The Cosmopolitan - Songs by Oswald von Wolkenstein: Die Liedtexte

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The Cosmopolitan – Songs by Oswald von Wolkenstein: Die Liedtexte
Ensemble Leones • Marc Lewon

Alle Originaltexte aus: Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, hrsg. von Hans Moser, Norbert Richard Wolf und Notburga Wolf (= Altdeutsche Textbibliothek,
Bd. 55), Tübingen 31987. Online zu finden auf der Homepage der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft unter: http://www.wolkenstein-
gesellschaft.com/texte_oswald.php

Alle Übersetzungen von Wernfried Hofmeister: Oswald von Wolkenstein – Das poetische Werk. Gesamtübersetzung in neuhochdeutsche Prosa mit
Übersetzungskommentaren und Textbibliographien von Wernfried Hofmeister, Berlin/New York (Walter de Gruyter) 2011.

 Original                                                        Übersetzung
 1. Do fraig amors

 I
 Do fraig amors,                                                 Ach meine aufrichtige Geliebte,
 adiuva me!                                                      steh mir bei!
 ma lot, mein ors,                                               Mein Pferd, mein Ross
 na moi sercce,                                                  und auch mein Herz
 rennt mit gedanck,                                              streben,
 frau, puräti.                                                   Herrin, nur zu dir.
 Eck lopp, ick slapp,                                            Wenn ich eile, schlafe,
 vel quo vado,                                                   egal, wo ich bin –
 wesegg mein krap                                                es hält mich fürwahr mein Anker
 ne dirs dobro.                                                  nicht fest.
 iu gslaff ee franck                                             Gefangen, doch einst frei
 merschi vois gri.                                               flehe ich dich an.
          Teutsch, welchisch mach!                                        Mach’s Deutsch, Italienisch,
          franzoisch wach!                                                französisch erweck es,
          ungrischen lach!                                                lach auf Ungarisch,
          brot windisch bach!                                             back Brot auf slowenisch,
          flemming so krach!                                              lass es dann flämisch ertösen!
          latein die sibend sprach.                                       Die siebte Sprache ist Latein.

                                                                               1
II
Mille schenna,                              Holde, schönste Frau,
ime, man gúr,                               sieh her, mein Herz,
peromnia                                    überall
des leibes spúr.                            sei mir nahe!
Cenza befiu                                 Ernsthaft
mit gschoner war                            und mit Anstand
dut servirai,                               bin ich dir ganz zu Diensten,
pur zschätti gaiss,                         was immer du wünschst.
nem tudem frai                              Ich begebe mich wirklich nie
kain falsche rais.                          auf krumme Pfade.
got wett wol, twiw                          Gott weiß genau, wie
eck de amar.                                sehr ich dich liebe.
         Teutsch, welchisch...                      Mach’s Deutsch, Italienisch, ...

III
De mit mundesch,                            Was immer du wünschst,
Margaritha well,                            meine schöne Grete,
exprofundes                                 aus innerstem Antrieb
das tún ich snell.                          tue ich das sofort.
datt löff, draga                            Glaub das, liebste
griet, per ma foi!                          Grete, bei meiner Treue!
In recommisso                               Unter deine Befehlsgewalt
diors et not                                bei Tag und Nacht
mi ti commando,                             stelle ich mich,
wo ich trott,                               wo ich auch wandle!
jambre, twoia,                              Geliebte, der Deine allein,
allopp mi troi.                             in völliger Ergebenheit!
         Teutsch, welchisch...                       Mach’s Deutsch, Italienisch, ...

4. Durch aubenteuer tal und perg

I
Durch aubenteuer tal und perg               Damit ich etwas erlebe und mich nicht ‚verliege’,
so wolt ich varen, das ich nicht verläge,   wollte ich über Berg und Tag ziehen,
Ab nach dem Rein gen Haidelwerg,            hin zum Rhein nach Heidelberg,

                                                          2
in Engelant stúnd mir der sin nicht träge,     auch England reizte mich nicht wenig,
gen Schottlant, Ierrland úber see              dann weiter nach Schottland und Irland,
auf hölggen gross gen Portugal zu siglen;      um hernach auf schweren Lastschiffen nach Portugal übers Meer zu segeln.
nach ainem plúmlin was mir we,                 Ich hatte Sehnsucht nach einem ‚Blümchen’,
ob ich die liberei da möcht erstiglen          wollte mir diesen Dekor
von ainer edlen kúnigin,                       von einer edlen Königin ‚erklimmen’
in mein gewalt verriglen.                      und ihn ganz fest in Besitz nehmen.

II
Von Lizabon in Barbarei,                       Weiter von Lissabon ins Berberland,
gen Septa, das ich weilent half gewinnen,      nach Ceuta, das ich einst erobern half
da manger stolzer mor so frei                  und wo viele edelfreie Mauren
von seinem erb músst hinden aus entrinnen.     von ihren Besitztümern hinten hinaus entfliehen mussten.
Granaten hett ich bas versúcht,                Ich hätte danach auch Granada auf die Probe gestellt –
wie mich der rotte kúng noch hett emphangen.   wie mir da der ‚rote’ König noch Audienz gewährt hatte!
zu ritterschafft was ich geschúcht,            Ich hatte mich in ritterlichem Schmuck befunden,
vor meinen kindlin wer ich darinn gangen –     vor meinen Pagen wäre ich einmarschiert;
dafúr mútt ich zu tisch mit ainem              stattdessen durfte ich bei Tisch
stubenhaitzer brangen.                         neben einem Stubenheizer ‚glänzen’.

III
Wie wol ich mangen herten straiff              Zwar hatte ich schon viele beschwerliche Streifzüge
ervaren hett, des hab ich klain genossen,      mitgemacht, doch half mir das kein bisschen,
seid ich ward zu dem stegeraiff                als man mich rings um den Steigbügel
mit baiden sporen seuberlich verslossen.       an beiden Sporen straff niederband.
dieselbig kunst ich nie gesach,                Eine solche Gepflogenheit hatte ich nie zuvor gesehen,
doch hab ich sei an schaden nicht geleret;     und ich erlernte sie auch nicht, ohne Schaden zu nehmen;
do klagt ich got mein ungemach,                ich klagte da Gott mein Unglück,
das ich mich hett von Hauenstein verferret,    dass ich mich von Hauenstein fortbegeben hatte,
ich forcht den weg gen Wasserburg,             und fürchtete mich vor dem Weg nach Wasserburg
wenn sich die nacht versteret.                 bei sternbedeckter Nacht.

IV
In ainem winckel sach ich dort                 In einem Winkel machte ich dort
zu Fellenberg zwen boien, eng und swere.       auf Vellenberg mit zwei engen, schweren Fußfesseln Bekanntschaft.
ich swaig und redt da nicht vil wort,          Ich war ruhig, redete nicht viel,
ie doch gedächt ich mir nöttlicher mere.       doch erinnerte ich mich an schlimme Berichte.

                                                            3
wurd mir die ritterschafft zu tail,                 Hätte ich ritterlich auftreten dürfen,
in disen sporen möcht ich mich wol streichen.       mit solchen ‚Sporen’ wäre ich eindrucksvoll zur Wirkung gekommen.
mein gogelhait mit aller gail                       All meine ausgelassene Fröhlichkeit
geriet vast trauriklich ab in ain keichen;          sackte ganz jämmerlich zu einem Ächzen ab;
was ich gút antlas dorumb gab,                      was ich mir dafür als gerechte Wiedergutmachung vorstellte,
das tet ich haimeleichen.                           behielt ich für mich.

V
Also lag ich ettlichen tagk,                        So lag ich viele Tage;
der römisch kúng die sorg mir nicht vergulde,       selbst der König könnte mir diese Bangigkeit nicht entgelten,
das ich nicht wesst, wenn mir der nack              denn ich wusste nicht, wann mir das Genick
verschrotten wurd, wie wol ich hett kain schulde.   gebrochen werden sollte, obwohl ich unschuldig war.
zwar oben, niden, hinten, vor                       In der Tat, oben, unten, hinten und vorne
was mir die hút mit leuten wolbestellet.            waren Leute für meine Bewachung gut postiert.
„wart, Peter Märckel, zu dem tor,                   „Aufgepasst, Peter Merkel, hin zum Tor,
er ist bescheid, das er uns nit entsnellet!“        damit er uns nicht entwischt – er ist nämlich gerissen!“
mein listikait hett in der fúrst                    Von meiner Schlauheit hatte ihm der Fürst
die oren vol erschellet.                            die Ohren vollgesungen.

VI
Darnach so ward ich gen Insbrugk                    Hernach wurde ich –
ain Preussen vart gen hoff köstlich gefúret,        wie bei dem Preußenzug – pompös nach Innsbruck zum Hof geleitet,
dem meinem pfärd all úber rugk                      auf den Rücken meines Pferdes straff,
verborgenlichen niden zú versnúret.                 unauffällig nach unten hin festgebunden.
ellender rait ich hinden ein                        Jämmerlich ritt ich hintendrein,
und hett doch nicht des kaisers schatz verstolen.   obwohl ich keineswegs den Schatz des Kaisers gestohlen hatte.
man barg mich vor der sunne schein,                 Man verbarg mich vor dem Sonnenlicht:
fúr springen lag ich zwainzig tag verholen.         Zwanzig Tage lag ich versteckt, anstatt zu tanzen.
was ich da auff den knieen zerraiss,                Was ich auf den Knien zerschliss,
das spart ich an den solen.                         das sparte ich an den Sohlen ein.

VII
Ain alter Swab, gehaissen Planck,                   Ein alter Schwabe, Blank hieß er,
der ward mir an die seitten dick gesetzet.          wurde dicht an meine Seite gesetzt.
Ach got, wie bitterlich er stanck!                  O Gott, wie entsetzlich der stank!
von seinem leib wird ich des nicht ergetzet.        Er trug nicht zu meinem Wohlbefinden bei:
er trúg ain bain mit ainer klufft,                  An einem Bein war er offen,

                                                                 4
der autem gieng im wilde von dem munde,               ein grässlicher Atem entwich seinem Mund,
darzú so felscht er dick den lufft,                   und noch dazu verdarb er die Luft
vast ungehäbig niden an dem grunde;                   von unten herauf höchst unmanierlich.
und ob er noch den Rein verswellt,                    ‚Verschmutzte’ er auch noch den Rhein,
wie wol ich im des gunde.                             das würde ich ihm gerne wünschen!

VIII
Der Peter Haitzer und sein weib,                      Peter Heizer und seine Frau,
Planck und ain schreiber, der was teglich truncken,   der Blank und ein Schreiber, der täglich betrunken war:
die machten grausen meinen leib,                      Vor denen ekelte mich,
wenn wir das brot zesamen wurden duncken.             wenn wir das Brot gemeinsam tunkten.
simm, ainer kotzt, der ander hielt                    Denn der eine spie, und der andere
den bomhart niden mit der langen mässe,               ‚böllerte’ unten tief und lang,
als der ain búxs von anderspielt,                     als würde ein überladener Mörser
die úberladen wer, durch bulvers lasse.               durch die Wucht des Pulvers auseinanderfliegen.
hofieren, das was mangerlai                           Solch vielfältige ‚Schicklichkeiten’ zeigten
von in durch volle sträffe.                           sie in reicher Fülle.

IX
Mein frölichkait gab tunckeln schein,                 Meine ‚Heiterkeit’ verfinsterte sich,
do mich gedenck hin hinder machten switzen,           als ich ins Schwitzen kam bei der Erinnerung daran,
das mich der phalzgraf von dem Rein                   dass ich vom Rheinischen Pfalzgrafen
vor kurzlich bat, ob im ze tische sitzen.             erst unlängst aufgefordert worden war, bei ihm an der Tafel zu sitzen.
wie gleich der falck den kelbern was!                 Wie ähnlich waren da einander der Falke und die Kälber!
der römisch kúng hett mein so gar vergessen,          Ganz vergessen hatte mich der Römische König,
bei dem ich ouch vor zeitten sass                     neben dem ich einst auch gesessen war
und half das krut aufs seiner schússel essen.         und mit ihm das Kraut aus einer Schüssel genommen hatte.
da wider was ich von dem vierst                       Nun aber war ich vom Dachfirst
abgvallen ungemessen.                                 maßlos tief herabgestürzt.

X
Noch waiss ich ainen inn der leuss                    Noch einen kenne ich dort aus dem ‚Loch’,
mit namen Kopp, den kund ich nie geswaigen;           namens Korp; den konnte ich nie stumm kriegen.
der snarcht recht als ain hasenreuss,                 Er schnarchte wie ein Kesselflicker,
wenn in der starck traminner trang ze saigen.         den der starke Traminer hatte niedersinken lassen.
zwar sölhen slaff ich nie gehort,                     Einen solchen Schlaf hatte ich wahrlich noch nie vernommen –
des músst ich baide oren dick verschieben,            ich musste mir deswegen beide Ohren fest zustopfen.

                                                                   5
mein houbt hat er mir dick bedort,               Er betäubte mir derart meinen Kopf,
das es mir von ainander wolde klieben.           dass mir dieser zerspringen wollte.
wer ich ain weib, umb alles gút                  Wäre ich eine Frau,
so möcht er mir nicht lieben.                    der würde mir – und besäße er noch so viel – nicht behagen.

XI
Der Kreiger und der Greisnegger,                 Die von Kreyg und von Greisenegg
Moll Trugsäzz retten all darzu das besste,       sowie der Truchsess Molle legten für mich ein gutes Wort ein;
der Salzmair und der Neidegger,                  der Salzmeier und der von Neidegg,
frein, graven, Säldenhoren, freunt und gesste,   Freigeborene, Grafen, der Seldenhorner, Verwandte und Bekannte,
die baten all mit rechter gier                   sie alle bedrängten inständig
den fúrsten reich, durchleuchtig, hochgeboren,   den mächtigen, erlauchten, hochwohlgeborenen Fürsten,
da mit er wer genedig mir                        dass er sich mir gnädig zeige
und tet kain gäch in seinem ersten zoren.        und in seinem allerersten Zorn nicht voreilig handle.
er sprach: „ja werden solcher leut               Der sprach: „Nun, solche Leute
von bomen nicht geboren.“                        wachsen nicht auf Bäumen.“

XII
Die selbig red was wol mein fúg;                 Diese Worte waren für mich vorteilhaft.
mit meines búlen freund músst ich mich ainen,    Ich hatte mich mit dem Gefährten meiner Geliebten auszusöhnen,
die mich vor jaren ouch beslúg                   die mich vor Jahren sogar
mit grossen eisen niden zu den bainen.           mit schweren Eisenstücken unten an den Beinen beschlagen hatte.
was ich der minn genossen hab,                   Was mir durch diese Liebe zuteil wurde,
des werden meine kindlin noch wol innen,         können meine Kinderlein noch gut spüren;
wenn ich dort lig in meinem grab,                selbst wenn ich schon in meinem Grab liege,
so mússen si ire hendlin dorumb winden,          werden sie darüber ihre Händchen winden,
das ich den namen ie erkannt                     dass mir je der Name
von diser Hausmaninnen.                          dieser Hausmannin unterkam.

XIII
Do sprach der herr auss zornes wän               Es sagte der Fürst – die zornigen Gedanken besänftigt –
gen seinen reten gar an als verdriessen:         ganz frisch heraus zu seinen Räten:
„wie lang sol ich in ligen lan?                  „Wie lange soll ich ihn denn noch liegen lassen?
kúnt ir die taiding nimmer mer versliessen?      Könnt ihr diese Rechtssache nicht endlich abschließen?
was hilft mich nu sein trauren da?               Was nützt mir seine Betrübnis hier?
mein zeit getraut ich wol mit im vertreiben,     Ich glaube, dass ich mir mit ihm gut meine Zeit verkürzen kann;
wir mússen singen fa, sol, la                    wir werden ‚fa, sol, la’ singen

                                                              6
und tichten hoflich von den schönen weiben.       und höfisch über die schönen Frauen dichten.
pald ist die urfech nicht berait,                 Ist die Urfehde nicht bald fertig,
so lat si kurzlich schreiben.“                    so lasst sie schleunigst schreiben!“

XIV
Dem kanzler ward gebotten zwar,                   Dem Kanzler wurde das in der Tat sogleich aufgetragen,
auss meiner väncknuss half er mir behende,        und er befreite mich rasch aus meiner Gefangenschaft –
geschriben und versigelt gar.                     mit Brief und Siegel.
des danck ich herzog Fridrich an mein ende.       Dafür bin ich Herzog Friedrich dankbar bis zu meinem Tod.
der marschalck sprach: „nu tritt mir zú,          Der Marschall sprach: „Folg mir nach,
mein herr hat deins gesanges kom erbitten.“       mein Herr wünscht, dich singen zu hören!“
ich kom fúr in, do lacht er frú;                  Als ich vor ihn trat, lachte er sogleich;
secht, do húb sich ain heulen ane sitten.         seht, da wurde hemmungslos drauflosgejohlt.
vil mancher sprach: „dein ungevell                So mancher sagte: „Vor deiner Strafe
soltu nicht han verritten.“                       hättest du nicht davonlaufen sollen!“

XV
Der wirdig got, der haimlich got,                 Der würdevolle, unsichtbare Gott,
der wunderlich in den vil ausserkoren,            so wunderbar durch seinen hoch Auserkorenen,
der liess mir nie kain freis gebott               ließ mir auf Dauer nie meinen freien Willen,
die leng, des han ich dick ein spil verloren.     weshalb ich oft das Spiel verloren habe.
mein tentschikait und úppig er                    Meine Geziertheit und mein eitles Ehrempfinden
ist mir durch in an wasser offt erloschen,        sind von ihm häufig ohne Wasser ‚gelöscht’ worden,
wann zeuch ich hin, so wil er her,                denn ziehe ich dorthin, so will er hierher;
in disem streit so wird ich úberdroschen.         in diesem Kampf werde ich einfach übertölpelt.
verdiente straff zwar umb die minn                Die gerechte Strafe für meine Liebschaft
bestet mich manchen groschen.                     kostet mich viele Groschen.

5. Gar wunniklich hat si mein herz besessen

Gar wunniklich hat si mein herz besessen,         Ganz berauschend hat sie sich meines Herzens bemächtigt,
in lieb ich ir gevangen bin mit stetikait,        durch meine Liebe bin ich ihr in Treue anheimgefallen,
verslossen gar in der vil zarten ermlin strick.   fest eingeschlossen in die so zärtliche Umschlingung ihrer Arme.
Mein höchstes hail, ich bin dein aigen,           Dir allein gehöre ich, mein höchstes Glück,
zwar des gib ich dir meinen brieff.               das kann ich dir fürwahr verbriefen!

„In welcher main hastu dich freud vermessen       „In welcher Absicht rechnest du dir bei mir Freude aus?

                                                               7
gen mir? doch unergangen so bin ich berait.              Zu einer Erfüllung bin ich nicht bereit.
herzlieb, nim war, das uns nicht vach der melder rick!   Herzliebster, gib Acht, dass uns nicht die Fallstricke der Verräter fassen!
als ungevell behút die faigen,                           Alles Unheil nehme sich dieser Bösen an,
jo und geschech in nimmer lieff!“                        ja, es widerfahre ihnen nichts Angenehmes mehr!“

In aller treu, weib, du solt nicht vergessen,            Ganz treu – das solltest du, Frau, nie vergessen –
teglich ist mein belangen dir zu dienst berait.          stehe ich dir sehnsuchtsvoll Tag für Tag zu Diensten bereit.
der freuden schar ich wart von liechten öglin blick,     Ich erhoffe mir aus dem Blick heller Äuglein eine Menge Freuden;
dein múndlin rot mit sússem naigen                       dein rotes Mündlein befreit mich mit einem reizenden Zunicken
schon mich beroubt der sorgen tieff.                     anmutig von tiefem Kummer.

6. Es seusst dort her von orient

Es seusst dort her von orient                            Vom Orient braust ein Wind daher,
der wind, levant ist er genent;                          er heißt Levant [Ostwind],
durch India er wol erkennt,                              seinen Weg durch Indien kennt er gut,
in Suria ist er behend,                                  rasch erreicht er Syrien,
zu Kriechen er nit widerwent,                            bei Griechenland lässt er sich nicht ablenken,
durch Barbaria das gelent                                über das nordafrikanische Gebiet hinweg
Granaten hat er bald errent,                             ist er schnell in Granada
Portugal, Ispanie erbrent.                               und lodert in Portugal und Spanien auf.
uberall die werlt von ort zu end                         Die ganze Welt, von einem Ende bis zum andern,
regniert der edel element;                               beherrscht dieses edle Element.
der tag in hat zu bott gesennt,                          Als Boten hat ihn der Tag,
der nach im durch das firmament                          der ihm am Firmament folgt, vorausgesandt;
schon dringt zu widerstreit ponent.                      wacker stemmt sich Ponent [Westwind] entgegen.
des freut sich dort in occident                          Darüber sind dort im Okzident
das norbögnische geschlechte.                            die Leute von Narbonne froh.
Den sturm erhort ain freulin zart,                       Ein liebliches Mädchen hörte den Sturm,
do es mit armes banden hart                              als es in fester Armumschlingung
mit liebem lust verslossen ward.                         angenehm lustvoll umfangen war.
si sprach: „ich hör die widerpart,                       Es sprach: „Ich spüre die Gegnerschaft:
der tag die nacht mit schein bekart.                     Der Tag wandelt die Nacht durch seinen Glanz um.
wach auf, mein hort! sich hat geschart                   Wach auf, mein Schatz!
der sterne glast von himels gart.                        Das Sternengefunkel hat sich aus dem Himmelsgarten zurückgezogen.
wachter, ich spúr ain valsche wart,                      Wächter, da wird eine treulose Obhut erkennbar,
dein leib pringt mich in jamers art.                     du stürzt mich ins Elend!

                                                                       8
ach wicht! wer hat dich das gelart,      Ach, Halunke, wer hat dich dazu angehalten,
das du mich pringst in sendes mart,      mich in Liebesängste zu verstricken,
davon mein herz in laid erstart,         worauf mein Herz vor Leid erstarrt?
es músst mich reuen hie und dart,        Es würde mich immerfort betrüben,
ob im missling mit hinevart;             sollte sein Aufbruch vereitelt werden –
das pringt dein snödes geträchte.“       dazu führt deine klägliche Niedertracht!“
        Zwar si began in drucken,                 Ja, nun drückte sie ihn innig,
        zucken aus dem slaff,                     rüttelte ihn aus dem Schlaf,
        freuntlich an sich smucken,               schmiegte sich liebevoll an ihn,
        rucken ane straff,                        schüttelte ihn neckisch,
        das er began zu krachen,                  dass es bei ihm knackste,
        wachen, sunder swachen                    er aufwachte und sie – ohne zu erschlaffen –
        machen lieplich zaff.                     hingebungsvoll verwöhnte.

II
Der knab erschrack aus lawres wän.       Der Jüngling schreckte aus Furcht vor einer Täuschung hoch:
„sag, lieb, wie sol ich das verstän,     „Sag mir Liebste, wie soll ich es deuten,
das mich dein zärtlich vmbefan           dass mir dein zärtliches Umschlingen
in grimmer rache hie began               jetzt durch wilde Rachlust
erschreken ser mit widerzam?             voll Ungestümheit Angst eingejagt hat?
hab ich dir missevallen tan?“            Habe ich dir etwas Unangenehmes zugefügt?“
„Ach nain, du ausserwelter man,          „Aber nein, du allerbester Mann,
mich reut dein sorgklich von mir gän,    dein schmerzhaftes Weggehen von mir bedrückt mich.
des bin ich mútes worden an.             Deshalb habe ich die Beherrschung verloren.
hör zu den voglein wunnesan!             Vernimm doch die wonniglichen Vöglein!
den tag zu melden si nicht län,          Sie lassen nicht davon ab, den Tag zu verkünden;
ain jedes vicht sein sundern jän         ein jedes hält an seiner Tonreihe fest,
mit heller stimm auff pomes pan.         mit lauter Stimme vom Baum herab.
mein herz, das múss dem wesen gran,      Das möge, mein Herzliebster, der bedauern,
der uns hat úberslichen.“                der uns getäuscht hat!“
„Zwar, liebste frau, deins herzen qual   „Liebste Frau, dein Herzenskummer
mich freuden ant zu manchem mal.         raubt mir wahrlich jegliche Freude.
wie wol dein er mit lieber zal           Fürwahr, es hat mich dein Ruf der Ehrenhaftigkeit
mich hat erfreut an argen val,           bar böser Verfehlungen schon of gefreut,
so ist so vil der merker schal,          doch gibt es so viel Gerede bei den Aufpassern,
die uns verdencken uberal                die uns überall
mit snödem ticht in schanden tal,        mit ihrem verwerflichen Argwohn ins Schandental wünschen,

                                                      9
das ich wolt sein ain animal,               dass ich am liebsten ein Getier wäre,
jo wesen gleich der nachtigal,              eine Nachtigall zum Beispiel,
da mit deins zarten leibes sal              damit du, anmutiges Wesen,
an schuld nicht flur der eren gral.         nicht schuldlos des Ehrengrals verlustig gehst.
doch hoff ich, das kain böser gal           Ich hoffe freilich, dass sich kein böses Schwatzen
sich an dir freu in neides pal.             mit missgünstigem Gekläff an dir ergötzt.
O wachter, dein verswigen hal               O Wächter, dein unterbliebenes Hornsignal
mit treuen hat gewichen.“                   bedeutet einen Treuebruch!“
        Das zúnglin gan si im spitzen,               Sie spitzte die Zunge,
        smitzen in den mund;                         stieß sie ihm flink in seinen Mund –
        plind lieb, die hat nicht witzen:            >Blinde Liebe macht unvernünftig< –,
        hitzen trähers kund                          heiße Tränen
        si aus den öglin giessen,                    vergoss sie aus den Äuglein,
        niessen än verdriessen,                      genoss alles unbekümmert,
        sliessen schon verwunt.                      umschlang ihn wonnevoll.

III
„Ach schaiden, ich bin worden dein“,        „O, diese Trennung! Ich gehöre dir!“
so redt das zarte freuelein,                sagte das liebliche Mädchen,
„gross freud an mir ist worden klein,       „Meine riesige Freude ist geschwunden,
seid ich dich, usserweltes ain,             weil ich mich von dir, mein ein und alles,
hie meiden múss von tages schein.           wegen der Tageshelle trennen muss.
O trumetan, wie hastu mein                  Ach, Tramontana [Nordwind], warum lässt du mich
vergessen hie in solcher pein,              hier in dieser Not im Stich,
das du hast lan gewaltig sein               indem du so ungemein nachlässig
den súd, und osst spatzieren hrein.         den Süd- und Ostwind hast eindringen lassen?
ponent, dein sterklich widergrein           Ponent [Westwind], dein kräftiges Entgegenheulen
verdrungen hat der dies rein.               hat der klare Tag zurückgedrängt.
auch lucifer, der klarhait vein,            Und du, Morgenstern, Feind der Helligkeit,
dein greisen du lasst uberfrein;            lässt deinen grauen Schimmer überwältigen.
des múss ich ellends magatein               Deshalb muss ich mich, ärmstes Mädchen,
auss lieben slossen strecken.“              aus der angenehmen Umklammerung loswinden.“
„Frau, nicht betrúb dein öglin klar!        „Herrin, lass deine hellen Äuglein nicht trüb werden!
mich hat dein múndlin wolgevar              Dein hübsch geformtes Mündlein
erzunt mit rechter liebe gar,               hat mich ganz und gar zu echter Liebe entflammt,
das mir kain not nicht schaden tar.         so dass kein Leid es wagt, mir Schaden zuzufügen:
umb trauren gäb ich nicht ain har.          Die Traurigkeit möchte ich kein bisschen fürchten.

                                                          10
mein herz, sich an deins leibes nar,               Mein Herz, achte auf dein Wohlergehen,
die mich ie weisst von tadels par.                 das mich stets von Tadelnswertem abhielt!
dein er behút sant Balthazar,                      Sankt Balthasar bewahre dein Ansehen,
die von mir ungeswachet zwar                       welches durch mich
hie worden ist an zweifel gar,                     hier ganz ohne Zweifel unangetastet blieb;
das zeug ich mit der engelschar.                   ich bezeuge das im Namen aller Engel!
sleuss auff dein weisse ermlin mar!                Öffne deine zarten, weißen Ärmchen:
zu bleiben lenger ich nicht tar.“                  Ich wage nicht, länger zu bleiben!“
„gesell, dein widerkunft nicht spar,               „Gefährte, verabsäume es nicht, wieder zurückzukommen!
sant Peter múss dich decken.“                      Sankt Peter möge dich beschützen!“
         Die maid liess in mit sinnen                      Das Mädchen ließ ihn geschickt
         rinnen in den grans                               in den Mund einfließen –
         durch weisse zendlin zinne                        vorbei an den blanken Zähnchenzinnen –
         der minne sant Johans.                            zur Erinnerung an Sankt Johannes.
         zwai lieplich umbevahen                           Zwei Liebesumarmungen
         nahen da beschahen                                wurden da innig getauscht
         zu gahen mit geranns.                             in eilig drängendem Wiegen.

7. Ach senliches leiden

I
Ach senliches leiden,                              Ach, Liebesschmerzen,
meiden, neiden, schaiden, das tút we,              Meiden, Zanken, Auseinandergehen – das tut weh;
besser wer versunken in dem see.                   besser wäre es, im Meer zu versinken!
zart minnikliches weib,                            Anmutig liebreizende Frau,
dein leib mich schreibt und treibt gen Josophat.   du verbannst und treibst mich nach Josaphat.
herz, mút, sin, gedanck, ist worden mat.           Herz, Gemüt, Geist und Verstand sind kraftlos geworden.
es schaidt der tod,                                Der Tod wird dies beenden,
ob mir dein gnad nicht helfen wil                  wenn mir deine Gnade nicht
auss grosser not;                                  aus schwerer Not hilft;
mein angst ich dir verhil.                         meine Beklommenheit verberge ich vor dir.
dein múndlin rot                                   Dein rotes Mündlein
hat mir so schier mein gier erwecket vil,          hat in mir im Nu ein so heftiges Verlangen geweckt,
des wart ich genaden an dem zil.                   dass ich ausharre, um am Ende erhört zu werden.

II
Mein herz in iamer vicht,                          Mein Herz müht sich im Elend ab

                                                                11
erbricht. bericht und slicht den kummer jo!          und zerbricht. So mäßige und besänftige doch den Kummer!
frau, schidlicher freuntschafft wart ich so,         Ich warte, Frau, auf eine warmherzige Aussöhnung,
recht als der delephin,                              so wie der Delphin,
wenn in der sin fúrt hin zu wages grund              der, wenn ihn bei Sturm sein Verstand zum Meeresgrund leitet,
vor dem sturm, und darnach wirt enzunt               jedoch hernach
von sunnen glast,                                    im Glanz der Sonne erstrahlt,
die im erkúckt all sein gemút.                       die ihm sein ganzes Herz erfrischt.
herzlieb, halt vast                                  Herzliebste, halt an mir fest
durch all dein weiplich gút!                         im Namen all deiner weiblichen Güte!
lass deinen gast                                     Lass deinen ‚Fremdling’
nicht sterben, serben, werben in unfrút!             nicht sterben, darben, sich in Verzweiflung winden!
in ellenden pein ich tob und wút.                    Ich rase und tobe vor Trennungsschmerz.

III
Mein houbt, das ist beklait                          Mein Kopf ist eingehüllt
mit waffen, slauffen, straffen die natur,            in Wehklagen, Dösen, Hader mit mir selbst:
das mich twingt ain stund fúr tausent ur.            Eine Stunde beklemmt mich daher mehr als tausend sonst.
wenn ich mein laid betracht                          Wenn ich nachts über meinen Kummer nachsinne,
die nacht, so wacht mein macht mit klainer krafft,   liege ich ganz entkräftet wach
und ich freuden ganz wird sigehaft.                  und zerstöre mir gänzlich alle Freuden.
mich niemand tröst                                   Niemand tröstet mich,
und ist mein leiden sicher gross,                    so dass mein Leid wahrlich bitter ist.
mein herz, das wirt geröscht                         Mein Herz wird
mit manchem seufften stoss.                          bei so manchem Stoßseufzer geröstet.
ach we, wann wirt erlöst                             Ach, wann weicht
mein trauren? tauren, lauren negt und pösst,         diese Traurigkeit von mir? Warten und Harren, das quält und bohrt,
da mit ich der sinn wird gar emblösst.               dass ich noch ganz den Verstand verliere.

9. Wol auff, wol an

I
Wol auff, wol an!                                    Also los, auf denn!
kind, weib und man,                                  Kinder, Frauen, Männer,
seit wolgemút,                                       seid gut gelaunt,
frisch, frölich, frút!                               lebhaft, heiter, behende!
Tanzen, springen,                                    Ja, tanzen, hüpfen,
härpfen, singen                                      die Harfe zupfen, singen

                                                                   12
gen des zarten                       angesichts des lieblichen
maien garten grúne!                  Maiengartens mit seinem Grün!
Die nachtigal,                       Die Nachtigall
der droschel hal                     und der Schall der Drossel
perg, au erschellet.                 tönen durch Berg und Au.
zwai gesellet                        Zu zweien vereint
freuntlich kosen,                    liebevoll plaudern,
haimlich losen,                      versteckt lauschen,
das geit wunne                       das spendet noch mehr Freude
fúr die sunne kúne.                  als die kräftige Sonne.
         Amplick herte,                       Den derben Anblick
         der geferte                          des Auftretens
         well wir meiden                      unförmiger Frauen wollen wir
         von den weiben ungestalt.            uns sparen!
         Múndlin schöne,                      Der schönen Mündlein
         der gedöne                           Schwatzen
         macht uns höne manigvalt.            macht uns mannigfach hochgemut.

II
Raucha, steudli,                     Belaub dich, Sträuchlein,
lupf dich, kreudli!                  sprieß, Kräutlein!
in das bädli,                        Auf ins Bädlein,
ösli, Gredli!                        Ösli, Gretli!
Plúmen plúde                         Das Erblühen der Blumen
wendt uns múde.                      macht Schluss mit unserer Mattigkeit.
laubes decke                         Errichte einen Schutz
rauch bestecke, Metzli,              aus Blättern, Metzli;
Pring den buttern,                   bring den Bottich,
lass uns kuttren:                    lass uns schäkern!
„wascha, maidli,                     „Wasch mir, Mädlein,
mir das schaidli!“                   das Scheitelchen!“
„reib mich, knäblin,                 „Reib mich, Knäblein,
umb das näblin!                      ums Näbelchen!
hilfst du mir,                       Wenn du mir hilfst,
leicht vach ich dir das retzli.“     schnappe ich mir vielleicht das Rätzlein!“
         Amplick herte ...                   Den derben Anblick...

                                                   13
III
Ju heia haig,                                             Juchheißa,
zierlicher maig,                                          du prächtiger Mai,
scheub pfifferling,                                       schieb Pfifferlinge heraus,
die mauroch pring!                                        bring Morcheln hervor!
Mensch, loub und gras,                                    Menschen, Laub, Gras,
wolf, fuxs, den has                                       Wolf, Fuchs, den Hasen
hastu erfreut,                                            hast du erfreut
die welt bestreut grúnlichen.                             und die Welt grün überzogen.
Und was der winder                                        Was der Winter
vast hinhinder                                            ganz fest hinter
in die mauer                                              die Mauer
tieffer lauer                                             geduckten Harrens
het gesmogen,                                             gezwängt
ser betrogen,                                             und arg benachteiligt hat,
die sein erlöst,                                          das wird befreit
mai, dein getröst fröleichen.                             und dank dir, Mai, mit Fröhlichkeit entschädigt.
          Amplick herte ...                                       Den derben Anblick...

11. Nu rue mit sorgen

I
„Nu rue mit sorgen, mein verborgenlicher schacz!          „Schlummere ängstlich, du mein versteckter Schatz!
sleius dein augen schricklich zu                          Drück furchtsam deine Augen
gen des lichten tages hacz,                               vor dem Ansturm des hellen Tages zu,
im ze tracz!                                              ihm zum Trotz!
herzen lieb, es ist noch fru.                             Es ist noch früh, Herzliebster.
all dein trauren, lauren las,                             Lass die Bekümmerung, das Harren,
freuden hoff und halt die mass!                           erwarte dir Freude und sei besonnen!
tustu das,                                                Befolgst du dies,
so bistu wol mein.“                                       so gehörst du sicher mir.“
„ach liebe diren, das sol sei sein.“                      „O liebstes Mädel, so soll es sein!

II
„Frau, thu mich straffen! ich verslaffen hab die stund.   Bestraf mich, Herrin! Ich habe die Frist verschlafen.
lucifer verswunden ist.                                   Der Morgenstern ist verschwunden.
ei du roselachter mund,                                   Ach, du rosenfarbener Mund,

                                                                        14
mach gesund,                                        mach heil,
ber dort, hie, wo mir enprisst!                     hilf dort und hier, wo immer ich Mangel leide!
dein haubt naig, saig auff mein herz,               Neig dein Haupt, senk es meinem Herzen zu!
ermlein schrenck sunder smerz,                      Umschling mich unbeschwert mit deinen Ärmchen!
treib den scherz,                                   Vergnüg dich damit,
der uns, frau, mach gail!“                          was uns, Herrin, froh stimmen kann!“
„zart lieber man, das sei mit hail.“                „Trauter, liebster Mann, voll Glück geschehe dies!

III
„Der glanz durch grebe von der plebe ist entrant;   Der graue Schimmer wird bereits vom blauen verdrängt;
ich hor voglin doene vil.                           viele Vogelstimmen vernehme ich.
tag, wer hat nach dir gesant?                       Wer hat denn nach dir geschickt, Tag?
dein gewant                                         Deine Kleidung
unser scham nicht teken wil.                        wird unsere Schmach nicht verhüllen:
zwar dein greis ich preis doch klain.“              Über dein Grau vermag ich wahrlich nicht zu jubeln.“
„guten morgen, liebstes ain.                        „Genieß den Morgen, meine allerliebste Einzige!
nicht ser wain,                                     Weine nicht so sehr,
meiner kunft, der wort schir.                       bald darfst du meine Rückkehr erwarten!
mit urlaub, frau, hail wunsch ich dir.“             Ich nehme Abschied, Herrin, und wünsche dir viel Glück!“

12. Wer ist, die da durchleuchtet

I
Wer ist, die da durchleuchtet                       Wer ist sie, die
fúr aller sunnen glanz                              mehr als aller Sonnenglanz
Und keúklichen durchfeuchtet                        für uns den dürren Kranz erstrahlen lässt
uns den verdorten kranz?                            und erfrischend befeuchtet?
Wer ist, die vor an dem raien fúrt den tanz         Wer ist sie, die an der Spitze des Reigens den Tanz anführt
Und dem vil zarten maien pringt seinen phlanz?      und dem milden Mai sein Sprießen schenkt?
Ain edle junckfrau klar,                            Eine edle, reine Jungfrau,
die zwar fúrwar ain sun gebar,                      die uns wirklich einen Sohn gebar,
der keuschlich ain ir vatter was,                   der auf keusche Weise zugleich ihr Vater war.
mäglichen rain si des genas,                        Jungfräulich-rein wurde sie von ihm entbunden,
selb dreien freien unitas,                          der selbst die dreifache freie Unitas bedeutet,
da von wir sein getrösst, erlösst                   durch deren Hilfe wir Zuversicht gewinnen
von scharpfer helle gier.                           und der brutalen Höllengier entkommen.

                                                                 15
II
Wer kan die magt volzieren                            Wer vermag schon die Jungfrau
nach adeleicher art?                                  gemäß ihrem adeligen Wesen hinreichend auszuschmücken!
auf erd kain lieber dieren                            Auf der ganzen Welt
zwar nie geboren wart.                                wurde wahrlich nie ein lieblicheres Mädchen geboren.
ei du traut minnikliche, keusche creatur!             Ach, du liebevoll holdes, keusches Geschöpf:
dein klarheit glenzet an geteusche uber alle figur,   Ganz ohne Trug überstrahlt deine Lauterkeit deine gesamte Erscheinung,
recht als der liecht rubein                           genau wie der helle Rubin,
an pein pringt schein durchsichtig vein,              der mühelos seinen zart durchscheinenden Glanz
sein undertan in goldes runst;                        über seine Diener im gewundenen Gold hervorbringt.
der eren van mit vollem gunst                         Hingebungsvoll möchte ich das Ehrenbanner
trivallen, schallen sunder plunst                     ohne Prahlerei dreifaltig laut besingen
so wil ich, von der zarten warten                     und mir von der Lieblichen
gnaden schier.                                        schon bald Gnade erhoffen.

III
Wer ist die ros an doren,                             Wer ist diese Rose ohne Dornen,
do von man list und sagt,                             über die man liest und spricht,
und die den grossen zoren                             und die den mächtigen Zorn
all úber rugke tragt,                                 ganz auf ihre Schultern lädt,
wenn si uns an dem jungsten tage machet los           wenn sie uns am Jüngsten Tag
aus manigvaltiklicher klage, michel gross?            aus dem vielgesichtigen, tiefsten Jammer erlöst?
wem denn der schossen sail                            Wer dann eines Stücks der makellosen Nabelschnur
an mail mit hail schon wirt zu tail                   zu seiner Rettung glücklich habhaft wird,
ain drumm, der hat dich, frau, erkant;                der hat sich dir, Herrin, zugewandt;
der helle phat wirt im entrant.                       ihm bleibt der Höllenpfad erspart.
ei klare, ware, schildes rant,                        Ach Reine, Aufrichtige, du Schild:
erbrich des tiefels sper, sein ger                    Zerbrich den Speer des Teufels, seinen Spieß
versetz im, junckfrau zier! – Amen.                   lenk ab, herrliche Jungfrau! Amen.

14. Mit gúnstlichem herzen

Ia
„Mit gúnstlichem herzen                               „Aus herzlicher Zuneigung
wunsch ich dir                                        wünsche ich dir
ain vil gút jar                                       ein besonders gutes
zu disem neu,                                         Neues Jahr

                                                                   16
und was auff erd              und das, was auf der Welt
dein herz begeret.            dein Herz begehrt!
amen, mein hort,              So soll es sein, mein Schatz,
zwar das ist recht.           das ist wahrlich recht.
gedenck an mich,              Denk an mich,
geselle mein!“                mein Gefährte!“

Ib
„Dein schallen und scherzen   „Dein Singen und Vergnügtsein
liebet mir,                   gefallen mir,
das nim ich zwar;             das stimmt gewiss;
dir lon mein treu.            meine Treue sei dein Lohn:
der wunsch, lieb, werd        Dieser Wunsch, Liebste,
an uns gemeret.               erfülle sich bei uns!
danck hab das wort,           Ich danke für die Worte
ich bin dein knecht.          und bin dein Diener.
neur freut es dich,           Freut dich das immer neu,
zwar das sol sein.“           dann soll es wahrlich so sein!“

IIa
„Mich freuet, traut weib,     „Mich ergötzt, liebste Frau,
dein rotter mund,             dein roter Mund.
ich dein allain               Nur dein bin ich
mit stetikait.                voll Beständigkeit.
dein zúchtlich er             Deine sittsame Ehrbarkeit
mich tiefflich senet.         weckt tief in mir Liebe.
des pin ich fro               Das stimmt mich
unzweifel gar.                ganz aufrichtig froh.
das hör ich gern,             Ich höre so etwas gern,
zart, liebe Grett.“           schöne, liebste Grete.“

IIb
„Dein manlicher leib          „Deine Männlichkeit
mich hat erzunt,              hat mich entflammt.
dasselb ich main,             Ich empfinde gleich,
ich dir berait.               gehöre dir!
dein tugent mer               Dein Tugendstrom

                                            17
höchlich mich zenet.           zieht mich heftig an.
dem ist also,                  Es ist genauso,
ich sag dir war.               wie ich es dir sage.
nach deim begern,              Was du dir wünschst,
Os, wie es get.“               Os, geschieht!“

IIIa
Vergiss mein, schatz, nicht    „Vergiss mich nicht, Schatz,
durch all dein gút!            dank deinem Edelmut!
wer ist mein hail,             Wer ist meine Rettung,
wer tröstet mich?              wer erbaut mich?
des wol mich ward              Was für wahrlich
der grossen freuden.           reiche Freuden für mich:
du wendst mir we,              Du erlöst mich von Schmerzen,
du wendst mir pein,            du erlöst mich von Qualen,
du wendst mir laid             du erlöst mich von Leid
und ungemach.“                 und meinem Kummer!“

IIIb
Dein schärpflich gesicht       „Dein einprägsames Bild
mein herz durch plút.          ist in meinem Herzen erblüht.
neur ich an mail,              So makellos
frau, das tún ich.             geschieht dies nur bei mir, Herrin.
zwar unverkart                 Ganz unbeirrt
sol ich dich geuden.           werde ich dich laut preisen.
ouch du vil me,                Das gelte auch für dich,
lieb, das sol sein.            Liebste, dann ist es recht.
zart frau gemait,              Schöne, anmutige Herrin,
dem kom ich nach.“             darum bemühe ich mich.“

15. Herz, prich

I
Herz, prich! [rich!] sich:     Herz, brich! Räche dich! Sieh:
smerz [scherz] hie [dringt,]   Kummer vergällt hier Frohsinn,
ser [zwingt] und pringt        Schmerz bedrängt und verwandelt
natúrlich lieb in immer ach.   naturgegebene Liebe in ewiges Weh.

                                             18
nach [rach] ich grimmiklichen schrei.   Erbittert rufe ich nach Rache.
[ei] frei, gesell,                      Befrei doch, Liebste,
wenn [kenn] dein treu bedencken.        sofern sich deine Treue darauf versteht!

II
Hort mein, dein ain                     Mein Schatz, ein einziges
wort mort mir gail.                     Wort von dir tötet mir den Frohsinn.
unhail, das sail                        Mein Unglück, diesen Fallstrick,
ich schreiben tún an wage schild.       schildere ich ungeschützt vor solcher Flut.
wild mild mein herz begriffen hat       Ein ungestümes Wild hat mein Herz erfasst.
Quat, mat! nu snell,                    Böses, erlahm! Schnell jetzt,
Gelúck, rúck mir lieb verrencken!       Glück, verschaff mir teure Umarmungen!

III
Tod, laid maid, schaid                  Tod und Leid: Mädchen, erlös
not! rot dein mund                      von dieser Not! Dein roter Mund
trost wund die hund,                    möge die verletzten Hunde stärken,
der stimm mir nie wolt louffen súss.    deren Stimmen für mich nie verheißungsvoll klangen.
búss múss mir freuden werden an,        Durch Freuden widerfahre mir jetzt Entschädigung,
wan man gefell                          da zum Erlegen
nie lie plausen auff schrenken.         beim Verschränken der Glied nie geblasen worden war.

16. Bog de primi was dustu da

I
Bog de primi was dustu da               Sei willkommen! Was machst du hier?
gramersi ty sine cura                   Ohne einen Anflug von Bekümmerung sage ich dir Dank!
Ich fraw mich zwar quod video te        Ich freue mich aufrichtig, dich zu sehen,
eum bon amor jassem toge                in Liebe bin ich allein dir zugetan.
Dut mi sperancz na te stroio            Auf dir ruht all meine Hoffnung,
wann du bist glancz cum gaudeo          denn du bist mein freudestrahlender Schein.
Opera mea ich dir halt                  Mit meinem Tun stehe ich dir wahrhaftig
na dobri si slusba baß calt.            auf viele Weise verlässlich dienend zur Seite.

II
Kacu mores mich machen mat              Wie bringst du es fertig, mich,
cha ge sum preß hoc me mirat            deinen gefangenen Diener, so zu schwächen? Das erstaunt mich.

                                                     19
Bedenk dein gnad et pietas       Besinn dich gütig deiner Gnade!
ne gam maluat ne men dilaß       Füg mir auf keinem Wege Schmerzen zu!
ki ti cummand en iaßem dyal      Was du befiehlst, das mache ich gerne,
wo ichs bekant ab omni mal       sofern sich dahinter nichts Böses verbirgt.
Hoc debes me genissen lan        Dass sich dies erfülle, Herrin, gönn mir wahrlich
troge moy G eum bonwann an.      voll Vertrauen auf ein gutes Jahr!

III
Jo te prosso dein genad all da   Ohne böse Hintergedanken ersuche ich dich um deine wohlwollende Gnade,
ge si grando et optima           zumal diese reich ist.
Halt mich nit swer hoc rogo te   Nimm die Last von mir, denk so an mich,
quo propenser na te troge        wie ich ganz ohne Arg an dich denke!
Flor well en piank pomag menne   Du Blume, hübsch und hell, rette mich aus der Not,
das ich dir dank cum fidele      auf dass ich mich für deine Treue erkenntlich zeigen kann!
Non facis hoc so bin ich tod     Handelst du nicht rasch, so bin ich tot
sellennem tlok si tutel rot.     und ziehe aus grünem Wald hinaus ins Elend.

                                              20
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