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Weiterbildung * Gespräch – Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung – Pallavi Bajaj, global citizen 40 Oktober 2010 146 * Forschung – Faule Jungs 32 UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
WEITERBILDUNG Weiterbildung ist ein Geschäft. 5,3 Milliarden Franken werden in der Schweiz laut jüngsten Berechnungen der Universität Bern jährlich dafür ausgegeben. Damit hat die Weiterbildung vom Umsatz her eine ähnliche Bedeutung wie die gesamte Tertiär- stufe der Bildung. Auffällig an den Zahlen: Nur 13 Prozent der Weiterbildungsausgaben werden für Inhalte verwendet, die klar freizeitorientiert sind. Weiterbildung dient also grossmehrheitlich der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt. Die jeweils passende Ausbildung zu finden ist angesichts der Vielzahl konkurrierender Anbieter indes schwierig. Einen wich- tigen Hinweis auf die Qualität erhoffen sich die Weiterbildungs- willigen vom jeweiligen Absender. Und als solcher ist die Univer- sität Bern seit 20 Jahren auf dem Markt präsent. Weiterbildung gehört neben Lehre, Forschung und Dienstleistung zum Kernauf- trag der Institution. Und die Uni wäre nicht die Uni, ginge es ausschliesslich um zusätzliche Instrumente zur weiteren Qualifi- kation für den Arbeitsmarkt. Denn Weiterbildung im erweiterten Sinn meint mehr als Zertifikats-Huberei; sie umfasst beides, Berufs- und Erkenntnisorientierung. Dies jedenfalls fordert unser Essay zum Jubiläum der Weiterbildung an der Universität Bern im Schwerpunkt dieses Heftes. Aus Wissen soll Bildung werden. Mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt «TransCure» wird in der Schweiz ein neues Kapitel in der Forschungslandschaft aufgeschlagen. Die translational ausgerichtete Forschung will vom Gen bis zum Heilmittel vordringen. Damit dies gelingt, sollen schweizweit 18 Forschungsgruppen der drei Fachrich- tungen Physiologie, Strukturbiologie und Chemie gebündelt werden. Der Forschungsschwerpunkt wird von der Universität Bern getragen und steht unter der Leitung des Biochemikers Matthias Hediger. «Wir wollen erstrangige und einzigartige biomedizinische Forschung generieren und zur Behandlung von menschlichen Krankheiten einsetzen», umschreibt der Berner Professor die Zielsetzung im «Gespräch» in diesem Heft. Aus Wissen soll Heilung werden. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Marcus Moser UniPress 146/2010 1
Klimaforschung Forschung im Bernbiet Public Governance * Gespräch – Wenn aus Tüftlern Unternehmer werden 38 * Gespräch – Wie unser Konsum den Hunger verschärft 30 * Gespräch – Kein Kapitalismus ohne Krise 32 * Begegnung – Was «blindes Vertrauen» heisst 42 * Begegnung – Ein diskreter Vermittler 34 * Begegnung – Pietro Ballinaris Zufallsglück 36 Juni 2009 141 Ok to b e r 2 0 0 9 142 Dezember 2009 143 * Forschung – Wie die Pompadour Europa veränderte 33 * Forschung – Die Verlierer der direkten Demokratie 30 UniPress* * Forschung – Preisgekrönte Landkarten 28 UniPress* UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Bilder eines Jubiläums 150 Jahre Botanischer Garten Weiterbildung * Gespräch – Wenn der Krieg privat wird 38 * Gespräch – Chancen und Risiken der Nanotechnologie 30 * Gespräch – Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung – Die Spezialistin für Luchs & Co 43 * Begegnung – Esti Warmbrodts Bücherwelt 34 A pri l 2010 144 Juni 2010 145 * Begegnung – Pallavi Bajaj, global citizen 40 Oktober 2010 146 * Forschung – Atemhilfe für Frühgeborene 36 UniPress* * Forschung – Warum Schweizer zum Islam konvertieren 22 UniPress* * Forschung – Faule Jungs 32 UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Eine UniPress-Ausgabe verpasst? Gerne können Sie Einzelexemplare unter folgender Adresse nachbestellen: Abteilung Kommunikation der Universität Bern Hochschulstrasse 4 3012 Bern Tel.: 031 631 80 44 Fax: 031 631 45 62 unipress@unibe.ch www.unipress.unibe.ch Wollen Sie UniPress (4 Ausgaben jährlich) kostenlos abonnieren? Abo-Bestellungen unter: Stämpfli Publikationen AG Abonnements-Marketing PF 8326 3001 Bern Tel.: 031 300 63 42 Fax: 031 300 63 90 abonnemente@staempfli.com 2 UniPress 146/2010
Inhalt WEITERBILDUNG 5 Weiterbilden – weiter wohin? Von Eduard Kaeser 8 Weiterbildung: vom Stiefkind zur strategischen Position. Von Walter Kälin und Andreas Fischer 11 Die ökonomische Bedeutung der Weiterbildung. Von Stefan C. Wolter FORSCHUNG UND RUBRIKEN 14 Der ganz normale Umgang mit Kriminellen. Von Astrid Tomczak-Plewka und Christine Valentin Forschung 21 Für eine gesunde Gesellschaft. 32 Erziehungswissenschaft: Schulversager wollen Von Karin Faisst und Lara Modolo «echte Kerle» sein. Von Astrid Tomczak-Plewka 25 Tanzkultur an der Universität. Von Claudia Rosiny 34 Ökonomie: Arm trotz Finanzhilfe. Von Susanne Brenner 28 Hochschuldozierende lernen besser zu unterrichten. Von Thomas Tribelhorn Rubriken Porträts von Weiterbildungsstudierenden: Alexander Egger 1 Editorial 36 Gespräch Matthias Hediger – Vom Wissen zur Heilung. Von Marcus Moser 40 Begegnung Pallavi Bajaj – Eine Weltbürgerin nimmt Anlauf in Bern. Von Astrid Tomczak-Plewka 42 Meinung Wenn Seilparks, Hängebrücken und Klettersteige spriessen. Von Hansruedi Müller 43 Bücher 44 Impressum UniPress 146/2010 3
Weiterbilden – weiter wohin? Universitäten haben eine Verantwortung, dass Weiterbildung unter den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt nicht zur blossen Zertifikats- Huberei mutiert. Es brauche beides, «Praxis und Reflexion, Berufs- und Erkenntnisorientierung», schreibt der Philosoph Eduard Kaeser in seinem Essay zum Thema Weiterbildung. Von Eduard Kaeser Du sollst dich weiterbilden! lautet das Jura, Medizin und Theologie», auf die sich Zertifikats-Huberei mutieren kann. Als oberste Gebot der so genannten Wissens- die Durchschnittsstudenten eiligst würfen. «Inflation der Ausbildungsnachweise» gesellschaft. Mittlerweile macht sich der Die Humboldtsche Idee der Universität erkannte der amerikanische Bildungssozio- Imperativ zum lebenslangen Lernen in fast setzte vor zwei Jahrhunderten den Akzent loge Randall Collins bereits 2002 diese allen Berufssparten bemerkbar, oft mit auf die Bildungsorientierung. Für Wilhelm Entwicklung: ein deformierter Arbeitsmarkt, moralisierendem Unterton. Die Universi- von Humboldt war die Wissenschaft ein auf dem ich primär nicht nach meiner täten rüsten sich auf mit Zentren für Wert an sich. Und für die Stabilität dieses Arbeit, sondern nach meinen Zertifikaten «Advanced Studies», sie werben mit einer Wertes garantierte der Staat, indem er die beurteilt werde. Eine Inflation, so Collins, reichhaltigen Angebotspalette: Friedens- Universität finanziell unterstützte, sich aber die «sich endlos fortsetzen könnte, bis der und Konfliktforschung, Kulturmanagement, sonst nicht in Forschung und Lehre ein- Hausmeister einen Doktor der Philosophie Papierkurator, eine theologische Fakultät mischte. Das Konzept der «reinen» Wissen- benötigt». bietet sogar einen «MAS in Spiritualität» schaft war geboren: die Vorstellung, dass an. Die Verhältnisse sprechen eine klare die Universität primär nicht die Berufs- Im Hintergrund haben wir es hier mit dem Sprache: 2005 erwarben in der Schweiz bildung, sondern die wissenschaftliche gängigen technokratischen Konzept von 580 Studierende an den zwölf universi- Bildung zu fördern habe. Der Nimbus der Wissen als Instrument zu tun. So wie man tären Hochschulen einen Weiterbildungs- «reinen» Wissenschaft hat indes seit dem die Leistungsfähigkeit einer Maschine stei- abschluss. 2008 waren es bereits 1200. Das Zweiten Weltkrieg und dem Aufkommen gert, indem man ihre Funktionsabläufe ist nicht bloss bildungsökonomische Statis- von Big Science irreparablen Schaden verbessert, so sucht sich der Lernende sozu- tik, dahinter verbergen sich Renovationen erlitten. Die Studentenunruhen in den sagen mit optimiertem Wissensportfolio für in den Fundamenten unserer neuzeitlichen 1960er Jahren trugen nicht wenig dazu bei, Best Practice zu ertüchtigen. Auch das ist Ideen über Universität, Bildung und Wissen- die Universität gesellschaftlich zu öffnen, nicht per se schlecht. Nur muss man eine schaft; ein Umbau im Selbstverständnis des den «Muff unter den Talaren» durch- Unterscheidung treffen, die der Frankfurter wissenden und gebildeten Menschen, der zulüften. Der Ruf nach einer «sozial verant- Soziologe Ulrich Oevermann – selber in der meiner Meinung nach zu wenig als solcher wortungsvollen» Wissenschaft wurde laut, universitären Weiterbildung tätig – kürzlich wahrgenommen wird. Deshalb unternehme als Gegenentwurf zur «bürgerlichen» Elfen- so beschrieben hat: «Die meisten Kursange- ich hier einen kleinen Inspektionsgang beinturm-Wissenschaft. Auch wenn er bote sind nicht Bildungs-, sondern Lern- durch ein paar konzeptuelle «Baustellen». grösstenteils auf ideologische Stumpen- angebote (...). Während Lernen im geleise führte, so hat er sich immerhin in Aneignen von Routine besteht, ist Bildung Zunächst die Rolle der Universität. Die Idee, der Idee des Wissens als eines Gemeinguts ein Prozess der Krisenbewältigung (...) – dass sich die universitäre Ausbildung an der in unsere Zeit herübergerettet. Die Idee ist nämlich eine kritische Haltung.» gesellschaftlichen Nachfrage zu orientieren allerdings akut gefährdet. Routine bedeutet, Dinge zu tun ohne hat, ist per se weder schlecht noch neu. In Denn die Neue Ökonomie definiert darüber nachzudenken. Im Gegensatz zur der Tat stammt sie aus der Universität des Wissen primär als Ware und die Universität Maschine kann der Mensch aus Routinen Mittelalters, die ganz in diesem Sinne struk- als ein «Liefer-Unternehmen» dieser Ware ausbrechen. Und genau diese Befreiung aus turiert war. Auch damals diktierte ein für den Kreislauf von Produktion und Selbstverständlichkeiten kennzeichnet echte Arbeitsmarkt die Bedürfnislage, nämlich die Konsum. Bildung und Weiterbildung sind Weiterbildung (Bildung schlechthin). Man Sorge um Recht, Gesundheit und Seele. nun «Assets». Und Studierende werden zu erkennt gewisse Dinge, die einem zuvor nur Und ihr entsprechend bildeten die Fakul- Kunden umdefiniert, die verwendbare bekannt waren. Dadurch erweist sich täten Juristen, Ärzte und Priester aus. Noch Qualifikationen, lies: ihre Beglaubigungen, Bildung letztlich immer als Persönlichkeits- 1621 liest man in Robert Burtons nachfragen und für das, was zählt, auch bildung. «Nur die Wissenschaft, die aus berühmter «Anatomie der Melancholie» ihren Preis zahlen. Nichtintendierte Folge dem Inneren stammt und in’s Innere von den «drei einträglichsten Disziplinen davon ist, dass Weiterbildung zu einer gepflanzt werden kann, bildet auch den Weiterbildung UniPress 146/2010 5
Charakter um» (Humboldt). Und eine zeichnet sich die grosse Herausforderung Doktor der politischen Philosophie, solche Bildung erfordert Zeit, weil sie sich ziemlich klar ab: Ein Bildungskonzept beschreibt darin seine erstaunliche «Weiter- nicht wie ein Modul von heute auf morgen nämlich, das Lehre und Studium, Ausbil- bildung» vom Akademiker zum Mechaniker. in mich einbauen lässt. Wissen und Bildung, dung und Bildung, Praxis und Reflexion, Seine Geschichte liest sich ironischerweise die nicht in der Person sedimentiert sind, Berufs- und Erkenntnisorientierung inte- wie ein Schulbeispiel für die soeben bleiben auf halbem Weg stecken. Mit grieren würde – mit einem Wort: duale erwähnte Zertifikatsinflation. Höherer Theodor Adorno gesprochen: «Das Halb- Bildung. Sie ist in der Schweiz ein aner- Universitätsabschluss – niedrig qualifizierte verstandene und Halberfahrene sind nicht kanntes und bewährtes Modell der Berufs- Arbeit: Crawford verfasste wissenschaft- die Vorstufe der Bildung, sondern ihr ausbildung. Was anstünde, wäre eine liche Abstracts für einen Think Tank, die Todfeind.» Ausweitung auf den tertiären Bereich. Das niemand las. Bis er sich entschloss, eine ist vorerst ein grosses Wort, zu dem ich nur Reparaturwerkstatt für Motorräder zu Weiterbildung heisst: mehr (und anderes) Folgendes sagen will: Gute Arbeit braucht eröffnen, Hand an Vergaser und Ventile zu Wissen, und nicht: mehr Bildungsnach- keinen Bachelor oder Master, sondern legen. Nicht nur kommt er damit gut über weise. Wissen produziert man aber nicht Expertise. Gefragt wäre also die Rückbesin- die Runden, die Arbeit am konkreten Ding wie Automobile oder Schuhe. Weil es nung auf die alte Bedeutung des Wortes (nebst Bücher schreiben) erfüllt ihn erst einem kognitiven Anspruch, einem Ethos «expertus», was so viel bedeutet wie noch zutiefst – intellektuell und emotional. genügt, das eine andere Achse als die des «erfahren sein», «etwas versucht haben», Man spricht gern vom technologischen Wirtschaftens begründet: jene der Erkennt- ergo auch «scheitern können». Ein Wissen Wandel, der alte Berufe zum Verschwinden nissuche. Wer das als traditionalistisch oder als Fähigkeit und Fertigkeit, Erfahrung bringe. Weiterbildung müsste daher auch idealistisch belächelt, vergisst, dass die auszuweiten, etwas zu versuchen, Probleme die Artenvielfalt der Arbeit zu erweitern ganze Tradition der wissenschaftlichen zu bewältigen oder mit ihnen zu leben, suchen. Dazu müssen intellektueller Mut, Erkenntnis mit dieser «intrinsischen» Moti- umfasst sehr viel mehr als akademische Querdenken, nichtdisziplinierte Neugier vation steht und fällt, wie das die Psycho- Geschultheit, nämlich praktische Intelligenz, geweckt werden. Eine Aufgabe für Kopf logen nennen. Universitäten sollten sich als zumal manuelle Geschicklichkeit und so- und Hand. Und dazu brauchen wir Leute Pflegestätten dieses Ethos’ wiederent- ziales Gespür. wie Crawford: Freaks, kreative Aussteiger, decken, statt es erodieren zu lassen. Es Unangepasste, Grenzgänger – Exoten im gibt – nebenbei bemerkt – immer noch eine Es gibt wohl kaum günstigere Bedingungen Kreislauf von Produktion und Konsum. grosse Zahl von Wissenschaftlern, die weit für ein duales Bildungskonzept als die Auch wenn sie Randerscheinungen sind, über ein vorgegebenes Mass hinaus an heutige Situation der Grenzauflösung und können sie als Vorbilder wirken. Stunden «für die Wahrheit» zu arbeiten des Wissensaustauschs zwischen den willens sind – eine Arbeit notabene, die Berufen. Bislang lag das Augenmerk auf Kontakt: Dr. Eduard Kaeser, sich meist nicht in monetärer, sondern in dem Übergang vom Beruf zu einer unipress@unibe.ch der Währung von wissenschaftlicher Aner- «höheren» Ausbildung: von der Schneiderin kennung und Freiheit auszahlt. Also muss zur Pädagogikprofessorin, vom Mechaniker an diesem Ethos nach wie vor etwas dran zum Wirtschaftsinformatiker. Man nimmt Eduard Kaeser, geboren 1948, ist Physiker sein. immer noch zu wenig wahr, dass der und promovierter Philosoph. Er unter- Ohne Zweifel hat sich die Universität «duale» Grenzverkehr auch in umgekehrter richtet Physik und Mathematik an der den neuen «extrinsischen» Bedingungen Richtung läuft. In den USA gelangte letztes Kantonsschule Olten. Daneben ist er als des Arbeitsmarktes anzupassen. Aber wer, Jahr ein Buch mit dem Titel «Shopclass as freier Publizist sowie als Jazzmusiker tätig. wenn nicht sie, müsste auch erkennen, dass Soulcraft» in die Bestsellerränge (frei über- 2009 erschien im Schwabe Verlag Basel es um mehr geht als um Zertifikatsjagd und setzt etwa mit «Werkunterricht als Seelen- «Pop Science. Essays zur Wissenschafts- Marktkonformität. Denn inzwischen bildung»). Der Autor Matthew B. Crawford, kultur». 6 UniPress 146/2010 Weiterbildung
Thomas Kramer, MAS in Psychology of Career Counseling and HumanUniPress Resources146/2010 Management 7
Weiterbildung: vom Stiefkind zur strategischen Position Vor 20 Jahren stiess der Bund das Weiterbildungs- angebot der Universitäten an. Heute ist die Universität Bern eine der führenden Weiter- bildungsuniversitäten in der Schweiz: Sie hat den institutionellen Nutzen der Weiterbildung erkannt. Von Walter Kälin und Andreas Fischer «Obwohl die Forderungen nach einer tischen Haltung zu begegnen haben», dem gelebten Bekenntnis zur Weiterbildung vermehrten Öffnung der Hochschulen für schrieb Karl Weber 1996 im UniPress. stärkt eine Universität ihre Beziehungen zu Belange der universitären Weiter- und Mittlerweile gehört die Weiterbildung Gesellschaft und Wirtschaft und stimuliert Erwachsenenbildung nicht neu sind, haben zum Standard einer Universität. Dies wird den Austausch zwischen Wissenschaft und unsere akademischen Institutionen bis seitens der Bildungspolitik erwartet und Arbeitswelt. Rückmeldungen von Absolven- heute diese Anliegen nur teilweise und seitens der Arbeitswelt hoch gewertet. Mit tinnen und Kursteilnehmern belegen den nicht systematisch berücksichtigt», schrieb der Bundesrat 1989. Weiterbildungsveranstaltungen an der In drei Phasen zum Zentrum für Universität Bern für Ärzte, Juristinnen und universitäre Weiterbildung andere Berufsleute gibt es seit langem. Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts kann man Erste Phase bis 1996: Die Koordinations- ausgearbeitet, die durch die Fakultäten aber dabei auch universitäre Abschlüsse stelle für Weiterbildung wird grösstenteils erlassen und den Senat genehmigt wer- und Titel erwerben. Den Start formalisierter durch den Bund subventioniert. Dieser den. In diese Phase fällt auch der Beginn Weiterbildung verdanken wir den Sonder- verlangt im Gegenzug ein ausdrückliches der Bologna-Reform, die sich in der Wei- massnahmen des Bundes zugunsten der Bekenntnis des Kantons und der Univer- terbildung vor allem mit der Standardisie- beruflichen und universitären Weiterbildung sität zur Mitfinanzierung und Weiterfüh- rung der Formate (CAS, DAS, MAS) mani- und der Aufmerksamkeit des damaligen rung nach Auslaufen der Bundesförde- festiert. Die Weiterbildungskommission Rektors Klaus Wegenast. Er war gleichzeitig rung. Die Ergänzungsstudien, die mit setzt unter ihrem Präsidenten Walter Kälin der erste Präsident der Weiterbildungskom- Diplomen, Zertifikaten oder Teilnahme- (seit 1997) die entsprechenden Vorgaben mission (WBK). 1988 hat er mit einer bescheinigungen abschliessen, werden um, erlässt Richtlinien zur Qualitätssiche- Arbeitsgruppe die Vorarbeiten dafür ge- von Instituten und Einzelpersonen initiiert rung und -entwicklung und sorgt für die leistet, dass am 1. Oktober 1990 die Koor- und mit Unterstützung der KWB entwi- institutionelle Einbindung der KWB. dinationsstelle für Weiterbildung (KWB) ckelt. Sie durchlaufen auf Stufe Univer- gegründet und zwischen 1990 und sität und Bund Bewilligungsverfahren, um Dritte Phase ab 2009: Die KWB scheidet 1996 insgesamt 28 «Ergänzungsstudien» in den Genuss der Bundessubventionen zu aus der KGE aus, die aufgelöst wird. mit Bundesunterstützung entwickelt kommen. Vereinzelt werden erste Studien- Gleichzeitig wird Karl Weber, der ihr seit werden konnten. Im Rückblick auf die reglemente in Kraft gesetzt. Beginn vorsteht und die Entwicklung der letzten 20 Jahre lassen sich drei Phasen Weiterbildung an der Universität mass- unterscheiden (siehe Kasten auf dieser Zweite Phase 1996 bis 2008: Die Weiter- gebend geprägt hat, emeritiert. Unter Seite). bildung wird als Kernaufgabe im revi- dem neuen Namen Zentrum für universi- dierten Universitätsgesetz bestätigt täre Weiterbildung (ZUW) wird die Weiter- Fruchtbarer Austausch (1996). Die Universität finanziert die KWB bildungsstelle administrativ dem Rektorat für die Universität in der bisherigen Ausstattung weiter und zugeordnet und erhält ein leicht verän- «Mit dem Engagement in der wissenschaft- integriert sie 1998 in die neu geschaffene dertes Profil, das sich auch in der Nicht- lichen Weiterbildung nehmen die aus staat- Konferenz der Gesamtuniversitären wiederbesetzung der Professur äussert. lichen Mitteln finanzierten Universitäten Einheiten (KGE). Die Angebote müssen Die Weiterbildungsforschung, welche eine öffentliche Aufgabe wahr. Sie knüpfen nun kostendeckend sein und ohne finan- Karl Weber aufgebaut hat und mit der die an das in den Wissenschaften unbestrittene zielle Unterstützung von Bund oder KWB internationale Reputation gewann, Ethos an, wonach diese ihr Wissen öffent- Kanton auskommen. Für Studiengänge verliert zugunsten der Dienstleistungs- lich zugänglich zu machen und gleichzeitig mit Masterabschlüssen, Diplomen und funktion des ZUW für die Universität an jedem Wissen gegenüber mit einer skep- Zertifikaten werden Studienreglemente Gewicht. 8 UniPress 146/2010 Weiterbildung
hohen Nutzen der Angebote für Wirtschaft Kosten zu decken. Deshalb ist die Weiterbil- sich ins schweizerische Weiterbildungs- und Verwaltung. dung bei diesen Angeboten auf die Unter- system integrieren, ohne an Qualität, Eigen- Was bringt die Weiterbildung aber der stützung aus anderen Quellen angewiesen. ständigkeit und Profil zu verlieren? Wie Universität? Auch hier hören wir Positives: Aber auch hier schafft die Weiterbildung in können sich unsere Angebote auf einem In der Weiterbildung lehrende Forsche- den Instituten qualifizierte Arbeitsplätze. Markt bewähren, der in einzelnen rinnen und Forscher schätzen den direkten Segmenten stark durch Konkurrenz geprägt Kontakt mit hochqualifizierten Fachleuten. Integration und Profilierung ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Diese bekleiden oft Kaderpositionen und Der Aufbau der Weiterbildung an unserer nächsten Jahren eine Konzentration profitieren von der Erweiterung ihrer Bezie- Universität kann als erfolgreich bezeichnet erfahren wird? Wo soll der Markt über das hungsnetze. Besonders bereichernd ist der werden (siehe Kasten auf dieser Seite). Auf Angebot entscheiden, und wo lassen sich in Kontakt unter den Lehrenden im gleichen der Agenda stehen nun weitere Integra- Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags Studiengang, ist doch der Lehrkörper in tionsschritte, die mit Chancen und Risiken der Universitäten für Angebote, die sich an Weiterbildungen oft interuniversitär, inter- verbunden sind. ein nicht so zahlungskräftiges Zielpublikum national und interdisziplinär zusammen- Vorerst ist die inneruniversitäre Integra- wenden, die nötigen Mittel finden? gesetzt. tion zu verstärken. Die vielfältigen durch die Auch wenn nach 20 Jahren die Aufbau- In der Weiterbildung ist es möglich, Universität angebotenen Bildungsformen phase abgeschlossen ist, bleiben die Forschungsergebnisse im kleinen Rahmen sollten noch besser aufeinander ausge- Herausforderungen hoch. Der Weiterbil- einem «Praxistest» auszusetzen. Das Feed- richtet werden. Dabei sind insbesondere dung an der Universität Bern steht heute back der berufserfahrenen Studierenden ist Übergänge und Anrechnungen zwischen ein tragfähiges Fundament zur Verfügung, wertvoll und nutzbringend, sofern sich die Bachelor-, Master-, PhD-Stufe und der um sie zuversichtlich anzugehen und die Wissenschaftler und Forscherinnen auf Weiterbildung zu klären und – sofern sinn- Entwicklungschancen zu nutzen. diese Auseinandersetzung einlassen. Die voll – zu erleichtern. Zudem besteht der universitären Weiterbildungsveranstal- Wunsch, die Weiterbildung noch stärker in Kontakt: Prof. Dr. Walter Kälin, Departement tungen leben vom Dialog. Damit ist auch die universitäre Strategie einzubinden und Öffentliches Recht der RW Fakultät, die Didaktik angesprochen, die angesichts in die Forschungsschwerpunkte einzu- walter.kaelin@oefre.unibe.ch der anspruchsvollen Kundschaft einer bringen. Dr. Andreas Fischer, Zentrum für universitäre besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Hier International ist die längerfristige Harmo- Weiterbildung (ZUW), eröffnet sich dem universitären Lehrkörper nisierung mit Europa im Auge zu behalten. andreas.fischer@zuw.unibe.ch ein Erfahrungsfeld, das sich durchaus Unsere Titel, insbesondere die Master of positiv auf die Lehre auf Bachelor- und Advanced Studies MAS, sind zwar an der Masterstufe auswirken kann. Bologna-Reform orientiert, stellen aber Weiterbildung 2009/2010 Der Nutzen der Weiterbildung für die doch eine schweizerische Lösung mit Erklä- Universität liegt nicht nur auf der Ebene der rungsbedarf dar. 38 Studiengänge, davon 26 MAS* Kommunikation, des Networking oder des National bildet die universitäre Weiter- 269 Einzelkurse gegenseitigen Wissenstransfers. Sie ist für bildung einen Teil der Weiterbildungs- 6300 Teilnehmende die Fakultäten und Institute finanziell inte- landschaft, der die Regelung durch ein 11 800 Angebotsstunden ressant, die hier Mittel erwirtschaften, Rahmengesetz bevorsteht. Dieses Gesetz- 205 MAS-, DAS-, CAS-Abschlüsse welche sie für Lehre und Forschung gebungsprojekt wirft für die Universität einsetzen können. Je nach Marktsituation hoch relevante Fragen auf: Wie verhält sich * damit steht die Universität Bern 2009 gibt es neben rentablen Studiengängen die wissenschaftliche Weiterbildung zum bezüglich MAS-Programmen und aber auch Angebote, bei denen die Studie- unüberschaubar gewordenen ausseruniver- -Studierenden an erster Stelle der renden allein nicht in der Lage wären, die sitären Weiterbildungsmarkt? Wie kann sie Schweizer Universitäten Weiterbildung UniPress 146/2010 9
Ulrike 10 Nigl Heim, UniPress MPH Public Health 146/2010
Die ökonomische Bedeutung der Weiterbildung Schweizerinnen und Schweizer investieren viel in ihre Weiterbildung – individuell oder durch den Arbeitgeber. Allerdings profitieren Männer mehr als Frauen. Und finanziell zahlt sich eine Weiterbildung nur minim aus. Von Stefan C. Wolter 5,3 Millarden Franken jährlich: So viel wird Arbeitgeber stark engagiert ... volumen), während bei den Männern, die in der Schweiz laut jüngsten Berechnungen Versucht man die jeweiligen Finanzierungs- Arbeitgeber über 60 Prozent finanzieren. der Universität Bern für Weiterbildung quellen über die konsumierte Weiterbildung ausgegeben. Damit hat die Weiterbildung, in ihrer Bedeutung zu bestimmen, ergibt Schwer zu berechnende Erträge gemessen am Umsatz, praktisch die gleiche sich im Total, dass rund die Hälfte aller Bei rational handelnden Individuen und Bedeutung wie die ganze Sekundarstufe II Weiterbildungsausgaben bei Erwerbstätigen Firmen geht der Ökonom davon aus, dass oder der ganze Tertiärbereich (Universi- in der Schweiz durch die Arbeitgeber finan- den Weiterbildungsinvestitionen auch ein täten, Fachhochschulen und Pädagogische ziert werden. Weiter ist bei der Untertei- Ertrag gegenübersteht, der das finanzielle Hochschulen). Fasst man die Weiter- lung in selbst- und arbeitgeberfinanzierte Engagement rechtfertigt. Diese Erträge bildungsinhalte in Themen zusammen, Weiterbildung auch der Faktor Zeit einzu- müssen nicht nur monetärer Natur sein, der sticht hervor, dass nur gerade 13 Prozent schliessen, der bei einer rein monetären Genuss von Bildung alleine (Konsumwert) der Weiterbildungsausgaben für Inhalte Betrachtung häufig unbeachtet bleibt. kann schon Anreiz genug sein, sein Geld verwendet werden, die klar freizeitorientiert Vielen Arbeitnehmenden wäre eine Beteili- einzusetzen. Solche nicht monetären sind. Rund 30 Prozent der Ausgaben gung des Arbeitgebers an den Weiterbil- Erträge sind auf der einen Seite schwer zu fliessen in Kurse, bei denen der Inhalt wohl dungsaktivitäten in Form von Arbeitszeit berechnen. Auf der anderen Seite ist es mehrheitlich vom Arbeitgeber bestimmt wichtiger und mehr wert, als die Rücker- unwahrscheinlich, dass Firmen und Indi- wurde und entsprechend auch finanziert stattung einer Kursgebühr. Schliesst man viduen jährlich einen Milliardenbetrag für wird. Weitere 20 Prozent fliessen in Kurse, die Kurszeit als weitere Finanzierungsform Weiterbildung aufwerfen, wenn sie sich die zusätzlich von den Erwerbstätigen selbst in die Analyse ein, ergibt sich das Bild, dass davon nicht auch pekuniäre Erträge als berufsbezogen bezeichnet werden. im Jahre 2006 lediglich 34 Prozent der erhoffen würden. Bei den beiden grössten inhaltlichen Weiterbildungskurse von Erwerbstätigen Solche lassen sich aber aus zumindest Kurskategorien, den Sprach- und Infor- keine Beteiligung der Arbeitgeber in Form drei Gründen nur schwer berechnen. matikkursen (zusammen fast 30 Prozent von Arbeitszeit, Geld oder beidem kannten. Erstens ist die Weiterbildung im Gegensatz der Ausgaben) kann zwar nicht genau zur formalen Bildung (von der Grundschule unterschieden werden, zu welchem Zweck ... aber weniger bei Frauen bis zur Universität) in Inhalt und Dauer sehr die Kurse besucht wurden. Aber auch hier Betrachtet man die Finanzierungsmuster viel heterogener und birgt somit das Risiko kann man davon ausgehen, dass das von erwerbstätigen Personen nach in sich, dass man Äpfel mit Birnen Gelernte mehrheitlich dem Arbeitsmarkt Geschlecht, wird ein hohes Mass an vergleicht, wenn man Erträge für eine zugute kommt. Ein wichtiges Weiter- Ungleichbehandlung von Frauen und durchschnittliche Weiterbildungsaktivität bildungsthema sind Sprachen: Gemessen Männern deutlich. Erwerbstätige Frauen berechnen will. Zweitens wirkt die Weiter- an den Gesamtausgaben wird laut Hoch- und Männer geben zwar ungefähr gleich bildung wohl nicht schon nach der ersten rechnung fast eine Milliarde Schweizer viel Geld für Weiterbildung aus. Der selbst- Aktivität, sondern erst mit der Zeit, das Franken jährlich alleine in das Erlernen von finanzierte Anteil liegt aber bei den Frauen heisst, wenn verschiedene Weiterbildungs- Fremdsprachen investiert. bei 60 Prozent (berechnet am Ausgabe- aktivitäten sich kumulieren. Im Durchschnitt Weiterbildung UniPress 146/2010 11
wendet ein Weiterbildungsaktiver in der Frauenförderung Schweiz pro Jahr rund eine Arbeitswoche in der Weiterbildung für Weiterbildung auf, was im Vergleich zu Die Forschung zeigt: Frauen geben etwa Zeit: Wir stellen qualifizierte Kinderbe- einer formalen Ausbildung von drei oder gleich viel Geld für Weiterbildung aus wie treuung an Kurstagen zur Verfügung, falls vier Jahren zwar nicht viel ist, aber kumu- Männer, werden von ihren Arbeitgebern weder der Partner noch eine Tagesmutter liert über mehrere Jahre doch wieder eine aber weniger unterstützt. Dies fällt vor (oder Kinderkrippe) die Betreuung über- stattliche Investition an Zeit und Geld allem dann ins Gewicht, wenn es um die nehmen kann. darstellt. Finanzierung von qualitativ hochstehenden Geld: Wir können dank Mitgliedschaft Drittens, und dies ist wohl der wichtigste und teuren Weiterbildungsprogrammen der Universität Rochester in der «Forte Grund, weshalb es so schwer ist, die geht, wie zum Beispiel einem universitären Foundation» Scholarships anbieten. Die Erträge von Weiterbildung zu berechnen, Executive MBA. Höhe der finanziellen Unterstützung wird sind die weiterbildungsaktiven Personen Die Universitäten Rochester NY (USA) sur dossier entschieden. keine zufällige Auswahl von Personen, und Bern bieten seit 1995 ein solches Ziel der Massnahmen ist es, den sondern in der Regel jene, die eh schon Programm an, das Rochester-Bern Execu- Studentinnenanteil im Rochester-Bern bessere Einkommensaussichten haben. tive MBA. Nur 13 Prozent der Alumni sind Executive MBA zu erhöhen. Erste Reak- Personen, die 2006 eine Weiterbildung Frauen; Grund genug, konkrete Förder- tionen auf die Initiative sind positiv. besucht hatten, verdienten 2007 fast massnahmen einzusetzen. Drei Bereiche sieben Prozent mehr als vergleichbare stehen im Zentrum: Kontakt: Dr. rer. oec. Petra Joerg, Managing Personen, die keine Weiterbildung Coaching: Wir beraten Frauen bei der Director des Rochester-Bern Executive MBA genossen hatten. Berücksichtigt man aber, Auswahl des richtigen Programms und Informationen zum Programm: unter dass die weiterbildungsaktiven Personen finden gemeinsam mit ihnen Argumente www.executive-mba.ch auch schon 2006 mehr verdient hatten, für die Verhandlungen mit dem Arbeit- Ein persönliches Gespräch vereinbaren Sie sinkt der Lohnvorteil auf 1,5 Prozent. geber. per E-Mail an info@executive-mba.ch Holländische Forscher haben gezeigt, dass die Löhne von weiterbildungsaktiven Personen kaum höher sind als jene derje- nigen Personen, die sich auch weiterbilden sieren zu können, gleichzeitig aber heute ebenfalls an der Universität Bern durch- wollten, dies aber aus einem exogenen schon Individuen und Firmen Milliarden- geführtes Experiment mit Weiterbildungs- Grund (beziehungsweise Krankheit) nicht beträge in Weiterbildung investieren. Also gutscheinen gezeigt, dass sich bildungs- tun konnten. Obwohl schwierig zu verfügen Individuen und nicht der Staat ferne Personen durchaus mit Geld in die berechnen, zeigt die ökonomische über das Wissen, wann, wo und in welche Weiterbildung bringen lassen. Aufpassen Forschung also, dass auch in der Weiter- Form der Weiterbildung es sich lohnt zu muss man dabei lediglich, dass das staat- bildung die Bäume wohl nicht in den investieren. Somit ist Vorsicht bei staat- liche Geld nicht wieder zu jenen Personen Himmel wachsen. lichen Investitionen und Interventionen fliesst, die sich die Weiterbildung auch angesagt. Eine Ausnahme mag bei wenig ohne staatlichen Zustupf geleistet hätten. Die Rolle des Staates? verdienenden und schlecht gebildeten Derzeit sind in der Schweiz Arbeiten im Personen bestehen, die sich einerseits Kontakt: Prof. Dr. Stefan C. Wolter ist Gange, die Rolle des Staates in der Weiter- Weiterbildung vielleicht auch dann nicht Honorarprofessor am Volkswirtschaftlichen bildung neu zu definieren. Aus dem oben leisten können, wenn sie etwas bringen Institut der Universität Bern und Direktor der Beschriebenen ist nun aber abzuleiten, dass würde oder die einen zusätzlichen mone- Schweizerischen Koordinationsstelle für sich die Forschung zwar schwer tut, die tären Anreiz brauchen, um ihre Zeit in Bildungsforschung (SKBF) in Aarau, ertragsreichen Weiterbildungsfelder lokali- Weiterbildung zu investieren. Hier hat ein stefan.wolter@vwi.unibe.ch 12 UniPress 146/2010 Weiterbildung
Erich Fehr, Executive Master UniPress of Public Administration 146/2010 13
Der ganz normale Umgang mit Kriminellen Das Verbrechen gehört zu ihrem Arbeitsalltag: Sarah Wirz (28) ist Kriminologin, Willy Nafzger (68) Gefängnisseelsorger. Das Rüstzeug für beide Berufe kann man sich mit einer Weiter- bildung der Universität Bern erwerben. Von Astrid Tomczak-Plewka und Christine Valentin Sarah Wirz, Sie haben nach ihrem Abschluss eine Betrachtet man das Verbrechen mit anderen Augen? Weiterbildung in Kriminologie gemacht. Waren Sie als Die meisten Menschen sehen Verbrechen einfach als etwas Juristin ungenügend aufs Berufsleben vorbereitet? Böses – was es ja auch ist. Aber der Kriminelle, der von Ich denke schon, dass ich genügend vorbereitet war. Vom Grund auf böse ist und etwas Böses im Schild führt, ist mir Fachbereich Kriminologie habe ich allerdings im Studium zu noch nie begegnet. Oft führen diverse Faktoren zur wenig mitbekommen. Kriminalität, etwa eine Suchterkrankung oder eine Notlage. Wenn man diesen Hintergrund kennt, kann man Warum ausgerechnet Kriminologie? diesen Menschen mit dem notwendigen Respekt Eigentlich fand ich Familienrecht super – bis mich ein begegnen. Studienkollege in die Rechtsmedizin schleppte. Da hat es mich gepackt. Willi Nafzger, Sie nicken … Das sehe ich auch so. Ich arbeite seit 35 Jahren im Straf- Was hat Rechtsmedizin mit Kriminologie zu tun? vollzug und habe mit Tätern wie mit Opfern zu tun. Mich Sie ist Teil davon: Kriminologie ist die Lehre des Ver- interessiert sehr, warum die Menschen so sind wie sie sind, brechens. Es geht um die Frage: Was führt zu einem Ver- das ist zentral für meine Arbeit als Gefängnisseelsorger. brechen – und wie können Verbrechen verhindert werden? Manchmal packt mich eine riesige Wut, wenn ich die Wie muss man mit den Kriminellen umgehen? Die Ver- Berichte des Untersuchungsgerichts lese oder die Doku- brechensaufklärung – etwa die Spurensicherung – fällt eher mente der Rechtsmedizin. Im Gespräch mit dem Täter in den Bereich der Kriminalistik. Auch Psychologie und begegne ich dann oft einem «flotten», ganz normalen Psychiatrie sind Teilgebiete der Kriminologie. Im Kernfach – Mann. Aber die Tat, die dieser Mensch begangen hat, ist der Verbrechenslehre – ist beispielsweise die Verbrechens- entsetzlich. furcht ein wichtiges Thema. Wie bringen Sie den «ganz normalen» Mann mit dem Was heisst das? Verbrecher zusammen? Ein Beispiel: Viele Menschen haben Angst, nachts alleine Ich möchte als Pfarrer und als Psychotherapeut Verständnis im Wald zu spazieren, weil hinter jedem Baum ein böser für kriminelle Phänomene entwickeln und den Hintergrund Mann lauern könnte. Die wenigsten Menschen haben verstehen – wobei ich sofort einschränken muss: Verstehen jedoch Angst vor ihrem Partner. Die Statistik zeigt aber heisst nicht akzeptieren! Ich rede mit den Insassen immer klar: In der Partnerschaft liegt das grösste Risiko, einem Klartext. Aber danach kommt der theologische Ansatz. Verbrechen zum Opfer zu fallen. Solche Dinge werden Denn der Täter besteht nicht nur aus seinem Verbrechen. einem durch das Studium bewusst. Man läuft mit anderen Er ist ein Mensch mit einer ganz privaten Geschichte, mit Augen durch die Welt. Gefühlen, mit Erinnerungen. Als Gefängnisseelsorger steht 14 UniPress 146/2010 Weiterbildung
man in einer unglaublichen Spannung und die muss man Nafzger: Das ist eines der grossen Probleme bei der Ausbil- aushalten können. dung der Gefängnisseelsorger wie auch bei der Bewertung der Arbeit. Wir können das Verhalten der Studierenden ja Kann ein Theologe das besonders gut? nicht mit einem Multiple-Choice-Fragebogen prüfen. Wie Als Leiter des Nachdiplomstudiums «Kirche im Straf- und sich jemand – etwa bei einem Sexualdelikt – in seiner Massnahmenvollzug» diskutiere ich oft mit Vertreterinnen Arbeit in der Strafanstalt verhält, ist schwer einzuschätzen. und Vertretern anderer Disziplinen – aus der Jurisprudenz Dazu kommt: Die Seelsorgerinnen und Seelsorger, aber oder der Rechtsmedizin –, weil das Studium interfakultär auch das Gefängnispersonal, fühlen sich durch gewisse aufgebaut ist. Diese Gespräche haben meinen Deutehori- Verbrechen persönlich überfordert. Meine Erfahrung hat zont als Theologe erweitert. Ich habe gelernt, realistischer mich gelehrt, dass es bei jedem Menschen ein Delikt gibt, zu sehen. mit dem er oder sie nicht mehr umgehen kann. Das heisst: Juristen sind realistischer als Theologen? Wo liegen die Grenzen? Nein, aber Juristen justieren in diesem Punkt die Wahrneh- Wir haben in der Strafanstalt Saxerriet versucht, Täter und mung schärfer. Opfer zusammenzubringen. Doch wir mussten einsehen, Wirz: Ich glaube, sie nehmen vor allem die Emotionen aus dass das nicht funktioniert. Als Seelsorgerin oder Psycho- dem Thema. Ich kann Akten mit toten Menschen therapeut identifiziert man sich in einer solchen Situation anschauen – das berührt mich nicht, es darf mich nicht berühren. Aber wenn ich auf der Strasse ein totes Kätz- chen sehe, könnte ich in Tränen ausbrechen. Willi Nafzger (68) ist Theologe und Psychotherapeut, Studienleiter Nachdiplomstudium «Kirche im Straf- und Trainiert man das im Studium? Massnahmenvollzug» der Universität Bern, Ausbildner im Wirz: Ich glaube nicht, dass man das trainieren kann. Aber Programm «Tataufarbeitung/Wiedergutmachung» in der die Faszination, die ich für das Fach habe, hilft mir. Ich bin Kantonalen Strafanstalt Saxerriet/SG und Dozent im sonst ein sehr emotionaler Mensch und auch sensibel. «Schweizerischen Ausbildungszentrum für Strafvollzugs- personal» in Fribourg: Viktimologie. Willi Nafzger ist Ist das eine Folge der unterschiedlichen Ausrichtung verheiratet und lebt in der Stadt Bern. der beiden Fächer? Die Normen und Gesetze bei den Juristinnen und Juristen, die Emotionen eher Sarah Wirz (28) ist Gerichtsschreiberin in der Strafabtei- ausschliessen, während es in der Theologie – verkürzt lung des Richteramts Olten-Gösgen im Kanton Solothurn. gesagt – um den Menschen mit all seinen Gefühlen Die Juristin hat 2009 ihre Weiterbildung zur Kriminologin geht. abgeschlossen und lebt in Hägendorf/SO. Weiterbildung UniPress 146/2010 15
mit dem Opfer wie mit dem Täter – das bringt man dann eingesperrt ist in einer kleinen Zelle. Man kann nicht kaum mehr unter einen Hut. Wir lassen in unserer Arbeit schnell einkaufen oder seiner Familie anrufen. Man ist die Emotionen sehr nahe an uns herankommen, ohne geht einfach in dieser Zelle. es nicht. Nafzger: Diese Leute sind 24 Stunden, Tage, Monate, Jahre Wirz: Da liegt der Unterschied zu uns beim Gericht: Wir eingesperrt, das vergisst man oft. sind nicht unmittelbar involviert. Es hat ein gewisser Ver- Wirz: Man ist zudem mit Leuten zusammen, die man nicht arbeitungsprozess stattgefunden – und zwar sowohl beim gewählt hat. Ich war für meine Dissertation im Untersu- Opfer wie beim Täter. Wenn Opfer vor Gericht auftreten, chungsgefängnis in Zürich. In einer Zelle waren drei Frauen sind sie gut vorbereitet – zum Teil auch medikamentös. Der eingesperrt: Eine wegen Drogendelikten, sie war HIV-positiv Täter hat meist ebenfalls eine Entwicklung gemacht, zeigt und hatte Hepatitis. Daneben eine Prostituierte und eine Reue. Und wenn man einen Fall mal nicht so gut Mutter von zwei Kindern, die wegen eines Urkunden- verkraftet, kann man die Akte zur Seite legen und sie an deliktes einsass – das könnte im Prinzip auch eine einem anderen Tag weiter bearbeiten. Nachbarin von mir sein. Diese Frauen haben überhaupt keine Intimsphäre, auch das WC befindet sich in Wie gehen Sie damit um, dass in den Gefängnissen der Zelle, praktisch kaum abgetrennt. Je nach Auftragslage heute sehr viele Nationen und Religionen vertreten können die Gefängnisse den Insassen auch keine Beschäfti- sind? gung anbieten, dann sind sie 23 Stunden am Tag ein- Nafzger: Das ist ein Problem. Ich habe während 14 Jahren gesperrt. Eine Stunde täglich haben sie Ausgang. in der Strafanstalt Pöschwies Supervisionen gemacht. Dort hatten wir damals bei den Insassen 68 Nationen und es Hat Ihnen die Weiterbildung zur Kriminologin gehol- gab pro Tag bis 12 verschiedene Menus. Auch bei den fen, mit solchen Situationen umzugehen? Konfessionen gab es alle Varianten. Die Insassen möchten Ja sehr. Ich merke es an den Gesprächen mit anderen. jedoch nicht in erster Linie einen Seelsorger ihrer Konfes- Juristen haben nach ihrem Studium nicht zwangsläufig sion, sondern vor allem einen Gesprächspartner. Wer in die eine Ahnung davon, wie es in einem Gefängnis aussieht. Strafanstalt kommt, ist von einem Moment auf den So wie ich keine Ahnung von einer Firmengründung anderen völlig von der Welt abgeschottet. Er oder sie habe – obwohl ich das im Studium am Rande auch verliert alle bisherigen Rollen als Vater, Freundin, Arbeit- mitbekommen habe. Selbst wenn ich mich im Master- nehmer oder Vereinsmitglied und wird nur noch über die studium auf Strafrecht spezialisiere, bleibt das Wissen ober- Rolle als «Strafgefangener» definiert. Das löst sehr starke flächlich. seelische Konsequenzen aus. Den Insassen stellt sich in der Regel nur noch eine existenzielle Frage: Wie halte ich das Wenn man Ihre beiden Fachgebiete vergleicht: Kann aus? man sagen, dass das Verbindende die Konfrontation Wirz: Viele Leute sagen, die haben es schön im Gefängnis, mit den «menschlichen Abgründen» ist? die haben einen Fernseher und alles. Aber es geht nicht Vielleicht ist es die Faszination des Themas. Wenn man die darum, dass ein Vegetarier auch im Gefängnis ein vegeta- Einstellung hat, «Ich will etwas gegen all die bösen risches Menü bekommt. Sondern darum, dass man einfach Menschen tun», ist man am falschen Ort und verbittert 16 UniPress 146/2010 Weiterbildung
Brigitte Schildknecht, DAS146/2010 UniPress in Tanzkultur 17
Wir lassen in unserer Arbeit die Emotionen sehr nahe an uns herankommen, ohne geht es nicht. Willi Nafzger irgendwann. Man sieht den gleichen Täter nämlich oft vier diplomstudium – zusammen mit der KWB, dem heutigen- oder fünf Mal. Ich würde nicht unbedingt von der Faszina- Zentrum für universitäre Weiterbildung ZUW – auf die tion der Abgründe sprechen – letztlich haben wir alle Beine zu stellen. solche Abgründe. Es gibt Situationen, in denen jeder Mensch in der einen oder anderen Art kriminell werden Frau Wirz, Herr Nafzger hat gesagt, er habe durch könnte. seine Arbeit mehr über sich selbst erfahren. Haben Sie Nafzger: Ich bin froh, dass Sie das so sagen. Meine Faszi- sich durch Ihr Nachdiplomstudium auch besser kennen nation an den Abgründen der Menschen liegt zwischen gelernt? «Faszinosum» und «Tremendum». Einerseits ist das Gebiet Ja sicher. Gerade das Bewusstsein, dass gewisse Dinge spannend, gleichzeitig bekommt man aber auch Angst. Die einem selber auch passieren könnten. Man urteilt weniger Angst hat zur Folge, dass ich mich und meine eigenen schnell. Man weiss, dass hinter einer Tat viel mehr steckt, dunklen Punkte anschaue. Das geschieht etwa bei Fällen als man sieht. In der Weiterbildung habe ich gelernt, mich wie jenem Kirchgemeindepräsidenten, der seine Frau, mehr zu hinterfragen. Es gibt einen Test, bei dem man nachdem sie ihn zehn Jahre lang betrogen hatte, plötzlich eruieren kann, ob man die Kriterien für eine psychopatho- eines Nachts umbrachte. Da stelle ich mir die Frage: Könnte logische Störung erfüllt. Mit etwas Phantasie könnte man mir das nicht auch passieren? Es braucht oft unglaublich unter Umständen auch bei mir eine Störung finden. wenig, dass man plötzlich auf der anderen Seite steht ... Macht Ihnen das keine Angst? Herr Nafzger, Sie haben vor 20 Jahren das Nachdiplom- Nein, überhaupt nicht. Ich war früher eher ängstlicher. studium «Kirche im Straf- und Massnahmenvollzug» Heute gilt für mich: Kenne deinen Feind. Der gefährliche der Universität Bern konzipiert. Was gab den Anstoss Täter ist meistens nicht der böse Mensch, der das lange dazu? geplant hat. Die Kirche hat jahrelang ältere Pfarrerinnen und Pfarrer unter dem Motto «dort können sie sicher nichts falsch Da könnte man ja Verfolgungswahn bekommen. machen» in Altersheime, Spitäler und Gefängnisse Ja. Aber bei mir ist das nicht so. Ich konnte mich mehr mit geschickt. Aber diese Seelsorger kommen bei den heutigen dem Phänomen des Verbrechens auseinandersetzen. Krimi- Insassen von Strafanstalten nicht an – von denen müssen nalität ist etwas Menschliches. Die Augen zu verschliessen sie sich einiges gefallen lassen, sie müssen hart im Nehmen und zu sagen «damit will ich nichts zu tun haben», ist sein. Zudem ist das Personal der Strafanstalten heute gut sicher nicht der richtige Weg. ausgebildet, sie sind in Themen wie Jurisprudenz, Psycho- logie, Forensik oder Therapien bewandert. Mir ist damals Wie sieht das Geschlechterverhältnis aus? klar geworden, dass der liebe Gott allein als Ausbildung für Das Weiterbildungsstudium in Kriminologie besuchen wohl Gefängnisseelsorger nicht mehr ausreicht – um es pointiert mehr Männer als Frauen. Das liegt wohl daran, dass Frauen zu formulieren. Es war klar, dass die Leute besser ausge- mit Kindern eine Weiterbildung generell weniger oft anpa- bildet werden mussten. Das hat mich motiviert, das Nach- cken – auch aus finanziellen Gründen. Viele Frauen 18 UniPress 146/2010 Weiterbildung
Es gibt Situationen, in denen jeder Mensch in der einen oder anderen Art kriminell werden könnte. Sarah Wirz denken, dass sie dieses Geld besser in die Familie inves- Schubladen falsch geöffnet waren. Für ihn war klar: Das ist tieren, gerade wenn sie bereits einen Hochschulabschluss konstruiert. Wir Juristen hingegen waren viel zögerlicher, haben. Deshalb habe ich die Weiterbildung rasch ange- wir wären nie darauf gekommen. Aus diesen Erfahrungen packt. Ich wusste: Jetzt bin ich frei, habe keine anderen kann man sehr viel lernen. Verpflichtungen. Herr Nafzger, Sie blicken auf 20 Jahre Weiterbildung Herr Nafzger, ist das Geschlechterverhältnis in Ihrem für Gefängnisseelsorger zurück. Was hat das Nachdi- Studiengang ausgeglichen? Es gibt ja inzwischen sehr plomstudium gebracht, hat sich die Qualität der Arbeit viele Theologinnen ... der Pfarrerinnen und Pfarrer verändert? Der Frauenanteil liegt bei 45 Prozent. Die Erfahrung und Evaluationen zeigen, dass wir inzwi- schen ernst genommen werden. In den Kantonen Bern und Wie bewegen sich Frauen im männerdominierten Zürich ist die Absolvierung des Studiengangs heute Bedin- Umfeld der Strafanstalten? gung, um eine Stelle als Gefängnisseelsorger antreten zu Das geht gut. Wir legen auch Wert darauf, dass es mehr können. In anderen Kantonen kommt das noch. Die Latte Frauen beim Personal hat. Ich war früher skeptisch. Aber liegt deutlich höher als früher. nach den ersten Erfahrungen in der Strafanstalt Pöschwies habe ich meine Meinung geändert. Die Frauen verändern Frau Wirz, Sie arbeiten heute als Gerichtsschreiberin. die Gesprächskultur in dieser derben Männerwelt, das ist War Ihr Nachdiplomstudium bei der Bewerbung ein sehr positiv. Thema? Wirz: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Insassen Ja. Ich war noch in der Weiterbildung, als ich mich um die höflich und zuvorkommend sind. Als ich zum ersten Mal im Stelle bewarb. Eigentlich suchten sie einen Mann, da an Gefängnis war, sagten sie: Es ist schön, wieder einmal eine diesem Gericht schon sehr viele Frauen tätig sind. Es Frauenstimme zu hören. Nicht einmal: Es ist schön, einen wurden nur Männer zum Vorstellungsgespräch ein- Frauenkörper zu sehen. Sie waren dankbar für diese geladen – und ich. Das Nachdiplomstudium war somit ein Abwechslung. Despektierliche Insassen habe ich selten Wettbewerbsvorteil. erlebt. Kontakt: Wirz Sarah, sarah.wirz@bd.so.ch; Der Studiengang «Kriminologie» wird von Personen Willi Nafzger, w.nafzger@vtxmail.ch absolviert, die aus unterschiedlichen Fachgebieten wie den Rechts- und Sozialwissenschaften oder der Psycho- logie stammen. Wie haben Sie diese Zusammensetzung erlebt? Sehr spannend. Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der wir darüber diskutierten, wie man an einen Tatort heran geht. Der Polizist hat sofort gesehen, dass die Weiterbildung UniPress 146/2010 19
20 UniPress 146/2010 Thomas Hardmeier-Bühlmann, Ececutive Master of Public Administration
Für eine gesunde Gesellschaft Zu viele übergewichtige Kinder, Gefahr einer Masern-Epidemie, steigende Kranken- kassenprämien: Diese Themen aus der Tagespresse illustrieren die Aktualität von Public Health – auch öffentliche Gesundheit oder Gesundheitswissenschaften genannt. Seit 1992 bieten die Universitäten Basel, Bern und Zürich einen gemeinsamen Studiengang an. Von Karin Faisst und Lara Modolo Public Health beziehungsweise «Santé wesen wie zum Beispiel Spitäler, ärztliche individuell gestaltet und in zwei bis fünf Publique» setzt sich für die Schaffung und Grundversorgende, kantonale Gesundheits- Jahren berufsbegleitend durchlaufen Sicherung gesunder Lebensbedingungen für dienste, Bundesbehörden, Non-Profit- werden. die Menschen ein. Während Public Health Organisationen, Beratungsstellen oder Das Programm bietet jährlich 36 ver- in vielen Ländern eine grosse Bedeutung Forschungsinstitutionen. In den letzten schiedene 2- bis 10-tägige Module an, die hat, ist das Thema und damit auch Präven- Jahren wuchs auch der Anteil von grundsätzlich allen Public-Health-Interes- tion und Gesundheitsförderung in den Personen, die in der Pharmaindustrie und sierten aus der Schweiz und dem Ausland deutschsprachigen Ländern eher wenig bei Versicherern beschäftigt sind. 250 offen stehen. Engagierte Dozierende aus entwickelt. Personen haben bislang den Titel «Master dem akademischen und praxisnahen Bis Anfang der 90er Jahre war es folg- of Public Health» im Programm erworben, Umfeld sichern einen Ausbildungsstandard lich auch in der Schweiz nicht möglich, die davon besetzt eine Vielzahl Schlüsselpositi- auf hohem universitärem Niveau. Insgesamt Disziplin Public Health zu studieren oder onen im schweizerischen Gesundheits- dozieren in den Modulen jährlich rund 150 sich darin weiterzubilden. Mit den «Sonder- wesen. Public-Health-Expertinnen und -Experten massnahmen des Bundes zugunsten der aus dem In- und Ausland. Eine begleitete universitären Weiterbildung» vom März Interdisziplinär, flexibel, praxisnah Projektarbeit mit Master-Thesis am 1990 wurde ein wichtiger Anstoss zur Der interdisziplinäre Ansatz von Public Ende des Masterstudiums gibt den Teil- Schaffung eines Weiterbildungsangebotes Health ist ein Kernstück der Ausbildung. nehmenden zudem die Gelegenheit, das für Public Health in der Schweiz gegeben. Ziel ist die Vermittlung von gemeinsamen Gelernte in die Praxis umzusetzen und so Im Zuge dieser Entwicklung haben die Insti- Perspektiven und Zielen. Als gemeinsame den Erwerb einer professionellen Hand- tute für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) Basis dienen konzeptionelles Denken, lungskompetenz unter Beweis zu stellen. der Universitäten Basel, Bern und Zürich methodische Instrumente, Fachkenntnisse gemeinsam ein breit abgestütztes Public und -kompetenzen, die in den Disziplinen Auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet Health Weiterbildungsprogramm in der Epidemiologie, Biostatistik, Prävention und Qualitätsmanagement ist ein integraler Deutschschweiz entwickelt und kontinuier- Gesundheitsförderung, Health Policy and Bestandteil des Weiterbildungsprogramms. lich weiter ausgebaut. Aktuell besteht die Health Management sowie in verschie- Dazu zählen zum Beispiel standardisierte Möglichkeit, sich gezielt zu Einzelfragen denen anderen Fächern vermittelt werden. Modulevaluationen und Monitoring des weiterzubilden und Einzelmodule zu besu- Zudem besteht die Möglichkeit des Er- Studienerfolgs der Teilnehmenden. 2001 chen oder einen universitären Weiterbil- fahrungsaustausches und der Vernetzung wurde der Studiengang in einem internati- dungsabschluss anzustreben und zwischen mit aktuellen und künftigen Public-Health- onalen Peer-Review-Prozess durch ASPHER einem Zertifikats-, einem Diplom- oder Expertinnen und -Experten. (Association of Schools of Public Health in einem Masterstudiengang zu wählen. Die modulare und interuniversitäre the European Region) begutachtet. Die Das Weiterbildungsprogramm richtet Struktur des Programms bietet den Studie- nationale Akkreditierung folgte 2005. Der sich an Akademikerinnen und Akademiker renden maximale Flexibilität in der Planung Studiengang erhielt damit als einer der mit einer Vorbildung in Medizin, Natur-, und Gestaltung ihres Studien- und Berufs- ersten in der Schweiz im Bereich Gesund- Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Teil- lebens. So kann das gesamte MPH-Curri- heitswesen/Medizin ein Qualitätszertifikat, nehmenden vertreten zudem ein breites culum für den Masterabschluss je nach das international ausgerichtete Qualitäts- Spektrum an Akteuren im Gesundheits- persönlichen und beruflichen Ressourcen standards bescheinigt. Weiterbildung UniPress 146/2010 21
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