Uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwegekatarrhe, Tonsillitis

 
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Uncharakteristisches Fieber
(UF), afebrile Allgemeinreaktion
(AFAR), Luftwegekatarrhe,
Tonsillitis
2.1	Uncharakteristisches Fieber (UF) – 32
2.1.1	Fachsprache, Berufsjargon und Laienausdrücke – 32
2.1.2	Erregernachweis und Influenza-Bild – 34
2.1.3	Bettlägerigkeit und Hausbesuch – 35
2.1.4	Höhe der Körpertemperatur – 35
2.1.5	Subjektives und objektives Befinden – 36
2.1.6	Untersuchungsgang und abwendbar gefährliche Verläufe – 36
2.1.7	Wochenlange Temperaturerhöhungen – 37
2.1.8	Nicht mehr uncharakteristisch – 37
2.1.9	Qualitätskontrolle am Beispiel des Fieber-Programms – 38
2.1.10	Management – 38

2.2	Afebrile Allgemeinreaktion (AFAR) – 40
2.3	Afebriler Husten – 41
2.3.1	Intuitive primäre Diagnostik – 41
2.3.2	Verschlimmerung – 41
2.3.3	Symptomgruppe »Bronchitis« – 42
2.3.4	Keuchhusten – 42

2.4	Halsschmerzen – 43
2.4.1	Tonsillitis – 45
2.4.2	Infektiöse Mononukleose – 46

2.5	Heiserkeit – 46
2.6	Schnupfen und kombinierte Luftwegekatarrhe – 46
2.7	Kruppbilder – 47
2.8	Fieberkrampf – 48
2.9	Thematik des Fachgesprächs – 49

F. H. Mader, Allgemeinmedizin und Praxis,
DOI 10.1007/978-3-642-29229-3_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
32     Kapitel 2 • Uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwegekatarrhe, Tonsillitis

    In diesem Kapitel werden jene Fälle behandelt, die diag-                weitaus vordersten Ränge in der Häufigkeit ein (. Tab. 2.1);
    nostisch und therapeutisch eng zusammengehören und                      dies bestätigt auch die SESAM-2-Studie an 8877 Patienten
    die sich durch ihre überragende Häufigkeit auszeichnen.                 einer Stichprobe, von denen 4 % wegen Fieber den Haus-
2   Dazu gehören                                                            arzt konsultierten (Voigt et al. 2008). In . Tab. 2.2 ist die
    55 uncharakteristisches Fieber (UF),                                   Verteilung auf die einzelnen Altersgruppen bemerkens-
    55 gleichartige, jedoch afebrile Verläufe (afebrile Allge-             wert.
        meinreaktion/AFAR),
    55 Angina tonsillaris (die häufig genug das Symptom
        einer viralen Allgemeinerkrankung darstellt) sowie                  2.1.1	Fachsprache, Berufsjargon und
    55 verschiedene fieberfreie Katarrhe der Luftwege                               Laienausdrücke
        (. Tab. 2.1).
                                                                            Unter Fieber ist eine krankhafte Veränderung des Allge-
    Von sämtlichen fieberhaften Erkrankungen ist das UF mit                 meinzustandes mit dem Hauptsymptom der Temperatur-
    schätzungsweise 50–60 % das häufigste Beratungsergeb-                   erhöhung zu verstehen, das auf einer »Sollwertfeststel-
    nis in der Allgemeinpraxis. Den hohen Rang bestätigen                   lung« basiert.
    die Fällestatistiken über nahezu ein halbes Jahrhundert                     In der allgemeinmedizinischen Fachsprache (Kasu-
    hinweg von Braun (1961), Göpel (1975), Prosénc (1967),                  graphie) ist UF wie folgt definiert:
    Landolt-Theus (1992), Danninger (1997) sowie Fink u.                    55 Fieber mit Allgemeinsymptomen, ggf. auch mit loka-
    Haidinger (2007) (. Tab. 2.1).                                              len Symptomen.

                                                                            Zu den Allgemein- und Lokalsymptomen gehören obligat
    2.1	Uncharakteristisches Fieber (UF)                                   Fieber, fakultativ Mattigkeit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit,
                                                                            Schlafstörungen, Frösteln, Schweißausbrüche, uncharak-
    In der modernen Allgemeinmedizin ist ein Bedarf an wis-                 teristischer Ausschlag. Ferner: z. B. Schnupfen, Niesen,
    senschaftlich brauchbaren Begriffen unübersehbar. So hat                Halsschmerzen, Husten, Kopfschmerzen, Gliederschmer-
    sich im Falle der sog. Erkältungskrankheiten die Suche                  zen, Erbrechen, Durchfall, Pollakisurie.
    nach passenden Bezeichnungen aufgedrängt. R. N. Braun                       Die angeführten Beschwerden und Erscheinungen tre-
    hat daher aus der Praxisforschung heraus u. a. zwei neue                ten in verschiedenster Kombination auf; hierbei schwankt
    Begriffe in die allgemeinmedizinische Fachsprache einge-                deren Zahl außerordentlich. Sie sind meist nur leicht aus-
    führt:                                                                  geprägt und flüchtig und dauern in der Regel einige Tage,
    55 u ncharakteristisches Fieber (UF) und                               in Einzelfällen bis zu 2 Wochen.
    55 a febrile Allgemeinreaktion (AFAR).                                     R. Klein hat in seiner Allgemeinpraxis während
                                                                            der Wintermonate 2000/2001 und 2001/2002 121 bzw.
    Diese beiden Begriffe werden noch nicht allgemein ge-                   62 Patienten mithilfe der 7 Checkliste Nr. 1 (. Abb. 2.2
    braucht, obwohl sie wissenschaftlich fundiert sind.                     in 7 Abschn. 2.1.9) programmiert untersucht. Erwartungs-
        Es handelt sich bei diesen BEs nicht um Diagnosen                   gemäß wurden von seinen Patienten mit uncharakteristi-
    (D), sondern um die Klassifizierung eines Symptoms (A)                  schem Fieber Allgemeinsymptome, wie Frösteln, Schwit-
    oder einer Symptomgruppe (B).                                           zen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Bettlägerigkeit und
        Diese Begriffe drücken aus, dass keine herkömmli-                   Schlafstörungen, bevorzugt geklagt (. Abb. 2.1). Daneben
    che »Diagnose« gemeint ist. Uncharakteristisches Fieber                 wurde häufig von Husten mit und ohne Auswurf, Schnup-
    (unspecific fever) und afebrile Allgemeinreaktion gehen                 fen sowie Muskel-, Gelenk- und Halsschmerzen berichtet
    von Symptomen aus, in die nichts Spekulatives hinein-                   (7 FAKT).
    interpretiert ist. Die Bezeichnungen UF und AFAR sind                       Im ärztlichen Berufsjargon und in der Laienwelt exis-
    den Situationen in der Allgemeinpraxis angepasst, d. h. sie             tieren zahlreiche Ausdrücke, die von Land zu Land in
    spiegeln die in der Praxis herrschende diagnostische Lage               unterschiedlicher, individueller Bedeutung als sog. Dia-
    wider. Dadurch wurde eine zwanglose, wissenschaftlich                   gnosen verwendet werden, z. B. grippaler Infekt, Grippe,
    vertretbare Benennung solcher Fälle möglich.                            Virusinfekt (Bauch-, Kopf-)Grippe, Influenza, (fieberhaf-
        UF und AFAR nehmen in verschiedenen Untersu-                        te) Bronchitis, Fieberzustand, Verkühlung, Erkältung.
    chungen aus allgemeinmedizinischen Praxen, die über                         Diese Begriffe sind z. T. Ausdruck eines Kausalitäts-
    viele Jahre hinweg zu unterschiedlichen Zeitpunkten                     bedürfnisses des Patienten (»Ich bin gestern nass gewor-
    durchgeführt wurden, in überraschender Auffälligkeit die                den…«), z. T. aber auch von Ärzten.
2.1 • Uncharakteristisches Fieber (UF)
                                                                                                                               33                    2

    . Tab. 2.1 Häufigkeit (Rang) der Beratungsergebnisse »uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwe-
    gekatarrhe, Tonsillitis« in allgemeinmedizinischen Praxen in Österreich und in der Schweiz über nahezu ein halbes Jahrhundert hinweg

    Beratungsergebnisse                                       Österreich Braun                               Schweiz               Österreich Fink
                                                                                                             Landolt-Theus         u. Haidinger

                                                              1954–1959              1977–1980               1983–1988             1989-1999

    UF                                                        1                      1                       2                     1
    AFAR                                                      24                     10                      3                     7
    Angina tonsillaris                                        9                      33                      14                    9
    Husten, afebril                                           3                      6                      20                     9
    Rhinitis, afebril (Schnupfen)                             47                     35                     21                     51
    Halsschmerzen, afebril                                    78                     53                     39                     42
    Luftwegekatarrhe, afebrile (obere und/oder untere         29                     17                     42                     5
    Luftwege)
    Pharyngitis, afebril                                      20                     23                     61                     20
    Zustand nach UF                                           23                     92                     85                     59
    Laryngitis, afebril (Heiserkeit)                          85                     68                     152                    75
    Bronchitis, afebril                                       56                     141                    161                    14
    Temperaturerhöhung wochenlang                             290                    286                    239                    –
    Fieber mit auffälligen Myalgien                           –                      336a                    412a                  405
    Impffieber                                                235                    347a                    430a                  –
    a   Nicht regelmäßig häufig

    . Tab. 2.2 Häufigkeit (Rang) der Beratungsergebnisse »uncharakteristisches Fieber« (UF) und afebrile Allgemeinreaktion« (AFAR)
    in allgemeinmedizinischen Praxen in Österreich der Jahre 1977–1980, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Altersgruppe, im Vergleich
    zum Vierjahresmaterial der Jahre 1955–1959

    1977–1980             1954–1959      Beratungs-     1977–1980
                                         ergebnis
    Rang       [‰]        Rang    [‰]                   Gesamt (n)        Männlich         Weiblich   Altersgruppen [Jahre]

                                                                                                      0–14          15–44     45–64        ≥ 65

    1          52,7       1       80,4   UF             419               242              177        203           134       55           27
    10         20,5       24      8,1    AFAR           163               62               101        16            75        54           18

>> Der Erkältungsbegriff hat in der praktisch ange-
                                                                           sche Erkrankung, ARI, oder akut auftretende Infek-
   wandten Medizin v. a. die Bedeutung einer dem
                                                                           tionskrankheit der Atemwege, AIA), weil er während
   Patienten plausibel erscheinenden Ausrede bei
                                                                           seiner Ausbildung nicht mit praxisgerechten Begriffen im
   vielen ursächlich unklaren Krankheitsfällen.
                                                                           Hinblick auf eine spätere Tätigkeit als Allgemeinarzt aus-
Bei den Ärzten können sozialversicherungsrechtliche                        gestattet worden ist. Unabhängig von der Diskussion um
Erfordernisse, aber auch ärztlicher Ehrgeiz die Ursache                    eine korrekte fachsprachliche Bezeichnung wird es jedoch
dafür sein, »Diagnosen« auszuweisen, oder einfach die                      stets die Herausforderung des qualifiziert arbeitenden All-
unausgesprochene Angst, vor dem Kollegen ohne »Dia-                        gemeinarztes bleiben, durch gezielte Befragung, program-
gnose« dazustehen.                                                         mierte Diagnostik und körperliche Untersuchung in der
    Letztlich bedient sich der Allgemeinarzt dieser Jar-                   Regel eine schwere, bedrohliche Krankheit zu bedenken
gonsprache (z. B. grippaler Infekt, akute respiratori-                     und selten einmal durch weitere diagnostische Verfahren
34         Kapitel 2 • Uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwegekatarrhe, Tonsillitis

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                    90
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                    70

                    60

                    50
                                                                                                                                                                           2000/2001
                                                                                                                                                                           2001/2002
                    40

                    30

                    20

                     10

                       0
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                                                                                                                                                                 e          o     h
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    . Abb. 2.1 Häufigkeitsverteilung der Patientenangaben bei uncharakteristischem Fieber anhand der Checkliste Nr. 1 (Fieber-Programm)
    (Klein 2003)

    mögliche abwendbar gefährlichen Verläufe (Otitis media,                                           »Hongkong-Grippe« oder jüngst »Schweine«- oder »Vo-
    Sinusitis, Pneumonie, Phlegmone/Abszedierung, Me-                                                 gelgrippe«) wurden virologisch bestimmten Influenzavi-
    ningitis) auszuschließen.                                                                         rustypen zugeordnet.
                                                                                                           Die Zahl der Erreger, die für eine Infektion des Respi-
                                                                                                      rationstrakts in Frage kommen, ist so groß und das klini-
    2.1.2	Erregernachweis und Influenza-Bild                                                         sche Erscheinungsbild der durch die verschiedenen Erre-
                                                                                                      ger ausgelösten Erkrankungen so wenig charakteristisch,
    Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass in                                                dass sich eine exakte Diagnose (D) nur aufgrund virologi-
    mindestens der Hälfte der unspezifischen Fieberfälle der                                          scher und serologischer Untersuchungen stellen lässt. Dies
    direkte und der indirekte Erregernachweis versagen. Eine                                          gilt auch für das 2003 entdeckte Coronavirus als Erreger
    US-Studie bei 2.000 Kindern mit Fieber über 40°C ergab                                            des schweren akuten respiratorischen Syndroms (SARS).
    auch nach kompletter Anamnese, körperlicher Untersu-
                                                                                                      >> Beim UF können trotz intensiver und extensiver
    chung und umfangreichen Laboranalysen bei rd. 60 %
                                                                                                         Testung auch heute nur in weniger als der Hälfte
    keine durch Kultur belegbare Diagnose. Bei den restlichen
                                                                                                         der Fälle pathogene Organismen (Viren oder
    Kindern wurden je zur Hälfte bakterielle und virale In-
                                                                                                         Bakterien) isoliert werden.
    fektionen festgestellt (Trautner BW et al. 2006). Der Er-
    regernachweis ist wegen der enormen Häufigkeit der Fäl-                                           Das Vorhandensein bestimmter Symptome (z. B. Fieber
    le ohnedies nicht finanzierbar und wegen der sehr guten                                           und Husten) bzw. deren Ausprägung kann in einzelnen
    Prognostik des Durchschnittsfalls auch nicht nötig.                                               Fällen einen Hinweis darauf geben, ob es der Hausarzt mit
        Er muss allerdings dann verlangt werden, wenn die                                             einem Patienten zu tun hat, der eine Influenza hat, oder ob
    Begriffe Grippe, Influenza o. Ä. korrekt verwendet wer-                                           eher eine Erkältung vorliegt (7 FAKT).
    den. Einzelne Pandemien (Grippepandemien: 1918/19                                                     Grundsätzlich besteht das Problem, zwischen einer
    »Spanische Grippe«, 1957 »Asiatische Grippe«, 1968/69                                             durch Influenza-Viren A oder B verursachten Grippe und
2.1 • Uncharakteristisches Fieber (UF)
                                                                                                         35                  2
Atemwegserkrankungen durch andere ursächliche Viren,              Ein im Erwerbsleben stehender Erwachsener wird da-
vor allem die häufigen RS-Viren (Respiratory Syncytial        gegen zu einem üblichen »Grippemittel« greifen oder sich
Virus, RSV), zu unterscheiden.                                auf andere bereits erprobte Hausmittel verlassen.
    Nach dem Schema der DEGAM ist von einer                       Wenn sich der Berufstätige entschließt, den Arzt
Influenza-Infektion auszugehen, wenn Patienten hohes          aufzusuchen, geht es ihm auch um die Verordnung von
Fieber haben (über 38°C) und mindestens 2 weitere Sym-        Arbeitsruhe, während die besorgte Mutter »Schlimmes«
ptome aufweisen. Dazu zählen:                                 ausgeschlossen wissen möchte. Andererseits sind Mütter
55 Husten oder Schnupfen,                                    mit mehreren Kindern aufgrund ihrer Erfahrung durch-
55 starke Kopfschmerzen,                                     aus bereit, zunächst ohne Arztkontakt auszukommen und
55 Hals-, Gelenk- oder Muskelschmerzen,                      sich auf bewährte Methoden (z. B. Wickel, Fieberzäpf-
55 Erbrechen,                                                chen) zu verlassen; dies besonders dann, wenn weitere
55 wässrige Diarrhö,                                         Fieberfälle in der Umgebung bekannt sind.
55 bei Kindern: Dauerschreien oder Nahrungsverweige-             In unserem Sozialversicherungssystem ruft man den
    rung (7 FAKT).                                            Arzt zu Fiebernden häufig ins Haus, nicht selten abends
                                                              und am Wochenende. Dabei handelt es sich meist um
Influenza tritt in allen Altersstufen auf und ist für wech-   Kinder vom 1. Lebensjahr bis zum Schulalter sowie um
selnde Winterepidemien unterschiedlichen Ausmaßes             20- bis 30-Jährige (7 FAKT).
verantwortlich. Besonders gefährdet sind Kinder unter             Manche Patienten suchen aber auch die Sprechstunde
5 Jahren, insbesondere Kleinkinder unter 2 Jahren, von        auf oder lassen sich in die Praxis bringen, wenn es der
denen bis zu 45 % jährlich von Influenza heimgesucht          Arzt vorschlägt. Auch bei Säuglingen und Kleinkindern
werden, auffallend häufig bei Betreuung in Tageseinrich-      mit hohem Fieber ist es durchaus zumutbar, diese gut ge-
tungen. Säuglinge und Einjährige stellen die größte Risi-     schützt zum Arzt fahren zu lassen.
kogruppe unter Kindern für assoziierte Komplikationen
dar (in > 50 % akute Otitis media bei nachgewiesenen
Influenza-Viren) und müssen häufiger als ältere Kinder        2.1.4	Höhe der Körpertemperatur
hospitalisiert werden (Neuzil 2002).
    Die Impfung gegen Influenza als Indikationsimpfung        Fieber entsteht durch eine Verstellung des Tempera-
wird von der STIKO für Kinder, Jugendliche, Erwach-           tursollwertes im Hypothalamus. Die Körpertemperatur
sene und Schwangere ab dem 1. Trimenon bei erhöhter           kann an verschiedenen Stellen gemessen werden: rektal
gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens        (am genauesten, 7 FAKT), vaginal, sublingual, axillär (stör-
(z. B. Asthma, Diabetes mellitus) empfohlen (7 Kap. 13.5.2    anfällig) oder im Gehörgang.
und 15.8.5).                                                       Die rektal (oder vaginal) gemessene Temperatur
                                                              (Goldstandard) liegt etwa 0,5°C höher als die axilläre
>> Die große Zahl der durch RSV bedingten Atem-
                                                              Temperatur; die sublingual gemessenen Werte sind den
   wegserkrankungen kann durch eine Influenza-
                                                              rektalen Werten ähnlich. Der übliche Temperaturbereich
   Impfung nicht verhindert werden.
                                                              beim Gesunden bewegt sich je nach Tageszeit zwischen
                                                              36°C und 37,5°C (rektal), Werte über 37,5°C rektal werden
                                                              allgemein als erhöhte Temperatur bezeichnet. Der häufig
2.1.3	Bettlägerigkeit und Hausbesuch                         verwendete Grenzwert ≥ 38°C ist somit recht spezifisch.
                                                                   Der Normalwert für die per Infrarotmethode gemes-
Der einzelne Patient oder seine Angehörigen reagieren auf     sene Ohrtemperatur liegt für alle Altersstufen zwischen
das plötzliche Auftreten von Fieber (als einziges Symp-       35,8°C und 38°C. Die Messung ist ohne Zweifel schnell,
tom) durchaus unterschiedlich:                                die Messergebnisse sind allerdings häufig unzuverlässig
    Die junge Mutter, deren erstes Kind fiebert, wird rasch   (teilweise drastische Fehlmessungen) (Boschung 2006).
den Arzt konsultieren. Hier kann (nach erfolgter Unter-            Zu beachten ist die dem Organismus angeborene Ta-
suchung) manchmal der Hinweis beruhigend wirken,              gesperiodik der Körpertemperatur; die morgendliche
dass 10–12 Fieberattacken im Jahr bis zum 10. Lebensjahr      Temperatur liegt 0,5–1°C unter der abendlichen. Eine
durchaus noch »normal« sein können. Wichtig ist die Be-       andere zyklisch wiederkehrende Körpertemperaturände-
obachtung des Arztes und der Mutter des kleinen Patien-       rung tritt im Laufe des Menstruationszyklus der Frau auf
ten: Ist das Kind wach? Weint es? Ist es matt oder gar        (7 Abb. 10.9a und 10.13). Darüber hinaus gibt es individuell
apathisch? Wie ist der Hautturgor?                            deutliche Unterschiede (Streubereich um 1°C).
36       Kapitel 2 • Uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwegekatarrhe, Tonsillitis

        Die normale Körpertemperatur hängt auch vom Al-                       >> Kleine Kinder ertragen hohe Körpertemperatu-
    ter ab. Die Normaltemperatur liegt bei Babys und Klein-                      ren in der Regel besser als Jugendliche oder Er-
    kindern am höchsten. Mit ungefähr 11 Jahren beginnt                          wachsene.
2   die Körpertemperatur allmählich zu sinken und erreicht
    ihren niedrigsten Wert bei alten Menschen (7 FAKT).                       Ab dem 14. Lebenstag können Säuglinge die Körpertem-
                                                                              peratur selbst regulieren.
         Axillare Grenzwerte                                                      Besonders herumtollende Kinder (»Spielfieber«) füh-
         Subfebril
                                                                              len sich manchmal »heiß« an. Solche Temperaturerhö-
                                                   36,9–37,4°C
                                                                              hungen nach motorischer Aktivität im Vorschul- und
         Fieber                                    37,6–39,5°C                Schulkindalter sind bis 38,5°C durchaus in der Norm und
         Hohes Fieber                              39,5–40,5°C                sinken nach 0,5–1 h Ruhe wieder ab. Daher sollte bei Kin-
         Sehr hohes Fieber                         Über 40,5°C
                                                                              dern erst ab 39°C von »Fieber« gesprochen werden. Auch
                                                                              Erwachsene zeigen nach sportlicher Betätigung ein glei-
         Hyperpyrexie, Hyperthermie                Über 41°C
                                                                              ches Verhalten.
                                                                              55 Wenn dagegen ein alter Mensch mäßiges Fieber hat,
    Das Herzfrequenzverhalten eines infektkranken Klein-                          halten die Angehörigen diesen Befund zunächst nicht
    kindes (25. bis 60. Lebensmonat) ist zur Fiebertaxierung                      im selben Maße für Besorgnis erregend. Erfahrene
    und zur Plausibilitätskontrolle der Fiebermessung brauch-                     Ärzte wissen, dass hier oft der Schein trügt.
    bar (7 FAKT) (Meyer 2006).                                                55 Alten Menschen können bei Fieber Tachykardien,
        Für fieberhafte Kinder < 5 Jahre geben die britischen                     kardiale Erkrankungen bis hin zur Insuffizienz oder
    NICE-Leitlinien eine Risikoeinschätzung bezüglich der                         einer O2-Unterversorgung drohen. In diesen Fällen
    Schwere der Krankheit (niedriges, mittleres, hohes Risi-                      muss das Fieber mit einem Antipyretikum gesenkt
    ko) anhand von Hautfarbe, Aktivität, Atmung, Hauttur-                         werden.
    gor und anderen Zeichen, auch im Hinblick auf die Not-
    wendigkeit eines Hausbesuchs bzw. der Überweisung zum                     Schüttelfrost (»Gänsehaut«, »chills«), oftmals ein wertvol-
    Spezialisten (Richardson et al. 2007) (7 FAKT).                           ler diagnostischer Hinweis (7 FAKT), ist ein Zeichen der
                                                                              Vasokonstriktion und des Temperaturanstiegs, Schwitzen
                                                                              (z. B. Nachtschweiß) Ausdruck der Vasodilatation mit
    2.1.5	Subjektives und objektives Befinden                                Temperaturabfall.

    Jeder erfahrene Arzt weiß, dass »Fieberfall nicht gleich
    Fieberfall« ist:                                                          2.1.6	Untersuchungsgang und abwendbar
    55 So gibt es Fälle mit hohem UF, ohne dass die Patien-                           gefährliche Verläufe
        ten über ein schweres Krankheitsgefühl berichten.
        Dagegen können – z. B. bei tonsillären Anginen – nur                  Die Patienten geben meist an, sie hätten wahrscheinlich
        mittelhohe Temperaturen gemessen werden; aber                         eine Grippe, sich verkühlt, seien erkältet, hätten Fieber,
        dennoch erscheint der Patient subjektiv und objektiv                  fühlten sich matt.
        schwer krank.                                                             Der Untersuchungsgang bei Erstkontakt sollte fol-
    55 Hohes Fieber bei Säuglingen und Kleinkindern be-                      genden Organen bzw. Körperregionen gelten:
        unruhigt die Mütter in besonderem Maße, besonders                     55 Augen: mit oder ohne Entzündungszeichen, evtl.
        wenn kein Ausschlag zu sehen ist. Der Arzt dagegen                        sezernierend,
        fasst dies eher als Ausdruck einer guten Reaktions-                   55 Nase: mit oder ohne Entzündungszeichen,
        lage auf und kann die Mutter entsprechend beruhigen                   55 Kiefer-, Stirnhöhlen: nicht oder nur unwesentlich
        (7 FALL, FOTO). Warme Kleidung ist niemals die                            druckdolent,
        Ursache für Fieber; ebenso ist Zahnen als Fieberursa-                 55 Rachen: mit oder ohne Entzündungszeichen,
        che wissenschaftlich nicht erwiesen.                                  55 Gaumenmandeln: mit oder ohne leichte Entzün-
    55 Kleinstkinder halten Temperaturen um die 40°C nur                         dungszeichen,
        einen, höchstens 2 Tage aus, da sie nicht genug trin-                 55 Halsdrüsen: nicht oder kaum vergrößert, nicht oder
        ken können, um den Wasserverlust auszugleichen.                           kaum dolent,
        Zudem neigen sie bei hoher Körpertemperatur eher                      55 Trommelfell und äußerer Gehörgang: nicht oder
        zu Fieberkrämpfen.                                                        leicht entzündet,
2.1 • Uncharakteristisches Fieber (UF)
                                                                                                         37                  2
55 L ungenauskultation und -perkussion: in der Regel         na und quartana sind seltener und i. A. nicht lebensbe-
    Eindruck unauffällig, selten nicht klingende Rassel-      drohlich.
   geräusche beidseits,
                                                              >> Bei jedem Patienten mit Fieber, der sich in Tro-
55 Herzauskultation: meist unauffällig bei erhöhter Fre-
                                                                 pen oder Subtropen aufgehalten hat, muss eine
   quenz,
                                                                 Malaria tropica ausgeschlossen werden (7 FALL).
55 Abdomen: keine Druckdolenz, keine Défence, kein
   Loslass-Schmerz,                                           Für eine Malaria können neben Fieber weitere wichti-
55 Nierenlogen: nicht klopf- oder druckdolent,               ge Warnsignale sein: Diarrhö, Erbrechen, Ikterus, Harn-
55 Haut: selten verschiedenartige, meist flüchtige Exan-     wegsinfekte sowie Haut- oder Genitalinfektionen nach der
   theme.                                                     Rückkehr. Bei fieberhaften Erkrankungen muss noch mind.
                                                              1 Jahr nach Rückkehr an eine Malaria gedacht werden.
>> Beim fiebernden Säugling und Kleinkind sollte
                                                                  Der Fiebertyp spielt bei Malaria keine Rolle, ebenso
   auch bei primär eindeutigem Krankheitsbild
                                                              wenig Vorhandensein oder Fehlen von Begleitsymptomen
   (z. B. Infekt der oberen Luftwege) ein Ganzkör-
                                                              (z. B. Durchfall) oder Chemoprophylaxe (Burchard 2011).
   perstatus (ggf. mit Urinuntersuchung) erhoben
   werden.                                                    iiDie Reiseberatung zur Malariaprophylaxe sollte in
                                                                 Zusammenarbeit mit einem (tropenmedizinisch) er-
Der Arzt kann zum Zeitpunkt der Untersuchung oft nicht
                                                                 fahrenen Arzt erfolgen (7 FAKT).
abschätzen, ob sich der Patient am Beginn, am Höhepunkt
oder im Stadium der bereits abklingenden Erkrankung
befindet.
    Das UF kann verschiedene Verläufe nehmen:                 2.1.7	Wochenlange Temperaturerhöhungen
55 Die Symptome verschwinden innerhalb von Stunden
    und Tagen.                                                Das »normale«, flüchtige UF ist zu unterscheiden vom
55 Neue uncharakteristische Symptome kommen dazu.            (seltenen) wochenlang andauernden UF.
55 Charakteristische Symptome (z. B. ein pneumoni-               Fieber unklarer Ursache (FUO, Fever of unknown
    scher Auskultationsbefund, eine »eitrige« Tonsillitis)    origin) ist definiert als Fieber von 3 Wochen Dauer, dessen
    werden fassbar.                                           Ursache nach mindestens 3 Tagen stationärer Diagnostik
55 Ein AGV entwickelt sich innerhalb von wenigen             nicht geklärt werden konnte. Klassisches FUO ist heut-
    Stunden (z. B. Appendicitis acuta, Meningitis, Sep-       zutage in der Hälfte der Fälle durch Kollagenosen oder
    sis, Pneumonie).                                          Tumorerkrankungen bedingt (Kern 2007).
                                                                  Solche ungeklärten Temperaturerhöhungen über min-
Epidemien von UF sind nicht an eine bestimmte Jahres-         destens 14 Tage hinweg treten in der Allgemeinpraxis ge-
zeit gebunden.                                                rade noch an der Grenze der regelmäßigen Häufigkeiten
    Die Morbidität (definiert als die Häufigkeit des Auf-     auf (7 Tab. 1.1), d. h. sie sind die Ausnahme von der Regel.
tretens einer bestimmten Krankheit, bezogen auf die Ge-       Das »normale« UF klingt in 2–5 Tagen spurlos ab. Eine
samtpopulation) ist bei Kindern und Jugendlichen wäh-         Dauer von 1 oder gar 2 Wochen ist die Ausnahme.
rend Influenzaepidemien immer höher als bei Erwachse-             Der Autor hat in 35 Jahren allgemeinärztlicher Tätig-
nen, da dieser Altersgruppe die Basisimmunität fehlt.         keit 4 solcher Fieberfälle gesehen (7 FAKT, FOTO).
    Die Letalität (definiert als der Anteil der Erkrankten,       Allergisches Medikamentenfieber tritt erst nach
die sterben) ist jedoch bei älteren Personen relativ hoch.    mehreren Behandlungstagen, nicht selten in der 2. oder 3.
                                                              Behandlungswoche auf.
>> Fallstricke bei fieberhaften Erkrankungen stellen
   z. B. atypische Appendizitiden oder Tropenkrank-
   heiten (z. B. Malaria) dar.
                                                              2.1.8	Nicht mehr uncharakteristisch
Die Malaria tropica (Erreger: Plasmodium falciparum) ist
eine in der Allgemeinpraxis nicht mehr regelmäßig häu-        Nur in einem von 4 Fieberfällen finden sich Krankheits-
fige, aus Tropen und Subtropen importierte Erkrankung         zeichen, die eine Charakterisierung gestatten. Die große
(7 FAKT); sie beginnt mit Fieber sowie zunächst meist un-     Mehrheit wird von fieberhaft verlaufenden Gesundheits-
spezifischen Symptomen, kann aber innerhalb weniger           störungen gebildet, die näher charakterisierende Zeichen
Stunden in schwere, tödliche Verlaufsformen übergehen.        und Befunde vermissen lassen.
Die durch andere Plasmodien ausgelösten Malaria tertia-           Fieberhafte Erkrankungen sind per definitionem nicht
                                                              mehr »uncharakteristisch«, wenn sich bei der Untersu-
38       Kapitel 2 • Uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwegekatarrhe, Tonsillitis

    chung z. B. eine strangförmige Rötung (mit oder ohne                      zu überprüfen, auch wenn zunächst nichts für eine Me-
    Schmerzen) oder vergrößerte Tonsillen mit eitrigen Be-                    ningitis spricht. Es zwingt, die Lunge abzuhorchen, auch
    lägen (ggf. mit angulären Lymphknoten) als »charakteris-                  wenn nicht der geringste Verdacht auf eine Pneumonie
2   tische« Befunde aufdecken lassen.                                         besteht. Ebenso schreibt das Programm konsequent vor,
        In diesen Fällen ist also nicht UF zu klassifizieren,                 die abdominelle Region zu palpieren, auch wenn nicht der
    sondern das entsprechende Krankheitsbild (Erysipel,                       mindeste Hinweis auf eine intraabdominelle Affektion
    Thrombophlebitis, Tonsillitis o. Ä. – vgl. Fallbeispiel                   (etwa auf eine Wurmfortsatzentzündung) besteht.
    in 7 Kap. 1.4).                                                               Danninger deckte unter 200 programmiert untersuch-
        Ebenso wenig »uncharakteristisch« ist Fieber dann,                    ten Fällen von UF 11-mal unerwartete Erkrankungen oder
    wenn z. B. bei liegendem Dauerkatheter ein Fieberschub                    Symptome einer Erkrankung auf; hierdurch kam eine dia-
    auftritt (»iatrogenes Fieber«). Hier wird klarerweise – bei               gnostische Weichenstellung zustande (7 FAKT).
    entsprechendem Laborbefund – eine Zystopyelitis (C)
                                                                              >> Die programmierte Diagnostik führt nicht auto-
    klassifiziert. Ähnliche Klassifikationsüberlegungen gelten,
                                                                                 matisch zu einer Diagnose (D). Die meisten Fälle,
    wenn eine Impfung vorausgegangen ist (Impffieber).
                                                                                 die sich uncharakteristisch präsentieren, bleiben
        Als äußerst seltener AGV (9 von 100.000 Kindern in
                                                                                 auch nach dem Einsatz einer solchen Checkliste
    Deutschland) muss ein Kawasaki-Syndrom in Erwägung
                                                                                 uncharakteristisch.
    gezogen werden, wenn das sehr hohe Fieber (39–40°C)
    > 5 Tage andauert, auf keine Antibiotika anspricht und                    Der Arzt darf jedoch beruhigt sein, nichts Machbares
    sich durch Antipyretika jedoch meist kurzfristig senken                   unterlassen zu haben. Die Anwendung der programmier-
    lässt. Diese akute, potenziell lebensgefährliche Erkran-                  ten Diagnostik stellt somit einen wichtigen Beitrag zur
    kung kann frühestens am 5. Tag anhand von Fieber als                      Qualitätskontrolle und zur Qualitätssicherung in der All-
    Hauptsymptom und 4 von 5 Hauptkriterien erkannt wer-                      gemeinmedizin dar (7 Abb. 1.8 in 7 Kap. 1.13).
    den (7 FAKT) (Pozza u. Netz 2011).

                                                                              2.1.10	Management
    2.1.9	Qualitätskontrolle am Beispiel des
             Fieber-Programms                                                 Fieber ist eine der wichtigsten Immunreaktionen des Kör-
                                                                              pers. Durch die erhöhten Temperaturen wird das Wachs-
    In der Allgemeinpraxis heilen die allermeisten Fälle von                  tum von Viren und auch einiger Bakterienarten stark ge-
    UF nach einigen Tagen komplikationslos ab.                                hemmt. Für das Management beim UF ist zunächst die
         Haben die ersten Angaben des Patienten über die Be-                  Feststellung wesentlich, ob das Fieber weniger oder länger
    schwerden und Krankheitszeichen und hat die epidemio-                     als 6 Tage besteht.
    logische Situation bzw. der »erste Blick« des Arztes nicht                     Die unterschiedlichen Vorgehensweisen in Diagnos-
    in eine bestimmte Richtung (z. B. Masern, Stirnhöhlen-                    tik, Therapie und Zusammenarbeit mit dem Spezialisten
    oder Lungenentzündung, Pyelonephritis, Hepatitis) ge-                     speziell bei fiebernden Kindern sind anhand von 7 Kasuis-
    lenkt, so kommt die programmierte Diagnostik (7 Check-                    tiken im Internetportal »Fakten – Fälle – Fotos« dargestellt
    liste Nr. 1 »Fieber-Programm«; . Abb. 2.21) zum Tragen.                   (7 FALL).
         Diese Checkliste dient der systematischen Suche nach                      Unter 7 Tagen sollte auch beim leicht kranken Pa-
    wichtigen »versteckten« Symptomen. Bei ausschließlich                     tienten routinemäßig nach 7 Checkliste Nr. 1 (»Fie-
    intuitivem Vorgehen lässt sich nicht die gleiche Verläss-                 ber-Programm«; . Abb. 2.2) vorgegangen werden. Der
    lichkeit erreichen (Braun 1988a).                                         Zeitaufwand für die komplette programmierte Diag-
         Die große Stärke des Arbeitens mit diagnostischen                    nostik liegt beim routiniert arbeitenden Allgemeinarzt
    Programmen liegt darin, dass alle wichtigen AGVs be-                      bei durchschnittlich 4,5 min (2 min Befragung, 2,5 min
    rücksichtigt werden (z. B. Tropenkrankheiten, Listeriose                  Untersuchung; Chung 1986).
    oder eine Hantavirusinfektion) (7 FAKT, FALL).                                 Laboruntersuchungen wie Leukozyten- oder CRP-
         Das programmierte Untersuchen beim UF zwingt den                     Bestimmung haben bei Kindern mit UF zum Nachweis
    Arzt beispielsweise dazu, die Beweglichkeit des Nackens                   oder Ausschluss einer ernsthaften Infektion nur eine be-
                                                                              schränkte Aussagekraft.
    1    Alle in diesem Buch genannten Checklisten/Programme sind             iiAb dem 7. Tag ist bei UF oder AFAR, d. h. bei fieber-
         enthalten in Braun RN, Mader FH (2005) Programmierte Diag-               freien sonst gleichartigen Beschwerdebildern, außer
         nostik in der Allgemeinmedizin. 82 Checklisten für Anamnese
                                                                                  der programmierten Diagnostik sofort die Röntgen-
         und Untersuchung. 5. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York
2.1 • Uncharakteristisches Fieber (UF)
                                                                                                                        39                    2

      Subjektiv                                                        Objektiv

      – Erster Eindruck (leicht/schwer krank)                           – Inspektion Körper/Beine (z. B. Erysipel!)
      – Vorschaltdiagnostik (Epidemei?)                                 – Nasensekretion (Spekulum)
      – Krank (Bettruhe) seit                                           – Nasennebenhöhlen druckschmerzhaft
      – Gleich/besser/schlechter                                        – Gehörgang/Trommelfell (Otoskopie Kleinkind)
      – Schon mal gehabt                                                – Mund/Rachen
      – Fieberhöhe (axillar, rektal, Ohr, oral, geschätzt)              – Kopfbeugung frei
      – Fieberdauer/Fieberschübe                                        – Halslymphknoten
      – Mattigkeit/Appetitlosigkeit/Schlafstörungen                     – Lungenauskultation/-perkussion
      – Frösteln/Schweiße                                               – Herzauskultation
      – Nasenatmung/Atemnot                                             – Abdomen palpatorisch
      – Ausschlag                                                       – Nieren klopfempfindlich
      – Aktuelle Operation/Implantation von Fremdmaterial               – Blutdruck/Puls
      – Schnupfen/Niesen/Husten/Auswurf (klar/gelb/blutig)              – Differenzialblutbild (Lymphozyten! Monozyten!)
      – Halsschmerzen/Heiserkeit                                        – Sonstige Labortests (Urinstatus)
      – Kopf-, Ohrenschmerzen                                           – Laborserologie
      – Stamm-/Waden-/Glieder-/Gelenk-                                    (Aminotransferasen/HIV/Borrelioseserologie/Epstein-
        /Nackenschmerzen/sonstige Schmerzen (z. B.                        Barr-Virus-[EBV-]Serologie)
        Bauch/Mutterbrust)                                              – Röntgen Thorax/Nasennebenhöhlen
      – Übelkeit/Brechreiz/Erbrechen                                    – Sonst auffällig
      – Durchfall/Verstopfung
      – Pollakisurie/Algurie                                            Beratungsergebnis
      – Menstruelle Anomalien
      – Gewichtsabnahme                                                 Maßnahmen
      – Tropenreise/HIV-Möglichkeit
      – Genuss von roher Milch (Listeriose!)/Besonderes
        gegessen
      – Katze gekratzt (Felinose!) Keller-, Kanalarbeiten,
        Mäusekot (Hantavirusinfektion!
        Leptospirose!)/Zecken-, Kanülenstich/Mückenstiche
        im Ausland (Papatacci-Fieber!)/Vogelhaltung
      – Berufliche Exposition
      – Ängste (Furcht vor)
      – Vermutete Ursache
      – Selbstbehandlung/ärztliche Anbehandlung
      – Sonst noch

. Abb. 2.2 Checkliste Nr. 1 »Fieber-Programm«. Für uncharakteristische Fieberfälle und deren fieberfreie Varianten (afebrile Allgemeinreak-
tion) (Fieber-Programm) (Braun u. Mader 2005)

    untersuchung der Thoraxorgane fällig, ebenso die
                                                                       Eine EKG-Diagnostik ist bei Fieberfällen von Kindern in
    Untersuchung der Blutkörperchensenkung (BKS), des
                                                                       der hausärztlichen Praxis nicht üblich. Dringend erforder-
    C-reaktiven Proteins (CRP), der Leukozyten und des
                                                                       lich jedoch ist ein EKG bei
    Urins; spätestens nach weiteren 24–48 h Temperatur-
                                                                       55 Tachy- bzw. Bradyarrhythmie,
    erhöhung ist spezialistischer Rat zu holen, selbst bei
                                                                       55 unklarem neu aufgetretenen Herzgeräusch und
    nur geringem Krankheitsgefühl und trotz guten Aus-
                                                                       55 unklarer Herz-Kreislauf-Symptomatik (Klein et al.
    sehens. Je schwerer der Verlauf und je mitgenomme-
                                                                           2010).
    ner der Kranke ist, um so früher wird eingewiesen.
40     Kapitel 2 • Uncharakteristisches Fieber (UF), afebrile Allgemeinreaktion (AFAR), Luftwegekatarrhe, Tonsillitis

    Fieber ist insbesondere für das Kind und seine Eltern eine                  Deutet der Befund klar auf eine Influenza, ist keine
    Belastung; allerdings vertragen Kinder Fieber weitaus bes-              weitere Labordiagnostik nötig. Es sollte sofort mit der
    ser als Erwachsene. Zu Beginn des Fieberanstiegs frösteln               Therapie begonnen werden. Schnelltests und PCR sind
2   viele Kinder und sollten zunächst mit einer Decke oder                  für die Therapie-Entscheidung überflüssig. Sofern der
    Wärmflasche warmgehalten werden.                                        Symptombeginn weniger als 48 h zurückliegt, ist bei allen
        Der Laie ist darauf bedacht, Fieber mit allen Mitteln               Patienten eine antivirale Therapie indiziert, unabhängig
    rasch zu senken. Dabei geht er von der Überlegung aus,                  davon, ob es sich um eine saisonale oder pandemische
    die Höhe des Fiebers stehe in direktem Zusammenhang                     Influenza handelt (DEGAM 2009).
    mit der Schwere der Erkrankung.                                             Die vielfach in der Literatur als typisch beschriebenen
        Eine medikamentöse Senkung des Fiebers ist nicht                    Fieberverlaufskurven (z. B. bei Masern oder Sepsis) sieht
    in jedem Fall erforderlich. Die Indikation hierzu sollte                man in der Praxis wegen der meist frühzeitig einsetzen-
    ebenso wie die entsprechenden Medikamente abhängig                      den Therapie nur noch selten und im Übrigen oft erst im
    gemacht werden von der Fieberhöhe, der subjektiven Be-                  Nachhinein.
    einträchtigung, den medizinischen Risiken durch Fieber                      Der Patient und die Pflegepersonen sollen zu sorgfäl-
    und Fieberfolgen sowie von Begleiterkrankungen.                         tiger Beobachtung angehalten werden. Sie sind zu inst-
                                                                            ruieren, regelmäßig und exakt die Körpertemperatur zu
    >> Fiebersenkung kann zwar das Befinden bessern,
                                                                            messen. Die Führung einer Fieberkurve wird dabei auch
       aber nicht das Endresultat der Erkrankung; diese
                                                                            für den zu Hause betreuten Patienten empfohlen, nicht
       Maßnahme ist nicht erforderlich bei Kindern, die
                                                                            zuletzt aus Gründen der Objektivierung, aber auch zur
       trotz erhöhter Temperatur munter sind, normal
                                                                            Information und aus psychologischen Gründen.
       essen und trinken (Patienten-LL Fieber bei Kin-
                                                                                Der Allgemeinarzt kann akute unklare Fälle durch-
       dern 2006).
                                                                            aus einige Tage lang in geteilter Verantwortung mit dem
    Eine physikalische Fiebersenkung (z. B. durch Bäder,                    Patienten abwartend offen lassen, bis es keinerlei Zweifel
    Umschläge, Ventilatoren) ist theoretisch und praktisch                  mehr am Ausbleiben einer Wendung zum Besseren gibt.
    nicht immer sinnvoll bzw. sogar ungünstig (zentrale                         Beim UF soll der Arzt auf engen Kontakt mit der Pa-
    Gegenreaktion!). Solche Maßnahmen sind nur bei der                      tientenfamilie bedacht sein. Empfehlenswert sind telefo-
    Hyperthermie (z. B. klassischer Hitzschlag) angezeigt                   nische Berichte in 12- bis 24-stündigen Abständen oder
    (Kern 2007). Allerdings gibt es auch offizielle anderslau-              ein Hausbesuch zur Kontrolle. Jede Verschlechterung oder
    tende Empfehlungen (7 FAKT).                                            das Auftreten neuer, auffallender Symptome (z. B. Erbre-
                                                                            chen) ist dem behandelnden Arzt unverzüglich bekannt-
    >> Keine (insbesondere kalte oder mit Alkohol bzw.
                                                                            zugeben. Unter solchen Umständen kann der Arzt seiner
       Essig getränkte) Wadenwickel bei kalten Extremi-
                                                                            Verantwortung bestens gerecht werden.
       täten!
                                                                                Nach fieberhaften Erkrankungen sollten 3–5 fieber-
    Kinder müssen ab 37,5°C ausreichend (löffelweise) trin-                 freie Tage abgewartet werden, bevor der Patient wieder
    ken, vor allem dann, wenn die Körpertemperatur ansteigt                 mit leichten körperlichen Belastungen startet.
    (7 FAKT).                                                                   Für die Abschätzung des Risikos von Fieber bei Se-
        Das Management von Kindern < 5 Jahren im hausärzt-                  nioren und der Frage nach stationärer Behandlung kann
    lichen Bereich kann sich in Abhängigkeit vom jeweiligen                 in Einzelfällen der gut validierte CURB-65-Score hilfreich
    Risiko an den britischen NICE-Richtlinien orientieren                   sein (7 FAKT).
    (Richardson et al. 2007) (7 FAKT).
        Die sofortige Anwendung von (Breitspektrum-) Anti-
    biotika beim Auftreten von hohem Fieber kann gefährli-                  2.2	Afebrile Allgemeinreaktion (AFAR)
    che Verläufe verschleiern (etwa einen paranephritischen
    Abszess) oder die weitere Diagnostik erschweren (z. B.                  AFAR ist die afebrile Variante (»die Schwester«) des UF.
    Kulturen »gehen nicht mehr an«).                                            In der allgemeinmedizinischen Fachsprache bedeutet
                                                                            AFAR:
    >> Ein Antibiotikum ist kein Antipyretikum. Fieber
                                                                            55 Allgemeinsymptome und/oder Lokalsymptome.
       allein ist keine Indikation für eine Antibiotikathe-
       rapie (Daschner et al. 2011) (7 FAKT).
                                                                            Bei der Untersuchung lassen sich keine charakteristischen
    Paracetamol, ein peripher wirkendes Analgetikum, ist                    Krankheitszeichen und Befunde erheben.
    weltweit das bevorzugte Medikament zur Fiebersenkung.                       Die Häufigkeit der AFAR ist . Tab. 2.1 und . Tab. 2.2
    Ibuprofen hat eine ähnlich gute analgetische Wirkung                    zu entnehmen.
    (7 FAKT).
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