Triumph der Dummheit - Spiegel
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Triumph der Dummheit Weltklima Noch nie hat ein US-Präsident mit solch unverhohlenem Nationalismus argumentiert wie Donald Trump. Sein Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen ist eine Kriegserklärung an die Völkergemeinschaft – und an die Vernunft. 12 DER SPIEGEL 23 / 2017
Titel Präsident Trump Jobs, Jobs, Jobs der den Namen der französischen Haupt- stadt trägt, das Klimaabkommen von Paris. „Der Klimawandel ist real, und er trifft die ärmsten Länder“, sagte Macron. Dann erinnerte der Kanadier Justin Trudeau den amerikanischen Präsidenten daran, wie erfolgreich man das Ozonloch bekämpft hatte und wie es gelungen war, die Industrie zu überzeugen, die schädli- chen Gase zu reduzieren. Und schließlich Merkel. Erneuerbare Ener- gien, so die Kanzlerin, böten für die Wirt- schaft eine Chance. „Wenn die größte Wirt- schaftsmacht aussteigt, überlässt man das Feld den Chinesen“, warnte sie. Xi Jinping, der chinesische Präsident, sei schlau, er wer- de eine solche Lücke nutzen. Sogar die Sau- dis richteten sich doch schon auf die Zeit nach dem Öl ein. Und überhaupt: Energie einzusparen sei für die Wirtschaft auch aus vielen anderen Gründen erstrebenswert, nicht nur wegen des Klimaschutzes. Doch Donald Trump war nicht zu über- zeugen. Kein noch so kluges Argument, das die zunehmend frustrierte Runde der Staatschefs vorbrachte, zeigte Wirkung. „Für mich“, sagte der US-Präsident, „wäre es einfacher, wenn wir in dem Abkommen bleiben.“ Aber: Die Umweltauflagen kos- teten die amerikanische Industrie Jobs. Und darum gehe es. Um Jobs, Jobs, Jobs. In diesem Moment war den Staats- und Regierungschefs am Tisch klar, dass sie ihn endgültig verloren hatten. Resigniert gab sich der Franzose Macron geschlagen: „Jetzt führt China.“ Trotzdem hatte wohl keiner der Staats- und Regierungschefs erwartet, mit welcher brutalen Primitivität Trump sich aus der Völkergemeinschaft verabschieden würde. Umgeben von Claqueuren kündigte er am Donnerstag nicht nur den Ausstieg aus dem Klimaabkommen an, er erklärte der Vernunft den Krieg. Sein Auftritt im Ro- sengarten des Weißen Hauses war ein Bruch mit jahrhundertelanger Aufklärung LUCA BRUNO / DPA und Rationalität. Der Präsident verkünde- te sein politisches Statement als ein natio- nalistisches Manifest in seiner dümmsten Ausprägung. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Seine Rede war gespickt mit Fantasie- B is zuletzt hatten sie hinter verschlos- mittag voriger Woche aus dem luxuriösen zahlen aus umstrittenen oder widerlegten senen Türen versucht, ihn umzu- Tagungshotel im sizilianischen Taormina, Studien, sie war scheinheilig und verlogen. stimmen. Noch einmal trugen sie das dem SPIEGEL zugänglich gemacht wur- Für Trump ist das Klimaabkommen ein In- alle Argumente vor, die humanitären, die de. Am Tisch saßen die Führer der sieben strument, mit dem sich andere Länder auf machtpolitischen und natürlich die ökono- mächtigsten westlichen Industrienationen. Kosten Amerikas bereichern. „Ich wurde mischen. Sie zählten die Vorteile auf. Für Das Thema: Global economy and sustai- gewählt, um die Bürger von Pittsburgh zu die Wirtschaft, die amerikanischen Unter- nable development – Weltwirtschaft und vertreten, nicht die von Paris“, sagte er. nehmen. Sie erklärten, wie niedrig die Auf- nachhaltige Entwicklung. Trump ließ keinen Zweifel daran, dass es lagen sein würden. Den Anfang hatte der frisch gewählte für ihn keinen höheren Wert gebe als das Als Letzte ergriff Kanzlerin Angela Mer- französische Präsident gemacht, Emmanu- wirtschaftliche Wohlergehen der USA. Es kel das Wort. So jedenfalls verzeichnet es el Macron. Verständlich, dass der Franzose sei kein Wunder, dass die anderen Länder das geheime Protokoll vom Freitagnach- für den völkerrechtlichen Vertrag kämpfte, applaudiert hätten, als Washington das DER SPIEGEL 23 / 2017 13
NOAH BERGER / AP Autowracks nach einem Waldbrand in Kalifornien: „Wer sich nicht widersetzt, macht sich mitschuldig“ Abkommen unterzeichnete, sagte er. „Wir sich beim Säbeltanz mit den Saudis dem Amerika Trumps die transatlantische wollen nicht länger, dass andere Länder wohlerfühlt als im Kreise seiner Nato-Part- Freundschaft aufgekündigt – ein Stück und politische Führer über uns lachen. Und ner. In den vergangenen Tagen trieb die weit. sie werden es nicht mehr tun.“ Entfremdung auf einen neuen Höhepunkt Die deutsche Kanzlerin ist zur Gegen- Für das Klima ist Trumps Ausstieg eine zu: erst die Standpauke Trumps bei der spielerin Trumps auf der internationalen Katastrophe. Mit den USA verabschiedet Nato, dann der Streit um das Klimaab- Bühne geworden. Merkel hat die Heraus- sich der zweitgrößte Verursacher von kommen, schließlich Merkels Bierzeltrede forderung angenommen, in der Handels- Treibhausgasemissionen aus den interna- in Trudering, kurz darauf Trumps Han- politik, im Streit um die Finanzierung der tionalen Bemühungen, den Klimawandel delskriegserklärung per Twitter – und nun Nato und jetzt bei einem Thema, das ihr aufzuhalten. Das Land, das nach China der Ausstieg Amerikas aus der Klimage- besonders am Herzen liegt: dem Klima- am meisten dazu beiträgt. Amerika stellt meinschaft. schutz. sich gegen den Rest der Welt – gemeinsam Nun sind all jene ernüchtert, die ge- Nun will Merkel ein Bündnis gegen mit Syrien und Nicaragua, den einzigen glaubt hatten, Trump ließe sich einhegen, Trump schmieden. Wenn sie den US-Prä- Staaten, die das Abkommen von Paris sidenten nicht überzeugen kann, so ihr An- nicht unterschrieben haben. satz, wird sie versuchen, ihn zu isolieren. Doch mindestens ebenso katastrophal Berlin hatte auf eine Dem 6 zu 1 von Taormina soll, falls er dürften die Folgen für das weltpolitische nicht einlenkt, beim G-20-Gipfel im Juli Klima sein. Trumps Auftritt war der vor- Lernkurve Trumps gehofft. in Hamburg ein 19 zu 1 folgen. Ob dies ge- läufige Höhepunkt des Zerwürfnisses zwi- lingt, ist allerdings völlig offen. schen Amerika und den Europäern, wie Jetzt ist klar: Wenn es sie Trump hat Deutschland als Hauptgegner es das seit dem Ende des Zweiten Welt- gibt, zeigt sie nach unten. ausgemacht. Seit er im Januar sein Amt kriegs nicht gegeben hat. antrat, griff er mit Ausnahme von Nord- Nun steht die westliche Wertegemein- korea und Iran kein Land so scharf an wie schaft gegen den amerikanischen Präsiden- das Amt werde ihn zur Vernunft bringen. Deutschland: „bad, very bad“ nannte er ten. Aus G-7 ist G-6 geworden. Der Westen Berlin hatte auf den mäßigenden Einfluss die Deutschen in Brüssel. Hinter verschlos- ist gespalten. seiner Berater gehofft, auf eine Lernkurve. senen Türen stellte der US-Präsident Ein Dreivierteljahrhundert haben die Jetzt, da Trump das Klimaabkommen tat- Deutschland bei der Nato an den Pranger. Vereinigten Staaten Europa geführt und sächlich aufgekündigt hat, ist klar: Wenn Es gebe ja große und wohlhabende Staa- geschützt. Bei allen Fehlern und Unzuläng- es sie gibt, zeigt sie nach unten. ten, die ihren Verpflichtungen im Bündnis lichkeiten der amerikanischen Außenpoli- Die Kanzlerin hatte lange gezögert, den nicht nachkämen, so Trump. tik von Vietnam bis Irak stand der Füh- Bruch sichtbar werden zu lassen. Für sie, Und er will Deutschlands Wirtschafts- rungsanspruch der USA für die freie Welt die frühere DDR-Bürgerin, war das Bünd- macht brechen. Das amerikanische Han- nie grundsätzlich infrage. nis mit den USA immer viel mehr als delsdefizit gegenüber Deutschland sei sehr Das ist nun vorbei. Jetzt werden die politische Ratio, es entsprach ihrer tiefen schlecht für die USA, twitterte der Präsi- USA von einem Präsidenten geführt, der persönlichen Überzeugung. Jetzt hat sie dent. „Das wird sich ändern.“ 14 DER SPIEGEL 23 / 2017
TIZIANA FABI / AFP Teilnehmer des G-7-Treffens mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs*: Höhepunkt der Entfremdung von den USA Es ist ein niederschmetterndes Fazit, das ihr Mann Jared Kushner, Kabinettsmit- ner kritisierten den Klimavertrag mit dem Merkel nach dem Ende von Trumps Be- glieder wie Außenminister Rex Tillerson fadenscheinigsten aller Argumente. Den such zog. Noch nie seit dem Ende des und Energieminister Rick Perry, dazu so USA drohten rechtliche Konsequenzen, Zweiten Weltkriegs ist es zum offenen gut wie die gesamte Wirtschaftselite des wenn sie ihre Klimaziele verfehlten oder Bruch gekommen, nie war die Entfrem- Landes. nach unten korrigierten. dung so groß wie heute. Als sich Kanzler Konzerne von Exxon und Shell über Dabei war das Abkommen von Paris ja Gerhard Schröder gegen den Irakkrieg von Google, Apple und Amazon bis hin zu überhaupt nur mehrheitsfähig, weil es kei- George W. Bush stellte, verweigerte er den Walmart und PepsiCo appellierten an ne Sanktionsmöglichkeiten vorsieht. Als USA in dieser einen Frage die Gefolgschaft Trump, die USA klimapolitisch nicht ins einzige Vorgabe müssen die Mitgliedstaa- – eine schwere Belastung war das, aber Abseits zu stellen. Sie fürchten, im inter- ten alle fünf Jahre berichten, wie weit sie doch anders als heute kein Zerwürfnis, das nationalen Wettbewerb ins Hintertreffen mit ihren selbst gewählten Klimaschutz- die gemeinsamen Werte infrage stellte: zu geraten in einer Welt, die sich auch maßnahmen gekommen sind. Freihandel, Minderheitenrechte, Presse- ohne die USA in Richtung grüne Energie Darin liegt die Absurdität des trump- freiheit, Rechtsstaatlichkeit – und Klima- bewegt. Google, Microsoft oder Apple sind schen Theaters: Nichts wäre für die USA politik. längst dabei, ihren Stromverbrauch auf leichter gewesen, als pro forma am Ver- Um die Tragweite von Trumps Entschei- regenerative Energien umzustellen. Und handlungstisch der Uno zu sitzen und den dung zu erfassen, muss man sich daran er- zwar vollständig. Auch in den USA boo- Klimaschutz dennoch komplett einzustel- innern, was Klimawandel für die Mensch- men Wind- und Solarparks – und kaum len – woran Trump ohnehin arbeitet, seit heit bedeutet. Was hinter der oft so ab- ein Investor versenkt sein Geld noch in er an der Macht ist. strakten Debatte um Temperaturkurven, Kohlegruben. So plant er per Dekret, Obamas Ver- Emissionen und Reduktionsziele steht. Eine Reihe amerikanischer Bundesstaa- mächtnis für den Klimaschutz, den „Clean Klimawandel bedeutet, dass Millionen ten – allen voran Kalifornien – gehen auf Power Plan“, zu verstümmeln. Dieser sieht Menschen zu verhungern drohen, weil in entschiedenen Antikurs zu Trumps Klima- unter anderem vor, alte Kohlekraftwerke manchen Regionen der Erde der Regen politik, nach einer Umfrage des Chicago zu schließen, den Ausstoß von Methangas ausbleibt. Er bedeutet, dass der Meeres- Council on Global Affairs sind fast drei aus Öl- und Erdgasquellen zu verringern spiegel steigt, Inseln und Küsten überflutet Viertel der Amerikaner gegen den Aus- und Fahrzeuge sparsamer und umwelt- werden. Klimawandel bedeutet schmelzen- stieg aus dem Klimavertrag. freundlicher zu machen. Ohne diese Maß- des Eis, stärkere Stürme, Hitzewellen, Was- Auf der anderen Seite stehen rechte Na- nahmen wird Obamas Ziel, den Ausstoß serknappheit und tödliche Seuchen. All tionalisten wie Trumps Chefstratege Ste- von Treibhausgasen bis 2025 im Vergleich das führt zu Konflikten um knapp werden- phen Bannon, die den Klimawandel schon zu 2005 um bis zu 28 Prozent zu verrin- de Ressourcen, zu Flucht und Migration. deshalb leugnen, weil seine Bekämpfung gern, kaum erreichbar sein. Aber Trump Auch in den USA hatte es bis zuletzt internationale Zusammenarbeit erfordern will ja auch in die entgegengesetzte Rich- Stimmen gegeben, die den Präsidenten vor würde. Mächtige Vertreter der Republika- tung gehen. Um die USA von Energie- den Folgen seiner Entscheidung warnten. importen weniger abhängig zu machen, Trumps Tochter Ivanka gehörte dazu und * Am vergangenen Samstag im sizilianischen Taormina. will er zurück zur Kohle, einer der schmut- DER SPIEGEL 23 / 2017 15
Titel Wie bitter dieser Satz für sie gewesen sein muss, wie tief die Enttäuschung, ist nicht zu unterschätzen. Mit dem westdeut- schen Antiamerikanismus konnte Merkel, die im Machtbereich der Sowjetunion auf- wuchs, nie etwas anfangen. Das Europa jenseits des Eisernen Vorhangs verdankte seine Freiheit nach 1989 auch der Verläss- lichkeit der USA. Für ihre transatlantischen Überzeugun- gen bewies Merkel eine bemerkenswerte Leidensfähigkeit. Sie kam einer offenen Unterstützung des Irakkriegs gefährlich nahe und pflegte eine persönliche Freund- schaft mit George W. Bush – obwohl die meisten Deutschen den US-Präsidenten PABLO MARTINEZ MONSIVAIS / AP ablehnten. Später ging Merkel stoisch mit dem Lauschangriff der NSA auf ihr Mobil- telefon um. Und sie wehrte sich nicht, als Trump ihre Flüchtlingspolitik als „irrsin- nig“ bezeichnete. Umso heftiger schlug jetzt Merkels Satz vom verlorenen Vertrauen ein. Das war Nationalist Trump*: „Gewählt für die Bürger von Pittsburgh, nicht für die von Paris“ eine neue Tonlage, und Merkel wusste, dass sie für Aufregung sorgen würde. Sie zigsten Energiequellen überhaupt. Dabei Das Problem ist, dass all das nicht genügt, wollte es so. war dieses Ziel dank billigem und weniger um die Erwärmung der Erde, wie im Pariser Ihr Satz ging sofort um die Welt und umweltschädlichem Erdgas schon Jahre Klimavertrag vorgesehen, auf deutlich un- wurde von den Trump-Gegnern in den vor seinem Amtsantritt erreicht. ter zwei Grad zu beschränken. Viel mehr USA aufgegriffen, als Beleg dafür, dass die Für Deutschland und Europa geht es Einsatz, mehr Entschlossenheit wären nötig, mächtigste Frau Europas die Hoffnung ver- nun darum, die anderen Nationen bei der vor allem in den Ländern, die es sich leisten loren hat, Trump lasse sich noch zur Ver- Stange zu halten. In Berlin wird daran könnten. Deutschland etwa wird sein Ziel, nunft bringen. schon seit Wochen gearbeitet. Wegen der den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 Merkel bekommt für Parteiauftritte im- längst sichtbaren Folgen des Klimawandels um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 mer ein Manuskript aus dem Adenauer- und der fallenden Preise für regenerative zu senken, ziemlich sicher verpassen. Haus, aber die entscheidenden Sätze fügt Energien hält man den eingeschlagenen In Taormina setzte Kanzlerin Merkel al- sie selbst ein. Die Passage über Europas Weg global für unumkehrbar. les daran, den amerikanischen Präsidenten Verbündeten war ein Signal über den Die EU, aber auch China und Indien hät- zu isolieren. Sie wollte den Streit zwischen Atlantik, aber auch nach innen, nach ten ein großes Interesse, vom fossilen Ener- den USA und den Verbündeten in der Ab- Deutschland. Mit ihrer Rede in Trudering gieverbrauch wegzukommen, heißt es. So- schlusserklärung über den Klimapakt aus- eröffnete sie den Wahlkampf. gar Emissäre Russlands und Saudi-Ara- drücklich erwähnen. Üblicherweise wer- Merkel weiß, dass die SPD die Außen- biens, deren Regierungen nicht gerade als politik zum Thema machen will, die Partei enthusiastische Anhänger regenerativer hat damit gute Erfahrungen gemacht. Wil- Energien gelten, hätten den Deutschen Noch nie seit dem ly Brandt schnitt bei den Bundestagswah- signalisiert: „Paris wird eingehalten.“ len 1969 und 1972 auch deshalb gut ab, weil Demonstrativ bekräftigten Merkel und Ende des Zweiten Welt- er sich gegen die bis dahin gültige Politik Chinas Ministerpräsident Li Keqiang am des Kalten Krieges stellte. Und Gerhard Donnerstag in Berlin ihr Bekenntnis zum kriegs war die Entfremdung Schröder sicherte sich den Wahlsieg 2002 Pariser Abkommen. Der Chinese nahm so groß wie heute. nicht zuletzt durch sein striktes Nein zu sogar das Wort vom „grünen Wachstum“ einer deutschen Beteiligung am Irakkrieg. in den Mund. Am vergangenen Montag nutzte Sigmar China und auch Indien werden ihre Kli- den in solchen Dokumenten Differenzen Gabriel einen runden Tisch zum Thema maziele wohl nicht nur einhalten, sondern eher verschwiegen. Migration im Außenamt dazu, mit Trump sogar übertreffen. So reduziert China sei- Beim G-20-Treffen im Juli in Hamburg abzurechnen. Die großen Herausforderun- nen Kohleverbrauch seit drei Jahren, Pläne will Merkel es genauso halten. Dann sollen gen der Gegenwart, etwa der Klimawandel, für über hundert neue Kohlekraftwerke sich die anderen Staaten gegen die USA würden „durch den neuen US-amerikani- wurden annulliert. Auch Indien verzichtet stellen. Das ist zumindest Merkels Hoffnung. schen Isolationismus nur größer“, sagte auf neue Kohlekraftwerke und wird sein Selbst wenn Saudi-Arabien seinen Alliierten der Außenminister. Wer sich einer solchen Ziel, 40 Prozent seiner Elektrizität aus Trump doch unterstützen sollte, stünde es Politik nicht widersetze, so Gabriel, nicht fossilen Quellen zu erzeugen, wohl am Ende noch 18 zu 2. Das sähe für Wa- „macht sich mitschuldig“. Das zielte direkt schon 2022 erreichen, acht Jahre früher als shington nicht unbedingt besser aus. auf die Kanzlerin. geplant. Beide Länder investieren in So- Merkel jedenfalls tut alles dafür, Trump Doch mit ihrer Truderinger Rede hat lar- und Windenergie, in beiden ist Strom unter Druck zu setzen. „Die Zeiten, in de- sich Merkel gegen den Vorwurf gewappnet, aus sauberen Quellen häufig günstiger als nen wir uns auf andere völlig verlassen eine willige Gehilfin Trumps zu sein. Auch Kohlestrom. konnten, die sind ein Stück vorbei“, sagte wenn sie mit Washington im Gespräch blei- sie am vergangenen Sonntag in einem Bier- ben will. Vor der CDU/CSU-Bundestags- * Am Donnerstag bei seiner Rede im Rosengarten. zelt in Trudering. fraktion sagte sie am Dienstag, die trans- 16 DER SPIEGEL 23 / 2017
GORAN TOMASEVIC / REUTERS Junge in Kenia: Millionen Menschen drohen zu verhungern atlantischen Beziehungen hätten nach wie Der neue Präsident verzichtete bislang Trump seinerseits hat, soweit man das vor „herausragende Bedeutung“. Aller- auch darauf, die amerikanische Botschaft sagen kann, einen sehr funktionalen Blick dings dürfe man Differenzen nicht unter in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu auf Merkel. Er will, dass sie die Verteidi- den Teppich kehren. verlegen. Er ließ das Iranabkommen erst gungsausgaben erhöht und das Handels- Wie schwer es mit dem amerikanischen einmal in Kraft und revidierte seine Aus- defizit zugunsten der USA verändert, Präsidenten werden würde, hatte Merkel sage, wonach die Nato obsolet sei. Im selbst wenn das politisch unmöglich ist. früh erkannt. Sie sah sich seine Auftritte Kanzleramt keimte schon die Hoffnung, Und er will, dass sie die anderen Europäer an, noch bevor er als Präsident vereidigt aus Trump könnte ein zweiter Ronald Rea- dazu zwingt, das Gleiche zu tun, selbst wurde. Trump meine seinen Slogan „Ame- gan werden. wenn Merkel dazu gar nicht die Macht be- rica First“ – Amerika zuerst – sehr ernst, Die hat sich nun zerschlagen. Gerade sitzt. sagte sie schon im Dezember im CDU- weil Trump von seinen Versprechen zu- In Trumps Denken gibt es keine Verbün- Präsidium. nächst wenig verwirklichen konnte, ist er deten und keine gewachsenen Beziehun- Merkels Trump-Bild hat sich seither ge- nun so kompromisslos. Mit Befremden gen, sondern ausschließlich egoistische ändert, nicht zum Positiven. Die ersten verfolgte Merkel, dass der US-Präsident in Staaten mit kurzfristigen Interessen. Kontakte mit der neuen Regierung waren Saudi-Arabien peinlich darauf achtete, sei- Trump ist geschichtslos, als abgebrühter ernüchternd. Als Christoph Heusgen, ihr ne Gastgeber nicht zu verärgern, während Immobilienhai sucht er den unmittelbaren außenpolitischer Berater, zum ersten Mal er den Verbündeten auf dem Nato-Gipfel Vorteil. Auf langfristige Beziehungen ist mit dem späteren Nationalen Sicherheits- in Brüssel öffentlich Vorwürfe machte. Das er nicht aus. berater Michael Flynn zusammentraf, war Schlimme an Trump sei nicht, dass er auch Zwei enge Vertraute des Präsidenten er über dessen außenpolitische Unkenntnis Partner kritisiere, sagt ein Vertrauter Mer- veröffentlichten in dieser Woche im „Wall schockiert. Aber es gab auch Raum für kels. Problematisch sei, dass er anders als Street Journal“ so etwas wie eine Trump- Hoffnung. seine Vorgänger die ganze internationale Doktrin. „Die Welt ist keine ,internatio- Gerade wegen der Naivität der neuen Ordnung infrage stelle. nale Gemeinschaft‘ “, schrieben dort Gary Regierung, glaubte Merkel anfangs, sei Einmal nahm Merkel Trump auf Sizilien Cohn und Herbert Raymond McMaster, Trump möglicherweise beeinflussbar. Es beiseite, um mit ihm unter vier Augen Trumps Berater in Wirtschafts- und Sicher- war ein erzieherischer Ansatz, der zu- über den Klimaschutz zu reden. Der Ame- heitsfragen. Der Subtext: Die globale Ord- nächst erfolgreich zu sein schien. In einem rikaner erklärte ihr, dass er seine Entschei- nung, wie sie die USA mitaufbauten, ge- Telefonat im Januar erklärte Merkel dung zum Pariser Klimaabkommen am hört der Vergangenheit an. Es gibt keine Trump die Situation in der Ukraine. Sie liebsten bis nach dem G-20-Gipfel im Juli Allianzen mehr, nur Einzelinteressen, kei- hatte den Eindruck, dass er sich zuvor nie in Hamburg aufschieben würde. Man kön- ne Verbündeten mehr, sondern nur noch ernsthaft mit dem Thema beschäftigt hatte. ne alles hinausschieben. Aber gut sei das Wettbewerber. An die früheren Verbünde- Es gelang ihr, ihn davon zu überzeugen, nicht, entgegnete Merkel. Sie drängte auf ten im Westen sendet er das Signal, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen eine Entscheidung bis zum Treffen. auf die Vereinigten Staaten als Partner nicht aufzuheben. Die hat sie nun bekommen. kein Verlass mehr ist. DER SPIEGEL 23 / 2017 17
JANEK SKARZYNSKI / AFP Polnische Fallschirmspringer bei einer Nato-Übung*: Tritt Amerika aus dem Bündnis aus? Wer den Schaden hat, braucht sich um ner die Sicherheit Europas. Lockert sich Wir müssen unsere eigenen Chancen nut- den Spott aus Moskau nicht zu sorgen. Die das transatlantische Verhältnis oder zer- zen und zeigen, dass wir in der Handels- forsche Sprecherin des Außenministe- bricht es gar, ist Russland der große Profi- politik bereit sind loszulegen, genauso wie riums, Marija Sacharowa, goss am Diens- teur. Putins Strategie, den Zusammenhalt bei der Verteidigung.“ tag bei Talkmaster Wladimir Solowjow der liberalen Demokratien des Westens zu Auf die europäische Verteidigungszusam- ihre Häme aus. untergraben, wäre aufgegangen. menarbeit wirkt der Trump-Faktor wie ein Wenn Europa sich neuerdings selbst zu- Dass der Auflösungsprozess so schnell Aphrodisiakum. Plötzlich ist möglich, was rechtfinden müsse, wie Merkel sage, zeige gehen würde, hat aber selbst die Russen vor Kurzem noch als undenkbar galt. das nur, wie anders es früher gewesen sei, überrascht. „Die transatlantischen Reibe- Frankreich und Deutschland drängen schon als man ja offenbar zum Befehlsempfang reien waren seit Monaten bekannt. Aber seit Langem auf eine engere militärische aus Washington aufmarschiert sei. „Wir dass Merkel laut ausspricht, Europa wolle Kooperation in Europa. Die Franzosen, um dachten immer, die Europäer hätten sich sich von der Abhängigkeit von den USA neben den Amerikanern ihren eigenen Füh- in der EU vereinigt – dabei sind sie da bloß befreien, habe ich nicht erwartet“, sagt rungsanspruch auf dem Kontinent geltend in Reih und Glied angetreten“, schloss sie Konstantin Kossatschow, Chef des Auswär- zu machen. Die Deutschen, um davon ab- unter dem zustimmenden Kichern ihres tigen Ausschusses im russischen Oberhaus. zulenken, dass sie seit Jahren zu wenig Gastgebers. In Brüssel, Berlin und vielen anderen Geld für ihre Streitkräfte ausgeben. Die regierungsamtliche Häme zeigt, wel- europäischen Hauptstädten hoffen die Eu- Bisher waren es immer die Briten und che Stimmung in der russischen Haupt- ropafreunde nun, dass sich Moskau zu früh die Osteuropäer, die alle deutsch-französi- stadt herrscht. Für Wladimir Putin scheint gefreut hat. Der Trump-Faktor, glauben schen Vorstöße ins Leere laufen ließen, sich in diesen Tagen ein Traum zu erfüllen, sie, könne genau den gegenteiligen Effekt aus Sorge, der Nato könne eine inner- Trump könnte sich in seinen Augen als bewirken und die zerstrittenen Europäer europäische Konkurrenz erwachsen. Der Glücksfall erweisen. Seit Langem hat Mos- wieder zusammenführen. Brexit hat den Briten nun die Blockade- kau vergebens versucht, einen Keil in das „Es reicht jetzt“, sagt Manfred Weber, macht genommen, und die Osteuropäer, transatlantische Bündnis zu treiben. Jetzt der Fraktionschef der Europäischen Volks- die sich als Frontstaaten an der russischen sieht es so aus, als würde der amerikani- partei im Europaparlament. „Trotz guten Grenze sehen, haben das Vertrauen in sche Präsident diesen Job erledigen. Willens sind wir an einem Wendepunkt. Trumps Bündniszusagen verloren. Bisher garantieren die atomaren und Aufmerksam hat man nicht nur in Berlin konventionellen Fähigkeiten der Amerika- * Im Juni 2016. registriert, dass sich ausgerechnet die Esten 18 DER SPIEGEL 23 / 2017
Titel jetzt an die Spitze der Bewegung setzen ist. Handelspartnern, die sich von den wollen, wenn sie ab Juli für ein halbes Jahr Amerikanern vor den Kopf gestoßen füh- die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. len, bietet sich die Gemeinschaft als Alter- Bisher fielen sie vor allem als Gegner einer native an. Entsprechend zügig schreiten stärkeren europäischen Verteidigungs- nun Verhandlungen über neue Freihandels- kooperation auf. abkommen mit Japan oder den südameri- Niemand glaubt daran, dass Europa in kanischen Mercosur-Staaten voran. EU- Zukunft allein für seine Sicherheit sorgen Handelskommissarin Cecilia Malmström kann. Dafür ist die militärische Rolle attackierte Trump bei ihrem Mexiko- Washingtons zu dominant. Die USA geben besuch sogar persönlich. „Wir wollen Brü- zweieinhalb mal so viel für Verteidigung cken bauen und keine Mauern“, sagte sie. aus wie alle europäischen Nato-Staaten Wie beim Handel will die EU auch beim zusammen. Das Undenkbare wird deshalb Klimaschutz das Vakuum ausfüllen, das in allen Überlegungen ausgeklammert: die Amerikaner hinterlassen. Bei einem Dass Trump Ernst machen und aus der Austritt der USA aus dem Pariser Abkom- Nato austreten könnte. Bei der Klimafrage men sei es „die Pflicht Europas zu sagen: hat sich jedoch gezeigt, dass Trump auch So geht das nicht“, sagte Kommissionschef LAURENT / EPA / REX / SHUTTERSTOCK vor dem Undenkbaren nicht zurück- Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Ber- schreckt. lin. „Das denkt Herr Trump, weil er sich Je unberechenbarer der große Verbün- den Dossiers nicht nahe genug nähert, um dete wird, desto mehr sind die Europäer sie vollumfänglich zu begreifen.“ auf eigene militärische Fähigkeiten ange- Es brauche drei bis vier Jahre, um aus wiesen. Vor wenigen Wochen beschlossen dem Abkommen auszusteigen. „Das ha- sie, in Brüssel eine gemeinsame Komman- ben wir versucht, in klaren deutschen dozentrale aufzubauen, die in Zukunft die Hauptsätzen auch dem US-Präsidenten in europäischen Ausbildungsmissionen in Russischer Präsident Putin Taormina zu vermitteln. Wie es scheint, Afrika oder die Marineoperation „Sophia“ Spaltung des Westens erreicht ist der Versuch nicht gelungen.“ Nicht alles, gegen die Schleuser im Mittelmeer führen was Gesetz sei, und nicht alles, „was in in- soll. Selbst die Briten stimmten nach lan- aus im Sinne Washingtons sein könnte. ternationalen Abkommen steht, ist Fake gem Zaudern schließlich zu. Beim Handel dagegen droht die große News“. Weitere Projekte könnten folgen: ein Konfrontation. Neben Verteidigung, Handel und Klima- europäisches Sanitätskommando, eine ge- Wie groß die Kluft dort inzwischen schutz gibt es noch einen vierten Bereich, meinsame Offiziersausbildung, eine euro- ist, erlebten Bundeswirtschaftsministerin in dem der Trump-Faktor für Bewegung päische Logistikdrehscheibe. Franzosen Brigitte Zypries und ihr Staatssekretär sorgen könnte. Eine Emanzipation von und Deutsche wollen eine gemeinsame Matthias Machnig in der vergangenen Amerika kann nur gelingen, wenn die ge- Lufttransporteinheit aufstellen, die Nieder- Woche in der amerikanischen Hauptstadt. meinsame Währung nicht wieder zum länder haben angeboten, die Führung ei- Die beiden Sozialdemokraten waren nach Spielball internationaler Finanzinvestoren nes multinationalen Verbands für Luftbe- ihren Gesprächen mit republikanischen wird. Der Euro, eigentlich als Krönung des tankung und -transport zu übernehmen. Abgeordneten und den Handelsexperten europäischen Friedenswerks gedacht, wur- Am Mittwoch will die Kommission ein des Präsidenten geschockt. de in der Krise zum Spaltpilz für den Kon- Papier vorstellen, in dem verschiedene „Einige unserer amerikanischen Ge- tinent. Szenarien durchgespielt werden, wie eine sprächspartner unterliegen einer groben Entsprechend zahlreich sind die Vor- stärkere militärische Zusammenarbeit in ökonomischen Fehleinschätzung. Sie glau- schläge, die Konstruktionsmängel der der EU im Jahr 2025 aussehen könnte. So ben, die hohen Handelsbilanzdefizite der Währungsunion zu beseitigen. Im Kern sollen die EU-Staaten ihre Militärplanun- USA gegenüber anderen Ländern seien geht es um einen Interessenausgleich zwi- gen stärker aufeinander abstimmen und schen Norden und Süden. Die Länder des regelmäßig gemeinsame Einsätze üben. Nordens dringen auf Haushaltsdisziplin Am schwierigsten ist die Kooperation Auf die europäische Ver- und wirtschaftliche Innovation, die Länder bei gemeinsamen Rüstungsprojekten, des Südens wollen Wachstum notfalls mit selbst wenn sie dort besonders nötig wäre. teidigungszusammenarbeit staatlichen Investitionen anfeuern. „In der EU gibt es 178 verschiedene Waf- Zuletzt stellte die Kommission am Mitt- fensysteme“, sagt EU-Kommissionspräsi- wirkt der Trump-Faktor woch ein Ideenpapier vor. Und plötzlich dent Jean-Claude Juncker, „in den USA wie ein Aphrodisiakum. klangen viele Vorschläge nicht mehr so nur 30.“ Deshalb erreichten die Europäer unrealistisch wie noch vor wenigen Mo- bei ihren Verteidigungsausgaben nur 15 naten: ein EU-Finanzminister und Euro- Prozent der Effizienz der Amerikaner. vor allen Dingen auf schlechte Handels- Gruppenchef und ein europäisches Schatz- Vor allem Deutsche und Franzosen wol- verträge zurückzuführen“, berichtet Staats- amt. len in diesem Bereich eng zusammenar- sekretär Machnig. Sie behaupteten ständig Es ist vor allem ein Mann, der Schwung beiten; bei Drohnen, Panzern und Kampf- vor den Gerichten der Welthandelsorgani- in die Debatte gebracht hat: der neue fran- hubschraubern. Die bisherigen Erfahrun- sation WTO zu unterliegen. „Dabei nutz- zösische Präsident Macron. Sollte er sein gen sind ernüchternd. Die Verhandlungen ten die USA das WTO-System bei Han- Versprechen wahrmachen und in seinem ziehen sich quälend lange hin, eine Eini- delsstreitigkeiten wie alle anderen Länder. Land Wirtschaftsreformen vorantreiben, gung ist nicht in Sicht. Und sie sind darin häufig erfolgreich.“ Mit könnten sich die Deutschen den französi- In der Sicherheitspolitik geht es den Eu- Trump seien die USA auf dem besten Weg schen Ideen für die Eurozone kaum mehr ropäern nicht darum, gegen die Amerika- in die Selbstisolierung. entziehen. Merkel deutet das längst an, ner etwas durchzusetzen, sondern unab- Ein Desaster, wie es Trump formulieren wenn sie sagt, dass sie für die nötigen Än- hängiger von ihnen zu werden – was durch- würde, das für die EU eine große Chance derungen der europäischen Verträge bereit DER SPIEGEL 23 / 2017 19
Liste des Schreckens Umwelt Nur mit unpopulären Maßnahmen sind die deutschen Klimaziele erreichbar. W enn es um Klimapolitik geht, weiß selbst Merkel. Allerdings scheut Umweltkosten voll angerechnet, heißt sieht sich Bundeskanzlerin sie bisher die Konsequenzen. Schließ- es in der Studie, müsste ein Benziner Angela Merkel gern an der lich müssten Millionen Autofahrer ihr auf der Autobahn 6,5 Cent pro Kilo- Spitze der Bewegung. International for- Verhalten ändern – und wahrscheinlich meter zahlen. Die Fahrt von Berlin dert sie den US-Präsidenten heraus, tiefer für ihre Mobilität in die Tasche nach Köln würde dann rund 37 Euro und auch zu Hause attestiert sie sich greifen. zusätzlich kosten. einen guten Job: Deutschland genieße Wie tief, zeigt eine neue Studie des Aus Sicht der Autoren ist eine solche „einen guten Ruf für seine Expertise Umweltbundesamtes. Das Papier trägt Maut auch deshalb charmant, weil der und Glaubwürdigkeit in Sachen Nach- den unschuldigen Titel „Klimaschutz Politik ein Instrument zur Verfügung haltigkeit“, sagte sie am Montag in Ber- im Verkehr: Neuer Handlungsbedarf stünde, mit dem sie „flexibel und lin. Es gebe „sehr großes internationa- nach dem Pariser Klimaschutzabkom- schnell auf verschärfte Klimaschutz- les Interesse an unseren Erfahrungen“. men“. Die Verkehrspolitiker, die bis anforderungen an den Verkehr reagie- Nur hat das merkelsche Selbstlob auf Weiteres am Verbrennungsmotor ren könnte“. Übersetzt heißt das: mit der Realität vergleichsweise wenig festhalten wollen, finden auf den 33 Fahren die Deutschen weiter zu viel, zu tun. Bereits vor zehn Jahren ver- Seiten eine Liste des Schreckens. könnte die Maut steigen. pflichtete sich die Bundesregierung, Denn die Autoren der Studie for- Ähnlich radikal sind die Vorschläge, die deutschen Emissionen bis 2020 im dern nicht nur den „Ausbau einer wenn es um die Förderung der Elektro- Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur für mobilität geht. Die ist in Deutschland reduzieren. Dieses Ziel ist inzwischen eine Verlagerung des Verkehrs auf kli- bislang vor allem ein Thema für Sonn- illusorisch: Bislang beträgt das Minus mafreundliche Verkehrsträger“, son- tagsreden. Inzwischen glaubt nicht ein- gerade einmal 28 Prozent. Besonders dern auch eine viel stärkere Förderung mal mehr die Kanzlerin an das Ziel, bis problematisch ist, dass die Fortschritte von Elektromobilität – und den „Ab- 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf gerade in den vergangenen Jahren be- bau von umweltschädlichen Subventio- die Straßen zu bekommen. Wohl auch, scheiden waren. nen“. So sollen zum Beispiel der güns- weil die im vergangenen Juli gestartete Das hat mit dem Weiterbetrieb von tige Steuersatz für Diesel und die Kaufprämie ein Flop ist. Nur 20 600 An- Kohlekraftwerken, vor allem aber mit Pendlerpauschale entfallen. träge sind bislang eingetroffen. Autos und Lkw zu tun. Zum „Sorgen- Ebenso wie es die EU-Kommission Im vergangenen Jahr waren sogar kind des Klimaschutzes“ hat Bundes- in dieser Woche vorgeschlagen hat, hal- nur 0,3 Prozent aller neu zugelassenen umweltministerin Barbara Hendricks ten die Autoren auch die Einführung Autos echte Elektrofahrzeuge. Deshalb den Verkehrsbereich erklärt. einer „fahrleistungsabhängigen Maut fordern die Autoren eine Mindestquote Aus gutem Grund, denn Sektoren für alle Straßenfahrzeuge“ für unab- nach chinesischem Vorbild. Würde ein wie Industrie, Energiewirtschaft oder dingbar. Hersteller diese verfehlen, müsste er Haushalte haben seit 1990 ihre Emissio- Anders als bei der von Bundesver- Strafzahlungen leisten. nen deutlich reduziert – nur der Ver- kehrsminister Alexander Dobrindt Weil zur Einhaltung des deutschen kehrssektor kann dabei nicht mithal- (CSU) konstruierten Abgabe sollen alle Klimaschutzplans nach Berechnungen ten. Dass es so nicht weitergehen kann, Autofahrer eine Gebühr zahlen, deren der Experten im Jahr 2030 rund zwölf dass auch der Verkehr endlich einen Höhe von den gefahrenen Kilometern Millionen Elektroautos auf den Stra- nennenswerten Beitrag leisten muss, abhängig wäre. Würden Wege- und ßen fahren müssten, wären entspre- chend hohe Quoten nötig: 2020 müss- Treibhausgas-Emissionen in Deutschland ten es 3 Prozent sein, 2025 bereits 30 Prozent. in Mio. Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten Obwohl die Autoren von einer wach- Quelle: Umweltbundesamt senden Zahl an Elektroautos ausgehen, rechnen sie damit, dass Verbrennungs- 1990 motoren „kurz- bis mittelfristig (min- destens bis 2030) die dominierenden 1251 2016 geschätzt Energieverbraucher im Verkehrssek- tor“ bleiben. Deshalb fordern sie auch auf diesem Gebiet eine deutlich schär- 906 Ziel der fere Gangart. Sie mahnen weiter sin- kende Verbrauchswerte an. – 28% Bundesregierung für 2020 Für die Chefin des Umweltbundes- amtes ist die Zeit der Absichtserklä- gegenüber 1990 rungen vorbei: „Im bisherigen Tempo 751 können wir nicht weitermachen“, sagt Maria Krautzberger. „Wenn – 40 % wir unsere Ziele noch erreichen wol- len, müssen wir auch über Maßnah- gegenüber 1990 men nachdenken, die auf den ersten Blick unpopulär sind.“ Sven Böll, Horand Knaup 20 DER SPIEGEL 23 / 2017
Titel sei. „Wir können dem Ganzen eine neue Dynamik geben“, sagte sie nach dem Be- such Macrons in Berlin. Von dem Duo Merkel und Macron wird abhängen, ob es Europa tatsächlich gelingt, sich von den USA freizuschwimmen. „Wenn Merkel die Wahl im September ge- winnt, hat sie zusammen mit dem neuen französischen Präsidenten die einmalige Chance, Europa seine Glaubwürdigkeit zu- rückzugeben“, sagt auch die amerikani- sche Historikerin Anne Applebaum. Europa müsse endlich über die eigene Au- ßenpolitik nachdenken, die eigene Sicher- heit, womöglich sogar eine eigene Armee. Dass sich die Europäer nicht mehr in erster Linie „auf andere“ verlassen kön- nen, dass sie selbst aktiver werden müssen, das war Macrons Haltung, schon bevor er zum Präsidenten gewählt wurde. Er will Europa handlungsfähiger machen, will sei- ne Institutionen justieren – um sie den neu- TOBIAS SCHWARZ / AFP en Herausforderungen anzupassen. Auch deshalb hat er mit Sylvie Goulard eine langjährige Europaabgeordnete, perfekt deutschsprachig, zu seiner Verteidigungs- ministerin gemacht. „Ob wir unsere Anliegen als Europäer Partner Merkel, Macron: Neuer Schwung in der Debatte um Europa laut verkünden oder nicht, die Hauptsache ist, tatsächlich handlungsfähiger zu wer- nicht klar, wer am Ende isoliert sein über den neuen Partner macht man sich den“, sagt ein französischer Diplomat. wird. im Kanzleramt nicht. Auch die Franzosen sehen in Trumps Wa- Merkel ist jetzt überzeugt, dass Europa Wenn alles nichts mehr hilft, blickt die shington keinen zuverlässigen Verbün- sein Schicksal in die eigenen Hände neh- Kanzlerin deshalb an diesen Tagen in ihrem deten mehr. Macrons Äußerung vor dem men muss. Aber Deutschland kann sich Terminkalender auf den 17. Juni. An jenem G-7-Gipfel, er sehe Trump als „Partner“, seiner Verbündeten nicht sicher sein. Als Samstag reist Merkel nach Rom, der Papst war nichts als ein Lippenbekenntnis. Fran- Trump in Brüssel hinter verschlossenen empfängt die Protestantin zu einer Privat- zösische Diplomaten waren schockiert Türen die Deutschen attackierte, sprangen audienz. Die Kanzlerin will Franziskus die darüber, wie unvorbereitet die Amerika- vor allem Macron und der Kanadier Justin Ziele ihres G-20-Gipfels in Hamburg erläu- ner sich in Brüssel und Taormina zeigten. Trudeau der Kanzlerin bei. Es sei erschre- tern, Migration und Frauenrechte etwa, und Macron, der sich auch psychologisch bis- ckend gewesen, berichten Teilnehmer, wie man braucht nicht viel Fantasie, um sich her als recht geschickt erwiesen hat, wird viele Nato-Verbündete sich vor Trump in vorzustellen, dass da in Sachen Trump zwei aber nicht den offenen Konflikt mit Trump den Staub geworfen hätten, und zwar nicht Leidensgenossen aufeinandertreffen. suchen. Ein transatlantischer Clash liegt nur die üblichen Verdächtigen aus Ost- Die Meinungsverschiedenheiten zwi- nicht in seinem Interesse. Macron glaubt europa. schen dem US-Präsidenten und dem Ober- fest an seine Überzeugungskraft, an seinen Merkel hat viele Fans. Sie ist der Star haupt der Katholiken sind kein Geheimnis. Charme und seine Verführungskunst. Er der Liberalen rund um den Globus. Die Anders als Trump ruft Franziskus dazu wird zuerst alles versuchen, um Trump da- linksliberale amerikanische Presse hatte auf, die Schöpfung zu bewahren und den hin zu bewegen, wo er ihn haben will. sie schon nach der Trump-Wahl zur Füh- Klimawandel zu bekämpfen. „Es ist unvor- In Macron könnte Angela Merkel all das rerin der freien Welt ausgerufen. In dieser stellbar, dass der Papst im Gespräch mit finden, was sie vermutlich die vergange- Woche widmete der britische „Guardian“ Trump den Klimawandel nicht angespro- nen Jahre über vergebens bei seinen Vor- ihr ein hymnisches Porträt. Ihre Staats- chen hat“, sagt ein Vatikankenner, der mit gängern suchte. Macron kann für Deutsch- kunst, ihre Entspanntheit, ihre Fähigkeit, Franziskus’ Denken bestens vertraut ist. land ein verlässlicher, ein starker Partner Kompromisse und Beziehungen auszuhan- Genutzt hat es offenbar nichts. werden. Dass er das vorhat, hat er auch deln, würden „immer beeindruckender“, Christian Esch, Konstantin von Hammerstein, mit der Zusammensetzung seines Kabi- schwärmte die Zeitung. Aber die publizis- Julia Amalia Heyer, Christiane Hoffmann, netts gezeigt. So viele Deutschlandkenner tische Verherrlichung nützt Merkel im Horand Knaup, Peter Müller, Ralf Neukirch, René Pfister, Christoph Scheuermann, saßen noch nie in einer französischen Re- Kräftemessen mit dem mächtigsten Mann Christoph Schult, Samiha Shafy, Gerald Traufetter gierung. der Welt nur wenig. Wird es der deutschen Kanzlerin gelin- Und China? Die asiatische Großmacht gen, in den wichtigen Streitfragen Bünd- macht sich bereit, den frei werdenden Lesen Sie zum Thema auch nisse gegen Donald Trump zu schmieden? Platz der amerikanischen Führungsnation das aktuelle Heft Leicht wird das nicht. Beim Klima gibt es zu übernehmen. Präsident Xi Jinping in- SPIEGEL WISSEN eine Chance. Aber beim Handel und in szenierte sich im Januar beim Weltwirt- Paradies Erde. Wie wir un- der Sicherheitspolitik ist sie gering. Wenn schaftsforum in Davos als mächtigster Für- seren Lebensraum retten es um die Lastenverteilung in der Nato sprecher des freien Welthandels. Nun will Erhältlich am Kiosk, im Buch- geht, steht Trump nicht allein da. Und China auch zur klimapolitischen Lead Na- handel oder im SPIEGEL SHOP beim deutschen Handelsüberschuss ist tion aufsteigen. Aber allzu viele Illusionen unter www.spiegel.de/shop DER SPIEGEL 23 / 2017 21
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