TRAUMABEWÄLTIGUNG IN DER SCHULE - LEITFADEN FÜR
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Manuela Hinterkörner-Wittinghofer März 2023 LEITFADEN FÜR TRAUMABEWÄLTIGUNG IN DER SCHULE „Mutterland“, F. Hinterkörner Trenaum im Tretaumbls Traumsenibl (Schul-)Agtal derKin enztsüru Elernabit Mit welchen Traumen Mögliche Wege, um Vertrauen Die Eltern betroffener werden wir in der pädagogi- zu schaffen und eine tragfähige Kinder sind meist schen Arbeit konfrontiert? Beziehung aufzubauen. „mittraumatisiert“. Seeit 10 Seeit 18 Seeit 26
Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 3 Inhalt „Ei des Kolumbus“, F. Hinterkörner Manuela Hinterkörner ........................................................ 4 orbeugende Maßnahmen, V oV rwort und Einleitung ..................................................... 6 um Kinder zu stärken ............................................... 22 Scham und Schuld .................................................... 24 Traumasensible Elternarbeit ................................. 26 elbstreexion: Wie gehe ich als Lehrerin S oder Lehrer persönlich mit dem Thema „Trauma“ um? .............................................................. 28 bererregung ................................................................ 15 Selbstregulation ......................................................... 30 GENDERERKL˜RN U G Dissoziation ................................................................... 16 Erstarren ......................................................................... 71 Anhang Im Sinne der besseren Lesbarkeit verwende ich bei personenbe - zogenen Bezeichnungen, die sich zugleich auf Frauen und Män - ner beziehen, zumeist nur die im Deutschen übliche männliche Form. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
Seite 4 I Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 5 Manuela Hinterkörner Manuela Hinterkörner-Wittinghofer 2022/2023 absolviert sie den Diplomlehrgang bei „proges“ (Linz) in Kooperation mit dem Verein „Nordlicht“. Der vorliegende Leitfaden entstand im Zuge der Abschlussarbeit. Er soll praktische Anregungen geben und Pädagogen Methoden und Ideen anbieten, um eine traumasensible Haltung zu entwickeln und auf entsprechende Situationen in der Praxis angemessen reagieren zu können. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Franz Hinterkörner, der seine Kunstwerke für die Gestaltung des Leitfadens zur Verfü - gung stellte. Manuela Hinterkörner W „ eg zur Mitte“ Schöndorf 14a 4193 Reichenthal
Seite 6 I Vorwort und Einleitung Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 7 Manuela Hinterkörner / Autorin Vorwort und Einleitung „E in Trauma ist die am meisten vermiedene, Seit 1994 bin ich Sonderschullehrerin in verschiedensten ignorierte, verleugnete, Bereichen. Dabei sind mir immer wieder Kinder begegnet, missverstandene und aus deren Verhalten ich nicht schlau geworden bin. unbehandelte Ursache “ „Hügelland (Zyklus)“, F. Hinterkörner menschlichen Leidens.“ (Peter Levine) U m „unliebsame Verhaltensweisen“ abzuklären, werden Eltern oft - Probleme in der Schwangerschaft, Alkoholgenuss, schwierige Geburt, ein Ge - mals dazu angehalten, Psychologen bzw. Psychiater aufzusuchen. burtsfehler, zu strenge Eltern, zu wenig strenge Eltern, der Kindergarten, der Befunde geben tieferen Einblick in das Verhalten des Kindes, Vater, die Mutter, die Großmutter, die Nachbarin, die Schule, der Lehrer, die und mit den empfohlenen Maßnahmen kann erfolgreich weitergearbeitet Pädagogin … werden: Ergotherapie, Logopädie, Reittherapie, Klettertherapie, Legasthenie - training, Arbeit mit frühkindlichen Reflexen … es gibt viele Möglichkeiten, ein Die Problematik ist komplex und hat in vielen Konferenzzimmern und El - Kind zu unterstützen, damit es im Schulsystem optimal lernen kann. terngesprächen schon zu heißen Diskussionen und verletzenden Aussagen geführt. Eltern und Lehrer sind oft beruhigt, wenn eine Diagnose gestellt ist: Endlich gibt es eine Antwort auf die Frage, warum sich ein Schüler soverhält, wie er sich Ich denke, dass es notwendig ist, auf jedes Kind (und dessen Umfeld) indivi - eben verhält. Damit ist das Umfeld erst mal zufrieden, auf die Defizite wird ein - duell einzugehen. Und zwar auf eine sehr sensible, wertfreie Art und Weise gegangen, indem außerschulische Unterstützungsmaßnahmen in Anspruch – ohne Schuldzuweisungen und ohne Beleidigungen! genommen werden. Auf alle Fälle wird das Verständnis für das Kind in dieser Phase größer. Falls diese Maßnahmen nicht die gewünschten Ergebnisse bringen , In dieser Broschüre geht es nun – wie der Titel schon sagt – um das Thema probieren es suchende Eltern häufig mit „alternativen“ Methoden: Familien - T„ rauma“. Trauma ist eines von vielen Erklärungsmodellen. Es erklärt ein aufstellungen, rC aniosacraltherapie, Hypnose, Kinesiologie … Die Liste ließe vorher nicht erklärbares bzw. nicht verstandenes Verhalten und führt dazu, sich endlos fortsetzen. Meistens können Erfolge und Verbesserungen verzeich - „anders“ – bestenfalls offener und verständnisvoller – damit umzugehen. Das net werden. fO t gilt es allerdings auch Grenzen zu akzeptieren. Manchmal geht eine oder andere Licht ist uns schon aufgegangen, wenn wir erfahren haben, es an die U„ rsachenforschung“: Wer oder was hat dazu beigetragen, dass das dass ein Kind traumatisiert ist. Allein dieses Wissen verändert den eigenen Kind dieses und jenes Verhalten an den Tag legt? Wer oder was hat S „ chuld“? Blickwinkel. Mit unserem geänderten Verhalten ändert sich auch oft „plötz - lich“ das Verhalten der Menschen in unserem Umfeld . Das ist ein faszinieren - des Phänomen. In der Folge stelle ich verschiedene Möglichkeiten und Lösungsansätze dar, Im Laufe der Jahre ist mir immer klarer geworden, dass um ein Gefühl für traumasensiblen Umgang mit Kindern in der Schule zu bekommen, adäquat handeln und entsprechend reagieren zu können. Prakti - traumatische Erlebnisse nicht außer Acht zu lassen sind, sche Beispiele aus dem Alltag untermauern die Erkenntnisse. da sie natürlich Einuss auf das Verhalten von Menschen “ haben, aber nicht immer als Ursache erkannt werden.
Seite 8 I 01 Definition und Arten Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 9 Ein Schocktrauma ist wie ein falschfarbiger Faden in einem sonst gut gewebten Teppich. Zieht man ihn heraus, ist der Teppich immer noch in rO dnung. Bei einem Entwicklungstrauma müsste man so viele Fäden ziehen, dass sich der Teppich in Form und Farbe verän - dern würde. Durch langanhaltenden Stress prägen sich das gesamte Weltbild und Selbstbild eines Menschen vollkommen anders und tiefgreifender als durch einen Schock (…) Unter einem Schocktrauma verbergen sich “ auch meistens Entwicklungstraumata. (aus Dami h C arf: „Auch alte Wunden können heilen“) „Hügelland (Zyklus)“, F. Hinterkörner 01 Denition Zum Überbegriff Komplextrauma zählen auch und Arten Entwicklungstrauma und Bindungstrauma: Entwicklungstrauma: Bindungstrauma: Hierbei handelt es sich um Verletzungen, frühe Verlusterfah - eW nn in sensiblen Lebensphasen der Kindheit rungen, auch vorgeburtliche Traumatisierungen, Vernachläs - Traumatisierungen passieren, welche die Bin - Das Wort „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet W „ unde“. sigung und Misshandlungen, die sich auf die Entwicklung des dung zwischen dem Kind und der Bezugsperson Es erfolgt eine mögliche Einteilung verschiedener Arten „seelischer uW nden“, wel - Kindes auswirken. Diese sind sehr weit verbreitet. Dabei geht betreffen, kann das die Bindungsfähigkeit nach - che voneinander nicht immer eindeutig abgegrenzt werden können, von denen es nicht um ein einschneidendes Erlebnis, sondern um eine haltig beeinträchtigen. ich aber glaube, dass sie für die tägliche Arbeit in der Schule von großer Bedeu - Reihe von „kleinen“ Ereignissen (Stimmungen in der Familie, tung sind: ständige Belastungen, immer wiederkehrende Muster )… , wel - Beispiele: che sich jedoch für Kinder nicht klein, sondern lebensbedroh - ff eV rlust eines Elternteils oder eine für das Kind Schocktrauma (Monotrauma): lich anfühlen. lebensbedrohliche Geburt (muss aber kein Ent - Landläufig versteht man unter Trauma ein „Schocktrauma“, also einmalige, über - Frühe Traumatisierungen beeinträchtigen nachweislich die wicklungstrauma werden, wenn eine Bezugs - wältigende, grausame Erlebnisse wie zum Beispiel als Opfer oder Zeuge von Ge - Hirnentwicklung und wirken sich vielschichtig auf die psychi - person die Stelle des Elternteils einnimmt) waltverbrechen, (Natur-)Katastrophen, Unfall, Krieg, eV rgewaltigung, Folter, eV r - sche und physische Entwicklung eines Kindes aus. Die Folgen ff M isshandlungen durch Eltern lust eines geliebten Menschen oder gravierende medizinische Diagnosen und sind oft falsch interpretierte Symptome, die mit Emotions- Eingriffe. regulation und Beziehungsverhalten zu tun haben. Kinder mit frühen Traumatisierungen haben oft Schwierigkeiten, sich zu iW e lange Traumareaktionen nachwirken, ist Komplextrauma (sequenzielles Trauma): regulieren, sich zu konzentrieren und mit anderen Menschen sehr individuell, daher möchte ich keine zeitliche Mit Komplextrauma meint man meist frühe Traumatisierungen, bei denen Stress zurechtzukommen. Ebenso können sich medizinisch unerklär - Eingrenzung vornehmen. Die Grenzen zwischen durch andere Menschen über einen längeren Zeitraum hindurch ausgelöst wur - liche Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen, Schlafstörun - den Trauma-Arten sind fließend. de. Dies umfasst zum Beispiel das Erlebnis emotionaler oder sexualisierter Gewalt gen oder Überempfindlichkeiten entwickeln. Betroffene Kin - durch Bindungspersonen, emotionale oder körperliche eV rnachlässigung, fehlen - der leiden häufig unter Bindungsstörungen, Trennungsangst, den Schutz, frühe Bindungsabbrüche, Mobbing, Kriegs- und Fluchterlebnisse. Depressionen, ADHS oder gelten als v„ erhaltensauffällig“.
Seite 10 I 02 Trauma-Arten im (Schul-)Alltag Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 11 02 Trauma-Arten im (Schul-)Alltag Welche Traumen begegnen uns im (Schul-)Alltag? Covid-19-Pandemie: Das Coronavirus mit all seinen Auswirkungen ist auch als kollekti- Schwere familiäre Belastungen: ves Trauma zu bezeichnen! ff Scheidung » Kinder leiden unter den Diskussionen rund um das polarisierende ff Adoption Thema Corona: Es verunsichert Kinder sehr, wenn ihre Bezugsper- ff Vernachlässigung sonen – zum Beispiel in der Schule und zu Hause – unterschiedli- ff Krankheit cher Meinung sind. Es belastet besonders jene, deren Eltern gegen ff Alkoholismus das System und die herrschenden Maßnahmen argumentieren, ff und so weiter ... während sie sich in der Schule an die geltenden Bestimmungen halten müssen. Tod und Sterben: » Fehlende Sozialkontakte aufgrund von Homeschooling und Kon- ff Todesfälle im Familien- und Freundeskreis taktbeschränkungen. Die Kinder mussten viel Zeit in häuslicher ff Tod einer Bezugsperson (Lehrerin, Nachbar ...) Enge und Isolation verbringen. ff Tod eines Kindes im Umfeld (Krankheiten, Unfälle, » Maskenpflicht, Hygiene- und Abstandsregeln beeinträchtigten Suizide …) das tägliche Miteinander. » Es herrschte ein Ausnahmezustand, da Angst und Unsicherheit in Krieg/Flucht: der Bevölkerung verbreitet wurden. Der Zustand wurde teilweise Zahlreiche Flüchtlingskinder aus Kriegs- und Krisen- medial verstärkt. Menschen hatten Angst zu erkranken bzw. eine gebieten besuchen in Österreich die Schule. Zum Teil Risikoperson im näheren Umfeld anzustecken. mussten sie unter tragischen und lebensbedrohlichen Umständen ihre Heimat verlassen. Folgende Belastun- Sonstige erschütternde Erfahrungen: gen sind damit verbunden: » Übergriffe (körperlich, sexuell, psychisch) ff Erlebnisse im Herkunftsland und auf der Flucht » Umweltkatastrophen ff Trennung von Familie und Freunden » Katastrophenberichte in Medien ff Tod von Angehörigen » Gewalt in Filmen und Medien, die für Kinder nicht geeignet sind ff Asylsuchende wohnen in notdürftigen Unterkünften und warten auf den unbestimmten Ausgang ihres Asylverfahrens ff Angst vor Verfolgung und Abweisung „Baumgeister“, F. Hinterkörner
Seite 12 I 03 Dissoziation – Flashback – Trigger Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 13 03 Dissoziation – Flashback – Trigger Durch ein Ereignis, welches man in seiner ganzen Wucht nicht verkraften würde, kommt es zu einer Dissoziation , das heißt Aufspaltung bzw. Fragmen - tierung in einzelne Teile und Verschiebung ins Unterbewusstsein, damit es aushaltbar wird. Wenn keine Kampf- oder Fluchtreaktion möglich ist, ist die Dissoziation daher lebensrettend. Merkmale einer Dissoziation können beispielsweise sein, dass die Person am ganzen Körper oder in ihrer Mimik erstarrt, Blässe oder rote Flecken im Ge - sicht und am Hals sichtbar werden, Kiefermuskeln verhärten, Augäpfel nach oben gedreht sind oder die Person gedanklich wegdriftet, ihre Umwelt nicht mehr bewusst realisiert, sich nicht mehr spürt und das Gefühl hat, „neben sich zu stehen“. Ein Nachteil dieser Dissoziation ist, dass Erinnerungsfragmente präsent blei - ben und jederzeit aufflammen können, wenn ein Reiz sie aktiviert. Dies nennt man Flashback . „Boote im Hafen“, F. Hinterkörner Jan Gewisse Sequenzen werden durch einen Auslöser im Außen aktiviert, dies sind die sogenannten Trigger. Im Schulalltag können dies sein: 5 Jahre Fallbeispiel aus der Praxis » Eine bestimmte Handbewegung (z. B. des Lehrers) » Gerüche, die mit dem traumatischen Geschehen assoziiert werden » Geräusche (z. B. Feueralarm, Knall, Stimmen …) Der 5-jährige Jan hatte große Schmerzen. Erst nach er schien sich gegen den Schlaf zu wehren. Die Mü - » Berührungen, die mit dem Erlebten zusammenhängen geraumer Zeit wurde klar, dass es sich um eine Blind - digkeit triggerte ihn, sie erinnerte ihn unbewusst an » Ähnlichkeiten mit Personen, die Täter waren darmentzündung handelte. Da brach der Blinddarm die Narkose und das traumatisierende Ereignis im (z. B. körperliche Merkmale, ein Bart, eine Brille ...) schon durch, und Jan musste notoperiert werden. In Krankenhaus. » Körperliche Schmerzen seinem schmerzvollen Zustand wurde er von seinen Mit der liebevollen Präsenz der Eltern konnte sich das » Bilder (z. B. Gebäude, Tiere, Farben, ein Kleidungsstück …) Eltern getrennt und einer Narkose ausgesetzt. Stressmuster bei Jan zurückentwickeln, sodass Jan die Nach der Operation zu Hause bemerkten die Eltern, Kontrolle aufgeben und sich wieder beruhigt in den Es ist notwendig, das Kind diesbezüglich gut zu beobachten, da es unmöglich dass Jan nicht mehr entspannt einschlafen konnte, Schlaf fallen lassen konnte. ist, alle Trigger vorherzusagen. Hilfreich sind vertrauensvolle, traumasensible Gespräche – unter Einhaltung der Schweigepflicht –, um so viel wie möglich über die Geschichte des Kindes in Erfahrung zu bringen.
Seite 14 I 04 Mögliche Verhaltensweisen nach traumatisierenden Erlebnissen Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 15 Anna- 04 Mögliche Verhaltensweisen nach traumatisierenden Erlebnissen Fallbeispiel aus der Praxis lena 10 Jahre Die 10-jährige Annalena verweigert immer häuger Die Lehrenden müssen wissen, dass das Kind mit sei - den Schulbesuch und spricht in der Schule mit nie - nem Verhalten nicht provoziert, sondern nicht anders mandem. In der Pause und in der Freizeit hört man sie kann und selber darunter leidet. In geduldiger und mit der Mama in ihrer Muttersprache sprechen. Das sensibler Elternarbeit muss ein Vertrauen zu Mutter verwirrt die Mitschüler und auch die Lehrer, manche und Kind gefunden werden, ohne dass man vielleicht denken, dass sie einfach nicht sprechen möchte, und jemals Details über die Erlebnisse erfährt, denn diese Bei Gefahr reagieren wir reflexhaft, was unser Ob das Kind in belastenden Situationen Symptome oder ärgern sich über Annalena. Tatsächlich hat sie in der sind im Augenblick nicht wichtig. Ohne Vorwürfe, mit Überleben sichern soll. Traumafolgestörungen entwickelt, hängt von der indi - Heimat Dinge erlebt, über die sie nicht sprechen kann viel Verständnis und Geduld müssen individuelle Lö - viduellen Resilienz, den bisher gemachten Lebens- bzw. und über die auch ihre Mama nicht spricht. Beide sind sungswege gefunden werden. Annalena soll zu ihrer nU sere Instinkte übernehmen das Steuer. Durch Er - Bindungserfahrungen, dem Umfeld und den unmittelbar traumatisiert. Beide brauchen professionelle Unter - Lehrerin wieder Vertrauen aufbauen, um Schritt für schrecken kontrahiert die Muskulatur, der Körper darauf folgenden Reaktionen der Erwachsenen ab. stützung. Wir nden eine Therapeutin, die ebenfalls Schritt am Unterricht teilnehmen zu können. streckt sich und orientiert sich in Richtung Geräusch. die Sprache der beiden spricht. iW r werden hellwach und hochkonzentriert, um fest - Nicht immer ist eine eindeutige Symptomatik erkennbar. zustellen, ob die Situation tatsächlich gefährlich ist Oftmals werden betroffene Kinder als „lästig“, „auffällig“, oder ob wir uns wieder entspannen können . „unkooperativ“, „unerzogen“ oder „krank“ bezeichnet. Die Reflexe, die zu unseren berlebensmechanis - Menschen reagieren auf Traumaerlebnisse unterschied - .. ÜBERERREGUNG: F „ IGHT“ KAMPF Hilfreiches Verhalten: men gehören, laufen blitzschnell und automatisch lich. Drei typische Reaktionen mit Anleitungen zu einem Sorge für Beruhigung! ab. Der Körper wird auf die Notfallsituation vorbe - hilfreichen Verhalten in der jeweiligen Situation werden In einer bedrohlichen Situation reagiert der Organismus mit reitet. Auf Dauer sind diese Stressreaktionen sehr auf den folgenden Seiten näher beschrieben: Kämpfen oder Angreifen. Bei Kindern und Jugendlichen kann Ruhe bewahren belastend und nicht gesund. Eine Traumatisierung sich das folgendermaen äuern: oV rsichtiges, leises Ansprechen, sanfte bedeutet, dass der Körper aus einer Schrecksituation ff bererregung: „fight“ – Kampf Stimme, beruhigende oW rte nicht mehr herausfindet. ff Dissoziation: „flight“ – Flucht ff Rebellisches Verhalten (provokativ und beleidigend) Kontakt herstellen: Kind beim Namen ff Erstarren: „freeze“ – Ohnmacht ff Sexualisiertes bzw. promiskuitives Verhalten nennen, Blickkontakt herstellen, auf ff Flashbacks: pltzlich auftauchende Gefühle, die das Kind das Er- Augenhöhe ansprechen (vor das Kind eignis noch einmal erleben lassen, ausgelst durch Trigger (Reize, knien) die an das Trauma „erinnern“). Dies kann heftige Krperreaktionen Achtsam berühren, Körperwahrneh - hervorrufen (Zittern, Weinen, Schreien ) mung anregen, berkreuzbewegung ff ADS und ADHS (knnen erwiesenermaen von einem Trauma eV rschiedene Sinnesorgane anspre - verursacht werden) chen (Geräusche, Gerüche, Gegen - ff Aggression (kann auch aus einer übergroen Angst entstehen) stände suchen, Getränke oder Essen ff Wutausbrüche anbieten, Stofftier streicheln ) ff Selbstverletzendes Verhalten (mit dem Kopf gegen die Wand, Einfach da sein und Sicherheit Wichtig zu wissen ist, Fingernägel beien, an den Haaren reien, ritzen ) vermitteln dass nicht jedes Kind ff Konzentrationsprobleme (nicht bei einer Sache bleiben knnen) In Bewegung kommen, einfache in belastenden Situa - ff Nervosität und Sprunghaftigkeit v ( on einem Zustand in den Arbeitsaufträge, Ablenkung tionen Symptome oder anderen schwanken, was in ausgeprägter Form unter Umständen Ortswechsel (hinaus aus der Klasse, Traumafolgestörungen als manisch-depressive oder bipolare Strung diagnostiziert wird) in den Schulgarten ), Rückzugsort entwickelt. ff Schlaflosigkeit oder frische Luft “ ff Angespanntheit und Arbeitssucht (nicht entspannen knnen) Psychoedukation: Dem Schüler sagen, ff Suche nach dem Adrenalinkick (Risikoverhalten) dass er sich in einem Zustand befindet, ff Selbstmedikation mit allem, was beruhigt der wieder vorübergehen wird „Hutträger“, F. Hinterkörner
Seite 16 I 04 Mögliche Verhaltensweisen nach traumatisierenden Erlebnissen Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 17 Ali 12 Jahre Fallbeispiel aus der Praxis Der 12-jährige Ali ist mit seiner Mutter und mit der jün - seinem Verhalten, sie zeigt großes Verständnis dafür geren Schwester aus der Ukraine geüchtet, der Vater und baut eine echte Beziehung mit ihm auf. Sehr be - ist in der Heimat geblieben. Was er bei dieser Flucht hutsam integriert sie ihn immer wieder in den Unter - alles erlebt hat, wissen wir nicht. Während des Unter - richt. Mit ihrem klaren und ritualisierten Unterricht richts starrt er oft gedankenverloren aus dem Fenster. sorgt sie für Stabilität. Für Alis Anliegen hat sie immer Er kann sich schwer konzentrieren und zeigt nur ein ge - ein oenes Ohr. Die Lehrerin hat immer ein Auge auf ringes Interesse am Unterrichtsgeschehen. Manchmal den Schüler, damit sie mögliche Dissoziationen oder wirkt er frustriert und ängstlich. Seine Lehrerin kennt Trigger behutsam abfangen kann, indem sie Ali hilft, den Zusammenhang zwischen seiner Geschichte und sich zu regulieren. „Essenzen der Liebe“, F. Hinterkörner .. DISSOZIATIO:N F „ LIGHT“ FLUCHT .. ERSTARREN: F „ REEZE“ OHNMACHT Das Stammhirn entscheidet sich für das Flüchten,eV rmeiden,eW g- Hilfreiches Verhalten: Achte darauf, eW nn wir der Gefahrenquelle nicht mehr ausweichen können, kann Hilfreiches Verhalten: laufen, für Ablenken oder für Suchtmittel („innerlich fliehen“). Bei im Hier und Jetzt zu sein! das eine Ohnmacht auslösen und uns erstarren lassen. Dieser Tot - Bringe die Person in Bewegung! Kindern und Jugendlichen kann sich das folgendermaen äuern: stellreflex ist aus dem Tierreich bekannt: bewegungslose Körper wer - Zusätzlich zu den oben angeführten den übersehen oder uninteressant, weil sie für tot gehalten werden. Präsenz zeigen ( „Ich bin für dich da!“ ) ff Schwierigkeiten beim Sprechen, Sprechverweigerung: eV rhaltensregeln kann Folgendes hilf - Für Menschen hat diese Reaktion schwerwiegende Folgen. Sie ist mit Kontakt herstellen: Kind beim Namen (selektiver) Mutismus reich sein: einer Dissoziation verbunden, das heißt, der Geist koppelt sich vom nennen, Blickkontakt herstellen, sich ff bergroe ˜ngstlichkeit oder Angst und Panikattacken Körper ab, ähnlich einer Nahtoderfahrung. Erfahrungen, die unser auf Augenhöhe begeben (z. B. Angst vor Dunkelheit, Tieren ) Sich in der Realität orientieren berleben bedrohen, können später zu posttraumatischen Sympto - Berührungen sensibel anbieten ff berempfindlichkeit (psychisch/physisch); (Welcher Tag ist heute? Gegen- men führen, die der Körper immer wieder wählt, wenn eine (auch Ansprechen: „Ich merke, dass du vieles auf sich selbst beziehen stände zeigen und beschreiben, nur subjektiv empfundene) Gefahr droht. Diese Reaktion schützt vor Stimmt das?“ ff Traurigkeit, depressive Verstimmungen, Depression nach der Uhrzeit fragen usw.) den schrecklichen Gefühlen, die mit dem Ereignis verbunden sind. Bewusst atmen (miteinander, gleich - ff Schüchternheit (Kind mag nicht alleine sein, braucht immer seine Geduld und Präsenz ausstrahlen zeitig, gleichmäßig atmen) Bezugsperson, traut sich wenig zu ) Klar und bestimmt auftreten Mögliche Symptome: Zählen (110, 10)1 ff Beeinträchtigte Bindungsfähigkeit Sicherheit schaffen und vermitteln » Bettnässen oder Einkoten Dinge, Farben etc. benennen ff Konzentrationsprobleme und Leistungsstrungen » Erhöhte Schreckhaftigkeit Ortswechsel (hinaus aus der Klasse, G ( rundbedürfnisse sind nicht gestillt, Organismus ist im ber- (bei Geräuschen, plötzlichen Bewegungen ) ins Freie ) lebensmodus und kann sich nicht auf Lerninhalte konzentrieren) » bertriebene Anhänglichkeit, Anklammern an Eltern, Bewegung (laufen, Stiegen steigen ) ff Nicht erreichbar sein, in Tagträume oder Fantasiewelten flüchten Schulverweigerung Leise und ruhig sprechen ff Entwicklungsrückschritte » Probleme mit dem Essen (zu viel, zu wenig ) Starke Sinnesreize setzen (z. B. kaltes (z. B. Daumenlutschen, schon Gelerntes wieder verlernen ) » Nicht auffallen wollen Tuch auf den Arm legen, hohe oder ff Traumatische Erlebnisse werden unbewusst immer wieder nach - » Somatisierung (psychosomatische Beschwerden wie schrille Geräusche erzeugen ) gespielt oder gezeichnet: ein Versuch, das Erlebte zu verarbeiten Kopfschmerzen, Bauchweh, Hautprobleme ) » Depression, ein Gefühl von Sinnlosigkeit » Sich „anders“, alleine und abgeschnitten fühlen » Schuld- und Schamgefühle » Starrer Blick » Rückzug
Seite 18 I 05 Mögliche Unterstützung bei traumabelasteten Kindern Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 19 Traumatisierte Kinder brauchen Beziehungen, um Selbst - regulierung erlernen zu können, es fällt ihnen jedoch noch schwer, normale Beziehungen einzugehen. Daher liegt es an uns, vorsichtig in Kontakt zu treten, Vertrauen zu schaf - fen und eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Wenn das Kind über ein belastendes Thema reden möchte: zuhören, oen sein, jedoch nur beantworten, was das Kind fragt – “ eher weniger als mehr. „Neuland“, F. Hinterkörner 05 Mögliche Unterstützung bei traumabelasteten Kindern Ressourcenorientierte Fragestellungen im Dialog mit dem Kind: »W as macht dir Freude? Was hat dir früher Freude gemacht? »W elches Verhalten von jemand anderem hat dir geholfen? »W as ist dir in der letzten Woche besonders gelungen? Schule soll ein „sicherer Ort“ mit geordneten Strukturen und vertrauens - »W elche Personen, Orte oder Dinge bringen dir Ruhe oder Hilfe? würdigen Bezugspersonen sein. Dazu gehören verlässliche Beziehungsange - »W as würde dein bester Freund sagen, was du besonders gut kannst, was bote wie fixe Sprechzeiten und die Einhaltung der gewohnten Tagesabläufe. dich besonders auszeichnet? Auch Rituale und Feiern geben Sicherheit, Struktur und Halt, bieten aber »W ann warst du das letzte Mal stolz auf dich? auch Gelegenheit, über verschiedene Themen zu sprechen. »W elche von deinen Fähigkeiten würdest du gerne noch weiter ausbauen? »W as sollte in der nächsten Stunde passieren, damit du zufriedener bist? Im Schulalltag bieten sich folgende Hilfsmittel an: »B enenne drei Dinge in deinem Leben, für die du dankbar bist. »R ollenspiele (Gefühle stellvertretend benennen) »W as wäre ein erster kleiner Schritt in die Richtung, in die du gehen möchtest? »K reatives Gestalten (Malen, Zeichnen )… »B enenne ein paar konkrete Situationen, in denen du dich (zumindest ein » „No tfallkoffer“ in der Klasse: Sorgenpüppchen, Sorgenfresserchen, wenig) so verhalten hast, wie du das gerne magst. Massagebälle, Bilderbücher … »S chätze auf einer Skala von 0 bis 10 ein, wie gut es dir zurzeit gelingt, » Üb ungen für den Selbstwert (dieses oder jenes) umzusetzen. »S piele und Übungen mit Gefühlen (erkennen, lesen können, benennen) »W as sind erste kleine Anzeichen, an denen du merkst, dass es dir etwas »R egelmäßiges Essen und Trinken besser geht? Was sehen, hören oder bemerken dann andere an dir? »K örperliche Aktivitäten »W ie belohnst du dich für ein Verhalten oder einen Zustand, mit dem du »M editation, oY ga, Entspannungsübungen funktionieren bei traumati - zufrieden bist? sierten Menschen nur bedingt: Sie können sich nicht darauf einlassen »W as hat dir in der Vergangenheit geholfen? und entspannen, da sie ständig in Alarmbereitschaft sind und sich nicht »B ei welchen Problemen würdest du um Hilfe bitten, bei welchen nicht? sicher fühlen.
Seite 20 I 05 Mögliche Unterstützung bei traumabelasteten Kindern „Einkorn“, F. Hinterkörner Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 21 Lukas 11 Jahre Fallbeispiel aus der Praxis Der 11-jährige Lukas el schon in der Volksschulzeit In der Mittelschule wurden die Probleme wieder akuter, auf: Er konnte sich schwer konzentrieren und benahm und die Mutter wurde erneut in die Schule eingeladen. sich unpassend, indem er alles hinterfragte, häug Man erfuhr, dass es zahlreiche Bindungsabbrüche mit widersprach, Machtspiele inszenierte und provozier - dem leiblichen Vater und diversen Stiefvätern gab. Ein te. Um der Sache auf den Grund zu gehen, wurde die Stiefvater hatte Lukas – ohne das bewusste Wissen der alleinerziehende Mutter gebeten, ein psychologisches Mutter – schwer misshandelt, indem er ihn fesselte, Gutachten erstellen zu lassen, in welchem ADS und einsperrte und kalt abduschte. In einem Gespräch mit Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen diagnosti - der Betreuungslehrerin konnte die Mutter das Aus - ziert wurden. Seine Intelligenz befand sich im Norm - maß der Ereignisse begreifen und betrauern. Die Zu - Generell gilt: bereich. Das Kind bekam intensive Ergotherapie und sammenhänge mit den traumatischen Erfahrungen » Zeit lassen und Ruhe bewahren eine psychologische Betreuung. Beides brachte sehr von Lukas wurden nun klar, und so konnten ihm auch » Augenkontakt mit dem Schüler/der Schülerin halten wenig, weil – laut Mutter – der Junge nicht mitarbeiten die Lehrerinnen und Lehrer verständnisvoller begeg - » Klar, bestimmt und geduldig sein wollte. nen. Zu einem geeigneten Zeitpunkt wurde für Lukas » Für Ruhe und Entspannung sorgen die passende Therapieform gefunden. » Aktives, interessiertes Zuhören Folgende Handlungsansätze sind in der Schule hilfreich: Notwendige Hilfen nach einer Traumatisierung Neue Autorität: „Ich bin da und ich bleibe da, komme was wolle.“ Manchmal Das Kind braucht … genügt es, einfach nur anwesend zu sein. (siehe Anhang Literatur: „Neue … einen sicheren Ort Autorität in der Schule“) … liebevolle und vertrauenswürdige Erwachsene Intuitive Handlungen: Hineinspüren, was jetzt genau dieses Kind brau - … einen Platz, um zur Ruhe zu kommen chen knnte, um sich wohl und sicher zu fühlen (z. B. Berührung, keine … Stabilität und Struktur Berührung?) … Spielangebote Beratung: Im Beratungsgespräch ist es überaus frderlich, den Betroffenen … Zeit und Geduld mit Offenheit zu begegnen und sie nicht zu beurteilen. Der Fokus liegt auf … Normalität positiver Krisenbewältigung. Die Sprache soll klar und einfach sein. … nach Bedarf therapeutische Angebote Psychoedukation: Man versucht, die Fakten so zu übersetzen, dass sie von den Betroffenen gut verstanden werden knnen. Selbstfürsorge und Austausch: Wichtige Gesprächsregeln: Keine Konfrontation mit dem Trauma-Thema, » Hilfe und Unterstützung holen – für das betroffene sondern für Stabilisierung sorgen. Nicht „bohren“! Die Traumabearbeitung Kind, die Schulkollegen und sich selbst (siehe ist der Psychotherapie vorbehalten. „Anlaufstellen“) Krisenintervention: Ich verschaffe mir einen berblick und organisiere im » Möglichkeiten zur Reflexion – im kollegialen Kreis akuten Fall sofortige Hilfe. Ich sorge für ein Sicherheitsgefühl. Ich decke ba - oder auch professionell (Supervision, Intervision, sale Bedürfnisse ab (trinken, essen, frieren, schwitzen, Privatsphäre ). Ich Selbstreflexion, Therapie – siehe Anhang) beruhige, hre zu und bin da. Ich plane weitere Unterstützungsmglichkei- » Sich eigene Traumen bewusst machen, damit es nicht ten. Wenn es notwendig ist, verständige ich die Rettung oder die Polizei. zu Übertragungen kommt; das heißt: eigene Emotionen Biografiearbeit: Gemeinsam mit dem Kind beschäftigen wir uns mit den reflektieren, die eigene Geschichte aufarbeiten und sich prägendsten Stationen des bisherigen Lebens. gegebenenfalls therapeutische Unterstützung holen Individuelle Lösungen: e J des Kind ist anders, jedes Trauma braucht etwas » Austausch, Vernetzung und Bündnisse pflegen anderes. » Weitergeben, was sich bewährt hat, damit andere Lehrende von den Erkenntnissen profitieren
Seite 22 I 06 Vorbeugende Maßnahmen, um Kinder zu stärken Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 23 Typische Reaktionen traumatisierter Kinder » Anna hat Bauchschmerzen, ihr ist andauernd schlecht. » Rosi leidet unter Rückenschmerzen und kann sich kaum auf dem Stuhl halten. » Pia kann ihre Schulsachen nicht in rO dnung halten: Sie sind zerfleddert, die Hefte sind vollgekritzelt und unsortiert. » Tim ist dauernd müde, kann sich nicht konzentrieren. » Paul ärgert seine iM tschüler dauernd: Er zwickt sie, “ nimmt ihnen Dinge weg, obwohl er selbst alles hat. „Sommergräser“, F. Hinterkörner 06 Vorbeugende Maßnahmen, um Kinder zu stärken Welche Möglichkeiten haben Lehrer, um Verschiedene Leitgedanken dazu: Praktische Beispiele aus dem Schulalltag: Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bzw. Traumafolgestörungen zu »D as Konzept des „guten Grundes“: Vor dem Hintergrund seiner Die Schule „sicher und dadurch berechenbar“ machen » „weil“ statt „warum/wieso“ minimieren oder sogar zu vermeiden? Erfahrungen und Erlebnisse ergibt das Verhalten des Kindes Sinn! (siehe Kapitel 5) Beispiel: »E in pädagogischer Grundsatz soll sein: Ich beobachte, plane, pro- bungen zur Selbstwahrnehmung: Stimmungsbaro- „Warum hast du die Hausübung schon wieder nicht Mit anderen Worten: Was ist zu tun, wenn biere aus, adaptiere, wiederhole und hoffe, dass sich das Verhalten meter, Gefühle benennen G ( efühlskärtchen, Gefühls - gemacht?“ – Besser: „Du hast die Hausübung nicht Kinder o ( der auch Erwachsene) in unserem ändert. monster ), Stopp-Regel, Rhythmusübungen, Achtsam- gemacht, weil …?“ Umfeld mit traumatisierenden Erlebnissen »W ir arbeiten mit dem traumatisierten Kind und mit seinen Res- keitsübungen, Krperschemaübungen, bungen zur konfrontiert werden, z. B. schlechte Nach- sourcen, das Trauma steht aber nicht im Vordergrund. Raumorientierung » „und“ statt „aber“ richten empfangen, einen Unfall haben, »A uthentisch sein: Das, was ich sage, soll mit der Mimik und Gestik Ermunterung und Lob Beispiel: Zeuge von Gewalt werden, Verletzungen zusammenpassen, also z. B. nicht kritisieren und dabei lächeln. Dankbarkeitstagebuch „Du hast die Hausübung gut gemacht, aber beim erleiden, ihr Zuhause verlieren oder lebens - »S elbstermächtigung: Voraussetzung ist es, die Würde des Schülers Bewegung, eventuell berkreuzbewegungen Diktat hast du so viele Fehler.“ – Besser: „Du hast die bedrohliche Ereignisse miterleben? wiederherzustellen und seine Hilflosigkeit zu akzeptieren und an- Resilienztraining Hausübung gut gemacht, und das Diktat schreibst zuerkennen. Dazu ist es wichtig, eine gute Beziehung zum Kind zu Anti-Gewalt-Training (siehe Anhang) du bitte zur Übung noch einmal in dein Heft.“ Wichtig ist grundsätzlich eine trauma- haben. Der Lehrer begleitet und unterstützt bei der Bewältigung bungen im Sozialen Lernen sensible Haltung. der Unterrichtsaufgaben. Durch die „Bestrafung“ von „unliebsa- mem“ Verhalten werden keine Veränderungen erzielt. »N etzwerke schaffen: Wenn notwendig, holen wir uns noch andere Menschen aus dem Umfeld des Kindes hinzu.
Seite 24 I 07 Scham und Schuld „Gezähmtes Pferd“, F. Hinterkörner Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 25 07 Valerie 6 Jahre Scham Fallbeispiel aus der Praxis und Schuld Die 6-jährige Valerie ist sehr begabt, jedoch kann sie dem Unterricht nicht folgen. Wir erfahren, dass sie ih ren kleinen Bruder durch den „plötzlichen Kindstod“ - Die Lehrerin fragt sie zum Beispiel: „Siehst du das grü ne Buch dort drüben?,“ um ihre Aufmerksamkeit auf etwas im Außen zu fokussieren. Ein mögliches, sinn - - verloren hat. Die Familie ist sehr belastet, das Ereignis volles Spiel wäre: „Ich seh, ich seh, was du nicht siehst“. droht sie zu erdrücken. Zwischen den Eltern ist eine Dadurch wird Valerie spielerisch angeleitet, sich aktiv Scham ist schmerzhaft, macht uns klein, man fühlt sich Stimmung von Verurteilungen, Vorwürfen und Hilf - umzusehen, um festzustellen, dass alles so ist, wie es unterlegen und schwach. Scham kann aber auch nützlich losigkeit. Es wird angenommen, dass es auch zu ge - immer war, und dass sie sicher ist. und konstruktiv sein: Sie setzt uns Grenzen, bewahrt unse - waltsamen Übergrien zwischen den Eltern kommt, Im Kollegium wird ein Präsenzplan mit Freistunden re Würde, steigert die Motivation, fördert die Zusammen - da der eine oder die andere schon mit einem blauen etc. erstellt. So wird abgeklärt, ob immer jemand im arbeit, deeskaliert und reduziert Gewalt. Scham hilft, uns Auge gesehen wurde. Sehr wahrscheinlich ist auch Va - Konferenzzimmer ist, der bei Bedarf die Klasse über - zu reflektieren, Verantwortung zu übernehmen und Din - lerie mit dieser Atmosphäre konfrontiert und belastet. nehmen oder Valerie auangen kann. ge wiedergutzumachen. Sie hilft, moralischer zu werden, In der Schule fertigt sie eindeutige Zeichnungen an, In der Familie herrscht eine große Scham, weil die El - indem sie unserem Gewissen sagt, was noch passt oder damit trägt sie ihre Bendlichkeiten nach außen und tern wissen, dass sie Fehler gemacht haben. Mit Em - nicht mehr in Ordnung ist. Es hilft, sich zu motivieren, macht sie sichtbar. Ich ermuntere Valerie, zu zeich - pathie und Einfühlungsvermögen können sie diese sich zu bessern, zu regulieren bzw. sich zu verändern. nen, und frage nach, ohne sie auszufragen. Scham überwinden und eine außerschulische Hilfe - Die Klassenlehrerin hat eine Dissoziation mit einem stellung von der Kinder- und Jugendhilfe dankend an - Viele traumatische Erfahrungen sind mit Scham und allergischen Schock verwechselt. Als abgeklärt wurde, nehmen. Die Eltern haben sich inzwischen getrennt, Schuld verbunden. Für Kinder wird das Erlebte oftmals dass Valerie nicht unter Allergien leidet, kann sie ruhig Valerie ist nicht mehr den ständigen Streitigkeiten mit einem Tabu belegt. Vertraut sich ein Kind einem Leh - auf ihre Anfälle reagieren und sie sanft herausholen, und Gewalthandlungen ausgesetzt. Es geht ihr zuneh - rer an, ist es wichtig, nur das weiterzugeben, was mit dem indem sie sie direkt mit Namen anspricht, ihr erklärt, mend besser. Kind vereinbart wurde. Stelle nur Verständnisfragen, und wo sie gerade ist, was im Augenblick ansteht … “ grabe niemals in den Erinnerungen des Kindes! Jugendliche sollen mehr und mehr zugeben können, dass ein Problem besteht, dann kann Scham reguliert werden. Fragen, die es ermöglichen, beide Seiten zu betrachten: Sie sollen eingestehen können, dass etwas schiefläuft. Inwieweit ist das Verhalten (z. B. Rauchen) hilfreich für dich, in welchem Bereich ist es eher schädlich bzw. hilft nicht sehr? Wann denkst du, es ist genug, wann denkst du, es ist noch lange nicht genug? (z. B. Computer spielen) Bei Kindern mit Wut über Eltern: Wo ist die Wut angemessen, wo nicht mehr? Wenn das Kind im Gespräch missmutig reagiert, weil es sich beschämt fühlt: Inwieweit ist dieses Gefühl unangenehm für dich, inwieweit ist das jetzt hilfreich? Scham Was sind die Vorteile und Nachteile gewisser Situationen? Reden wir über beides! (Schwarz-Wei-Denken vermeiden) Wann ist das (z. B. Kiffen) gut für dich, wann schadet es dir? ist natürlich Was ist daran in Ordnung, was ist nicht so gut gelaufen? und auch wichtig. Wichtig bei solchen Gesprächen: Scham ist die Pausen machen es „rattert“ im Gehirn und versuchen, neutral zu reagieren! Hüterin der Menschenwürde. “
Seite 26 I 08 Traumasensible Elternarbeit Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 27 08 Traumasensible Elternarbeit Um Eltern zu helfen, sich von ihrer möglichen Scham zu befreien und ein Elternabende und Vernetzungsgespräche mit allen Beispielsätze, mit denen die Lehrperson in ein Gespräch Stück ihrer Schuldgefühle hinter sich zu lassen, gilt es einen guten Kontakt Beteiligten sorgen für Transparenz. Regelmäßige Ge- gehen könnte: aufzubauen und zu pflegen. Meist sind die Eltern betroffener Kinder wohl spräche mit Eltern sollten auch stattfinden, wenn es „mittraumatisiert“, und es passiert nicht selten, dass vor allem Mütter das ers - gerade gut läuft. Hier gilt es abzustimmen: Wer von »S chön, dass Sie da sind. Wie geht es Ihnen? te Mal über Ereignisse sprechen, die bis dahin im Verborgenen geblieben sind. den Gesprächsteilnehmern (Lehrer, Eltern ...) ist für »G ut, dass Sie sich heute Zeit genommen haben. Daher ist es notwendig, Elternarbeit sensibel zu gestalten. die Einhaltung der jeweiligen Schritte zuständig? »E s ist für uns alle eine ungewohnte und vielleicht auch Wann sollen die Abmachungen erfolgt bzw. aus- unangenehme Situation. Ebenso wesentlich ist, dass wir uns als Lehrerinnen und Lehrer mit unse - geführt sein? Vereinbarung eines weiteren Termins »E s ist gar nicht leicht, sich zusammenzusetzen und über ren eigenen (Trauma-)Geschichten und „Abgründen“, mit unseren eigenen (wenn notwendig), um Verbindlichkeit auf allen Ebe- dieses Thema zu sprechen. Schuld- und Schamgefühlen vertraut machen. Sind wir uns immer all unserer nen zu schaffen. » I ch freue mich auf den offenen Austausch mit Ihnen. Gefühlsregungen bewusst oder bedarf es einer Reflexion? Es ist möglicher - » I st es von Ihnen aus in Ordnung, wenn ...? weise ein lebenslanger Prozess, in unsere „blinden Flecken“ ein wenig Licht Wesentliche Fragen: »D ieses Gespräch heute könnte hart sein. zu lassen. Das kann sehr schmerzhaft, jedoch heilend sein. Hilfen dazu gibt »W ie zeigt sich das Verhalten des Kindes zu Hause? »E s ist sehr wichtig für mich zu hören, was Sie denken, es genug in Form von Supervision, oC aching, Aufstellungsarbeit, Psychothe - » Was hat sich verbessert? sogar wenn es kritisch ist. rapie und Ähnlichem. » Was kann wer dazu beitragen, dass …? »B itte korrigieren Sie mich … »E s könnte sein, dass Sie das jetzt irritiert … Um für Elterngespräche einen sicheren Ort zu schaf- »W ie geht es Ihnen mit Ihrem Kind, was bereitet Ihnen fen, bedarf es einer empathischen Haltung: Sorgen? » Stimmung auflockern (Small Talk, Wasser anbie- »W aren Sie schon mal in solch einer Situation? ten, Sitzordnung auf Augenhöhe ...) »W ir werden uns gemeinsam was überlegen. Es geht uns » Eltern ins Boot holen mit nonverbalen Signalen darum, dass es XY gut geht. Hinweis zur transgenerationellen (Mimik, Gestik, lächeln, offen sein ...) »W ir sind jetzt da, um uns miteinander zu unterhalten, Weitergabe von Traumen: » Den Eltern das Gefühl geben, dass Lehrer nicht al- wie wir am besten … (auf das Ziel, das Gute, das Kind Ein Trauma kann „sozial vererbt“ les wissen, aber helfen wollen. („Sie als Eltern sind konzentrieren) werden, z. B. durch Zuschauen, die Experten für Ihr Kind. Erzählen Sie mir bitte, Weitererzählen oder Imitation. wie geht es Ihnen mit Ihrer Tochter?“) »W as gut funktioniert/positiv auffällt, ist ... Traumen werden auch in den » Bündnisrhetorik (Neue Autorität) »U ns allen ist wichtig, dass es dem Kind gut geht, und es Genen verankert und verändern » Alles ist okay: Jeder hat seine Gefühle, Emotionen, kann sein, dass ich etwas sage, das Sie verletzen könnte. nachweislich Gehirnstrukturen. Gedanken ... Bitte melden Sie sich sofort, wenn das der Fall ist. “ Durch Verschweigen entstehen » Keine Vorwürfe (Eltern haben häufig Angst, Kritik »S ie kennen Ihr Kind als Eltern am besten, und es ist ganz „Familiengeheimnisse“, die im zu hören oder beschuldigt zu werden) normal, dass wir von der Schule einen anderen Eindruck Inneren mächtig weiterwirken. » Keine Provokationen von Ihrem Kind haben. » Eltern fühlen sich besser verstanden, wenn »E s geht hier nicht um Richtig oder Falsch oder wer Lehrende von sich und ihren Kindern erzählen Schuld hat, sondern darum, gemeinsam einen guten » Auf Geheimhaltung hinweisen – alles bleibt in Weg zu finden. diesem Raum »K önnen Sie mir darüber mehr erzählen? » Mitschreiben bedeutet: Ich bin interessiert, neugie- »E s ist sehr wichtig für mich zu hören, was ich ändern rig, ihr seid mir wichtig, ich nehme das Gespräch könnte, was ich anders machen könnte. ernst »H aben Sie noch irgendeine Idee, was wir machen könn- ten? (aber nicht aus einer Hilflosigkeit heraus, sondern Lehrer sind keine Therapeuten! aus einer Offenheit für Neues) „Die kleine Reise“, F. Hinterkörner
Seite 28 I 09 Selbstreflexion Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 29 Lisa 09 Selbstreexion Wie gehe ich als Lehrerin oder Lehrer Fallbeispiel aus der Praxis 13 Jahre persnlich mit dem Thema um? Die 13-jährige Lisa befürchtet, von ihrem Exfreund schwanger zu sein. Ihre Mama hat gerade ein Halbge - ihr die Sache über den Kopf zu wachsen droht) kon taktieren kann. Ich bleibe ganz ruhig und bin einfach - schwisterchen geboren, und sie traut sich ihr nichts für sie da. In der Zwischenzeit hole ich mir bei mei - zu erzählen. Auch mit ihren Freundinnen möchte Lisa nen Kolleginnen externen Rat, da dies kein alltägliches ihre Ängste nicht teilen. Ich biete ihr an, gemeinsam Problem ist, damit ich auch nichts übersehe und mich mit ihrer Mama zu reden – das kann sich Lisa prinzipi - sicher fühle. Nach ein paar Tagen kommt die erlösen - „Mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, heißt, immer wieder neu die Kin - ell vorstellen, aber sie möchte noch ein wenig warten. de WhatsApp-Nachricht: Lisa hat ihre Menstruation der wahrzunehmen, sie in den Blick zu nehmen. Es heißt, sich selbst zu öff - Ausnahmsweise gebe ich der Schülerin meine priva - bekommen. Bei meinem nächsten Besuch reden wir nen, sich selbst frei zu machen, um immer wieder aufs Neue hinzuschauen, te Handynummer, damit sie mich „im Notfall“ (wenn auch über das Thema Verhütung. sich mit den einzelnen Kindern äußerlich und vor allem auch innerlich zu be - schäftigen. Es heißt, einerseits das Verhalten und den Ausdruck der Gefühle der Kinder und Jugendlichen zu beobachten, und andererseits bei sich selbst wahrzunehmen, was einem auffällt am Kind, welche Reaktionen sichtbar und welche Gefühle im Kontakt mit dem Kind spürbar werden. Es ist ein Wahr - nehmen mit den Augen und Ohren und mit dem Herzen – immer und immer wieder.“ (Kohler-Spiegel, 2017) Wenn man als Lehrerperson mit Kindern in Krisensituationen arbeitet, ist es wichtig, sich bei Bedarf selber Hilfe zu holen, etwa durch Supervision, Inter - vision, Selbstreflexion oder Therapie. Es braucht greifbare Ansprechpersonen, zum Beispiel im Kollegenkreis, die die Belastung und Betroffenheit teilen können, damit gemeinsame Lösungswege gefunden werden können. Trauma- pädagogik Es ist wichtig, die Zuwendung zu mir selbst zu för dern. Es gilt individuell herauszufinden, was mir - hilft, mich zu mögen, mit mir selbst liebevoll um - ist keine Technik oder zugehen, meine Gefühle gut wahrnehmen, steu - Methodik, sondern eine ern und regulieren zu können. “ Haltungspädagogik. Auch für uns selber knnen jene Methoden hilfreich sein, die wir in Krisensituationen unseren Schülern anbieten. „Libelle“, F. Hinterkörner
Seite 30 I 10 Selbstregulation Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 31 10 Selbstregulation Im Laufe unserer Kindheit lernen wir, uns selbst zu regulieren. Wir lernen, dass ein Zustand großer Not sich lösen lässt und sich der Körper und auch die Emotionen nach und nach wieder beruhigen. Wir erfahren, dass alles wieder gut werden kann. Selbstregulation ist zwar eine natürliche Fähigkeit, jedoch eJ schneller sich ein Mensch selbst regulieren kann, desto müssen wir sie erst lernen. Fehlt diese Fähigkeit oder ist sie zu schwach ausge - weniger wird er dissoziieren. Um diese Fähigkeiten zu trai - prägt, befinden wir uns in dauerhafter Über- oder Untererregung. Zwar ist es nieren, gibt es zahlreiche Übungen. Die Länge und die Häu - möglich, sich auf diese Weise durchs Leben zu kämpfen, doch dies schränkt figkeit der Übungen hängen vom Alter und der Ausdauer unsere Fähigkeit, zu genießen, zu entspannen und sich zu entfalten, ein. des Kindes ab, dies ist sehr individuell und muss „erspürt“ Selbstregulation ist essenziell für ein glückliches Leben! Gerade in herausfordernden Zeiten ist es sehr wichtig, einige leicht anwend - b Ü ungen werden. Natürlich gilt: eJ länger, desto besser. Die Pausen: so lange wie notwendig. bare Möglichkeiten zu kennen, um das Nervensystem zu regulieren. Durch einfache, gezielte Übungen ist es möglich, psychisch und körperlich wieder ruhiger zu werden. Nachfolgende Übungen können morgens und abends regelmäßig, jedoch Schmetterlingsumarmung Versteckte Finger auch in Akutsituationen wie Panikattacken, Angstzuständen, Stresssitua - Hände über Kreuz nehmen und rechts und links Beide Daumen berühren sich, linken Daumen tionen, Trauer, Wut, Verzweiflung etc. durchgeführt werden. Die Übungen abwechselnd auf die Oberarme tippen – Pause: wie einen Fahrradlenker umgreifen, rechten sind eine Auswahl und individuell einsetzbar, allerdings ersetzen sie keine sich selber umarmen (Hände in die Achseln) Zeigefinger strecken und mit der linken Hand Therapie! umgreifen – Einatmen: eine Hand zusammen- Umschauen drücken – Ausatmen: die andere Hand zusam- Dennoch helfen und unterstützen sie dabei Alle runden, roten, blauen, ovalen Dinge, alle mendrücken – Pause – wiederholen … in unserer Mitte zu bleiben vertikalen Linien, alle Füße etc. zählen – dazwi- … unsere Stimmungsschwankungen auszutarieren schen: Pause Hand auf Stirn und Brustkorb … sich zu spüren Beobachten, was zwischen den Händen pas- … Dysregulationen auszugleichen Atmen siert: Was nimmst du wahr? – Hand von Stirn auf Auspusten, solange du kannst – Denkmütze Bauch: Was nimmst du wahr? Beobachte deinen Sie umfassen folgende Fähigkeiten: (Ohren von unten nach oben, von innen nach Atem! » s ich bei emotionalem Aufruhr selbst zu beruhigen außen massieren) – Pause » s ich zu erholen und zu entspannen »d ie Aufmerksamkeit auszurichten und zu halten Zentrierter Schmetterling » Impulse zu fühlen und zu kontrollieren Hände falten – Zeigefinger ausstrecken – Daumen »m it Frustrationen umzugehen abwechselnd übereinanderschlagen – Pause – »A bsichten zu verwirklichen und Ziele zu verfolgen wiederholen – Pause »F reude zu empfinden und die Welt erkunden zu wollen » e ine Pause zwischen Reiz und Reaktion zu machen
Seite 32 I 10 Selbstregulation Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 33 Nimm dir Zeit, die Abläufe der folgenden Übungen Punkt für Punkt bewusst durchzugehen: Containment in deinem Körper Orientierung und Verbindung Trost durch Berührung Orientierung in der Schwerkraft, Kiefergelenk
Seite 34 I 10 Selbstregulation Leitfaden für Traumabewältigung in der Schule I Seite 35 Weitere Fallbeispiele Der 9-jährige Leo hat ein W „ utproblem“: Seine Eltern und Tagesablauf ist strukturiert. Im Turnunterricht baut Lehrerinnen meinten es gut und rieten zum Ausagieren sie Meditations-, Atem- und Achtsamkeitsübungen Dein Atemraum, Zwerchfell seiner Emotionen mithilfe eines Boxsackes. Da die Ag - ein, das schadet den anderen Kindern ja auch nicht. Sitzen oder (besser) gerade auf dem Rücken liegen – Beine aufstellen – Hände gressionen einem frühkindlichen Trauma zugrunde lagen, Die Lehrerin bemüht sich, emotional ausgeglichen auf den unteren Teil des Brustkorbs legen, Zeigefinger und Daumen auf die wurde Leo beim wütenden Boxen gegen den Sack jedes zu sein. Bei einem Elterngespräch vermittelt sie der Rippen, die anderen Finger auf den Bauch legen – Mit der Wahrnehmung zu Mal retraumatisiert. Unmittelbar danach ging es ihm zwar Mutter geeignete Therapeuten und eine Gruppen- den Händen gehen; Hände fühlen aktiv, was sie berühren – Beobachten, wie gut und er fühlte sich erleichtert, das Problem war jedoch therapie für Tamara bei „Rainbow“. sich das anfühlt – Perspektive wechseln: der Bereich des Körpers berührt dei- nicht gelöst und die Wutanfälle kamen immer wieder zu - ne Hände – Hände spüren – Dem Körper Aufmerksamkeit schenken – Fläche, rück. In solchen Fällen kann das Ausleben von Emotionen Der 14-jährige Max war im letzten Schuljahr kein auf der ich liege, spüren – Noch mehr ablegen, Atem wird weicher – Welchen totalen Kontrollverlust bedeuten und sollte unbedingt einziges Mal in der Schule. Die Eltern haben sich jede Raum nimmt sich der Atem? vermieden werden. Hilfe geholt, auch die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) kam regelmäßig nach Hause, um den Jungen und die Erweitertes Sichtfeld und Wirbelsäule Der Vater der 9-jährigen Sarah hat Begehungsverbot, da Familie zu unterstützen. In diesem Jahr schafft er es, Aufrecht sitzen – Blick auf einen Punkt – Die Peripherie wahrnehmen, ohne er ihre Mama krankenhausreif geschlagen hat. Sarah re - mehrmals in der Woche zu kommen. Er hat nun eine den Blick vom Punkt wegzunehmen, nicht fokussieren! – Währenddessen: agiert besonders auf männliche Bezugspersonen äußerst Klassenlehrerin, die sich freut, wenn er kommt, zu Aufmerksamkeit auf Wirbelsäule richten, sie spüren (von der Schädelbasis, aggressiv. Sarahs Lehrerin litt in ihrer Kindheit ebenfalls der er eine positive Beziehung hat und die er mag. Hals, Brust, Mitte Oberkörper, Lendenwirbelsäule, Steißbein) – Eventuell ro- unter einem gewalttätigen Vater, daher ist es ihr nicht Mit den Eltern gibt es einen engen, guten Kontakt. tieren, bewegen … – Augen schließen – Wirbelsäule spüren – Vorstellen, dass möglich, angemessen auf die aggressiven Anteile der Sie können der Schule und ihren Maßnahmen ver- zwischen den Wirbelkörpern Raum entsteht – Impulsen, feinen Bewegungen Schülerin zu reagieren. Sie schwankt zwischen Mitleid trauen, was auch Max deutlich spürt. Es tut ihm folgen – Dem Körper erlauben, sich sanft zu zentrieren – Augen öffnen – Wei- und Aggression – es fällt ihr schwer, mit Sarahs obsessi - wohl, dass eine gute Beziehung zwischen Schule und ten, offenen Blick wahrnehmen – Blick konkretisieren, sich im Raum umsehen vem Verhalten umzugehen, da sie ihre eigene Vergangen - Elternhaus herrscht und nicht mehr gestritten und – Spüren, was sich verändert hat heit noch nicht aufarbeiten konnte. Auf Anraten einer verurteilt wird. Alle wünschen sich von ihm dassel- Kollegin sucht sie sich professionelle Hilfe und geht seit be: Dass es ihm gut geht und er in die Schule gehen Grundübung von Stanley Rosenberg einem halben Jahr zu einer personenzentrierten Psycho - kann. Hausübungen und Noten sind nicht vorrangig, Relativ flach auf den Rücken legen, die Hände ineinander verschränken und therapeutin, die auf Trauma spezialisiert ist. In der Schule alles andere wird sich zeigen. unter den Hinterkopf legen, Kopf ruht auf den Händen; Übungen machen, holt sich die Lehrerin externe Hilfe von einer Betreuungs - bis man gähnt, seufzt oder schluckt (ca. 30 Sekunden): Blick geradeaus auf lehrerin (mit Zusatzausbildung „Traumapädagogik und Der 8-jährige Marcel ist in der Pause beim Klettern die Decke – Kopf gerade – Augen nach rechts, soweit es entspannt möglich traumaspezifische Fachberatung“), die den Beziehungs - vom Gerüst gestürzt. Sein Handgelenk ist offensicht- ist, Augen in die Mitte – entspannt ruhen – Links – Mitte, Augen schließen, aufbau mit der Schülerin stellvertretend übernimmt und lich verdreht, eine medizinische Versorgung ist not- durchatmen, nachspüren. Noch einmal: rechts – Mitte – links – Mitte, atmen, Vertrauen aufbaut. Gleichzeitig hat die Lehrerin auch in wendig. Marcel weint und schreit laut, weil der Arm nachspüren – Aufsetzen der Schule jemanden, mit der sie sich regelmäßig austau - schmerzt und keinen schönen Anblick bietet. Eine schen kann. Kollegin ruft seine Mama an, als diese nicht erreich- bar ist, die Oma. In der Zwischenzeit sitze ich ruhig Der Vater der 13-jährigen Tamara hat in den letzten Som - und ganz nah bei Marcel in der Garderobe. Ich er- merferien seinen jahrelangen Kampf gegen den Krebs kläre ihm, was passiert ist und dass nun seine Oma verloren. Seit dem Schulbeginn verhält sich die Schülerin kommt und mit ihm ins Krankenhaus fahren wird, trotzig und frech. Lehrende einzelner Fächer beschweren damit sein Arm versorgt werden kann. In der Zwi- sich über das Verhalten bei der Klassenlehrerin. Diese schenzeit zeige ich ihm, was ich alles sehe und moti- weiß über den Schicksalsschlag Bescheid und informiert viere Marcel dazu, sein Umfeld zu betrachten, damit und berät ihre Kollegen über traumasensiblen Unter - er feststellen kann, dass er im Augenblick sicher ist richt, damit Tamaras Verhalten verständlicher wird. Im und ihm nichts passieren kann. Ich bin da und ich Unterricht bietet sie der Schülerin Struktur, Sicherheit bleibe da – bis seine aufgeregte Oma eintrifft, die sich und Verlässlichkeit. Die Klassenregeln sind klar, und der schnell beruhigt, als sie sieht, dass sich auch ihr En- kel beruhigt hat und es ihm so weit gut geht.
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