UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN

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UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
Mission Weltraum

* Gespräch – Christine Göttler über Kunst-Räume und Zufluchtsorte     32
* Begegnung – Veronica Schärer ist begabt und wird gefördert     36
                                                                           J u n i 2 0 13   157
* Forschung – Hightech-Analysegerät für Klima, Luft und Bilder   30

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Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
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                                                                                                                                als Ziel
                                                                                                                                Rund 60 verschiedene Weiterbildungsabschlüsse an der Universität Bern
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                                                         Frei Zeit*
                                                                     Wir suchen
                                                                     Assistenzärztinnen
                                                                     und Assistenzärzte.
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        * Meine Work-Life-Balance stimmt.
          Ich lebe und arbeite im Haslital…
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      2
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           UniPress 157/2013                                                                                                    Schanzeneckstrasse 1, 3001 Bern, www.zuw.unibe.ch, zuw @ zuw.unibe.ch
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M I S S I O N W E LT R A U M

Verschwörungstheoretiker zweifeln – waren die US-Amerikaner
wirklich auf dem Mond? Die Berner wissen es: Hier wurde
von Physiker Johannes Geiss jenes Sonnensegel entwickelt, das
Neil Armstrong noch vor dem Sternenbanner auf dem Mond
entrollte. Und in den Berner Labors wurden die Spuren des
Sonnenwinds in diesem Segel analysiert: Ja, die US-Amerikaner
waren auf dem Mond. Auch heute sind die Berner Weltraum-
forschenden Pioniere. So soll etwa 2014 die Sonde Rosetta mit
dem Berner Massenspektrometer ROSINA an Bord erstmals eine
Landeeinheit auf einem Kometen absetzen, und ab 2017 soll
der Satellit CHEOPS Planeten in fremden Sonnensystemen
erforschen.
    Die Bernerinnen bauen Instrumente, die im All Messungen
vornehmen, sie machen sich mit hochauflösenden Kameras ein
Bild von fernen Objekten, und sie entwickeln Computersimula-
tionen aus den Daten von Raumsonden. Zugrunde liegt der
«Mission Weltraum» die eine grosse Frage: Wie entstand das
Leben – und gibt es mehr davon im All? Die Suche nach
Antworten übersteigt den Horizont einer einzelnen Disziplin.
Deshalb arbeiten im «Center for Space and Habitability» jetzt
Physikerinnen mit Biochemikern und Geologen zusammen. Für
den Bau von Fluginstrumenten wiederum braucht es Partner-
schaften mit der Industrie – und die Finanzkraft und Expertise,
die nur ein internationales Netzwerk wie die ESA bieten kann.
Mit dem Berner Professor Willy Benz präsidiert die Schweiz
gegenwärtig gemeinsam mit Luxemburg den Ministerrat der
Europäischen Weltraumorganisation. Das wichtigste Erfolgs-
rezept in der Weltraumforschung aber ist die Konstanz, die Bern
seit 40 Jahren auszeichnet: Sie stellt sicher, dass noch jemand da
ist, der ein Fluginstrument mit einem uralten 386-er Prozessor
bedienen kann, wenn es nach zehn Jahren Flug am Ziel
ankommt. Weltraumforschung ist ein Langstreckenlauf, bei dem
viele grosse Schritte für die Menschheit erst noch bevorstehen.

In ganz andere Räume stösst das Institut für Kunstgeschichte
vor: In einem Nationalfonds-Projekt werden neuartige Fragen
zum Verhältnis zwischen Innenräumen und menschlichen Prak-
tiken gestellt. Eine abstrakte Fragestellung, die aber zu
konkreten Erkenntnissen führt, wie das «Gespräch» mit Prof.
Christine Göttler zeigt. «Erst im Zuge der industriellen Revolution
wird die ästhetische Gestaltung von Interieurs klar den Frauen
überlassen», so die Projektleiterin: Sie sollten das Zuhause so
einrichten, dass sich die Männer vom anstrengenden Berufsleben
optimal erholen können.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

                                    Timm Eugster und Marcus Moser

                                                                      UniPress   157/2013   1
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Licht – Was uns erhellt                                                                                    Sonderfall Hauptstadtregion                                                                     Geld bewegt

                                                                                                             * Gespräch – Hansjörg Znoj über die Psychologie des Motorrads    36                             * Gespräch – Hanno Würbel schützt Mäuse und Menschen           32
  * Gespräch – Rektor Martin Täuber über Rankings, Geld und Visionen          36
                                                                                                             * Begegnung – Ruth Meyer Schweizers Universität für junge Alte    40                            * Begegnung – Roger Hänni baut Teilchenfallen             36
  * Begegnung – Von der Exotin zur Alumni-Präsidentin Nadine Gehrig       40
                                                                                   Dezember 2011       151                                                                          A p ri l 2 0 1 2   152                                                                             Juni 2012     153
                                                                                                             * Forschung – Arabist mit 260 ägyptischen Popsongs im Ohr   32                                  * Forschung – Dem Vergessen auf der Spur             26

                                                                                                             UniPress*                                                                                       UniPress*
  * Forschung – In Multikulti-Klassen lernen Kinder gut   32

  UniPress*

  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                         Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                              Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

  Gotthelf neu entdecken                                                                                     Trends in der Spitzenmedizin                                                                    Archäologie – Graben nach Geschichten

  * Gespräch – Brigitte Schnegg über die Kehrseiten der Care-Arbeit      40                                  * Gespräch – Benedikt Meyer über Glanz und Elend des Fliegens     40                            * Gespräch – Bruno Moretti will mit guter Lehre punkten         40
  * Begegnung – Sandro Vicini blickt in die Seele der Universität   44                                       * Begegnung – Anne-Marie Kaufmann, Bäuerin und Priesterin        44                             * Begegnung – Cédric sucht «Action» an der Kinderuni           44
                                                                                   Okto b er 2 0 1 2   154                                                                          Dezember 2012      155                                                                             Apri l 2013   156
  * Spezial – Nachhaltige Lösungen für Nord und Süd       32                                                 * Forschung – Das Klima der Zukunft             30                                              * Forschung – Junge Tibeter leben ihre Religion eigenständig         36

  UniPress*                                                                                                  UniPress*                                                                                       UniPress*

  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                         Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                              Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

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             2          UniPress                 157/2013
UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
Inhalt

                                                       M I S S I O N W E LT R A U M

                                                    4 Weltraum-Missionen mit Berner Beteiligung
                                                      Von Sylviane Blum

                                                    7 ROSINAS Reise zurück zum Ursprung
                                                      Von Kathrin Altwegg

                                                   10 Wie Kollisionen Himmelskörper formen
                                                      Von Martin Jutzi

                                                   13 Wie LUCA, die Urzelle des Lebens, entstand
     FORSCHUNG UND RUBRIKEN                           Von Oliver Mühlemann

                                                   19 Auf den Spuren von flüssigem Wasser
     Forschung                                        Von Nicolas Thomas und Antoine Pommerol

 28 Investitionspolitik: Neuer Wind                23 CHEOPS soll ferne Planeten vermessen
    in der Handelsförderung                           Von Willy Benz
    Von Erich Schwarz

 30 Klimaforschung: «Oeschger-Zähler» erhalten         Bildstrecke: Ein Fluginstrument entsteht.
    Hightech-Nachfolger                                ROSINAS Geschichte von der Entwicklung
    Von Kaspar Meuli                                   bis zur geplanten Ankunft beim Kometen
                                                       Churyumov-Gerasimenko.
                                                       Angaben zu den einzelnen Bildern: Seite 27
     Rubriken

  1 Editorial

 32 Gespräch
    Christine Göttler – Von Kunst-Räumen
    Von Timm Eugster

 36 Begegnung
    Veronica Schärer – Pendlerin
    zwischen verschiedenen Welten
    Von Marcus Moser

 38 Meinung
    Macht direkte Demokratie wirklich glücklich?
    Von Isabelle Stadelmann-Steffen

 39 Bücher

 40 Impressum

                                                                                         UniPress   157/2013   3
UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
Weltraum-Missionen mit Berner Beteiligung
       Schon bei der ersten Mondlandung vor über 40 Jahren war die Universität
       Bern dabei. Seither haben die Berner Weltraumforschenden ihren inter-
       nationalen Ruf mit zahlreichen Experimenten bekräftigt. Hier werden die
       Wichtigsten vorgestellt.

       Von Sylviane Blum

Apollo-Sonnensegel
Sonnenteilchen vom Mond
Mit der ersten Mondlandung 1969             LDEF
begann die Erfolgsgeschichte der Berner     Teilchen aus interstellarem Raum            Giotto
Weltraumforschung. Der Sonnenwind-          Einzigartige, in Bern entwickelte Metall-   Treffen mit Halley
kollektor des Physikers Johannes Geiss      folien wurden ab 1984 auf der Ober-         Kometen sind Überreste der Ursuppe, die
war das einzige nicht amerikanische         fläche des LDEF-Satelliten und auf der      tiefgefroren als grosse Brocken aus Eis und
Experiment der Apollo-11-Mission. Dabei     russischen Raumstation MIR angebracht.      Staub in den entferntesten Gebieten des
genoss das kleine Gestell mit ausroll-      Mit diesem COLLISA genannten Experi-        Sonnensystems erhalten blieben. Sie
barer Alufolie eine besonders hohe          ment fingen Berner Forscher Teilchen        bergen unschätzbare Informationen über
Priorität: Noch bevor sie die US-Flagge     ein, die aus dem interstellaren Raum        die Zeit der Bildung des Planetensystems
in den Mondboden steckten, stellten die     stammen, also von ausserhalb unseres        vor 4,5 Milliarden Jahren. Das erste Treffen
Astronauten Neil Armstrong und Edwin        Sonnensystems. Ihre Untersuchung gibt       mit einem Schweifstern gelang der euro-
Aldrin die Berner Vorrichtung auf.          Hinweise über die Zusammensetzung des       päischen Mission Giotto am 13. März 1986.
Zurück im Labor von Johannes Geiss,         Universums kurz nach dem Urknall.           Dabei raste die Sonde mit 24 730 Stunden-
lieferte die Folie unschätzbare Informa-                                                kilometern 600 Kilometer weit am Komet
tionen über die chemische Zusammen-                                                     Halley vorbei. Dies genügte dem Berner
setzung der Sonne. Weitere Berner                                                       Massenspektrometer IMS, um die abge-
Sonnenwindkollektoren begleiteten die                                                   dampfte Atmosphäre des «kosmischen
nächsten Apollo-Missionen.                                                              Eisbergs» zu untersuchen und zu
                                                                                        beweisen, dass Halley mehrheitlich aus
                                                                                        Wassereis besteht und einfache organische
                                                                                        Moleküle aufweist.
                  GEOS 1 und 2
                  Gut bestückter Satellit
                  Die ersten europäischen Satelliten,
                  GEOS 1 und GEOS 2, trugen 1977 und                                             Ulysses
                  1978 die ersten Schweizer Massen-                                              Der Spion, der die Sonne beschattete
                  spektrometer mehrere hundert Kilo-                                             Um mehr über die Sonne zu erfahren,
                  meter in die Höhe. Das Instrument S-303                                        schickten NASA und ESA 1990 die Sonde
                  wurde an der Universität Bern ent-                                             Ulysses auf eine Umlaufbahn um deren
                  wickelt und von der Firma Contraves                                            Pole. Mit an Bord war das Berner Massen-
                  gebaut. Dieses kleine Wunder der Welt-                                         spektrometer SWICS. Damit stärkte die
                  raumtechnologie war knapp fünf Kilo-                                           Universität Bern, im Anschluss an ihre
                  gramm schwer und flugfähig – ganz im                                           Experimente mit den Sonnenwindkollek-
                  Gegensatz zu den damaligen tonnen-                                             toren auf dem Mond, ihre Führungsrolle in
                  schweren Massenspektrometern, die auf                                          der Analyse des Sonnenwinds.
                  der Erde im Einsatz standen. S-303 ver-
                  riet wichtige Kenntnisse über die äus-
                  serste Hülle unserer Erde, die Magneto-
                  sphäre, welche die Erde in rund tausend                                             SOHO
                  Kilometern Höhe vor den zerstörerischen                                             Geheimnisse der Sonne lüften
                  Teilchen des Sonnenwinds schützt.                                                   Fünf Jahre nach Ulysses schickten 1995 ESA
                                                                                                      und NASA das Sonnenobservatorium SOHO
                                                                                                      ins All. Das hoch empfindliche Berner
                                                                                                      Ionen-Massenspektrometer CELIAS flog
                                                                                                      mit. SOHO liefert heute noch laufend neue
                                                                                                      Daten über die Sonne.

           1969                      1977                         1984                    1986       1990     1995

       4   UniPress   157/2013                                Mission Weltraum
UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
Rosetta                                                                        CHEOPS
Das grösste Wagnis der ESA                                                     Klein, aber ambitioniert
Im Anschluss an die erfolgreiche An-                                           Ab 2017 soll ein kleiner, 200 Kilogramm
näherung an den Kometen Halley mit der                                         leichter Satellit namens CHEOPS Planeten
Sonde Giotto, startete die ESA 2004 ihre                                       in fremden Sonnensystemen erforschen.
waghalsigste Mission: Zum ersten Mal soll                                      Dabei ist die Schweiz zum ersten Mal,
eine Weltraumsonde einen Kometen in                                            zusammen mit der ESA, für eine ganze
nächster Nähe auf seiner Bahn um die                                           Mission verantwortlich – die Federführung
Sonne begleiten und einen Lander auf                                           liegt beim Center for Space and Habita-
einem Kometen absetzen. Zudem ist                                              bility der Universität Bern. CHEOPS soll aus
Rosetta bisher die einzige Sonde, die ohne                                     einer erdnahen Umlaufbahn während drei-
radioaktive Energiequelle und nur mit                                          einhalb Jahren etwa 500 helle Sterne
Sonnenenergie weiter als die Jupiter-Bahn                                      beobachten und ihre Planeten charakteri-
ins All hinaus flog: Letzten Herbst war sie                                    sieren. Er wird uns vielleicht dem Fern-
fast 800 Millionen Kilometer von der                                           ziel näher bringen, eines Tages einen
Sonne entfernt. Zwei Schlüsselinstrumente                                      Planeten zu entdecken, der erdähnliche
der Mission wurden an der Universität                                          Eigenschaften hat und auf dem Leben
Bern entwickelt und gebaut: Die Massen-                                        denkbar ist. Siehe dazu Seite 23.
spektrometer ROSINA-DFMS und
ROSINA-RTOF. Sie werden nächstes Jahr
die chemische Zusammensetzung der
nebligen Hülle des Kometen analysieren.
Siehe dazu Seite 7.

                     HiRISE
                     Big Brother behält Mars im Auge
                     Seit 2006 erfasst die Spionagekamera
                     HiRISE an Bord des Mars Reconnaissance                                       JUICE
                     Orbiters der NASA alle Geschehnisse auf                                      Flüssiges Wasser auf Jupiter-Monden?
                     der Oberfläche des roten Planeten. Letztes                                   Vor einem Jahr wählte die ESA JUICE
                     Jahr schoss HiRISE Bilder der Landung von                                    als nächste grosse wissenschaftliche
                     Curiosity. Berner Forscher haben HiRISE                                      Mission aus. Die gleichnamige Raumsonde
                     mitentwickelt und entscheiden nun mit,                                       soll 2022 ins All starten und acht Jahre
                     welche Gebiete des Mars fotografiert                                         später den Planeten Jupiter und seine
                     werden sollen. Siehe dazu Seite 19.                                          Eismonde erreichen. JUICE soll drei der
                                                                                                  vier Galileischen Jupitermonde untersu-
                                                                                                  chen und herausfinden, ob in ihrem
                                                                                                  Inneren flüssiges Wasser verborgen ist −
                                  BepiColombo                                                     und damit die Grundvoraussetzung für die
                                  Merkurs Berge und Täler                                         Entstehung von Leben.
                                  Eine weitere Herausforderung für die                               Berner Weltraumforschende sind an
                                  Weltraumforscher der Universität Bern ist,                      zwei der elf Experimente beteiligt: Sie
                                  das grösste und heikelste Instrument der                        werden das Massenspektrometer für die
                                  ESA-Mission BepiColombo zu realisieren.                         Erforschung der Exosphären der drei
                                  Das Berner Laser Altimeter BELA soll eines                      Monde und das sogenannte «Range Finder
                                  Tages die Topografie des Planeten Merkur                        Modul» für das Laser Altimeter zur Unter-
                                  mit seinen Bergketten und Tälern                                suchung der Topografie des Monds
                                  bestimmen.                                                      Ganymed beisteuern.

    2004                2006          2014                                           2017             2022

                                                                  Mission Weltraum                                     UniPress   157/2013   5
UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
6   UniPress   157/2013
UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
ROSINAS Reise zurück zum Ursprung
Nach zehn Jahren Flug wird die Raumsonde
Rosetta 2014 beim Kometen Churyumov-
Gerasimenko ankommen. Mit an Bord ist das an
der Universität Bern entworfene Spektrometer
ROSINA. Die Mission führt zum Ursprung unseres
Sonnensystems – und vielleicht zu den Anfängen
des irdischen Lebens.

Von Kathrin Altwegg

Am 2. März 2004 startete eine Ariane            Start wurden unsere Instrumente im Flug       instrument im Labor, wiederum unzählige
5-Rakete von Französisch-Guyana aus mit         getestet: eine Nervenprobe sondergleichen.    Konferenzen mit unseren internationalen
grossem Getöse in den wolkenverhangenen            Es begann harmlos mit der Inbetrieb-       Partnern, die die Elektronik gebaut hatten.
Nachthimmel. Damit begann die lange             nahme des kleinsten Sensors, unseres          Glücklicherweise dauert die Reise von
Reise der europäischen Kometenmission           Druckmessgeräts COPS, das ohne Probleme       Rosetta zehn Jahre und glücklicherweise
Rosetta zum Zielkometen Churyumov-              seine Arbeit aufnahm. Das Aufsprengen der     hatten wir Zwillingsinstrumente hier auf der
Gerasimenko, eine Reise durchs All und          Deckel der beiden Massenspektrometer im       Erde. Diese Abklärungen wurden mit der
gleichzeitig eine Reise zurück zu unserem       Weltall hingegen gelang erst im zweiten       Zeit nicht einfacher, wurden doch Mit-
Ursprung. Wir Berner Forschende nahmen          Anlauf. Da wurde uns so richtig bewusst,      arbeitende bei uns in Bern und im Ausland
mit einem lachenden und einem weinenden         was es heisst, ein Fluginstrument zum         pensioniert, wechselten die Stelle, ein kon-
Auge Abschied von unserer ROSINA                Laufen zu bringen, das sich im Weltall halt   stanter Abfluss von Know-how.
(Rosetta Orbiter Sensor for Ion and Neutral     doch ein bisschen anders verhält als im           Per Zufall konnten wir schlussendlich
Analysis), die uns während der vorangegan-      Labor, so ganz ohne Gravitation und bei       den Fehler im Labor reproduzieren, wieder-
genen acht Jahre intensiv beschäftigt hatte.    anderen Temperaturbedingungen. Es waren       um Hochspannungsüberschläge in der Elek-
    1995 wurde unser Antrag von der Euro-       einige Schrecksekunden oder eher -stunden     tronik, und – dank dem Einfallsreichtum
päischen Weltraumorganisation (ESA) ange-       zu überstehen, bis wir wussten, dass die      unseres Berner Elektronikingenieurs – dann
nommen, 1996 begannen wir mit dem               Deckel richtig offen waren. Nach ein paar     mit einer reinen Softwarelösung beheben.
Design von Prototypen. Der Bau des Instru-      Monaten, während denen die Instrumente        Im März 2010, fast genau sechs Jahre nach
ments mit seinen Hochs und Tiefs, die teils     ausgasen konnten, wurde dann zuerst beim      dem Start, funktionierte dann auch RTOF
aufreibende, teils äusserst anregende           Massenspektrometer DFMS die Hoch-             wie gewünscht, nachdem die entsprechen-
Zusammenarbeit mit der Schweizer Indus-         spannung eingeschaltet – und es passierte,    de Software per Funk an das Fluginstru-
trie, die unsere Pläne und Konzepte in ein      was jeder, der mit Weltrauminstrumenten       ment übermittelt wurde. Genau rechtzeitig,
flugfähiges Instrument umgesetzt hatte,         zu tun hat, besonders fürchtet: Es kam zu     um während dem Vorbeiflug am Asteroiden
waren damit zu Ende. All die unzähligen         elektrischen Überschlägen. Da bei den         Lutetia im Juli 2010 die ersten wisseschaft-
Nachtschichten bei der Weltraum-Test-           Instrumenten jedes Gramm gespart werden       lichen Messungen machen zu können.
kammer, die hitzigen Diskussionen nach          muss, um sie flugtauglich zu machen, geht
dem Auftreten von Anomalien, die vielen         man punkto Isolationsabstände nahe an die     Anlauf holen beim Mars
Telekonferenzen mit unseren ausländischen       physikalische Grenze – und hier ging man      Unterdessen hatte Rosetta drei Erdvorbei-
Partnerinstituten gehörten der Vergangen-       offensichtlich zu nahe daran. Hat sich beim   flüge und einen Marsvorbeiflug hinter sich
heit an. Aus den anfänglichen Projekt-          Start irgendetwas verschoben oder gelöst?     und befand sich in einer Distanz von der
skizzen und den ersten Prototypen waren            Wir wissen es auch heute noch nicht.       Sonne, die vor ihr noch keine Raumsonde
funktionierende Weltrauminstrumente             Glück im Unglück! Mit Hilfe des Zwillings-    nur mit Sonnenenergie erreicht hatte. Die
geworden, die sorgfältig in die Rosetta-        instruments fanden wir im Labor einen         Vorbeiflüge an den Planeten waren eine Art
Sonde eingebaut wurden und mit dieser           Parametersatz für die Hochspannungen,         kosmisches Pingpong. Durch die Gravitation
zusammen die letzten Tests vor dem Start        bei dem die kritische Spannung erheblich      wurde ein klein bisschen der Bewegungse-
mit Bravour bestanden hatten.                   gesenkt werden konnte, ohne die Eigen-        nergie der Planeten um die Sonne auf die
                                                schaften des Instruments zu verändern. Mit    Sonde übertragen, so dass Rosetta bei jeder
Schreckstunden und Nervenproben                 einem Software-Update per Funk wurde          Begegnung mit einem Planeten mehr
Einige Mitarbeiter, Ingenieurinnen und Post-    das Problem so behoben.                       Geschwindigkeit erhielt. So erreichte sie
docs mussten sich nach dem Start anderen                                                      schliesslich die Bahn, die sie zum Kometen
Aufgaben zuwenden, und manche ver-              Zehn Jahre Zeit, um Fehler                    bringen wird.
liessen unser Institut. Nicht, dass damit das   zu beheben                                       Regelmässig testeten wir unsere Geräte
ROSINA-Projekt zu Ende war. Im Gegenteil,       Das andere Massenspektrometer, RTOF, liess    und stellten dabei fest, dass Rosetta ganz
es folgten und folgen noch viele weitere        sich ohne weiteres einschalten. Ein paar      schön «dreckig» ist. Unsere Massenspektro-
Jahre mit zum Teil intensiver Arbeit – aber     Monate später, bei einem weiteren Test,       meter sind so empfindlich, dass sie alles
die Arbeit ist seit dem fulminanten Start       verhielt sich dann aber genau dieser          Gas, das aus Rosetta auch nach vielen
von Rosetta eine andere. Zurück im Labor        Sensor sehr sonderbar, entwickelte ein        Jahren noch austritt, analysieren können.
blieben neben einigen Wissenschaftlern          Eigenleben, verstellte seine Spannungen,      Vakuumfett, Epoxid-Harze, Polyurethane
auch das Zwillingsinstrument von ROSINA,        ohne Kommandos zu bekommen. Wir               und vieles mehr können wir so nachweisen.
ein komplettes Ebenbild des Fluginstru-         brauchten mehrere Jahre, um das zu            Glücklicherweise wird die Koma, also die
ments im All. In den Monaten nach dem           verstehen, unzählige Tests am Zwillings-      leuchtende Gashülle des Kometen, dann

                                                             Mission Weltraum                                      UniPress   157/2013   7
UNIPRESS* - MISSION WELTRAUM - UNIVERSITÄT BERN
Rosetta über dem Mars. Im Vordergrund sind die Konturen der    Im Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt herrscht Hochspannung: Warum
Raumsonde zu erkennen.                                         sendet das ROSINA-RTOF-Instrument bloss «Error»-Meldungen aus dem All?

aber um mehrere Grössenordnungen dich-          Rosetta dann in eine Umlaufbahn um den         Gravitation wie zum Beispiel durch Ge-
ter sein als die «Koma» von Rosetta, so         Kometen gehen und ihn während fast             zeitenkräfte unserer Galaxie oder vorbei-
dass uns diese Wolke nicht mehr stören          eineinhalb Jahren auf seiner Bahn um die       ziehende Sterne wieder ins Innere des
wird. Unser Instrument im Labor setzen wir      Sonne begleiten. Am 11. November 2014          Sonnensystems gelangen.
absichtlich ähnlichen Substanzen aus. Fast      soll dann eine Landeeinheit abgesetzt             Kometen bestehen hauptsächlich aus Eis
täglich werden die Instrumente seit vielen      werden. So steht uns eine wissenschaftlich     (Wasser und Kohlendioxyd) und Staub.
Jahren von unseren Masterstudierenden,          äusserst interessante Zeit bevor.              Dieses Material wurde während den 4,6
Doktorierenden und Postdocs betrieben              Wieso eigentlich ein Komet, und wieso       Milliarden Jahren, die unser Sonnensystem
und mit allem Möglichen geeicht. Damit          ausgerechnet Churyumov-Gerasimenko?            existiert, gut tiefgefroren und damit konser-
wollen wir die Reaktion der Instrumente auf     Die zweite Frage ist einfach zu beant-         viert. Nur wenn ein Komet in die Nähe der
verschiedenste Gase und Gasmischungen           worten: Churyumov-Gerasimenko war              Sonne kommt, verdampft dieses Material,
testen, damit wir dann die Signale, die uns     einfach am richtigen Ort, als wegen einer      was dann zu den schönen Kometen-
vom Kometen per Funk übermittelt werden,        Startverzögerung der Ariane 5 im Jahr 2003     schweifen führt. Durch die Analyse dieses
richtig interpretieren können.                  die Reise zu unserem ursprünglichen Zielko-    Materials können wir Rückschlüsse auf die
   Dies hilft aber auch, damit uns das          meten Wirtanen nicht mehr möglich war.         Bedingungen ziehen, unter denen es ent-
Wissen nicht abhandenkommt. Zehn Jahre          Wir brauchten einen Kometen auf einer          stand und auf die Verhältnisse, die damals
sind schon eine sehr lange Zeit. Es umfasst     Bahn, die wir mit der Energie einer Ariane     im Sonnennebel herrschten. Wir können
mehrere Generationen von Doktorierenden.        5 und mit einigen Erd- und Mars-vorbei-        klären, ob mindestens ein Teil des irdischen
Niemand von den Wissenschaftlern ausser         flügen in einem vernünftigen Zeitrahmen        Wassers durch Einschläge von Kometen ge-
den Professorinnen mag sich noch an die         erreichen konnten. Kometen                     bracht wurde und welche organischen Ma-
Zeit des Instrumentenbaus erinnern. Umso        gibt es glücklicherweise relativ viele und     terialien, die man in Kometen nachweisen
wichtiger sind unsere langjährigen Tech-        «Chury» ist ein absolut gleichwertiges Ziel    kann, eventuell die Bildung von Leben auf
niker, die an unserem Institut die Infra-       wie der ursprüngliche Wirtanen – bis auf       der Erde erst möglich gemacht haben.
struktur betreuen. Sie wissen um die Eigen-     den unaussprechlichen Namen.                      Mit Kometenforschung machen wir
heiten der Sensoren, sie kennen die Tricks,                                                    also eine Reise zurück in die Urgeschichte
die es braucht, diese heiklen Instrumente       Brachten Kometen                               unseres Sonnensystems und zum Ursprung
zu unterhalten. Mit viel Geduld weisen sie      Wasser auf die Erde?                           des irdischen Lebens. Es ist Archäologie der
jeweils junge Doktorierende in die Geheim-      Die erste Frage zu beantworten dauert et-      Frühzeit, allerdings haben die Jahreszahlen
nisse der komplizierten Eichanlagen und         was länger: Kometen stammen aus der            bei dieser Art von Archäologie ein paar
der Handhabung der Experimente ein. Sie         ganz frühen Zeit unseres Sonnensystems.        Nullen mehr. Dies sind die zentralen Fragen,
sind somit absolut unentbehrlich für den        Sie sind sozusagen die übriggebliebenen        die an der Universität Bern seit mehr als
Erfolg einer solchen Mission.                   Klumpen in der Ursuppe unseres Sonnen-         40 Jahren mit Weltraumforschung unter-
                                                nebels, aus dem die Sonne und alle             sucht werden und die jetzt mit dem Center
Landung auf dem Kometen                         Planeten entstanden sind. Man nimmt an,        for Space and Habitability auch auf Sterne
am 11. 11. 2014                                 dass die heutigen Kometen aus der Gegend       und Planeten ausserhalb unseres Sonnen-
Jetzt rückt also das eigentliche Ziel, der      von Uranus und Neptun stammen und nie          systems ausgedehnt werden.
Komet Churyumov-Gerasimenko mit gerade          nahe bei der Sonne waren. Durch die Gravi-
einmal vier Kilometern im Durchmesser,          tation der grossen Planeten wurden sie ins     Kontakt: Prof. Dr. Kathrin Altwegg, Physika-
immer näher. In einem Jahr werden die           äussere Sonnensystem hinauskatapultiert,       lisches Institut, Abteilung Weltraumforschung
ersten Bilder vom Kometen auf die Erde          ähnlich wie mit einer Steinschleuder. Von      und Planetologie, Center for Space and Habi-
gefunkt werden. Im September 2014 wird          dort können sie durch Einflüsse der            tabilty, kathrin.altwegg@space.unibe.ch

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UniPress   157/2013   9
Wie Kollisionen Himmelskörper formen
Kollisionen spielen bei der Entstehung und Ent-
wicklung von Planeten, Asteroiden und Monden
eine fundamentale Rolle. Mit Simulationen
aufgrund der Daten von Weltraummissionen
konnten Berner Astrophysiker etwa zeigen, dass
unser Mond möglichweise vor langer Zeit mit
einem zweiten, kleinen Mond kollidierte.

Von Martin Jutzi

Aus einer riesigen, kollabierenden Molekül-
wolke bildete sich vor rund 4,5 Milliarden
Jahren die Sonne, umkreist von einer so-
genannten protoplanetaren Scheibe. In
dieser Scheibe ballten sich Staubteilchen
zu immer grösseren Klumpen zusammen.
Diese kollidierten, aggregierten und
wuchsen so zu immer grösseren Körpern
heran: zuerst zu Protoplaneten und schluss-
endlich zu Planeten. Während der ganzen
Phase der Planetenentstehung spielen Kolli-
sionen eine entscheidende Rolle. Allerdings
führen Kollisionen zwischen zwei Körpern
nicht zwangsläufig zu einem grösseren
Objekt, sondern können auch zu einem
Einschlagkrater oder – wie man das aus
dem Alltag kennt – zu vielen kleinen Bruch-
stücken führen. Entscheidend sind Kollisi-
onsgeschwindigkeit, Aufprallwinkel sowie
Grösse und Beschaffenheit der involvierten
Objekte. Ein wichtiger «Klebstoff» stellt die
Gravitation dar: Durch diese können sich
grosse Objekte relativ einfach vereinigen.

Letzte grosse Kollisionen
prägen einen Planeten
Auch am Ende der Entstehungsphase der
Planeten spielen Kollisionen zwischen den
nun schon fast fertigen Planeten (hier          Eine Momentaufnahme aus der 3D-Simulation: Die Kollision des Asteroiden Vesta mit einem rund
spricht man von «giant collisions») eine        zehnmal kleineren Asteroiden jagt gigantische Massen von Material hoch.

entscheidende Rolle. Die letzten dieser
Kollisionen bestimmen nämlich viele Eigen-      selwirkung mit den Planeten wurden viele        zur Entstehung unseres Sonnensystems
schaften der fertigen Planeten und deren        aus dem Sonnensystem herausgeschleudert.        (siehe Seite 7).
Monde. So wird zum Beispiel die unge-           Ein Teil davon aber schlug in die Planeten
wöhnlich hohe Dichte des Planeten Merkur        und Monde ein, was die heute noch               Kollisionen im Labor und
durch eine späte «giant collision» mit          sichtbaren Krater bezeugen. Andere Klein-       Simulationen am Computer
einem Protoplaneten erklärt. Auch die Ent-      körper haben zwar auch Kollisionen              Einschläge und Kollisionen zwischen
stehung des Erdmonds basiert auf einer          erfahren, aber überlebt; dies sind die          Himmelskörpern spielen also eine funda-
solchen Kollision (möglicherweise ent-          heutigen Asteroiden und Kometen. Diese          mentale Rolle bei der Entstehung und
standen dabei sogar zwei Monde).                Körper haben ihre Zusammensetzung               Entwicklung der Planeten und Kleinkörper
   In der Endphase der Planetenentstehung       seither kaum verändert und stellen sozu-        im Sonnensystem. Das Verständnis der
befanden sich noch unzählige kleinere           sagen das Rohmaterial der Planeten dar. Sie     physikalischen Prozesse solcher Ereignisse
Objekte im Sonnensystem. Durch die Wech-        bergen deshalb unschätzbare Informationen       ist deshalb von enormer Bedeutung.

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Bildung der beobachteten überlappenden
                                                                                                 Krater führten. Diese überspannen
                                                                                                 beinahe die ganze südliche Hemisphäre
                                                                                                 von Vesta. Die Modellierungen zeigen
                                                                                                 Grösse (rund 60 Kilometer Durchmesser),
                                                                                                 Geschwindigkeit (rund 5 Kilometer pro
                                                                                                 Sekunde) und Einschlagwinkel der Körper,
                                                                                                 die mit Vesta kollidierten. Die Simulationen
                                                                                                 können die von «Dawn» gemessene Form
                                                                                                 und Topografie von Vestas südlicher Hemi-
                                                                                                 sphäre gut reproduzieren. Sie können
                                                                                                 deshalb dazu benutzt werden, um Informa-
                                                                                                 tionen über bisher verborgene Eigen-
                                                                                                 schaften von Vesta zu gewinnen. So ver-
                                                                                                 raten die Simulationen zum Beispiel, dass
                                                                                                 das von den Einschlägen ausgeworfene
                                                                                                 Material aus Tiefen von bis zu 100 Kilo-
                                                                                                 metern stammt. Dies erlaubt erstmals,
                                                                                                 Rückschlüsse über die inneren Strukturen
                                                                                                 von Vesta zu ziehen.

                                                                                                 Gab es einen zweiten Erdmond?
                                                                                                 Bereits seit über 50 Jahren ist der Erdmond
                                                                                                 Ziel von Weltraummissionen. Seit den
                                                                                                 ersten Sowjet- und NASA-Missionen, die
Der Mond kollidiert mit einem zweiten, kleinen Mond. Die Computersimulation zeigt, dass es       erstmals Bilder aus einem Mondorbit
mehrere Stunden gedauert haben muss, bis der kleine Mond als dicke Kruste auf der einen Seite    lieferten, hat sich das Datenmaterial ver-
des grossen Monds zurückblieb.
                                                                                                 vielfacht. Diese Daten sind wichtige Grund-
                                                                                                 lagen für die Theorien zur Entstehung und
    In der Abteilung für Weltraumforschung          Die folgenden zwei aktuellen Beispiele       Entwicklung des Mondes. Es wurden auch
und Planetologie der Universität Bern wur-       von solchen Studien konnten kürzlich im         einige merkwürdige Eigenschaften des
den in den vergangenen 15 Jahren nume-           Fachjournal «Nature» publiziert werden.         Mondes entdeckt: etwa die Gegensätzlich-
rische Modelle entwickelt, welche die physi-                                                     keit seiner Topografie zwischen der
kalischen Prozesse einer Kollision nach-         Asteroid Vesta – kleiner Planet                 erdzu- und erdabgewandten Seite. Die
bilden (simulieren). In einer Simulation einer   mit riesigen Kratern                            Vorderseite ist eher flach und wird von
Kollision werden die Differentialgleichun-       Einem Asteroid namens Vesta gilt in der         dunklen Ebenen vulkanischen Ursprungs
gen, welche die involvierten physikalischen      Weltraumforschung besondere Aufmerk-            dominiert, die Rückseite ist geprägt von
Prozesse beschreiben, durch numerische           samkeit: Mit seinen rund 500 Kilometern         hohem Gebirge und tiefen Kratern. Zudem
Integrationsmethoden mit Hilfe von Com-          Durchmesser gehört er zu den drei grössten      ist die Mondkruste auf der Rückseite
putern gelöst. Diese theoretischen Modelle       Asteroiden und wird als Protoplanet             wesentlich dicker als auf der Vorderseite.
werden getestet, indem sie beispielsweise        betrachtet. Zudem ist er der einzige            Die Ursache dieser Asymmetrie ist
mit Einschlagexperimenten im Labor ver-          bekannte Asteroid, der eine erdähnliche         umstritten. In Zusammenarbeit mit
glichen werden. Experimentell können Ge-         Struktur aufweist – mit einem Kern, einem       Forschenden aus Kalifornien wurde kürzlich
schwindigkeiten bis zu etwa 10 Kilometern        Mantel und einer Kruste. Vesta befindet         in Bern eine neue mögliche Erklärung
pro Sekunde erreicht werden; es können           sich im Asteroidengürtel zwischen den           für die Ungleichheit der beiden Seiten
aber natürlich nur Kollisionen zwischen re-      Umlaufbahnen von Mars und Jupiter.              unseres Trabanten erarbeitet: Demnach ist
lativ kleinen Objekten untersucht werden.           Vesta wurde mit dem Weltraumteleskop         ein kleinerer, zweiter Mond rund 100 Milli-
Die theoretischen Modelle hingegen kön-          «Hubble» intensiv beobachtet, kürzlich          onen Jahre nach der Entstehung des Erde-
nen auf allen Skalen angewendet werden           von der Raumsonde «Dawn» der NASA               Mond-Systems mit dem heutigen Erd-
und ermöglichen es, Kollisionen zwischen         besucht und zwischen 2011 und 2012 ein          trabanten kollidiert. Mit Hilfe von
Himmelskörpern (also z. B. Planeten,             Jahr lang umkreist. Bilder im optischen         Computersimulationen konnte gezeigt
Monden oder Asteroiden) zu untersuchen.          Bereich sowie weitere Messdaten lieferten       werden, dass diese relativ langsame Kolli-
    Wenn man nun diese theoretischen             Informationen über die Topografie des           sion nicht zu einer grossen Zerstörung
Modellrechnungen von Kollisionsprozessen         Asteroiden sowie über die Zusammen-             (Krater) führte, sondern dass sich der kleine
mit Beobachtungen von Planeten oder              setzung der Mineralien, die an seiner Ober-     Mond auf einer Seite des Mondes (der
Asteroiden kombiniert, erlaubt dies Rück-        fläche sichtbar sind. Dabei zeigte sich unter   heutigen Rückseite) anlagerte. Dieses
schlüsse auf die Eigenschaften und die Ent-      anderem, dass die schon von Hubble              Szenario könnte die Entstehung der dicken
wicklung der untersuchten Himmelskörper.         beobachtete riesige Vertiefung am Südpol        Kruste und des Hochlands auf der Mond-
Dank Fernbeobachtung und vor allem dank          aus zwei riesigen, teilweise überlappenden      rückseite erklären.
den Weltraummissionen der letzten Jahr-          Kratern besteht.
zehnte steht dafür eine immer grössere              Von diesen Informationen ausgehend,          Kontakt: Dr. Martin Jutzi, Oberassistent am
Menge an wertvollen Daten zur Verfügung          wurde an der Universität Bern mit drei-         Center for Space and Habitability,
(etwa Informationen über die Topografie,         dimensionalen Computersimulationen              Physikalisches Institut, Abteilung für Welt-
Oberflächenzusammensetzung, Dichte oder          gezeigt, wie zwei nacheinander erfolgte         raumforschung und Planetologie,
die Einschlagkraterverteilung).                  Einschläge von Himmelskörpern genau zur         martin.jutzi@space.unibe.ch

                                                                Mission Weltraum                                        UniPress   157/2013     11
12   UniPress   157/2013
Wie LUCA, die Urzelle des Lebens,
enstand
Alle Lebewesen der Erde stammen von einer
gemeinsamen Urzelle ab. Doch unter
welchen Bedingungen entwickelt sich tote
Materie zu Leben? Mit Antworten auf diese
Frage unterstützen Biochemiker die Suche nach
ausserirdischem Leben.

Von Oliver Mühlemann

Woher kommen wir? Wie ist das Leben             tionen in allen drei Domänen des Lebens
entstanden? Plausible Antworten auf diese       (Archaeen, Bakterien und Eukaryonten)
für unser Selbstverständnis und unsere          dieselben sind.
Weltanschauung so zentralen Fragen haben
während der letzten 200 Jahre vor allem         Stammt LUCA von der Erde
die Naturwissenschaften geliefert – allen       oder aus dem All?
voran Charles Darwin mit seiner einfachen,      In 3,5 Milliarden Jahren alten Sedimenten
eleganten und x-tausendfach bestätigten         haben Geologen Ablagerungen gefunden,
Evolutionstheorie. Sie erklärt schlüssig, wie   die von Cyanobakterien ähnlichen Organis-
sich die heutige Vielfalt an Lebewesen aus      men stammen: Dies deutet darauf hin, dass
gemeinsamen, identischen Urzellen ent-          es bereits damals einzellige Lebensformen
wickelte: Durch einen sich wiederholenden       gab, die wahrscheinlich Photosynthese
Prozess von kleinen Veränderungen in            betrieben. Das ist bemerkenswert früh in
einigen Nachkommen dieser Urzellen, bei         der Erdgeschichte, wenn man sich ver-
welchem jeweils diejenigen Formen über-         gegenwärtigt, dass die Erde sich vor etwa
lebten, die sich in ihrer Umgebung am           4,6 Milliarden Jahren aus einer glühenden
besten vermehren konnten.                       Gaskugel zu bilden begann. Erst vor rund
    Noch weit weniger klar ist hingegen, wie    4 Milliarden Jahren war diese genügend           Meteoriten brachten vor rund vier Milliarden
                                                                                                 Jahren anderswo entstandene organische Mole-
diese Urzelle entstand, die in der Fachwelt     abgekühlt, dass sich auf der Oberfläche          küle auf die Erde; im Bild ein Stück des 1969 in
LUCA heisst: «Last Universal Common             eine feste Kruste bildete und schliesslich       Autralien gelandeten «Murchinson-Meteoriten».
Ancestor», also «letzter gemeinsamer
Vorfahre». Diskutiert werden mehrere
Szenarien. Ich beschreibe hier jenes, das
gegenwärtig unter den Experten den
grössten Konsens geniesst.
    Bevor wir aber über den Ursprung des
Lebens diskutieren können, müssen wir
definieren, was wir mit «Leben» überhaupt
meinen. Lebende Materie (z. B. Bäume,
Bakterien oder Menschen) unterscheidet
sich von abiotischer Materie (z. B. Mine-
ralien, Wasser, Luft) dadurch, dass sie sich
selber replizieren kann. Dies setzt erstens
ein Genom voraus (also ein Informations-
speichersystem) und zweitens einen Stoff-
wechsel. Dafür muss sich diese minimale
Lebenseinheit von der Umgebung, mit der
sie Stoffe austauscht, abgrenzen, was in
allen uns bekannten Lebensformen durch
eine sogenannte Lipidmembran geschieht.
Sobald wir ein solches selbstreplizierendes
System haben – und sei es auch noch so
primitiv –, setzt die oben beschriebene
darwinsche Evolution ein. Doch warum sind
wir Naturwissenschaftler eigentlich so
sicher, dass alles heute bekannte Leben
einen gemeinsamen Ursprung hat? Weil die
zentralen Moleküle des Lebens, der gene-        Gleichzeitig entstanden beispielsweise bei Unterwasser-Vulkanausbrüchen auch auf der Erde orga-
tische Code und die chemischen Reak-            nische Moleküle.

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das Wasser kondensieren konnte, das            Biomoleküle entstehen spontan                   Verbindungen vor rund 4 Milliarden Jahren
während der darauffolgenden 200 Milli-         und vielerorts                                  während des 200 Millionen Jahre andau-
onen Jahre durch unzählige Meteoriten-         Für die Frage, wie aus abiotischen chemi-       ernden intensiven Meteoriten-Bombarde-
einschläge auf die Erde transportiert wurde.   schen Reaktionen LUCA entstanden sein           ments zur Erde kamen.
Somit waren die Umweltbedingungen,             könnte, spielt es nur eine untergeordnete
die Leben auf der jungen Erde ermöglich-       Rolle, ob dieser Vorgang auf der Erde oder      Biomoleküle verketten sich
ten, erst vor 3,8 bis maximal 4 Milliarden     anderswo stattgefunden hat. Erste experi-       zu RNA-Makromolekülen
Jahren gegeben – und nach geologischen         mentelle Hinweise zur möglichen Ent-            Diese einzelnen Lebensbausteine lagerten
Zeitmassstäben bereits «kurz» danach gab       stehung von LUCA haben Stanley Miller           sich in der Folge an Oberflächen von
es auf der Erde einzellige Organismen.         und Harold Urey in den 1950er Jahren mit        Tonmineralien an, wodurch sich ebenfalls
    Dies lässt zwei verschiedene Interpreta-   ihrem inzwischen weltberühmten                  spontan erste Makromoleküle bilden
tionen zu: Entweder konnte LUCA relativ        «Ursuppen»-Experiment geliefert. Dabei          konnten. In Laborversuchen konnten
rasch hier auf der Erde aus vorhandenen        simulierten sie in einem geschlossenen          beispielsweise an der Oberfläche von Mont-
organischen Verbindungen entstehen.            System im Labor die Bedingungen, die            morillonit (Lavaerde) aus aktivierten Ribo-
Oder LUCA entstand bereits früher wo-          wahrscheinlich vor 4 Milliarden Jahren auf      nukleotiden, den Bausteinen für Ribo-
anders im Universum und ist mit einem          der Erde herrschten: Wasser (H2O) und eine      nukleinsäuren (RNA), Ketten mit bis zu
Meteoriten hierher gekommen. Die zweite        reduzierende Atmosphäre bestehend aus           50 Nukleotiden polymerisiert werden. RNA
Interpretation hatte in den 1960er Jahren      Wasserstoff (H2), Schwefelwasserstoff (H2S),    ist diejenige Makromolekülsorte, die bei der
viele Anhänger, weil man damals davon          Ammoniak (NH3), Kohlenmonoxid (CO) und          Entstehung des Lebens wahrscheinlich die
ausging, dass die Entstehung von LUCA          Stickstoff (N2). Um die damalige andauern-      Schlüsselrolle gespielt hat: Denn diese
ein extrem unwahrscheinliches Ereignis         de Vulkantätigkeit und die gewaltigen           linearen Ketten aus vier verschiedenen,
gewesen sein müsse, da viele verschiedene      Gewitterstürme zu simulieren, wurde das         durch Phosphodiester verknüpften Ribo-
zufällige Prozesse gleichzeitig am gleichen    Wasser in einem Kreislauf verdampft und         nukleosiden (Adenosin, Guanosin, Uridin
Ort hätten stattfinden müssen. Demnach         wieder kondensiert, und mittels Elektroden      und Cytidin) können sowohl genetische
sei es wahrscheinlicher, dass dies früher      wurden in der Gasphase Blitze erzeugt.          Information speichern als auch als Enzyme
woanders im Universum geschehen sei als        Nachdem Miller und Urey ihr Experiment          funktionieren. In allen heutigen Lebewesen
in einem Zeitfenster von nur 300 Millionen     eine Weile laufen gelassen hatten, analy-       hat die chemisch sehr ähnliche, aber
Jahren auf der Erde.                           sierten sie ihre Ursuppe und fanden darin       stabilere Desoxyribonukleinsäure (DNA) die
    Heute überwiegt die Meinung, dass die      eine Vielzahl von organischen Molekülen,        Funktion als Speicher der genetischen
Entstehung von Leben wenig mit einem           unter ihnen viele Bausteine der drei für alle   Information übernommen, nur einige Viren
glücklichen Zufall zu tun hat, sondern auf-    heutigen Organismen zentralen Makro-            haben auch heute noch ein RNA-Genom
grund der chemischen und physikalischen        molekülsorten (Nukleinsäuren, Proteine          (z. B. HIV und das Grippevirus). Die enzyma-
Eigenschaften der Materie unweigerlich         und Lipide).                                    tischen Aktivitäten werden in heutigen
geschieht, sobald erstens flüssiges Wasser,        Das Ursuppenexperiment stützt somit         Zellen grösstenteils von Proteinen abge-
zweitens eine Reihe von organischen Mole-      die Hypothese, dass sich auf der frühen         deckt, aber einige ganz alte und zentrale
külen und drittens anorganische Ober-          Erde spontan die zentralen Bausteine des        enzymatische Reaktionen wie etwa die
flächen wie etwa Lehm vorhanden sind, die      Lebens (Aminosäuren, Fettsäuren, Purine         Proteinsynthese werden auch heute noch
als Katalysatoren chemische Reaktionen         und Zucker) aus einfachen anorganischen         durch RNA katalysiert, was ebenfalls
begünstigen. Auf dieser heutigen Sicht-        Verbindungen bilden konnten. Ob dies nun        darauf hindeutet, dass LUCA und seine
weise gründet auch die Hypothese, dass         eher bei Unterwasservulkanausbrüchen            ersten Nachkommen RNA-Enzyme (soge-
Leben mehrfach im Weltall entstanden sein      oder in langsam austrocknenden seichten         nannte Ribozyme) und noch keine
muss und immer wieder entsteht. Am             Lagunen geschah, macht keinen wesent-           Proteinenzyme hatten.
Center for Space and Habitability (CSH) der    lichen Unterschied. Zudem zeigen chemi-
Universität Bern sucht man deshalb gezielt     sche Analysen von Meteoriten, dass diese        RNA-Moleküle kopieren sich selbst
mit spektroskopischen Methoden nach            ebenfalls viele organischen Moleküle bein-      Das klassische «Huhn-Ei»-Problem der
Signaturen von Leben (z. B. einer sauer-       halten. Das belegt erstens, dass diese Mole-    Genomreplikation, nämlich dass die Repli-
stoffhaltigen Atmosphäre) bei Exoplaneten,     küle auch andernorts im Universum ent-          kation des Genoms ein Enzym benötigt, das
die sich in der sogenannten «habitablen        stehen, und deutet zweitens darauf hin,         im Genom selber kodiert sein muss, wird
Zone» befinden (siehe Seite 23).               dass ein beträchtlicher Teil der organischen    durch RNA mit seiner Doppelfunktion als

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Informationsspeicher und Enzym auf             einer solchen Lipiddoppelmembran um-            Die aufmerksame Leserin hat es wohl
elegante Weise gelöst. Man kann sich also      geben war. Die dazu nötigen Fettsäuren          erkannt: Wir haben nun bereits eine
das einfachste selbstreplizierende System      wurden auf der jungen Erde durch Vulkan-        Urzellenpopulation, die sich nach dem
als ein RNA-Molekül denken, das die Fähig-     tätigkeit gebildet oder durch Meteoriten        klassischen darwinschen Evolutions-
keit hat, aus Ribonukleotiden eine Kopie       aus dem All gebracht.                           mechanismus immer weiter entwickeln
von sich selbst zu synthetisieren. Verschie-       Da die Fettsäuren nicht wasserlöslich       kann. Ein paar dieser veränderten Kopien
dene Experimente haben die Hypothese,          sind, bilden sie eine Schicht auf der Wasser-   konnten plötzlich nicht nur sich selber
dass Leben mit RNA-basierten Systemen          oberfläche von der Dicke eines Moleküls,        kopieren, sondern auch andere RNA-Mole-
begonnen habe, in den letzten Jahren           aus der sich durch Bewegung des Wassers         küle, die sich zufälligerweise in derselben
gestützt, so dass diese Theorie in der Fach-   (z. B. durch Rühren im Labor oder durch         Mizelle befanden, was ungeahnte neue
welt heute breit akzeptiert ist.               einen Geysirausbruch auf der jungen Erde)       Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete.
    Zu unserer eingangs erwähnten Defini-      wassergefüllte Kügelchen mit einer aus          Spätestens ab diesem Zeitpunkt war die
tion von «Leben» gehört aber nebst der         Fettsäuren gebildeten Doppelmembran-            Entwicklung von immer komplexeren Zellen
Fähigkeit zur Selbstreplikation auch noch      Hülle bilden. Wenn nun solche soge-             in vollem Gang.
ein Stoffwechsel. Deshalb würden wir eine      nannten Mizellen zufälligerweise ein oder
sich selbst replizierende RNA noch nicht als   mehrere RNA-Moleküle mit einer enzyma-          LUCA setzt sich durch
Lebewesen anerkennen, und aus dem-             tischen Funktion enthalten, haben wir eine      Man kann es kaum genug hervorheben:
selben Grund gelten Viren auch nicht als       Urzelle mit einem Stoffwechsel.                 Das hier beschriebene Szenarium ist keine
lebendig. Die wichtige Erkenntnis ist hier,                                                    Aneinanderreihung vieler höchst unwahr-
dass die Grenze von dem, was wir als           Überall füllen sich Tümpel                      scheinlicher Ereignisse, sondern hat sich auf
lebendig bezeichnen, willkürlich und von       mit Leben                                       der jungen Erde wahrscheinlich tausend-
unserer Definition des Begriffs «Leben»        Mizellen sind dynamische Gebilde: Sie           wenn nicht millionenfach abgespielt und
abhängig ist, dass aber der Übergang von       können durch Einlagerung zusätzlicher Fett-     spielt sich auch jetzt immer noch überall im
abiotischen Prozessen zu ersten Urzellen       säuren wachsen. Zwei Mizellen, die zu-          Universum ab, wo die Bedingungen für die
eine graduelle Entwicklung darstellt.          sammenstossen, können zu einer grossen          beschriebenen chemischen Prozesse
                                               Mizelle fusionieren, wobei ihre Inhalte         gegeben sind (auch auf der Erde). Aber ab
Molekül landet in Wasserkügelchen              gemischt werden. Und wenn eine Mizelle          einem bestimmten Zeitpunkt war eine
mit Fettsäurenhülle                            eine gewisse Grösse erreicht hat, bei der       dieser Urzellenpopulationen so erfolgreich,
Ein Stoffwechsel bedingt, wie bereits          die Oberflächenspannung der Membran zu          dass sie alle anderen anfänglich noch
erwähnt, die Abgrenzung unserer ent-           gross wird, dann teilt sie sich spontan in      existierenden, aber etwas weniger fitten
stehenden Urzelle von der Umwelt. Erst         kleinere Mizellen auf.                          Populationen verdrängt hatte und auch
eine Barriere, die einen von der Umwelt           Es braucht jetzt nicht mehr viel Fantasie,   sich immer wieder neu entwickelndes
abgetrennten Innenraum schafft und somit       um sich vorzustellen, wie vor fast 4 Milliar-   Leben gegen diese bereits weiterent-
die freie Diffusion von Molekülen ver-         den Jahren in einem Tümpel mit genügend         wickelten Zellen keine Chance mehr hatte.
hindert, ermöglicht die lokale Anreicherung    Fettsäuren und Ribonukleotiden eine sich        Diese erfolgreiche Population war LUCA,
und Abreicherung von verschiedenen Stoff-      selbstreplizierende RNA in einer Mizelle        der gemeinsame Vorfahre allen uns
wechselprodukten. Damit haben wir die          landete, sich dort drin vermehrte und durch     bekannten Lebens.
Zelle als Grundeinheit des Lebens definiert.   fortlaufende Teilung der Mizellen der
Da alle heutigen Zellen sich von der           Tümpel sich schliesslich mit immer mehr         Kontakt: Prof. Dr. Oliver Mühlemann,
Umwelt durch eine Doppelmembran aus            Mizellen mit selbstreplizierenden RNA-          Departement für Chemie und Biochemie,
wasserabstossenden Fettsäuren mit gegen        Molekülen füllte. Die Replikation der RNA       Mitglied im wissenschaftlichen Ausschuss des
aussen und innen gerichteten wasser-           war nicht sehr genau und es passierten bei      Center for Space and Habitability,
löslichen Kopfgruppen abgrenzen, können        vielen Kopiervorgängen immer wieder klei-       oliver.muehlemann@dcb.unibe.ch
wir davon ausgehen, dass auch LUCA von         nere Veränderungen in der RNA-Sequenz.

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Auf den Spuren von flüssigem Wasser
Einst gab es auf dem Mars so viel Wasser, dass
sich ganze Tal-Netzwerke bildeten. Heute versteckt
es sich als Eisschicht an den Polen und im
Boden. Doch nun deuten Versuche von Berner
Forschern darauf hin, dass an gewissen Stellen
noch immer Wasser auf der Oberfläche fliesst.
Enthält es gar Leben?

Von Nicolas Thomas und Antoine Pommerol

Leonardo da Vinci soll einst gesagt haben:
«Wasser ist die treibende Kraft der ganzen
Natur.» Leben kann gemäss heutigem
Wissen unter den folgenden vier Voraus-
setzungen entstehen und sich entwickeln:
Erstens müssen die notwendigen chemi-
schen Bausteine zur Verfügung stehen.
Zweitens braucht es ein flüssiges Medium,
das diese transportiert. Drittens muss
Energie zur Verfügung stehen, die das
Medium flüssig hält und Bewegungen
sowie chemische Reaktionen fördert.
Schliesslich muss das Umwelt-System für
einen längeren Zeitraum stabil sein – mögli-
cherweise für Hunderte von Millionen
Jahren (siehe dazu Seite 13). Das erste
«flüssige Medium», das einem in den Sinn
kommt, ist Wasser. Dies entspringt unserer
Erfahrung auf der Erde, aber Wasser ist
auch anderswo in unserem Sonnensystem
verbreitet. Es ist in einem weiten Tempera-
turbereich flüssig. Es ist ein ziemlich stabiles
Molekül, aber gleichzeitig ist es polar – das
hilft, andere chemische Stoffe aufzulösen:
eine nützliche Eigenschaft. Wasser ist also
ein ideales flüssiges Medium für Leben.
    Die Erde erfüllt offensichtlich alle vier
Anforderungen für Leben – aber wohl nicht
nur sie: Es ist praktisch bewiesen, dass der
Jupitermond «Europa» die Bedingungen
zurzeit ebenfalls erfüllt; auch hier ist das       Die dunklen Spuren an Steilhängen auf dem Mars könnten von flüssigem Salzwasser stammen.
flüssige Medium Wasser. Der Saturnmond
«Enceladus» ist ein weiterer Kandidat. Der
grösste Saturnmond «Titan» erfüllt die             «Mars Global Surveyor» (1996), bestätigten      flächentemperaturen an den Polen deutlich
Kriterien ebenfalls – doch in diesem Fall          die Existenz von Tal-Netzwerken und             unter dem Gefrierpunkt, so dass dieses Eis
handelt es sich bei der Flüssigkeit um             tropfenförmige Inseln, die möglicherweise       unter den heutigen Bedingungen nicht
Methan. Und was ist mit unserem Nachbar-           durch Überschwemmungen gebildet                 schmelzen kann.
planeten Mars?                                     wurden. Aber welche Flüssigkeit war
                                                   dafür verantwortlich – und wo ist sie hin?      Marsboden ist voller Wasser
Einst gab es Flüsse und Inseln                        Heute ist bekannt, dass an den Mars-         Deshalb war die Überraschung und auch
Seit der «Mariner 9»-Mission in den frühen         Polen Wassereis vorhanden ist. Am Nordpol       die Freude gross, als die Neutronen-Spek-
1970er Jahren ist bekannt, dass die Ober-          bildet es eine drei Kilometer dicke Ab-         trometer der «Mars Odyssey»-Sonde grosse
fläche des roten Planeten irgendwann in            lagerung, die jeden Marswinter von einer        Mengen von unterirdischem Wasserstoff
der Vergangenheit durch Ströme von                 temporären Schicht aus CO2-Eis überdeckt        nachweisen konnten, von dem auf Wasser
Flüssigkeit erodiert wurde. Spätere Abbil-         wird. Aber diese Wassermengen reichen           geschlossen werden kann. Dieses Wasser,
dungen, aufgenommen mit hochauf-                   wahrscheinlich nicht aus, um die beobach-       das sich aufgrund der verwendeten Technik
lösenden Kameras auf den «Viking»-                 tete Morphologie der Planetenoberfläche         im ersten Meter der Oberflächenschicht
Missionen (Ende der 1970er Jahre) und              zu erklären. Ausserdem liegen die Ober-         befinden muss, ist über den grössten Teil

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des Planeten verteilt. Diese Erkenntnis steht        Wasser ist also auf weiten Teilen der      dass sie den Gefrierpunkt von Wasser
im Einklang mit den Mustern vieler Krater-       Mars-Oberfläche vorhanden – und das in         senken und die Helligkeit der beobachteten
auswürfe, die auf Meteoriten-Einschläge in       teilweise überraschend reiner Form. Aber       Oberflächen beeinflussen. Dies würde auch
eine volatile Oberfläche schliessen lassen.      wird flüssiges Wasser nur durch Meteo-         erklären, warum Flüssigkeit gebildet wird,
Dies ist insbesondere deshalb interessant,       riteneinschläge erzeugt? Wahrscheinlich        obwohl die Temperatur an den Standorten,
weil Wasser auch rund um den Äquator             nicht. Wir haben unterdessen Hinweise          wo RSL am häufigsten auftreten, unter dem
vorkommt, wo die Temperatur an der               darauf, dass flüssiges Wasser auch heute       Gefrierpunkt liegt.
Marsoberfläche im Sommer tagsüber über           noch regelmässig auf der Oberfläche des
den Gefrierpunkt steigt. Aber welche Form        Mars auftritt – man muss nur an der rich-      Gibt es auch Leben?
hat dieses Wasser?                               tigen Stelle suchen!                           Als Wissenschaftler sind wir grundsätzlich
    Die jüngsten Missionen zum Mars waren            HiRISE hat eine Reihe von flüchtigen       «Nicht-Gläubige»! Trotzdem werden wir
mit Bildgebungs-Spektrometern ausge-             Spuren beobachtet, die sich im Laufe der       unsere fotometrischen Experimente auf
rüstet, die hoch aufgelöste Bilder im infra-     Jahreszeiten verändern. Sie sind sehr          weitere abiotische und auf biotische or-
roten wie im sichtbaren Bereich lieferten.       schmal (50 Zentimeter bis 5 Meter breit)       ganische Stoffe ausweiten. Denn falls
Diese zeigen, dass viele Gebiete auf dem         und befinden sich an steilen Südhängen am      die Wasserflüsse, die wir auf dem Mars
Mars (einschliesslich des Landeplatzes des       Äquator (bis zum 25. Breitengrad). Sie         gesehen haben, etwas Lebendiges
aktuellen «Curiosity Rover») reich an            bilden sich im späten Frühjahr, wachsen im     enthalten, wollen wir wenn immer möglich
wasserhaltigen Tonerden sind, die früh in        Sommer und verschwinden im Winter,             in der Lage sein, dies zu erkennen. Und
der Geschichte des Mars gebildet wurden.         wobei sie manchmal eine etwas hellere          selbst wenn Mars tot ist: Wir werden in
Zudem haben bildgebende Verfahren kürz-          Fläche hinterlassen. Sie sind dünn, können     absehbarer Zukunft keine Oberfläche eines
lich gezeigt, dass relativ reines Wassereis in   aber Hunderte von Metern lang sein. An         anderen Objekts besuchen – weder in die-
einigen Bereichen auch unmittelbar unter         einem Standort können Dutzende dieser          sem Sonnensystem noch in einem anderen.
der Oberfläche vorhanden sein muss.              dunklen Markierungen auftreten. Sie            Somit bleiben als einzige Möglichkeiten,
                                                 erscheinen jedes Frühjahr an den gleichen      ausseridisches Leben zu finden, foto-
Wasser auch auf der Oberfläche                   Stellen, sobald die Temperaturen etwa          metrische und spektroskopische Mittel.
Das «High Resolution Imaging Science             minus 20 Grad Celsius erreichen. Die              Im August 2010 wählten die NASA und
Experiment» (HiRISE) ist im Grunde eine          logischste Erklärung ist, dass diese Markie-   ESA die Instrumente für eine neue Mission
Spion-Kamera, die den Mars umkreist. Sie         rungen – bekannt unter dem eher tech-          zum Mars aus, genannt «ExoMars Trace
kann 50 Zentimeter grosse Objekte aus            nischen Namen «Recurring Slope Lineae»         Gas Orbiter» (TGO). Eines der ausge-
250 Kilometern Höhe in Farbe und mit ein         (RSL) – Spuren von flüssigem Wasser aus        wählten Instrumente ist eine hochauf-
paar Tricks auch dreidimensional abbilden.       salzigen Schmelzwasser-Quellen sind.           lösende Stereo-Farbkamera unter der
Sie ist auf der NASA-Sonde «Mars Re-                                                            Leitung der University of Arizona mit der
connaissance Orbiter» (MRO) montiert. Die        Laborversuche mit simulierter                  Universität Bern als wichtiger Partnerin. Sie
Universität Bern ist das einzige europäische     Mars-Oberfläche                                sollte dynamische Prozesse auf der Ober-
Forschungsinstitut im HiRISE Team.               Das Team der Uni Bern ist an diesen            fläche des Planeten sowie das entdeckte
   Wie die Erde wird auch der Mars häufig        Studien stark beteiligt. Wir haben mit         flüssige Wasser und das Oberflächeneis
von Meteoriten getroffen. Dies ermöglicht        unserem Fotogoniometer-Experiment              weiter untersuchen. Anfang 2012 zog aller-
uns, die durch die Einschläge verletzte          (PHIRE-2) die Reflexionseigenschaften von      dings die NASA die Finanzierung für all
Oberflächenschicht des roten Planeten zu         diversen wasserbenetzten Oberflächen           seine Instrumente auf TGO zurück und die
untersuchen. HiRISE hat mehrere frische          gemessen, wie sie auf dem Mars vor-            Universität Bern wurde gebeten, die
Einschläge beobachtet und dabei etwas            kommen. Die dafür verwendeten Stoffe mit       Führung des Projekts zu übernehmen.
Bemerkenswertes entdeckt: Die Innenräume         ähnlichen Eigenschaften wie Mars-Böden            Das bildgebende System, das so
dieser frischen Krater sind insbesondere auf     stammen meist aus Hawaii. Wir vergleichen      genannte «CaSSIS» (Colour and Stereo
der Nordhalbkugel flach und, im Vergleich        die Resultate mit den Messungen der            Surface Imaging System), wird nun in
zum Rest der Oberfläche, relativ blau. In        HiRISE-Kamera.                                 Zusammenarbeit mit der italienischen
einigen Fällen ist eine helle weisse Ablage-        Seit Kurzem setzen wir auch eine            Raumfahrtagentur entwickelt und soll im
rung um den Kraterrand sichtbar. Beobach-        Infrarot-Kamera ein, um einem grossen          März 2016 starten. Eines der Hauptziele
tungen mit Infrarot-Spektrometern zeigen,        Rätsel auf die Spur zu kommen: Während         von CaSSIS wird sein, RSL und andere dyna-
dass es sich dabei um Wassereis handelt.         die RSL alle Eigenschaften von flüssigem       mische Phänomene im Zusammenhang mit
   Daraufhin haben wir in Bern diese Mete-       Wasser zu haben scheinen, hat das Infrarot-    Wasser auf der Oberfläche des Roten
oriten-Einschläge am Computer simuliert –        Spektrometer «CRISM» an Bord der MRO           Planeten zu untersuchen.
mit interessanten Ergebnissen: Es stellte        bisher keine der Infrarot-Absorbtionseigen-
sich heraus, dass deren Druck ausreicht, um      schaften zeigen können, die man von einer      Weitere Informationen: Mars Reconnais-
den Zustand des Wassers von «fest» in            nassen Oberfläche erwarten würde. Dies ist     sance Orbiter: http://mars.jpl.nasa.gov/mro;
«flüssig» zu verändern. Mit anderen Wor-         natürlich eine Herausforderung für unsere      HiRISE: http://hirise.lpl.arizona.edu;
ten wird bei einem Meteoriten-Einschlag          Theorie. Allerdings beobachten wir derzeit     CRISM: http://crism.jhuapl.edu
relativ reines flüssiges Wasser erzeugt, das     im Labor, dass simulierte Mars-Oberflächen,
sich für kurze Zeit – typischerweise mehrere     die benetzt waren und dann wieder trock-       Kontakte: Prof. Dr. Nicolas Thomas,
Tage – auf der Oberfläche befindet. Je           neten, leicht veränderte lichttechnische       nicolas.thomas@space.unibe.ch;
grösser ein Einschlag, desto grösser ist das     Eigenschaften aufweisen können. Darüber        Dr. Antoine Pommerol,
entstehende Gewässer und desto länger            hinaus scheint die Anwesenheit von Salzen      antoine.pommerol@space.unibe.ch
bleibt es erhalten, bevor es einfriert und/      von entscheidender Bedeutung zu sein.          Beide sind am Physikalischen Institut,
oder verdampft. Die beobachteten flachen,           Wir wissen unterdessen, dass auf dem        Abteilung Weltraumforschung und
relativ blauen Krater-Innenräume entstehen       Mars Chloride und Sulfatsalze existieren –     Planetologie (WP) sowie am Center for Space
durch das Gefrieren der Flüssigkeit.             und diese Chemikalien sind bekannt dafür,      and Habitabilty (CSH) tätig.

20   UniPress   157/2013                                      Mission Weltraum
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