PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
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MÄRZ 2020 | NR. 173 | GÖNNER-MAGA ZIN PARAPLEGIE SCHWERPUNK T Kommunikation Der Schlüssel zur Selbstbestimmung 14 HILFSMIT TEL Die Stimme aus dem Tablet 20 BEGEGNUNG Sandro Schaller stösst neue Türen auf 26 THER APIEGARTEN Natur und Mensch pflegen sich
Kompetenz erhalten, richtig zu handeln Kurse und Beratung bei uns in Nottwil oder bei Ihnen vor Ort in allen vier Landessprachen. www.sirmed.ch
M AG A ZIN DER GÖNNER-V EREINIG UNG DER SCH W EIZER PA R A PLEG IK ER-S T IF T UNG 14 20 Liebe Mitglieder Schwerpunkt Um Stabilität in einer Organisation zu erreichen, braucht es 6 PAT I E N T E N Z E N T R I E R T E KO M M U N I K AT I O N nebst Kontinuität eine stete Erneuerung. So hat der Stiftungs- Die Schulung der Kommunikation von Fachpersonen ist rat der Schweizer Paraplegiker-Stiftung mit der Amtszeitbe- die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. schränkung und einer Alterslimite für Stiftungsratsmitglieder 10 D E R E X P E R T E Die Kommunikation im Spital unter- dafür gesorgt, dass sich das Führungsgremium fortlaufend liegt besonderen Gesetzen. Keiner kennt diese so gut wie erneuert und neuen Ideen Platz bietet. der Basler Pionier Wolf Langewitz. Ende April geht Dr. Daniel Joggi nach einer gut zehnjäh- 14 H I L F S M I T T E L Daniel Rickenbacher lebt mit einer rigen Amtszeit mit siebzig Lebensjahren in Pension. Es waren eingeschränkten Kommunikation. Mit einer Stimme aus unruhige Zeiten in der Gruppe, als er im Dezember 2009 die dem Tablet stellt er sich seiner Zukunft. Führung übernahm. Mit seiner ruhigen, sachlichen, konsens- 16 U M G E B U N G S S T E U E R U N G Ein System von Active orientierten Art brachte er rasch Ruhe, aber auch neuen Communication gibt Gaby Pozzi viel Freiheit im Austausch Schwung in die Organisation. Mit einer Organisationsent- mit der eigenen Wohnung. wicklung klärte er die Aufgaben der verschiedenen Einheiten 18 R AT G E B E R Wie Sie besser kommunizieren. und ihre Zusammenarbeit. Dadurch schaffte er ein Klima des 19 S E I T E N B L I C K Wenn Betroffene Betroffene beraten. Vertrauens und gegenseitigen Respekts. Daniel Joggi hat Entscheide nicht diktiert, sondern im Gespräch erarbeitet Kompetenz und das Gegenüber zu überzeugen versucht. Sein brillanter Geist und seine schier endlose Geduld faszinieren in Nottwil 20 B E G E G N U N G Nach seinem Motocross-Unfall stösst bis heute. Sandro Schaller viele neue Türen auf. Vielleicht noch beeindruckender als seine Arbeit als 25 E I N L A D U N G Mitgliederversammlung in Nottwil. Präsident ist die Art und Weise, wie er sein Leben als Tetra- 26 SPENDENAUFRUF: THER APIEGARTEN plegiker mit derselben Hartnäckigkeit und Ausdauer meistert. Neue Behandlungen im Aussenbereich schliessen eine Er ist stets zur Stelle, wenn man ihn braucht, und immer zur Lücke in der ganzheitlichen Rehabilitation. rechten Zeit (aber kaum mehr als zwei Minuten früher). Er 28 F O R S C H U N G Die Schweizer Paraplegiker-Forschung beklagt sich nicht und sieht stets Lösungen, nicht Probleme. ist zum internationalen Vorbild geworden. Diese Ausdauer und positive Einstellung zum Leben beein- drucken mich und das ganze Team. 29 S T I F T U N G Unter Präsident Daniel Joggi wurde unser Leistungsnetz auf die Zukunft ausgerichtet. Mit Daniel Joggi verlässt ein Freund und ein Vorbild die Schweizer Paraplegiker-Gruppe. Wir danken dir für alles, 30 W I N G S F O R L I F E Die Stiftung aus Salzburg strebt lieber Daniel, und wünschen dir und deiner Frau Françoise grosse Ziele in der Rückenmarkforschung an. alles Gute. Du wirst hier fehlen! 32 D A F Ü R H AT E S M I C H H E U T E G E B R A U C H T Assistenzarzt Felix Schatter übernimmt viel Verantwortung. 4 CAMPUS NOT T WIL Dr. iur. Joseph Hofstetter 33 DANKE Direktor Schweizer Paraplegiker-Stiftung 34 AUSBLICK Paraplegie, März 2020 3
CAMPUS NOT T WIL Querschnittgelähmte des Jahres 2019 Die Freiburger Architektin Ursula Schwaller und der Aargauer Psychotherapeut Peter Lude sind 62 200 «Querschnittgelähmte des Jahres 2019». Zum 27. Mal ehrte die Schweizer Paraplegiker-Stiftung zwei Menschen mit Querschnittlähmung, die Grossartiges geleistet haben und wichtige Vorbilder für andere Betroffene sind. Ursula Schwaller (2. v. r.) erzielte Höchstleistungen im Spitzensport und lebt die Inklusion mit grossem gesellschaftlichem Engagement. Peter Lude (2. v. l.) leistete bedeu- Franken tende Forschungen, für die er und seine Frau Yvonne Sigrist mit dem Sir Ludwig Guttmann-Preis ausgezeichnet wurden. Lude führt eine Praxis für Psychotherapie FSP und ist Gemeinderat von Mit einem Crowdfunding- Bad Zurzach. (Links: Guido A. Zäch, rechts: Heinz Frei.) Projekt auf der Plattform wemakeit.ch plante die Schweizer Paraplegiker-Stif- Hauptprobe für Tokyo tung, innerhalb von 45 Tagen 50 000 Franken für Leih-Sport- Wenige Monate vor den Paralympischen Spielen in Tokyo geräte zu sammeln. Dank nehmen rund vierhundert Topathleten wie Manuela Schär und der einzigartigen Solidarität Marcel Hug am World Para Athletics Grand Prix teil. Auf der von 483 Spenderinnen und schnellen Bahn in Nottwil versuchen sie, Quotenplätze für ihr Spendern wurde das Ziel über- Land zu sichern und sich für eine Selektion zu empfehlen. In den troffen und es kann sogar ein Grossanlass «ParAthletics 2020» integriert sind die offenen Sportgerät zusätzlich ange- Schweizer Meisterschaften und das Daniela Jutzeler Memorial. schafft werden. Vielen Dank! Auf das Publikum wartet ein Spektakel. Zur legendären Stimmung in der Sport Arena Nottwil kommt ein Rahmenprogramm für Gross und Klein mit Hüpfburg, Karussell, Kinderschminken und «Mein erstes Jahr in Musikalisches Fenster tausend Gratisbratwürsten. der Pflege» Als Geschenk an Patientinnen, Patienten und Angehörige ParAthletics 2020 Die 21-jährige Andrina von spielen klassische Musikerin- 28. bis 30. Mai, 1. Juni, Sport Arena Nottwil Burg aus Madiswil BE hat am nen und Musiker auf der Inten- 1. Oktober ihre neue Stelle als www.parathletics.ch sivstation und den einzelnen Alle Wettkämpfe können im Livestream mitverfolgt werden. Pflegefachfrau im Schweizer Stationen. Am Abend treten Paraplegiker-Zentrum angetre- sie im Rahmen der Freitags- ten. Ein Jahr lang erzählt sie musik des SPZ auf. auf unserem Blog, was sie auf der Station C erlebt und wie es Öffentliches Konzert ihr dabei geht. Einblicke in 13. März 2020, 19.30 Uhr ihren Berufsalltag gibt Andrina SPZ, Raum der Stille auch auf Instagram. Stummfilmabend, begleitet an der Orgel von Stéphane Blog: www.para- Mottoul. Freier Eintritt. plegie.ch / andrina www.musikalisches- www.instagram.com / fenster.ch paraplegie 4 Paraplegie, März 2020
CAMPUS NOT T WIL 88 157 © RTS 2020 Wettbewerb im ParaForum Dauermitglieder Die erste Gewinnerin des zählt die Schweizer Paraplegiker-Stiftung. ParaForum-Wettbewerbs 2019 sind 11,4 Prozent neue Dauermitglied- im Jahr 2020 ist gezogen: schaften hinzugekommen. Stefanie Fischer aus Winterthur gewinnt ein Abendessen im Restaurant Sempia des Hotels Sem pachersee im Wert von 200 Franken. Das Hotel SPV-Lebensberatung auf dem Campus Nottwil im Westschweizer ist Teil der Paraplegiker- Fernsehen Gruppe. Die Sendung «Ensemble» von www.paraforum.ch RTS wollte mehr über die Arbeit der Paraplegiker-Stif- tung und ihrer Schwesterorga- nisationen in der Romandie 36 % erfahren. Deshalb porträtierte ein TV-Team in Sion Yann Avanthey, einen Lebensberater Charity-Rallye nach Gambia der Schweizer Paraplegiker- «Die Herzlichkeit der Menschen in Gambia hat mich zutiefst Vereinigung. Das Team beglei- berührt», schreibt uns Urs Lussmann unter das Bild seiner tete Avanthey, der selbst im Ankunft. Der Paraplegiker fuhr mit seinem 20-jährigen Auto der Menschen mit Querschnitt- Rollstuhl sitzt, bei seinem tägli- 7000 Kilometer der Westküste Afrikas entlang und verschenkte lähmung haben Schulter- chen Einsatz für Menschen mit es in Gambia an die Hilfsorganisation Dresden-Banjul-Organisa- schmerzen, Frauen sind dop- Querschnittlähmung. tion. Zudem übergab er zwei von Orthotec revidierte Rollstühle pelt so häufig betroffen wie der ersten integrativen Schule Gambias. Unsere Facebook- Männer. Dies zeigen Daten der Community hat das Abenteuer von Urs mit grossem Interesse Langzeitstudie SwiSCI der begleitet. Einen Reisebericht und packende Bilder seiner Rallye Schweizer Paraplegiker- präsentiert der 51-jährige Zürcher auf unserem Blog. Forschung. Die Schulter ist Beitrag RTS: besonders anfällig, denn sie www.paraplegie.ch / urs http:// bit.ly / rtsensemble muss die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit des Körpers kompensieren. Zudem © SRF Oscar Alessio sind Schulterschmerzen nur schwer heilbar und können die Unabhängigkeit stark ein- schränken. Deshalb sollten sie gar nicht erst entstehen. In Nottwil ist die Schulter gesundheit nicht nur ein medizinisches Thema, sondern auch wichtig für die Forschung. Die Fachleute untersuchen, welche Faktoren In einer Spezialausgabe der SRF-Quizsendung bei welchen Personen «1 gegen 100» hat die vierfache Schwingerkönigin Schmerzen auslösen. Darauf basierend erarbeiten sie Sonia Kälin 29 562 Franken gewonnen – und sie Massnahmen zur Prävention. dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum gespendet. Wir danken herzlich! www.paraplegie.ch /spf Paraplegie, März 2020 5
KO M M U NIK AT I O N Wolf Langewitz (2. v. r.) mit Kurs- teilnehmerinnen in Nottwil. 6 Paraplegie, März 2020
KO M M U NIK AT I O N Informierte Patientinnen und Patienten Kommunikation im medizinischen Alltag Alle medizinischen und therapeutischen Fachpersonen des Schweizer Paraplegiker-Zentrums durchlaufen eine Schulung für die patientenzentrierte Kommunikation. Diese trägt entscheidend zu einer erfolgreichen Behandlung bei. Viele Gedanken kreisten dem Verunfallten durch che Bedürfnisse: Als Patientin, als Patient wollen den Kopf, während er auf den Rücktransport mit wir wissen, was mit uns los ist und wie wir wie- der Rega in die Schweiz wartete. Er spürte seine der gesund werden. Ein Arzt dagegen muss unter Beine nicht mehr, hatte eine Vorahnung, aber vielen möglichen Diagnosen die richtige heraus- keine Information über seinen Zustand. «Man finden. Dafür ist er neben Fachwissen auf präzise machte Röntgenbilder und die Ärztin vor Ort Informationen von uns angewiesen. betreute mich sehr nett. Aber die Ungewissheit Auch der Wissensunterschied in der Arztpra- hat mich stark belastet», sagt Roman Späni. xis kann verunsichern. «Der Austausch mit einer Der 42-Jährige aus Freienbach SZ machte Autoritätsperson findet nicht wie unter Freunden Badeferien auf den Kapverden und wollte sei- auf Augenhöhe statt», erklärt Kommunikations- nen beiden Söhnen zeigen, wie man am bes- experte Wolf Langewitz. «Die Patientinnen und ten durch eine Welle taucht – dabei prallte er auf Patienten sprechen daher selten über ihre Ängste «Mit dem Arzt eine Sandbank. Bereits fünfzehn Stunden später und verschweigen gewisse Dinge.» Wolf Lange- landete der Helikopter auf dem Dach des Schwei- witz ist emeritierter Medizinprofessor der Univer- spricht man zer Paraplegiker-Zentrums (SPZ). «Die Abklärun- gen zeigten schnell, wie es um mich stand», sagt sität Basel. Gemeinsam mit Anke Scheel-Sailer, der leitenden Ärztin Paraplegiologie am SPZ, führt anders als im Späni. «Die Auskunft der Ärzte war eindeutig.» Gemeinsam mit seiner Familie willigte er in eine er in Nottwil Schulungen zur Kommunikation im medizinischen Alltag durch. Freundeskreis.» Prof. Dr. med. Wolf Langewitz Operation an der Wirbelsäule ein. Hat ihn diese Entscheidung überfordert? Nein, meint Späni. Der Die Rolle der Kommunikation am SPZ Austausch mit den Fachpersonen sei sehr hilf- In den Kursen lernen die Teilnehmenden die pati- reich gewesen. entenzentrierte Kommunikation kennen: Wie sie Seit vier Monaten ist der Tetraplegiker jetzt Menschen im Spitalbett ermutigen, sich mitzu- in Nottwil und lernt jeden Tag etwas mehr über teilen. Wie sie Gesprächsziele erreichen. Wie sie seinen Körper und das komplexe Thema Quer- all jene Fakten vermitteln, die Entscheidungen schnittlähmung. «Ich bekomme viele Informatio- ermöglichen. «Patientinnen und Patienten, Ange- nen, aber gut erklärt. Und wenn man etwas nicht hörige und Fachpersonen legen bei uns gemein- versteht, kann man ungeniert nachfragen.» sam die Rehabilitationsziele fest», sagt Kurslei- terin Scheel-Sailer. «Umso wichtiger sind eine Unterschiedliche Bedürfnisse professionelle Kommunikation und die Sensi- Bessere Gesundheit Wer schon einmal eine Arztpraxis im Gefühl bilität für die jeweilige Situation, in der sich ein Wenn Fachpersonen besser verlassen hat, nicht verstanden worden zu sein, Mensch befindet.» kommunizieren, sind die oder von den vielen Fachworten überfordert war, Den Ausschlag für die Schulungen gaben Patientinnen und Patienten kennt das: Man hätte sich eine bessere Kommu- Zufriedenheitsumfragen bei Patientinnen und «gesünder»: Sie haben weniger nikation gewünscht. Doch bereits das Behand- Patienten und interprofessionellen Teams. Dabei Arztbesuche und weniger lungszimmer sorgt für ungute Gefühle. Zum Arzt zeigte sich, dass dieser Punkt noch Optimie- Beschwerden, sie benötigen oder ins Spital gehen wir nicht freiwillig; es geht rungspotenzial hat. «Wir haben erkannt, dass weniger Laboruntersuchungen um Krankheit, Unsicherheit, Schmerzen, Angst. die Kommunikation ein Schlüsselthema ist, in und weniger Medikamente. Die Beteiligten haben im Gespräch unterschiedli- das wir fortlaufend investieren müssen», sagt Paraplegie, März 2020 7
SPZ-Direktor Hans Peter Gmünder. Der gut infor- mierte Patient soll in Nottwil nicht bloss ein Schlagwort sein, sondern gelebte Realität. Den Fachpersonen stehen oft verschiedene Varianten für eine Behandlung zur Verfügung. Welche dann tatsächlich gewählt wird, muss in jedem Einzelfall neu bewertet werden – und das kann nur gemeinsam mit den Betroffenen geschehen. «Damit unsere Patientinnen und Pati- enten ein Vertrauensverhältnis zu den Fachleu- ten aufbauen können, müssen sie ein begründet gutes Gefühl haben, dass ihnen alle notwendigen Informationen auf angemessene Weise vermittelt worden sind», erklärt der Klinikdirektor. «So ent- steht gute Medizin.» Fragen oder Zuhören? Die Kommunikationsschulungen im SPZ finden auf allen Hierarchiestufen statt und werden durch Wer etwas erfahren will, hat zwei Möglichkeiten, neue Leitfäden und Strukturen für die Visite und erklären sie, Fragen oder Zuhören. Beide Strate- die Gesprächsführung ergänzt. Das Resultat ist gien seien nützlich. Es brauche ein gezieltes Fra- messbar: Der Punkt Kommunikation erhält in den gen, um die Diagnose einzugrenzen, sagt Lan- Patientenbefragungen immer bessere Noten. gewitz. Gleichzeitig warnt er davor, nur gezielt Zudem geben die ausformulierten Leitfäden zu fragen: «Dann bewegen wir uns im eigenen allen interprofessionellen Teams mehr Klarheit Denkmuster und übersehen das Unerwartete.» und Kompetenzen. Nicht zuletzt profitiert auch die Kommunikationskultur in Nottwil durch die permanenten Weiterbildungen. « Die Kommunikation in einer Klinik erfordert Aber wie kann das «begründet gute Gefühl» während der Visite aufgebaut werden, wenn in hohe Sensibilität.» Dr. med. Anke Scheel-Sailer wenigen Minuten die wichtigsten Informationen vermittelt werden müssen? «Darauf legen wir in Und wer wiederum zu offene Fragen stellt, erhält den Schulungen viel Wert: Herauszufinden, was womöglich ausschweifende Antworten. Die bei- ein Patient, eine Patientin in diesem Moment den Kommunikationsfachleute empfehlen einen tatsächlich an Information benötigt», sagt Hans klugen Mix aus gezielten Fragen und aktivem Peter Gmünder. Es ist eine Gratwanderung. Wer Zuhören. zu viele Fakten bekommt, ist heillos überfordert. Wer ungenügend informiert wird, kann nicht die Umgang mit der Informationsflut Fragen stellen, die für ihn wichtig sind. Die Fülle an Information, die in einem Spital in WWSZ-Technik Wolf Langewitz und Anke Scheel-Sailer set- kurzer Zeit vermittelt werden muss, ist immens. Warten, Wiederholen, Spiegeln, zen auf eine enge Verbindung von Theorie und So stehen zum Beispiel für die Visite der Inneren Zusammenfassen ist eine gute Praxis. Im heutigen Kurs stellen die Teilnehmen- Medizin pro Patientin und Patient nur 8,5 Minu- Option, um herauszufinden, den Beispiele von schwierigen Situationen vor, ten zur Verfügung. In dieser Zeit werden in einem wo ein Problem liegt. und die beiden Kursleitenden ordnen ihnen all- Akutspital im Durchschnitt zwanzig Informa- Diese Technik erweitert den gemeine Muster zu. Ihr erster Tipp: In einigen tionen gegeben. «Wir sagen also nicht nichts, Gesprächsraum für Dinge, die Fällen ist es nützlich, zuerst eine Agenda festzule- sondern ausgesprochen viel», sagt Langewitz. das Gegenüber nicht von sich gen – wie viel Zeit haben wir und welche Punkte Deshalb sei er nicht überrascht, wenn sich die aus erzählen würde. sollen geklärt werden? Angesprochenen nur an wenig erinnern können 8 Paraplegie, März 2020
Links Anke Scheel-Sailer gibt Tipps für die Praxis. Rechts Für den SPZ-Direktor ist Kommunikation ein Schlüsselthema: Dr. med. Hans Peter Gmünder. Unten Roman Späni erzählt seine Erlebnisse in unserem Blog: www.paraplegie.ch / roman – zu viel Information untergräbt das Credo des Frage, ob er je wieder wird gehen können – und Informationen im Gehirn gut informierten Patienten. war überrascht, dass ihm dazu in der Spezialkli- Wenn es darauf ankommt, sollte man sich nik niemand eine definitive Aussage geben kann. Unser aktives Gehirn kann mit auf circa sieben bis zehn neue Informationen «Anfangs fragte ich mich: Warum ist das so? Aber circa 7 bis 10 Informationen beschränken. Die wirklich wichtigen unter ihnen auch das wird einem gut erklärt.» Bei der Diagno- umgehen und 2 bis 4 gleichzei- definieren die Fachpersonen, indem sie das Risiko se Querschnittlähmung gibt es keine einfachen tig bearbeiten. Informationen abschätzen, wenn eine davon nicht gegeben wird: Antworten, denn jeder einzelne Fall entwickelt gehen nach rund 20 Sekunden Welche Wissenslücke könnte der Patientin, dem sich wieder anders. verloren, wenn sie nicht auf Patienten bis zum nächsten Arztbesuch schaden? Seine Rehabilitation in Nottwil erlebt der gefrischt werden. Die auf diese Weise ausgewählten Informationen gelernte Elektromechaniker, der weltweit Maschi- müssen dann gut im Gedächtnis verankert wer- nen in Betrieb genommen hat, als einen Prozess, den – etwa indem man das Gegenüber bittet, das der immer weitere Kreise zieht und dabei stän- Wichtigste zu wiederholen. dig neue Elemente hinzufügt – Sozialdienst, Und wie erledigt man alle Aufgaben in der Berufskunde, Wohnungsumbau, Fahrzeugum- gegebenen Zeit? Der Tipp wird im Kurs mehrmals bau, Abklärungen für die Tetra-Handchirurgie. angesprochen: Struktur spart Zeit. «Eine einfache Die Fragen, die er sich heute stellt, richten sich Struktur veranlasst mich, zu überlegen, was ich insbesondere auf die Selbstständigkeit, die er mit mitteilen will», sagt Anke Scheel-Sailer. «Wenn ihr seiner Rehabilitation anstrebt. Strukturieren sicher sein wollt, dass euer Gegenüber eine Infor- «Wenn mich etwas bedrückt, frage ich zuerst 1. Am Anfang das Zeit mation versteht und für die Entscheidung nutzt, eine Pflegefachperson. Manchmal werde ich budget angeben. muss sie Teil der zwei bis vier Informationen sein, dann auch an den Arzt auf der Visite verwiesen», 2. Organisatorische Aspekte die unser Gehirn gleichzeitig bearbeiten kann. sagt Roman Späni. Die Kommunikation im SPZ nennen («Wenn mein Haltet das Ganze so einfach wie möglich – und sei durchwegs gut. Sein Tipp: Als Patient sollte Piepser läutet, muss ich habt Mut zu Sprechpausen.» man den Kopf nicht hängen lassen, wenn man kurz ran»). etwas nicht gesagt bekommt – sondern dran- 3. Mit dem Gegenüber die Nicht aufgeben – dranbleiben bleiben. «Man kann hier wirklich alles fragen und Agenda festlegen. Unfallopfer Roman Späni hat ein gutes Gefühl, erhält immer eine Antwort. Manchmal muss man 4. Übergänge ankündigen nach seiner Ankunft in Nottwil den richtigen halt zwei Mal fragen. Das Wichtigste ist, nicht («Jetzt möchte ich auf Operationsentscheid getroffen zu haben. In aufzugeben.» dieses Thema eingehen»). der ersten Zeit beschäftigte ihn vor allem die (hbr, kste / hbr, we) Paraplegie, März 2020 9
KO M M U NIK AT I O N Kommunikationstraining «Schreiben Sie einfach einen Fresszettel!» Die Kommunikation im Spital unterliegt besonderen Gesetzen. Keiner kennt diese so gut wie der Basler Pionier Wolf Langewitz. Wolf Langewitz, wenn der Arzt im nannte Establishment. Die Damen und Ihre Kurse zeigen, wie man die Expertenlatein schwelgt, verstehen Herren Professoren mussten zeigen, dass knappe Zeit effektiver nutzen Laien oft gar nichts. sie die Autorität auch verdient haben, die kann. Wie wurden Sie zum «Mr. In der Schweiz sind die Fachleute eigentlich sie für sich beanspruchen. Für uns war das Kommunikation»? gut davor geschützt, sich über die Sprache Fokussieren auf den individuellen Patien- Das kam aus der Begleitung von Assistenz- aufzublasen: Man kann im Schweizer Dia- ten eine politisch-ethische Grundhaltung. ärzten auf der Visite. Als Oberarzt wollte ich lekt einfach nicht so grossartig daherkom- In der klinischen Praxis prallte dann unsere verstehen, wo sie mit psychosomatischen men wie im Schriftdeutschen. Doch stehen patientenzentrierte Medizin auf eine Gene- Fragen konfrontiert sind – und dazu hätten alle Expertinnen und Experten vor dem Pro- ration männlicher Kollegen, die noch das sie den Patientinnen und Patienten eben als blem, sich von den Abkürzungen zu lösen, patriarchale Modell gelebt haben – der Arzt Individuen begegnen müssen. Mich inte- weil diese ihnen das Leben vereinfachen. weiss selber, was gut ist, und braucht die ressierte, weshalb das nicht gelang. Dabei Im Gespräch mit Laien sich zu überlegen, Patientinnen und Patienten nicht wirklich. zeigte sich, dass ihre Probleme entstanden was heisst jetzt eine Abkürzung schon wie- Dagegen haben wir rebelliert. sind, weil sie nicht mit «schwierigen Perso- der, bedeutet einen Zusatzaufwand. Und nen» umgehen konnten. Mit einer Natio- der ist anstrengend. Und hat es genutzt? nalfondsstudie konnten wir belegen, dass Damals schon. Aber es gab in den 1990er- man diese Form der Kommunikation ver- Was erschwert die Kommunikation Jahren einen erneuten Rückschlag, als die bessern kann. So wurde am Unispital Basel im Spital? alten Ordinarien wieder auferstanden sind, die professionelle Kommunikation ein fester Man befindet sich häufig in einer Ausnah- denen wir bereits die Zöpfe abgeschnitten Bestandteil der Ausbildung. Heute durch- mesituation. Allein schon die Nachricht hatten. Heute besteht eine Art Pattsituation. laufen alle Assistenzärztinnen und -ärzte ein «Sie haben einen hohen Blutdruck» kann Unsere Bewegung hat dazu geführt, dass Kommunikationstraining und bekommen bestürzend sein. Denn sie bedeutet die Illu- die Patientinnen und Patienten Verbündete auf Wunsch ein Feedback zu ihrer Kommu- sion aufzugeben, ohne Behandlung weiter- haben, damit man nicht mehr einfach über nikation auf der Visite. hin gesund und leistungsfähig zu bleiben. ihren Kopf hinweg entscheiden kann. Und Im Spital geht es oft um wichtige Dinge, die Kommunikationskompetenzen sind heute Wie schaffe ich es als Patientin, einen betroffen machen. Dadurch wird die im Medizinstudium ein Teil des Staatsexa- dass sich mein Arzt verständlicher Aufnahmekapazität für neue Informatio- mens. Die patientenzentrierte Kommunika- ausdrückt? nen begrenzt und es entstehen Gefühle wie tion wird allerdings durch Zeitnot, Ressour- Ein Arzt muss lernen können und dafür Beunruhigung, Hoffnungslosigkeit, Traurig- cen- und Personalkürzungen auf die Probe braucht er die Patientin. Wenn er nicht keit oder Enttäuschung. Das alles macht die gestellt: Einerseits fordert man «den infor- erfährt, dass das Gespräch jetzt weniger Kommunikation schwieriger und schwerge- mierten Patienten», mit dem Fachpersonen glücklich gelaufen ist, kann kein Lernpro- wichtiger, als wenn ich mit einem Bekann- alle Alternativen einer Behandlung durch- zess einsetzen. Patientinnen und Patienten ten über Alltagsdinge plaudern würde. sprechen sollen. Andererseits schränkt die sollten sich also trauen, Feedback zu geben. Politik die Bezahlung der dafür nötigen Und das müssen sie lernen, denn sie wer- Wie haben sich die Hierarchien in Gesprächszeit wieder ein – das ist ein nicht den vielleicht manchmal danebengreifen. der Kommunikation verändert, seit auflösbarer Widerspruch. Unter den gegen- Eine einfache Möglichkeit ist sich zu über- Sie als junger Arzt anfingen? wärtigen Reformen im Gesundheitswesen legen: Was will ich mit dem Arzt bespre- In den späten 1970er-Jahren gab es eine leidet die Kommunikation mit den Patien- chen? Schreiben Sie einen Fresszettel, den politische Bewegung gegen das soge- ten besonders. Sie in der Praxis aus der Handtasche ziehen. Paraplegie, März 2020 11
KO M M U NIK AT I O N « Die Patientinnen und Patienten sind im Spital in einer Ausnahmesituation. Es geht oft um wichtige Dinge, die betroffen machen.» Wolf Langewitz Bei der Visite im Spital könnte zum Beispiel Ändert sich dies mit den neuen eine zustimmende Bewertung von 89 Pro- eine Pflegefachfrau die Vermittlerrolle über- Generationen an den Fakultäten? zent mit den 92 Prozent eines anderen Spi- nehmen. Sie stellt die mit Ihnen vorbespro- In Basel offerieren wir den Studierenden tals vergleicht, wird er nicht sehr viel in die chene Frage, für die Sie sich vielleicht schä- E-Learning-Angebote für die professio- Kommunikation investieren wollen. Anders men oder für die der Arzt sich nicht genug nelle Kommunikation. Uns interessiert, wie ist die Situation, wenn Konkurrenzkliniken Zeit nehmen würde. So lernen Sie als Pati- sie damit arbeiten, und wir bieten Auf- deutlich besser abschneiden. Aber dann entin sich zu behaupten – und beide Seiten frischungskurse an, wenn sie bei einem stellt sich wiederum die Frage, wie viel Zeit profitieren. Thema Schwierigkeiten haben. Wir beob- und Geld die Verbesserungen kosten dür- achten, wo Fehler häufiger passieren, um fen. Umsonst gibt es das nicht. Man könnte auch «Doktor Google» spezifisch nachlehren zu können. Als Uni- fragen. versität haben wir da eine Kontrollfunk- Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum Doktor Google sitzt heute immer öfter mit tion, weil wir die Studierenden gut auf das hat an seiner Kommunikationskultur am Tisch; es ist zwecklos, sich darüber zu Staatsexamen vorbereiten wollen. gearbeitet. Welche Eindrücke haben beklagen. Der Trend könnte ja auch dazu Sie davon? führen, dass die Aufgabe der Information Wie funktioniert so ein E-Learning? Wie in anderen Kliniken gab es zunächst auf mehrere Schultern verteilt wird. Doch Das können Videos mit Beispielen eines Skepsis. Die Teilnehmenden wollten sich leider werden auf vielen Websites oft selte- guten Kommunikationsverhaltens sein. im Kurs nicht exponieren, indem sie zum ne, aber schreckliche Risiken erwähnt oder Oder wir zeigen, wie wir die Visite gerne Beispiel Rollenspiele ausprobieren. Darüber irgendwelche Substanzen und Behandlun- hätten. Derzeit entwickeln wir Beispiele, die gab es auch Grundsatzdiskussionen. Heute gen angepriesen. Deshalb sollten Fachper- spezifisch auf die Bedürfnisse des SPZ aus- erkennt man den Wert der Schulungen für sonen die Websites, die in ihrem Gebiet gerichtet sind. seinen Alltag und geht anders mit Kritik um. hilfreich sind, kennen und gezielt empfeh- Die Spielfreudigkeit ist grösser, die Mitarbei- len. Denn es gibt zu fast jedem Problem Wie kontrollieren Sie Lernerfolge? tenden bringen eigene Fälle mit ein und die gute Angebote im Netz. Indem wir etwa Fragen einbauen, deren Kommunikationskultur im SPZ hat sich ins- Antworten angeklickt werden müssen: gesamt verändert. Das zeigt sich in den inter- Wie reagieren Sie, wenn jemand «Welche Elemente des Visitenstandards professionellen Teams: Ganz unterschied- seine Onlinerecherche präsentiert? identifizierst du im Video?» Womöglich liche Berufsgruppen sitzen zusammen und Zunächst interessiert mich: «Was ist Ihr müssen die Teilnehmenden dann noch ein- sprechen über einen Problempatienten. Das Résumé? Was haben Sie nach zwei Stunden mal den Visitenstandard durchgehen – und Offensein gegenüber diesem Ansatz legt googeln mitgenommen?» Oft sind die Pati- nutzen so eine weitere Lernhilfe. das Potenzial der Mitarbeitenden frei und entinnen und Patienten verunsichert, weil zeigt, dass es sich lohnt, über professionelle sie sich mit Ausnahmefällen beschäftigt Das Unispital Basel ist ein Pionier im Kommunikation nachzudenken. Das Thema haben und den trivialen Normalfall nicht Kommunikationstraining. Bekom- ist also angekommen. Nottwil stellt sich sei- kennen – der ist für viele Websites zu lang- men Sie viele Anfragen als Experte? nen Herausforderungen in der Begleitung weilig. Als Zweites versuche ich, Missver- Die Spitalhygiene bekommt sicher mehr von Patientinnen und Patienten. ständnisse aufzuklären. Wir Fachpersonen Anfragen ... (lacht) Die meisten Patientin- (hbr / zvg) sind hier in einer Bringschuld und müssen nen und Patienten sind ja zufrieden mit der unser Wissen weitergeben. Kommunikation. Wenn ein Spitaldirektor 12 Paraplegie, März 2020
KO M M U NIK AT I O N Wenn der Professor über die Schulter schaut In Nottwil erhalten Fachpersonen Feedback zu ihrer Kommunikation auf der Visite. Auf seinem Zettel stehen bloss Namen, Stationen und Telefonnummern. So ausgestattet trifft Wolf Langewitz zwei Assistenzärztinnen, die sich gerade im Gang auf die nächste Visite vorbereiten. Eine Pati- entin hatte über Brustschmerzen geklagt. Die Ärztin- nen besprechen das Vorgehen und wer von ihnen das Gespräch leiten wird. Dann erst betreten sie das Patientenzimmer. Auf ein «Wie gehts?» schildert die Patientin ihre Befindlichkeit. Die gesprächsführende Ärztin erklärt, was sie nun alles untersucht. Langewitz hört zu, beobachtet. Manchmal stellt er Fragen. Es scheint, der Gesprächsablauf der Visite sei weniger zielführend, als es die Ärztinnen geplant haben. Wieder im Gang lobt er: «Kompliment, wie du die Übersetzung in die deutsche Sprache machst. Das war gut verständlich.» Dann schildert er seine Präzises Feedback Professor Langewitz begleitet zwei Assistenzärztinnen. Eindrücke: «Du hast die Tendenz, zu viel zu sagen – keep it simple!» Sein Feedback ist wohlwollend, nicht wertend, und doch präzise. «Dein ‹Wie gehts?› Der Schritt zum E-Learning hat einen riesigen Gesprächsraum geöffnet, der dir keine Chance liess, deine Agenda anzubringen. In Im Frühjahr 2020 stellen Anke Scheel-Sailer und ihr Team Lernvideos her, die so einem Fall kannst du direkter beginnen: ‹Grüezi als Grundlage für die internen Kommunikationsschulungen dienen. Diese Frau X, ich würde gerne folgende Punkte mit Ihnen speziell auf die Bedürfnisse des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) zuge- klären ... Und was steht bei Ihnen an?›» schnittenen Videos ergänzen die bestehenden Leitfäden durch anschauliche Sein Fachwissen erzeugt keine Prüfungssitua- Beispiele. Unter anderem werden die Kernelemente der patientenzentrierten tion, sondern schafft eine Atmosphäre, in der man Begleitung bei der «interprofessionellen Aktivitätsvisite» vorgestellt – das ist sich auf Augenhöhe begegnet. Mit einem «Sonst jene Visite, an der sämtliche medizinischen und therapeutischen Berufsgat- meldest du dich einfach wieder» zieht der Professor tungen beteiligt sind und sich gegenseitig austauschen. weiter zur nächsten Visite. Ein offenes Ohr Für Fragen, Sorgen und persönliche Anliegen, die im Klinikalltag auch ihren Platz haben möchten, gibt es Verena Birri. Am SPZ betreut sie den Bereich Patient Care Service und bietet Unterstützung bei der Erfüllung der Wünsche von Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen. Darunter fallen Gespräche im Patientenzimmer, Hilfe beim Essen, Einkäufe oder die Begleitung zu Tätigkeiten ausser Haus. Vor allem ist sie eine gute Zuhörerin. «Eine Kommunikation, die den Raum öffnet, ist wie ein Pflaster, das kleine Wunden heilt», sagt sie – und lobt die Schulungen in Nottwil. Die von ihr besuchten Menschen schätzen, wenn jemand Zeit für ein ungezwungenes, neutrales Gespräch hat. Da Birri nicht zum Rehabilitationsteam gehört, werden ihr Dinge anvertraut, die Fach- personen nur teilweise zu hören bekommen: «Wenn sie mit etwas unzufrieden sind, können sie es bei mir deponieren.» Auf Wunsch wird Birri dann zur Brückenbauerin, die eine Lösung auf der Station anstossen kann. Mit viel Fingerspitzengefühl vermittelt sie den Betroffenen eine Wertschätzung, die ihre Kraft für die Rehabilitation stärkt. Paraplegie, März 2020 13
KO M M U NIK AT I O N Hilfsmittel Die Stimme aus dem Tablet Daniel Rickenbacher lebt mit einer körperlichen Behinderung, die seine Kommunikation einschränkt. Der Einsatz von Hilfsmitteln hat sein Leben bedeutend verändert. Kommunikation findet immer und überall statt. ren setzt es sich mit individuellen Lösungen für Wir Menschen erzählen, diskutieren, tauschen Menschen mit Beeinträchtigungen ein. Susanna uns aus. Der mündliche Ausdruck ist für unser Berner ist eine von rund vierzig Mitarbeitenden Zusammenleben selbstverständlich. Doch was ist, und Beraterin von Rickenbacher. Sie erklärt: «Mit wenn das eigene Sprechen vom Gegenüber nicht dem Talker kann sich Daniel jedem Menschen verstanden wird? Wenn selbst kleine Alltagsauf- gaben – etwa ein Getränk bestellen – zum Hin- dernis werden? Daniel Rickenbacher lebt mit die- « Ich denke, dass es den Menschen guttut, ser ständigen Herausforderung. Der 26-jährige Schwyzer ist wegen eines Sauerstoffmangels bei wenn sie einmal eine langsamere Form der Geburt zerebral gelähmt. Seine Lautsprache sowie seine Mimik und Gestik sind für Aussenste- der Kommunikation erleben.» Daniel Rickenbacher hende nur schwer verständlich. zielgerichtet mitteilen.» Als Betreuerin erlebt sie Sprachcomputer ergänzt Stimme oft, wie Kommunikationsgeräte die Lebensquali- Seit rund zehn Jahren kommuniziert der junge tät steigern: «Diese Hilfsmittel geben den Betrof- Mann über einen Talker, der an seinem Elektro- fenen viel Freiheit im Alltag zurück.» rollstuhl befestigt ist – ein speziell konfiguriertes Tablet, das Tasteneingaben akustisch als Sätze Hürden in der Kommunikation wiedergibt. Der Sprachcomputer verleiht Daniel Selbstbewusst und sicher kurvt Rickenbacher mit Rickenbacher eine klar verständliche Stimme. Wie seinem Elektrorollstuhl um die Ecke. Seine Behin- erlebt er dieses Gerät? Rickenbacher tippt die derung ist für Aussenstehende sofort erkennbar. Antwort. «Mein Talker ist für mich wie ein guter Bei der ersten Begegnung reagieren sie zurück- Freund», tönt es aus dem Lautsprecher. «Dank haltend und wissen nicht, wie sie mit ihm umge- ihm bin ich frei unterwegs und kann mich überall hen sollen. Deshalb hat er es sich zur Aufgabe mit Menschen unterhalten.» gemacht, selber das Eis zu brechen. «Ich zeige Er hatte sich lange gegen solche Hilfsmittel den Leuten, dass ich sie verstehe und gut über gewehrt. Zu gross war die Befürchtung, dadurch den Talker kommunizieren kann», sagt er. «So seine Lautsprache zu verlieren, die ihm das kann ich Vorurteile abbauen und oft entstehen Kommunizieren im Familien- und Freundeskreis interessante Dialoge.» erlaubt und die er wie eine Standardsprache Ein Gespräch mit Daniel Rickenbacher erfor- wahrnimmt. Doch heute unterstützen seinen All- dert Geduld. Alles, was er mitteilen möchte, muss tag neben dem Talker, der auch seine PC-Tastatur er in sein Tablet eintippen. Dazu kombiniert er ist, ein am Rollstuhl fixierter Joystick für die Smart- Symbolbilder zu Wörtern und Sätzen – mithilfe Daniel Rickenbachers phone- und Mausbedienung sowie ein System eines lange erlernten Kodierungssystems. Eine Website zur Umfeldsteuerung. Computerstimme spricht dann die Botschaften. Den Einsatz dieser Hilfsmittel ermöglicht «Ich muss spüren, ob mein Gegenüber für so Active Communication, ein Unternehmen der eine Unterhaltung Zeit hat», erklärt er. In unserer Schweizer Paraplegiker-Gruppe. Seit zwanzig Jah- schnelllebigen Welt sei das eine Herausforde- 14 Paraplegie, März 2020
KO M M U NIK AT I O N Am Arbeitsplatz. Der Talker verleiht Daniel Rickenbacher eine klar verständliche Stimme und dient gleichzeitig als PC-Tastatur. rung. «Ich denke aber, dass es den Menschen guttut, wenn sie einmal eine langsamere Form der Kommunikation erleben.» Schwieriger seien Gespräche mit mehreren Personen: «Wenn die Themen schnell wechseln, bin ich mit meiner Ant- wort oft zu spät.» Bei einer komplexen Frage kann es zwei Minuten dauern, bis Rickenbacher sich wunsch- gemäss ausgedrückt hat. Er wird mit dem Talker jedoch immer schneller, seine Beraterin steht ihm dabei zur Seite. «Ich schaue Daniel beim Tippen über die Schulter», sagt Susanna Berner. «Häufig verwendete Wörter speichern wir dann als neue Bildkombination ab, damit er sie nicht mehr als einzelne Buchstaben eintippen muss. Durch sol- che Optimierungen spart er viel Zeit.» eines Assistenzbeitrags der Invalidenversicherung Unterwegs als Botschafter konnte er Personen anstellen, die ihn in seinem Seit 2019 ist Daniel Rickenbacher Botschafter von neuen Zuhause unterstützen. Active Communication. Er berichtet aus erster «Ich bin jetzt nicht nur Leistungsempfänger, Hand, wie Kommunikationshilfen am wirkungs- sondern auch Arbeitgeber», sagt er stolz. Er hat vollsten eingesetzt werden. «Anhand meiner Er- sich gut vorbereitet, ist Assistenzmanager, Ein- fahrungen zeige ich, was alles erreichbar ist. Ich satzplaner und macht die Abrechnung. «Als möchte andere Beeinträchtigte dazu motivieren, gelernter Büropraktiker habe ich die nötigen Vo- Susanna Berger, Active Commu- ihre Möglichkeiten auszuschöpfen.» Die berufli- raussetzungen für den Job.» Am Anfang musste nication. Sie betreut Menschen che Tätigkeit ist ihm wichtig: «Durch meine Arbeit er seine Assistenzpersonen schriftlich instruieren. mit einer Beeinträchtigung mit indi- komme ich mit vielen Menschen in Kontakt, so «Ich habe ihnen viele Aufgaben notiert, da sie viduell angepassten Hilfsmitteln. fördere ich die Integration von Behinderten in meine Lautsprache noch nicht ausreichend ver- die Gesellschaft.» Seine Expertise werde im Team stehen.» Ein Jahr habe er auf dieses Ziel hingear- besonders geschätzt, sagt Beraterin Berner. beitet. «Das eigenständige Wohnen ist für mich Nebst der Tätigkeit für Active Communication ein weiterer Schritt zur grösstmöglichen Selbst- engagiert sich Rickenbacher selbstständig für bestimmung, die ich mit meiner Beeinträchtigung die unterstützte Kommunikation und bietet über erreichen kann.» seine Website verschiedene Dienstleistungen an: Mutig geht er seine Projekte an und gibt nie auf. «Ich gebe Weiterbildungen, halte Referate und «Ich habe immer an meine Chance geglaubt. Der vermittle Wissen rund um die Kommunikation Einsatz von Kommunikationshilfen hat mir dann und das Leben mit einer Behinderung.» Für Ver- viele Türen geöffnet.» So führt Rickenbacher ein- anstaltungen vor Publikum speichert er seine Bot- drücklich vor, was für Menschen mit einer Beein- schaften vorgängig auf dem Talker ab, damit er trächtigung alles möglich ist. Beraterin Susanne sie flüssig präsentieren kann. Berner betont seinen Willen, alles zu tun, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. «Daniels posi- Eine eigene Wohnung tive Haltung beeindruckt uns alle. Die Reaktionen Bis Januar wohnte Daniel Rickenbacher in einem sind sowohl intern wie auch extern ausgespro- Studio der Rodtegg, einer Stiftung für Menschen chen positiv.» mit Behinderung. Um noch selbstständiger zu So macht Daniel Rickenbachers Weg vielen sein, zog er in eine eigene Wohnung in Luzern. Menschen Mut. «Hinausgehen und sich etwas «Das Leben in der Rodtegg hat mir viel gegeben», zutrauen» – das rät er allen, die ebenfalls mit sagt er. «Damit ich mich aber weiterentwickeln einer Behinderung leben müssen. kann, musste ich die Institution verlassen.» Dank (mste / febe) Paraplegie, März 2020 15
KO M M U NIK AT I O N Umgebungssteuerung Wie kommuniziert man mit seiner Wohnung? Gaby Pozzi ist hochgelähmt. Dank zwei Funktionsarmen und Hilfsmitteln zur Steuerung der Umgebung kann sie wieder selbstständig am Leben teilnehmen. «Einen Moment, ich komme», sagt die Stimme bedient sie den Computer. Es sind hart erkämpfte aus der Gegensprechanlage. Bald darauf geht kleine Fortschritte. Sie erschliessen der Betroffe- die Lifttüre auf und Gaby Pozzi empfängt den nen neue Dimensionen der Kommunikation und Besuch mit einem neugierigen Lächeln. Auf dem damit der Selbstständigkeit. Weg zurück in ihre Wohnung betätigt sie gewisse «Mich erstaunt immer, wie viel Freiheit man Tasten auf dem Handy – und schon setzt sich mit wenigen Hilfsmitteln erreichen kann», sagt der Lift in Bewegung, geht das Licht im Verbin- Elia Di Grassi von Active Communication, einer dungsgang an, öffnet sich die Wohnungstüre. Tochterfirma der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Mit einem weiteren Tastendruck drehen sich die Der Berater mit breitem technischem Fachwis- Jalousien und geben eine atemberaubende Aus- sen hat Pozzis Umgebungssteuerung so einge- sicht auf die Biegung der Limmat frei. Mit Spezial- richtet, dass sie über ein am Rollstuhl befestigtes handschuhen, die mit Gummi verstärkt sind, Kontrollgerät die wichtigsten Funktionen in ihrer manövriert die hochgelähmte Frau ihren elektro- Wohnung auslösen kann. Als Eingabegerät dient Oben Ein Tastendruck aufs Handy unterstützten Rollstuhl an den Esstisch. der Handy-Bildschirm mit einer speziell program- – und schon kann Gaby Pozzi ihre «Ohne Umgebungssteuerung wäre ich Tag mierten App. Diese erlaubt es Pozzi, ihr Handy als Wohnung ansteuern. und Nacht auf eine Begleitperson angewiesen», ganz normales Smartphone zu verwenden. «Tele- Rechte Seite Das Öffnen der schildert die 59-Jährige ihre Situation. Zwar be- fonieren, Nachrichten senden, Apps nutzen – und Haustüre ist eine der wichtigsten nötigt sie eine Assistenz für die Körperpflege, das alles nur über einen Knopf», freut sich der Berater Anwendungen. Sie muss hundert Ankleiden und Kochen, doch mit gezielt einge- über die gefundene Lösung. Prozent sicher funktionieren. setzten Hilfsmitteln ist sie heute so weit selbst- ständig, dass sie alleine das Haus verlassen und Knopf oder Stimme? einer Teilzeitarbeit nachgehen kann. Ihre Woh- Wäre es nicht bequemer, statt eines Knopfs die nung in Ennetbaden steuert sie über eine App auf Stimme zu nutzen? «Sprachsteuerungen sind auf dem Smartphone. dem Vormarsch, aber sie sind noch zu fehler- anfällig», erklärt der Experte. Was soll ein Mensch Hart erkämpfte Fortschritte mit Einschränkungen machen, wenn Internet- Seit jenem schicksalhaften Tag vor elf Jahren hat anwendungen wie Apples Siri oder Amazons sich hier viel verändert. Es war ein Velounfall an Alexa stumm bleiben und die Haustüre nicht einer Kreuzung. Gaby Pozzi wird von einem Auto mehr öffnen? Oder das WiFi abstürzt? Oder nach angefahren, sie bricht sich zweimal die Halswir- einem Android-Update das Handy nicht mehr belsäule und hat Kopfverletzungen. Als Notfall durch Zurufe aus dem Standby-Modus geht? kommt sie nach Nottwil. In den Jahren nach der Wegen solcher Unzuverlässigkeiten setzt Active Rehabilitation kann ihr die Handchirurgie des Communication die Stimme noch nicht für sen- Schweizer Paraplegiker-Zentrums in mehreren sible Anwendungen ein. Operationen sowohl links wie rechts einen Funkti- Einschränkungen der Sprachsteuerung ent- onsarm herstellen. Damit wird es der Tetraplegike- stehen auch, weil bei den Nutzerinnen und Nut- rin besser möglich, einfache manuelle Tätigkeiten zern eine gewisse Deutlichkeit der Aussprache auszuführen, etwa einen Schalter bedienen oder gegeben sein muss. Auch Datenschutzbedenken eine Hand schütteln. Mit weiteren Hilfsmitteln sind zu berücksichtigen. Denn über die trendigen 16 Paraplegie, März 2020
KO M M U NIK AT I O N Geräte der Unterhaltungselektronik und die digi- neuen Wohnung viel Überzeugungsarbeit leisten: talen Home-Assistenten hören grosse amerika- «Die Vermieter sind unsicher, weil sie die Geräte nische Technologiefirmen bei uns zu Hause alles nicht kennen; so entstehen Ängste. Und beim mit, was gesagt wird. Ihr Datensammeln gefällt Auszug muss wieder alles zurückgebaut werden.» nicht allen. Dennoch ist Di Grassi überzeugt, Oft sind nur kleine Installationen nötig, die aber dass zukünftig viel mehr Anwendungen über die Grosses bewirken. Stimme angesteuert werden. Knopf auslösen genügt Elia Di Grassi ist Berater bei Unsicherheit der Vermieter «Unser Ziel sind einfache und zweckmässige Active Communication und betreut Bei Pozzi sind nur Funk- und Infrarottechnologien Lösungen für Funktionen, die der Körper nicht Gaby Pozzis Umgebungssteuerung. im Einsatz, die eine hohe Sicherheit garantieren. mehr selber ausführen kann», sagt Elia Di Grassi. Die Herausforderung ihres Beraters war es, die Seine Tätigkeit im Team von Active Communica- Signale der bereits vorhandenen Empfangsgeräte tion erlebt er als ausgesprochen befriedigend: miteinander kompatibel zu machen und in ein «Wir gehen zu einer Person nach Hause, die nur Gesamtsystem zu integrieren. Da steckt der Teufel mündlich kommunizieren kann. Und am Abend oft im Detail, denn einzelne Hersteller nutzen unterschiedliche Standards. Und Gaby Pozzi ist auf diverse Funktionalitäten angewiesen, die ihre « Ohne dieses System wäre ich Tag und Nacht Selbstständigkeit ermöglichen. auf eine Begleitperson angewiesen.» Gaby Pozzi «Dass ich mich heute nachts bei einem Pro- blem über das Telefon bemerkbar machen kann, bekommen wir ein Dankesmail oder eine Whats- ist für mich eine grosse Erleichterung», sagt sie. App-Nachricht: ‹Super, es funktioniert alles!› Das Das Leben als Tetraplegikerin bedeute einen ist für mich ein Highlight dieser Arbeit.» enormen Organisationsaufwand. Da ist bereits Schon die kleinste körperliche Möglichkeit, jedes Detail, das sie zu Hause selber erledigen einen Knopf auszulösen – sei es über einen Funk- kann, von unschätzbarem Wert. tionsarm, eine Lippenmaus oder eine Augensteu- In ihrer Terrassenwohnung in Ennetbaden erung – ist für die Betroffenen ausreichend. Mit konnte sie nach dem Unfall grössere Umbauten den geeigneten Hilfsmitteln können sie damit alle vornehmen und einen Lift samt Verbindungsgang weiteren Anwendungen steuern und sind in die einbauen. Nur wenige Hausbesitzer sind dazu Gesellschaft integriert. bereit. So muss sie heute auf der Suche nach einer (kste / a. wagner) Paraplegie, März 2020 17
KO M M U NIK AT I O N Ratgeber Wie Sie besser kommunizieren Kommunikation Kommunikation allgemein für Patientinnen und Patienten Bereiten Sie sich vor Überlegen Sie sich, was das Ziel des Gesprächs ist, welches Zeitbudget zur Verfügung Sagen Sie, wenn Sie etwas nicht steht, worüber Sie sprechen möchten und welche Informationen Sie benötigen. verstehen oder es zu schnell ging Als Patientin, als Patient haben Sie das Strukturieren Sie Recht, so weit wie möglich informiert und Zu viel Information überfordert und kann zur Verzettelung führen. Geben Sie eine Struk- aufgeklärt zu werden. Nur so können Sie tur an. Sie schützt vor Missverständnissen und hilft dem Zeitbudget. Machen Sie nach mit einer Fachperson gute Entscheidungen einem strukturierenden Element eine Pause, damit das Gegenüber zustimmen oder treffen. Wünsche anbringen kann. Strukturieren Sie das Gespräch zum Beispiel wie ein Buch: «Ich möchte mit Ihnen über die Operation sprechen» (Titel) Seien Sie kritisch – auch zu «Dabei geht es um folgende Punkte...» (Inhaltsverzeichnis) Dr. Google «Weshalb wir den Eingriff machen» (Kapitel 1), «Wie er ablaufen wird» (Kapitel 2) Es ist legitim, vor dem Arztbesuch im Netz «Welche Risiken bestehen» (Kapitel 3), «Wie es danach weitergeht» (Kapitel 4). Informationen zu suchen. Die Angebots- Sind alle mit der Struktur einverstanden, wird das erste Kapitel aufgeschlagen und es fülle bietet aber auch Gefahren. Inhalte sind folgt die eigentliche Information (Buchinhalt). nicht immer fundiert und vermitteln falsche oder einseitige Meinungen. Erkundigen Sie sich bei Fachpersonen oder Hilfsorganisa- Bleiben Sie verständlich tionen nach guten Websites. Beachten Sie Fachausdrücke und Abkürzungen sind für Laien unverständlich. Machen Sie einfache die Aktualität eines Beitrags und dessen Sätze, verwenden Sie bildhafte Ausdrücke und Vergleiche, geben Sie Beispiele, über- Quelle. setzen Sie Fachwörter ins Deutsche. Prüfen Sie, ob Sie alle wichtigen Haben Sie Mut zur Pause Informationen bekommen haben Sprechpausen regeln Rhythmus und Tempo eines Gesprächs. Sie erlauben es, nachzu- Als Patientin, als Patient sollten Sie die denken, zu antworten oder seine Meinung zu präzisieren. Die sinnvolle und angenehme Diagnose kennen. Sie sollten über Art, Länge einer Pause ist sehr unterschiedlich – und nicht immer einfach auszuhalten. Durchführung, Ziel, Nutzen und Risiken eines Eingriffs Bescheid wissen. Und auch über Nutzen und Risiken von Alternativen Berücksichtigen Sie alle Aspekte der Kommunikation – inklusive der Variante, dass kein Eingriff Eine Information wird beeinflusst durch die Art, wie sie vorgetragen wird – durch Ges- erfolgt. tik, Mimik, Stimmlage, Lautstärke und Tempo. Diese nonverbalen Aspekte vermitteln Emotionen, bestimmen die Beziehung zum Gegenüber, veranschaulichen und unter- Nehmen Sie sich Zeit stützen den Inhalt. Sie können aber auch Spielraum für Deutungen öffnen, wenn die Zuhörenden etwas anders verstehen, als es gesagt wurde. Klären Sie Missverständ- Eine gute Entscheidung benötigt Zeit. Neh- nisse: Fassen Sie wichtige Punkte am Ende zusammen und bitten Sie das Gegenüber, men Sie sich die Zeit, die Sie brauchen und in eigenen Worten wiederzugeben, was «angekommen» ist. die die medizinische Situation zulässt. 18 Paraplegie, März 2020
K O SME M I TUE N IBKL AI CT KI O N Von Mensch zu Mensch «Los, traut euch», ermutigt der Mann mit amerikanischem Akzent die Runde, «was wollt ihr wissen?» Die Angesprochenen drucksen herum. Tim Sheltons Direktheit prallt auf Schweizer Zurückhaltung. End- lich gibt eine Frau der allgemeinen Neugier nach: «Wie funktioniert das mit der Sexu- alität?» Die Stimmung wird lockerer und Shelton schildert der Besuchergruppe mit charmantem Witz überraschende Details. Seit 32 Jahren sitzt er im Rollstuhl. Seit 2011 arbeitet er am Schweizer Paraplegiker-Zen- trum (SPZ) als Besucherführer und Peer- Berater von Patienten. Wenn Shelton als Rollstuhlfahrer Men- schen im Spital besucht, die gerade erst eine Rückenmarkverletzung erlitten haben, steht Sexualität zuoberst auf ihrer Frage- liste. Welche Formen sind möglich, wie wird man wahrgenommen? Auf den Besucher- führungen dagegen muss er die Frage aus den Leuten herauskitzeln – obwohl sie alle brennend interessiert. «Meine Aufgabe ist es, die Menschen auch für schwierige The- men zu sensibilisieren», sagt er. «Deshalb habe ich gelernt, offen zu reden.» chen erkennen die Leute, dass man mit du damit zurück an den Platz, um das Essen Geteilte Erfahrungen einer Rückenmarksverletzung gut weiter- dort zu geniessen. Probiere das einmal aus Die Offenheit des 51-Jährigen hilft anderen leben kann. Vor dem Austritt benötigen sie – und sage mir dann, ob du dabei nichts Querschnittgelähmten, sich in einer völlig dann Tipps und Tricks dafür.» So verknüpft gelernt hast ...» neuen Welt zurechtzufinden. Die medizi- der Peer-Berater medizinische Themen mit Die Learning-by-doing-Aufgaben sind nischen und therapeutischen Fachperso- einer Aussenwelt, in der die Betroffenen nicht einfach. Denn sie entsprechen dem nen kennen zwar alle Fakten, doch nur ein auf sich selbst gestellt sind und nicht darauf Alltag von Menschen mit einer Querschnitt- Peer-Berater weiss, wie es sich tatsächlich zählen können, dass rasch eine Fachperson lähmung, die sich ausserhalb des geschütz- anfühlt, davon betroffen zu sein. Durch zum Helfen herbeieilt. ten Rahmens des SPZ zurechtfinden müs- diese mit den Patienten geteilte Erfahrung Die Peers in Nottwil reden aber nicht sen. Ein schönes Feedback ist es für den entstehen gegenseitiges Vertrauen und nur. Einmal im Monat organisieren sie einen Peer-Berater, wenn die Teilnehmenden stolz der Mut, über alles zu sprechen. Auch über Ausflug. «Learning by doing» heisst das Pro- darauf sind, wie viele Alltagsaufgaben sie Dinge, die man eine Fachpersonen nie fra- gramm, bei dem jeweils auch Fachperso- auf dem Ausflug gelöst haben. gen würde. nen aus Physio- oder Ergotherapie und der Seine Schweizer Frau hat Tim Shelton «Fussgänger können sich nicht vorstel- Pflege zugegen sind. in Mexiko kennengelernt. Da lag sein Mo- len, wie es ist, querschnittgelähmt zu sein», torradunfall schon zehn Jahre zurück und sagt Tim Shelton. «Diese Kommunikations- Alltagsaufgaben er war alleine mit dem Auto von den USA lücke füllen die Peers.» Am Anfang der Das letzte Mal ging es an einen Eishockey- bis nach Costa Rica gereist. Auch von sol- Rehabilitation hätten Betroffene vor allem match des EV Zug. Lernt man dabei über- chen Abenteuern erzählt er auf dem Besu- Fragen über das Alltagsleben mit einer haupt etwas? Sheltons Augen funkeln: «Ich cherrundgang in Nottwil und bei seinen Querschnittlähmung. In den Wochen vor fordere dich auf, in einem Rollstuhl in dieser Peer-Besuchen im Patientenzimmer. Es sind dem Austritt stehen dann konkrete Lösun- Menschenmenge an der Theke eine Brat- Geschichten, die bei beiden Zuhörergrup- gen im Mittelpunkt. «In den frühen Gesprä- wurst und ein Bier zu holen. Dann fährst pen Mut machen. (kste / rob) Paraplegie, März 2020 19
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