Triumph der Dummheit - Spiegel

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Triumph der Dummheit - Spiegel
Triumph der Dummheit
Weltklima Noch nie hat ein US-Präsident mit solch unverhohlenem Nationalismus
argumentiert wie Donald Trump. Sein Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen
ist eine Kriegserklärung an die Völkergemeinschaft – und an die Vernunft.

12   DER SPIEGEL 23 / 2017
Triumph der Dummheit - Spiegel
Titel

                                                                                                           Präsident Trump
                                                                                                           Jobs, Jobs, Jobs

                                                                                                           der den Namen der französischen Haupt-
                                                                                                           stadt trägt, das Klimaabkommen von Paris.
                                                                                                           „Der Klimawandel ist real, und er trifft die
                                                                                                           ärmsten Länder“, sagte Macron.
                                                                                                              Dann erinnerte der Kanadier Justin
                                                                                                           Trudeau den amerikanischen Präsidenten
                                                                                                           daran, wie erfolgreich man das Ozonloch
                                                                                                           bekämpft hatte und wie es gelungen war,
                                                                                                           die Industrie zu überzeugen, die schädli-
                                                                                                           chen Gase zu reduzieren.
                                                                                                              Und schließlich Merkel. Erneuerbare Ener-
                                                                                                           gien, so die Kanzlerin, böten für die Wirt-
                                                                                                           schaft eine Chance. „Wenn die größte Wirt-
                                                                                                           schaftsmacht aussteigt, überlässt man das
                                                                                                           Feld den Chinesen“, warnte sie. Xi Jinping,
                                                                                                           der chinesische Präsident, sei schlau, er wer-
                                                                                                           de eine solche Lücke nutzen. Sogar die Sau-
                                                                                                           dis richteten sich doch schon auf die Zeit
                                                                                                           nach dem Öl ein. Und überhaupt: Energie
                                                                                                           einzusparen sei für die Wirtschaft auch aus
                                                                                                           vielen anderen Gründen erstrebenswert,
                                                                                                           nicht nur wegen des Klimaschutzes.
                                                                                                              Doch Donald Trump war nicht zu über-
                                                                                                           zeugen. Kein noch so kluges Argument,
                                                                                                           das die zunehmend frustrierte Runde der
                                                                                                           Staatschefs vorbrachte, zeigte Wirkung.
                                                                                                           „Für mich“, sagte der US-Präsident, „wäre
                                                                                                           es einfacher, wenn wir in dem Abkommen
                                                                                                           bleiben.“ Aber: Die Umweltauflagen kos-
                                                                                                           teten die amerikanische Industrie Jobs.
                                                                                                           Und darum gehe es. Um Jobs, Jobs, Jobs.
                                                                                                              In diesem Moment war den Staats- und
                                                                                                           Regierungschefs am Tisch klar, dass sie ihn
                                                                                                           endgültig verloren hatten. Resigniert gab
                                                                                                           sich der Franzose Macron geschlagen:
                                                                                                           „Jetzt führt China.“
                                                                                                              Trotzdem hatte wohl keiner der Staats-
                                                                                                           und Regierungschefs erwartet, mit welcher
                                                                                                           brutalen Primitivität Trump sich aus der
                                                                                                           Völkergemeinschaft verabschieden würde.
                                                                                                           Umgeben von Claqueuren kündigte er am
                                                                                                           Donnerstag nicht nur den Ausstieg aus
                                                                                                           dem Klimaabkommen an, er erklärte der
                                                                                                           Vernunft den Krieg. Sein Auftritt im Ro-
                                                                                                           sengarten des Weißen Hauses war ein
                                                                                                           Bruch mit jahrhundertelanger Aufklärung
                                                                                        LUCA BRUNO / DPA

                                                                                                           und Rationalität. Der Präsident verkünde-
                                                                                                           te sein politisches Statement als ein natio-
                                                                                                           nalistisches Manifest in seiner dümmsten
                                                                                                           Ausprägung. Schlimmer hätte es nicht
                                                                                                           kommen können.
                                                                                                              Seine Rede war gespickt mit Fantasie-

B
       is zuletzt hatten sie hinter verschlos-   mittag voriger Woche aus dem luxuriösen                   zahlen aus umstrittenen oder widerlegten
       senen Türen versucht, ihn umzu-           Tagungshotel im sizilianischen Taormina,                  Studien, sie war scheinheilig und verlogen.
       stimmen. Noch einmal trugen sie           das dem SPIEGEL zugänglich gemacht wur-                   Für Trump ist das Klimaabkommen ein In-
alle Argumente vor, die humanitären, die         de. Am Tisch saßen die Führer der sieben                  strument, mit dem sich andere Länder auf
machtpolitischen und natürlich die ökono-        mächtigsten westlichen Industrienationen.                 Kosten Amerikas bereichern. „Ich wurde
mischen. Sie zählten die Vorteile auf. Für       Das Thema: Global economy and sustai-                     gewählt, um die Bürger von Pittsburgh zu
die Wirtschaft, die amerikanischen Unter-        nable development – Weltwirtschaft und                    vertreten, nicht die von Paris“, sagte er.
nehmen. Sie erklärten, wie niedrig die Auf-      nachhaltige Entwicklung.                                  Trump ließ keinen Zweifel daran, dass es
lagen sein würden.                                  Den Anfang hatte der frisch gewählte                   für ihn keinen höheren Wert gebe als das
   Als Letzte ergriff Kanzlerin Angela Mer-      französische Präsident gemacht, Emmanu-                   wirtschaftliche Wohlergehen der USA. Es
kel das Wort. So jedenfalls verzeichnet es       el Macron. Verständlich, dass der Franzose                sei kein Wunder, dass die anderen Länder
das geheime Protokoll vom Freitagnach-           für den völkerrechtlichen Vertrag kämpfte,                applaudiert hätten, als Washington das
                                                                                                                                    DER SPIEGEL 23 / 2017   13
Triumph der Dummheit - Spiegel
NOAH BERGER / AP
                             Autowracks nach einem Waldbrand in Kalifornien: „Wer sich nicht widersetzt, macht sich mitschuldig“

Abkommen unterzeichnete, sagte er. „Wir                sich beim Säbeltanz mit den Saudis               dem Amerika Trumps die transatlantische
wollen nicht länger, dass andere Länder                wohlerfühlt als im Kreise seiner Nato-Part-      Freundschaft aufgekündigt – ein Stück
und politische Führer über uns lachen. Und             ner. In den vergangenen Tagen trieb die          weit.
sie werden es nicht mehr tun.“                         Entfremdung auf einen neuen Höhepunkt               Die deutsche Kanzlerin ist zur Gegen-
   Für das Klima ist Trumps Ausstieg eine              zu: erst die Standpauke Trumps bei der           spielerin Trumps auf der internationalen
Katastrophe. Mit den USA verabschiedet                 Nato, dann der Streit um das Klimaab-            Bühne geworden. Merkel hat die Heraus-
sich der zweitgrößte Verursacher von                   kommen, schließlich Merkels Bierzeltrede         forderung angenommen, in der Handels-
Treibhausgasemissionen aus den interna-                in Trudering, kurz darauf Trumps Han-            politik, im Streit um die Finanzierung der
tionalen Bemühungen, den Klimawandel                   delskriegserklärung per Twitter – und nun        Nato und jetzt bei einem Thema, das ihr
aufzuhalten. Das Land, das nach China                  der Ausstieg Amerikas aus der Klimage-           besonders am Herzen liegt: dem Klima-
am meisten dazu beiträgt. Amerika stellt               meinschaft.                                      schutz.
sich gegen den Rest der Welt – gemeinsam                  Nun sind all jene ernüchtert, die ge-            Nun will Merkel ein Bündnis gegen
mit Syrien und Nicaragua, den einzigen                 glaubt hatten, Trump ließe sich einhegen,        Trump schmieden. Wenn sie den US-Prä-
Staaten, die das Abkommen von Paris                                                                     sidenten nicht überzeugen kann, so ihr An-
nicht unterschrieben haben.                                                                             satz, wird sie versuchen, ihn zu isolieren.
   Doch mindestens ebenso katastrophal                    Berlin hatte auf eine                         Dem 6 zu 1 von Taormina soll, falls er
dürften die Folgen für das weltpolitische                                                               nicht einlenkt, beim G-20-Gipfel im Juli
Klima sein. Trumps Auftritt war der vor-                  Lernkurve Trumps gehofft.                     in Hamburg ein 19 zu 1 folgen. Ob dies ge-
läufige Höhepunkt des Zerwürfnisses zwi-                                                                lingt, ist allerdings völlig offen.
schen Amerika und den Europäern, wie                      Jetzt ist klar: Wenn es sie                      Trump hat Deutschland als Hauptgegner
es das seit dem Ende des Zweiten Welt-                    gibt, zeigt sie nach unten.                   ausgemacht. Seit er im Januar sein Amt
kriegs nicht gegeben hat.                                                                               antrat, griff er mit Ausnahme von Nord-
   Nun steht die westliche Wertegemein-                                                                 korea und Iran kein Land so scharf an wie
schaft gegen den amerikanischen Präsiden-              das Amt werde ihn zur Vernunft bringen.          Deutschland: „bad, very bad“ nannte er
ten. Aus G-7 ist G-6 geworden. Der Westen              Berlin hatte auf den mäßigenden Einfluss         die Deutschen in Brüssel. Hinter verschlos-
ist gespalten.                                         seiner Berater gehofft, auf eine Lernkurve.      senen Türen stellte der US-Präsident
   Ein Dreivierteljahrhundert haben die                Jetzt, da Trump das Klimaabkommen tat-           Deutschland bei der Nato an den Pranger.
Vereinigten Staaten Europa geführt und                 sächlich aufgekündigt hat, ist klar: Wenn        Es gebe ja große und wohlhabende Staa-
geschützt. Bei allen Fehlern und Unzuläng-             es sie gibt, zeigt sie nach unten.               ten, die ihren Verpflichtungen im Bündnis
lichkeiten der amerikanischen Außenpoli-                  Die Kanzlerin hatte lange gezögert, den       nicht nachkämen, so Trump.
tik von Vietnam bis Irak stand der Füh-                Bruch sichtbar werden zu lassen. Für sie,           Und er will Deutschlands Wirtschafts-
rungsanspruch der USA für die freie Welt               die frühere DDR-Bürgerin, war das Bünd-          macht brechen. Das amerikanische Han-
nie grundsätzlich infrage.                             nis mit den USA immer viel mehr als              delsdefizit gegenüber Deutschland sei sehr
   Das ist nun vorbei. Jetzt werden die                politische Ratio, es entsprach ihrer tiefen      schlecht für die USA, twitterte der Präsi-
USA von einem Präsidenten geführt, der                 persönlichen Überzeugung. Jetzt hat sie          dent. „Das wird sich ändern.“
14   DER SPIEGEL 23 / 2017
Triumph der Dummheit - Spiegel
TIZIANA FABI / AFP
             Teilnehmer des G-7-Treffens mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs*: Höhepunkt der Entfremdung von den USA

   Es ist ein niederschmetterndes Fazit, das   ihr Mann Jared Kushner, Kabinettsmit-                  ner kritisierten den Klimavertrag mit dem
Merkel nach dem Ende von Trumps Be-            glieder wie Außenminister Rex Tillerson                fadenscheinigsten aller Argumente. Den
such zog. Noch nie seit dem Ende des           und Energieminister Rick Perry, dazu so                USA drohten rechtliche Konsequenzen,
Zweiten Weltkriegs ist es zum offenen          gut wie die gesamte Wirtschaftselite des               wenn sie ihre Klimaziele verfehlten oder
Bruch gekommen, nie war die Entfrem-           Landes.                                                nach unten korrigierten.
dung so groß wie heute. Als sich Kanzler          Konzerne von Exxon und Shell über                      Dabei war das Abkommen von Paris ja
Gerhard Schröder gegen den Irakkrieg von       Google, Apple und Amazon bis hin zu                    überhaupt nur mehrheitsfähig, weil es kei-
George W. Bush stellte, verweigerte er den     Walmart und PepsiCo appellierten an                    ne Sanktionsmöglichkeiten vorsieht. Als
USA in dieser einen Frage die Gefolgschaft     Trump, die USA klimapolitisch nicht ins                einzige Vorgabe müssen die Mitgliedstaa-
– eine schwere Belastung war das, aber         Abseits zu stellen. Sie fürchten, im inter-            ten alle fünf Jahre berichten, wie weit sie
doch anders als heute kein Zerwürfnis, das     nationalen Wettbewerb ins Hintertreffen                mit ihren selbst gewählten Klimaschutz-
die gemeinsamen Werte infrage stellte:         zu geraten in einer Welt, die sich auch                maßnahmen gekommen sind.
Freihandel, Minderheitenrechte, Presse-        ohne die USA in Richtung grüne Energie                    Darin liegt die Absurdität des trump-
freiheit, Rechtsstaatlichkeit – und Klima-     bewegt. Google, Microsoft oder Apple sind              schen Theaters: Nichts wäre für die USA
politik.                                       längst dabei, ihren Stromverbrauch auf                 leichter gewesen, als pro forma am Ver-
   Um die Tragweite von Trumps Entschei-       regenerative Energien umzustellen. Und                 handlungstisch der Uno zu sitzen und den
dung zu erfassen, muss man sich daran er-      zwar vollständig. Auch in den USA boo-                 Klimaschutz dennoch komplett einzustel-
innern, was Klimawandel für die Mensch-        men Wind- und Solarparks – und kaum                    len – woran Trump ohnehin arbeitet, seit
heit bedeutet. Was hinter der oft so ab-       ein Investor versenkt sein Geld noch in                er an der Macht ist.
strakten Debatte um Temperaturkurven,          Kohlegruben.                                              So plant er per Dekret, Obamas Ver-
Emissionen und Reduktionsziele steht.             Eine Reihe amerikanischer Bundesstaa-               mächtnis für den Klimaschutz, den „Clean
   Klimawandel bedeutet, dass Millionen        ten – allen voran Kalifornien – gehen auf              Power Plan“, zu verstümmeln. Dieser sieht
Menschen zu verhungern drohen, weil in         entschiedenen Antikurs zu Trumps Klima-                unter anderem vor, alte Kohlekraftwerke
manchen Regionen der Erde der Regen            politik, nach einer Umfrage des Chicago                zu schließen, den Ausstoß von Methangas
ausbleibt. Er bedeutet, dass der Meeres-       Council on Global Affairs sind fast drei               aus Öl- und Erdgasquellen zu verringern
spiegel steigt, Inseln und Küsten überflutet   Viertel der Amerikaner gegen den Aus-                  und Fahrzeuge sparsamer und umwelt-
werden. Klimawandel bedeutet schmelzen-        stieg aus dem Klimavertrag.                            freundlicher zu machen. Ohne diese Maß-
des Eis, stärkere Stürme, Hitzewellen, Was-       Auf der anderen Seite stehen rechte Na-             nahmen wird Obamas Ziel, den Ausstoß
serknappheit und tödliche Seuchen. All         tionalisten wie Trumps Chefstratege Ste-               von Treibhausgasen bis 2025 im Vergleich
das führt zu Konflikten um knapp werden-       phen Bannon, die den Klimawandel schon                 zu 2005 um bis zu 28 Prozent zu verrin-
de Ressourcen, zu Flucht und Migration.        deshalb leugnen, weil seine Bekämpfung                 gern, kaum erreichbar sein. Aber Trump
   Auch in den USA hatte es bis zuletzt        internationale Zusammenarbeit erfordern                will ja auch in die entgegengesetzte Rich-
Stimmen gegeben, die den Präsidenten vor       würde. Mächtige Vertreter der Republika-               tung gehen. Um die USA von Energie-
den Folgen seiner Entscheidung warnten.                                                               importen weniger abhängig zu machen,
Trumps Tochter Ivanka gehörte dazu und         * Am vergangenen Samstag im sizilianischen Taormina.   will er zurück zur Kohle, einer der schmut-
                                                                                                                             DER SPIEGEL 23 / 2017   15
Triumph der Dummheit - Spiegel
Titel

                                                                                                                                    Wie bitter dieser Satz für sie gewesen
                                                                                                                                 sein muss, wie tief die Enttäuschung, ist
                                                                                                                                 nicht zu unterschätzen. Mit dem westdeut-
                                                                                                                                 schen Antiamerikanismus konnte Merkel,
                                                                                                                                 die im Machtbereich der Sowjetunion auf-
                                                                                                                                 wuchs, nie etwas anfangen. Das Europa
                                                                                                                                 jenseits des Eisernen Vorhangs verdankte
                                                                                                                                 seine Freiheit nach 1989 auch der Verläss-
                                                                                                                                 lichkeit der USA.
                                                                                                                                    Für ihre transatlantischen Überzeugun-
                                                                                                                                 gen bewies Merkel eine bemerkenswerte
                                                                                                                                 Leidensfähigkeit. Sie kam einer offenen
                                                                                                                                 Unterstützung des Irakkriegs gefährlich
                                                                                                                                 nahe und pflegte eine persönliche Freund-
                                                                                                                                 schaft mit George W. Bush – obwohl die
                                                                                                                                 meisten Deutschen den US-Präsidenten

                                                                                                 PABLO MARTINEZ MONSIVAIS / AP
                                                                                                                                 ablehnten. Später ging Merkel stoisch mit
                                                                                                                                 dem Lauschangriff der NSA auf ihr Mobil-
                                                                                                                                 telefon um. Und sie wehrte sich nicht, als
                                                                                                                                 Trump ihre Flüchtlingspolitik als „irrsin-
                                                                                                                                 nig“ bezeichnete.
                                                                                                                                    Umso heftiger schlug jetzt Merkels Satz
                                                                                                                                 vom verlorenen Vertrauen ein. Das war
         Nationalist Trump*: „Gewählt für die Bürger von Pittsburgh, nicht für die von Paris“                                    eine neue Tonlage, und Merkel wusste,
                                                                                                                                 dass sie für Aufregung sorgen würde. Sie
zigsten Energiequellen überhaupt. Dabei                 Das Problem ist, dass all das nicht genügt,                              wollte es so.
war dieses Ziel dank billigem und weniger            um die Erwärmung der Erde, wie im Pariser                                      Ihr Satz ging sofort um die Welt und
umweltschädlichem Erdgas schon Jahre                 Klimavertrag vorgesehen, auf deutlich un-                                   wurde von den Trump-Gegnern in den
vor seinem Amtsantritt erreicht.                     ter zwei Grad zu beschränken. Viel mehr                                     USA aufgegriffen, als Beleg dafür, dass die
   Für Deutschland und Europa geht es                Einsatz, mehr Entschlossenheit wären nötig,                                 mächtigste Frau Europas die Hoffnung ver-
nun darum, die anderen Nationen bei der              vor allem in den Ländern, die es sich leisten                               loren hat, Trump lasse sich noch zur Ver-
Stange zu halten. In Berlin wird daran               könnten. Deutschland etwa wird sein Ziel,                                   nunft bringen.
schon seit Wochen gearbeitet. Wegen der              den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020                                        Merkel bekommt für Parteiauftritte im-
längst sichtbaren Folgen des Klimawandels            um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990                                     mer ein Manuskript aus dem Adenauer-
und der fallenden Preise für regenerative            zu senken, ziemlich sicher verpassen.                                       Haus, aber die entscheidenden Sätze fügt
Energien hält man den eingeschlagenen                   In Taormina setzte Kanzlerin Merkel al-                                  sie selbst ein. Die Passage über Europas
Weg global für unumkehrbar.                          les daran, den amerikanischen Präsidenten                                   Verbündeten war ein Signal über den
   Die EU, aber auch China und Indien hät-           zu isolieren. Sie wollte den Streit zwischen                                Atlantik, aber auch nach innen, nach
ten ein großes Interesse, vom fossilen Ener-         den USA und den Verbündeten in der Ab-                                      Deutschland. Mit ihrer Rede in Trudering
gieverbrauch wegzukommen, heißt es. So-              schlusserklärung über den Klimapakt aus-                                    eröffnete sie den Wahlkampf.
gar Emissäre Russlands und Saudi-Ara-                drücklich erwähnen. Üblicherweise wer-                                         Merkel weiß, dass die SPD die Außen-
biens, deren Regierungen nicht gerade als                                                                                        politik zum Thema machen will, die Partei
enthusiastische Anhänger regenerativer                                                                                           hat damit gute Erfahrungen gemacht. Wil-
Energien gelten, hätten den Deutschen                   Noch nie seit dem                                                        ly Brandt schnitt bei den Bundestagswah-
signalisiert: „Paris wird eingehalten.“                                                                                          len 1969 und 1972 auch deshalb gut ab, weil
   Demonstrativ bekräftigten Merkel und                 Ende des Zweiten Welt-                                                   er sich gegen die bis dahin gültige Politik
Chinas Ministerpräsident Li Keqiang am                                                                                           des Kalten Krieges stellte. Und Gerhard
Donnerstag in Berlin ihr Bekenntnis zum                 kriegs war die Entfremdung                                               Schröder sicherte sich den Wahlsieg 2002
Pariser Abkommen. Der Chinese nahm                      so groß wie heute.                                                       nicht zuletzt durch sein striktes Nein zu
sogar das Wort vom „grünen Wachstum“                                                                                             einer deutschen Beteiligung am Irakkrieg.
in den Mund.                                                                                                                        Am vergangenen Montag nutzte Sigmar
   China und auch Indien werden ihre Kli-            den in solchen Dokumenten Differenzen                                       Gabriel einen runden Tisch zum Thema
maziele wohl nicht nur einhalten, sondern            eher verschwiegen.                                                          Migration im Außenamt dazu, mit Trump
sogar übertreffen. So reduziert China sei-              Beim G-20-Treffen im Juli in Hamburg                                     abzurechnen. Die großen Herausforderun-
nen Kohleverbrauch seit drei Jahren, Pläne           will Merkel es genauso halten. Dann sollen                                  gen der Gegenwart, etwa der Klimawandel,
für über hundert neue Kohlekraftwerke                sich die anderen Staaten gegen die USA                                      würden „durch den neuen US-amerikani-
wurden annulliert. Auch Indien verzichtet            stellen. Das ist zumindest Merkels Hoffnung.                                schen Isolationismus nur größer“, sagte
auf neue Kohlekraftwerke und wird sein               Selbst wenn Saudi-Arabien seinen Alliierten                                 der Außenminister. Wer sich einer solchen
Ziel, 40 Prozent seiner Elektrizität aus             Trump doch unterstützen sollte, stünde es                                   Politik nicht widersetze, so Gabriel,
nicht fossilen Quellen zu erzeugen, wohl             am Ende noch 18 zu 2. Das sähe für Wa-                                      „macht sich mitschuldig“. Das zielte direkt
schon 2022 erreichen, acht Jahre früher als          shington nicht unbedingt besser aus.                                        auf die Kanzlerin.
geplant. Beide Länder investieren in So-                Merkel jedenfalls tut alles dafür, Trump                                    Doch mit ihrer Truderinger Rede hat
lar- und Windenergie, in beiden ist Strom            unter Druck zu setzen. „Die Zeiten, in de-                                  sich Merkel gegen den Vorwurf gewappnet,
aus sauberen Quellen häufig günstiger als            nen wir uns auf andere völlig verlassen                                     eine willige Gehilfin Trumps zu sein. Auch
Kohlestrom.                                          konnten, die sind ein Stück vorbei“, sagte                                  wenn sie mit Washington im Gespräch blei-
                                                     sie am vergangenen Sonntag in einem Bier-                                   ben will. Vor der CDU/CSU-Bundestags-
* Am Donnerstag bei seiner Rede im Rosengarten.      zelt in Trudering.                                                          fraktion sagte sie am Dienstag, die trans-
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                                        Junge in Kenia: Millionen Menschen drohen zu verhungern

atlantischen Beziehungen hätten nach wie         Der neue Präsident verzichtete bislang          Trump seinerseits hat, soweit man das
vor „herausragende Bedeutung“. Aller-         auch darauf, die amerikanische Botschaft        sagen kann, einen sehr funktionalen Blick
dings dürfe man Differenzen nicht unter       in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu        auf Merkel. Er will, dass sie die Verteidi-
den Teppich kehren.                           verlegen. Er ließ das Iranabkommen erst         gungsausgaben erhöht und das Handels-
   Wie schwer es mit dem amerikanischen       einmal in Kraft und revidierte seine Aus-       defizit zugunsten der USA verändert,
Präsidenten werden würde, hatte Merkel        sage, wonach die Nato obsolet sei. Im           selbst wenn das politisch unmöglich ist.
früh erkannt. Sie sah sich seine Auftritte    Kanzleramt keimte schon die Hoffnung,           Und er will, dass sie die anderen Europäer
an, noch bevor er als Präsident vereidigt     aus Trump könnte ein zweiter Ronald Rea-        dazu zwingt, das Gleiche zu tun, selbst
wurde. Trump meine seinen Slogan „Ame-        gan werden.                                     wenn Merkel dazu gar nicht die Macht be-
rica First“ – Amerika zuerst – sehr ernst,       Die hat sich nun zerschlagen. Gerade         sitzt.
sagte sie schon im Dezember im CDU-           weil Trump von seinen Versprechen zu-              In Trumps Denken gibt es keine Verbün-
Präsidium.                                    nächst wenig verwirklichen konnte, ist er       deten und keine gewachsenen Beziehun-
   Merkels Trump-Bild hat sich seither ge-    nun so kompromisslos. Mit Befremden             gen, sondern ausschließlich egoistische
ändert, nicht zum Positiven. Die ersten       verfolgte Merkel, dass der US-Präsident in      Staaten mit kurzfristigen Interessen.
Kontakte mit der neuen Regierung waren        Saudi-Arabien peinlich darauf achtete, sei-     Trump ist geschichtslos, als abgebrühter
ernüchternd. Als Christoph Heusgen, ihr       ne Gastgeber nicht zu verärgern, während        Immobilienhai sucht er den unmittelbaren
außenpolitischer Berater, zum ersten Mal      er den Verbündeten auf dem Nato-Gipfel          Vorteil. Auf langfristige Beziehungen ist
mit dem späteren Nationalen Sicherheits-      in Brüssel öffentlich Vorwürfe machte. Das      er nicht aus.
berater Michael Flynn zusammentraf, war       Schlimme an Trump sei nicht, dass er auch          Zwei enge Vertraute des Präsidenten
er über dessen außenpolitische Unkenntnis     Partner kritisiere, sagt ein Vertrauter Mer-    veröffentlichten in dieser Woche im „Wall
schockiert. Aber es gab auch Raum für         kels. Problematisch sei, dass er anders als     Street Journal“ so etwas wie eine Trump-
Hoffnung.                                     seine Vorgänger die ganze internationale        Doktrin. „Die Welt ist keine ,internatio-
   Gerade wegen der Naivität der neuen        Ordnung infrage stelle.                         nale Gemeinschaft‘ “, schrieben dort Gary
Regierung, glaubte Merkel anfangs, sei           Einmal nahm Merkel Trump auf Sizilien        Cohn und Herbert Raymond McMaster,
Trump möglicherweise beeinflussbar. Es        beiseite, um mit ihm unter vier Augen           Trumps Berater in Wirtschafts- und Sicher-
war ein erzieherischer Ansatz, der zu-        über den Klimaschutz zu reden. Der Ame-         heitsfragen. Der Subtext: Die globale Ord-
nächst erfolgreich zu sein schien. In einem   rikaner erklärte ihr, dass er seine Entschei-   nung, wie sie die USA mitaufbauten, ge-
Telefonat im Januar erklärte Merkel           dung zum Pariser Klimaabkommen am               hört der Vergangenheit an. Es gibt keine
Trump die Situation in der Ukraine. Sie       liebsten bis nach dem G-20-Gipfel im Juli       Allianzen mehr, nur Einzelinteressen, kei-
hatte den Eindruck, dass er sich zuvor nie    in Hamburg aufschieben würde. Man kön-          ne Verbündeten mehr, sondern nur noch
ernsthaft mit dem Thema beschäftigt hatte.    ne alles hinausschieben. Aber gut sei das       Wettbewerber. An die früheren Verbünde-
Es gelang ihr, ihn davon zu überzeugen,       nicht, entgegnete Merkel. Sie drängte auf       ten im Westen sendet er das Signal, dass
die gegen Russland verhängten Sanktionen      eine Entscheidung bis zum Treffen.              auf die Vereinigten Staaten als Partner
nicht aufzuheben.                                Die hat sie nun bekommen.                    kein Verlass mehr ist.
                                                                                                                      DER SPIEGEL 23 / 2017   17
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                             Polnische Fallschirmspringer bei einer Nato-Übung*: Tritt Amerika aus dem Bündnis aus?

   Wer den Schaden hat, braucht sich um          ner die Sicherheit Europas. Lockert sich        Wir müssen unsere eigenen Chancen nut-
den Spott aus Moskau nicht zu sorgen. Die        das transatlantische Verhältnis oder zer-       zen und zeigen, dass wir in der Handels-
forsche Sprecherin des Außenministe-             bricht es gar, ist Russland der große Profi-    politik bereit sind loszulegen, genauso wie
riums, Marija Sacharowa, goss am Diens-          teur. Putins Strategie, den Zusammenhalt        bei der Verteidigung.“
tag bei Talkmaster Wladimir Solowjow             der liberalen Demokratien des Westens zu           Auf die europäische Verteidigungszusam-
ihre Häme aus.                                   untergraben, wäre aufgegangen.                  menarbeit wirkt der Trump-Faktor wie ein
   Wenn Europa sich neuerdings selbst zu-           Dass der Auflösungsprozess so schnell        Aphrodisiakum. Plötzlich ist möglich, was
rechtfinden müsse, wie Merkel sage, zeige        gehen würde, hat aber selbst die Russen         vor Kurzem noch als undenkbar galt.
das nur, wie anders es früher gewesen sei,       überrascht. „Die transatlantischen Reibe-       Frankreich und Deutschland drängen schon
als man ja offenbar zum Befehlsempfang           reien waren seit Monaten bekannt. Aber          seit Langem auf eine engere militärische
aus Washington aufmarschiert sei. „Wir           dass Merkel laut ausspricht, Europa wolle       Kooperation in Europa. Die Franzosen, um
dachten immer, die Europäer hätten sich          sich von der Abhängigkeit von den USA           neben den Amerikanern ihren eigenen Füh-
in der EU vereinigt – dabei sind sie da bloß     befreien, habe ich nicht erwartet“, sagt        rungsanspruch auf dem Kontinent geltend
in Reih und Glied angetreten“, schloss sie       Konstantin Kossatschow, Chef des Auswär-        zu machen. Die Deutschen, um davon ab-
unter dem zustimmenden Kichern ihres             tigen Ausschusses im russischen Oberhaus.       zulenken, dass sie seit Jahren zu wenig
Gastgebers.                                         In Brüssel, Berlin und vielen anderen        Geld für ihre Streitkräfte ausgeben.
   Die regierungsamtliche Häme zeigt, wel-       europäischen Hauptstädten hoffen die Eu-           Bisher waren es immer die Briten und
che Stimmung in der russischen Haupt-            ropafreunde nun, dass sich Moskau zu früh       die Osteuropäer, die alle deutsch-französi-
stadt herrscht. Für Wladimir Putin scheint       gefreut hat. Der Trump-Faktor, glauben          schen Vorstöße ins Leere laufen ließen,
sich in diesen Tagen ein Traum zu erfüllen,      sie, könne genau den gegenteiligen Effekt       aus Sorge, der Nato könne eine inner-
Trump könnte sich in seinen Augen als            bewirken und die zerstrittenen Europäer         europäische Konkurrenz erwachsen. Der
Glücksfall erweisen. Seit Langem hat Mos-        wieder zusammenführen.                          Brexit hat den Briten nun die Blockade-
kau vergebens versucht, einen Keil in das           „Es reicht jetzt“, sagt Manfred Weber,       macht genommen, und die Osteuropäer,
transatlantische Bündnis zu treiben. Jetzt       der Fraktionschef der Europäischen Volks-       die sich als Frontstaaten an der russischen
sieht es so aus, als würde der amerikani-        partei im Europaparlament. „Trotz guten         Grenze sehen, haben das Vertrauen in
sche Präsident diesen Job erledigen.             Willens sind wir an einem Wendepunkt.           Trumps Bündniszusagen verloren.
   Bisher garantieren die atomaren und                                                              Aufmerksam hat man nicht nur in Berlin
konventionellen Fähigkeiten der Amerika-         * Im Juni 2016.                                 registriert, dass sich ausgerechnet die Esten
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Titel

jetzt an die Spitze der Bewegung setzen                                                                                       ist. Handelspartnern, die sich von den
wollen, wenn sie ab Juli für ein halbes Jahr                                                                                  Amerikanern vor den Kopf gestoßen füh-
die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.                                                                                        len, bietet sich die Gemeinschaft als Alter-
Bisher fielen sie vor allem als Gegner einer                                                                                  native an. Entsprechend zügig schreiten
stärkeren europäischen Verteidigungs-                                                                                         nun Verhandlungen über neue Freihandels-
kooperation auf.                                                                                                              abkommen mit Japan oder den südameri-
   Niemand glaubt daran, dass Europa in                                                                                       kanischen Mercosur-Staaten voran. EU-
Zukunft allein für seine Sicherheit sorgen                                                                                    Handelskommissarin Cecilia Malmström
kann. Dafür ist die militärische Rolle                                                                                        attackierte Trump bei ihrem Mexiko-
Washingtons zu dominant. Die USA geben                                                                                        besuch sogar persönlich. „Wir wollen Brü-
zweieinhalb mal so viel für Verteidigung                                                                                      cken bauen und keine Mauern“, sagte sie.
aus wie alle europäischen Nato-Staaten                                                                                           Wie beim Handel will die EU auch beim
zusammen. Das Undenkbare wird deshalb                                                                                         Klimaschutz das Vakuum ausfüllen, das
in allen Überlegungen ausgeklammert:                                                                                          die Amerikaner hinterlassen. Bei einem
Dass Trump Ernst machen und aus der                                                                                           Austritt der USA aus dem Pariser Abkom-
Nato austreten könnte. Bei der Klimafrage                                                                                     men sei es „die Pflicht Europas zu sagen:
hat sich jedoch gezeigt, dass Trump auch                                                                                      So geht das nicht“, sagte Kommissionschef

                                                                                         LAURENT / EPA / REX / SHUTTERSTOCK
vor dem Undenkbaren nicht zurück-                                                                                             Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Ber-
schreckt.                                                                                                                     lin. „Das denkt Herr Trump, weil er sich
   Je unberechenbarer der große Verbün-                                                                                       den Dossiers nicht nahe genug nähert, um
dete wird, desto mehr sind die Europäer                                                                                       sie vollumfänglich zu begreifen.“
auf eigene militärische Fähigkeiten ange-                                                                                        Es brauche drei bis vier Jahre, um aus
wiesen. Vor wenigen Wochen beschlossen                                                                                        dem Abkommen auszusteigen. „Das ha-
sie, in Brüssel eine gemeinsame Komman-                                                                                       ben wir versucht, in klaren deutschen
dozentrale aufzubauen, die in Zukunft die                                                                                     Hauptsätzen auch dem US-Präsidenten in
europäischen Ausbildungsmissionen in                   Russischer Präsident Putin                                             Taormina zu vermitteln. Wie es scheint,
Afrika oder die Marineoperation „Sophia“              Spaltung des Westens erreicht                                           ist der Versuch nicht gelungen.“ Nicht alles,
gegen die Schleuser im Mittelmeer führen                                                                                      was Gesetz sei, und nicht alles, „was in in-
soll. Selbst die Briten stimmten nach lan-     aus im Sinne Washingtons sein könnte.                                          ternationalen Abkommen steht, ist Fake
gem Zaudern schließlich zu.                    Beim Handel dagegen droht die große                                            News“.
   Weitere Projekte könnten folgen: ein        Konfrontation.                                                                    Neben Verteidigung, Handel und Klima-
europäisches Sanitätskommando, eine ge-           Wie groß die Kluft dort inzwischen                                          schutz gibt es noch einen vierten Bereich,
meinsame Offiziersausbildung, eine euro-       ist, erlebten Bundeswirtschaftsministerin                                      in dem der Trump-Faktor für Bewegung
päische Logistikdrehscheibe. Franzosen         Brigitte Zypries und ihr Staatssekretär                                        sorgen könnte. Eine Emanzipation von
und Deutsche wollen eine gemeinsame            Matthias Machnig in der vergangenen                                            Amerika kann nur gelingen, wenn die ge-
Lufttransporteinheit aufstellen, die Nieder-   Woche in der amerikanischen Hauptstadt.                                        meinsame Währung nicht wieder zum
länder haben angeboten, die Führung ei-        Die beiden Sozialdemokraten waren nach                                         Spielball internationaler Finanzinvestoren
nes multinationalen Verbands für Luftbe-       ihren Gesprächen mit republikanischen                                          wird. Der Euro, eigentlich als Krönung des
tankung und -transport zu übernehmen.          Abgeordneten und den Handelsexperten                                           europäischen Friedenswerks gedacht, wur-
   Am Mittwoch will die Kommission ein         des Präsidenten geschockt.                                                     de in der Krise zum Spaltpilz für den Kon-
Papier vorstellen, in dem verschiedene            „Einige unserer amerikanischen Ge-                                          tinent.
Szenarien durchgespielt werden, wie eine       sprächspartner unterliegen einer groben                                           Entsprechend zahlreich sind die Vor-
stärkere militärische Zusammenarbeit in        ökonomischen Fehleinschätzung. Sie glau-                                       schläge, die Konstruktionsmängel der
der EU im Jahr 2025 aussehen könnte. So        ben, die hohen Handelsbilanzdefizite der                                       Währungsunion zu beseitigen. Im Kern
sollen die EU-Staaten ihre Militärplanun-      USA gegenüber anderen Ländern seien                                            geht es um einen Interessenausgleich zwi-
gen stärker aufeinander abstimmen und                                                                                         schen Norden und Süden. Die Länder des
regelmäßig gemeinsame Einsätze üben.                                                                                          Nordens dringen auf Haushaltsdisziplin
   Am schwierigsten ist die Kooperation           Auf die europäische Ver-                                                    und wirtschaftliche Innovation, die Länder
bei gemeinsamen Rüstungsprojekten,                                                                                            des Südens wollen Wachstum notfalls mit
selbst wenn sie dort besonders nötig wäre.        teidigungszusammenarbeit                                                    staatlichen Investitionen anfeuern.
„In der EU gibt es 178 verschiedene Waf-                                                                                         Zuletzt stellte die Kommission am Mitt-
fensysteme“, sagt EU-Kommissionspräsi-            wirkt der Trump-Faktor                                                      woch ein Ideenpapier vor. Und plötzlich
dent Jean-Claude Juncker, „in den USA             wie ein Aphrodisiakum.                                                      klangen viele Vorschläge nicht mehr so
nur 30.“ Deshalb erreichten die Europäer                                                                                      unrealistisch wie noch vor wenigen Mo-
bei ihren Verteidigungsausgaben nur 15                                                                                        naten: ein EU-Finanzminister und Euro-
Prozent der Effizienz der Amerikaner.          vor allen Dingen auf schlechte Handels-                                        Gruppenchef und ein europäisches Schatz-
   Vor allem Deutsche und Franzosen wol-       verträge zurückzuführen“, berichtet Staats-                                    amt.
len in diesem Bereich eng zusammenar-          sekretär Machnig. Sie behaupteten ständig                                         Es ist vor allem ein Mann, der Schwung
beiten; bei Drohnen, Panzern und Kampf-        vor den Gerichten der Welthandelsorgani-                                       in die Debatte gebracht hat: der neue fran-
hubschraubern. Die bisherigen Erfahrun-        sation WTO zu unterliegen. „Dabei nutz-                                        zösische Präsident Macron. Sollte er sein
gen sind ernüchternd. Die Verhandlungen        ten die USA das WTO-System bei Han-                                            Versprechen wahrmachen und in seinem
ziehen sich quälend lange hin, eine Eini-      delsstreitigkeiten wie alle anderen Länder.                                    Land Wirtschaftsreformen vorantreiben,
gung ist nicht in Sicht.                       Und sie sind darin häufig erfolgreich.“ Mit                                    könnten sich die Deutschen den französi-
   In der Sicherheitspolitik geht es den Eu-   Trump seien die USA auf dem besten Weg                                         schen Ideen für die Eurozone kaum mehr
ropäern nicht darum, gegen die Amerika-        in die Selbstisolierung.                                                       entziehen. Merkel deutet das längst an,
ner etwas durchzusetzen, sondern unab-            Ein Desaster, wie es Trump formulieren                                      wenn sie sagt, dass sie für die nötigen Än-
hängiger von ihnen zu werden – was durch-      würde, das für die EU eine große Chance                                        derungen der europäischen Verträge bereit
                                                                                                                                                      DER SPIEGEL 23 / 2017   19
Triumph der Dummheit - Spiegel
Liste des Schreckens
     Umwelt Nur mit unpopulären Maßnahmen sind die deutschen Klimaziele erreichbar.

     W
                enn es um Klimapolitik geht,  weiß selbst Merkel. Allerdings scheut                 Umweltkosten voll angerechnet, heißt
                sieht sich Bundeskanzlerin    sie bisher die Konsequenzen. Schließ-                 es in der Studie, müsste ein Benziner
                Angela Merkel gern an der     lich müssten Millionen Autofahrer ihr                 auf der Autobahn 6,5 Cent pro Kilo-
     Spitze der Bewegung. International for- Verhalten ändern – und wahrscheinlich                  meter zahlen. Die Fahrt von Berlin
     dert sie den US-Präsidenten heraus,      tiefer für ihre Mobilität in die Tasche               nach Köln würde dann rund 37 Euro
     und auch zu Hause attestiert sie sich    greifen.                                              zusätzlich kosten.
     einen guten Job: Deutschland genieße        Wie tief, zeigt eine neue Studie des                  Aus Sicht der Autoren ist eine solche
     „einen guten Ruf für seine Expertise     Umweltbundesamtes. Das Papier trägt                   Maut auch deshalb charmant, weil der
     und Glaubwürdigkeit in Sachen Nach-      den unschuldigen Titel „Klimaschutz                   Politik ein Instrument zur Verfügung
     haltigkeit“, sagte sie am Montag in Ber- im Verkehr: Neuer Handlungsbedarf                     stünde, mit dem sie „flexibel und
     lin. Es gebe „sehr großes internationa-  nach dem Pariser Klimaschutzabkom-                    schnell auf verschärfte Klimaschutz-
     les Interesse an unseren Erfahrungen“. men“. Die Verkehrspolitiker, die bis                    anforderungen an den Verkehr reagie-
        Nur hat das merkelsche Selbstlob      auf Weiteres am Verbrennungsmotor                     ren könnte“. Übersetzt heißt das:
     mit der Realität vergleichsweise wenig   festhalten wollen, finden auf den 33                  Fahren die Deutschen weiter zu viel,
     zu tun. Bereits vor zehn Jahren ver-     Seiten eine Liste des Schreckens.                     könnte die Maut steigen.
     pflichtete sich die Bundesregierung,        Denn die Autoren der Studie for-                      Ähnlich radikal sind die Vorschläge,
     die deutschen Emissionen bis 2020 im     dern nicht nur den „Ausbau einer                      wenn es um die Förderung der Elektro-
     Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu       nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur für                mobilität geht. Die ist in Deutschland
     reduzieren. Dieses Ziel ist inzwischen   eine Verlagerung des Verkehrs auf kli-                bislang vor allem ein Thema für Sonn-
     illusorisch: Bislang beträgt das Minus   mafreundliche Verkehrsträger“, son-                   tagsreden. Inzwischen glaubt nicht ein-
     gerade einmal 28 Prozent. Besonders      dern auch eine viel stärkere Förderung                mal mehr die Kanzlerin an das Ziel, bis
     problematisch ist, dass die Fortschritte von Elektromobilität – und den „Ab-                   2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf
     gerade in den vergangenen Jahren be-     bau von umweltschädlichen Subventio-                  die Straßen zu bekommen. Wohl auch,
     scheiden waren.                          nen“. So sollen zum Beispiel der güns-                weil die im vergangenen Juli gestartete
        Das hat mit dem Weiterbetrieb von     tige Steuersatz für Diesel und die                    Kaufprämie ein Flop ist. Nur 20 600 An-
     Kohlekraftwerken, vor allem aber mit     Pendlerpauschale entfallen.                           träge sind bislang eingetroffen.
     Autos und Lkw zu tun. Zum „Sorgen-          Ebenso wie es die EU-Kommission                       Im vergangenen Jahr waren sogar
     kind des Klimaschutzes“ hat Bundes-      in dieser Woche vorgeschlagen hat, hal-               nur 0,3 Prozent aller neu zugelassenen
     umweltministerin Barbara Hendricks       ten die Autoren auch die Einführung                   Autos echte Elektrofahrzeuge. Deshalb
     den Verkehrsbereich erklärt.             einer „fahrleistungsabhängigen Maut                   fordern die Autoren eine Mindestquote
        Aus gutem Grund, denn Sektoren        für alle Straßenfahrzeuge“ für unab-                  nach chinesischem Vorbild. Würde ein
     wie Industrie, Energiewirtschaft oder    dingbar.                                              Hersteller diese verfehlen, müsste er
     Haushalte haben seit 1990 ihre Emissio-     Anders als bei der von Bundesver-                  Strafzahlungen leisten.
     nen deutlich reduziert – nur der Ver-    kehrsminister Alexander Dobrindt                         Weil zur Einhaltung des deutschen
     kehrssektor kann dabei nicht mithal-     (CSU) konstruierten Abgabe sollen alle                Klimaschutzplans nach Berechnungen
     ten. Dass es so nicht weitergehen kann, Autofahrer eine Gebühr zahlen, deren                   der Experten im Jahr 2030 rund zwölf
     dass auch der Verkehr endlich einen      Höhe von den gefahrenen Kilometern                    Millionen Elektroautos auf den Stra-
     nennenswerten Beitrag leisten muss,      abhängig wäre. Würden Wege- und                       ßen fahren müssten, wären entspre-
                                                                                                    chend hohe Quoten nötig: 2020 müss-
                                          Treibhausgas-Emissionen in Deutschland                    ten es 3 Prozent sein, 2025 bereits
                                                                                                    30 Prozent.
                                                   in Mio. Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten
                                                                                                       Obwohl die Autoren von einer wach-
                                                                          Quelle: Umweltbundesamt   senden Zahl an Elektroautos ausgehen,
                                                                                                    rechnen sie damit, dass Verbrennungs-
                             1990                                                                   motoren „kurz- bis mittelfristig (min-
                                                                                                    destens bis 2030) die dominierenden
                      1251                   2016
                                           geschätzt
                                                                                                    Energieverbraucher im Verkehrssek-
                                                                                                    tor“ bleiben. Deshalb fordern sie auch
                                                                                                    auf diesem Gebiet eine deutlich schär-
                                          906                         Ziel der
                                                                                                    fere Gangart. Sie mahnen weiter sin-
                                                                                                    kende Verbrauchswerte an.
                                         – 28%                    Bundesregierung
                                                                     für 2020
                                                                                                       Für die Chefin des Umweltbundes-
                                                                                                    amtes ist die Zeit der Absichtserklä-
                                        gegenüber 1990
                                                                                                    rungen vorbei: „Im bisherigen Tempo
                                                                       751                          können wir nicht weitermachen“,
                                                                                                    sagt Maria Krautzberger. „Wenn
                                                                     – 40 %                         wir unsere Ziele noch erreichen wol-
                                                                                                    len, müssen wir auch über Maßnah-
                                                                    gegenüber 1990
                                                                                                    men nachdenken, die auf den ersten
                                                                                                    Blick unpopulär sind.“
                                                                                                                       Sven Böll, Horand Knaup

20   DER SPIEGEL 23 / 2017
Triumph der Dummheit - Spiegel
Titel

sei. „Wir können dem Ganzen eine neue
Dynamik geben“, sagte sie nach dem Be-
such Macrons in Berlin.
   Von dem Duo Merkel und Macron wird
abhängen, ob es Europa tatsächlich gelingt,
sich von den USA freizuschwimmen.
„Wenn Merkel die Wahl im September ge-
winnt, hat sie zusammen mit dem neuen
französischen Präsidenten die einmalige
Chance, Europa seine Glaubwürdigkeit zu-
rückzugeben“, sagt auch die amerikani-
sche Historikerin Anne Applebaum.
Europa müsse endlich über die eigene Au-
ßenpolitik nachdenken, die eigene Sicher-
heit, womöglich sogar eine eigene Armee.
   Dass sich die Europäer nicht mehr in
erster Linie „auf andere“ verlassen kön-
nen, dass sie selbst aktiver werden müssen,
das war Macrons Haltung, schon bevor er
zum Präsidenten gewählt wurde. Er will
Europa handlungsfähiger machen, will sei-
ne Institutionen justieren – um sie den neu-

                                                                                                                                                       TOBIAS SCHWARZ / AFP
en Herausforderungen anzupassen. Auch
deshalb hat er mit Sylvie Goulard eine
langjährige Europaabgeordnete, perfekt
deutschsprachig, zu seiner Verteidigungs-
ministerin gemacht.
   „Ob wir unsere Anliegen als Europäer                      Partner Merkel, Macron: Neuer Schwung in der Debatte um Europa
laut verkünden oder nicht, die Hauptsache
ist, tatsächlich handlungsfähiger zu wer-      nicht klar, wer am Ende isoliert sein          über den neuen Partner macht man sich
den“, sagt ein französischer Diplomat.         wird.                                          im Kanzleramt nicht.
Auch die Franzosen sehen in Trumps Wa-            Merkel ist jetzt überzeugt, dass Europa        Wenn alles nichts mehr hilft, blickt die
shington keinen zuverlässigen Verbün-          sein Schicksal in die eigenen Hände neh-       Kanzlerin deshalb an diesen Tagen in ihrem
deten mehr. Macrons Äußerung vor dem           men muss. Aber Deutschland kann sich           Terminkalender auf den 17. Juni. An jenem
G-7-Gipfel, er sehe Trump als „Partner“,       seiner Verbündeten nicht sicher sein. Als      Samstag reist Merkel nach Rom, der Papst
war nichts als ein Lippenbekenntnis. Fran-     Trump in Brüssel hinter verschlossenen         empfängt die Protestantin zu einer Privat-
zösische Diplomaten waren schockiert           Türen die Deutschen attackierte, sprangen      audienz. Die Kanzlerin will Franziskus die
darüber, wie unvorbereitet die Amerika-        vor allem Macron und der Kanadier Justin       Ziele ihres G-20-Gipfels in Hamburg erläu-
ner sich in Brüssel und Taormina zeigten.      Trudeau der Kanzlerin bei. Es sei erschre-     tern, Migration und Frauenrechte etwa, und
   Macron, der sich auch psychologisch bis-    ckend gewesen, berichten Teilnehmer, wie       man braucht nicht viel Fantasie, um sich
her als recht geschickt erwiesen hat, wird     viele Nato-Verbündete sich vor Trump in        vorzustellen, dass da in Sachen Trump zwei
aber nicht den offenen Konflikt mit Trump      den Staub geworfen hätten, und zwar nicht      Leidensgenossen aufeinandertreffen.
suchen. Ein transatlantischer Clash liegt      nur die üblichen Verdächtigen aus Ost-            Die Meinungsverschiedenheiten zwi-
nicht in seinem Interesse. Macron glaubt       europa.                                        schen dem US-Präsidenten und dem Ober-
fest an seine Überzeugungskraft, an seinen        Merkel hat viele Fans. Sie ist der Star     haupt der Katholiken sind kein Geheimnis.
Charme und seine Verführungskunst. Er          der Liberalen rund um den Globus. Die          Anders als Trump ruft Franziskus dazu
wird zuerst alles versuchen, um Trump da-      linksliberale amerikanische Presse hatte       auf, die Schöpfung zu bewahren und den
hin zu bewegen, wo er ihn haben will.          sie schon nach der Trump-Wahl zur Füh-         Klimawandel zu bekämpfen. „Es ist unvor-
   In Macron könnte Angela Merkel all das      rerin der freien Welt ausgerufen. In dieser    stellbar, dass der Papst im Gespräch mit
finden, was sie vermutlich die vergange-       Woche widmete der britische „Guardian“         Trump den Klimawandel nicht angespro-
nen Jahre über vergebens bei seinen Vor-       ihr ein hymnisches Porträt. Ihre Staats-       chen hat“, sagt ein Vatikankenner, der mit
gängern suchte. Macron kann für Deutsch-       kunst, ihre Entspanntheit, ihre Fähigkeit,     Franziskus’ Denken bestens vertraut ist.
land ein verlässlicher, ein starker Partner    Kompromisse und Beziehungen auszuhan-          Genutzt hat es offenbar nichts.
werden. Dass er das vorhat, hat er auch        deln, würden „immer beeindruckender“,                Christian Esch, Konstantin von Hammerstein,
mit der Zusammensetzung seines Kabi-           schwärmte die Zeitung. Aber die publizis-                 Julia Amalia Heyer, Christiane Hoffmann,
netts gezeigt. So viele Deutschlandkenner      tische Verherrlichung nützt Merkel im                  Horand Knaup, Peter Müller, Ralf Neukirch,
                                                                                                           René Pfister, Christoph Scheuermann,
saßen noch nie in einer französischen Re-      Kräftemessen mit dem mächtigsten Mann           Christoph Schult, Samiha Shafy, Gerald Traufetter
gierung.                                       der Welt nur wenig.
   Wird es der deutschen Kanzlerin gelin-         Und China? Die asiatische Großmacht
gen, in den wichtigen Streitfragen Bünd-       macht sich bereit, den frei werdenden                             Lesen Sie zum Thema auch
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Leicht wird das nicht. Beim Klima gibt es      zu übernehmen. Präsident Xi Jinping in-                           SPIEGEL WISSEN
eine Chance. Aber beim Handel und in           szenierte sich im Januar beim Weltwirt-                           Paradies Erde. Wie wir un-
der Sicherheitspolitik ist sie gering. Wenn    schaftsforum in Davos als mächtigster Für-                        seren Lebensraum retten
es um die Lastenverteilung in der Nato         sprecher des freien Welthandels. Nun will                         Erhältlich am Kiosk, im Buch-
geht, steht Trump nicht allein da. Und         China auch zur klimapolitischen Lead Na-                          handel oder im SPIEGEL SHOP
beim deutschen Handelsüberschuss ist           tion aufsteigen. Aber allzu viele Illusionen                      unter www.spiegel.de/shop

                                                                                                                          DER SPIEGEL 23 / 2017   21
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