Stress und Stressbewältigung

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Stress und Stressbewältigung
Wissen // Übersichten/Reviews

Stress und Stressbewältigung
Stressbewältigungstraining kann körperliche Beschwerden und negative
psychische Befindlichkeit reduzieren sowie die individuelle
Bewältigung von Belastungen fördern
                                                                                                                                              Gert Kaluza

Stress als gesundheitlicher
Risikofaktor

Psychosozialer Stress stellt einen (mit-)
verursachenden, auslösenden oder ag­
gravierenden Faktor besonders bei kardio-
vaskulären, psychosomatischen und psy-
chischen Erkrankungen sowie bei einer
Vielzahl weiterer Krankheitsbilder und
Beschwerden dar. Eine chronische Aktivie-
rung des biologischen Stresssystems (v. a.
der Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
nierenrinden-Achse) gefährdet zusammen
mit mangelnder Erholung, einem ge-
schwächten Immunsystem sowie zuneh-
mendem selbstgefährdenden Gesund-
heitsverhalten die körperliche und psychi-
sche Gesundheit. So besteht bei chronisch
belasteten Personen im Vergleich zu
Nicht-Belasteten jeweils eine Risikover-
                                                    Abb. 1: Stress: Risikofaktor besonders für kardiovaskuläre, psychosomatische und psychische
dopplung für das Auftreten eines Herzin-
                                                    Erkrankungen. © olly/Fotolia; nachgestellte Situation
farkts und einer Depression [2] [10]. Gra-
vierende Veränderungen in unserer Ar-                 Strukturelle Präventionsmaßnahmen                   source der Stressbewältigung darstellen.
beitswelt, die im Zusammenhang mit der              zielen auf eine Veränderung von überindi-             Sie verfolgen das Ziel, belastende Kom-
voranschreitenden globalisierten Arbeits-           viduellen belastenden Strukturen, die au-             munikations- und Interaktionsstruktu-
teilung stehen und steigende Anforderun-            ßerhalb des unmittelbaren Einflussbe-                 ren abzubauen sowie soziale Unterstüt-
gen an die Mobilität, Flexibilität sowie Ei-        reichs des Einzelnen liegen. In der Arbeits-          zungspotenziale zu fördern. Beispiele für
gensteuerungskompetenz und Leistungs-               welt geht es dabei bspw. um Maßnahmen                 Interventionen auf dieser Ebene sind
bereitschaft des Einzelnen nach sich zie-           zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privat-             Trainingsprogramme für Führungskräfte
hen sowie die zunehmende Auflösung                  leben, um die Organisation von Arbeitsab-             zur Entwicklung eines mitarbeiterorien-
traditionsbestimmter, Halt gebender Sinn-           läufen und um die Entwicklung einer ge-               tierten Führungsstils sowie Maßnahmen
, Werte- und Sozialstrukturen in der mo-            sundheitsförderlichen Arbeits- und Leis-              zur Teamentwicklung und zum Kon-
dernen Gesellschaft lassen erwarten, dass           tungskultur.                                          fliktmanagement [9].
das Belastungsniveau zukünftig eher noch              Interpersonale Präventionsmaßnah-                      Personale Präventionsmaßnahmen
steigen wird. So stellt sich die Frage, wie         men gehen von der Erkenntnis aus, dass                richten sich an Einzelpersonen mit dem
stressbedingten Gesundheitsgefahren                 zwischenmenschliche Beziehungen ei-                   Ziel, deren individuelle Kompetenzen für
wirksam vorgebeugt werden kann. Drei                nerseits eine häufige Quelle von Belas-               einen gesundheitsförderlichen Umgang
Ebenen möglicher Interventionen lassen              tungen (Konflikte, Konkurrenz, Verluste),             mit Belastungen in Beruf und Alltag zu
sich unterscheiden:                                 andererseits aber auch eine wichtige Res-             stärken. Sie beruhen zumeist auf der

Kaluza G. Stress und Stressbewältigung. EHK 2014; 63: 261–266                                                                                       261
Stress und Stressbewältigung
diese zu reduzieren oder ganz auszuschal-
   ZUSAMMENFASSUNG                                     ABSTR AC T
                                                                                                            ten, z. B. durch Umorganisation des Arbeits-
   Psychosozialer Stress gefährdet zunehmend           Psychosocial stress increasingly endangers           platzes, durch Veränderung von Arbeitsab-
   unsere körperliche und psychische Gesund-           our physical and mental health. Compared             läufen, durch die Organisation von Hilfen
   heit. So besteht bei chronisch belasteten           to people, who are not stressed, the risk of         etc. Instrumentelles Stressmanagement
   Personen im Vergleich zu Nicht-Belasteten           suffering from heart attack or depressions is        kann reaktiv auf konkrete, aktuelle Belas-
   jeweils eine Risiko-Verdopplung für das Auf-        twice as high in people, who are chronically
                                                                                                            tungssituationen hin erfolgen, und auch
   treten eines Herzinfarkts und einer Depres-         stressed. The article deals with the question,
                                                                                                            proaktiv auf die Verringerung oder Aus-
   sion. Der Beitrag geht der Frage nach, wie          how precautions can be taken against
   stressbedingten Gesundheitsfaktoren wirk-           stress-induced health factors. This includes         schaltung zukünftiger Belastungen und auf
   sam vorgebeugt werden kann. Dazu gehö-              stress management trainings, where the               eine möglichst stressfreie Gestaltung eige-
   ren Stressbewältigungstrainings, in denen           participants successfully learn to achieve fle-      ner Arbeits- und Lebensbedingungen aus-
   die Teilnehmer erfolgreich lernen, wie sie          xibility in dealing with daily stress.               gerichtet sein. Beispiele hierfür sind:
   Flexibilität im Umgang mit alltäglichen Be-
                                                       Keywords                                             ■■ Information suchen
   lastungen erreichen.
                                                       Stress, stress management training, stress           ■■ Arbeitsaufgaben delegieren
   Schlüsselwörter                                     management, Stress-Ampel (stress traffic             ■■ persönliche Zeitplanung verändern
   Stress, Stressbewältigungstraining, Stress-         light).                                              ■■ Grenzen setzen, „Nein“ sagen
   management, Stress-Ampel.
                                                                                                            ■■ nach Unterstützung suchen, soziales
                                                                                                                Netzwerk aufbauen
                                                                                                            ■■ Klärungsgespräche führen
transaktionalen Stresstheorie, wonach in-           lastungsfaktoren als auch durch subjekti-               ■■ Arbeitsaufgaben gezielt strukturieren
dividuelle Bewertungs- und Bewälti-                 ve Formen der Belastungsverarbeitung                    ■■ persönliche/berufliche Prioritäten
gungsprozesse ausschlaggebend dafür                 bestimmt wird.                                              definieren
sind, ob und wie sich Belastungen auf die                                                                   Mentales Stressmanagement setzt an bei
Gesundheit auswirken [8].                                                                                   persönlichen stressverschärfenden Ein-
  Um nachhaltige Präventionswirkungen               Strategien individueller                                stellungen und Denkmustern. Diese be-
zu erzielen, sollten strukturelle, interper-        Stressbewältigung                                       wusst zu machen, kritisch zu reflektieren
sonale und personale Maßnahmen in um-                                                                       und in stressvermindernde, förderliche
schriebenen Lebenswelten (z. B. Betrieb,            Ausgehend von einem transaktionalen                     Einstellungen und Bewertungen zu trans-
Schule, Kommune, Krankenhaus usw.)                  Stressverständnis lassen sich pragmatisch               formieren ist das Ziel mentaler Strategien
kombiniert durchgeführt werden. Da-                 3 Ansatzpunkte und darauf bezogene                      der Stressbewältigung. Beispiele hierfür
durch werden einseitige Schuldzuschrei-             Hauptwege der individuellen Stressbewäl-                sind:
bungen vermieden, und es wird der Kom-              tigung unterscheiden [5] (Abb. 2):                      ■■ Perfektionistische Leistungsansprü-
plexität des Stressgeschehens Rechnung                 Instrumentelles Stressmanagement                         che kritisch überprüfen und eigene
getragen, das sowohl durch objektive Be-            setzt an den Stressoren an mit dem Ziel,                    Leistungsgrenzen akzeptieren lernen,
                                                                                                            ■■ Schwierigkeiten nicht als Bedrohung,
                                                                                                                sondern als Herausforderung sehen,
                                                                  Anforderungen aktiv                       ■■ sich mit alltäglichen Aufgaben
      Stressoren                                                      begegnen

                                                                      Instrumentelle
                                                                                                                weniger persönlich identifizieren,
                                                                                                                mehr innere Distanz wahren,
                                                                     Stresskompetenz                        ■■ sich nicht im alltäglichen Kleinkrieg
   

                            
               

                                                                                                                verlieren, den Blick für das „Wesentli-
                                                                                                                che“, das, was wirklich wichtig ist,
   

                            
               

      Persönliche                                              Förderliche Gedanken und                         bewahren,

                                    
                                                                                                            ■■ sich des Positiven, Erfreulichen,
         Stress-                                                Einstellungen entwickeln
                                                                                                                Gelungenen bewusst werden und
       verstärker                                                         Mentale                               Dankbarkeit empfinden,
                                                                      Stresskompetenz                       ■■ weniger feste Vorstellungen und
               

                                                                                                                Erwartungen haben, die Realität
                                                                                                                akzeptieren.
                                                                    Entspannen, erholen,
          Stress-                                                                                           Palliativ-regeneratives Stressmange-

                                    
                                                                     Ausgleich schaffen
                                                                                                            ment setzt bei den körperlichen und psy-
         reaktion                                                        Regenerative                       chischen Stressreaktionen an mit dem Ziel,
                                                                       Stresskompetenz                      körperliche Anspannung zu lösen und in-
                                                                                                            nere Unruhe und Nervosität zu dämpfen
Abb. 2: Ansatzpunkte und 3 Hauptwege der individuellen Stressbewältigung.                                   sowie die eigene Widerstandskraft gegen-

262                                                                                            Kaluza G. Stress und Stressbewältigung. EHK 2014; 63: 261–266
Übersichten/Reviews

über Belastungen zu erhalten und neue                                                                                   Leistungsanforderung
Energien aufzubauen. Beispiele sind:                                                                                         Zu viel Arbeit
                                                                 Ich gerate in
■■ Regelmäßiges Praktizieren einer
                                                                Stress, wenn …
                                                                                       Stressoren                          Soziale Konflikte
   Entspannungstechnik,                                                                                                       Zeitdruck
                                                                                                                              Störungen

                                                                                          

                                                                                          
                                                                                          
■■ regelmäßige Bewegung,
■■ Pflege außerberuflicher sozialer                                                                                           Ungeduld

                                                                                          

                                                                                          
                                                                                          
   Kontakte,                                                     Ich setze mich        Persönliche                         Perfektionismus
■■ regelmäßiger Ausgleich durch Hobbys                             selbst unter           Stress-                          Kontrollstreben
   und Freizeitaktivitäten,                                     Stress, indem …                                           Einzelkämpfertum
                                                                                        verstärker                       Selbstüberforderung
■■ lernen, die kleinen Dinge des Alltags
   zu genießen,
■■ ausreichender Schlaf.                                        Wenn ich im
                                                                                             
                                                                                          Stress-
                                                                                                                      Körperliche, emotionale
                                                                                                                    mentale, verhaltensbezogene
                                                             Stress bin, dann …
                                                                                         reaktion                           Aktivierung

Stressbewältigungstraining                                                                  langfristig

Ziele und Inhalte
                                                                                        Erschöpfung
                                                                                          Krankheit               
Das generelle Ziel von Stressbewältigungs-          Abb. 3: Die „Stressampel“.
trainings (SBT) besteht in der Förderung
der körperlichen und psychischen Ge-
sundheit durch eine Verbesserung der in-            Einstiegsmodul                                        nung im Alltag und unter akuten Belas-
dividuellen Kompetenzen zur Stressbe-               Die TN lernen ein vereinfachtes Stressmo-             tungsbedingungen ermöglicht.
wältigung. Dabei geht es nicht darum, die           dell, die sog. „Stress-Ampel“ (Abb. 3), ken-
Teilnehmenden (TN) in einer bestimmten              nen, das eine Differenzierung in äußere               Trainingsmodul 2: Förderliche Denk-
Standardstrategie der Belastungsbewälti-            Stressoren, innere persönliche Stressver-             weisen und Einstellungen entwickeln
gung zu trainieren. Das Ziel besteht viel-          stärker und Stressreaktionen vornimmt,                – Das Mentaltraining
mehr darin, auf der Basis einer möglichst           und beziehen dieses auf ihr persönliches              Die TN erfahren die stressverstärkende
breiten Palette von sowohl instrumentel-            alltägliches Stresserleben. Sie erhalten              Wirkung von persönlichen Denkweisen
len als auch mentalen und palliativ-rege-           grundlegende Informationen zur Biologie               anhand von Beispielen sowie durch prak-
nerativen Strategien Flexibilität im Um-            der Stressreaktion und deren mögliche                 tische Imaginations- und/oder kleinere
gang mit alltäglichen Belastungen zu er-            Folgen für die Gesundheit. Dem ressour-               Stressinduktionsübungen. Sie tragen eige-
reichen.                                            cenorientierten Ansatz entsprechend tra-              ne stressverstärkende Denkweisen zu-
   Deutschsprachige Manuale für die                 gen die TN bereits erfolgreich eingesetzte            sammen und lernen die folgenden 5
Durchführung von SBTs in Gruppen liegen             Strategien zur Stressbewältigung zusam-               stressverstärkenden Denkmuster und da-
vor von Kaluza (2011), Wagner-Link (2010)           men und ordnen diese einem der 3 Haupt-               rauf bezogene förderliche stressvermin-
sowie Drexler (2006). Im Folgenden wird             wege des individuellen Stressmanage-                  dernde Denkmuster kennen:
die Praxis von SBTs am Beispiel des Ge-             ments (s. o.) zu.                                     ■■ „Das gibt’s doch nicht“-Denken vs.
sundheitsförderungsprogramms „Gelassen                                                                        „Das Annehmen der Realität“
und sicher im Stress“ [4, 5] dargestellt. Das       Trainingsmodul 1: Entspannen und los-                 ■■ „Blick auf das Negative“ vs. „Blick auf
Programm ist als fortlaufendes Gruppen-             lassen – Das Entspannungstraining                         das Positive“ – Orientieren auf
training mit 12–16 wöchentlich stattfin-            Die TN erlernen die Progressive Muskelre-                 Chancen und Sinn“
denden Trainingssitzungen konzipiert. Für           laxation. Diese dient der Erholung und                ■■ „Defizit“-Denken vs. „Stärken“- Den-
manche Zielgruppen, z. B. im betrieblichen          dem Belastungsausgleich und kann auch                     ken
Kontext, empfiehlt es sich, den Kurs teil-          zur kurzfristigen Bewältigung einer aku-              ■■ „Negatives Konsequenzen“-Denken
weise oder sogar ganz als Blockveranstal-           ten Belastungssituation eingesetzt wer-                   vs. „Positives Konsequenzen“-Denken
tung durchzuführen. Auch Intervalltrai-             den. Sie wird bereits in der 2. Trainingsein-         ■■ „Personalisieren“ vs. „Distanzieren
nings, die aus 2 oder 3 1- bis 2-tägigen            heit mit einer sog. Langform, die aus ins-                und Relativieren“
Blöcken bestehen, sind möglich.                     gesamt 16 Muskelpartien besteht, einge-               Techniken zur kognitiven Umstrukturie-
   Inhaltlich besteht das Trainingspro-             führt. Im weiteren Verlauf wird die                   rung (wie z. B. Realitätstestung, temporale
gramm aus 5 Basismodulen (Einstiegsmo-              Entspannungsübung durch Zusammenfas-                  Relativierung, Distanzierung durch Rol-
dul und 4 Trainingsmodule) und 5 Ergän-             sen von Muskelpartien mehr und mehr                   lentausch, Entkatastrophisieren etc.) wer-
zungsmodulen. Die Basismodule repräsen-             verkürzt. Dadurch und durch die Einfüh-               den vorgestellt und an Beispielen erprobt.
tieren das obligate inhaltliche „Pflichtpro-        rung eines sog. individuellen „Ruhewor-               Die TN wählen sich maximal 3 Techniken
gramm“, während die Ergänzungsmodule                tes“ wird die Anwendung der Entspan-                  aus, die sie in ihrem Alltag regelmäßig ein-
optionale Kurseinheiten beschreiben.                                                                      setzen möchten.

Kaluza G. Stress und Stressbewältigung. EHK 2014; 63: 261–266                                                                                    263
Trainingsmodul 4: Erholen
                                                                                                             und genießen – Das Genusstraining
                                                                                                             Die TN werden dazu angeregt, eine ganz
                                                                                                             persönliche regenerative „Gegenwelt“ zu
                                                                                                             entdecken, zu entwickeln und gegenüber
                                                                                                             den Anforderungen von Beruf und Alltag
                                                                                                             zu behaupten. In einem 1. Schritt geht es
                                                                                                             darum, einen neuen Zugang zu positiven
                                                                                                             Emotionen zu finden, frühere positive Er-
                                                                                                             lebnisse wiederzubeleben und Lust auf
                                                                                                             neue Erfahrungen zu wecken. Hierzu wer-
                                                                                                             den erlebnisaktivierende Methoden aus
                                                                                                             der sog. „Kleinen Schule des Genießens“
                                                                                                             (vgl. Koppenhöfer 2004) eingesetzt. In
                                                                                                             praktischen Übungen wird die sinnliche
                                                                                                             Wahrnehmung geschult und die Aufmerk-
                                                                                                             samkeit gezielt auf angenehme Erlebnisse
                                                                                                             im Alltag gelenkt. Durch Reflexion dieser
Abb. 4: Ein soziales Netz, Familie und Freunde, sind eine wichtige Ressource bei der Stressbewältigung.
Diese gilt es zu pflegen. © Westend61; nachgestellte Situation
                                                                                                             kleinen Alltagsfreuden werden Genussre-
                                                                                                             geln entwickelt wie:
  Neben Denkmustern spielen auch gene-                 ■■ Schritt 2: „Ideen zur Bewältigung                  ■■ Nimm dir Zeit zum Genießen.
ralisierte Einstellungen in Form von abso-                  sammeln“: Hier erfolgt, unter                    ■■ Genieße bewusst.
lutistischen Ansprüchen an sich selbst                      Beteiligung der gesamten Kursgrup-               ■■ Planen schafft Vorfreude.
eine wichtige Rolle für das individuelle                    pe, eine bewertungsfreie Suche nach              In einem 2. Schritt planen die TN dann –
Stresserleben. Sie beruhen auf einer Über-                  Möglichkeiten der Bewältigung der                möglichst konkret und realistisch – ange-
steigerung normaler menschlicher Motive.                    belastenden Situation in Form eines              nehme Aktivitäten (bzw. „Passivitäten“)
Entsprechend der mit ihnen jeweils ver-                     Brainstormings.                                  von Woche zu Woche, um aktiv einen Be-
bundenen Motive können die folgenden 5                 ■■   Schritt 3: „Den eigenen Weg finden“:             lastungsausgleich herbeizuführen. Dabei
sog. »persönlichen Stressverstärker« un-                    Der betreffende TN trifft eine                   gewonnene Erfahrungen werden reflek-
terschieden werden:                                         Positiv-Auswahl unter den vorge-                 tiert und mögliche Hindernissen bespro-
■■ Sei perfekt! – Leistungsmotiv                            schlagenen Bewältigungsmöglichkei-               chen. In einem letzten Schritt planen die
■■ Sei beliebt! – Anschlussmotiv                            ten und entscheidet sich für einen der           TN ihr „persönliches Gesundheitsprojekt“
■■ Sei stark! – Autonomiemotiv                              (ggf. auch eine Kombination mehre-               mit regelmäßigen angenehmen Aktivitä-
■■ Sei vorsichtig! – Kontrollmotiv                          rer) Vorschläge.                                 ten zum Belastungsausgleich.
■■ Ich kann nicht (auch: Ich kann das                  ■■   Schritt 4: „Konkrete Schritte planen“:
    nicht aushalten)! – Schonungsmotiv                      Hier geht es darum, das konkrete                 Ergänzungsmodul 1: Stressbewälti-
Diese werden reflektiert und die TN for-                    Vorgehen bei der Realisierung des                gung durch Sport und mehr Bewegung
mulieren mithilfe der Gruppe stressver-                     ausgewählten Vorschlags möglichst                Dieses Ergänzungsmodul thematisiert
mindernde, förderliche, „erlaubende“ Ge-                    genau zu planen. Rollenspiele und                Sport und Bewegung als eine basale Stra-
danken.                                                     Vorstellungsübungen werden                       tegie der palliativ-regenerativen Stressbe-
                                                            eingesetzt, um den TN möglichst gut              wältigung. Die TN werden über die positi-
Trainingsmodul 3: Stresssituationen                         auf die Durchführung der Schritte im             ven Auswirkungen körperlicher Aktivität
wahrnehmen, annehmen und                                    Alltag vorzubereiten.                            auf die körperliche und psychische Ge-
verändern – Das Problemlösetraining                    ■■   Schritt 5: „Im Alltag handeln“: Dieser           sundheit informiert und es werden ihnen
Hier findet eine lösungsorientierte Ausei-                  Schritt, auf den alle vorhergehenden             praktikable Wege zur Steigerung körperli-
nandersetzung mit konkreten Belastungen                     Schritte hinführen, findet außerhalb             cher Aktivität im Alltag aufgezeigt. Darü-
einzelner TN statt. Das praktische Vorge-                   der Kursstunden statt.                           ber hinaus werden während der Kurssit-
hen gliedert sich in 6 Schritte:                       ■■   Schritt 6: „Bilanz ziehen“: Hier geht            zungen selbst praktische Bewegungs-
■■ Schritt 1: „Dem Stress auf die Spur                      es darum, die Ergebnisse der                     übungen durchgeführt.
    kommen“: Die TN lernen, anhand                          Durchführung (Schritt 5) zu bewerten
    eines vereinfachten verhaltensanaly-                    und nach Gründen für das Gelingen                Ergänzungsmodul 2: Soziales Netz
    tischen Schemas, dem sog. „Stressde-                    oder Misslingen der Problemlösung                Hier werden die soziale Integration und
    tektiv“, ihre alltäglichen Stresserfah-                 zu suchen.                                       soziale Unterstützung als wichtige Res-
    rungen genau zu beobachten und zu                                                                        source der Stressbewältigung themati-
    beschreiben.                                                                                             siert. Die TN reflektieren ihr soziales Netz

264                                                                                             Kaluza G. Stress und Stressbewältigung. EHK 2014; 63: 261–266
mittels einer „Mindmap“. Der Fokus liegt      Wichtigkeit und Dringlichkeit sowie die       Indikationen und Kontra­
dabei auf unterstützenden, vertrauensvol-     Zeit- und Aufgabenplanung unter Berück-       indikationen
len Beziehungen. Sie formulieren „Pflege-     sichtigung der eigenen Leistungskurve.        SBTs kommen sowohl im Bereich der all-
tipps für das soziale Netz“ und erproben                                                    gemeinen und betrieblichen Gesundheits-
deren Umsetzung (Abb. 4).                     Ergänzungsmodul 5: Die Quart-A-(4A-)          förderung als auch im Rahmen von ambu-
                                              Strategie für den Akutfall                    lanten und stationären Rehabilitations-
Ergänzungsmodul 3:                            Der kurzfristige Umgang mit akuten Belas-     maßnahmen zum Einsatz. Sie werden
Blick in die Zukunft                          tungssituationen ist das Thema dieses Er-     ferner auch sekundarpräventiv z. B. bei
Dieses Modul regt die TN zur Entwicklung      gänzungsmoduls. Es wird eine Strategie        Personen mit essentieller Hypertonie oder
einer positiven Zukunftsvision an. Diese      vermittelt, die zum Ziel hat, akute körper-   Spannungskopfschmerzen mit dem Ziel
kann, indem sie sinn- und identitätsstif-     liche und seelische Erregung zu kontrollie-   einer Chronifizierungsprophylaxe einge-
tend wirkt, selbst eine wichtige Ressource    ren, Symptomstress zu vermeiden bzw.          setzt. Klinische Anwendungen von SBTs
der Stressbewältigung darstellen und hel-     Stresstoleranz zu entwickeln sowie Han-       bestehen bspw. bei der Behandlung von
fen, eigene Prioritäten zu finden, Anforde-   deln, falls erforderlich, möglich und ge-     somatoformen Störungen und psycho-
rungen als Herausforderungen auf dem          wollt, zu ermöglichen. Diese sog. Quart-A-    vegetativen Erschöpfungszuständen sowie
Weg zum Ziel wahrzunehmen. und die            (4A-)Strategie besteht aus 4 Schritten:       in der kardiologischen Rehabilitation. Bei
eigene Stresstoleranz zu erhöhen. Die TN      ■■ Annehmen: Das bedeutet, die                Menschen mit chronischen Erkrankungen
entwickeln in einer Visualisierungsübung          Situation so zu akzeptieren, wie sie      (z. B. Asthma bronchiale, Neurodermitis,
eine positive Vision für einen nächsten           ist (statt mit ihr zu hadern).            chronische Schmerz­erkrankung) können
Schritt in der Zukunft. Diese Vision bildet   ■■ Abkühlen: Das bedeutet, überschie-         sie mit dem Ziel der Rezidivprophylaxe
die Grundlage für die Formulierung von            ßende Erregung in einer akuten            (Tertiärprävention) und Unterstützung
Zielen in verschiedenen Lebensberei-              Stresssituation zu regulieren (statt      der Krankheitsbewältigung eingesetzt
chen.                                             sich in sie hineinzusteigern).            werden.
                                              ■■ Analysieren: Dies bedeutet, sich einen        Kontraindikationen bestehen bei akuten
Ergänzungsmodul 4: Keine Zeit? – Sinn-            kurzen Moment Zeit zu nehmen, um          endogenen Psychosen sowie bei Patienten
volle Zeiteinteilung im Alltag                    zu einer bewussten und schnellen          mit stark ausgeprägter Zwangssymptoma-
Ziel dieses Ergänzungsmoduls ist es, den je       Einschätzung hinsichtlich eigener         tik. Der Trainingscharakter des Verfahrens
persönlichen Umgang der Teilnehmenden             Handlungsmöglichkeiten zu kommen.         impliziert, dass für eine erfolgreiche Teil-
mit ihrer Zeit zu reflektieren, eigene Ver-   ■■ Ablenkung oder Aktion: Je nach             nahme an einem SBT Selbstreflektions-
haltensweisen und Einstellungen als mit-          Ausgang der Kurzanalyse geht es hier      und Gruppenfähigkeit sowie Eigensteue-
verursachend für Zeitprobleme zu erken-           entweder um Ablenkung von der             rungskompetenzen aufseiten der TN vor-
nen und Anregungen zu einer gesund-               Situation oder um gezielte Aktionen       ausgesetzt werden. Relativ kontraindiziert,
heitsförderlichen Zeiteinteilung zu geben.        zur Änderung der Situation.               weil meist wenig erfolgversprechend, sind
Im Vordergrund steht dabei das Setzen von                                                   SBTs daher in den Fällen, in denen diese
Prioritäten unter den Gesichtspunkten                                                       Voraussetzungen persönlichkeitsbedingt
Wirksamkeit                                             ÜBER DEN AUTOR
 Servicekasten                                Zusammenfassende Analysen einschlägi-
 Wo können die Module erlernt                 ger Evaluationsstudien [1, 4] konnten die
 werden?                                      Wirksamkeit von Stressbewältigungstrai-
 Das GKM-Institut für Gesundheitspsy-         nings besonders im Hinblick auf eine Re-
 chologie bietet regelmäßig                   duzierung von körperlichen Beschwerden
 Train-the-Trainer-Seminare an, in denen      und negativer psychischer Befindlichkeit
 die praktische Durchführung von Stress-      (Ängstlichkeit, Depressivität) sowie von
 bewältigungstrainings vermittelt wird.       Ärger- und Feindseligkeitsreaktionen be-
 Nähere Informationen unter www.              legen. Verbesserungen bei der individuel-
 gkm-institut.de.                             len Bewältigung von Belastungen konnten
                                              ebenfalls in mehreren Studien nachgewie-
 Was kann der niedergelassene Arzt
                                              sen werden. Deutlich geringer fallen dage-
 tun?
                                              gen die Effekte hinsichtlich der Anzahl,               Gert Kaluza, Jahrgang 1955, ist Diplom-Psycho-
 Ärzte sollten bei Vorliegen stressbeding-    Häufigkeit und Intensität erlebter Belas-              loge und psychologischer Psychotherapeut. Er
 ter Beschwerden ihre Patienten zur Teil-                                                            ist als Trainer, Coach und Autor im Bereich der
                                              tungen aus. Der wesentliche Effekt einer
 nahme an einem Stressbewältigungstrai-                                                              individuellen und betrieblichen Gesundheitsför-
                                              Trainingsteilnahme besteht somit darin,
                                                                                                     derung tätig (www.gkm-institut.de).
 ning motivieren. Informationen über          dass die TN bei weitgehend unverändert
 entsprechende regionale Angebote sind        bestehenden Belastungen durch einen ver-               KORRESPONDENZADRESSE
 in der Regel bei den gesetzlichen Kran-                                                             Prof. Dr. Gert Kaluza
                                              änderten Umgang mit diesen Belastungen
 kenkassen abrufbar.                                                                                 GKM-Institut für Gesundheitspsychologie
                                              ein verbessertes körperliches und psychi-
                                                                                                     Liebigstr. 31a
 Welche Voraussetzungen werden                sches Befinden erreichen. Einige Studien               35039 Marburg
 benötigt, um das Programm in der             konnten zeigen, dass dieser Effekt über die
 Praxis anzubieten?                           Dauer des Trainings hinaus anhält, zum                 E-Mail: kaluza@gkm-institut.de
                                              Teil sich sogar noch verstärkt.                        www.gkm-institut.de
 Nach Besuch eines Train-the-Trainer-Se-
 minars können Ärzte ggf. auch selbst                                                              [5] Kaluza G. Stressbewältigung. Trainingsma-
 Stressbewältigungsprogramme in ihrer         Interessenkonflikte: Der Autor erklärt, dass keine       nual zur psychologischen Gesundheitsförde-
 Praxis anbieten.                             wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen          rung. 2. Aufl. Heidelberg: Springer; 2011
                                              bestehen.
 Wie erfolgt die Abrechnung in der                                                                 [6] Kaluza G. Gelassen und sicher im Stress
                                                                                                       – Das Stresskompetenz-Buch. 5. Aufl. Berlin:
 Praxis?
                                              Online zu finden unter:                                  Springer; 2014
 Die Teilnahme an einem Stressbewälti-        http://dx.doi.org// 10.1055/s-0033-1357714           [7] Koppenhöfer E. Kleine Schule des
 gungstraining wird von den gesetzlichen
                                                                                                       Genießens. Lengerich: Pabst; 2004
 Krankenkassen nach § 20 SGB V als Prä-       Literatur
                                                                                                   [8] Lazarus RS, Launier R. Streßbezogene
 ventionsmaßnahme bezuschusst. Vor-
                                              [1] Bamberg E, Busch C. Stressbezogene                   Transaktionen zwischen Person und
 aussetzung dafür ist, dass das Training                                                               Umwelt. In: Nitsch JR, Hrsg. Stress.
                                                  Interventionen in der Arbeitswelt.
 zuvor von der „Zentralen Prüfstelle Prä-         Zeitschrift für Arbeits- und Organisations-          Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen.
 vention“ (http://www.vdek.com/ver-               psychologie 2006; 50: 215–226                        Bern: Huber; 1981: 213–259
 tragspartner/Praevention/zentrale_           [2] Berkman L, Kawachi I, eds. Social                [9] Matyssek A. Gesundes Team – gesunde
 pruefstellepraevention.html) zertifiziert        Epidemiology. Oxford: University Press;              Bilanz. Ein Leitfaden zur gesundheitsgerech-
 worden ist. Das hier vorgestellte Pro-           2000                                                 ten Mitarbeiterführung. Wiesbaden:
                                                                                                       Universum; 2003
 gramm „Gelassen und sicher im Stress“        [3] Drexler D. Das integrierte Stress-Bewälti-
 erfüllt die dafür erforderlichen inhaltli-       gungs-Programm ISP. 2. Aufl. Stuttgart:          [10] Rensing L, Koch M, Rippe B, et al. Mensch
 chen und methodischen Anforderungen.             Klett-Cotta; 2006                                     im Stress. Psyche, Körper, Moleküle.
                                                                                                        München: Elsevier; 2006.
                                              [4] Kaluza G. Förderung individueller
                                                  Belastungsverarbeitung: Was leisten              [11] Wagner-Link A. Verhaltenstraining zur
oder wegen einer akuten existenziell
                                                  Stressbewältigungsprogramme? In: Röhrle               Stressbewältigung: Arbeitsbuch für
­be­drohlichen Belastung oder aufgrund ei-        B, Hrsg. Prävention und Gesundheitsförde-             Therapeuten und Trainer. 6. Aufl. Stuttgart:
 ner vorrangig und spezifisch zu behan-           rung. Bd. 2. Tübingen: DGVT; 2002:                    Klett-Cotta; 2010
 delnden psychischen Störung einge-               195–218
 schränkt sind.

266                                                                                   Kaluza G. Stress und Stressbewältigung. EHK 2014; 63: 261–266
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