Gestaltungswille - Donau-Universität Krems
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ISSN 1862-4154 Preis: € 5,– Ausgabe 4.17 Gestaltungswille S C H W E R P U N K T: S Y S T E M & E N T S C H E I D U N G W A R U M E S L O H N T, S E L B S T Z U H A N D E L N – T R OT Z A L G O R I T H M E N , K O M P L E X I T Ä T U N D R I S I K O
BILD: MORD IM ORIENT EXPRESS (CENTFOX) das programmkino in krems Aktuelle Filmhighlights / Kinderfilme / Filmfrühstücke / Open Air-Kino / Spielfilme / Dokumentarfilme / Filmklassiker / Filmgespräche / Live-Konzerte und vieles mehr! kinoimkesselhaus.at kino im kesselhaus, am campus krems, Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, A-3500 Krems, E-Mail: tickets@filmgalerie.at, T. 02732/90 80 00
UPGRADE 3 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, wenn wir 2018 die Gründung der Ersten Republik vor hundert Jahren feiern, dann erinnert dieses Jubiläum auch an eine politische Entscheidung, die zu einem wesentlichen System- wandel in Österreich geführt hat: von der jahrhundertelangen Monarchie hin zu einer Demokratie. Quer durch die Geschichte mussten Entscheiderinnen und Entscheider jeweils die Folgen und die Reichweite ihres Handelns abwägen. Dabei die Rele- vanz von Systemen zu beachten ist angesichts des im histori- schen Vergleich exponentiellen Vernetzungsgrades heute viel- leicht wichtiger denn je. Doch auch wenn uns nun gegenwärtig mehr Daten und Informationen zur Verfügung stehen, stellt sich stets auch die Frage nach der Validität. Zwei weitere Fak- toren sind ebenso zu bedenken: die jeweiligen Konstellationen MAG. FRIEDRICH von Interessenlagen in ihrer Wirkung auf Entscheidungen und FAULHAMMER immer auch der Zufall. Seine Regie hat schon oft die ganze Rektor der Welt von einem Moment auf den anderen verändert. Donau-Universität Krems Die aktuelle Ausgabe von upgrade mit dem Schwerpunkt System und Entscheidung beleuchtet, wie Data Science politi- sche Weichenstellungen unterstützen kann, gibt Einblick in das Management von Wissen, legt offen, wonach Wählerinnen und Wähler wirklich entscheiden, diskutiert, welche Optionen Poli- tik in Verfassungskrisen wie zuletzt in Spanien bzw. Katalonien hat, thematisiert die Entscheidungsmechanismen im Machtzen- trum der EU und zeigt, wie sich unterschiedliche Ansätze von Führungsverständnis auf das System eines Unternehmens aus- wirken. Die Bildstrecke illustriert in diesem Zusammenhang einige Momente zu Systemen und historischen Entscheidungen, vom Vertrag z wischen Columbus und der spanischen Königin, der zur Entdeckung Amerikas führte, bis zur legendären Pressekonferenz Günter Schabowskis, die den frühzeitigen Fall der Berliner Mauer brachte. Alle Ausgaben von upgrade Viel Freude bei der Lektüre wünscht gibt es auch im Internet: Foto: Donau-Universität Krems/Reischer www.donau-uni.ac.at/upgrade Ihr Friedrich Faulhammer upgrade 4 /2017
_WENDEPUNKTE BALLHAUSSCHWUR Am 20. Juni 1789 fand sich der dritte Stand im Ballhaus des Königs ein, nachdem sich die zugehörigen Bauern und Bürger drei Tage zuvor zur N ationalversammlung erklärt hatten. Dort leisteten sie den Schwur, „sich niemals zu trennen, bis der Staat eine Verfassung hat […] und nur der Gewalt der Bajonette zu weichen“. Es folgte die Erklärung zur Verfassungsgebenden Versammlung. Was danach kam: die Erstürmung der Bastille, der Sturz des Ancien Régime und der weitere Verlauf der Französischen R evolution, die unter anderem die Deklaration der Menschenrechte hervorbrachte.
5 Inhalt Schwerpunkt: System & Entscheidung 3 Editorial 18 Im Fokus 49 Kunst & Kultur 50 Campus Krems 52 Trends & Termine 7 Kommentar: Was Caspar Einem meint 53 Bücher System und Entscheidung 54 Vorschau/Impressum 9 Die Verheißung der Datenspur Ist die Zeit reif für Politik durch Big Data? 15 Ein Werkzeugkasten für das Wissen Im Gespräch mit Gerald Steiner 21 Nix ist fix Warum wir wählen wie wir wählen 25 Entscheiden in Verfassungskrisen Wenn Politik und Rechtsstaat kollidieren 31 Fotos: Cover: Eugène Delacroix, Die Freiheit führt das Volk; Jacques-Louis David, Le Serment du Jeu de paume Das Ufo auf den Boden holen Stärkung einer europäischen Öffentlichkeit 35 Am Weg zur krisensicheren Gesellschaft Entscheidungen zur Vermeidung des Systemkollapses 39 Die bunte Seite der Macht Ruf nach neuen Machtstrukturen Manche Momente des Weltlaufs werden zu Mei- 42 Was forschen Sie? lensteinen der Geschichte. Lukas Zenk weiß, was Teams erfolgreich macht Sie markieren gravierende Veränderungen, die Er- 46 Alumni-Porträt schütterung der Macht, Die ORF-Journalistin Margit Veigl Abschluss oder Beginn einer neuen Ära. Die Bild- strecke „Wendepunkte“ hat 48 Alumni-Club Redaktionsstube, ganz exklusiv einige davon eingefangen. Idee und Konzeption: DLE Kommunikation & Wissenschaftsredaktion der Donau-Universität Krems upgrade 4 /2017
_WENDEPUNKTE WESTFÄLISCHER FRIEDE 30 Jahre Religionskrieg in Europa und 80 Jahre Unabhängigkeitskrieg der Niederlande wurden durch die als Westfälischer Friede bezeichneten Abkommen, wie hier jenes in Münster am 15. Mai 1648 unterzeichnete, beendet. Der Westfälische Friede schuf eine e uropäische Friedensordnung gleichberechtigter S taaten. Was möglicherweise nicht allen Delegierten bewusst war: Die Verträge bildeten die Grundlage des erstmals aufkommenden souveränen Nationalstaats und führten zur Heraus bildung des modernen Völkerrechts.
MEINUNG 7 System und Entscheidung Politik braucht eine rationale Entscheidungsgrundlage. Das erfordert das Anhören unterschiedlicher Haltungen und Vertrauen in die eigene rationale Urteilsfähigkeit. Kommentar von Caspar Einem m Grunde sind die Voraussetzungen kennen zu lernen, mit potentiell Betroffenen für gute Entscheidungen in Unter- zu reden und ihre Einschätzung zu hören. nehmen oder in der Politik die glei- Kurz: sich gesellschaftlich zu vernetzen. Und chen. Was die Entscheidungen den- einen persönlichen Eindruck zu gewinnen. noch deutlich unterscheidet, ist, dass Und schließlich selbst ein möglichst be- politische Entscheidungen sehr viel mehr gründbares Urteil, eine möglichst rationale Abstimmung mit Vertretern unterschiedlichs- Entscheidung zu fällen. In allen meinen CASPAR EINEM ter Gruppen und Interessen in und außer- Tätigkeiten, in denen ich Entscheidungen zu halb der eigenen politischen Partei und der treffen hatte, hat es sich dann auch noch Dr. Caspar Einem fungierte von 1997 bis 2000 als Politik insgesamt erfordern. Das macht es bewährt, dort Zurückhaltung zu üben, wo Wissenschaftsminister und mitunter etwas langwieriger oder mitunter ich die gewünschte Entscheidung nicht ver- davor als Innenminister. auch uneindeutig im Ergebnis. Zu viel Kom- stehen konnte, nicht nachvollziehen konnte, Als Abgeordneter zum promiss. Am dramatischsten zeigt sich das bei warum gerade diese Entscheidung das Pro- Nationalrat war er bis Entscheidungen der europäischen Ratsforma blem lösen können sollte. Das heißt auch, der 2007 als Europasprecher tionen. Dort müssen jeweils die vielfach diver eigenen rationalen Urteilsfähigkeit ein Stück der SPÖ. Er war Mitglied gierenden Interessen von 28 Staaten unter weit v ertrauen, jedenfalls dann, wenn die im Europäischen Grund- rechts- und Verfassungs- einen Hut gebracht werden. Das ist wie Regie Gründe für eine Entscheidung nicht einleuch- konvent. Derzeit übt der ren mit 28 unterschiedlichen Parteien. Dabei ten. Das hilft, schwere Fehler zu vermeiden. Jurist die Funktion des ist es zu zweit schon ganz schön mühsam, Eine Gewähr für ausschließlich richtige, Vizepräsidenten des Euro- sich zu verständigen. In einem Unternehmen rational begründete Entscheidungen gibt es päischen Forums Alpbach zu entscheiden ist eindeutig einfacher. nicht. und des Instituts für Auf welcher Basis sollen Entscheidungen Wie soll die Ausbildung dazu beitragen, Höhere Studien (IHS) Fotos: Gerard Terborch, Rijksmuseum Amsterdam; Einem © Privat in Zeiten rascher Veränderungen und un bessere Voraussetzungen für gutes Entschei- sowie die Präsidentschaft des Österreichischen über sichtlicher Informationslage getroffen den zu schaffen? Gerade im universitären Instituts für Internationale werden? Klar: auf rationaler Grundlage. Bildungsbereich sollten Bereitschaft zur Politik (oiip) aus. Bloß: Stehen die wissenschaftlichen, die Ko operation und Verständigung mit fach- faktischen Prämissen jeweils zur Verfügung? fremden Themen und Personen und Offen- Ist es zumutbar, sie alle kennen zu müssen, heit gegenüber Andersdenkenden geschult sie tatsächlich alle zu kennen? und gefördert werden. Um sich in der un Eine gute Voraussetzung ist, mit anderen übersichtlichen Welt nach Beendigung des Menschen, die nicht unbedingt dieselben Studiums zurechtzufinden und eine gesell- Überzeugungen, das gleiche Wissen teilen, schaftlich nützliche Rolle spielen zu können, die nicht in derselben Blase gefangen sind, zu braucht es Kommunikations- und Koopera reden, ihnen zuzuhören, zu kommunizieren. tionsfähigkeit. Das schafft bessere Voraus- Unterschiedliche Informationsstände wahr setzungen, sich orientieren, vertretbare zunehmen, unterschiedliche Bewertungen Lösungen finden zu können. upgrade 4 /2017
_WENDEPUNKTE TIANANMEN-PLATZ Ein Mann stellt sich einer Panzerkolonne in den Weg. Das Bild vom 5. Juni 1989 steht für die niederge schlagene Protestbewegung chinesischer S tudierender am Pekinger Platz des himmlischen F riedens gegen die Politik des Regimes. Obwohl die gewaltsamen Auseinandersetzungen keine radikale Systemwende in China brachten, war die Aufmerksamkeit der Welt auf die Situation der Menschenrechte in China stark angewachsen. Trotz spekt akulärer Erfolge beim Wohlstandswachstum herrschen in China nach wie vor Zensur und eingeschränkte Menschenrechte.
BIG DATA 9 Die Verheißung der Datenspur Die Euphorie rund um die Möglichkeiten von Big Data ist groß. Doch der kritische Diskurs dazu hat gerade erst begonnen. Ist die Zeit reif, um aus Datenmassen politische Entscheidungen abzuleiten? Von Alice Senarclens de Grancy ach der Wahl von Donald holt vorgeworfen, mehr heiße Luft als ernst Trump im Vorjahr rühmte zunehmende Ergebnisse zu produzieren. sich die britische Datenfir Der wissenschaftliche Ansatz wurde in ma „Cambridge Analytica“ Frage gestellt. Die Behauptungen seien mit Hauptsitz in New York überzogen, mit Big Data alleine würde man City, den US-Wahlkampf keine Wahl gewinnen, hieß es. Und Füh beeinflusst zu haben. Mit rungskräfte von Cambridge Analytica sollen Analysen tausender Datenpunkte, durch die schließlich öffentlich eingeräumt h aben, sich die Wähler weit gezielter mit politischer dass im Zuge von Trumps Wahlkampagne Werbung ansprechen lassen als bisher. Die überhaupt keine Persönlichkeitsprofile er Firma soll Psychogramme zu 220 Millionen stellt worden seien. Amerikanern erstellt haben. In entwickelten Waren also die Versprechungen des – ge Foto: Bundesarchiv / Thomas Lehmann, CC-BY-SA 3.0 Demokratien habe jede Partei das Recht, winnorientierten – Unternehmens überhöht? die beste Technologie zu nutzen, die sie Inwieweit können Big Data und diejenigen, sich leisten kann, sagte G eschäftsführer Ale die in den Datenbergen wühlen, also Data xander Nix im März 2017 zur „Frankfurter Mining betreiben, tatsächlich Wahlentschei Allgemeinen Zeitung“. Dieses einzuschrän dungen beeinflussen? ken, wäre ein Vergehen am demokratischen Prozess. Man freute sich lautstark, dass der Der neue beste Weg Republikaner, der so gerne über die Wissen schaft schimpft, mit Hilfe ihrer Methoden Die in Aussicht gestellten Möglichkeiten gesiegt hatte. klingen freilich fantastisch. Data Mining Aus kritischen Quellen klingt das etwas erlaubt erstmals in der Geschichte der anders. Cambridge Analytica wurde wieder Menschheit, Migrationsströme vor her upgrade 4 /2017
10 BIG DATA fünf SPARPOTENZIAL BIG DATA Quelle: PETER PARYCEK Study on eGovernment MILLIARDEN EURO and the reduction of Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter administrative burden: final report, Ernst & Young, Parycek, MAS, MSc leitet Danish Technology Institute, seit 2015 das Department European Commission, 2014 für E-Governance in Wirt- Once-Only Principle: Data-Science-Teams könnten durch EU-weit harmonisierte Modelle der Datenerhebung und -verarbeitung zu Business-Registern, Schiffszertifikaten schaft und Verwaltung der oder Beschaffungsvorgängen Verwaltungskosten stark r eduzieren, ohne nationale Donau-Universität Krems. Systeme a ufzugeben. Die Donau-Universität Krems forscht mit Partnern derzeit an der Umsetzung des Once-Only Principle. http://toop.eu Mit Juli 2017 hat er zusätzlich die Leitung des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT), gefördert vom Bundes ministerium des Innern, am Fraunhofer-Institut zusagen und so besser planen zu können, Fragen anwendbar. Ein scheinbares Uni- FOKUS in Berlin über wo es wann mehr Ressourcen braucht; versalmittel, das denen Macht verleiht, die nommen. Data Mining gilt als Sensorium, um Angriffe darüber verfügen. „Im derzeit geführten auf Stromnetze und andere kritische Infra- Diskurs der Begeisterung besteht die Ge- struktur frühzeitig zu bemerken und abzu- fahr, dass die Methoden rund um Big Data wehren; und mit Data Mining will man Kre- überbewertet und ihre Grenzen und ditkartenbetrüger, die online unbemerkt im Schwachstellen nicht gesehen werden“, großen Stil agieren, dingfest machen. sagt Voß. Datenanalyse lasse sich jedenfalls für Ähnlich sieht es auch Claudia Plant. Die viele Fragen, die aus dem politischen Dis- aus Deutschland stammende Informatike- kurs heraus entstehen, nutzen, sagt Peter rin wurde mit Jänner 2016 als erste Profes- CLAUDIA PLANT Parycek, Leiter des Departments für E-Go- sorin für Data Mining an die Universität Univ.-Prof. Dipl.-Inform. vernance in Wirtschaft und Verwaltung der Wien berufen. Sie entwickelt Methoden, Dr. Claudia Plant wurde Donau-Universität Krems. „Das heutige mit denen das Wissen aus Big Data zu- 2016 als erste Professorin Spektrum der Datenanalysemethoden bie- gänglich gemacht werden soll. „Mehr Da- für Data Mining an die tet der Verwaltung die Möglichkeit, ihre ten bringen nicht automatisch mehr Wis- Universität Wien berufen. neutralen Empfehlungen und Szenarien ge- sen“, sagt sie. Das Potenzial, was sich aus Forschungsschwerpunkte genüber der Politik abzusichern.“ Weg von Datenmassen herausfiltern lässt, sei groß, sind u. a. anwendungs orientiertes Data Mining der Ideologie also, hin zu den Fakten. damit aber auch die – notwendige – Ver- in der Biomedizin, den Der an der TU Berlin tätige Soziologe antwortung im Umgang mit diesen. Viel zu Neurowissenschaften und Politikwissenschafter Jan-Peter Voß oft würden pauschale Schlüsse ohne ge- und den Umweltwissen- beobachtet die Entwicklung mit deutlicher naue Kenntnis der Methoden und der da- schaften. Skepsis. Data Mining, also das systema- hinterliegenden Algorithmen präsentiert: tische Durchsuchen großer Datenmengen „Die Technologien werden oft blind einge- auf Zusammenhänge, ist für ihn nur „eine setzt, die Ergebnisse blind berichtet.“ Da- weitere Methode, mit der sich die Gesell- her müssten die Entscheider nicht nur über schaft selbst beobachtet“. Also eines neben die Möglichkeiten, sondern auch über die vielen anderen Verfahren, die zum Rüst- Grenzen der Methoden informiert werden, zeug der Sozialforscher gehören. Proble- sagt sie. Hier ortet sie eine Kluft. Und auch matisch wird es aus seiner Sicht, wenn die die Nutzer wüssten meist nicht, was mit neue Methode nicht neben, sondern über ihren Daten passiert. Es brauche also andere Verfahren gestellt wird und diese Transparenz, die in der medizinischen For- verdrängt, also statt einer Verbreiterung schung, ihrem Steckenpferd, allerdings der Möglichkeiten eine Monopolstellung weit einfacher zu erreichen sein dürfte, als mit sich bringt: als „neuer bester Weg“, wenn kommerziell ausgerichtete Unter- leicht zu handhaben und für praktisch alle nehmen auf soziale Medien zugreifen. upgrade 4/2017
11 Digitales Grundrauschen steigt In zehn Jahren Dass sich Parteien von Daten aus der Be- völkerung leiten lassen, ist freilich nicht werden wir neu. „Politiker agieren schon jetzt mit Blick auf die neuesten Umfragen“, sagt Katharina auch bei uns in Schell, langjährige Leiterin der Innenpolitik der Austria Presse Agentur (APA) und heute allen Ministerien als Mitglied der Chefredaktion für redaktio- nelle Innovationen zuständig. Allerdings Data-Science- werde durch die steigende Masse an Infor- mationen das „digitale Grundrauschen“ im- Teams haben. mer lauter. Und nicht nur die Zahl der In- formationen, auch die Zahl der Quellen Peter Parycek habe stark zugenommen. „Eine Homepage ist schnell angelegt, eine Facebookseite so- wieso.“ Während früher klar gewesen sei, wer etwas behauptet oder hinter einem Me- „Die Datenqualität ist äußerst unter- dium steht, sei dazu nun ein zusätzlicher schiedlich“, sagt Informatikerin Plant. Wirk- Rechercheschritt notwendig. „Vor dem Fak- lich fatal werde es aber, wenn man auf Ba- tencheck kommt jetzt der Quellencheck“, sis falscher Werte Schlüsse ziehe – oder sie erklärt sie. Als Antwort auf die für viele so gar politischen Entscheidungen zugrunde überraschende Wahl Trumps und mit Blick lege. Kommerziell erhältliche Softwarepa- auf die anstehenden Wahlen in Deutsch- kete seien zwar schnell einsetzbar, erfor- land und Frankreich – und dann auch Ös- derten aber auch viel Fachwissen. Die Wis- terreich – entwickelte die APA in der ersten senschafterin ortet in der momentan Hälfte 2017 mit dem „Source Check“ Quel- boomenden Branche „viele Quereinsteiger lenporträts, die bei einer raschen Einschät- mit wenig Ahnung“. zung helfen sollen. Denn im Journalismus wie auch in der Wissenschaft sollte die Fra- Empirismus als Illusion ge, woher Daten kommen und welche Qua- lität sie haben, am Beginn der Überle- Für den Soziologen Voß entpuppt sich gungen stehen. der „pure Empirismus“, bei dem man Data Science gegen Medizin-Mythen Foto: Parycek © DUK Andrea Reischer; Plant © Barbara Mair Teebaumöl hilft gegen Pickel, Schokolade sterreich an der Donau-Universität Ö macht glücklich, blaues Licht stört den Krems. Seit 2011 überprüft das Wissen- Schlaf: Ob Behauptungen zu Gesund schafterteam Gesundheitsbehauptungen heitsthemen stimmen oder Fake sind, auf wissenschaftliche Haltbarkeit und klärt die neue, im August 2017 vorgestellte durchforstet dazu medizinische App „MedBusters“ des Hauptverbands Datenbanken nach tausenden Studien. der österreichischen Sozialversicherungs 346 Gesundheitsaussagen aus M edien, träger. Die darin enthaltenen wissen- Internet und Werbung wurden dafür schaftlich geprüften Fakten stammen bisher dem Fakten-Check unterzogen. unter anderem von Medizin Transparent, dem Online-Service von Cochrane www.medbusters.com upgrade 4 /2017
12 BIG DATA Maschinen wertfrei auf Daten loslasse, ohne- nicht verhindere, dass das Versprechen hin als Illusion. Auch in jedem Algorithmus einen Hype um die neue Sozialtechnologie und seiner Programmierung steckten An- auslöse. nahmen und Theorien. Allerdings seien die Methoden stark technisiert und versteckt Stadtplan mit Brennpunkten und so einer öffentlichen Debatte kaum zu- JAN-PETER VOSS gänglich zu machen. „Damit geht Transpa- In Autokratien wie Singapur oder China renz verloren“, sagt Voß, der zwei Jahre werde die Technologie bereits in völlig an- Prof. Dr. Jan-Peter Voß lang in einer Arbeitsgruppe die Bedeutung deren Dimensionen genutzt, erzählt Rechts leitet seit 2012 als Junior- von Big Data aus politikwissenschaftlicher informatiker Parycek: einerseits für die professor das Fachgebiet Soziologie der Politik an Sicht mitdiskutierte. Die Behauptung, dass pragmatische ideologiefreie Aufbereitung der TU Berlin. Er war zwei diese besonders umfassende Ergebnisse wirtschaftspolitischer Entscheidungen und Jahre lang im Forschungs- liefern, teilt er nicht: „Was wir in den Online andererseits zur Kontrolle und Verhaltens- projekt Abida („Assessing interaktionen beobachten, ist nicht die ganze steuerung der Gesellschaft. China verwen- Big Data“) Mitglied eines soziale Wirklichkeit, es sind lediglich Ak de die neuen Methoden bereits im großen Arbeitskreises zu politik- tivitäten bestimmter Nutzergruppen.“ Nicht Stil, um die Onlinekommunikation seiner wissenschaftlichen alle Menschen verwendeten aber Neue Bürger zu überprüfen. „Da finden wir echte Dimensionen von Big Data. Medien, zudem würden diese die Kommuni Big-Data-Analysen, wenn Millionen von kation stark vorformen: „Twitter gibt den Chinesen pro Sekunde kommunizieren“, Nutzern 140, neuerdings 280 Zeichen Platz, sagt er. Das Land versuche, die soziale um sich auszudrücken.“ Umgekehrt könne Ordnung sicherzustellen, indem es seine eine Person aber auch mehrere Accounts Bürger bewertet. Dazu werden Daten wie besitzen. Und nicht immer agierten Men- Zahlungsmoral, Einkaufsgewohnheiten, On schen hinter digitalen Handlungsspuren: lineverhalten oder sozial korrektes Verhal- Social Bots, hinter denen Computerpro- ten gebündelt. Das „Sozial-Kreditsystem“ gramme stehen, würden mit ihrem men- soll bis 2020 kontinuierlich weiter aus schenähnlich programmierten Verhalten gebaut werden. Zugleich lasse sich so aber das Internet manipulieren, PR-Agenturen auch der Pulsschlag der Gesellschaft ganze Trollfarmen betreiben, um die öffent- be obachten und für Entscheidungen her liche Meinung zu beeinflussen. Es sei mitt- anziehen. lerweile schwierig, aus der Grundgesamt- In Österreich steht man bei diesen Über- heit herauszufiltern, was PR ist, sagt Voß. legungen erst am Anfang. „Was wir im Damit stehe das große Versprechen, dass Wahlkampf erlebt haben, war lediglich die man damit die tatsächlichen Bedürfnisse Debatte um ein paar Facebookseiten, wo der Bevölkerung erheben könne, um maß- keiner wusste, wer dahintersteht“, sagt geschneiderte Politikleistungen zu begrün- Journalistin Schell. Und auch Parycek wür- den, auf sehr wackligen Beinen. Was jedoch de „im österreichischen Wahlkampf noch nicht von Big Data sprechen“. Parteien hät- ten gerade einmal Onlinewerbung gekauft. Datenanalysemethoden könnten aber – an- Auch in jedem onymisiert und unter Einhaltung des Da- tenschutzes sowie demokratiepolitischer Algorithmus Korrektive – auch hier dazu beitragen, den Boden für komplexe Entscheidungen auf- und seiner zubereiten. Außerdem würde es durch sie gelingen, Emotion aus heiklen Debatten zu Programmierung nehmen, sagt Parycek. Er ist daher über- zeugt: „In zehn Jahren werden wir auch stecken Annahmen bei uns in allen Ministerien Data-Science- Teams haben.“ Während die Registrierkassa und Theorien. derzeit ein Kontrollinstrument sei, könnte sie in Echtzeit, also „live“, an ein System angebunden die Entwicklung der österrei- Jan-Peter Voß chischen Wirtschaft unmittelbar messen. upgrade 4/2017
13 Menschen und als es bei Hochhausbränden immer wieder viele Tote unter den Zivilisten, aber auch Computer haben unter den Feuerwehrleuten gab, berichtet er. Parycek fragte die Verantwortlichen, ganz unterschied was ein Data Scientist können muss. Die Antwort war: „Er muss die richtigen Fragen liche Stärken stellen.“ Auf diese Weise könne man fast KATHARINA SCHELL jedes Problem mit Hilfe der Analyse von Mag. Katharina Schell und Schwächen. Daten lösen. Als man bei den Hochhaus- studierte Germanistik bränden nachforschte, warum so viele und Skandinavistik. 1998 Gemeinsam lässt Menschen starben, zeigte sich, dass sich die begann sie bei der APA Hausbesitzer nicht an baurechtliche Vorga- als freie Mitarbeiterin. sich ein gutes ben hielten und in den betroffenen Häu- Von 2008 bis 2016 war sie sern viel zu viele Leute wohnten. Das New Innenpolitik-Chefin, aktuell Endergebnis Yorker Data-Science-Team sammelte dazu ist sie Medienredakteurin Informationen und erstellte Stück für Stück sowie Mitglied der Chef redaktion und u. a. für erzielen. einen Stadtplan mit potenziellen Brenn- redaktionelle Innovation punkten. Um die Sicherheitsmaßnahmen zuständig. zu kontrollieren, rückten aber schließlich Claudia Plant keine Beamten, sondern Feuerwehrleute aus. Man habe angenommen, dass man die- sen eher öffne, sagt Parycek. Und diese be- rieten die Menschen bei der Gelegenheit auch gleich über mögliche Risiken. Generell scheint es sich zu bewähren, wenn sich Mensch und Maschine trotz der Data-Science-Teams bereits aktiv dynamischen Entwicklung auch weiter er- Fotos: Schell © APA; Voss © Studioline In den USA sind sogenannte Data-Science- gänzen. „Menschen und Computer haben Teams bereits für Politik und Verwaltung ganz unterschiedliche Stärken und Schwä- im Einsatz. Parycek kennt die disziplinen- chen. Gemeinsam lässt sich ein gutes End- übergreifend zusammengesetzten Ein- ergebnis erzielen“, sagt Informatikerin heiten, die sich mit ihren Methoden ganz Plant. Persönlich fände sie es durchaus in- Alice Senarclens de unterschiedlichen Bereichen widmen, aus teressant, wenn Politiker ihre Entschei- Grancy ist Redakteurin seinem Forschungsnetzwerk. Das Data- dungen stärker auf Basis von Fakten erklä- der Tageszeitung Science-Team von New York beriet etwa, ren würden. „Die Presse“. ANZEIGE Umfassendes steuerliches Spezialwissen für die Immobilienbranche auf 0,021m 2. Jetzt kostenlos die Broschüre bestellen und profitieren: service@tpa-group.at oder unter www.tpa-group.at upgrade 4 /2017
_WENDEPUNKTE ATTENTAT VON SARAJEVO Noch ist der Besuch des Thronfolgers der K.u.k- Monarchie, Franz Ferdinand, und seiner Gattin im Gange, noch besteht an diesem 28. Juni 1914 die Ordnung des Kaiserreichs und der europäischen Mächtekonstellation. Doch ihr Zusammenbruch wird nur wenige Minuten später durch die tödlichen Schüsse von Gavrilo Princip auf den Thronfolger ausgelöst. Der nachfolgende D ominoeffekt an Beistandserklärungen mündet in den Ersten Weltkrieg, dieser reißt die Monarchien, wie jene von Österreich-Ungarn, Deutschland und Russland in den Abgrund.
INTERVIEW 15 Ein Werkzeugkasten für das Wissen Wer komplexe Systeme begreifen will, muss sie in ihrer Vielschichtigkeit verstehen. Der Innovationsexperte Gerald Steiner erklärt, was diese ausmacht und was Wissensmanager mit Automechanikern verbindet. Interview: Alice Senarclens de Grancy upgrade: Sie haben die HTL für Sie haben später als Wirtschaftsprofessor Maschinenbau besucht, zunächst in in Harvard gemeint: „Spitzenleistungen Ingenieurbüros gearbeitet, wirkten sind das Ergebnis einer klaren Vision.“ u. a. auch am Bau des Grazer Seit 2015 sind Sie an der Donau-Univer Plabutschtunnels mit. Was haben Sie sität Krems, was ist die Vision für Ihre von dort für das Wissensmanagement Arbeit hier? mitgenommen? Steiner: Ich bin überzeugt, dass die Univer- Gerald Steiner: Ich habe im Bereich Tun- sität nicht nur akademisches Wissen gene- nelbau mit Produktinnovationen und neuen riert und vermittelt, sondern zunehmend Prozesszugängen zu tun gehabt. Da steht auch Beiträge zu den großen gesellschaft man schnell vor der Wahl: Entweder ich ver- lichen Herausforderungen leisten muss. suche, alles selbst zu machen, und bin auf Das ist die große Vision, die hinter all mei- meine Erfahrungen eingeschränkt, oder es nem Tun steht. Themen wie Digitalisierung, gelingt mir, Menschen mit wichtigem Ex- Sicherheit, nachhaltige Entwicklung oder perten- und Erfahrungswissen zu integrie- Gesundheit haben eines gemeinsam: Sie ren. Für mich war es erstaunlich, wie viel sind hochkomplex. Wissen es neben dem akademischen Be- reich in der Produktion gibt. Das wurde bei Wie können Erkenntnisse aus dem den Entwicklungen aber sehr oft vernach- Wissensmanagement beitragen, solche lässigt. Diese Erkenntnis hat mich dazu be- hochkomplexen Aufgaben zu lösen? wegt, zu überlegen, wie ich etwa auch Vor- Steiner: Betrachtet man den Begriff Wi s arbeiter oder Montagearbeiter mit an Bord sensmanagement von der Wurzel her und Foto: Karl Tröstl, CC BY-SA 3.0 holen kann. Ohne das damals als Business- glaubt, es geht darum, bestehendes Wissen Management zu bezeichnen, hat es mir ge- zusammenzubringen und im Sinne eines zeigt: Ich bekomme weitaus bessere Ergeb- Kochrezepts zu Lösungen zu kommen, ist nisse, wenn ich eine Wissensintegration das eine veraltete Sichtweise. Wissens über verschiedene Bereiche und Akteure management muss sich heute ständig neu hinweg erreiche. erfinden. Und das erfordert anderes als upgrade 4 /2017
16 INTERVIEW Univ.-Prof. Mag. Dr. ein a plus b plus c ist gleich – so läuft es Wie geht man also vor? Gerald Steiner leitet nicht. Die Wissensspirale hat längst so viel Steiner: Ich muss ein System zunächst ver- das Department für Dynamik, dass sie kein rein deterministi- stehen lernen in seiner Vielschichtigkeit. Wissens- und Kommuni kationsmanagement der sches System mehr darstellt. Ein einfaches Sie wissen in komplexen Systemen vorerst Donau-Universität Krems. Problem, etwa einen Sessel zusammenzu- nicht, wie einzelne Reaktionen ablaufen, Außerdem ist der Univer- bauen, ist wohldefiniert: Ich weiß, wie viel welche Störelemente sich ergeben. Überle- sitätsprofessor für Organi- Teile ich habe, kenne den Prozess, damit aus gungen dazu helfen, fit für die Zukunft zu sationskommunikation dem Ikea-Bauset ein fertiger Sessel wird. werden. Wenn eine Fußballmannschaft trai- und Innovation Dekan der Fakultät für Wirtschaft Nehme ich eine Uhr her, ist das noch immer niert, weiß sie auch nicht, welche Spielzüge und Globalisierung. ein deterministisches Problem, aber es ist der Gegner machen wird, aber sie kann sich Steiner wirkte zuvor an kompliziert, da brauche ich schon mehr darauf einstellen, indem sie etwa Freund- den Universitäten Graz Kenntnisse und Kompetenzen. Und eine schaftsspiele durchführt, so die gegnerische und Harvard, wo er eine komplexe Fragestellung reicht noch weit Mannschaft studiert und das eigene Adapti- Schumpeter-Gastprofessur innehatte. darüber hinaus. onsverhalten verbessert. Ein Beispiel? Sie plädieren in Ihren Publikationen für Steiner: Wir hatten ein internationales die Suche nach den „echten Problemen“ Projekt zu Ernährungssicherheit. Das hat als „Rohdiamanten“ der Innovation. nicht nur mit hungernden Menschen zu tun, Was ist gemeint? Und wie findet man diese? sondern auch mit Übergewichtigen – deren Steiner: Schon Paracelsus hat gesagt: Wenn Anteil an der Weltbevölkerung ist mit je ich Fieber bekämpfe, senke ich zwar die rund einer Milliarde gleich groß. Es bedarf Temperatur, aber das heißt nicht, dass der also einer ganzheitlichen Betrachtung in Mensch gesund ist. Und so ist es auch bei Verbindung mit in kollaborative Problem der Innovation. Wenn Sie mit einem viel- lösungsprozesse eingebetteten Methoden. leicht offensichtlichen Problem losstarten, generieren Sie Ideen und zweifellos auch Innovation, leisten aber keinen Beitrag für die nachhaltige Verbesserung des Gesamt- systems. Die wirklichen Ursachen von Pro- blemen zu finden, ist daher zentral. Passiert das häufig, dass das Pferd sozusagen von hinten aufgezäumt wird? Steiner: Wo man losstartet, muss nicht die tatsächliche Ursache einer Problemkette sein. Wir hatten ein Entwicklungsprojekt mit dem Unternehmen Kärcher, da ging es um die Innovation der Zukunft. Wofür steht Kärcher? Für Reinigen. Spannend war, dass es Kärcher um soziale, gesellschaftlich rele- vante Fragestellungen gegangen ist und nicht einfach nur um eine erhöhte Reini- gungsleistung, aber das hat sich erst im Prozess gezeigt. Kann die Firma etwa für das Leben älterer Menschen oder bei Reha-Maßnahmen etwas beitragen? Das liegt nicht auf der Hand, das ist zunächst verborgen. Was war das Ergebnis? Steiner: Ein Rollator mit Reinigungsaufsatz und mit Messsensoren für Körperfunktio- nen. Wir haben gesehen, dass es den Leuten im Altersheim viel Spaß macht, etwas selbst upgrade 4/2017
17 tun zu können. Die Arbeit mit dem Rollator ersetzt Bewegungsmaßnahmen aus der Zentral ist, Reha. Und zusätzlich freut sich der Medizi- ner, wenn über die an den Griffen einge- die wirklichen bauten Sensoren Körperwerte bei Bewe- gung abgefragt werden. Fast jeder ist beim Problemursachen Arzt aufgeregt, die Herzfrequenz geht nach oben. So bekommt man Messwerte von zu finden. ganz anderer Qualität, auch weil sie über einen Zeitraum gemessen werden. Schon Paracelsus Sie haben bei Ihrer Antrittsvorlesung gesagt, sagte: Fieber „komplexe gesellschaftliche Herausfor derungen benötigen besondere Formen bekämpfen senkt der Kollaboration und Kommunikation“. Welche könnten das sein? die Temperatur, Steiner: Interdisziplinäre Kollaborations- prozesse und von Beginn an einen Stake- aber das heißt nicht, holderdiskurs, also einen Dialog mit Prakti- kern im Sinne eines transdisziplinären dass der Mensch Vorgehens. Und das funktioniert nur auf Augenhöhe. gesund ist. Fehlt diese mitunter? Gerald Steiner Steiner: Wenn sich eine Disziplin als die übergeordnete und wichtigere betrachtet, habe ich ein Problem. Das kommt sehr oft vor. Fehlleitend könnten manche meinen: Die Geisteswissenschaften sind nicht so wichtig. Da würde ich sagen: und wie wich- tig die sind! Wenn ich heute etwa einen Beteiligungsprozess gestalte, helfen mir bevor man die Werkzeuge wählt. System Anthro pologen extrem, die Akteure und analytische Methoden haben heute etwa Gruppen, ihre Kommunikationsmuster, eine zentrale Bedeutung für das Wissens- Vorstellungen und Werte zu verstehen. Und management komplexer Aufgaben. Und so ist es auch in der Zusammenarbeit mit dann hat ein guter Wissensmanager – wie Akteuren der Praxis. Betrachtet man nur ein Mechaniker – so etwas wie einen Werk- die akademische als kreative Klasse, ist das zeugkoffer. Da sind traditionelle Elemente eine Geringschätzung der österreichischen drinnen wie Checklisten, Mindmaps, Prob- Facharbeiterschaft, die ihrerseits aber zu lemfindungs- und Problemlösungsmetho- sehr vielen großen Innovationen im öster- den oder Kreativitätstechniken. reichischen Gesellschafts- und Wirtschafts- system beigetragen hat. Es geht um einen Wo zeigen sich in der Praxis Hindernisse Dialog, der diese Unterschiedlichkeiten für Wissensmanagement? zulässt, um eine gemeinsame Sprache. Steiner: Der Flaschenhals ist oft, dass un- sere Ausbildungssysteme die heute not- Welche sind die wichtigsten Werkzeuge wendigen Kompetenzen nicht ausreichend modernen Wissensmanagements? herausbilden, etwa in Bezug auf systemi- Foto: © DUK Andrea Reischer Steiner: Das hängt von der Situation ab. sches Denken, Kreativität, kollaboratives Nehmen Sie an, Sie haben einen alten Problemlösen und soziokulturelle Fähig- Sportwagen. Er ist kaputt und sie fragen keiten. Dann helfen auch einzelne Metho- nach den besten Werkzeugen. Da muss den nichts, weil die Leute diese nicht nut- man zuerst wissen, was nicht funktioniert. zen können, um die Prozesse entsprechend Und so ist es auch im Wissensmanagement, zu gestalten. upgrade 4 /2017
18 DIE DONAU-UNIVERSITÄT KREMS STELLT VOR Im Fokus: Das Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Donau-Universität Krems Problem lösen Im Dreischritt Ver- Innovation gedeiht durch guten Austausch, im Wechselspiel von Verstehen und stehen Kommunizieren. Denn auf allen Feldern der Wirtschaft gilt heute: Ohne Abläufe, Mechanismen und Verständnis von Pro Innovation zessen lässt sich das Weiterkommen nicht organisieren. „Innovation geht nur gemein- and Leadership sam, durch einen Prozess Step-by-step. - Change Management So verhält es sich mit dem Verständnis: - Communication and Leadership Wie ein System tatsächlich funktioniert, - Innovationsmanagement lässt sich nur durch Kommunikation und - Kommunikation und Management Interaktion, also im Austausch mit anderen - Wissensmanagement Menschen begreifen. Das Gleiche gilt für politische und Unternehmenskommunika tion ebenso wie für den Journalismus. Auch deren Vertreterinnen und Vertreter müssen zunächst begreifen, bevor sie kommunizieren und damit Prozesse mitge- stalten“, sagt Univ.-Prof. Dr. Gerald Steiner, Innovationsexperte, Leiter des Departments Organisations- für Wissens- und Kommunikationsmanage kommunikation ment an der Donau-Universität Krems. und Politik www.donau-uni.ac.at/wuk - Organizational Communication - Politische Bildung - Politische Kommunikation - PR-Fernstudium - Strategische Kommunikation und PR upgrade 4/2017
19 Journalismus und Digitalisierung Lehre - Digitale Kommunikation - Qualitätsjournalismus Das Department bietet in Modul - Quality Journalism and bauweise berufsbegleitend flexibel New technologies konzipierte Weiterbildungsprogramme - Wirtschaftskommunikation vom Masterstudium bis zu Einzel modulen an, die Problemlösungs- und Kommunikationskompetenz sowie Performance Management-Know-how verknüpfen. Excellence - Integrated Management Systems - Internationales Projektmanagement Forschung - Lean Operation Management Kommuni - Prozessmanagement Im engen Zusammenspiel mit Praktikerinnen und Praktikern forscht zieren - Qualitätsmanagement das Department transdisziplinär - Risikomanagement und international in fünf Themen schwerpunkten. Professional Communication and Design Creativity and Innovation - Informations- und Datenvisualisierung *Collective Mind: Erforschung kollektiver Intelligenz von Gruppen - Informationsdesign *Sustainable Knowledge Management - Technische Kommunikation und Medienmanagement Information Visualization *DJ Isotype: Lösungen für den Datenjournalismus *Polycube: digitale Sammlungen besser nutzbar machen Sustainable Transition *Biodiversitäts-Hub: Schnittstelle Forschung, Politik und Gesellschaft zur nachhaltigen Nutzung unserer Ökosysteme g) szu *Social Peace and Migration Studies (einschließlich PhD) Au te ( Transdisciplinarity jek Pro elle *Interdisziplinäre Forschungsgruppe GMG: ktu Gesundheit im Zeitalter weltweiter Mobilität *A *ReDE: Wissensnetzwerk zu (unerwünschten) Rückwirkungen digitaler Technologien upgrade 4 /2017
_WENDEPUNKTE KONFERENZ VON JALTA Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin nebeneinandersitzend – das Foto dieses Moments bei der Konferenz von Jalta markiert die Aufteilung der Welt, insbesondere Europas in die russisch dominierte und amerikanisch-westlich dominierte Sphäre. Die Jalta-Konferenz, 4. bis 11. Februar 1945, besiegelte nicht nur das Schicksal Deutschlands und die Weltordnung für über vier Jahrzehnte, s ondern brachte auch eine Einigung über die letzten Punkte zur Gründung der Vereinten Nationen.
WÄHLERENTSCHEIDUNGEN 21 Nix ist fix Wir wählen immer wechselhafter, aber wählen wir wenigstens, was wir wirklich wollen? Die Politik- wissenschaft hat einige Erklärungen, warum wir als Wählende entscheiden, wie wir wählen. Von Johanna Müller o viel vorweg: Mit den reinen und politischen Entscheidungen“, schreibt Fakten erringt man die Gunst die Linguistin Elisabeth Wehling in ihrem der Stimmberechtigten nicht. Buch „Politisches Framing“. Sie setzt hinzu: „Man mag es sich wünschen“, „Der Großteil unseres Denkens kann nicht sagt der Politik- und Kommuni- nur nicht von uns beeinflusst werden, son- kationswissenschafter Markus dern wird von uns nicht einmal wahrge- Rhomberg, „aber Menschen sind nommen.“ Wenn dem so ist, dass wir offen- keine rationalen Wählerinnen und Wähler; bar nicht so recht wissen, warum wir uns so ebenso wenig wie sie rationale Konsumen- und nicht anders entscheiden: Was wählen ten sind. Wenn ich Wähler von etwas über wir denn dann e igentlich, wenn wir wäh- zeugen will, muss ich sie auch auf einer len? emo tionalen Ebene ansprechen, bei ihren Foto: TR 2828 from the collections of the Imperial War Museums, Public Domain Wünschen, Hoffnungen, Ängsten und Leiden Stammwähler schwinden schaften.“ Der Verdacht, dass wir uns bei unseren Vielleicht zunächst zu dem, was wir nicht Wahlentscheidungen nicht von Argumenten wählen: Anders als früher fühlen wir uns und Fakten leiten lassen, ist nicht neu. So zum Beispiel nicht mehr an „unsere“ Partei schrieb Edward L. Bernays bereits 1928 in gebunden. „Stammwähler und -wählerin- seinem PR-Klassiker „Propaganda“, dass die nen“ sind rar geworden: Gerade einmal 45 „Volksmeinung aus überlieferten Vorurtei- Prozent haben bei der Nationalratswahl len, Symbolen und Klischees“ bestehe, die 2017 dieselbe Partei gewählt wie vier Jahre wiederum von den jeweiligen „Anführern“ zuvor, stellten die beiden Institute SORA entwickelt würden. Die Neuropsychologie und ISA in ihrer gemeinsamen Wahltagsbe- und die Neurolinguistik finden in den letz- fragung nach der Nationalratswahl in Öster- ten Jahrzehnten immer wieder starke Be reich am 15. Oktober fest. Mit 26 Prozent lege dafür, dass wir Entscheidungen – auch war der Anteil der Wechselwählerinnen und Wahlentscheidungen – nicht bewusst treffen -wähler bei dieser Nationalratswahl so hoch und dies auch gar nicht können. „Nicht Fak- wie noch nie. Woran liegt das? „Bereits seit ten, sondern Frames sind die Grundlage un- den 1970er Jahren kann man etwa aus der serer alltäglichen sozialen, ökonomischen Tatsache, dass jemand Arbeiter ist, nicht upgrade 4 /2017
22 WÄHLERENTSCHEIDUNGEN Die Nationalrats wahl 2017 26 mit dem bisher % höchsten Wechsel wähleranteil MARKUS RHOMBERG WECHSEL Prof. Dr. Markus Rhomberg WÄHLERINNEN UND -WÄHLER ist Politik- und Kommuni- 45 kationswissenschafter und hat sich auf politische Kommunikation speziali- % WÄHLEN siert und mehrere Bücher DIESELBE zu diesen Themen verfasst. PARTEI Er leitet seit Oktober 2017 WIE VIER Quelle: die Geschäftsstelle der JAHRE Wahltagsbefragung Internationalen Boden- ZUVOR SORA und ISA see-Hochschule IBH und war zuvor Leiter des Zentrums für Politische Kommunikation an der mehr auf sein Wahlverhalten schließen. Das verhalten. Gänzlich losgelöst von sozio Zeppelin Universität hat damit zu tun, dass die soziale Zugehö- ökonomischen Bindungen treffen wir unsere Friedrichshafen (ZU). rigkeit nicht mehr identitätsstiftend ist. Des- Wahlentscheidungen dennoch nicht. „Män- halb fallen Wahlentscheidungen heute viel ner wählen tendenziell eher Mitte- Rechts- kurzfristiger in Abhängigkeit von vielen ver- Parteien und Frauen eher Mitte-Links-Par- schiedenen Faktoren“, erklärt Sylvia Kritzin- teien“, sagt der Politologe Peter Filzmaier. ger, Politikwissenschafterin der Universität Doch die Aussagekraft der sozialen Katego- Wien. rien ist begrenzt: „SPÖ und ÖVP werden Das Kreuzchen bei einer Partei zu ma- überdurchschnittlich von der 60-plus-Gene- chen, die sich auch als solche präsentiert, ration gewählt, das heißt, auch von Frauen fällt uns generell zunehmend schwer. „Par- dieser Generation; während die Grünen teien haben heute keinen guten Ruf: Sie ste- eher von jüngeren städtischen Frauen ge- hen für ein elitäres Politikverständnis und wählt werden.“ Während Unterschiede wie die Populismusforschung zeigt uns, dass es Alter oder Geschlecht also an Bedeutung unter manchen der Wählern durchaus einen und auch an Erkenntniswert zu verlieren Elitenfrust gibt“, sagt Sylvia Kritzinger. Die scheinen, sind die Unterschiede im Wahl- Frustration über die Eliten, die Sehnsucht verhalten zwischen Land- und Stadtbe nach etwas Neuem machen „Bewegungen“ wohnern nach wie vor auffallend, wie Peter für uns attraktiv, meint Kritzinger. „Diese Filzmaier sagt: „Der Stadt-Land-Gegensatz populistischen Wahlmotive finden wir zum ist oft noch viel stärker ausgeprägt als an Beispiel bei den Wählern der Liste Pilz dere demografische Unterschiede. Das war ebenso wie bei der FPÖ.“ Anders als Partei- bei der Präsidentschaftswahl 2016 beson- en können populistische Bewegungen ders deutlich: Alexander Van der Bellen hat glaubhaft suggerieren, sie würden für „das in den Städten 60 Prozent und mehr der Volk“ sprechen. „Ein genialer Schachzug“, Stimmen bekommen, Norbert Hofer um so Kritzinger, „denn keiner weiß, wer das gekehrt in den kleineren Gemeinden eben- Volk ist. Das Volk sind ja wir alle. Und wir so viel.“ haben alle ganz unterschiedliche Interessen Dass es im Präsidentschaftswahlkampf und Ideologien.“ 2016 um zwei Personen ging und nicht um Parteien, kann dazu beigetragen haben, dass die Wahlbeteiligung damals sehr hoch Stadt-Land-Gefälle war und der Wahlkampf insgesamt sehr Alter, Klasse, Geschlecht spielen zwar eine emotional geführt wurde. Sobald Gefühle zunehmend geringere Rolle für unser Wahl- im Spiel sind und diese mit Themen und upgrade 4/2017
23 Personen verknüpft werden können, fühlen schien daher neben dem Thema Migration wir uns nämlich angesprochen. „Personali- kein anderes Thema mehr Platz zu haben, sierung – das hat man auch in diesem Nati- „obwohl andere Fragen, wie etwa Digitali- onalratswahlkampf gesehen – funktioniert sierung, soziale Sicherung, Bildung oder vor allem auch medial sehr gut“, sagt Mar- Pflege, mindestens ebenso dringlich und kus Rhomberg. relevant sind.“ Eine politische Partei, die das Momentum für sich nutzen will, findet PETER FILZMAIER in den Medien daher einen kongenialen Weder Chronisten noch Univ.-Prof. Dr. Peter Partner, wenn sie ebenfalls auf die emotio- Meinungsmacher Filzmaier ist Politikwissen- nale Karte setzt. „Die Politik hat die medi- schafter und Professor für Die Medien – sitzen sie nicht gerade in die- ale Logik längst übernommen, weil sie Demokratiestudien und sen digitalen Zeiten an besonders langen glaubt, die Wähler dann besser erreichen Politikforschung an der Hebeln, indem sie bestimmte Themen zu können“, so Rhomberg. Wahlkampag- Donau-Universität Krems leicht in den Vordergrund spielen können? nen, die auf unsere Gefühle abzielen, errei- sowie für Politische Kom- Es sei zwar so, meint Rhomberg, dass die chen uns mit ihrer Botschaft viel eher. munikation an der Karl- Medien nicht im Alleingang bestimmen, Franzens-Universität Graz. Er leitet das Internationale welche Themen etwa einen Wahlkampf do- Ängste nicht negieren und Interuniversitäre Netz- minieren, ihr Einfluss sei aber auch nicht werk Politische Kommuni- zu unterschätzen: „Die Medien sind weder Emotional starke Themen sind oft Themen, kation netPOL und grün- reine Chronisten des politischen Gesche- die geeignet sind, Unsicherheiten und dete 2007 das Institut für hens noch allmächtige Meinungsmacher“, Ängste zu schüren. Diese Unsicherheiten Strategieanalysen (ISA). sagt er. Wenn die These der Kognitionsfor- und Ängste, die es ja tatsächlich gibt, ein- schung stimmt, dass wir eben nicht ratio- fach zu negieren, sei keine gute Strategie, nal und objektiv Argumente gegeneinan- wie Sylvia Kritzinger sagt: „Weder die der abwägen, wenn wir Entscheidungen Grünen in Österreich noch die Linke in treffen, dann liegen die Medien bei uns Deutschland haben eine Gegenposition bei genau richtig. Medien tendierten nämlich dem Thema Migration entwickelt. Wenn ein dazu, so Rhomberg, gerade die Themen Thema so stark dominiert, ist es nicht emp- „groß“ zu machen, die mit starken Gefüh- fehlenswert, sich einfach nicht damit aus len verbunden sind. Bei den beiden Wahl- einanderzusetzen und keine Antworten zu SYLVIA KRITZINGER kämpfen in Deutschland und in Österreich liefern.“ Spielen Inhalte für uns also doch Univ.-Prof. Dr. Sylvia eine Rolle? Kommt es nur darauf an, sie Kritzinger ist Politik richtig zu verpacken? „Ja“, meint zumindest wissenschafterin und Fotos: Rhomberg: © IBH Ulrike Sommer; Filzmaier © DUK Andrea Reischer; Kritzinger © privat Sylvia Kritzinger. „Wählerinnen und Wähler Professorin für Methoden der Sozialwissenschaften Bereits seit den nehmen aber oft ‚Abkürzungen‘, wenn sie am Institut für Staats sich entscheiden sollen. Nicht jeder und wissenschaften der 1970er Jahren jede hat die Ressourcen, also ausreichend Universität Wien. Sie ist Zeit und Interesse, sich lang mit politischen eine der Projektleiterinnen kann man etwa Fragen zu beschäftigen, daher braucht man der „Austrian National Shortcuts, die von den Parteien zur Ver Election Study“ (AUTNES) aus der Tatsache, fügung gestellt werden.“ und verantwortlich für Einer dieser Shortcuts kann darin beste- „the Demand Side – Wahlverhalten“. dass jemand hen, die einfachste Antwort zu suchen und dann die Partei oder Bewegung zu wählen, Arbeiter ist, die es einem am leichtesten macht. Populis- tische Parteien haben dabei einen Vorteil: nicht mehr auf sein Sie liefern die Lösung gleich mit. „Warum sind Populisten so populär? Die Antwort ist, Wahlverhalten dass sie einfache Lösungen bei komplexen Angelegenheiten anbieten. Und es ist natür- schließen. lich einfacher, sich zu entscheiden, wenn man eine klare Message bekommt und sich denken kann, o. k., wenn wir das so machen, Sylvia Kritzinger dann wäre das Problem gelöst.“ upgrade 4 /2017
_WENDEPUNKTE TREFFEN ROOSEVELT – IBN SAUD An Bord des US-Kriegsschiffes USS Quincy konferierten am 14. Februar 1945, drei Tage nach der Jalta-Konferenz, der US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der saudische König Abd al-Aziz ibn Saud. Das Treffen wird in der arabischen Welt ambivalent gesehen, steht es doch für den B eginn der strategischen Zusammenarbeit zwischen den USA und Saudi-Arabien, der Ausbeutung der dortigen Ölreserven und des w estlichen Einflusses auf die arabische Welt. Z ahlreiche Konflikte bis hin zur Radikalisierung des Islam haben ihre mittel- und unmittelbare Ursache in diesem Treffen.
VERFASSUNGSKRISEN 25 Entscheiden in Verfassungskrisen In Ungarn und Polen droht mithilfe der direkten Demokratie der Rechtsstaat ausgehöhlt zu werden, Katalonien löste in Spanien Unruhe aus. Wie entscheiden, wenn Politik und Rechtsstaat kollidieren? Von Gunnar Landsgesell n Katalonien kündigt Regierungs- onen aufzulösen, es gab Durchsuchungen, chef Carles Puigdemont die Se Verhaftungen und die Anweisung, neun zession vom spanischen Zentral- Millionen Stimmzettel zu beschlagnahmen. staat an und wird von diesem Mehrmals drohte Rajoy, den Artikel 155 der entmachtet. In Ungarn wird unter Verfassung einzusetzen und die autonome Premier Viktor Orbán (FIDESZ) die Region unter Zwangsverwaltung zu stellen. Gewaltentrennung aufgeweicht, Als das Referendum tatsächlich pro Unab- während Medien und NGOs unter hängigkeit ausging, rief Puigdemont diese Beobachtung stehen. Auch in Polen ver- nicht aus, sondern spielte auf Zeit und for- sucht die regierende PiS unter der Regie derte Rajoy zum Dialog auf. von Jarosław Kaczyński sich die Justiz dienstbar zu machen und gefährdet deren Foto: U.S. Army Signal Corps / photo USA-C-545 Kein Recht auf Sezession Unabhängigkeit. Drei Beispiele krisenhafter Politik aus Europa, bei der die Verfassung In Madrid hatte das Verfassungsgericht eine entscheidende Rolle spielt. Was kann, noch vor den turbulenten Ereignissen in was muss Politik tun, wenn demokratische Katalonien ein Unabhängigkeitsreferendum Rechte zur Disposition stehen? als Kompetenzüberschreitung bezeichnet. In Spanien griff Premier Mariano Rajoy Ganz allgemein berufen sich die Katalanen energisch durch, als sich die Pläne für das hingegen auf das Selbstbestimmungsrecht Katalonien-Referendum konkretisierten Ein der Völker. Thomas Ratka, Professor für satzkräfte der Guardia Civil wurden nach Europarecht, schränkt jedoch ein: „Es gibt Barcelona verlegt, um illegale Demonstrati- kein völkerrechtliches ‚Recht auf Sezes- upgrade 4 /2017
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