer-Learning in der Grundschule: Selbstberichtete Gründe für die
Annahme oder Ablehnung bilingualer Interaktionsangebote.«
In: Zeitschrift für Erziehungswissenchaft, 20(2), S. 213 – 235

                                                                    19
Folgeprojekt                    meRLe

                                Förderung der Deutsch-Lesekompetenz durch
                                mehrsprachigkeitssensibles Reziprokes Lehren im
                                Grundschulunterricht

Institution                     Projektvorstellung                                    mehrsprachigkeitssensiblen Unterricht eingebettet
Universität Wuppertal,          Ziel der Interventionsstudie meRLe ist es, die        werden, sodass Kinder mit Migrationshintergrund
Deutsches Institut für Inter­   Deutsch-Lesekompetenz von Grundschulkindern zu        auch unter Einbezug ihrer Herkunftssprachen
nationale Pädagogische          fördern und dabei migrationsbedingte Mehrspra­        ­lernen können. In der Vorläuferstudie BiPeer zeigte
Forschung                       chigkeit in den Klassen zu berücksichtigen. Im Rah­   sich bereits, dass türkisch-deutsch bilinguale
                                men des Vorhabens sollen neue Erkenntnisse dazu       Grundschulkinder von einem entsprechenden
Laufzeit                        gewonnen werden, wie mehrsprachigkeitssensibles       ­Training profitieren.
Oktober 2017 –                  Reziprokes Lehren von Lehrkräften im Grundschul­
September 2020                  unterricht eingesetzt werden kann und welche          Wie und was wird untersucht?
                                ­Wirkungen sich nachweisen lassen. Beim Rezipro­      Das Projekt meRLe ist eine Interventionsstudie an
Leitung & Mitarbeitende         ken Lehren erwerben Schüler*innen in wechselnden      Grundschulen in Nordrhein-Westfalen und Hessen.
Prof. Dr. Jasmin Decristan,     Rollen und mit wechselnden Aufgaben Lese- und         Teilnehmende Lehrkräfte werden in mehrtätigen
Jun. Prof. Dr. Dominique        Lernstrategien. Zunächst instruiert und modelliert    Workshops in Prinzipien des Reziproken Lehrens und
Rauch, Elisa Waldhoff,          die Lehrkraft die Strategien und unterstützt die      eines mehrsprachigkeitssensiblen Unterrichts ge­
Victoria Kramer                 Schüler*innen bei der Anwendung. Anschließend         schult. Anschließend sollen sie das mehrsprachig­
                                üben die Schüler*innen gemeinsam und in rezi­         keitssensible Reziproke Lehren zur Förderung des
                                proken Rollen die Strategien weiter ein. Diese        Leseverstehens in ihrem Deutschunterricht in der
                                Instruk­tionsmethode ist nachweislich wirksam         vierten Jahrgangsstufe einsetzen. Eine zweite Gruppe
                                und wird vor allem im Bereich des Lesens angewen­     von Lehrkräften nimmt ebenso an den Fortbildungen
                                det. Im Projekt meRLe werden vier Lese- und Lern­     teil, jedoch ein paar Monate später (Warte-Kontroll­
                                strategien vermittelt: Fragen formulieren, Zusam­     gruppe). Begleitende Erhebungen (Befragungen,
                                menfassen, Ziele setzen und den Lernprozess           ­Beobachtungen, Testungen und Videographien) in
                                reflektieren. Das Reziproke Lehren soll in einen      beiden Gruppen vor, während und nach der Interven­

20
tion sollen neue Erkenntnisse zum Einsatz und der       suchen, unter welchen Bedingungen die Kinder von
Wirksamkeit von mehrsprachigkeitssensiblem Rezip­       dem Vorhaben profitieren.
roken Lehrens ermöglichen. Eine besonders für den
Transfer relevante Stärke von meRLe besteht wie         Was bedeutet das für die Praxis
schon beim Projekt ­BiPeer darin, dass der Rückgriff    Die teilnehmenden Lehrkräfte erhalten eine kosten­
auf die herkunftssprachlichen Ressourcen der Kinder     lose wissenschaftlich fundierte Fortbildung und
ermöglicht wird, ohne dass die Lehrkraft selbst mehr­   Unterrichtsmaterialien. Darüber hinaus können sie
sprachig sein muss.                                     die Fortbildungskonzepte für weitere Vorhaben an
                                                        ihrer Schule nutzen und nach Bedarf adaptieren. Zu­
Geplante Ergebnisse                                     sätzlich zum Material wird im Projekt wertvolles
Das Vorhaben meRLe generiert neue Erkenntnisse          Handlungswissen dazu generiert, wie die Deutsch-
darüber, wie Lehrkräfte die Deutsch-Lesekompetenz       Lesekompetenz auch von Kindern mit nicht-deut­
bei Grundschulkindern durch Reziprokes Lehren           scher Herkunftssprache weiter gefördert werden
und die Eröffnung mehrsprachiger Kommunikati­           kann. Schließlich zeigen Studien, dass Lese- und
onsangebote im Unterricht fördern können. Die           Lernstrategien zwar eine Schlüsselqualifikation für
­begleitenden Erhebungen ermöglichen differen­          gelungene Bildungsprozesse darstellen, diese Strate­
ziertere Aussagen dazu, inwieweit und unter wel­        gien im Unterricht jedoch oft nicht explizit vermit­
chen Bedingungen Lehrkräfte und Schüler*innen das       telt werden. Zusammengenommen erwerben Lehr­
Angebot annehmen, sodass sich hieraus wiederum          kräfte somit wertvolle neue Impulse für ihren
konkrete Hinweise für die Schulpraxis ableiten las­     Schulalltag.
sen. Darüber hinaus lassen sich bestehende Befunde
zum Reziproken Lehren um den Aspekt der Mehr­
sprachigkeit erweitern und dann eingehender unter­

                                                                                                               21
IMe
                               Inszenierte Mehrsprachigkeit in drama- und theater­
                               pädagogischen Settings im Regel- und Projektunterricht

Institution                    Projektvorstellung                                     Ausgelotet werden sollten hierbei Möglichkeiten und
Universität Augsburg,          Das Projekt untersuchte den Aspekt der Mehrspra­       Grenzen der Aufnahme und Inszenierung von Mehr­
Lehrstuhl für Deutsch als      chigkeit und den Einbezug von Herkunftssprachen in     sprachigkeit in spielerischen Szenarien und theater­
Zweit- und Fremdsprache        spielerischen und dramapädagogischen Szenarien         pädagogischen Ansätzen sowie die Formulierung von
und seine Didaktik             im Projekt- und im Regelunterricht (Klassenkontext)    Gelingensbedingungen für den unterrichtlichen Ein­
                               der Sekundarstufe I. Dies erfolgte vor dem Hinter­     bezug von Herkunftssprachen.
Laufzeit                       grund der aktuellen Diskussionen um eine Mehrspra­
Oktober 2013 – März 2016       chigkeitsdidaktik, die als Chance für Sprachbewusst­   Wie und was wurde untersucht?
                               heit, Sprachförderung, Interkulturalität und           Grundlegender Bestandteil war das Konzept der ›Per­
Leitung & Mitarbeitende        Integration gesehen wird.                              formativen Kompetenz‹. Darunter wird ein Bündel
Prof. Dr. Martina Rost-Roth,      Das Forschungsinteresse für den Umgang mit          von Fähigkeiten des Individuums verstanden, z. B. die
Dr. Gunther Dietz,             Mehrsprachigkeit in spielerischen Szenarien lag im     Inszeniertheit allen sozialen Handelns nachvollzie­
Dr. Andreas Bülow,             Einzelnen auf :                                        hen zu können, selbst soziale Interaktionssituationen
Isabella Wlossek,              a. der konkreten Umsetzung, d. h. auf dem sprach­      zu initiieren, diese selbstbestimmt mitzugestalten
Miriam Riegger                   lichen Verhalten und den interaktiven Aushand­       und die eigene Rolle darin kritisch zu reflektieren. In
                                 lungen in Bezug auf Aufgabenverteilung, Ver­         diesem Kontext wurde der Frage nachgegangen, wie
                                 ständnissicherung, performativen Aspekten der        sich Interaktionen zwischen den beteiligten Personen
                                 Selbstpräsentation und Feedback.                     gestalten und wie im Sinne einer Mehrsprachigkeits­
                               b. den Perspektiven der Beteiligten: Selbst- und       didaktik unterschiedliche sprachliche und kulturelle
                                 Fremdwahrnehmung von Sprachen und Kultura­           Ressourcen in den gegebenen Kontexten eingebracht
                                 lität sowie Indikatoren für Lernprozesse und         wurden. Das Erkenntnisinteresse lag auf den Erfah­
                                 Veränderungen in den Wahrnehmungen und               rungen und Lernprozessen der Beteiligten sowohl in
                                 Beziehungen der Beteiligten in mehrsprachigen        der Präsentation eigener Sprache(n) als auch in der
                                 und interkulturellen Konstellationen.

22
Wahrnehmung anderer Sprache(n) und Sprecher an­        zungen mit den Daten zum Sprach­
derer Sprache(n).                                      stand, die jeweils am Anfang des
   Möglichkeiten zum Vergleich der Interaktionen       Projektunterrichts erhoben wurden, traten
wurden über die Durchführung eines identischen         erhebliche Unterschiede zwischen den Schü­
Kanons mehrsprachiger spielerischer Szenarien im       ler/innen zutage. Die Interviews, die am
Projekt- und Regelunterricht hergestellt. Die Ein­     Ende des Regelunterrichts geführt wur­
heiten integrierten szenische Spielformen und          den, weisen in ihren Aussagen auf eine
waren performativ orientiert, d. h. der tatsächliche   Zunahme an sprachlicher Kompetenz
Gebrauch von Sprache stand im Fokus. Ebenso            hin. Hingegen zeigen die Daten für den
zielten die Übungen auf ganzheitliche Sprachbildung    Projektunterricht, dass die intensive
sowie das Anbahnen von ›language awareness‹            Kommunikation während der Projekt­
(Sprachbewusstheit) über die Auseinandersetzung        woche ein verstärktes Vertrauen in die
mit der vorhandenen Sprachenvielfalt der Schüler­      eigenen – sprachlichen – Fähigkeiten
schaft. Sie orientierten sich an verbreiteten Ver­     förderte. Gleichzeitig zeigen die Analysen
fahren der Mehrsprachigkeitsdidaktik. Um das Inter­    der videografierten Interaktionen innerhalb
aktionsverhalten zu analysieren, wurden die Situ-      des Regelunterrichts, dass der performative
ationen videografisch dokumentiert und analysiert.     Kompetenzzuwachs in Verbindung mit
Um die Wahrnehmung und Perspektiven der betei­         dem Sprachzuwachs stand.
ligten SuS sowie LuL zu erfassen, wurden mündliche        Die interviewten Lehrenden schrieben
Befragungen durchgeführt sowie einzelne Video­         der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit
sequenzen kommentiert (auch »Stimulated Recall«        der Schüler/innen allgemein einen po­
genannt). Komplementiert wurden die Untersuchun­       tentiell positiven Einfluss auf die Ent­
gen durch Sprachstandstests (C-Test, Profilanalyse)    wicklung kognitiver Fähigkeiten, Sprach-
                                                                                                                        Variationen
und eine quantitative Fragebogenerhebung zu sozia­     und Kulturbewusstheit zu, gleichzeitig                           zum Thema
len Hintergrunddaten, zur Sprachbiographie sowie       zeichneten sich jedoch Zweifel ab, welcher                  Sprachenportrait
                                                                                                                und Szenisches Spiel
zur Selbsteinschätzung mündlicher Kompetenz.           Stellenwert den Herkunftssprachen eingeräumt
                                                       werden soll. Viele Lehrkräfte sahen Herkunftsspra­
Ergebnisse                                             chen als primäres Medium der Familienkommunika­
Besonderes Augenmerk wurde auf die Selbstein­          tion kritisch im Hinblick auf die Entwicklung des
schätzung der mündlichen Erzählkompetenz durch         Deutschen und waren sich bezüglich der Einbindung
die Schüler/innen gelegt, also wie kompetent sich      der Herkunftssprachen in den Unterricht unsicher,
Lernende beim Gebrauch des Deutschen selbst er­        ob sich diese nicht auch irritierend auf die sprachli­
leben und beurteilen. Beim Abgleich dieser Einschät­   che Entwicklung der Kinder auswirken.

                                                                                                                                 23
Die Schüler/innen bewerteten das Kennenlernen       Was bedeutet das für die Praxis?
     der Herkunftssprachen ihrer Mitschüler/innen durch     Zunächst deutet sich an, dass Lehrende ermutigt und
     die mehrsprachigen Übungen positiv, gleichzeitig       befähigt werden sollten, im Sinne eines sprachbe­
     zeigten sie eine ambivalente Haltung hinsichtlich      wussten Unterrichts Herkunftssprachen produktiv
     des Einsatzes der eigenen Herkunftssprache. Als        in den Unterricht einzubinden und selbst kompetent
     Schwierigkeiten werden in diesem Zusammenhang          aus dem vorhandenen Angebot an mehrsprachig­
     häufig Hemmungen oder Ängste genannt, die auf          keitsdidaktischen Konzepten und Methoden wählen
     negative Erfahrungen mit der Verwendung der Her­       zu können. Insbesondere inszenierte Formen,
     kunftssprache zurückzuführen waren. Andererseits       die auf den Prinzipien der Dramapädagogik basieren,
     beschrieben viele einen Prozess des Entdeckens,        können einen bedeutenden Beitrag leisten, indem
     der durch den Kontakt mit den Sprachen ihrer Mit­      sie durch freie Gestaltung und vielfältige Ausdrucks­
     schüler/innen zustande kam. Die Aussagen der           formen zum einen die performative Kompetenz
     Befragten legten einen Zugewinn an Erkenntnissen       der SuS anregen, d. h. den Mut, überhaupt Sprache(n)
     in den Bereichen Wortschatz, Lernstrategien und        zu benutzen (sowohl Deutsch wie auch die Her-
     dem Erkennen struktureller Ähnlichkeiten und           kunfts­sprache(n)), und zum anderen kreativen Raum
     Unterschiede zwischen Sprachen (language aware­        lassen, auch sprachbiographische Elemente ein­
     ness) nahe.                                            fließen zu lassen.
        Die Analysen zeigten, dass ›freiere Settings‹ wie      Gleichzeit verdeutlichen die Befunde, dass ein
     der Projektunterricht durch eine freiere Situierung    großer Bedarf an Fortbildungen besteht, die Lehren­
     im Raum mehr Möglichkeiten zum interaktiven Aus­       de für den Umgang mit Erstsprache(n) / Herkunfts­
     tausch bieten können. Zudem bietet der Projektun­      sprache(n) sicherer machen und für eine kompetente
     terricht mehr Offenheit in Hinblick auf Thematisie­    Auseinandersetzung mit mehrsprachigkeitsdidak­
     rung von Sprachen und Identitäten/ Zugehörigkeiten     tischen Ansätzen vorbereiten. Lehrkräfte sollten
     und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für emotionale       zudem motiviert werden, stärker auf die Sprach­
     und soziale Aspekte. Gleichzeitig stellen freiere      biographie ihrer Schüler/innen einzugehen, um so
     Settings durch die ihnen inhärente Offenheit im        mehr über die vorhandene Lebendigkeit der (teils
     Prinzip aber auch höhere Anforderungen (Impulse,       verdeckten) Sprachen in ihrer Klasse zu erfahren,
     Reaktionen) an Lehrende oder andere am Projekt­        ohne dabei Gefahr zu laufen, zu stark zu kulturalisie­
     unterricht beteiligte Personen.                        ren oder von außen Zuschreibungen vorzunehmen.

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Publikationen aus dem Projekt

Rost-Roth, Martina & Bülow, Andreas & Mengele, Heike &
Wlossek, Isabella (2015) »Inszenierte Mehrsprachigkeit in drama-
und theaterpädagogischen Settings im Regel- und Projektunterricht.
Empirische Analysen zu sprachlich und kulturell heterogenen
Kon­texten unter Berücksichtigung von Herkunftssprachen und
Deutsch als Zweitsprache. Das Forschungsdesign.« In: H. Rösch &
J. Webersik (Hrsg.) Deutsch als Zweitsprache – Erwerb und Didaktik
Beiträge aus dem 10. Workshop »Kinder mit Migrationshintergrund«.
Stuttgart: Klett, S. 249 – 263.

Heike Mengele & Isabella Wlossek & Andreas Bülow (2016)
»Sprachenvielfalt dramapädagogisch inszenieren – Umsetzungs­
möglichkeiten in heterogenen Schülergruppen der Sekundarstufe.«
In: A. Betz & C. Schuttkowski & L. Stark & A. Wilms (Hrsg.)
Sprache durch Dramapädagogik handelnd erfahren. Ansätze für den
Sprachunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag, S. 99 – 118.

Isabella Wlossek & Martina Rost-Roth (2016) »Sprache/n als
Ressource im Klassenzimmer? Erfahrungen und Einschätzungen
von Lehrkräften in Regel- und Übergangsklassen.« In: V. Schurt &
W. Waburg & V. Mehringer & J. Strasser (Hrsg.) Heterogenität in
Bildung und Sozialisation. Opladen: Verlag Barbara Budrich,
S. 105 – 124.

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IMKi
                            Effekte einer aktiven Integration von Mehrsprachigkeit
                            in Kindertageseinrichtungen

Institution                 Projektvorstellung                                       Fragestellungen
Katholische Universität     Kindertageseinrichtungen stehen heute einer Viel­        • Welche Veränderungen ergeben sich in der erst-
Eichstätt-Ingolstadt,       zahl erstsprachlicher Hintergründe der Kinder gegen­       und zweitsprachlichen Kompetenzentwicklung der
Pädagogische Hochschule     über. Für das pädagogische Personal ergibt sich dar­       Kinder, wenn Mehrsprachigkeit explizit in die Ein­
Heidelberg                  aus die Frage, wie mit dieser sprachlichen Vielfalt        richtung integriert wird?
                            umgegangen werden soll. In Praxisempfehlungen            • Wie verändert sich die sozio-emotionale Entwick­
Laufzeit                    wird empfohlen, die unterschiedlichen Erstsprachen         lung bei Einbezug von Mehrsprachigkeit in die
Oktober 2014 –              der Kinder aktiv in den Alltag der Einrichtungen zu        Kindertageseinrichtung?
Mai 2021                    integrieren. Dies soll die bilinguale Kompetenzent­      • Welche Veränderungen auf Einrichtungsebene
                            wicklung sowie die sozial-emotionale Entwicklung           sind auf die pädagogische Intervention zum Einbe­
Leitung & Mitarbeitende     der Kinder unterstützen. Bisher liegen kaum Erkennt­       zug von Mehrsprachigkeit zurückzuführen?
Prof. Dr. Jens Kratzmann,   nisse darüber vor, welche Effekte eine solche Integra­   • Welche Faktoren stehen in Zusammenhang mit der
Prof. Dr. Steffi Sachse     tion der sprachlichen Vielfalt in Kindertageseinrich­      Zusammenarbeit zwischen Eltern mehrsprachig
Beyhan Ertanir, Maren       tungen hervorruft. Vorliegende Studien hierzu prüfen       aufwachsender Kinder und Kindertageseinrichtun­
Frank, Samuel Jahreiß       entweder den Effekt spezifischer, gezielter Maß­           gen? Wie kann die Zusammenarbeit mit den Eltern
                            nahmen oder untersuchen den Zweitspracherwerbs­            verbessert werden?
                            verlauf ohne Berücksichtigung der Erstsprachen
                            der Kinder. Ziel der IMKi Studie ist es, Bedingungen     Wie und was wird untersucht
                            für ein gelingendes mehrsprachiges Aufwachsen            Es handelt sich um eine Interventionsstudie mit drei
                            in der Kita zu identifizieren. Im Fokus stehen dabei     Messzeitpunkten, welche von 2014 bis 2018 in 19
                            migrationsbedingt mehrsprachig aufwachsende              Kindertageseinrichtungen in Süddeutschland durch­
                            Kindergartenkinder (3 – 6 Jahre) – insbesondere der      geführt wird. Die teilnehmenden Einrichtungen wur­
                            Sprechergruppen Türkisch und Russisch.                   den zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt und erhielten

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