Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...

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Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
SKP INFO
            Thema
 1 | 2020   Jugend­kriminalität
Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
EDITORIAL

      Liebe Leserin, lieber Leser

                                 Während ich dieses Vorwort schreibe, hat die g
                                                                              ­ anze
                                 Welt eigentlich nur noch ein Thema. Sie wissen,
                                 welches. Höhere Mächte zwingen auch die hiesige
                                 Bevölkerung zu alltagsverändernden Massnahmen
                                 und mahnen sie zur Solidarität mit den Risiko­
                                 gruppen. Jetzt ist Gesundheitsprävention gefragt
                                 und steht in Zeiten wie diesen natürlich an erster
                                 Stelle.
SKP

                                    Wenn Begriffe wie «Notstand», «Krisenbewäl­
      tigung» oder «Grenzschliessungen» in aller Munde sind, treten andere
      Probleme und Themen in den Hintergrund. Das betrifft sogar die
      Krimina­lität und die Kriminalprävention, und wenn man an die «Jugend­
      lichen» denkt, hält man sie ausnahmsweise für eine geradezu «ge­
      schützte» und «risikofreie» Bevölkerungsgruppe.
               Das erste SKP INFO 2020 befasst sich natürlich trotzdem wieder
      mit Kriminalprävention, spezifisch im Zusammenhang mit Jugendlichen
      und deren Grenzüberschreitungen. Jugendliche gelten gemeinhin als
      «rebellisch» und «stur». Sie handeln oft nicht so, wie sie sollten, und
      fühlen sich auch noch im Recht… Die Strafverfolgung und die Kriminal­
      prävention haben demzufolge mit dieser Zielgruppe eher einen schwe­
      ren Stand. Behörden, im engeren Sinne die Polizei, finden gerade bei
      ­ihnen nicht leicht Gehör, ist es doch eher üblich, dass die Polizei ein
       Feindbild abgibt, obwohl man bekanntlich am Modell dann am besten
       lernt, wenn das Modell glaubwürdig, kompetent, sympathisch und ähn­
       lich ist.
               Wie und dass vielen Polizeikorps dieser Spagat dennoch erstaunlich
       gut gelingt, können Sie in dieser Ausgabe nachlesen. Zu Beginn erläu­
       tert ein Jugendanwalt die Philosophie und Funktionsweise des Jugend­
       strafrechts, danach berichtet ein ehemaliger jugendlicher Drogendealer
       im Interview sehr offen über seine Erfahrungen mit der Polizei und dem
       Jugendstrafrecht. Ausserdem erfahren Sie, wie Prävention für Jugend­
       liche mit Fluchterfahrung noch besser gelingen könnte, und es gibt               IMPRESSUM
       ­einen spannenden Einblick in gelungene Prävention durch Repression.
                                                                                        Herausgeberin und Bezugsquelle
               Zwei Bereiche, in denen Jugendlichen als Täter bzw. als Opfer eine       Schweizerische Kriminalprävention
        Sonderstellung zukommt, sind Sachbeschädigungen durch Graffiti und              Haus der Kantone
                                                                                        Speichergasse 6
        häusliche Gewalt: Wie die Polizei und die Kriminalprävention diese
                                                                                        Postfach
        ­Themenfelder bearbeiten, zeigen uns noch zwei Artikel von Fachper­             3001 Bern
         sonen zu diesen Phänomenen.                                                    info@skppsc.ch
               Und nicht zuletzt darf auch die Schweizerische Kriminalprävention        Tel. 031 511 00 09

         zeigen, welche Produkte und Massnahmen sie für diese Zielgruppe                Das SKP INFO 1 | 2020 ist als PDF-Datei zu finden unter:
         ­erarbeitet hat (und weiter erarbeiten wird), und Ihnen ausserdem ein          www.skppsc.ch/skpinfo. Es erscheint auch
                                                                                        in ­französischer und italienischer Sprache.
          neues Gefäss im SKP INFO vorstellen: eine Kolumne, in der unser
          ­
          ­Redaktor Volker Wienecke einen vielleicht ungewohnten Blick auf die          Verantwortlich		         Chantal Billaud,
                                                                                        		                       Geschäftsleiterin SKP
           ­jeweilige Thematik werfen wird.
                                                                                        Redaktion, Interviews Volker Wienecke, Bern
                                                                                        Übersetzungen        F   ADC, Vevey
      Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
                                                                                                             I   Annie Schirrmeister, ­Massagno
                                                                                        Layout		                 Weber & Partner, Bern
                                                                   Chantal Billaud      Druck		                  Länggass Druck AG, Bern
                                  Geschäftsleiterin Schweizerische Kriminalprävention   Auflage		                D: 1350 Ex. | F: 300 Ex. | I: 200 Ex.
                                                                                        Erscheinungsdatum        Ausgabe 1 | 2020, April 2020
                                                                                        © Schweizerische Kriminalprävention, Bern

      2                   SKP INFO 1 | 2020
Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
JUGENDKRIMINALITÄT

«Wie kriminell ist unsere                                                                    in der Jugenddelinquenz genauso eine
                                                                                             zentrale Rolle, wie sie es in unserem

Jugend, Herr Baumgartner?»
                                                                                             Leben auch tun, wobei der teilweise
                                                                                             eher unreflektierte Umgang mit digita­
                                                                                             len Medien durchaus zu Problemen
                                                                                             führen kann, natürlich ebenso wie
                                                                                             der gezielte Einsatz von Medien zur
Ein Interview mit dem Jugendanwalt Lukas                                                     Delikts­begehung.
Baumgartner (Basel-Landschaft) über die aktuelle
Situation der Jugendkriminalität in der Schweiz                                              Im Jugendstrafrecht gilt der Grundsatz
                                                                                             «Erziehung vor Strafe». Kommt dieser
und seine Erfahrungen mit dem Schweizerischen                                                Grundsatz auch bei den Jugendlichen an,
Jugendstrafrecht.                                                                            oder werden Schutzmassnahmen eben-
                                                                                             falls als Bestrafung wahrgenommen?
                                                                                             Im Kanton Basel-Landschaft werden im
Wie kriminell ist «unsere Jugend» im                                                         Jugendstrafrecht die Prinzipien Strafe
Moment? In welchen Bereichen kommt                                                           und Erziehung gleichermassen gelebt,
es zu den meisten Delikten, wo hat                                                           sie sind jedoch eng miteinander ver­
Jugend­kriminalität ab- und wo hat sie                                                       woben und aus vielen Blickwinkeln
zugenommen?                                                                                  auch gar nicht so unterschiedlich. Das
«Unsere Jugend» ist wohl nicht «krimi­                                                       heisst: Jugendstrafen sollten immer
neller» als «die Jugenden» vor ihr.                                                          auch erzieherische Aspekte beinhalten,
Was sich immer wieder ändert, sind die                                                       und Schutzmassnahmen kennen in
Schwerpunkte bzw. die kriminellen                                                            ihrem Vollzug auch disziplinarische
                                                                                             ­
A ktivitäten der jungen Leute. Auf der
­                                                                                            Komponenten. Wenn ein Jugendlicher
Jugendanwaltschaft reden wir zuwei­                                                          ein Delikt begeht, wird er zunächst da­
len von «Wellen». Mal ist ein paar Jahre                                                     für einfach mal zu strafen sein. Dies
lang Gewalt und Alkohol im Vorder­                                                           erwartet (und akzeptiert) nicht zuletzt
grund, mal sind es eher Betäubungs­                                                          auch der betroffene Jugendliche. Wir
mittel, deren Konsum und Handel. Des                                                         erleben in unseren Jugendstrafverfah­
Weiteren gibt es Delikte, die nie von der                                                    ren nur sehr selten Jugendliche, die
Bildfläche verschwinden, so wie Laden­                                                       nach einem Delikt ihre Strafe zu hoch
diebstahl und Sachbeschädigung. Unse­                                                        finden, und noch seltener welche, die
rer Wahrnehmung in Basel-Landschaft                                                          die Bestrafung an sich in Frage stellen.
nach befinden wir uns derzeit in einer                                                       Freilich aber – und hier wird ein erzie­
Umbruchphase. Eine lange Periode von                                                         herisches Ziel sehr sichtbar – muss die
                                                                                       zvg

starkem Betäubungsmittelkonsum und          Lukas Baumgartner, lic. iur., Jugend­            Strafe sinnvoll sein und in ihrer Höhe
-handel, eher mässigem Alkoholkon­          anwalt ­Basel-Landschaft                         nachvollziehbar und gerecht erschei­
sum und insgesamt weniger Gewalt                                                             nen. Auch sollte die Strafe so instal-
(v.a. weniger Angriffs- und Raufhandel­                                                      liert werden, dass sie das positive
delikte sowie Raub) neigt sich dem          und Berufssystem der Schweiz «auf                und ­zukunftsgerichtete Fort­kommen
Ende zu. Ein Teil der Jugendlichen ver­     der Strecke» bleiben, die «abgehängt»            des ­Jugendlichen nicht oder zumindest
lagert nun den eigenen Betäubungs­          haben und nur schwer wieder «einhän­             nicht zu sehr behindert; «Schutz und
mittelkonsum in den Bereich von Medi­       gen» können, besonders anfällig für              Erziehung» sind als massgebende Prä­
kamentenmissbrauch, einen anderen           den Konsum von Substanzen sind, die              missen im Jugendstrafrecht bei sämt­
Teil zieht es wieder vermehrt zu Alko­      sie die drückende Realität mit all den           lichen Aspekten und so auch bei der
hol und Gewalt. Über die Ursachen des       Erwartungen und Wertungen verges­                Strafzumessung zu berücksichtigen.
hohen Betäubungsmittel- und Medika­         sen lassen. Auch spielt offenbar – und           Etwas anders gelagert sind die
mentenkonsums könnten ggf. Fachper­         das hat uns selber sehr überrascht –             ­Schutzmassnahmen. Je niederschwel­
sonen in der Suchtprävention bessere        nicht selten eine gewisse «wissen­                liger diese ausfallen, desto eher lassen
Auskunft geben. Wir stellen fest, dass      schaftliche» und «biologische» Neugier            sich die betroffenen Jugendlichen noch
Jugendliche, die selbst (oder gerade)       beim Ausprobieren von Substanzen                  gern darauf ein. Unserer Erfahrung
im sehr diversifizierten Ausbildungs-       eine Rolle. Die digitalen Medien spielen          nach machen Jugendliche zwischen

                                                                                             SKP INFO 1 | 2020                      3
Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
JUGENDKRIMINALITÄT

                                                                                                                                     123RF/Katarzyna Białasiewicz
«Auch spielt nicht selten eine gewisse ‹wissenschaftliche› und ‹biologische› Neugier beim Ausprobieren von Substanzen eine Rolle.»

z. B. freiheitsbeschränkenden Strafen       (z. B. Einweisung in eine Institution,          oder die delinquierende Jugendliche
und freiheitsbeschränkenden Schutz­         welche den Ab­schluss einer Berufs­             wird einschneidend in seinem gewohn­
massnahmen keinen grossen Unter­            lehre zum Ziel hat).                            ten Verhalten unterbrochen. Ab Delik­
schied. Am ehesten einen Wesensun­                                                          ten mittleren Grades sind, der schnel­
terschied stellen sie etwa dann fest,       Manche Bürgerinnen und Bürger resp.             len Aufklärung wegen, auch vorläufige
wenn einer Strafe eine vergleichsweise      Politikerinnen und Politiker empfinden          Festnahmen, gar Untersuchungshaft
niederschwellige Schutzmassnahme wie        das Jugendstrafrecht als zu weich               und Hausdurchsuchungen nicht selten.
etwa eine Aufsicht (Art. 12 JStG) gegen­    ­(«Kuscheljustiz»). Sie fordern frühzeitige     Die Beschlagnahme des persönlichen
übersteht.                                   und härtere Strafen zur Ab­schre­ckung         Smartphones erfolgt noch viel häufiger,
                                             («Schnupperknast», «Warnschuss-­               ist letzteres doch eins der wichtigsten
Haben Sie Rückmeldungen von ehe­             Arrest»). Wie – wenn überhaupt –               Beweismittel in nahezu jedem Jugend­
maligen Straftätern in der Art «Das          ­begegnen Sie solchen Anwürfen?                strafverfahren. Selbst Kriminaltouristen
­Jugendstrafrecht hat mir geholfen»?          Das Jugendstrafrecht ist, wenn voll­          im Kindesalter kann Untersuchungs­
 Bei Beendigung von Jugendstrafverfah­        umfänglich angewandt, keinesfalls zu          haft drohen. Wo das Jugendstrafrecht
 ren – zumal bei erfolgreichen – sind         weich, schon gar nicht kuschelig. Durch       hingegen deutlich milder ist – und dies
 Äusserungen der jugendlichen Delin­          die äusserst zügige Fallbearbeitung           auch zu Recht –, das ist in der Zukunft,
 quenten (und deren Eltern) in der Tat        durch Polizei und Jugendanwaltschaft          in seinem weiteren Verfahrensverlauf.
 nicht selten, wonach ihnen das Jugend­       sind Jugendliche viel mehr sehr poin­         Zu Beginn pointiert, klar, schnell, auf­
 strafverfahren im Leben sehr geholfen        tiert und unmittelbar mit den Konse­          weckend und streng, in der Folge zu­
 habe, sei es als «Weckruf», um sich im       quenzen für ihre Straftaten konfrontiert.     kunftsorientiert, unterstützend, positiv,
 Leben fortan besser zu entscheiden,          Im sogenannt «ersten Ermittlungs­       an­   konstruktiv: das ist die Devise. Begehen
 oder ganz im praktischen Sinn, wenn          griff» geschieht in einem Jugend­straf­       z. B. Jugendliche zusammen mit jungen
 Schutzmassnahmen als hilfreich, nütz­        ver­fah­ren deshalb sehr viel, sind diverse   Erwachsenen ein schweres Delikt, so
 lich und «rettend» erachtet werden           Zwangsmassnahmen möglich und der              kann es sein, dass die Jugendlichen zu

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Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
JUGENDKRIMINALITÄT

Beginn der Hauptverhandlung, welche         Damit das Jugendstrafrecht wirken            Eltern und Bezugspersonen in einem
sie vor Jugendgericht und die jungen        kann, müssen viele Räder ineinander-         Setting von Schutzmassnahmen selber
Erwachsenen vor Strafgericht er­            greifen. Wie werden insbesondere             wiedererkennen und abgeholt fühlen,
wartet, bereits eine sehr hohe Strafe       ­Eltern und Bezugspersonen überzeugt,        desto stärker unterstützen sie dieses
(freiwillig) abgearbeitet haben und im       dass sie ihren straffällig gewordenen       Setting auch und tragen die entspre­
­Rahmen von vorsorglich angeordneten         Kindern helfen, wenn sie Polizei und        chenden Errungenschaften dann nach
 Schutzmassnahmen im Lehrabschluss           Justiz hinzuziehen, und ihnen nicht         Beendigung des Jugendstrafverfahrens
 stehen, während die jungen Erwachse­      ­damit schaden?                               weiter. Uns geht es oft schlicht darum,
 nen in der Zwischenzeit einfach nur auf     Wichtig ist, Eltern und Bezugspersonen      das Bezugspersonensystem zu stär­
 ihre Verurteilung gewartet haben.           möglichst sofort ins Boot zu holen und      ken, die Ressourcen zu nennen und auf
                                             in die anstehenden Prozesse zu invol­       blinde Flecken in der bisherigen Er­
Hat sich das Schweizerische Jugend-          vieren. Diese – zumeist von der Situa­      ziehung hinzuweisen. Eltern und Be­
strafrecht allgemein bewährt? Oder gibt      tion der Straftat durch die eigenen         zugspersonen, die das Jugendstraf­
es Bereiche, in denen es aus Ihrer Sicht     ­K inder – überforderten und belasteten     verfahren konsequent bekämpfen, er­
nachgebessert werden ­müsste?                 Familien-Systeme können in einem           schweren die pädagogische, präventive
Das schweizerische Jugendstrafrecht           ersten Schritt insofern auch entlastet     Arbeit der Jugendanwaltschaft sehr
ist in seiner Anlage geradezu genial          und beruhigt werden, wenn es Prozess­      und lassen die Erfolgschancen von
und mit all den Möglichkeiten an Kom­         schritte gibt, die hoheitlich festgelegt   Schutzmassnahmen beträchtlich sin­
binationen von Sanktionen so flexibel,        und in einer ersten Phase «indiskuta­      ken. Es ist jedoch Teil unserer Arbeit,
wie dies in der Arbeit mit Jugendlichen       bel» sind. Möglichst viele Schritte im     auch ein solch kritisches Umfeld von
auch nötig ist. In einigen wenigen            Jugendstrafverfahren, insbesondere die     Jugenddelinquenten immer wieder von
Fällen von Kriminaltouristen wären
­                                             helfenden, unterstützenden, sind je­       neuem zu motivieren und zu überzeu­
wir zuweilen froh, bei unter 15-jährigen      doch gemeinsam mit dem privaten Be­        gen zu versuchen, es immer wieder in
Delinquenten etwas höhere Strafrah­           zugspersonensystem der betroffenen         den Prozess einzuladen.
men oder gar andere Sanktionsformen           Jugendlichen zu gestalten, und diese
zur Verfügung zu haben. Dies betrifft         Mitwirkung des familiären Systems          Herr Baumgartner, vielen Dank für
jedoch absolute Einzelfälle.                  trägt fast immer Früchte. Je mehr sich     das Gespräch!

«Ich bin ein Fan vom                                                                     zielle Lage in meiner Familie war nicht
                                                                                         gerade einfach, meine Mutter war

Schweizerischen Jugend­
                                                                                         allein­
                                                                                               erziehend mit zwei Söhnen, und
                                                                                         mein Wunsch wurde immer grösser,
                                                                                         mein e  ­igenes Geld zu verdienen.

strafrecht!»                                                                             Schliess­lich begann ich, Cannabis bei
                                                                                         einem Freund günstig zu kaufen und
                                                                                         dann teurer ­  wieder zu verkaufen. Es
Im Alter von 14 Jahren war er einer der jüngsten                                         war eine Ge­  legenheit, und ich ergriff
                                                                                         sie.
Extasy-Grossdealer der Schweiz, dann wurde
er geschnappt. Heute ist der Berner Amine Tazi-                                          Also war Geld deine Motivation?
Bieder­mann (21) vollkommen geläutert und                                                Genau.

­erinnert sich im Interview. Sein Fazit: Das Jugend­                                     Wie ging es dann weiter?
 strafrecht funktioniert.                                                                Etwa im Jahr 2012 begannen ein paar
                                                                                         Freunde und ich unabhängig voneinan­
Hallo Amine, erstmal herzlichen Dank,      Alles begann mit etwa zwölf Jahren. Ich       der, Cannabis sowie Extasy und andere
dass du uns teilhaben lässt an der Er-     arbeitete in der Gärtnerei vom Schloss        synthetische Drogen zu verkaufen. An­
fahrung, vom Schweizerischen Jugend-       Jegenstorf mehrmals wöchentlich, um           fangs verkaufte ich ca. 20 g Cannabis in
strafrecht betroffen zu sein. Erzähl uns   mir mein Sackgeld zu verdienen. Doch          einer Woche, doch innert kürzester Zeit
bitte mal, wie es damals dazu gekom-       damit hatte ich Mühe, da mir die Gar­         verdreifachte ich meinen Umsatz auf
men ist.                                   tenarbeit nicht gefallen hat. Die finan­      60 g pro Woche. Danach bin ich auf die

                                                                                         SKP INFO 1 | 2020                     5
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JUGENDKRIMINALITÄT

Extasy-Pillen gestossen, obwohl es in
meinem damaligen Alter ziemlich
schwierig für mich war, an diese Pillen
zu gelangen. Dazu brauchte ich gute
Kontakte, die mir vertrauten und nicht
denken würden, dass sie wegen mei-
nes jungen Alters in Schwierigkeiten
kommen könnten. Mit viel Anstrengung
gelang es mir, Quellen zu finden, die
­
Extasy-Pillen je nach Anzahl zu einem
Preis von 5–10 CHF pro Stück ver­
kauften, wobei sie selbst vermutlich
2–3 CHF bezahlt haben. Ich wiederum
habe sie dann für ca. 20 CHF weiterver­
kauft. So verdiente ich mit 13 Jahren
teilweise bis zu 5000 CHF im Monat.
Mein Gewissen war dabei natürlich
nicht gerade rein. Ich wusste ja, was ich
da mache, war illegal und sicher auch

                                                                                                                                zvg
ein bisschen gefährlich.                     Amine Tazi-Biedermann vor dem Amthaus in Bern: «Ich wusste ja, was ich da mache,
                                             war illegal und sicher auch ein bisschen gefährlich.»
Wie hat man euch denn erwischt?
Im Sommer 2013 war ich 14 Jahre alt,
und am letzten Tag in der 8. Klasse vor      Was ist dann passiert?                    haupt meinen Verpflichtungen nachzu­
den Sommerferien kamen Polizisten in         Wegen Verdunkelungsgefahr musste die      kommen. Im Endeffekt sollte ich lernen,
die Schule und führten zwei Mitschüler       Justizbehörde mich in Untersuchungs­      für mich selbst Verantwortung zu über­
und mich in Handschellen vor der gan­        haft einweisen ins Regionalgefängnis      nehmen. Schlussendlich habe ich eine
zen Schule ab. Wir fuhren zum Poli­          Bern. Das war bis jetzt die schlimmste    Ausbildung im Restaurant Landhaus
zeiposten in Schönbühl, wo wir auch          Erfahrung in meinem Leben. Ich wuss­      Liebefeld absolviert, meiner Meinung
gleich verhört wurden. Die Polizei hatte     te nie richtig, was passieren würde.      nach eines der besten Restaurants in
bis dahin nur eine Aussage von einem         Drei Wochen sass ich in Untersu­          Bern. 2017 war ich sogar Finalist im
12-jährigen Mädchen, die über Dritte         chungshaft. Ich hatte aber genug Zeit     ­renommiertesten Kochwettbewerb für
eine Pille von uns in die Hände bekom­       zum Nachdenken und hoffte einfach          Lehrlinge in der ganzen Schweiz, dem
men hatte. Irgendwie erfuhr sie auch,        nur, dass ich mir durch diese Aktionen     Gusto-Wettbewerb.
dass diese Pille ursprünglich von mir        meine Zukunft nicht vollkommen ver­
stammte. Als sie von der Polizei verhört     baut hätte. Bei der Urteilsverkündung –   Wie geht es dir heute, wie betrachtest
wurde, machte sie eine Aussage gegen         ich wurde verurteilt wegen Erwerb, Be­    du im Rückblick, was du damals erlebt
mich, und somit hatten die Ermittler         sitz, Konsum und Handel mit Cannabis      hast?
bereits einen Verdacht. Daraufhin wur­       und wegen Erwerb, Besitz und Handel       Heute arbeite ich als Koch im Landhaus
den unsere Wohnungen durchsucht              von Extasy – kam die grosse Erleichte­    Liebefeld, bin aber im Moment dabei,
­sowie auch unser Band-Proberaum, in         rung: Da ich noch so jung und bereits     mich im Bereich Wirtschaft und Finan­
 dem wir uns viel aufhielten. In diesem      drei Wochen in Haft gewesen war, hat      zen weiterzubilden. Schlussendlich war
 Bandraum hatten wir zu der Zeit leider      mir der Richter nur eine kleine Geld­     mir das gesamte Verfahren mit der
 die grösste Menge an Extasy-Pillen          strafe gegeben sowie eine Betreuungs­     ­Jugendanwaltschaft eine grosse Lehre.
 ­gelagert, die wir je hatten. Und genau     massnahme. Das heisst, ab dann arbei­      Alle Beteiligten, der Jugendanwalt und
  in diesem Moment haben sie uns er­         tete ich eng mit der Jugendanwaltschaft    die Sozialarbeiterinnen unterstützten
  wischt. Als die über 1000 Pillen ge­       zusammen und war in ständigem Kon­         mich eigentlich in allen Bereichen, und
  funden wurden, sah die Lage plötzlich      takt zu verschiedenen Sozialarbeiterin­    ich bin sehr dankbar dafür. Deshalb
  ganz anders aus: Da übernahmen             nen, um mich sozusagen zu resozia­         würde ich heute sogar sagen: Ich bin
  Drogenfahnder die Ermittlungen. Ich
  ­                                          lisieren. Es wurden persönliche ­ Ziele    ein grosser Fan vom Schweizerischen
  kooperierte zuerst nicht mit der Polizei   definiert, wie zum Beispiel meine          Jugendstrafrecht!
  und gestand nur das, was sie mir auch      Schulnoten konstant gut zu halten, eine
  nachweisen konnten.                        Ausbildung zu absolvieren und über­       Amine, vielen Dank für das Gespräch!

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Graffiti – selten Kunst,                                                                        Das Interesse an Graffiti wird über ver­
                                                                                                schiedene Medien wie zum Beispiel

doch fast immer Sach­
                                                                                                Hip-Hop-Magazine, das Internet und
                                                                                              Sprayereien in der Umgebung geweckt.
                                                                                              Mit einem speziell gestalteten Sprayer­
beschädigung                                                                                  namen (=  TAG, Unterschrift, Signatur)
                                                                                              schlüpfen Jugendliche in eine neue
                                                                                              Identität. Wer Respekt und Ruhm ernten
In jeder grösseren Stadt Europas trifft man auf                                               möchte, ist bestrebt, seinen TAG zu
                                                                                              verbreiten. Wichtig ist für Sprayer,
Graffiti (= Plural von ital. Graffito, Kritzelei):                                            dass ihre Graffiti von vielen Menschen
gesprayte Malereien, Zeichnungen und Schriftzüge                                              wahrgenommen werden und daher
an Fassaden, an und in öffentlichen Verkehrs­                                                 möglichst lange sichtbar bleiben. Die
                                                                                              Sachbeschädigung wird dabei in Kauf
mitteln, an Denkmälern und, und, und… Graffiti –                                              genommen, ist jedoch nicht immer
und die jugendliche Sprayer-Szene – sind Teil                                                ­vorrangiges Ziel.
unseres Alltags geworden und haben sich zu einer                                                   Das Altersspektrum der bislang

Subkultur entwickelt. Problematisch daran ist,                                                ­ermittelten Tatverdächtigen reicht von
                                                                                               12 bis 25 Jahren. Der Anteil der Jugend­
dass fast jedes Graffito eine Sachbeschädigung                                                 lichen (14 bis 18 Jahre) überwiegt je­
und somit eine Straftat darstellt.                                                             doch mit 55 Prozent, gefolgt von den
                                                                                               Heranwachsenden (18 bis 21 Jahren)
                                                                                               mit 23 Prozent. Machen die Erwachse­
Auf der einen Seite sind Graffiti gesell­    stellt das Besprayen von fremdem                  nen (über 21 Jahren) noch 14 Prozent
schaftsfähig geworden. In bestellter         Eigentum wie Anlagen, Hauswänden,
                                             ­                                                 aus, so füllen die Kinder (unter 14 Jah­
und kontrollierbarer Form werden sie         Brücken, Autos, Zügen etc. hierzulande            ren) die Lücke mit 8 Prozent. Der
sogar offiziell als Kunst verstanden.        eine Sachbeschädigung dar, welche                 ­«harte Kern» der aktiven Sprayer liegt
Aber was die meisten Bürgerinnen und         gemäss dem Strafgesetzbuch (StGB)
                                             ­                                                  im Alter von 16 bis 19 Jahren. Die
Bürger (und auch viele «echte» Sprayer)      nach Art. 144 strafbar ist. Ausserdem              Sprayer stammen aus sämt­lichen Be­
nervt, sind die unkünstlerischen Schmie­     können überdimensionale Graffiti an
                                             ­                                                völkerungsschichten, und es lassen
rereien, die sogenannten «TAGs», die         Strassen die Verkehrsteilnehmer/innen            sich auch keine Schwerpunkte in der
mit Edding (Filzschreiber) auf die Sitze     ablenken.                                        Schul- bzw. Ausbildung erkennen.
in Zügen gemalt, in Treppenhäuser und
an alle möglichen Wände und Fassaden         Graffiti und Jugendkultur                       Warum sprayen Jugendliche?
gesprayt werden. Je mehr die Städte          Warum eigentlich verschmieren jugend­           Lassen wir sie in folgendem Chatver­
vollgesprayt und -gemalt werden und          liche Sprayer Wände und Fahrzeuge?              lauf selbst zu Wort kommen, der zwar
je teurer es wird, Wände und Fahrzeuge       Handelt es sich um eine Kommunika­              nachgestellt ist, aber ungefähr so im­
zu reinigen, desto mehr schadet dies         tionsform, wie die Soziologen meinen?           mer wieder stattfindet:
der Einstellung gegenüber Graffiti als       Oder ist es die unbändige Kreativität
Kunstform – weil sich dann bald nie­         der Jugend, von der die Psychologen             PieceforLive (Sprayername):
mand mehr für die richtig guten legalen      reden? Beide Ansätze haben ihre Rich­           «Sprayen übernimmt mein Leben. Kennt
Graffiti interessiert. In jedem Fall aber    tigkeit. Sprayer wollen vor allem Prä­          ihr das, wenn Sprayen für euch das
                                             senz im öffentlichen Raum markieren.            Geilste auf der Welt ist? Ihr habt mal
                                             Sie signalisieren: «Das ist mein Quar­          angefangen, euch mit dem Thema zu
                                             tier, hier lebe ich.» Die Zugehörigkeit         beschäftigen, und es wird immer mehr
 Autor                                       zu einer geheimen Gruppe (Crew), das            und mehr. Und für euch gibt es nix
 Anton Felber                                Brechen von Regeln auf dem Weg zum              ­G eileres als nachts oder tagsüber raus­
 Fw, Kantonspolizei                          Erwachsenwerden und der Nerven­                  zugehen, um einfach mit eurer Crew
 Zürich, Jugend­                             kitzel durch die illegale Tätigkeit sind         oder auch alleine sprayen zu gehen, um
 intervention, Ver­
                                             weitere Motive. Graffiti ist Teil einer viel­    eure Sucht zu befriedigen? Würde mich
 antwortlicher der
 Fachstelle Graffiti
                                             schichtigen Jugendkultur, zu w      ­ elcher     freuen, mich mit euch auszutauschen,
                                             z. B. auch der Hip-Hop und ein entspre­          wie es bei euch so mit der Sucht des
                                       zvg

                                             chendes Styling gehören.                         Sprayens ist.»

                                                                                             SKP INFO 1 | 2020                        7
Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
JUGENDKRIMINALITÄT

Screenshot aus einem Video von «Ghost» (Quelle: YouTube)

Snowflight (Sprayername):                    Die spielen auch alle 2–3 Tage, wenn        Szene vertraut sind. Die Szene unter­
«Bei mir ist das auch so, nur dass ich       nicht sogar jeden Tag. Das hängt einfach    wirft sich den ungeschriebenen Regeln
noch nie in der Öffentlichkeit gesprüht      mit der Leidenschaft zusammen.»             der Gleichgesinnten. Zum Teil drohen
hab. Ich zeichne nur auf Blöcke... man­                                                  harte Strafen bei Nichteinhalten. Das
che stelle ich auf Insta... manche auch      Sprayer-Sprache                             führt sogar bis zu Körperverletzungs­
nicht. Bei mir ist es so egal, wo ich bin.   Wie man merken kann, hat sich in der        delikten, wenn sich jemand über die
Ob in der Schule oder Zuhause oder bei       Graffiti-Szene im Laufe der Jahre ein       Regeln hinwegsetzen will. Niemand
Freunden. Ich erkundige mich oft nach        vielfältiges Sprach- und Technikreper­      darf z. B. Angaben über andere Szene-­
neuen Styles oder nach einem ordent­         toire, der sogenannte «Graffiti-Jargon»     Mitglieder machen oder diese verraten.
lichen Writer-Namen. Oder ich schaue         entwickelt. Der Wortschatz stammt           So stösst jeder Aussenstehende auf
mir auf YT Ghost an. Ist wie ein Vorbild,    weitgehend aus dem amerikanischen           eine Mauer des Schweigens. Es ist sehr
kann man sagen.»                             Englisch und ist regional unterschied­      schwer, an einzelne Mitglieder heran­
                                             lich ausgeprägt. Den Begriff «Graffiti»     zukommen und diese aus der Illegali­
Tagsi (Sprayername):                         gibt es im Graffiti-Jargon interessan­      tät/Anonymität zu holen.
«Das ist ein Sprayerding, was so gut wie     terweise nicht. Die wichtigsten Begriffe
kein leidenschaftlicher Writer ablegen       siehe Tabelle rechts.
kann. Frag mal die Jungs von 1UP oder                                                    Der Sprayername
Einzelpersonen wie Ghost oder Dozer.         Szeneregeln                                 Das illegale TAG: Jeder Sprayer denkt
Die sind jeden 2.­– 3. Tag unterwegs, und    Die Szene hat sich im Lauf der Zeit eini­   sich einen Sprayernamen (TAG) aus,
da wo sie nicht unterwegs sind, hauen        ge Szeneregeln vorgegeben, an die sich      den er meist in unzähligen Entwürfen
sie Skizzen in ihr Blackbook. Ist im Prin­   jeder Sprayer halten muss. Erstaunlich      erst aufs Papier bringt, bis er mit dem
zip das Gleiche wie bei Sängern oder         ist, dass sogar die Szene-Anfänger be­      Stil zufrieden ist. Danach bringt der
wie bei jemandem, der Gitarre spielt.        reits mit den Werten und Normen der         «Writer» seine TAGs an die Wände.

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Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
JUGENDKRIMINALITÄT

                                                                                           oder gründet selbst eine. Die Crew
                                                                                           hat dann einen Crew-TAG, den alle
                                                                                           Crew-Mitglieder gemeinsam verwen­
                                                                                           den. Mit den durch die Gemeinschafts­
                                                                                           arbeit immer grösser werdenden Graf­
                                                                                           fiti steigen auch die von den Sprayern
                                                                                           verursachten Schadenssummen.

                                                                                           Das legale TAG: Ein Sprayer verfügt im
                                                                                           Laufe seiner Karriere zudem auch oft
                                                                                           über ein legales TAG, mit dem er sämt­
                                                                                           liche Auftragsarbeiten unterschreibt.
                                                                                           Dieser TAG wird in der Szene geachtet
                                                                                           und nicht kopiert.

                                                                                           Weitere Regeln
                                                                                           • Legale Bilder werden nicht
                                                                                             «gecrosst», also übersprüht.
                                                                                           • In der Szene wird nur der bekannt,
                                                                                             der durch aussergewöhnliche Bilder
                                                                                             oder durch Quantität auffällt.
                                                                                           • Tags werden nicht kopiert.

                                                                                           Was unternimmt die Polizei
                                                                                           gegen das illegale Sprayen?
                                                                                           Bei der Kantonspolizei Zürich gibt es im
                                                                                           Dienst Jugendintervention die Fach­
                                                                                           stelle für Graffiti. Sie arbeitet sehr eng
                                                                                           mit der Stadtpolizei Zürich und der
Durch das Verbreiten seines TAGs ge­          riere mehrfach ihren TAG, um ihre Ver­       Stadtpolizei Winterthur zusammen.
winnt er innerhalb der Szene Ruhm und         gangenheit zu verschleiern.                       Vor einigen Jahren konnten diese
Anerkennung (getting fame), denn in                                                        drei Polizeikorps eine Kantonale Graf­
der Szene spricht sich herum, wer sich        Das Crew-TAG: Mit dem Bekanntwer­            fitibild-Datenbank in Betrieb nehmen.
hinter dem Kürzel verbirgt. Manche            den innerhalb der Szene schliesst sich       Diese kann von den Fachverantwort­
Sprayer wechseln im Laufe ihrer Kar­          ein Sprayer meist einer Sprayercrew an       lichen der drei Korps unabhängig von­
                                                                                           einander bewirtschaftet und abgefragt
TAG            Sprayername, Signatur, Unterschrift eines Sprayers                          werden. Verhandlungen mit weiteren
Piece,         Bezeichnung für ein aufwendiges, mehrfarbiges und grossflächiges Graffito   Polizeikorps in der Schweiz sind im
Master­piece
                                                                                           Gange. Ziel soll sein, dass alle Polizei­
Blackbook      Skizzenbuch. Dient dem Sprayer auch dazu, seine Werke und die               korps auf diese Datenbank zugreifen
               ­Entwicklung seines Styles dokumentieren zu können
                                                                                           können.
ACAB / 1312    «All Cops Are Bastards» / anstelle Buchstaben Zahlen, gleiche Bedeutung:         Die Ermittlungen mit der digitalen
               gängiges Anti-Polizei-Kürzel
                                                                                           Datenbank werden vereinfacht, und die
Bombing        Das illegale Besprayen von Hauswänden, Fahrzeugen etc.
                                                                                           Aufklärungsquote konnte erhöht wer­
Can            Spraydose                                                                   den. Mit weiteren gezielten kantonalen
Cap            Spraykopf einer Spraydose. Gibt es in diversen Grössen, vom feinen Strahl   und schweizerischen Präventionskam­
               (Needle) bis zum extrabreiten Trichter (Fat)                                pagnen will man die Bevölkerung für
Crew           Gruppe. Zusammenschluss von mehreren Sprayern, in der Szene auch            das Thema sensibilisieren. Vor allem
               «Cru» oder «Kru» geschrieben
                                                                                           sollen die Eltern der Jugendlichen er­
Crossen        Übersprayen von besprayten Flächen anderer Crews – ein «No Go» in der       reicht und informiert werden, wie sie
               Sprayer-Szene. Wenn gezielt: eine Kampfansage an andere Sprayer
                                                                                           frühzeitig auf entsprechende Tenden­
Free Style     Ohne vorhergehende Planung gespraytes Bild
                                                                                           zen ihrer Kinder einwirken können.

                                                                                           SKP INFO 1 | 2020                       9
Thema Jugend kriminalität - 1 | 2020 - Schweizerische ...
JUGENDKRIMINALITÄT

Hier soll das Ziel sein, Sachschaden        die Konsequenzen ihres Handelns auf­         Graffiti als Unterrichtsthema
und damit auch Kosten überhaupt nicht       geklärt werden. Dazu gehört auch die         Das Einstiegsalter der Sprayer liegt,
entstehen zu lassen.                        Information, dass nicht die Eltern für       wie schon erwähnt, bei etwa 12 bis
                                            Schäden haften, sondern die Jugend­          14 Jahren, fällt also in der Regel in die
Wie erkennt man                             lichen ab Urteilsfähigkeit mit ihrem         obligatorische Schulzeit. Somit sind
Sprayer/innen?                              eigenen Geld. Viele Sprayer sind der
                                            ­                                            auch Pädagogen mit dem Thema kon­
Einige Fragen, welche sich Eltern stel­                                                  frontiert.
len können, sind:                                                                             Jugendlichen muss deutlich ge­
• Besitzt mein Kind Graffitiutensilien                                                   macht werden, dass illegales Sprayen
  wie Spraydosen, Filzstifte, Gummi­                                                     eine Straftat ist, die neben strafrecht­
  handschuhe, Gesichtsmasken oder                                                        lichen Konsequenzen auch langjährige
  Kratzwerkzeug? Spraydosen mit Ma­                                                      zivilrechtliche Forderungen nach sich
  gneten am Boden sind besonders                                                         ziehen kann. Die Chance, dass Lehr­
  verdächtig: Die Magnete halten die in                                                  personen auf Bänken, Tischen oder
  den Dosen enthaltenen Mischkügel­                                                      dem Schulareal Sprayereien antreffen,
  chen fest, damit möglichst leise ge­                                                   ist gross. Das Schulareal ist meist
  sprayt werden kann.                                                                    eines der ersten Betätigungsfelder
                                                                                         ­
• Hat mein Kind irgendwelche Farb­                                                       für Einsteiger in die Graffitiszene. Das
  flecke oder Farbgeruch an Kleidung,                                                    ­bekannte Gebiet wird markiert. Durch
  Haaren oder Händen?                                                                     gezielte Informationen, Gespräche und
• Ist Interesse an Graffitiliteratur und                                                  Aktionen kann zur Prävention beigetra­
  Hip-­Hop-Musik vorhanden? Sind                                                          gen werden. Frühzeitiges Handeln kann
  Schul­hefte/Zeichenunterlagen mit ver­­                                                 junge Menschen davor schützen, un­
  zierten Wortkürzeln oder Buchstaben                                                     wissend in existentielle Problemsitua­
  übermalt, oder existiert sogar ein so                                                   tionen zu geraten.
  genanntes Blackbook (Skizzensamm­                                                           Unterstützend können im Unterricht
  lung). Hat er/sie auf persönlichen                                                      Texte von Hip-Hop-Songs besprochen
  Gegenständen oder auf Wänden im
  ­                                                                                       werden. Diese erleichtern den Zugang
  Umfeld ein eigenes Wort/Namens­                                                         zu den Schülern und ihren Beweggrün­
  kürzel (TAG) aufgemalt?                                                                 den für das Sprayen.
                                                                               zvg

• Sind stichhaltige Alibis für nächtliche
  Ausflüge bzw. häufige «Übernach­                                                       Welches ist die Strafe für
  tungen» bei Kolleginnen und Kolle­                                                     jugendliche Sprayer?
  gen vorhanden?                             i­rrigen Meinung, die Haftpflichtver­       Im Jugendstrafrecht (relevant bis zum
                                              sicherung der Eltern werde die Reini­      18. Lebensjahr) gibt es keine fixen
Wenn sich Verdachtsmomente                    gungskosten bezahlen. Dem ist nicht        ­Strafen für begangene Straftaten. Die
erhärten – was dann?                          so. Eine Versicherung bezahlt nicht         strafrechtlichen Konsequenzen rich­
Die Zugehörigkeit zur Szene bedeutet in      für vorsätzlich begangene Handlungen.        ten sich danach, was es beim ein­
der Regel nicht, dass die Jugendlichen       Aber auch die Eltern haften nicht, es sei    zelnen T  ­äter braucht, damit er in
am Anfang einer lebenslangen krimi­          denn, sie haben ihre Aufsichtspflichten      Zukunft m
                                                                                          ­          ­öglichst keine weiteren
nellen Laufbahn stehen. Meist be­            offensichtlich verletzt. Der Verursacher     strafbaren Handlungen mehr begeht.
schränkt sich ihr Handeln auf das            selbst hat Schadenersatz zu leisten.         In e
                                                                                             ­ inem ersten Schritt wird entschie­
Sprayen von Graffiti, in einigen Fällen      Das kann z. B. bis zur Lohnpfändung          den, ob das Delikt möglicherweise auf
kommt der Diebstahl von Spraydosen            des Lehrlingslohns gehen.                   grös­ sere persönliche Probleme des
hinzu.                                            Sollten Sie Ihr Kind beim Sprayen       Täters hindeutet oder ob es sich ledig­
   Wenn man solche Wahrnehmungen              erwischen, vermitteln Sie frühzeitig        lich um eine «Jugendsünde» handelt,
macht, sollte man unbedingt das Ge­           zwischen ihm und dem Geschädigten.          welche man mit einer entsprechenden
spräch mit dem Jugendlichen suchen.           Das erspart oftmals eine Anzeige und        Strafe ahnden kann. Nicht zu verges­
Voraussetzung ist allerdings eine ge­         unnötige Folgekosten. Die meisten Ge­       sen sind die Reinigungs-/Wiedergut­
wisse Toleranz gegenüber dem Prozess          schädigten sind aufgeschlossen, wenn        machungskosten, welche vom Jugend­
der Identitätsfindung, einer Phase, in        das Gespräch mit ihnen gesucht wird.        lichen in j­ edem Fall bezahlt oder
welcher Jugendliche auch ihre Grenzen         Vielleicht kann Ihr Kind das Graffiti       ab­
                                                                                          ­  gearbeitet werden müssen – oft
ausloten. Die Jugendlichen sollten über     ­selber entfernen.                            Strafe genug!

10                 SKP INFO 1 | 2020
JUGENDKRIMINALITÄT

Der Jugenddienst der                                                                  Strasse her. Etliche waren auch schon
                                                                                      bei uns im Büro «zu Besuch», und eini­

Stadtpolizei Zürich
                                                                                      ge sind durch uns auch schon verhaftet
                                                                                      worden. Dennoch ist der Umgang meist
                                                                                      entspannt. Immer wieder kommt es
                                                                                      vor, dass auch bestbekannte Jugend­
Mit einer Vielzahl von Instrumenten begegnet                                          liche auf uns zugehen, uns begrüssen
                                                                                      und von sich aus erzählen, wie es ihnen
der gut vernetzte Jugenddienst der aktuellen                                          geht. Wir treten freundlich und re­
Situation in der Jugenddelinquenz. Dazu gehören                                       spekt­ voll, aber bestimmt auf, bleiben
neben der klassischen Ermittlungsarbeit vor                                           fair, doch sind im Handeln konsequent.

allem Patrouillentätigkeiten bis hin zum                                              Wurde durch uns strafbares Verhalten
                                                                                      festgestellt, werden die Jugendlichen
individuellen Hausbesuch sowie Kriminal­prä­ven­                                      zur Anzeige gebracht. Das wissen sie,
tion und gezielte Interventionen in Schulklassen.                                     darauf können sie sich verlassen, und
                                                                                      dadurch sind wir für sie berechenbar.
                                                                                      Fällt uns in einer Problemgruppierung
Bereits vor über 60 Jahren war die          wichtig­sten Nebengesetzen. Schwerge­     ein unbekanntes Gesicht auf oder be­
Stadtpolizei Zürich zu der Erkenntnis      wichtig sind dies seit Jahren Gewalt­      steht der Verdacht einer Straftat, füh­
gelangt, dass Jugenddelinquenz nicht       delikte wie Raub, Körperverletzung,        ren wir Personen- und Effektenkontrol­
allein mit polizeilicher Repression be­    An­griff, Raufhandel, aber auch diverse    len durch. Dies holt die Jugendlichen
kämpft werden kann. Deshalb gründete       Vermögensdelikte wie Einbruchsdieb­        aus der Anonymität und wirkt allein
sie im Jahr 1959 mit dem Jugenddienst      stähle, Seriendiebstähle und – nicht zu    schon entsprechend präventiv.
die schweizweit erste auf Jugenddelikte    vergessen – auch der Handel mit Be­            In den letzten Jahren hat sich das
spezialisierte Ermittlungsgruppe. Die      täubungsmitteln. Die Ermittlungen ge­      Ausgehverhalten der Jugendlichen sehr
bis dahin rein repressiven Ermittlungs­    stalten sich wegen zunehmender straf­      verändert. Selbst jüngere Jugendliche
tätigkeiten der Kriminalpolizei wurden     prozessualer Hürden und auch aufgrund      bleiben bis weit in die Nacht hinein
nun mit präventiven Patrouillengängen      der beschleunigten Digitalisierung bzw.    draussen. Die Gruppen wurden zudem
des Jugenddienstes ergänzt und die         den riesigen sichergestellten Daten­       grösser und auch durchmischter. Aus­
für den nachhaltigen Erfolg notwen-        mengen aufwändig und zeitraubend.          serdem hat der Konsum von Alkohol
dige Vernetzung mit der Schule und         Aus den Auswertungen der Handys re­        und der Missbrauch von Substanzen
­anderen städtischen Behörden voran­       sultieren dann zusätzlich noch häufig      stark zugenommen. Dies führt zu mehr
 getrieben.                                Zufallsfunde aus verschiedenen Delikt­     Aggressivität, welche sich bei Aus­
                                           bereichen, wie z. B. verbotene Porno­      einandersetzungen untereinander, aber
Ermitteln und patrouillieren               grafie oder Gewaltdarstellungen.           auch in der spürbar feindlicheren Stim­
Hauptaufgabe des heute zwölf Mitar­             Andererseits sind regelmässige        mung gegen die Polizei zeigt. Bei Strei­
beiterinnen und Mitarbeiter umfassen­      ­Patrouillentätigkeiten mit entsprechen­   tigkeiten können die Kontrahenten bei­
den Teams des Jugenddienstes sind           den Kontakten zu Jugendlichen seit        spielsweise per WhatsApp rasch eine
­einerseits die Ermittlungen gegen tat­     Jahren ein wesentliches Element der       Vielzahl von Kollegen zur Unterstützung
 verdächtige Jugendliche bei Vergehen       präventiven Tätigkeiten des Jugend­       herbeirufen. Dieses veränderte Ver­
 oder Verbrechen in sämtlichen Berei­       dienstes. Auf diesen Patrouillen wer­     halten stellt auch unsere Patrouil­  len
 chen des Strafgesetzbuches sowie den       den insbesondere in den Wochenend­        vor neue Herausforderungen. Konnten
                                            nächten, zum Teil aber auch tagsüber,     früher Kontrollen von Gruppen noch
                                            etliche der aktuell brennendsten Treff­   problemlos zu zweit durchgeführt wer­
 Autor                                      punkte von Jugendlichen angefahren        den, muss heute vermehrt Verstärkung
                                            und Rundgänge durchgeführt. Wir ar­       angefordert werden.
 Martin Niederer
                                            beiten zwar zivil, doch wir verstehen
 Chef des Jugend­
 dienstes der Stadt­                        uns nicht als «verdeckte» Fahnder:        Fahndung nach Straftätern und
 polizei Zürich                             «Man kennt sich» einfach gegenseitig,     abgängigen Minderjährigen
                                            oft sogar mit Namen, und auch unsere      Schliesslich gehört zu diesen Patrouil­
                                            zivilen Fahrzeuge sind bei den «Kids»     lengängen auch die aktive Fahndung
                                     zvg

                                            bestens bekannt. Viele der Jugendli­      nach ausgeschriebenen Straftätern
                                            chen kennen wir seit Jahren von der       und abgängigen Minderjährigen, also

                                                                                      SKP INFO 1 | 2020                    11
JUGENDKRIMINALITÄT

                                                                                             braucht es ein ganzes Dorf» – nicht
                                                                                             durch die Polizei alleine gelöst werden.
                                                                                             Dazu ist eine enge Vernetzung mit allen
                                                                                             beteiligten Playern im Jugendbereich
                                                                                             nötig. Der Jugenddienst arbeitet des­
                                                                                             halb mit den verschiedensten städti­
                                                                                             schen Behörden, Heimen, der offenen
                                                                                             Jugendarbeit, Gemeinschaftszentren
                                                                                             und insbesondere auch den Schulen
                                                                                             zusammen und tauscht sich in diversen
                                                                                             fest institutionalisierten Gremien regel­
                                                                                             mässig aus. Besonders eng ist die Zu­
                                                                                             sammenarbeit verständlicherweise im
                                                                                             schulischen Bereich. Die Stadt Zürich
                                                                                             betreibt über 120 Schulhäuser und ist
                                                                                             in sieben politische Schulkreise unter­

                                                                                       zvg
Martin Niederer bei der Präventionsarbeit im Schulunterricht einer 3. Sekundarklasse         teilt. Jedem Schulkreis ist ein Mitarbei­
                                                                                             ter aus dem Jugenddienst zur nieder­
                                                                                             schwelligen polizeilichen Beratung und
nach Entlaufenen, Entwichenen oder          ­ ieser Hausbesuche konnte auch schon
                                            d                                                Absprache bei Problemfällen zugeteilt.
Vermissten. Durch Gespräche mit Ju­         die eine oder andere Verhaltensände­             Dieser nimmt auch am regelmässig
gendarbeitern und auch den Jugend­          rung herbeigeführt werden.                       stattfindenden runden Tisch teil. Dort
lichen selbst eröffnen sich vielfach             Für eine effiziente Bekämpfung der          treffen sich die Vertretungen des Kreis­
neue Ermittlungsansätze in laufenden        Jugendkriminalität ist es unerlässlich,          schulpräsidiums, der Schulen, der
Verfahren.                                  eine gute Übersicht über die aktuelle            Fachstelle für Gewaltprävention, des
     Ab und zu werden dem Jugend­           Lage und vorherrschende Phänomene                schulpsychologischen und des schul­
dienst von der Schule, den Sozialbehör­     zu behalten. Zur Erreichung dieses               ärztlichen Diensts, der Schul­sozial­ar­
den oder auch aus anderen Quellen           Ziels helfen uns neben den Erkenntnis­            beit, des Quartierteams und der Ge­
Hinweise über problematisches Verhal­       sen aus den eigenen Patrouillentätig­             meinschaftszentren, der KESB und der
ten einzelner Jugendlichen gemeldet.        keiten, den Hinweisen aus der Bevölke­            Jugendanwaltschaft sowie des Jugend­
Zum Teil machen wir auf unseren Pa­         rung, den Vernetzungspartnern und                 dienstes. Die Teilnehmer tauschen sich
trouillen auch selbst entsprechende         den Gesprächen mit Jugendarbeitern                über aktuelle Phänomene und Beob­
Beobachtungen. Dies kann im Einzel­-        auch die erstellten Polizeirapporte. Zu           achtungen wie z. B. Littering, Vandalis­
fall zu einem Hausbesuch durch den          diesem Zweck werden alle kriminalpoli­           mus, Lärmklagen oder Belästigungen
Jugenddienst führen. Ziel des Besuchs       zeilichen Rapporte mit beschuldigten             etc. aus und beraten über mögliche
ist, den Jugendlichen auf sein proble­      oder tatverdächtigen Minderjährigen              ­Lösungsansätze zur Verbesserung der
matisches, zum Teil auch gefährliches       zur Weiterleitung an die zuständigen              Situation. Durch die regelmässigen
und strafrechtlich relevantes Verhalten     Untersuchungsbehörden durch den                   Treffen kennt man sich, baut Hürden ab
anzusprechen und die Eltern über die        ­Jugenddienst geprüft und verfügt. Zu­            und kann im Bedarfsfall ­    direkt und
Grenzüberschreitungen ihres Kindes zu        sammen ergibt das ein gutes Bild der             rasch aufeinander zugehen.
informieren. Meist haben die betroffe­       aktuell relevanten Themen sowie der
nen Eltern keine Ahnung, mit wem ihre        Jugenddelinquenz in der Stadt Zürich.           Prävention und Inter­
Kinder in der Freizeit unterwegs sind,       Das wiederum erlaubt es uns, früh­              ventionen in Schulklassen
wo sie sich aufhalten und was sie in         zeitig problematische Entwicklungen             Für die Kriminalprävention ist in der
­ihrer Freizeit so treiben. Oft schildern    zu erkennen und im Bedarfsfall ent­             Stadtpolizei Zürich das eigenständige
 die Eltern dann auch ihre Hilflosigkeit     sprechende Massnahmen in die Wege               Kommissariat Prävention zuständig.
 im Umgang mit der/dem pubertieren­          zu leiten.                                      Deren Schulinstruktoren führen in den
 den Jugendlichen und können von uns                                                         vierten, fünften, siebten und seit die­
 beraten werden, oder es können Hilfe       Enge Vernetzung und                              sem Jahr auch in den achten Klassen
 bzw. Beratungsstellen vermittelt wer­      «runde Tische»                                   der Volksschulen standardmässig Lek­
 den. Entsprechend sind die meisten         Das Problem der Jugenddelinquenz                 tionen zu den Themen «Respekt und
 über den unverhofften Besuch und           kann – ganz im Sinne des alten Sprich­           Regeln», «Sicherheit im Netz», «Recht
 das Gespräch sehr dankbar. Aufgrund        worts «Um ein Kind aufzuziehen,                  im Netz» und «Eure Polizei» durch.

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JUGENDKRIMINALITÄT

Ist in einer oder auch in mehreren           und ausserdem die möglichen jugend­         gehalten und gilt als letzte Warnung vor
Schulklassen bereits kriminalpolizei­        strafrechtlichen Konsequenzen für den       einer Strafanzeige im Wiederholungs­
lich relevantes Verhalten aufgetreten,       Täter aufgezeigt. Je nach Thema wer­        fall. Die Reaktionen der Schülerinnen
welches in der Schule zudem eine             den auch das Opferverhalten bzw. die        und Schüler sowie die Rückmeldungen
spürbare negative Wirkung ausgelöst          Konsequenzen für das Opfer diskutiert.      der Lehrerschaft sind durchwegs gut.
hat, führt der Jugenddienst auf Anfrage      In der Regel ist der Vorfall, welcher die   In den allermeisten Fällen tritt auch
der Schulleitung oder der Fachstelle         Intervention der Polizei ausgelöst hat,     sofort eine spürbare Verbesserung auf,
für Gewaltprävention auch gezielte           allen in der Klasse bekannt. Gewisse        und es spricht sich auch in den Schulen
Interventionen in Schulklassen durch.
­                                            Schülerinnen oder Schüler hatten die­       herum. Die Interventionen des Jugend­
Geeignet für solche Interventionen sind      sen verursacht oder sind direkt davon       dienstes sind denn auch sehr gefragt.
beispielsweise Fälle von (Cyber-)Mob­        betroffen, andere hatten zumindest              Die Arbeitsweise und die ausge­
bing, Vandalismus, Drohungen, klei­          Kenntnis davon. Die Präsentation ist        wählten Instrumente spiegeln die Hal­
nere Diebstähle, das Auftreten von           bewusst nicht mit Lernspielereien oder      tung des Jugenddienstes wieder: Wir
Pornografie und Gewaltdarstellungen          unterhaltsamen Filmen aufgebaut. Wir        haben viel Verständnis für die Jugend­
auf den Handys oder auch wiederholter        wollen explizit nicht als Lehrer oder       lichen und ihre Probleme, wir haben
Be­täubungsmittelkonsum von Schülern.        Pädagogen, sondern als Polizisten           aber keine Toleranz gegenüber ihrem
Im Verlauf einer solchen Intervention        wahrgenommen werden. Deshalb wird           deliktischen Handeln. Wir setzen wo
werden dann ein beispielhafter Fall          die Lektion von einem sichtbar be­          immer möglich Zeichen, um eine posi­
präsentiert, das Vorgehen der Polizei        waffneten Jugenddienstmitarbeiter in        tive Veränderung herbeiführen oder
und der Jugendanwaltschaft erläutert         freundlichem, aber bestimmten Ton           diese unterstützen zu können.

«Mehr Online-Kampagnen
in den Muttersprachen!»
Seit vielen Jahren engagiert sich die Psychiaterin
Dr. Fana Asefaw für Menschen, die in die Schweiz
geflüchtet sind und Probleme mit ihrer Integration
haben. Sie selbst kam Anfang der 80er Jahre als
                                                                                                                                     zvg/Der Landbote, Marc Dahinden
Kind mit ihren Eltern aus Eritrea nach Deutsch­
land. Wenn jugendliche Geflüchtete hier kriminell
werden, ist das aus ihrer Sicht oftmals die Folge
mangelnder Aufklärung und transkultureller
Unerfahrenheit. Ein Interview.
                                                                                         Dr. med. Fana Asefaw

Frau Dr. Asefaw, Sie sind Psychiaterin,      Das hört sich jetzt vielleicht etwas        schon, so kennen sie das. Aber hier
kennen die Probleme der Geflüchteten         merkwürdig an, aber ein bedeutender         werden erst einmal die Personalien
aus erster Hand und arbeiten darüber         Teil meiner Patienten, die kriminell ge­    aufgenommen, dann kommt eine Rech­
hinaus als Beraterin und Coach für           worden sind, ist einfach mit öffentli­      nung, dann eine Mahnung und dann die
­andere Fachleute, Therapeut(inn)en und      chen Verkehrsmitteln gefahren, ohne         Polizei. Ich habe etliche Patienten, auch
 Sozialarbeiter/innen, die an ihre Grenzen   eine Fahrkarte gekauft zu haben. Wenn       einige Patientinnen, die wirklich ins
 kommen. In Bezug auf das Thema              sie in ihrem Heimatort keine Fahrkarte      Gefängnis gekommen sind als Folge
                                                                                         ­
 ­unserer aktuellen Ausgabe, «Jugend-        gekauft haben und erwischt wurden,          des Schwarzfahrens. Die Rechnungen
  kriminalität»: Wie ist die Situation bei   dann hat sie der Kontrolleur einfach        zahlen sie nicht, weil sie die Konse­
  Ihrer speziellen Klientel?                 aus dem Bus geworfen, das war’s dann        quenzen nicht kennen, die Mahnungen

                                                                                         SKP INFO 1 | 2020                     13
JUGENDKRIMINALITÄT

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«Ich kenne wirklich zu viele Geflüchtete, die wegen Nichtbezahlen einer Fahrkarte auf eine kriminelle Schiene geraten sind!»

ignorieren sie ebenfalls, dann sollen        aufmerksam macht. Man denkt bei uns,         Sie tun das einfach nicht. Alkohol ist
sie zur Strafe Sozialdienst ableisten,       das sei doch wohl selbstverständlich,        entweder zu teuer oder gar nicht er­
was sie aber auch nicht machen, weil         doch viele Geflüchtete sagen mir, dass       hältlich, oder er darf aus traditionellen
sie den Grund nicht verstehen, und           sie keine Ahnung hatten, dass bereits        oder aus religiösen Gründen nicht kon­
dann werden sie ins Gefängnis ge­            das Fahren einer kürzesten Strecke           sumiert werden.
steckt. Sie gelten fortan als kriminell,     ohne Fahrkarte zu solchen Konsequen­
haben aber eigentlich nur ein Integra­       zen führt. Ich kenne wirklich zu viele       Es sind ja aber nicht nur Anhänger
tionsproblem, weil man sie nicht ange­       Geflüchtete, die wegen Nichtbezahlen         ­muslimischen Glaubens, um die es geht,
messen aufgeklärt hat, was es hierzu­        einer Fahrkarte auf eine kriminelle           oder?
lande bedeutet, auch nur eine Minute         Schiene geraten sind!                         Nein, bei Christen und anderen ist das
schwarz zu fahren.                                                                         genauso. Es gehört sich einfach nicht,
                                             Welche Probleme gibt es ausserdem?            Alkohol zu trinken. Oft sind ja nicht ein­
 Woran liegt das? Ist das ein                Schwarzfahren ist das eine. Das andere        mal die Grundbedürfnisse gedeckt, es
­Über­setzungsproblem?                       ist die Suchtproblematik, also Proble­        gibt in den Herkunftsländern oft nicht
 Natürlich gibt es immer auch zu wenige      me von und mit Geflüchteten, die hier         mal genug sauberes Wasser und aus­
 Dolmetscher/innen in den Heimen für         damit begonnen haben, Alkohol und             reichend zu essen, wie also soll man
 all die verschiedenen Nationalitäten        Drogen zu nehmen – was sie in ihrer           sich dann gehenlassen mit Alkohol und
 wie z. B. Afghanen, Somalier, Eritreer      Heimat nicht getan haben.                     Drogen? Das sind doch ganz andere
 usw., doch das Hauptproblem ist, dass                                                     Bedingungen als hier. In der Schweiz
 man die Geflüchteten nicht aktiv, ganz      Warum haben sie das in ihrer Heimat           hingegen haben die Geflüchteten oft
 zu Anfang und prioritär auf diese Dinge     nicht getan?                                  keine Beschäftigung, sind frustriert

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JUGENDKRIMINALITÄT

und wollen ihren Stress und ihren           wäre: so stellen sich viele das vor. Und     ehrliches Geld verdienen.» Es geht ein­
Schmerz wegtrinken bzw. mit Drogen          dann sehen sie, dass es gar keine Rolle      fach wieder darum, den Schmerz zu
bekämpfen. Die meisten sind ja auch         spielt, was sie schon können, sondern        bekämpfen.
traumatisiert. Das heisst nicht, dass sie   dass sie erstmal die Sprache lernen
bereits traumatisiert waren, als sie        sollen, ganz theoretisch, mit A1 und A2       Wie könnte man denn aus Ihrer Sicht
sich auf den Weg gemacht haben, im          etc., mit Grammatik und Rechtschrei­          diese Zustände verbessern, am besten
Gegenteil, viele starten voller Hoff­       bung. Das ist ganz schwierig für viele,       mit der Polizei zusammen?
nung, aber durch die Erfahrung der          weil sie dafür gar nicht ausgerüstet          Mit Aufklärung! Man muss die jungen
Flucht werden nicht wenige schliess­        sind. In diesem System versagen etli­         Menschen mit polizeilichen Aufklä­
lich traumatisiert. Jeder Mensch hat        che, speziell wenn sie traumatisiert          rungskampagnen erreichen, und das
andere Resilienzfaktoren, doch ein jun­     sind und keinerlei Vorbildung haben.          muss in all den verschiedenen Mutter­
ger Mensch, der eine Flucht hinter sich     Aber alle müssen da durch, und wenn           sprachen passieren, damit sie das auch
hat und dauerhaft keine Perspektive         sie versagen, sind sie perspektivlos.         begreifen können. Überall gibt es tra­
bekommt, noch dazu in einer Notunter­       Das führt zu Drogen und Alkohol, aber         ditionell unterschiedliche «Selbstver­
kunft untergebracht ist, der wird in der    auch zu kriminellen Handlungen. Und           ständlichkeiten», Gebote und Verbote
Mehrzahl der Fälle traumatisiert. Das       das alles kostet nicht zuletzt viel Geld,     und Tabus, deshalb muss ihnen von
stelle ich immer wieder fest. Ich habe      ohne dass das Ziel der Integration er­        A nfang erklärt werden, welches Ver­
                                                                                          ­
noch keinen erlebt, der gesagt hat, er      reicht wird!                                  halten hier in der Schweiz welche
könne das alles auf die leichte Schulter                                                  Konsequenzen hat. Aber man muss
                                                                                          ­
nehmen.                                     Führt der Kontakt zu Drogen denn auch         auch die Wege aufzeigen, wie man aus
                                            zu Drogenhandel oder Beschaffungs­            Pro­
                                                                                          ­   blemen wieder herausfindet! Also
Mit welchen Erwartungen kommen die          kriminalität?                                 Prävention einerseits und Therapie
jungen Menschen denn in die Schweiz?        Auch das gibt es. Manche werden von          ­andererseits, sozusagen.
Sie haben eine Vision. Sie denken: «Ich     Drogendealern in den Heimen gezielt
komme nach Europa, vielleicht fliesst       angesprochen, in der Art: «Wollt ihr         Aber gibt es nicht schon etliche
da Honig oder auch nicht, jedenfalls        das nicht euren Landsleuten verkaufen,       ­Angebote in dieser Art?
werde ich arbeiten können und Geld          dann könnt ihr Geld verdienen!?»              Ja, es gibt viele Angebote, aber die
verdienen. Ich werde sofort die Mög­        ­Etliche Jugendliche haben mir das so         bringen nichts, wenn sie die Betroffe­
lichkeit bekommen zu arbeiten und da­        berichtet: «Die sind ins Asylheim ge­
                                             ­                                            nen nicht erreichen. Das gilt übrigens
bei die Sprache zu lernen.» Dann ist die     kommen und haben mir das verkauft,           für Inländer genauso wie für Auslän­
Realität aber eine andere: Sie müssen        und ich war so frustriert, und dann hab      der ... Man könnte und sollte multimedial
zuerst erst einmal abwarten, ob sie          ich zum ersten Mal in meinem Leben           viel mehr machen, denn alle haben ein
Asyl bekommen oder nicht, ob sie über­       Marihuana geraucht, und dann haben           Handy, viele haben vielleicht sonst
haupt berechtigt sind zu bleiben, davon      sie mir gesagt, wenn ich das weiter­         nichts, aber grundsätzlich alle haben
hängt alles Weitere ab. Solange sie die      verkaufe, dann kann ich selbst was           ein Handy, mit Facebook usw. Da könn­
Berechtigung nicht haben, dürfen sie         ­umsonst bekommen.» So läuft das.            te man für die Geflüchteten in ihren
eigentlich gar nichts machen. Das ist                                                     Muttersprachen viel erreichen. Denn
frustrierend. Doch auch dann sind die       Ich fasse mal kurz zusammen: Einer-           vieles, was kulturell anders ist, ist
Integrationshürden so hoch, dass viele      seits werden viele Geflüchtete in un­         für viele Geflüchtete auch mit Scham
einfach stolpern. Viele sagen: «Das         nötiger und unverhältnismässiger Weise        verbunden, über manches lässt sich
                                                                                          ­
habe ich mir gar nicht so vorgestellt.      kriminalisiert, einfach weil sie ein paar     schwer sprechen, zumal über das eige­
Ich habe doch schon immer als Mecha­        Grundregeln nicht proaktiv erklärt            ne kriminelle Verhalten. Aber online,
niker gearbeitet, habe doch schon auf       ­bekommen haben, und andererseits             quasi von neutraler Stelle, könnte man
der Flucht immerzu Hilfsjobs gehabt»,        kommen sie in einer Lebenssituation,         frühzeitig darüber informieren, was
oder: «Ich war Maurer, ich kann ein          die von Perspektivlosigkeit geprägt ist,     man tun sollte, was man lassen sollte
Haus bauen», also nicht gelernt, wie         mit Alkohol und Drogen(-delikten) in         und wie man Unterstützung bekommt,
wir’s hier verstehen, aber im prakti­        Kontakt, was sie in ihrer diesbezüglichen    wenn man in Schwierigkeiten geraten
schen Sinne. Oder: «Ich habe immer           Unerfahrenheit schnell dafür ­anfällig       ist. Online-Kampagnen in den Mutter­
genäht zu Hause». Man würde sie              werden lässt.                                sprachen – das würde ich Ihnen sehr
schon einsetzen in genau dem Bereich,        Sie sehen einfach keine Alternative,         empfehlen.
in dem sie Vorkenntnisse besitzen, und       dass sie sagen könnten: «Nein, ich blei­
dann wären sie auch motiviert, die           be lieber anständig, denn ich werde ja      Frau Dr. Asefaw, herzlichen Dank für
Sprache zu lernen, was ja auch sinnvoll      demnächst legal arbeiten können und         das Gespräch!

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