UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
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Mission Weltraum * Gespräch – Christine Göttler über Kunst-Räume und Zufluchtsorte 32 * Begegnung – Veronica Schärer ist begabt und wird gefördert 36 J u n i 2 0 13 157 * Forschung – Hightech-Analysegerät für Klima, Luft und Bilder 30 UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
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M I S S I O N W E LT R A U M Verschwörungstheoretiker zweifeln – waren die US-Amerikaner wirklich auf dem Mond? Die Berner wissen es: Hier wurde von Physiker Johannes Geiss jenes Sonnensegel entwickelt, das Neil Armstrong noch vor dem Sternenbanner auf dem Mond entrollte. Und in den Berner Labors wurden die Spuren des Sonnenwinds in diesem Segel analysiert: Ja, die US-Amerikaner waren auf dem Mond. Auch heute sind die Berner Weltraum- forschenden Pioniere. So soll etwa 2014 die Sonde Rosetta mit dem Berner Massenspektrometer ROSINA an Bord erstmals eine Landeeinheit auf einem Kometen absetzen, und ab 2017 soll der Satellit CHEOPS Planeten in fremden Sonnensystemen erforschen. Die Bernerinnen bauen Instrumente, die im All Messungen vornehmen, sie machen sich mit hochauflösenden Kameras ein Bild von fernen Objekten, und sie entwickeln Computersimula- tionen aus den Daten von Raumsonden. Zugrunde liegt der «Mission Weltraum» die eine grosse Frage: Wie entstand das Leben – und gibt es mehr davon im All? Die Suche nach Antworten übersteigt den Horizont einer einzelnen Disziplin. Deshalb arbeiten im «Center for Space and Habitability» jetzt Physikerinnen mit Biochemikern und Geologen zusammen. Für den Bau von Fluginstrumenten wiederum braucht es Partner- schaften mit der Industrie – und die Finanzkraft und Expertise, die nur ein internationales Netzwerk wie die ESA bieten kann. Mit dem Berner Professor Willy Benz präsidiert die Schweiz gegenwärtig gemeinsam mit Luxemburg den Ministerrat der Europäischen Weltraumorganisation. Das wichtigste Erfolgs- rezept in der Weltraumforschung aber ist die Konstanz, die Bern seit 40 Jahren auszeichnet: Sie stellt sicher, dass noch jemand da ist, der ein Fluginstrument mit einem uralten 386-er Prozessor bedienen kann, wenn es nach zehn Jahren Flug am Ziel ankommt. Weltraumforschung ist ein Langstreckenlauf, bei dem viele grosse Schritte für die Menschheit erst noch bevorstehen. In ganz andere Räume stösst das Institut für Kunstgeschichte vor: In einem Nationalfonds-Projekt werden neuartige Fragen zum Verhältnis zwischen Innenräumen und menschlichen Prak- tiken gestellt. Eine abstrakte Fragestellung, die aber zu konkreten Erkenntnissen führt, wie das «Gespräch» mit Prof. Christine Göttler zeigt. «Erst im Zuge der industriellen Revolution wird die ästhetische Gestaltung von Interieurs klar den Frauen überlassen», so die Projektleiterin: Sie sollten das Zuhause so einrichten, dass sich die Männer vom anstrengenden Berufsleben optimal erholen können. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Timm Eugster und Marcus Moser UniPress 157/2013 1
Licht – Was uns erhellt Sonderfall Hauptstadtregion Geld bewegt * Gespräch – Hansjörg Znoj über die Psychologie des Motorrads 36 * Gespräch – Hanno Würbel schützt Mäuse und Menschen 32 * Gespräch – Rektor Martin Täuber über Rankings, Geld und Visionen 36 * Begegnung – Ruth Meyer Schweizers Universität für junge Alte 40 * Begegnung – Roger Hänni baut Teilchenfallen 36 * Begegnung – Von der Exotin zur Alumni-Präsidentin Nadine Gehrig 40 Dezember 2011 151 A p ri l 2 0 1 2 152 Juni 2012 153 * Forschung – Arabist mit 260 ägyptischen Popsongs im Ohr 32 * Forschung – Dem Vergessen auf der Spur 26 UniPress* UniPress* * Forschung – In Multikulti-Klassen lernen Kinder gut 32 UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Gotthelf neu entdecken Trends in der Spitzenmedizin Archäologie – Graben nach Geschichten * Gespräch – Brigitte Schnegg über die Kehrseiten der Care-Arbeit 40 * Gespräch – Benedikt Meyer über Glanz und Elend des Fliegens 40 * Gespräch – Bruno Moretti will mit guter Lehre punkten 40 * Begegnung – Sandro Vicini blickt in die Seele der Universität 44 * Begegnung – Anne-Marie Kaufmann, Bäuerin und Priesterin 44 * Begegnung – Cédric sucht «Action» an der Kinderuni 44 Okto b er 2 0 1 2 154 Dezember 2012 155 Apri l 2013 156 * Spezial – Nachhaltige Lösungen für Nord und Süd 32 * Forschung – Das Klima der Zukunft 30 * Forschung – Junge Tibeter leben ihre Religion eigenständig 36 UniPress* UniPress* UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Eine UniPress-Ausgabe verpasst? Gerne können Sie Einzelexemplare nachbestellen: unipress@unibe.ch Tel.: 031 631 80 44 Wollen Sie UniPress (4 Ausgaben jährlich) kostenlos abonnieren? Abo-Bestellungen über: www.unipress.unibe.ch oder an die Vertriebsfirma Stämpfli Publikationen AG Tel.: 031 300 63 42 abonnemente@staempfli.com 2 UniPress 157/2013
Inhalt M I S S I O N W E LT R A U M 4 Weltraum-Missionen mit Berner Beteiligung Von Sylviane Blum 7 ROSINAS Reise zurück zum Ursprung Von Kathrin Altwegg 10 Wie Kollisionen Himmelskörper formen Von Martin Jutzi 13 Wie LUCA, die Urzelle des Lebens, entstand FORSCHUNG UND RUBRIKEN Von Oliver Mühlemann 19 Auf den Spuren von flüssigem Wasser Forschung Von Nicolas Thomas und Antoine Pommerol 28 Investitionspolitik: Neuer Wind 23 CHEOPS soll ferne Planeten vermessen in der Handelsförderung Von Willy Benz Von Erich Schwarz 30 Klimaforschung: «Oeschger-Zähler» erhalten Bildstrecke: Ein Fluginstrument entsteht. Hightech-Nachfolger ROSINAS Geschichte von der Entwicklung Von Kaspar Meuli bis zur geplanten Ankunft beim Kometen Churyumov-Gerasimenko. Angaben zu den einzelnen Bildern: Seite 27 Rubriken 1 Editorial 32 Gespräch Christine Göttler – Von Kunst-Räumen Von Timm Eugster 36 Begegnung Veronica Schärer – Pendlerin zwischen verschiedenen Welten Von Marcus Moser 38 Meinung Macht direkte Demokratie wirklich glücklich? Von Isabelle Stadelmann-Steffen 39 Bücher 40 Impressum UniPress 157/2013 3
Weltraum-Missionen mit Berner Beteiligung Schon bei der ersten Mondlandung vor über 40 Jahren war die Universität Bern dabei. Seither haben die Berner Weltraumforschenden ihren inter- nationalen Ruf mit zahlreichen Experimenten bekräftigt. Hier werden die Wichtigsten vorgestellt. Von Sylviane Blum Apollo-Sonnensegel Sonnenteilchen vom Mond Mit der ersten Mondlandung 1969 LDEF begann die Erfolgsgeschichte der Berner Teilchen aus interstellarem Raum Giotto Weltraumforschung. Der Sonnenwind- Einzigartige, in Bern entwickelte Metall- Treffen mit Halley kollektor des Physikers Johannes Geiss folien wurden ab 1984 auf der Ober- Kometen sind Überreste der Ursuppe, die war das einzige nicht amerikanische fläche des LDEF-Satelliten und auf der tiefgefroren als grosse Brocken aus Eis und Experiment der Apollo-11-Mission. Dabei russischen Raumstation MIR angebracht. Staub in den entferntesten Gebieten des genoss das kleine Gestell mit ausroll- Mit diesem COLLISA genannten Experi- Sonnensystems erhalten blieben. Sie barer Alufolie eine besonders hohe ment fingen Berner Forscher Teilchen bergen unschätzbare Informationen über Priorität: Noch bevor sie die US-Flagge ein, die aus dem interstellaren Raum die Zeit der Bildung des Planetensystems in den Mondboden steckten, stellten die stammen, also von ausserhalb unseres vor 4,5 Milliarden Jahren. Das erste Treffen Astronauten Neil Armstrong und Edwin Sonnensystems. Ihre Untersuchung gibt mit einem Schweifstern gelang der euro- Aldrin die Berner Vorrichtung auf. Hinweise über die Zusammensetzung des päischen Mission Giotto am 13. März 1986. Zurück im Labor von Johannes Geiss, Universums kurz nach dem Urknall. Dabei raste die Sonde mit 24 730 Stunden- lieferte die Folie unschätzbare Informa- kilometern 600 Kilometer weit am Komet tionen über die chemische Zusammen- Halley vorbei. Dies genügte dem Berner setzung der Sonne. Weitere Berner Massenspektrometer IMS, um die abge- Sonnenwindkollektoren begleiteten die dampfte Atmosphäre des «kosmischen nächsten Apollo-Missionen. Eisbergs» zu untersuchen und zu beweisen, dass Halley mehrheitlich aus Wassereis besteht und einfache organische Moleküle aufweist. GEOS 1 und 2 Gut bestückter Satellit Die ersten europäischen Satelliten, GEOS 1 und GEOS 2, trugen 1977 und Ulysses 1978 die ersten Schweizer Massen- Der Spion, der die Sonne beschattete spektrometer mehrere hundert Kilo- Um mehr über die Sonne zu erfahren, meter in die Höhe. Das Instrument S-303 schickten NASA und ESA 1990 die Sonde wurde an der Universität Bern ent- Ulysses auf eine Umlaufbahn um deren wickelt und von der Firma Contraves Pole. Mit an Bord war das Berner Massen- gebaut. Dieses kleine Wunder der Welt- spektrometer SWICS. Damit stärkte die raumtechnologie war knapp fünf Kilo- Universität Bern, im Anschluss an ihre gramm schwer und flugfähig – ganz im Experimente mit den Sonnenwindkollek- Gegensatz zu den damaligen tonnen- toren auf dem Mond, ihre Führungsrolle in schweren Massenspektrometern, die auf der Analyse des Sonnenwinds. der Erde im Einsatz standen. S-303 ver- riet wichtige Kenntnisse über die äus- serste Hülle unserer Erde, die Magneto- sphäre, welche die Erde in rund tausend SOHO Kilometern Höhe vor den zerstörerischen Geheimnisse der Sonne lüften Teilchen des Sonnenwinds schützt. Fünf Jahre nach Ulysses schickten 1995 ESA und NASA das Sonnenobservatorium SOHO ins All. Das hoch empfindliche Berner Ionen-Massenspektrometer CELIAS flog mit. SOHO liefert heute noch laufend neue Daten über die Sonne. 1969 1977 1984 1986 1990 1995 4 UniPress 157/2013 Mission Weltraum
Rosetta CHEOPS Das grösste Wagnis der ESA Klein, aber ambitioniert Im Anschluss an die erfolgreiche An- Ab 2017 soll ein kleiner, 200 Kilogramm näherung an den Kometen Halley mit der leichter Satellit namens CHEOPS Planeten Sonde Giotto, startete die ESA 2004 ihre in fremden Sonnensystemen erforschen. waghalsigste Mission: Zum ersten Mal soll Dabei ist die Schweiz zum ersten Mal, eine Weltraumsonde einen Kometen in zusammen mit der ESA, für eine ganze nächster Nähe auf seiner Bahn um die Mission verantwortlich – die Federführung Sonne begleiten und einen Lander auf liegt beim Center for Space and Habita- einem Kometen absetzen. Zudem ist bility der Universität Bern. CHEOPS soll aus Rosetta bisher die einzige Sonde, die ohne einer erdnahen Umlaufbahn während drei- radioaktive Energiequelle und nur mit einhalb Jahren etwa 500 helle Sterne Sonnenenergie weiter als die Jupiter-Bahn beobachten und ihre Planeten charakteri- ins All hinaus flog: Letzten Herbst war sie sieren. Er wird uns vielleicht dem Fern- fast 800 Millionen Kilometer von der ziel näher bringen, eines Tages einen Sonne entfernt. Zwei Schlüsselinstrumente Planeten zu entdecken, der erdähnliche der Mission wurden an der Universität Eigenschaften hat und auf dem Leben Bern entwickelt und gebaut: Die Massen- denkbar ist. Siehe dazu Seite 23. spektrometer ROSINA-DFMS und ROSINA-RTOF. Sie werden nächstes Jahr die chemische Zusammensetzung der nebligen Hülle des Kometen analysieren. Siehe dazu Seite 7. HiRISE Big Brother behält Mars im Auge Seit 2006 erfasst die Spionagekamera HiRISE an Bord des Mars Reconnaissance JUICE Orbiters der NASA alle Geschehnisse auf Flüssiges Wasser auf Jupiter-Monden? der Oberfläche des roten Planeten. Letztes Vor einem Jahr wählte die ESA JUICE Jahr schoss HiRISE Bilder der Landung von als nächste grosse wissenschaftliche Curiosity. Berner Forscher haben HiRISE Mission aus. Die gleichnamige Raumsonde mitentwickelt und entscheiden nun mit, soll 2022 ins All starten und acht Jahre welche Gebiete des Mars fotografiert später den Planeten Jupiter und seine werden sollen. Siehe dazu Seite 19. Eismonde erreichen. JUICE soll drei der vier Galileischen Jupitermonde untersu- chen und herausfinden, ob in ihrem Inneren flüssiges Wasser verborgen ist − BepiColombo und damit die Grundvoraussetzung für die Merkurs Berge und Täler Entstehung von Leben. Eine weitere Herausforderung für die Berner Weltraumforschende sind an Weltraumforscher der Universität Bern ist, zwei der elf Experimente beteiligt: Sie das grösste und heikelste Instrument der werden das Massenspektrometer für die ESA-Mission BepiColombo zu realisieren. Erforschung der Exosphären der drei Das Berner Laser Altimeter BELA soll eines Monde und das sogenannte «Range Finder Tages die Topografie des Planeten Merkur Modul» für das Laser Altimeter zur Unter- mit seinen Bergketten und Tälern suchung der Topografie des Monds bestimmen. Ganymed beisteuern. 2004 2006 2014 2017 2022 Mission Weltraum UniPress 157/2013 5
ROSINAS Reise zurück zum Ursprung Nach zehn Jahren Flug wird die Raumsonde Rosetta 2014 beim Kometen Churyumov- Gerasimenko ankommen. Mit an Bord ist das an der Universität Bern entworfene Spektrometer ROSINA. Die Mission führt zum Ursprung unseres Sonnensystems – und vielleicht zu den Anfängen des irdischen Lebens. Von Kathrin Altwegg Am 2. März 2004 startete eine Ariane Start wurden unsere Instrumente im Flug instrument im Labor, wiederum unzählige 5-Rakete von Französisch-Guyana aus mit getestet: eine Nervenprobe sondergleichen. Konferenzen mit unseren internationalen grossem Getöse in den wolkenverhangenen Es begann harmlos mit der Inbetrieb- Partnern, die die Elektronik gebaut hatten. Nachthimmel. Damit begann die lange nahme des kleinsten Sensors, unseres Glücklicherweise dauert die Reise von Reise der europäischen Kometenmission Druckmessgeräts COPS, das ohne Probleme Rosetta zehn Jahre und glücklicherweise Rosetta zum Zielkometen Churyumov- seine Arbeit aufnahm. Das Aufsprengen der hatten wir Zwillingsinstrumente hier auf der Gerasimenko, eine Reise durchs All und Deckel der beiden Massenspektrometer im Erde. Diese Abklärungen wurden mit der gleichzeitig eine Reise zurück zu unserem Weltall hingegen gelang erst im zweiten Zeit nicht einfacher, wurden doch Mit- Ursprung. Wir Berner Forschende nahmen Anlauf. Da wurde uns so richtig bewusst, arbeitende bei uns in Bern und im Ausland mit einem lachenden und einem weinenden was es heisst, ein Fluginstrument zum pensioniert, wechselten die Stelle, ein kon- Auge Abschied von unserer ROSINA Laufen zu bringen, das sich im Weltall halt stanter Abfluss von Know-how. (Rosetta Orbiter Sensor for Ion and Neutral doch ein bisschen anders verhält als im Per Zufall konnten wir schlussendlich Analysis), die uns während der vorangegan- Labor, so ganz ohne Gravitation und bei den Fehler im Labor reproduzieren, wieder- genen acht Jahre intensiv beschäftigt hatte. anderen Temperaturbedingungen. Es waren um Hochspannungsüberschläge in der Elek- 1995 wurde unser Antrag von der Euro- einige Schrecksekunden oder eher -stunden tronik, und – dank dem Einfallsreichtum päischen Weltraumorganisation (ESA) ange- zu überstehen, bis wir wussten, dass die unseres Berner Elektronikingenieurs – dann nommen, 1996 begannen wir mit dem Deckel richtig offen waren. Nach ein paar mit einer reinen Softwarelösung beheben. Design von Prototypen. Der Bau des Instru- Monaten, während denen die Instrumente Im März 2010, fast genau sechs Jahre nach ments mit seinen Hochs und Tiefs, die teils ausgasen konnten, wurde dann zuerst beim dem Start, funktionierte dann auch RTOF aufreibende, teils äusserst anregende Massenspektrometer DFMS die Hoch- wie gewünscht, nachdem die entsprechen- Zusammenarbeit mit der Schweizer Indus- spannung eingeschaltet – und es passierte, de Software per Funk an das Fluginstru- trie, die unsere Pläne und Konzepte in ein was jeder, der mit Weltrauminstrumenten ment übermittelt wurde. Genau rechtzeitig, flugfähiges Instrument umgesetzt hatte, zu tun hat, besonders fürchtet: Es kam zu um während dem Vorbeiflug am Asteroiden waren damit zu Ende. All die unzähligen elektrischen Überschlägen. Da bei den Lutetia im Juli 2010 die ersten wisseschaft- Nachtschichten bei der Weltraum-Test- Instrumenten jedes Gramm gespart werden lichen Messungen machen zu können. kammer, die hitzigen Diskussionen nach muss, um sie flugtauglich zu machen, geht dem Auftreten von Anomalien, die vielen man punkto Isolationsabstände nahe an die Anlauf holen beim Mars Telekonferenzen mit unseren ausländischen physikalische Grenze – und hier ging man Unterdessen hatte Rosetta drei Erdvorbei- Partnerinstituten gehörten der Vergangen- offensichtlich zu nahe daran. Hat sich beim flüge und einen Marsvorbeiflug hinter sich heit an. Aus den anfänglichen Projekt- Start irgendetwas verschoben oder gelöst? und befand sich in einer Distanz von der skizzen und den ersten Prototypen waren Wir wissen es auch heute noch nicht. Sonne, die vor ihr noch keine Raumsonde funktionierende Weltrauminstrumente Glück im Unglück! Mit Hilfe des Zwillings- nur mit Sonnenenergie erreicht hatte. Die geworden, die sorgfältig in die Rosetta- instruments fanden wir im Labor einen Vorbeiflüge an den Planeten waren eine Art Sonde eingebaut wurden und mit dieser Parametersatz für die Hochspannungen, kosmisches Pingpong. Durch die Gravitation zusammen die letzten Tests vor dem Start bei dem die kritische Spannung erheblich wurde ein klein bisschen der Bewegungse- mit Bravour bestanden hatten. gesenkt werden konnte, ohne die Eigen- nergie der Planeten um die Sonne auf die schaften des Instruments zu verändern. Mit Sonde übertragen, so dass Rosetta bei jeder Schreckstunden und Nervenproben einem Software-Update per Funk wurde Begegnung mit einem Planeten mehr Einige Mitarbeiter, Ingenieurinnen und Post- das Problem so behoben. Geschwindigkeit erhielt. So erreichte sie docs mussten sich nach dem Start anderen schliesslich die Bahn, die sie zum Kometen Aufgaben zuwenden, und manche ver- Zehn Jahre Zeit, um Fehler bringen wird. liessen unser Institut. Nicht, dass damit das zu beheben Regelmässig testeten wir unsere Geräte ROSINA-Projekt zu Ende war. Im Gegenteil, Das andere Massenspektrometer, RTOF, liess und stellten dabei fest, dass Rosetta ganz es folgten und folgen noch viele weitere sich ohne weiteres einschalten. Ein paar schön «dreckig» ist. Unsere Massenspektro- Jahre mit zum Teil intensiver Arbeit – aber Monate später, bei einem weiteren Test, meter sind so empfindlich, dass sie alles die Arbeit ist seit dem fulminanten Start verhielt sich dann aber genau dieser Gas, das aus Rosetta auch nach vielen von Rosetta eine andere. Zurück im Labor Sensor sehr sonderbar, entwickelte ein Jahren noch austritt, analysieren können. blieben neben einigen Wissenschaftlern Eigenleben, verstellte seine Spannungen, Vakuumfett, Epoxid-Harze, Polyurethane auch das Zwillingsinstrument von ROSINA, ohne Kommandos zu bekommen. Wir und vieles mehr können wir so nachweisen. ein komplettes Ebenbild des Fluginstru- brauchten mehrere Jahre, um das zu Glücklicherweise wird die Koma, also die ments im All. In den Monaten nach dem verstehen, unzählige Tests am Zwillings- leuchtende Gashülle des Kometen, dann Mission Weltraum UniPress 157/2013 7
Rosetta über dem Mars. Im Vordergrund sind die Konturen der Im Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt herrscht Hochspannung: Warum Raumsonde zu erkennen. sendet das ROSINA-RTOF-Instrument bloss «Error»-Meldungen aus dem All? aber um mehrere Grössenordnungen dich- Rosetta dann in eine Umlaufbahn um den Gravitation wie zum Beispiel durch Ge- ter sein als die «Koma» von Rosetta, so Kometen gehen und ihn während fast zeitenkräfte unserer Galaxie oder vorbei- dass uns diese Wolke nicht mehr stören eineinhalb Jahren auf seiner Bahn um die ziehende Sterne wieder ins Innere des wird. Unser Instrument im Labor setzen wir Sonne begleiten. Am 11. November 2014 Sonnensystems gelangen. absichtlich ähnlichen Substanzen aus. Fast soll dann eine Landeeinheit abgesetzt Kometen bestehen hauptsächlich aus Eis täglich werden die Instrumente seit vielen werden. So steht uns eine wissenschaftlich (Wasser und Kohlendioxyd) und Staub. Jahren von unseren Masterstudierenden, äusserst interessante Zeit bevor. Dieses Material wurde während den 4,6 Doktorierenden und Postdocs betrieben Wieso eigentlich ein Komet, und wieso Milliarden Jahren, die unser Sonnensystem und mit allem Möglichen geeicht. Damit ausgerechnet Churyumov-Gerasimenko? existiert, gut tiefgefroren und damit konser- wollen wir die Reaktion der Instrumente auf Die zweite Frage ist einfach zu beant- viert. Nur wenn ein Komet in die Nähe der verschiedenste Gase und Gasmischungen worten: Churyumov-Gerasimenko war Sonne kommt, verdampft dieses Material, testen, damit wir dann die Signale, die uns einfach am richtigen Ort, als wegen einer was dann zu den schönen Kometen- vom Kometen per Funk übermittelt werden, Startverzögerung der Ariane 5 im Jahr 2003 schweifen führt. Durch die Analyse dieses richtig interpretieren können. die Reise zu unserem ursprünglichen Zielko- Materials können wir Rückschlüsse auf die Dies hilft aber auch, damit uns das meten Wirtanen nicht mehr möglich war. Bedingungen ziehen, unter denen es ent- Wissen nicht abhandenkommt. Zehn Jahre Wir brauchten einen Kometen auf einer stand und auf die Verhältnisse, die damals sind schon eine sehr lange Zeit. Es umfasst Bahn, die wir mit der Energie einer Ariane im Sonnennebel herrschten. Wir können mehrere Generationen von Doktorierenden. 5 und mit einigen Erd- und Mars-vorbei- klären, ob mindestens ein Teil des irdischen Niemand von den Wissenschaftlern ausser flügen in einem vernünftigen Zeitrahmen Wassers durch Einschläge von Kometen ge- den Professorinnen mag sich noch an die erreichen konnten. Kometen bracht wurde und welche organischen Ma- Zeit des Instrumentenbaus erinnern. Umso gibt es glücklicherweise relativ viele und terialien, die man in Kometen nachweisen wichtiger sind unsere langjährigen Tech- «Chury» ist ein absolut gleichwertiges Ziel kann, eventuell die Bildung von Leben auf niker, die an unserem Institut die Infra- wie der ursprüngliche Wirtanen – bis auf der Erde erst möglich gemacht haben. struktur betreuen. Sie wissen um die Eigen- den unaussprechlichen Namen. Mit Kometenforschung machen wir heiten der Sensoren, sie kennen die Tricks, also eine Reise zurück in die Urgeschichte die es braucht, diese heiklen Instrumente Brachten Kometen unseres Sonnensystems und zum Ursprung zu unterhalten. Mit viel Geduld weisen sie Wasser auf die Erde? des irdischen Lebens. Es ist Archäologie der jeweils junge Doktorierende in die Geheim- Die erste Frage zu beantworten dauert et- Frühzeit, allerdings haben die Jahreszahlen nisse der komplizierten Eichanlagen und was länger: Kometen stammen aus der bei dieser Art von Archäologie ein paar der Handhabung der Experimente ein. Sie ganz frühen Zeit unseres Sonnensystems. Nullen mehr. Dies sind die zentralen Fragen, sind somit absolut unentbehrlich für den Sie sind sozusagen die übriggebliebenen die an der Universität Bern seit mehr als Erfolg einer solchen Mission. Klumpen in der Ursuppe unseres Sonnen- 40 Jahren mit Weltraumforschung unter- nebels, aus dem die Sonne und alle sucht werden und die jetzt mit dem Center Landung auf dem Kometen Planeten entstanden sind. Man nimmt an, for Space and Habitability auch auf Sterne am 11. 11. 2014 dass die heutigen Kometen aus der Gegend und Planeten ausserhalb unseres Sonnen- Jetzt rückt also das eigentliche Ziel, der von Uranus und Neptun stammen und nie systems ausgedehnt werden. Komet Churyumov-Gerasimenko mit gerade nahe bei der Sonne waren. Durch die Gravi- einmal vier Kilometern im Durchmesser, tation der grossen Planeten wurden sie ins Kontakt: Prof. Dr. Kathrin Altwegg, Physika- immer näher. In einem Jahr werden die äussere Sonnensystem hinauskatapultiert, lisches Institut, Abteilung Weltraumforschung ersten Bilder vom Kometen auf die Erde ähnlich wie mit einer Steinschleuder. Von und Planetologie, Center for Space and Habi- gefunkt werden. Im September 2014 wird dort können sie durch Einflüsse der tabilty, kathrin.altwegg@space.unibe.ch 8 UniPress 157/2013 Mission Weltraum
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Wie Kollisionen Himmelskörper formen Kollisionen spielen bei der Entstehung und Ent- wicklung von Planeten, Asteroiden und Monden eine fundamentale Rolle. Mit Simulationen aufgrund der Daten von Weltraummissionen konnten Berner Astrophysiker etwa zeigen, dass unser Mond möglichweise vor langer Zeit mit einem zweiten, kleinen Mond kollidierte. Von Martin Jutzi Aus einer riesigen, kollabierenden Molekül- wolke bildete sich vor rund 4,5 Milliarden Jahren die Sonne, umkreist von einer so- genannten protoplanetaren Scheibe. In dieser Scheibe ballten sich Staubteilchen zu immer grösseren Klumpen zusammen. Diese kollidierten, aggregierten und wuchsen so zu immer grösseren Körpern heran: zuerst zu Protoplaneten und schluss- endlich zu Planeten. Während der ganzen Phase der Planetenentstehung spielen Kolli- sionen eine entscheidende Rolle. Allerdings führen Kollisionen zwischen zwei Körpern nicht zwangsläufig zu einem grösseren Objekt, sondern können auch zu einem Einschlagkrater oder – wie man das aus dem Alltag kennt – zu vielen kleinen Bruch- stücken führen. Entscheidend sind Kollisi- onsgeschwindigkeit, Aufprallwinkel sowie Grösse und Beschaffenheit der involvierten Objekte. Ein wichtiger «Klebstoff» stellt die Gravitation dar: Durch diese können sich grosse Objekte relativ einfach vereinigen. Letzte grosse Kollisionen prägen einen Planeten Auch am Ende der Entstehungsphase der Planeten spielen Kollisionen zwischen den nun schon fast fertigen Planeten (hier Eine Momentaufnahme aus der 3D-Simulation: Die Kollision des Asteroiden Vesta mit einem rund spricht man von «giant collisions») eine zehnmal kleineren Asteroiden jagt gigantische Massen von Material hoch. entscheidende Rolle. Die letzten dieser Kollisionen bestimmen nämlich viele Eigen- selwirkung mit den Planeten wurden viele zur Entstehung unseres Sonnensystems schaften der fertigen Planeten und deren aus dem Sonnensystem herausgeschleudert. (siehe Seite 7). Monde. So wird zum Beispiel die unge- Ein Teil davon aber schlug in die Planeten wöhnlich hohe Dichte des Planeten Merkur und Monde ein, was die heute noch Kollisionen im Labor und durch eine späte «giant collision» mit sichtbaren Krater bezeugen. Andere Klein- Simulationen am Computer einem Protoplaneten erklärt. Auch die Ent- körper haben zwar auch Kollisionen Einschläge und Kollisionen zwischen stehung des Erdmonds basiert auf einer erfahren, aber überlebt; dies sind die Himmelskörpern spielen also eine funda- solchen Kollision (möglicherweise ent- heutigen Asteroiden und Kometen. Diese mentale Rolle bei der Entstehung und standen dabei sogar zwei Monde). Körper haben ihre Zusammensetzung Entwicklung der Planeten und Kleinkörper In der Endphase der Planetenentstehung seither kaum verändert und stellen sozu- im Sonnensystem. Das Verständnis der befanden sich noch unzählige kleinere sagen das Rohmaterial der Planeten dar. Sie physikalischen Prozesse solcher Ereignisse Objekte im Sonnensystem. Durch die Wech- bergen deshalb unschätzbare Informationen ist deshalb von enormer Bedeutung. 10 UniPress 157/2013 Mission Weltraum
Bildung der beobachteten überlappenden Krater führten. Diese überspannen beinahe die ganze südliche Hemisphäre von Vesta. Die Modellierungen zeigen Grösse (rund 60 Kilometer Durchmesser), Geschwindigkeit (rund 5 Kilometer pro Sekunde) und Einschlagwinkel der Körper, die mit Vesta kollidierten. Die Simulationen können die von «Dawn» gemessene Form und Topografie von Vestas südlicher Hemi- sphäre gut reproduzieren. Sie können deshalb dazu benutzt werden, um Informa- tionen über bisher verborgene Eigen- schaften von Vesta zu gewinnen. So ver- raten die Simulationen zum Beispiel, dass das von den Einschlägen ausgeworfene Material aus Tiefen von bis zu 100 Kilo- metern stammt. Dies erlaubt erstmals, Rückschlüsse über die inneren Strukturen von Vesta zu ziehen. Gab es einen zweiten Erdmond? Bereits seit über 50 Jahren ist der Erdmond Ziel von Weltraummissionen. Seit den ersten Sowjet- und NASA-Missionen, die Der Mond kollidiert mit einem zweiten, kleinen Mond. Die Computersimulation zeigt, dass es erstmals Bilder aus einem Mondorbit mehrere Stunden gedauert haben muss, bis der kleine Mond als dicke Kruste auf der einen Seite lieferten, hat sich das Datenmaterial ver- des grossen Monds zurückblieb. vielfacht. Diese Daten sind wichtige Grund- lagen für die Theorien zur Entstehung und In der Abteilung für Weltraumforschung Die folgenden zwei aktuellen Beispiele Entwicklung des Mondes. Es wurden auch und Planetologie der Universität Bern wur- von solchen Studien konnten kürzlich im einige merkwürdige Eigenschaften des den in den vergangenen 15 Jahren nume- Fachjournal «Nature» publiziert werden. Mondes entdeckt: etwa die Gegensätzlich- rische Modelle entwickelt, welche die physi- keit seiner Topografie zwischen der kalischen Prozesse einer Kollision nach- Asteroid Vesta – kleiner Planet erdzu- und erdabgewandten Seite. Die bilden (simulieren). In einer Simulation einer mit riesigen Kratern Vorderseite ist eher flach und wird von Kollision werden die Differentialgleichun- Einem Asteroid namens Vesta gilt in der dunklen Ebenen vulkanischen Ursprungs gen, welche die involvierten physikalischen Weltraumforschung besondere Aufmerk- dominiert, die Rückseite ist geprägt von Prozesse beschreiben, durch numerische samkeit: Mit seinen rund 500 Kilometern hohem Gebirge und tiefen Kratern. Zudem Integrationsmethoden mit Hilfe von Com- Durchmesser gehört er zu den drei grössten ist die Mondkruste auf der Rückseite putern gelöst. Diese theoretischen Modelle Asteroiden und wird als Protoplanet wesentlich dicker als auf der Vorderseite. werden getestet, indem sie beispielsweise betrachtet. Zudem ist er der einzige Die Ursache dieser Asymmetrie ist mit Einschlagexperimenten im Labor ver- bekannte Asteroid, der eine erdähnliche umstritten. In Zusammenarbeit mit glichen werden. Experimentell können Ge- Struktur aufweist – mit einem Kern, einem Forschenden aus Kalifornien wurde kürzlich schwindigkeiten bis zu etwa 10 Kilometern Mantel und einer Kruste. Vesta befindet in Bern eine neue mögliche Erklärung pro Sekunde erreicht werden; es können sich im Asteroidengürtel zwischen den für die Ungleichheit der beiden Seiten aber natürlich nur Kollisionen zwischen re- Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. unseres Trabanten erarbeitet: Demnach ist lativ kleinen Objekten untersucht werden. Vesta wurde mit dem Weltraumteleskop ein kleinerer, zweiter Mond rund 100 Milli- Die theoretischen Modelle hingegen kön- «Hubble» intensiv beobachtet, kürzlich onen Jahre nach der Entstehung des Erde- nen auf allen Skalen angewendet werden von der Raumsonde «Dawn» der NASA Mond-Systems mit dem heutigen Erd- und ermöglichen es, Kollisionen zwischen besucht und zwischen 2011 und 2012 ein trabanten kollidiert. Mit Hilfe von Himmelskörpern (also z. B. Planeten, Jahr lang umkreist. Bilder im optischen Computersimulationen konnte gezeigt Monden oder Asteroiden) zu untersuchen. Bereich sowie weitere Messdaten lieferten werden, dass diese relativ langsame Kolli- Wenn man nun diese theoretischen Informationen über die Topografie des sion nicht zu einer grossen Zerstörung Modellrechnungen von Kollisionsprozessen Asteroiden sowie über die Zusammen- (Krater) führte, sondern dass sich der kleine mit Beobachtungen von Planeten oder setzung der Mineralien, die an seiner Ober- Mond auf einer Seite des Mondes (der Asteroiden kombiniert, erlaubt dies Rück- fläche sichtbar sind. Dabei zeigte sich unter heutigen Rückseite) anlagerte. Dieses schlüsse auf die Eigenschaften und die Ent- anderem, dass die schon von Hubble Szenario könnte die Entstehung der dicken wicklung der untersuchten Himmelskörper. beobachtete riesige Vertiefung am Südpol Kruste und des Hochlands auf der Mond- Dank Fernbeobachtung und vor allem dank aus zwei riesigen, teilweise überlappenden rückseite erklären. den Weltraummissionen der letzten Jahr- Kratern besteht. zehnte steht dafür eine immer grössere Von diesen Informationen ausgehend, Kontakt: Dr. Martin Jutzi, Oberassistent am Menge an wertvollen Daten zur Verfügung wurde an der Universität Bern mit drei- Center for Space and Habitability, (etwa Informationen über die Topografie, dimensionalen Computersimulationen Physikalisches Institut, Abteilung für Welt- Oberflächenzusammensetzung, Dichte oder gezeigt, wie zwei nacheinander erfolgte raumforschung und Planetologie, die Einschlagkraterverteilung). Einschläge von Himmelskörpern genau zur martin.jutzi@space.unibe.ch Mission Weltraum UniPress 157/2013 11
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Wie LUCA, die Urzelle des Lebens, enstand Alle Lebewesen der Erde stammen von einer gemeinsamen Urzelle ab. Doch unter welchen Bedingungen entwickelt sich tote Materie zu Leben? Mit Antworten auf diese Frage unterstützen Biochemiker die Suche nach ausserirdischem Leben. Von Oliver Mühlemann Woher kommen wir? Wie ist das Leben tionen in allen drei Domänen des Lebens entstanden? Plausible Antworten auf diese (Archaeen, Bakterien und Eukaryonten) für unser Selbstverständnis und unsere dieselben sind. Weltanschauung so zentralen Fragen haben während der letzten 200 Jahre vor allem Stammt LUCA von der Erde die Naturwissenschaften geliefert – allen oder aus dem All? voran Charles Darwin mit seiner einfachen, In 3,5 Milliarden Jahren alten Sedimenten eleganten und x-tausendfach bestätigten haben Geologen Ablagerungen gefunden, Evolutionstheorie. Sie erklärt schlüssig, wie die von Cyanobakterien ähnlichen Organis- sich die heutige Vielfalt an Lebewesen aus men stammen: Dies deutet darauf hin, dass gemeinsamen, identischen Urzellen ent- es bereits damals einzellige Lebensformen wickelte: Durch einen sich wiederholenden gab, die wahrscheinlich Photosynthese Prozess von kleinen Veränderungen in betrieben. Das ist bemerkenswert früh in einigen Nachkommen dieser Urzellen, bei der Erdgeschichte, wenn man sich ver- welchem jeweils diejenigen Formen über- gegenwärtigt, dass die Erde sich vor etwa lebten, die sich in ihrer Umgebung am 4,6 Milliarden Jahren aus einer glühenden besten vermehren konnten. Gaskugel zu bilden begann. Erst vor rund Noch weit weniger klar ist hingegen, wie 4 Milliarden Jahren war diese genügend Meteoriten brachten vor rund vier Milliarden Jahren anderswo entstandene organische Mole- diese Urzelle entstand, die in der Fachwelt abgekühlt, dass sich auf der Oberfläche küle auf die Erde; im Bild ein Stück des 1969 in LUCA heisst: «Last Universal Common eine feste Kruste bildete und schliesslich Autralien gelandeten «Murchinson-Meteoriten». Ancestor», also «letzter gemeinsamer Vorfahre». Diskutiert werden mehrere Szenarien. Ich beschreibe hier jenes, das gegenwärtig unter den Experten den grössten Konsens geniesst. Bevor wir aber über den Ursprung des Lebens diskutieren können, müssen wir definieren, was wir mit «Leben» überhaupt meinen. Lebende Materie (z. B. Bäume, Bakterien oder Menschen) unterscheidet sich von abiotischer Materie (z. B. Mine- ralien, Wasser, Luft) dadurch, dass sie sich selber replizieren kann. Dies setzt erstens ein Genom voraus (also ein Informations- speichersystem) und zweitens einen Stoff- wechsel. Dafür muss sich diese minimale Lebenseinheit von der Umgebung, mit der sie Stoffe austauscht, abgrenzen, was in allen uns bekannten Lebensformen durch eine sogenannte Lipidmembran geschieht. Sobald wir ein solches selbstreplizierendes System haben – und sei es auch noch so primitiv –, setzt die oben beschriebene darwinsche Evolution ein. Doch warum sind wir Naturwissenschaftler eigentlich so sicher, dass alles heute bekannte Leben einen gemeinsamen Ursprung hat? Weil die zentralen Moleküle des Lebens, der gene- Gleichzeitig entstanden beispielsweise bei Unterwasser-Vulkanausbrüchen auch auf der Erde orga- tische Code und die chemischen Reak- nische Moleküle. Mission Weltraum UniPress 157/2013 13
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das Wasser kondensieren konnte, das Biomoleküle entstehen spontan Verbindungen vor rund 4 Milliarden Jahren während der darauffolgenden 200 Milli- und vielerorts während des 200 Millionen Jahre andau- onen Jahre durch unzählige Meteoriten- Für die Frage, wie aus abiotischen chemi- ernden intensiven Meteoriten-Bombarde- einschläge auf die Erde transportiert wurde. schen Reaktionen LUCA entstanden sein ments zur Erde kamen. Somit waren die Umweltbedingungen, könnte, spielt es nur eine untergeordnete die Leben auf der jungen Erde ermöglich- Rolle, ob dieser Vorgang auf der Erde oder Biomoleküle verketten sich ten, erst vor 3,8 bis maximal 4 Milliarden anderswo stattgefunden hat. Erste experi- zu RNA-Makromolekülen Jahren gegeben – und nach geologischen mentelle Hinweise zur möglichen Ent- Diese einzelnen Lebensbausteine lagerten Zeitmassstäben bereits «kurz» danach gab stehung von LUCA haben Stanley Miller sich in der Folge an Oberflächen von es auf der Erde einzellige Organismen. und Harold Urey in den 1950er Jahren mit Tonmineralien an, wodurch sich ebenfalls Dies lässt zwei verschiedene Interpreta- ihrem inzwischen weltberühmten spontan erste Makromoleküle bilden tionen zu: Entweder konnte LUCA relativ «Ursuppen»-Experiment geliefert. Dabei konnten. In Laborversuchen konnten rasch hier auf der Erde aus vorhandenen simulierten sie in einem geschlossenen beispielsweise an der Oberfläche von Mont- organischen Verbindungen entstehen. System im Labor die Bedingungen, die morillonit (Lavaerde) aus aktivierten Ribo- Oder LUCA entstand bereits früher wo- wahrscheinlich vor 4 Milliarden Jahren auf nukleotiden, den Bausteinen für Ribo- anders im Universum und ist mit einem der Erde herrschten: Wasser (H2O) und eine nukleinsäuren (RNA), Ketten mit bis zu Meteoriten hierher gekommen. Die zweite reduzierende Atmosphäre bestehend aus 50 Nukleotiden polymerisiert werden. RNA Interpretation hatte in den 1960er Jahren Wasserstoff (H2), Schwefelwasserstoff (H2S), ist diejenige Makromolekülsorte, die bei der viele Anhänger, weil man damals davon Ammoniak (NH3), Kohlenmonoxid (CO) und Entstehung des Lebens wahrscheinlich die ausging, dass die Entstehung von LUCA Stickstoff (N2). Um die damalige andauern- Schlüsselrolle gespielt hat: Denn diese ein extrem unwahrscheinliches Ereignis de Vulkantätigkeit und die gewaltigen linearen Ketten aus vier verschiedenen, gewesen sein müsse, da viele verschiedene Gewitterstürme zu simulieren, wurde das durch Phosphodiester verknüpften Ribo- zufällige Prozesse gleichzeitig am gleichen Wasser in einem Kreislauf verdampft und nukleosiden (Adenosin, Guanosin, Uridin Ort hätten stattfinden müssen. Demnach wieder kondensiert, und mittels Elektroden und Cytidin) können sowohl genetische sei es wahrscheinlicher, dass dies früher wurden in der Gasphase Blitze erzeugt. Information speichern als auch als Enzyme woanders im Universum geschehen sei als Nachdem Miller und Urey ihr Experiment funktionieren. In allen heutigen Lebewesen in einem Zeitfenster von nur 300 Millionen eine Weile laufen gelassen hatten, analy- hat die chemisch sehr ähnliche, aber Jahren auf der Erde. sierten sie ihre Ursuppe und fanden darin stabilere Desoxyribonukleinsäure (DNA) die Heute überwiegt die Meinung, dass die eine Vielzahl von organischen Molekülen, Funktion als Speicher der genetischen Entstehung von Leben wenig mit einem unter ihnen viele Bausteine der drei für alle Information übernommen, nur einige Viren glücklichen Zufall zu tun hat, sondern auf- heutigen Organismen zentralen Makro- haben auch heute noch ein RNA-Genom grund der chemischen und physikalischen molekülsorten (Nukleinsäuren, Proteine (z. B. HIV und das Grippevirus). Die enzyma- Eigenschaften der Materie unweigerlich und Lipide). tischen Aktivitäten werden in heutigen geschieht, sobald erstens flüssiges Wasser, Das Ursuppenexperiment stützt somit Zellen grösstenteils von Proteinen abge- zweitens eine Reihe von organischen Mole- die Hypothese, dass sich auf der frühen deckt, aber einige ganz alte und zentrale külen und drittens anorganische Ober- Erde spontan die zentralen Bausteine des enzymatische Reaktionen wie etwa die flächen wie etwa Lehm vorhanden sind, die Lebens (Aminosäuren, Fettsäuren, Purine Proteinsynthese werden auch heute noch als Katalysatoren chemische Reaktionen und Zucker) aus einfachen anorganischen durch RNA katalysiert, was ebenfalls begünstigen. Auf dieser heutigen Sicht- Verbindungen bilden konnten. Ob dies nun darauf hindeutet, dass LUCA und seine weise gründet auch die Hypothese, dass eher bei Unterwasservulkanausbrüchen ersten Nachkommen RNA-Enzyme (soge- Leben mehrfach im Weltall entstanden sein oder in langsam austrocknenden seichten nannte Ribozyme) und noch keine muss und immer wieder entsteht. Am Lagunen geschah, macht keinen wesent- Proteinenzyme hatten. Center for Space and Habitability (CSH) der lichen Unterschied. Zudem zeigen chemi- Universität Bern sucht man deshalb gezielt sche Analysen von Meteoriten, dass diese RNA-Moleküle kopieren sich selbst mit spektroskopischen Methoden nach ebenfalls viele organischen Moleküle bein- Das klassische «Huhn-Ei»-Problem der Signaturen von Leben (z. B. einer sauer- halten. Das belegt erstens, dass diese Mole- Genomreplikation, nämlich dass die Repli- stoffhaltigen Atmosphäre) bei Exoplaneten, küle auch andernorts im Universum ent- kation des Genoms ein Enzym benötigt, das die sich in der sogenannten «habitablen stehen, und deutet zweitens darauf hin, im Genom selber kodiert sein muss, wird Zone» befinden (siehe Seite 23). dass ein beträchtlicher Teil der organischen durch RNA mit seiner Doppelfunktion als Mission Weltraum UniPress 157/2013 15
Informationsspeicher und Enzym auf einer solchen Lipiddoppelmembran um- Die aufmerksame Leserin hat es wohl elegante Weise gelöst. Man kann sich also geben war. Die dazu nötigen Fettsäuren erkannt: Wir haben nun bereits eine das einfachste selbstreplizierende System wurden auf der jungen Erde durch Vulkan- Urzellenpopulation, die sich nach dem als ein RNA-Molekül denken, das die Fähig- tätigkeit gebildet oder durch Meteoriten klassischen darwinschen Evolutions- keit hat, aus Ribonukleotiden eine Kopie aus dem All gebracht. mechanismus immer weiter entwickeln von sich selbst zu synthetisieren. Verschie- Da die Fettsäuren nicht wasserlöslich kann. Ein paar dieser veränderten Kopien dene Experimente haben die Hypothese, sind, bilden sie eine Schicht auf der Wasser- konnten plötzlich nicht nur sich selber dass Leben mit RNA-basierten Systemen oberfläche von der Dicke eines Moleküls, kopieren, sondern auch andere RNA-Mole- begonnen habe, in den letzten Jahren aus der sich durch Bewegung des Wassers küle, die sich zufälligerweise in derselben gestützt, so dass diese Theorie in der Fach- (z. B. durch Rühren im Labor oder durch Mizelle befanden, was ungeahnte neue welt heute breit akzeptiert ist. einen Geysirausbruch auf der jungen Erde) Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete. Zu unserer eingangs erwähnten Defini- wassergefüllte Kügelchen mit einer aus Spätestens ab diesem Zeitpunkt war die tion von «Leben» gehört aber nebst der Fettsäuren gebildeten Doppelmembran- Entwicklung von immer komplexeren Zellen Fähigkeit zur Selbstreplikation auch noch Hülle bilden. Wenn nun solche soge- in vollem Gang. ein Stoffwechsel. Deshalb würden wir eine nannten Mizellen zufälligerweise ein oder sich selbst replizierende RNA noch nicht als mehrere RNA-Moleküle mit einer enzyma- LUCA setzt sich durch Lebewesen anerkennen, und aus dem- tischen Funktion enthalten, haben wir eine Man kann es kaum genug hervorheben: selben Grund gelten Viren auch nicht als Urzelle mit einem Stoffwechsel. Das hier beschriebene Szenarium ist keine lebendig. Die wichtige Erkenntnis ist hier, Aneinanderreihung vieler höchst unwahr- dass die Grenze von dem, was wir als Überall füllen sich Tümpel scheinlicher Ereignisse, sondern hat sich auf lebendig bezeichnen, willkürlich und von mit Leben der jungen Erde wahrscheinlich tausend- unserer Definition des Begriffs «Leben» Mizellen sind dynamische Gebilde: Sie wenn nicht millionenfach abgespielt und abhängig ist, dass aber der Übergang von können durch Einlagerung zusätzlicher Fett- spielt sich auch jetzt immer noch überall im abiotischen Prozessen zu ersten Urzellen säuren wachsen. Zwei Mizellen, die zu- Universum ab, wo die Bedingungen für die eine graduelle Entwicklung darstellt. sammenstossen, können zu einer grossen beschriebenen chemischen Prozesse Mizelle fusionieren, wobei ihre Inhalte gegeben sind (auch auf der Erde). Aber ab Molekül landet in Wasserkügelchen gemischt werden. Und wenn eine Mizelle einem bestimmten Zeitpunkt war eine mit Fettsäurenhülle eine gewisse Grösse erreicht hat, bei der dieser Urzellenpopulationen so erfolgreich, Ein Stoffwechsel bedingt, wie bereits die Oberflächenspannung der Membran zu dass sie alle anderen anfänglich noch erwähnt, die Abgrenzung unserer ent- gross wird, dann teilt sie sich spontan in existierenden, aber etwas weniger fitten stehenden Urzelle von der Umwelt. Erst kleinere Mizellen auf. Populationen verdrängt hatte und auch eine Barriere, die einen von der Umwelt Es braucht jetzt nicht mehr viel Fantasie, sich immer wieder neu entwickelndes abgetrennten Innenraum schafft und somit um sich vorzustellen, wie vor fast 4 Milliar- Leben gegen diese bereits weiterent- die freie Diffusion von Molekülen ver- den Jahren in einem Tümpel mit genügend wickelten Zellen keine Chance mehr hatte. hindert, ermöglicht die lokale Anreicherung Fettsäuren und Ribonukleotiden eine sich Diese erfolgreiche Population war LUCA, und Abreicherung von verschiedenen Stoff- selbstreplizierende RNA in einer Mizelle der gemeinsame Vorfahre allen uns wechselprodukten. Damit haben wir die landete, sich dort drin vermehrte und durch bekannten Lebens. Zelle als Grundeinheit des Lebens definiert. fortlaufende Teilung der Mizellen der Da alle heutigen Zellen sich von der Tümpel sich schliesslich mit immer mehr Kontakt: Prof. Dr. Oliver Mühlemann, Umwelt durch eine Doppelmembran aus Mizellen mit selbstreplizierenden RNA- Departement für Chemie und Biochemie, wasserabstossenden Fettsäuren mit gegen Molekülen füllte. Die Replikation der RNA Mitglied im wissenschaftlichen Ausschuss des aussen und innen gerichteten wasser- war nicht sehr genau und es passierten bei Center for Space and Habitability, löslichen Kopfgruppen abgrenzen, können vielen Kopiervorgängen immer wieder klei- oliver.muehlemann@dcb.unibe.ch wir davon ausgehen, dass auch LUCA von nere Veränderungen in der RNA-Sequenz. 16 UniPress 157/2013 Mission Weltraum
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Auf den Spuren von flüssigem Wasser Einst gab es auf dem Mars so viel Wasser, dass sich ganze Tal-Netzwerke bildeten. Heute versteckt es sich als Eisschicht an den Polen und im Boden. Doch nun deuten Versuche von Berner Forschern darauf hin, dass an gewissen Stellen noch immer Wasser auf der Oberfläche fliesst. Enthält es gar Leben? Von Nicolas Thomas und Antoine Pommerol Leonardo da Vinci soll einst gesagt haben: «Wasser ist die treibende Kraft der ganzen Natur.» Leben kann gemäss heutigem Wissen unter den folgenden vier Voraus- setzungen entstehen und sich entwickeln: Erstens müssen die notwendigen chemi- schen Bausteine zur Verfügung stehen. Zweitens braucht es ein flüssiges Medium, das diese transportiert. Drittens muss Energie zur Verfügung stehen, die das Medium flüssig hält und Bewegungen sowie chemische Reaktionen fördert. Schliesslich muss das Umwelt-System für einen längeren Zeitraum stabil sein – mögli- cherweise für Hunderte von Millionen Jahren (siehe dazu Seite 13). Das erste «flüssige Medium», das einem in den Sinn kommt, ist Wasser. Dies entspringt unserer Erfahrung auf der Erde, aber Wasser ist auch anderswo in unserem Sonnensystem verbreitet. Es ist in einem weiten Tempera- turbereich flüssig. Es ist ein ziemlich stabiles Molekül, aber gleichzeitig ist es polar – das hilft, andere chemische Stoffe aufzulösen: eine nützliche Eigenschaft. Wasser ist also ein ideales flüssiges Medium für Leben. Die Erde erfüllt offensichtlich alle vier Anforderungen für Leben – aber wohl nicht nur sie: Es ist praktisch bewiesen, dass der Jupitermond «Europa» die Bedingungen zurzeit ebenfalls erfüllt; auch hier ist das Die dunklen Spuren an Steilhängen auf dem Mars könnten von flüssigem Salzwasser stammen. flüssige Medium Wasser. Der Saturnmond «Enceladus» ist ein weiterer Kandidat. Der grösste Saturnmond «Titan» erfüllt die «Mars Global Surveyor» (1996), bestätigten flächentemperaturen an den Polen deutlich Kriterien ebenfalls – doch in diesem Fall die Existenz von Tal-Netzwerken und unter dem Gefrierpunkt, so dass dieses Eis handelt es sich bei der Flüssigkeit um tropfenförmige Inseln, die möglicherweise unter den heutigen Bedingungen nicht Methan. Und was ist mit unserem Nachbar- durch Überschwemmungen gebildet schmelzen kann. planeten Mars? wurden. Aber welche Flüssigkeit war dafür verantwortlich – und wo ist sie hin? Marsboden ist voller Wasser Einst gab es Flüsse und Inseln Heute ist bekannt, dass an den Mars- Deshalb war die Überraschung und auch Seit der «Mariner 9»-Mission in den frühen Polen Wassereis vorhanden ist. Am Nordpol die Freude gross, als die Neutronen-Spek- 1970er Jahren ist bekannt, dass die Ober- bildet es eine drei Kilometer dicke Ab- trometer der «Mars Odyssey»-Sonde grosse fläche des roten Planeten irgendwann in lagerung, die jeden Marswinter von einer Mengen von unterirdischem Wasserstoff der Vergangenheit durch Ströme von temporären Schicht aus CO2-Eis überdeckt nachweisen konnten, von dem auf Wasser Flüssigkeit erodiert wurde. Spätere Abbil- wird. Aber diese Wassermengen reichen geschlossen werden kann. Dieses Wasser, dungen, aufgenommen mit hochauf- wahrscheinlich nicht aus, um die beobach- das sich aufgrund der verwendeten Technik lösenden Kameras auf den «Viking»- tete Morphologie der Planetenoberfläche im ersten Meter der Oberflächenschicht Missionen (Ende der 1970er Jahre) und zu erklären. Ausserdem liegen die Ober- befinden muss, ist über den grössten Teil Mission Weltraum UniPress 157/2013 19
des Planeten verteilt. Diese Erkenntnis steht Wasser ist also auf weiten Teilen der dass sie den Gefrierpunkt von Wasser im Einklang mit den Mustern vieler Krater- Mars-Oberfläche vorhanden – und das in senken und die Helligkeit der beobachteten auswürfe, die auf Meteoriten-Einschläge in teilweise überraschend reiner Form. Aber Oberflächen beeinflussen. Dies würde auch eine volatile Oberfläche schliessen lassen. wird flüssiges Wasser nur durch Meteo- erklären, warum Flüssigkeit gebildet wird, Dies ist insbesondere deshalb interessant, riteneinschläge erzeugt? Wahrscheinlich obwohl die Temperatur an den Standorten, weil Wasser auch rund um den Äquator nicht. Wir haben unterdessen Hinweise wo RSL am häufigsten auftreten, unter dem vorkommt, wo die Temperatur an der darauf, dass flüssiges Wasser auch heute Gefrierpunkt liegt. Marsoberfläche im Sommer tagsüber über noch regelmässig auf der Oberfläche des den Gefrierpunkt steigt. Aber welche Form Mars auftritt – man muss nur an der rich- Gibt es auch Leben? hat dieses Wasser? tigen Stelle suchen! Als Wissenschaftler sind wir grundsätzlich Die jüngsten Missionen zum Mars waren HiRISE hat eine Reihe von flüchtigen «Nicht-Gläubige»! Trotzdem werden wir mit Bildgebungs-Spektrometern ausge- Spuren beobachtet, die sich im Laufe der unsere fotometrischen Experimente auf rüstet, die hoch aufgelöste Bilder im infra- Jahreszeiten verändern. Sie sind sehr weitere abiotische und auf biotische or- roten wie im sichtbaren Bereich lieferten. schmal (50 Zentimeter bis 5 Meter breit) ganische Stoffe ausweiten. Denn falls Diese zeigen, dass viele Gebiete auf dem und befinden sich an steilen Südhängen am die Wasserflüsse, die wir auf dem Mars Mars (einschliesslich des Landeplatzes des Äquator (bis zum 25. Breitengrad). Sie gesehen haben, etwas Lebendiges aktuellen «Curiosity Rover») reich an bilden sich im späten Frühjahr, wachsen im enthalten, wollen wir wenn immer möglich wasserhaltigen Tonerden sind, die früh in Sommer und verschwinden im Winter, in der Lage sein, dies zu erkennen. Und der Geschichte des Mars gebildet wurden. wobei sie manchmal eine etwas hellere selbst wenn Mars tot ist: Wir werden in Zudem haben bildgebende Verfahren kürz- Fläche hinterlassen. Sie sind dünn, können absehbarer Zukunft keine Oberfläche eines lich gezeigt, dass relativ reines Wassereis in aber Hunderte von Metern lang sein. An anderen Objekts besuchen – weder in die- einigen Bereichen auch unmittelbar unter einem Standort können Dutzende dieser sem Sonnensystem noch in einem anderen. der Oberfläche vorhanden sein muss. dunklen Markierungen auftreten. Sie Somit bleiben als einzige Möglichkeiten, erscheinen jedes Frühjahr an den gleichen ausseridisches Leben zu finden, foto- Wasser auch auf der Oberfläche Stellen, sobald die Temperaturen etwa metrische und spektroskopische Mittel. Das «High Resolution Imaging Science minus 20 Grad Celsius erreichen. Die Im August 2010 wählten die NASA und Experiment» (HiRISE) ist im Grunde eine logischste Erklärung ist, dass diese Markie- ESA die Instrumente für eine neue Mission Spion-Kamera, die den Mars umkreist. Sie rungen – bekannt unter dem eher tech- zum Mars aus, genannt «ExoMars Trace kann 50 Zentimeter grosse Objekte aus nischen Namen «Recurring Slope Lineae» Gas Orbiter» (TGO). Eines der ausge- 250 Kilometern Höhe in Farbe und mit ein (RSL) – Spuren von flüssigem Wasser aus wählten Instrumente ist eine hochauf- paar Tricks auch dreidimensional abbilden. salzigen Schmelzwasser-Quellen sind. lösende Stereo-Farbkamera unter der Sie ist auf der NASA-Sonde «Mars Re- Leitung der University of Arizona mit der connaissance Orbiter» (MRO) montiert. Die Laborversuche mit simulierter Universität Bern als wichtiger Partnerin. Sie Universität Bern ist das einzige europäische Mars-Oberfläche sollte dynamische Prozesse auf der Ober- Forschungsinstitut im HiRISE Team. Das Team der Uni Bern ist an diesen fläche des Planeten sowie das entdeckte Wie die Erde wird auch der Mars häufig Studien stark beteiligt. Wir haben mit flüssige Wasser und das Oberflächeneis von Meteoriten getroffen. Dies ermöglicht unserem Fotogoniometer-Experiment weiter untersuchen. Anfang 2012 zog aller- uns, die durch die Einschläge verletzte (PHIRE-2) die Reflexionseigenschaften von dings die NASA die Finanzierung für all Oberflächenschicht des roten Planeten zu diversen wasserbenetzten Oberflächen seine Instrumente auf TGO zurück und die untersuchen. HiRISE hat mehrere frische gemessen, wie sie auf dem Mars vor- Universität Bern wurde gebeten, die Einschläge beobachtet und dabei etwas kommen. Die dafür verwendeten Stoffe mit Führung des Projekts zu übernehmen. Bemerkenswertes entdeckt: Die Innenräume ähnlichen Eigenschaften wie Mars-Böden Das bildgebende System, das so dieser frischen Krater sind insbesondere auf stammen meist aus Hawaii. Wir vergleichen genannte «CaSSIS» (Colour and Stereo der Nordhalbkugel flach und, im Vergleich die Resultate mit den Messungen der Surface Imaging System), wird nun in zum Rest der Oberfläche, relativ blau. In HiRISE-Kamera. Zusammenarbeit mit der italienischen einigen Fällen ist eine helle weisse Ablage- Seit Kurzem setzen wir auch eine Raumfahrtagentur entwickelt und soll im rung um den Kraterrand sichtbar. Beobach- Infrarot-Kamera ein, um einem grossen März 2016 starten. Eines der Hauptziele tungen mit Infrarot-Spektrometern zeigen, Rätsel auf die Spur zu kommen: Während von CaSSIS wird sein, RSL und andere dyna- dass es sich dabei um Wassereis handelt. die RSL alle Eigenschaften von flüssigem mische Phänomene im Zusammenhang mit Daraufhin haben wir in Bern diese Mete- Wasser zu haben scheinen, hat das Infrarot- Wasser auf der Oberfläche des Roten oriten-Einschläge am Computer simuliert – Spektrometer «CRISM» an Bord der MRO Planeten zu untersuchen. mit interessanten Ergebnissen: Es stellte bisher keine der Infrarot-Absorbtionseigen- sich heraus, dass deren Druck ausreicht, um schaften zeigen können, die man von einer Weitere Informationen: Mars Reconnais- den Zustand des Wassers von «fest» in nassen Oberfläche erwarten würde. Dies ist sance Orbiter: http://mars.jpl.nasa.gov/mro; «flüssig» zu verändern. Mit anderen Wor- natürlich eine Herausforderung für unsere HiRISE: http://hirise.lpl.arizona.edu; ten wird bei einem Meteoriten-Einschlag Theorie. Allerdings beobachten wir derzeit CRISM: http://crism.jhuapl.edu relativ reines flüssiges Wasser erzeugt, das im Labor, dass simulierte Mars-Oberflächen, sich für kurze Zeit – typischerweise mehrere die benetzt waren und dann wieder trock- Kontakte: Prof. Dr. Nicolas Thomas, Tage – auf der Oberfläche befindet. Je neten, leicht veränderte lichttechnische nicolas.thomas@space.unibe.ch; grösser ein Einschlag, desto grösser ist das Eigenschaften aufweisen können. Darüber Dr. Antoine Pommerol, entstehende Gewässer und desto länger hinaus scheint die Anwesenheit von Salzen antoine.pommerol@space.unibe.ch bleibt es erhalten, bevor es einfriert und/ von entscheidender Bedeutung zu sein. Beide sind am Physikalischen Institut, oder verdampft. Die beobachteten flachen, Wir wissen unterdessen, dass auf dem Abteilung Weltraumforschung und relativ blauen Krater-Innenräume entstehen Mars Chloride und Sulfatsalze existieren – Planetologie (WP) sowie am Center for Space durch das Gefrieren der Flüssigkeit. und diese Chemikalien sind bekannt dafür, and Habitabilty (CSH) tätig. 20 UniPress 157/2013 Mission Weltraum
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