UniPress* - Weiterbildung * Gespräch - Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung - Pallavi Bajaj, global citizen 40 - Zentrum für ...

 
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Weiterbildung

* Gespräch – Vom Wissen zur Heilung             36
* Begegnung – Pallavi Bajaj, global citizen          40
                                                          Oktober 2010   146
* Forschung – Faule Jungs          32

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Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
UniPress* - Weiterbildung * Gespräch - Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung - Pallavi Bajaj, global citizen 40 - Zentrum für ...
WEITERBILDUNG

Weiterbildung ist ein Geschäft. 5,3 Milliarden Franken werden in
der Schweiz laut jüngsten Berechnungen der Universität Bern
jährlich dafür ausgegeben. Damit hat die Weiterbildung vom
Umsatz her eine ähnliche Bedeutung wie die gesamte Tertiär-
stufe der Bildung. Auffällig an den Zahlen: Nur 13 Prozent der
Weiterbildungsausgaben werden für Inhalte verwendet, die klar
freizeitorientiert sind. Weiterbildung dient also grossmehrheitlich
der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt.
Die jeweils passende Ausbildung zu finden ist angesichts der
Vielzahl konkurrierender Anbieter indes schwierig. Einen wich-
tigen Hinweis auf die Qualität erhoffen sich die Weiterbildungs-
willigen vom jeweiligen Absender. Und als solcher ist die Univer-
sität Bern seit 20 Jahren auf dem Markt präsent. Weiterbildung
gehört neben Lehre, Forschung und Dienstleistung zum Kernauf-
trag der Institution. Und die Uni wäre nicht die Uni, ginge es
ausschliesslich um zusätzliche Instrumente zur weiteren Qualifi-
kation für den Arbeitsmarkt. Denn Weiterbildung im erweiterten
Sinn meint mehr als Zertifikats-Huberei; sie umfasst beides,
Berufs- und Erkenntnisorientierung. Dies jedenfalls fordert unser
Essay zum Jubiläum der Weiterbildung an der Universität Bern
im Schwerpunkt dieses Heftes. Aus Wissen soll Bildung werden.

Mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt «TransCure» wird
in der Schweiz ein neues Kapitel in der Forschungslandschaft
aufgeschlagen. Die translational ausgerichtete Forschung will
vom Gen bis zum Heilmittel vordringen. Damit dies gelingt,
sollen schweizweit 18 Forschungsgruppen der drei Fachrich-
tungen Physiologie, Strukturbiologie und Chemie gebündelt
werden. Der Forschungsschwerpunkt wird von der Universität
Bern getragen und steht unter der Leitung des Biochemikers
Matthias Hediger. «Wir wollen erstrangige und einzigartige
biomedizinische Forschung generieren und zur Behandlung von
menschlichen Krankheiten einsetzen», umschreibt der Berner
Professor die Zielsetzung im «Gespräch» in diesem Heft. Aus
Wissen soll Heilung werden.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

                                                      Marcus Moser

                                                                      UniPress   146/2010   1
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Klimaforschung                                                                            Forschung im Bernbiet                                                                           Public Governance

  * Gespräch – Wenn aus Tüftlern Unternehmer werden               38                        * Gespräch – Wie unser Konsum den Hunger verschärft            30                               * Gespräch – Kein Kapitalismus ohne Krise            32
  * Begegnung – Was «blindes Vertrauen» heisst               42                             * Begegnung – Ein diskreter Vermittler           34                                             * Begegnung – Pietro Ballinaris Zufallsglück          36
                                                                        Juni 2009     141                                                                       Ok to b e r 2 0 0 9   142                                                                    Dezember 2009    143
  * Forschung – Wie die Pompadour Europa veränderte               33                                                                                                                        * Forschung – Die Verlierer der direkten Demokratie        30

                                                                                                                                                                                            UniPress*
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  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                                                                                                        Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
                                                                                            Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

  Bilder eines Jubiläums                                                                    150 Jahre Botanischer Garten                                                                    Weiterbildung

  * Gespräch – Wenn der Krieg privat wird              38                                   * Gespräch – Chancen und Risiken der Nanotechnologie           30                               * Gespräch – Vom Wissen zur Heilung             36
  * Begegnung – Die Spezialistin für Luchs & Co              43                             * Begegnung – Esti Warmbrodts Bücherwelt                  34
                                                                       A pri l 2010   144                                                                       Juni 2010             145   * Begegnung – Pallavi Bajaj, global citizen          40
                                                                                                                                                                                                                                                            Oktober 2010     146
  * Forschung – Atemhilfe für Frühgeborene              36

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                                                                                            * Forschung – Warum Schweizer zum Islam konvertieren           22

                                                                                            UniPress*
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                                                                                                                                                                                            UniPress*

                                                                                                                                                                                            Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                        Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

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            2           UniPress                 146/2010
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Inhalt

                                                            WEITERBILDUNG

                                                         5 Weiterbilden – weiter wohin?
                                                           Von Eduard Kaeser

                                                         8 Weiterbildung: vom Stiefkind zur strategischen Position.
                                                           Von Walter Kälin und Andreas Fischer

                                                        11 Die ökonomische Bedeutung der Weiterbildung.
                                                           Von Stefan C. Wolter
FORSCHUNG UND RUBRIKEN
                                                        14 Der ganz normale Umgang mit Kriminellen.
                                                           Von Astrid Tomczak-Plewka und Christine Valentin
     Forschung
                                                        21 Für eine gesunde Gesellschaft.
 32 Erziehungswissenschaft: Schulversager wollen           Von Karin Faisst und Lara Modolo
    «echte Kerle» sein.
    Von Astrid Tomczak-Plewka                           25 Tanzkultur an der Universität.
                                                           Von Claudia Rosiny
 34 Ökonomie: Arm trotz Finanzhilfe.
    Von Susanne Brenner                                 28 Hochschuldozierende lernen besser zu unterrichten.
                                                           Von Thomas Tribelhorn

     Rubriken                                               Porträts von Weiterbildungsstudierenden:
                                                            Alexander Egger
  1 Editorial

 36 Gespräch
    Matthias Hediger – Vom Wissen zur Heilung.
    Von Marcus Moser

 40 Begegnung
    Pallavi Bajaj – Eine Weltbürgerin nimmt Anlauf in
    Bern.
    Von Astrid Tomczak-Plewka

 42 Meinung
    Wenn Seilparks, Hängebrücken und Klettersteige
    spriessen.
    Von Hansruedi Müller

 43 Bücher

 44 Impressum

                                                                                              UniPress   146/2010   3
UniPress* - Weiterbildung * Gespräch - Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung - Pallavi Bajaj, global citizen 40 - Zentrum für ...
4SilviaUniPress
        Hänzi, Executive
                 146/2010Master of Public Administration
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Weiterbilden – weiter wohin?

Universitäten haben eine Verantwortung, dass
Weiterbildung unter den Anforderungen der
heutigen Arbeitswelt nicht zur blossen Zertifikats-
Huberei mutiert. Es brauche beides, «Praxis und
Reflexion, Berufs- und Erkenntnisorientierung»,
schreibt der Philosoph Eduard Kaeser in seinem
Essay zum Thema Weiterbildung.

Von Eduard Kaeser

Du sollst dich weiterbilden! lautet das         Jura, Medizin und Theologie», auf die sich       Zertifikats-Huberei mutieren kann. Als
oberste Gebot der so genannten Wissens-         die Durchschnittsstudenten eiligst würfen.       «Inflation der Ausbildungsnachweise»
gesellschaft. Mittlerweile macht sich der           Die Humboldtsche Idee der Universität        erkannte der amerikanische Bildungssozio-
Imperativ zum lebenslangen Lernen in fast       setzte vor zwei Jahrhunderten den Akzent         loge Randall Collins bereits 2002 diese
allen Berufssparten bemerkbar, oft mit          auf die Bildungsorientierung. Für Wilhelm        Entwicklung: ein deformierter Arbeitsmarkt,
moralisierendem Unterton. Die Universi-         von Humboldt war die Wissenschaft ein            auf dem ich primär nicht nach meiner
täten rüsten sich auf mit Zentren für           Wert an sich. Und für die Stabilität dieses      Arbeit, sondern nach meinen Zertifikaten
«Advanced Studies», sie werben mit einer        Wertes garantierte der Staat, indem er die       beurteilt werde. Eine Inflation, so Collins,
reichhaltigen Angebotspalette: Friedens-        Universität finanziell unterstützte, sich aber   die «sich endlos fortsetzen könnte, bis der
und Konfliktforschung, Kulturmanagement,        sonst nicht in Forschung und Lehre ein-          Hausmeister einen Doktor der Philosophie
Papierkurator, eine theologische Fakultät       mischte. Das Konzept der «reinen» Wissen-        benötigt».
bietet sogar einen «MAS in Spiritualität»       schaft war geboren: die Vorstellung, dass
an. Die Verhältnisse sprechen eine klare        die Universität primär nicht die Berufs-         Im Hintergrund haben wir es hier mit dem
Sprache: 2005 erwarben in der Schweiz           bildung, sondern die wissenschaftliche           gängigen technokratischen Konzept von
580 Studierende an den zwölf universi-          Bildung zu fördern habe. Der Nimbus der          Wissen als Instrument zu tun. So wie man
tären Hochschulen einen Weiterbildungs-         «reinen» Wissenschaft hat indes seit dem         die Leistungsfähigkeit einer Maschine stei-
abschluss. 2008 waren es bereits 1200. Das      Zweiten Weltkrieg und dem Aufkommen              gert, indem man ihre Funktionsabläufe
ist nicht bloss bildungsökonomische Statis-     von Big Science irreparablen Schaden             verbessert, so sucht sich der Lernende sozu-
tik, dahinter verbergen sich Renovationen       erlitten. Die Studentenunruhen in den            sagen mit optimiertem Wissensportfolio für
in den Fundamenten unserer neuzeitlichen        1960er Jahren trugen nicht wenig dazu bei,       Best Practice zu ertüchtigen. Auch das ist
Ideen über Universität, Bildung und Wissen-     die Universität gesellschaftlich zu öffnen,      nicht per se schlecht. Nur muss man eine
schaft; ein Umbau im Selbstverständnis des      den «Muff unter den Talaren» durch-              Unterscheidung treffen, die der Frankfurter
wissenden und gebildeten Menschen, der          zulüften. Der Ruf nach einer «sozial verant-     Soziologe Ulrich Oevermann – selber in der
meiner Meinung nach zu wenig als solcher        wortungsvollen» Wissenschaft wurde laut,         universitären Weiterbildung tätig – kürzlich
wahrgenommen wird. Deshalb unternehme           als Gegenentwurf zur «bürgerlichen» Elfen-       so beschrieben hat: «Die meisten Kursange-
ich hier einen kleinen Inspektionsgang          beinturm-Wissenschaft. Auch wenn er              bote sind nicht Bildungs-, sondern Lern-
durch ein paar konzeptuelle «Baustellen».       grösstenteils auf ideologische Stumpen-          angebote (...). Während Lernen im
                                                geleise führte, so hat er sich immerhin in       Aneignen von Routine besteht, ist Bildung
Zunächst die Rolle der Universität. Die Idee,   der Idee des Wissens als eines Gemeinguts        ein Prozess der Krisenbewältigung (...) –
dass sich die universitäre Ausbildung an der    in unsere Zeit herübergerettet. Die Idee ist     nämlich eine kritische Haltung.»
gesellschaftlichen Nachfrage zu orientieren     allerdings akut gefährdet.                          Routine bedeutet, Dinge zu tun ohne
hat, ist per se weder schlecht noch neu. In         Denn die Neue Ökonomie definiert             darüber nachzudenken. Im Gegensatz zur
der Tat stammt sie aus der Universität des      Wissen primär als Ware und die Universität       Maschine kann der Mensch aus Routinen
Mittelalters, die ganz in diesem Sinne struk-   als ein «Liefer-Unternehmen» dieser Ware         ausbrechen. Und genau diese Befreiung aus
turiert war. Auch damals diktierte ein          für den Kreislauf von Produktion und             Selbstverständlichkeiten kennzeichnet echte
Arbeitsmarkt die Bedürfnislage, nämlich die     Konsum. Bildung und Weiterbildung sind           Weiterbildung (Bildung schlechthin). Man
Sorge um Recht, Gesundheit und Seele.           nun «Assets». Und Studierende werden zu          erkennt gewisse Dinge, die einem zuvor nur
Und ihr entsprechend bildeten die Fakul-        Kunden umdefiniert, die verwendbare              bekannt waren. Dadurch erweist sich
täten Juristen, Ärzte und Priester aus. Noch    Qualifikationen, lies: ihre Beglaubigungen,      Bildung letztlich immer als Persönlichkeits-
1621 liest man in Robert Burtons                nachfragen und für das, was zählt, auch          bildung. «Nur die Wissenschaft, die aus
berühmter «Anatomie der Melancholie»            ihren Preis zahlen. Nichtintendierte Folge       dem Inneren stammt und in’s Innere
von den «drei einträglichsten Disziplinen       davon ist, dass Weiterbildung zu einer           gepflanzt werden kann, bildet auch den

                                                               Weiterbildung                                          UniPress   146/2010   5
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Charakter um» (Humboldt). Und eine              zeichnet sich die grosse Herausforderung        Doktor der politischen Philosophie,
solche Bildung erfordert Zeit, weil sie sich    ziemlich klar ab: Ein Bildungskonzept           beschreibt darin seine erstaunliche «Weiter-
nicht wie ein Modul von heute auf morgen        nämlich, das Lehre und Studium, Ausbil-         bildung» vom Akademiker zum Mechaniker.
in mich einbauen lässt. Wissen und Bildung,     dung und Bildung, Praxis und Reflexion,         Seine Geschichte liest sich ironischerweise
die nicht in der Person sedimentiert sind,      Berufs- und Erkenntnisorientierung inte-        wie ein Schulbeispiel für die soeben
bleiben auf halbem Weg stecken. Mit             grieren würde – mit einem Wort: duale           erwähnte Zertifikatsinflation. Höherer
Theodor Adorno gesprochen: «Das Halb-           Bildung. Sie ist in der Schweiz ein aner-       Universitätsabschluss – niedrig qualifizierte
verstandene und Halberfahrene sind nicht        kanntes und bewährtes Modell der Berufs-        Arbeit: Crawford verfasste wissenschaft-
die Vorstufe der Bildung, sondern ihr           ausbildung. Was anstünde, wäre eine             liche Abstracts für einen Think Tank, die
Todfeind.»                                      Ausweitung auf den tertiären Bereich. Das       niemand las. Bis er sich entschloss, eine
                                                ist vorerst ein grosses Wort, zu dem ich nur    Reparaturwerkstatt für Motorräder zu
Weiterbildung heisst: mehr (und anderes)        Folgendes sagen will: Gute Arbeit braucht       eröffnen, Hand an Vergaser und Ventile zu
Wissen, und nicht: mehr Bildungsnach-           keinen Bachelor oder Master, sondern            legen. Nicht nur kommt er damit gut über
weise. Wissen produziert man aber nicht         Expertise. Gefragt wäre also die Rückbesin-     die Runden, die Arbeit am konkreten Ding
wie Automobile oder Schuhe. Weil es             nung auf die alte Bedeutung des Wortes          (nebst Bücher schreiben) erfüllt ihn erst
einem kognitiven Anspruch, einem Ethos          «expertus», was so viel bedeutet wie            noch zutiefst – intellektuell und emotional.
genügt, das eine andere Achse als die des       «erfahren sein», «etwas versucht haben»,            Man spricht gern vom technologischen
Wirtschaftens begründet: jene der Erkennt-      ergo auch «scheitern können». Ein Wissen        Wandel, der alte Berufe zum Verschwinden
nissuche. Wer das als traditionalistisch oder   als Fähigkeit und Fertigkeit, Erfahrung         bringe. Weiterbildung müsste daher auch
idealistisch belächelt, vergisst, dass die      auszuweiten, etwas zu versuchen, Probleme       die Artenvielfalt der Arbeit zu erweitern
ganze Tradition der wissenschaftlichen          zu bewältigen oder mit ihnen zu leben,          suchen. Dazu müssen intellektueller Mut,
Erkenntnis mit dieser «intrinsischen» Moti-     umfasst sehr viel mehr als akademische          Querdenken, nichtdisziplinierte Neugier
vation steht und fällt, wie das die Psycho-     Geschultheit, nämlich praktische Intelligenz,   geweckt werden. Eine Aufgabe für Kopf
logen nennen. Universitäten sollten sich als    zumal manuelle Geschicklichkeit und so-         und Hand. Und dazu brauchen wir Leute
Pflegestätten dieses Ethos’ wiederent-          ziales Gespür.                                  wie Crawford: Freaks, kreative Aussteiger,
decken, statt es erodieren zu lassen. Es                                                        Unangepasste, Grenzgänger – Exoten im
gibt – nebenbei bemerkt – immer noch eine       Es gibt wohl kaum günstigere Bedingungen        Kreislauf von Produktion und Konsum.
grosse Zahl von Wissenschaftlern, die weit      für ein duales Bildungskonzept als die          Auch wenn sie Randerscheinungen sind,
über ein vorgegebenes Mass hinaus an            heutige Situation der Grenzauflösung und        können sie als Vorbilder wirken.
Stunden «für die Wahrheit» zu arbeiten          des Wissensaustauschs zwischen den
willens sind – eine Arbeit notabene, die        Berufen. Bislang lag das Augenmerk auf          Kontakt: Dr. Eduard Kaeser,
sich meist nicht in monetärer, sondern in       dem Übergang vom Beruf zu einer                 unipress@unibe.ch
der Währung von wissenschaftlicher Aner-        «höheren» Ausbildung: von der Schneiderin
kennung und Freiheit auszahlt. Also muss        zur Pädagogikprofessorin, vom Mechaniker
an diesem Ethos nach wie vor etwas dran         zum Wirtschaftsinformatiker. Man nimmt          Eduard Kaeser, geboren 1948, ist Physiker
sein.                                           immer noch zu wenig wahr, dass der              und promovierter Philosoph. Er unter-
   Ohne Zweifel hat sich die Universität        «duale» Grenzverkehr auch in umgekehrter        richtet Physik und Mathematik an der
den neuen «extrinsischen» Bedingungen           Richtung läuft. In den USA gelangte letztes     Kantonsschule Olten. Daneben ist er als
des Arbeitsmarktes anzupassen. Aber wer,        Jahr ein Buch mit dem Titel «Shopclass as       freier Publizist sowie als Jazzmusiker tätig.
wenn nicht sie, müsste auch erkennen, dass      Soulcraft» in die Bestsellerränge (frei über-   2009 erschien im Schwabe Verlag Basel
es um mehr geht als um Zertifikatsjagd und      setzt etwa mit «Werkunterricht als Seelen-      «Pop Science. Essays zur Wissenschafts-
Marktkonformität. Denn inzwischen               bildung»). Der Autor Matthew B. Crawford,       kultur».

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UniPress* - Weiterbildung * Gespräch - Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung - Pallavi Bajaj, global citizen 40 - Zentrum für ...
Thomas Kramer, MAS in Psychology of Career Counseling and HumanUniPress
                                                                Resources146/2010
                                                                          Management
                                                                                   7
UniPress* - Weiterbildung * Gespräch - Vom Wissen zur Heilung 36 * Begegnung - Pallavi Bajaj, global citizen 40 - Zentrum für ...
Weiterbildung: vom Stiefkind zur
strategischen Position
Vor 20 Jahren stiess der Bund das Weiterbildungs-
angebot der Universitäten an. Heute ist die
Universität Bern eine der führenden Weiter-
bildungsuniversitäten in der Schweiz: Sie hat den
institutionellen Nutzen der Weiterbildung erkannt.

Von Walter Kälin und Andreas Fischer

«Obwohl die Forderungen nach einer             tischen Haltung zu begegnen haben»,           dem gelebten Bekenntnis zur Weiterbildung
vermehrten Öffnung der Hochschulen für         schrieb Karl Weber 1996 im UniPress.          stärkt eine Universität ihre Beziehungen zu
Belange der universitären Weiter- und              Mittlerweile gehört die Weiterbildung     Gesellschaft und Wirtschaft und stimuliert
Erwachsenenbildung nicht neu sind, haben       zum Standard einer Universität. Dies wird     den Austausch zwischen Wissenschaft und
unsere akademischen Institutionen bis          seitens der Bildungspolitik erwartet und      Arbeitswelt. Rückmeldungen von Absolven-
heute diese Anliegen nur teilweise und         seitens der Arbeitswelt hoch gewertet. Mit    tinnen und Kursteilnehmern belegen den
nicht systematisch berücksichtigt», schrieb
der Bundesrat 1989.
    Weiterbildungsveranstaltungen an der       In drei Phasen zum Zentrum für
Universität Bern für Ärzte, Juristinnen und    universitäre Weiterbildung
andere Berufsleute gibt es seit langem. Erst
seit Ende des 20. Jahrhunderts kann man        Erste Phase bis 1996: Die Koordinations-      ausgearbeitet, die durch die Fakultäten
aber dabei auch universitäre Abschlüsse        stelle für Weiterbildung wird grösstenteils   erlassen und den Senat genehmigt wer-
und Titel erwerben. Den Start formalisierter   durch den Bund subventioniert. Dieser         den. In diese Phase fällt auch der Beginn
Weiterbildung verdanken wir den Sonder-        verlangt im Gegenzug ein ausdrückliches       der Bologna-Reform, die sich in der Wei-
massnahmen des Bundes zugunsten der            Bekenntnis des Kantons und der Univer-        terbildung vor allem mit der Standardisie-
beruflichen und universitären Weiterbildung    sität zur Mitfinanzierung und Weiterfüh-      rung der Formate (CAS, DAS, MAS) mani-
und der Aufmerksamkeit des damaligen           rung nach Auslaufen der Bundesförde-          festiert. Die Weiterbildungskommission
Rektors Klaus Wegenast. Er war gleichzeitig    rung. Die Ergänzungsstudien, die mit          setzt unter ihrem Präsidenten Walter Kälin
der erste Präsident der Weiterbildungskom-     Diplomen, Zertifikaten oder Teilnahme-        (seit 1997) die entsprechenden Vorgaben
mission (WBK). 1988 hat er mit einer           bescheinigungen abschliessen, werden          um, erlässt Richtlinien zur Qualitätssiche-
Arbeitsgruppe die Vorarbeiten dafür ge-        von Instituten und Einzelpersonen initiiert   rung und -entwicklung und sorgt für die
leistet, dass am 1. Oktober 1990 die Koor-     und mit Unterstützung der KWB entwi-          institutionelle Einbindung der KWB.
dinationsstelle für Weiterbildung (KWB)        ckelt. Sie durchlaufen auf Stufe Univer-
gegründet und zwischen 1990 und                sität und Bund Bewilligungsverfahren, um      Dritte Phase ab 2009: Die KWB scheidet
1996 insgesamt 28 «Ergänzungsstudien»          in den Genuss der Bundessubventionen zu       aus der KGE aus, die aufgelöst wird.
mit Bundesunterstützung entwickelt             kommen. Vereinzelt werden erste Studien-      Gleichzeitig wird Karl Weber, der ihr seit
werden konnten. Im Rückblick auf die           reglemente in Kraft gesetzt.                  Beginn vorsteht und die Entwicklung der
letzten 20 Jahre lassen sich drei Phasen                                                     Weiterbildung an der Universität mass-
unterscheiden (siehe Kasten auf dieser         Zweite Phase 1996 bis 2008: Die Weiter-       gebend geprägt hat, emeritiert. Unter
Seite).                                        bildung wird als Kernaufgabe im revi-         dem neuen Namen Zentrum für universi-
                                               dierten Universitätsgesetz bestätigt          täre Weiterbildung (ZUW) wird die Weiter-
Fruchtbarer Austausch                          (1996). Die Universität finanziert die KWB    bildungsstelle administrativ dem Rektorat
für die Universität                            in der bisherigen Ausstattung weiter und      zugeordnet und erhält ein leicht verän-
«Mit dem Engagement in der wissenschaft-       integriert sie 1998 in die neu geschaffene    dertes Profil, das sich auch in der Nicht-
lichen Weiterbildung nehmen die aus staat-     Konferenz der Gesamtuniversitären             wiederbesetzung der Professur äussert.
lichen Mitteln finanzierten Universitäten      Einheiten (KGE). Die Angebote müssen             Die Weiterbildungsforschung, welche
eine öffentliche Aufgabe wahr. Sie knüpfen     nun kostendeckend sein und ohne finan-        Karl Weber aufgebaut hat und mit der die
an das in den Wissenschaften unbestrittene     zielle Unterstützung von Bund oder            KWB internationale Reputation gewann,
Ethos an, wonach diese ihr Wissen öffent-      Kanton auskommen. Für Studiengänge            verliert zugunsten der Dienstleistungs-
lich zugänglich zu machen und gleichzeitig     mit Masterabschlüssen, Diplomen und           funktion des ZUW für die Universität an
jedem Wissen gegenüber mit einer skep-         Zertifikaten werden Studienreglemente         Gewicht.

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hohen Nutzen der Angebote für Wirtschaft        Kosten zu decken. Deshalb ist die Weiterbil-      sich ins schweizerische Weiterbildungs-
und Verwaltung.                                 dung bei diesen Angeboten auf die Unter-          system integrieren, ohne an Qualität, Eigen-
   Was bringt die Weiterbildung aber der        stützung aus anderen Quellen angewiesen.          ständigkeit und Profil zu verlieren? Wie
Universität? Auch hier hören wir Positives:     Aber auch hier schafft die Weiterbildung in       können sich unsere Angebote auf einem
In der Weiterbildung lehrende Forsche-          den Instituten qualifizierte Arbeitsplätze.       Markt bewähren, der in einzelnen
rinnen und Forscher schätzen den direkten                                                         Segmenten stark durch Konkurrenz geprägt
Kontakt mit hochqualifizierten Fachleuten.      Integration und Profilierung                      ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit in den
Diese bekleiden oft Kaderpositionen und         Der Aufbau der Weiterbildung an unserer           nächsten Jahren eine Konzentration
profitieren von der Erweiterung ihrer Bezie-    Universität kann als erfolgreich bezeichnet       erfahren wird? Wo soll der Markt über das
hungsnetze. Besonders bereichernd ist der       werden (siehe Kasten auf dieser Seite). Auf       Angebot entscheiden, und wo lassen sich in
Kontakt unter den Lehrenden im gleichen         der Agenda stehen nun weitere Integra-            Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags
Studiengang, ist doch der Lehrkörper in         tionsschritte, die mit Chancen und Risiken        der Universitäten für Angebote, die sich an
Weiterbildungen oft interuniversitär, inter-    verbunden sind.                                   ein nicht so zahlungskräftiges Zielpublikum
national und interdisziplinär zusammen-             Vorerst ist die inneruniversitäre Integra-    wenden, die nötigen Mittel finden?
gesetzt.                                        tion zu verstärken. Die vielfältigen durch die        Auch wenn nach 20 Jahren die Aufbau-
   In der Weiterbildung ist es möglich,         Universität angebotenen Bildungsformen            phase abgeschlossen ist, bleiben die
Forschungsergebnisse im kleinen Rahmen          sollten noch besser aufeinander ausge-            Herausforderungen hoch. Der Weiterbil-
einem «Praxistest» auszusetzen. Das Feed-       richtet werden. Dabei sind insbesondere           dung an der Universität Bern steht heute
back der berufserfahrenen Studierenden ist      Übergänge und Anrechnungen zwischen               ein tragfähiges Fundament zur Verfügung,
wertvoll und nutzbringend, sofern sich die      Bachelor-, Master-, PhD-Stufe und der             um sie zuversichtlich anzugehen und die
Wissenschaftler und Forscherinnen auf           Weiterbildung zu klären und – sofern sinn-        Entwicklungschancen zu nutzen.
diese Auseinandersetzung einlassen. Die         voll – zu erleichtern. Zudem besteht der
universitären Weiterbildungsveranstal-          Wunsch, die Weiterbildung noch stärker in         Kontakt: Prof. Dr. Walter Kälin, Departement
tungen leben vom Dialog. Damit ist auch         die universitäre Strategie einzubinden und        Öffentliches Recht der RW Fakultät,
die Didaktik angesprochen, die angesichts       in die Forschungsschwerpunkte einzu-              walter.kaelin@oefre.unibe.ch
der anspruchsvollen Kundschaft einer            bringen.                                          Dr. Andreas Fischer, Zentrum für universitäre
besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Hier              International ist die längerfristige Harmo-   Weiterbildung (ZUW),
eröffnet sich dem universitären Lehrkörper      nisierung mit Europa im Auge zu behalten.         andreas.fischer@zuw.unibe.ch
ein Erfahrungsfeld, das sich durchaus           Unsere Titel, insbesondere die Master of
positiv auf die Lehre auf Bachelor- und         Advanced Studies MAS, sind zwar an der
Masterstufe auswirken kann.                     Bologna-Reform orientiert, stellen aber           Weiterbildung 2009/2010
   Der Nutzen der Weiterbildung für die         doch eine schweizerische Lösung mit Erklä-
Universität liegt nicht nur auf der Ebene der   rungsbedarf dar.                                      38   Studiengänge, davon 26 MAS*
Kommunikation, des Networking oder des              National bildet die universitäre Weiter-        269    Einzelkurse
gegenseitigen Wissenstransfers. Sie ist für     bildung einen Teil der Weiterbildungs-             6300    Teilnehmende
die Fakultäten und Institute finanziell inte-   landschaft, der die Regelung durch ein            11 800   Angebotsstunden
ressant, die hier Mittel erwirtschaften,        Rahmengesetz bevorsteht. Dieses Gesetz-             205    MAS-, DAS-, CAS-Abschlüsse
welche sie für Lehre und Forschung              gebungsprojekt wirft für die Universität
einsetzen können. Je nach Marktsituation        hoch relevante Fragen auf: Wie verhält sich       * damit steht die Universität Bern 2009
gibt es neben rentablen Studiengängen           die wissenschaftliche Weiterbildung zum             bezüglich MAS-Programmen und
aber auch Angebote, bei denen die Studie-       unüberschaubar gewordenen ausseruniver-             -Studierenden an erster Stelle der
renden allein nicht in der Lage wären, die      sitären Weiterbildungsmarkt? Wie kann sie           Schweizer Universitäten

                                                                Weiterbildung                                           UniPress   146/2010   9
Ulrike
10      Nigl Heim,
     UniPress      MPH Public Health
                146/2010
Die ökonomische Bedeutung
der Weiterbildung

Schweizerinnen und Schweizer investieren viel in
ihre Weiterbildung – individuell oder durch
den Arbeitgeber. Allerdings profitieren Männer
mehr als Frauen. Und finanziell zahlt sich eine
Weiterbildung nur minim aus.

Von Stefan C. Wolter

5,3 Millarden Franken jährlich: So viel wird    Arbeitgeber stark engagiert ...                  volumen), während bei den Männern, die
in der Schweiz laut jüngsten Berechnungen       Versucht man die jeweiligen Finanzierungs-       Arbeitgeber über 60 Prozent finanzieren.
der Universität Bern für Weiterbildung          quellen über die konsumierte Weiterbildung
ausgegeben. Damit hat die Weiterbildung,        in ihrer Bedeutung zu bestimmen, ergibt          Schwer zu berechnende Erträge
gemessen am Umsatz, praktisch die gleiche       sich im Total, dass rund die Hälfte aller        Bei rational handelnden Individuen und
Bedeutung wie die ganze Sekundarstufe II        Weiterbildungsausgaben bei Erwerbstätigen        Firmen geht der Ökonom davon aus, dass
oder der ganze Tertiärbereich (Universi-        in der Schweiz durch die Arbeitgeber finan-      den Weiterbildungsinvestitionen auch ein
täten, Fachhochschulen und Pädagogische         ziert werden. Weiter ist bei der Untertei-       Ertrag gegenübersteht, der das finanzielle
Hochschulen). Fasst man die Weiter-             lung in selbst- und arbeitgeberfinanzierte       Engagement rechtfertigt. Diese Erträge
bildungsinhalte in Themen zusammen,             Weiterbildung auch der Faktor Zeit einzu-        müssen nicht nur monetärer Natur sein, der
sticht hervor, dass nur gerade 13 Prozent       schliessen, der bei einer rein monetären         Genuss von Bildung alleine (Konsumwert)
der Weiterbildungsausgaben für Inhalte          Betrachtung häufig unbeachtet bleibt.            kann schon Anreiz genug sein, sein Geld
verwendet werden, die klar freizeitorientiert   Vielen Arbeitnehmenden wäre eine Beteili-        einzusetzen. Solche nicht monetären
sind. Rund 30 Prozent der Ausgaben              gung des Arbeitgebers an den Weiterbil-          Erträge sind auf der einen Seite schwer zu
fliessen in Kurse, bei denen der Inhalt wohl    dungsaktivitäten in Form von Arbeitszeit         berechnen. Auf der anderen Seite ist es
mehrheitlich vom Arbeitgeber bestimmt           wichtiger und mehr wert, als die Rücker-         unwahrscheinlich, dass Firmen und Indi-
wurde und entsprechend auch finanziert          stattung einer Kursgebühr. Schliesst man         viduen jährlich einen Milliardenbetrag für
wird. Weitere 20 Prozent fliessen in Kurse,     die Kurszeit als weitere Finanzierungsform       Weiterbildung aufwerfen, wenn sie sich
die zusätzlich von den Erwerbstätigen selbst    in die Analyse ein, ergibt sich das Bild, dass   davon nicht auch pekuniäre Erträge
als berufsbezogen bezeichnet werden.            im Jahre 2006 lediglich 34 Prozent der           erhoffen würden.
Bei den beiden grössten inhaltlichen            Weiterbildungskurse von Erwerbstätigen               Solche lassen sich aber aus zumindest
Kurskategorien, den Sprach- und Infor-          keine Beteiligung der Arbeitgeber in Form        drei Gründen nur schwer berechnen.
matikkursen (zusammen fast 30 Prozent           von Arbeitszeit, Geld oder beidem kannten.       Erstens ist die Weiterbildung im Gegensatz
der Ausgaben) kann zwar nicht genau                                                              zur formalen Bildung (von der Grundschule
unterschieden werden, zu welchem Zweck          ... aber weniger bei Frauen                      bis zur Universität) in Inhalt und Dauer sehr
die Kurse besucht wurden. Aber auch hier        Betrachtet man die Finanzierungsmuster           viel heterogener und birgt somit das Risiko
kann man davon ausgehen, dass das               von erwerbstätigen Personen nach                 in sich, dass man Äpfel mit Birnen
Gelernte mehrheitlich dem Arbeitsmarkt          Geschlecht, wird ein hohes Mass an               vergleicht, wenn man Erträge für eine
zugute kommt. Ein wichtiges Weiter-             Ungleichbehandlung von Frauen und                durchschnittliche Weiterbildungsaktivität
bildungsthema sind Sprachen: Gemessen           Männern deutlich. Erwerbstätige Frauen           berechnen will. Zweitens wirkt die Weiter-
an den Gesamtausgaben wird laut Hoch-           und Männer geben zwar ungefähr gleich            bildung wohl nicht schon nach der ersten
rechnung fast eine Milliarde Schweizer          viel Geld für Weiterbildung aus. Der selbst-     Aktivität, sondern erst mit der Zeit, das
Franken jährlich alleine in das Erlernen von    finanzierte Anteil liegt aber bei den Frauen     heisst, wenn verschiedene Weiterbildungs-
Fremdsprachen investiert.                       bei 60 Prozent (berechnet am Ausgabe-            aktivitäten sich kumulieren. Im Durchschnitt

                                                               Weiterbildung                                           UniPress   146/2010   11
wendet ein Weiterbildungsaktiver in der          Frauenförderung
Schweiz pro Jahr rund eine Arbeitswoche          in der Weiterbildung
für Weiterbildung auf, was im Vergleich zu       Die Forschung zeigt: Frauen geben etwa          Zeit: Wir stellen qualifizierte Kinderbe-
einer formalen Ausbildung von drei oder          gleich viel Geld für Weiterbildung aus wie   treuung an Kurstagen zur Verfügung, falls
vier Jahren zwar nicht viel ist, aber kumu-      Männer, werden von ihren Arbeitgebern        weder der Partner noch eine Tagesmutter
liert über mehrere Jahre doch wieder eine        aber weniger unterstützt. Dies fällt vor     (oder Kinderkrippe) die Betreuung über-
stattliche Investition an Zeit und Geld          allem dann ins Gewicht, wenn es um die       nehmen kann.
darstellt.                                       Finanzierung von qualitativ hochstehenden       Geld: Wir können dank Mitgliedschaft
    Drittens, und dies ist wohl der wichtigste   und teuren Weiterbildungsprogrammen          der Universität Rochester in der «Forte
Grund, weshalb es so schwer ist, die             geht, wie zum Beispiel einem universitären   Foundation» Scholarships anbieten. Die
Erträge von Weiterbildung zu berechnen,          Executive MBA.                               Höhe der finanziellen Unterstützung wird
sind die weiterbildungsaktiven Personen              Die Universitäten Rochester NY (USA)     sur dossier entschieden.
keine zufällige Auswahl von Personen,            und Bern bieten seit 1995 ein solches           Ziel der Massnahmen ist es, den
sondern in der Regel jene, die eh schon          Programm an, das Rochester-Bern Execu-       Studentinnenanteil im Rochester-Bern
bessere Einkommensaussichten haben.              tive MBA. Nur 13 Prozent der Alumni sind     Executive MBA zu erhöhen. Erste Reak-
Personen, die 2006 eine Weiterbildung            Frauen; Grund genug, konkrete Förder-        tionen auf die Initiative sind positiv.
besucht hatten, verdienten 2007 fast             massnahmen einzusetzen. Drei Bereiche
sieben Prozent mehr als vergleichbare            stehen im Zentrum:                           Kontakt: Dr. rer. oec. Petra Joerg, Managing
Personen, die keine Weiterbildung                    Coaching: Wir beraten Frauen bei der     Director des Rochester-Bern Executive MBA
genossen hatten. Berücksichtigt man aber,        Auswahl des richtigen Programms und          Informationen zum Programm: unter
dass die weiterbildungsaktiven Personen          finden gemeinsam mit ihnen Argumente         www.executive-mba.ch
auch schon 2006 mehr verdient hatten,            für die Verhandlungen mit dem Arbeit-        Ein persönliches Gespräch vereinbaren Sie
sinkt der Lohnvorteil auf 1,5 Prozent.           geber.                                       per E-Mail an info@executive-mba.ch
Holländische Forscher haben gezeigt, dass
die Löhne von weiterbildungsaktiven
Personen kaum höher sind als jene derje-
nigen Personen, die sich auch weiterbilden       sieren zu können, gleichzeitig aber heute    ebenfalls an der Universität Bern durch-
wollten, dies aber aus einem exogenen            schon Individuen und Firmen Milliarden-      geführtes Experiment mit Weiterbildungs-
Grund (beziehungsweise Krankheit) nicht          beträge in Weiterbildung investieren. Also   gutscheinen gezeigt, dass sich bildungs-
tun konnten. Obwohl schwierig zu                 verfügen Individuen und nicht der Staat      ferne Personen durchaus mit Geld in die
berechnen, zeigt die ökonomische                 über das Wissen, wann, wo und in welche      Weiterbildung bringen lassen. Aufpassen
Forschung also, dass auch in der Weiter-         Form der Weiterbildung es sich lohnt zu      muss man dabei lediglich, dass das staat-
bildung die Bäume wohl nicht in den              investieren. Somit ist Vorsicht bei staat-   liche Geld nicht wieder zu jenen Personen
Himmel wachsen.                                  lichen Investitionen und Interventionen      fliesst, die sich die Weiterbildung auch
                                                 angesagt. Eine Ausnahme mag bei wenig        ohne staatlichen Zustupf geleistet hätten.
Die Rolle des Staates?                           verdienenden und schlecht gebildeten
Derzeit sind in der Schweiz Arbeiten im          Personen bestehen, die sich einerseits       Kontakt: Prof. Dr. Stefan C. Wolter ist
Gange, die Rolle des Staates in der Weiter-      Weiterbildung vielleicht auch dann nicht     Honorarprofessor am Volkswirtschaftlichen
bildung neu zu definieren. Aus dem oben          leisten können, wenn sie etwas bringen       Institut der Universität Bern und Direktor der
Beschriebenen ist nun aber abzuleiten, dass      würde oder die einen zusätzlichen mone-      Schweizerischen Koordinationsstelle für
sich die Forschung zwar schwer tut, die          tären Anreiz brauchen, um ihre Zeit in       Bildungsforschung (SKBF) in Aarau,
ertragsreichen Weiterbildungsfelder lokali-      Weiterbildung zu investieren. Hier hat ein   stefan.wolter@vwi.unibe.ch

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Erich Fehr, Executive Master UniPress
                             of Public Administration
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Der ganz normale
Umgang mit Kriminellen

Das Verbrechen gehört zu ihrem Arbeitsalltag:
Sarah Wirz (28) ist Kriminologin, Willy
Nafzger (68) Gefängnisseelsorger. Das Rüstzeug
für beide Berufe kann man sich mit einer Weiter-
bildung der Universität Bern erwerben.

Von Astrid Tomczak-Plewka und Christine Valentin

Sarah Wirz, Sie haben nach ihrem Abschluss eine                Betrachtet man das Verbrechen mit anderen Augen?
Weiterbildung in Kriminologie gemacht. Waren Sie als           Die meisten Menschen sehen Verbrechen einfach als etwas
Juristin ungenügend aufs Berufsleben vorbereitet?              Böses – was es ja auch ist. Aber der Kriminelle, der von
Ich denke schon, dass ich genügend vorbereitet war. Vom        Grund auf böse ist und etwas Böses im Schild führt, ist mir
Fachbereich Kriminologie habe ich allerdings im Studium zu     noch nie begegnet. Oft führen diverse Faktoren zur
wenig mitbekommen.                                             Kriminalität, etwa eine Suchterkrankung oder eine
                                                               Notlage. Wenn man diesen Hintergrund kennt, kann man
Warum ausgerechnet Kriminologie?                               diesen Menschen mit dem notwendigen Respekt
Eigentlich fand ich Familienrecht super – bis mich ein         begegnen.
Studienkollege in die Rechtsmedizin schleppte. Da hat es
mich gepackt.                                                  Willi Nafzger, Sie nicken …
                                                               Das sehe ich auch so. Ich arbeite seit 35 Jahren im Straf-
Was hat Rechtsmedizin mit Kriminologie zu tun?                 vollzug und habe mit Tätern wie mit Opfern zu tun. Mich
Sie ist Teil davon: Kriminologie ist die Lehre des Ver-        interessiert sehr, warum die Menschen so sind wie sie sind,
brechens. Es geht um die Frage: Was führt zu einem Ver-        das ist zentral für meine Arbeit als Gefängnisseelsorger.
brechen – und wie können Verbrechen verhindert werden?         Manchmal packt mich eine riesige Wut, wenn ich die
Wie muss man mit den Kriminellen umgehen? Die Ver-             Berichte des Untersuchungsgerichts lese oder die Doku-
brechensaufklärung – etwa die Spurensicherung – fällt eher     mente der Rechtsmedizin. Im Gespräch mit dem Täter
in den Bereich der Kriminalistik. Auch Psychologie und         begegne ich dann oft einem «flotten», ganz normalen
Psychiatrie sind Teilgebiete der Kriminologie. Im Kernfach –   Mann. Aber die Tat, die dieser Mensch begangen hat, ist
der Verbrechenslehre – ist beispielsweise die Verbrechens-     entsetzlich.
furcht ein wichtiges Thema.
                                                               Wie bringen Sie den «ganz normalen» Mann mit dem
Was heisst das?                                                Verbrecher zusammen?
Ein Beispiel: Viele Menschen haben Angst, nachts alleine       Ich möchte als Pfarrer und als Psychotherapeut Verständnis
im Wald zu spazieren, weil hinter jedem Baum ein böser         für kriminelle Phänomene entwickeln und den Hintergrund
Mann lauern könnte. Die wenigsten Menschen haben               verstehen – wobei ich sofort einschränken muss: Verstehen
jedoch Angst vor ihrem Partner. Die Statistik zeigt aber       heisst nicht akzeptieren! Ich rede mit den Insassen immer
klar: In der Partnerschaft liegt das grösste Risiko, einem     Klartext. Aber danach kommt der theologische Ansatz.
Verbrechen zum Opfer zu fallen. Solche Dinge werden            Denn der Täter besteht nicht nur aus seinem Verbrechen.
einem durch das Studium bewusst. Man läuft mit anderen         Er ist ein Mensch mit einer ganz privaten Geschichte, mit
Augen durch die Welt.                                          Gefühlen, mit Erinnerungen. Als Gefängnisseelsorger steht

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man in einer unglaublichen Spannung und die muss man             Nafzger: Das ist eines der grossen Probleme bei der Ausbil-
aushalten können.                                                dung der Gefängnisseelsorger wie auch bei der Bewertung
                                                                 der Arbeit. Wir können das Verhalten der Studierenden ja
Kann ein Theologe das besonders gut?                             nicht mit einem Multiple-Choice-Fragebogen prüfen. Wie
Als Leiter des Nachdiplomstudiums «Kirche im Straf- und          sich jemand – etwa bei einem Sexualdelikt – in seiner
Massnahmenvollzug» diskutiere ich oft mit Vertreterinnen         Arbeit in der Strafanstalt verhält, ist schwer einzuschätzen.
und Vertretern anderer Disziplinen – aus der Jurisprudenz        Dazu kommt: Die Seelsorgerinnen und Seelsorger, aber
oder der Rechtsmedizin –, weil das Studium interfakultär         auch das Gefängnispersonal, fühlen sich durch gewisse
aufgebaut ist. Diese Gespräche haben meinen Deutehori-           Verbrechen persönlich überfordert. Meine Erfahrung hat
zont als Theologe erweitert. Ich habe gelernt, realistischer     mich gelehrt, dass es bei jedem Menschen ein Delikt gibt,
zu sehen.                                                        mit dem er oder sie nicht mehr umgehen kann.

Das heisst: Juristen sind realistischer als Theologen?           Wo liegen die Grenzen?
Nein, aber Juristen justieren in diesem Punkt die Wahrneh-       Wir haben in der Strafanstalt Saxerriet versucht, Täter und
mung schärfer.                                                   Opfer zusammenzubringen. Doch wir mussten einsehen,
Wirz: Ich glaube, sie nehmen vor allem die Emotionen aus         dass das nicht funktioniert. Als Seelsorgerin oder Psycho-
dem Thema. Ich kann Akten mit toten Menschen                     therapeut identifiziert man sich in einer solchen Situation
anschauen – das berührt mich nicht, es darf mich nicht
berühren. Aber wenn ich auf der Strasse ein totes Kätz-
chen sehe, könnte ich in Tränen ausbrechen.                       Willi Nafzger (68) ist Theologe und Psychotherapeut,
                                                                  Studienleiter Nachdiplomstudium «Kirche im Straf- und
Trainiert man das im Studium?                                     Massnahmenvollzug» der Universität Bern, Ausbildner im
Wirz: Ich glaube nicht, dass man das trainieren kann. Aber        Programm «Tataufarbeitung/Wiedergutmachung» in der
die Faszination, die ich für das Fach habe, hilft mir. Ich bin    Kantonalen Strafanstalt Saxerriet/SG und Dozent im
sonst ein sehr emotionaler Mensch und auch sensibel.              «Schweizerischen Ausbildungszentrum für Strafvollzugs-
                                                                  personal» in Fribourg: Viktimologie. Willi Nafzger ist
Ist das eine Folge der unterschiedlichen Ausrichtung              verheiratet und lebt in der Stadt Bern.
der beiden Fächer? Die Normen und Gesetze
bei den Juristinnen und Juristen, die Emotionen eher              Sarah Wirz (28) ist Gerichtsschreiberin in der Strafabtei-
ausschliessen, während es in der Theologie – verkürzt             lung des Richteramts Olten-Gösgen im Kanton Solothurn.
gesagt – um den Menschen mit all seinen Gefühlen                  Die Juristin hat 2009 ihre Weiterbildung zur Kriminologin
geht.                                                             abgeschlossen und lebt in Hägendorf/SO.

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mit dem Opfer wie mit dem Täter – das bringt man dann          eingesperrt ist in einer kleinen Zelle. Man kann nicht
kaum mehr unter einen Hut. Wir lassen in unserer Arbeit        schnell einkaufen oder seiner Familie anrufen. Man ist
die Emotionen sehr nahe an uns herankommen, ohne geht          einfach in dieser Zelle.
es nicht.                                                      Nafzger: Diese Leute sind 24 Stunden, Tage, Monate, Jahre
Wirz: Da liegt der Unterschied zu uns beim Gericht: Wir        eingesperrt, das vergisst man oft.
sind nicht unmittelbar involviert. Es hat ein gewisser Ver-    Wirz: Man ist zudem mit Leuten zusammen, die man nicht
arbeitungsprozess stattgefunden – und zwar sowohl beim         gewählt hat. Ich war für meine Dissertation im Untersu-
Opfer wie beim Täter. Wenn Opfer vor Gericht auftreten,        chungsgefängnis in Zürich. In einer Zelle waren drei Frauen
sind sie gut vorbereitet – zum Teil auch medikamentös. Der     eingesperrt: Eine wegen Drogendelikten, sie war HIV-positiv
Täter hat meist ebenfalls eine Entwicklung gemacht, zeigt      und hatte Hepatitis. Daneben eine Prostituierte und eine
Reue. Und wenn man einen Fall mal nicht so gut                 Mutter von zwei Kindern, die wegen eines Urkunden-
verkraftet, kann man die Akte zur Seite legen und sie an       deliktes einsass – das könnte im Prinzip auch eine
einem anderen Tag weiter bearbeiten.                           Nachbarin von mir sein. Diese Frauen haben überhaupt
                                                               keine Intimsphäre, auch das WC befindet sich in
Wie gehen Sie damit um, dass in den Gefängnissen               der Zelle, praktisch kaum abgetrennt. Je nach Auftragslage
heute sehr viele Nationen und Religionen vertreten             können die Gefängnisse den Insassen auch keine Beschäfti-
sind?                                                          gung anbieten, dann sind sie 23 Stunden am Tag ein-
Nafzger: Das ist ein Problem. Ich habe während 14 Jahren       gesperrt. Eine Stunde täglich haben sie Ausgang.
in der Strafanstalt Pöschwies Supervisionen gemacht. Dort
hatten wir damals bei den Insassen 68 Nationen und es          Hat Ihnen die Weiterbildung zur Kriminologin gehol-
gab pro Tag bis 12 verschiedene Menus. Auch bei den            fen, mit solchen Situationen umzugehen?
Konfessionen gab es alle Varianten. Die Insassen möchten       Ja sehr. Ich merke es an den Gesprächen mit anderen.
jedoch nicht in erster Linie einen Seelsorger ihrer Konfes-    Juristen haben nach ihrem Studium nicht zwangsläufig
sion, sondern vor allem einen Gesprächspartner. Wer in die     eine Ahnung davon, wie es in einem Gefängnis aussieht.
Strafanstalt kommt, ist von einem Moment auf den               So wie ich keine Ahnung von einer Firmengründung
anderen völlig von der Welt abgeschottet. Er oder sie          habe – obwohl ich das im Studium am Rande auch
verliert alle bisherigen Rollen als Vater, Freundin, Arbeit-   mitbekommen habe. Selbst wenn ich mich im Master-
nehmer oder Vereinsmitglied und wird nur noch über die         studium auf Strafrecht spezialisiere, bleibt das Wissen ober-
Rolle als «Strafgefangener» definiert. Das löst sehr starke    flächlich.
seelische Konsequenzen aus. Den Insassen stellt sich in der
Regel nur noch eine existenzielle Frage: Wie halte ich das     Wenn man Ihre beiden Fachgebiete vergleicht: Kann
aus?                                                           man sagen, dass das Verbindende die Konfrontation
Wirz: Viele Leute sagen, die haben es schön im Gefängnis,      mit den «menschlichen Abgründen» ist?
die haben einen Fernseher und alles. Aber es geht nicht        Vielleicht ist es die Faszination des Themas. Wenn man die
darum, dass ein Vegetarier auch im Gefängnis ein vegeta-       Einstellung hat, «Ich will etwas gegen all die bösen
risches Menü bekommt. Sondern darum, dass man einfach          Menschen tun», ist man am falschen Ort und verbittert

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Brigitte Schildknecht, DAS146/2010
                UniPress   in Tanzkultur
                                      17
Wir lassen in unserer Arbeit die
                                               Emotionen sehr nahe an uns
                                               herankommen, ohne geht es
                                               nicht.
                                               Willi Nafzger

irgendwann. Man sieht den gleichen Täter nämlich oft vier      diplomstudium – zusammen mit der KWB, dem heutigen-
oder fünf Mal. Ich würde nicht unbedingt von der Faszina-      Zentrum für universitäre Weiterbildung ZUW – auf die
tion der Abgründe sprechen – letztlich haben wir alle          Beine zu stellen.
solche Abgründe. Es gibt Situationen, in denen jeder
Mensch in der einen oder anderen Art kriminell werden          Frau Wirz, Herr Nafzger hat gesagt, er habe durch
könnte.                                                        seine Arbeit mehr über sich selbst erfahren. Haben Sie
Nafzger: Ich bin froh, dass Sie das so sagen. Meine Faszi-     sich durch Ihr Nachdiplomstudium auch besser kennen
nation an den Abgründen der Menschen liegt zwischen            gelernt?
«Faszinosum» und «Tremendum». Einerseits ist das Gebiet        Ja sicher. Gerade das Bewusstsein, dass gewisse Dinge
spannend, gleichzeitig bekommt man aber auch Angst. Die        einem selber auch passieren könnten. Man urteilt weniger
Angst hat zur Folge, dass ich mich und meine eigenen           schnell. Man weiss, dass hinter einer Tat viel mehr steckt,
dunklen Punkte anschaue. Das geschieht etwa bei Fällen         als man sieht. In der Weiterbildung habe ich gelernt, mich
wie jenem Kirchgemeindepräsidenten, der seine Frau,            mehr zu hinterfragen. Es gibt einen Test, bei dem man
nachdem sie ihn zehn Jahre lang betrogen hatte, plötzlich      eruieren kann, ob man die Kriterien für eine psychopatho-
eines Nachts umbrachte. Da stelle ich mir die Frage: Könnte    logische Störung erfüllt. Mit etwas Phantasie könnte man
mir das nicht auch passieren? Es braucht oft unglaublich       unter Umständen auch bei mir eine Störung finden.
wenig, dass man plötzlich auf der anderen Seite steht ...
                                                               Macht Ihnen das keine Angst?
Herr Nafzger, Sie haben vor 20 Jahren das Nachdiplom-          Nein, überhaupt nicht. Ich war früher eher ängstlicher.
studium «Kirche im Straf- und Massnahmenvollzug»               Heute gilt für mich: Kenne deinen Feind. Der gefährliche
der Universität Bern konzipiert. Was gab den Anstoss           Täter ist meistens nicht der böse Mensch, der das lange
dazu?                                                          geplant hat.
Die Kirche hat jahrelang ältere Pfarrerinnen und Pfarrer
unter dem Motto «dort können sie sicher nichts falsch          Da könnte man ja Verfolgungswahn bekommen.
machen» in Altersheime, Spitäler und Gefängnisse               Ja. Aber bei mir ist das nicht so. Ich konnte mich mehr mit
geschickt. Aber diese Seelsorger kommen bei den heutigen       dem Phänomen des Verbrechens auseinandersetzen. Krimi-
Insassen von Strafanstalten nicht an – von denen müssen        nalität ist etwas Menschliches. Die Augen zu verschliessen
sie sich einiges gefallen lassen, sie müssen hart im Nehmen    und zu sagen «damit will ich nichts zu tun haben», ist
sein. Zudem ist das Personal der Strafanstalten heute gut      sicher nicht der richtige Weg.
ausgebildet, sie sind in Themen wie Jurisprudenz, Psycho-
logie, Forensik oder Therapien bewandert. Mir ist damals       Wie sieht das Geschlechterverhältnis aus?
klar geworden, dass der liebe Gott allein als Ausbildung für   Das Weiterbildungsstudium in Kriminologie besuchen wohl
Gefängnisseelsorger nicht mehr ausreicht – um es pointiert     mehr Männer als Frauen. Das liegt wohl daran, dass Frauen
zu formulieren. Es war klar, dass die Leute besser ausge-      mit Kindern eine Weiterbildung generell weniger oft anpa-
bildet werden mussten. Das hat mich motiviert, das Nach-       cken – auch aus finanziellen Gründen. Viele Frauen

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Es gibt Situationen, in denen
                                           jeder Mensch in der einen
                                           oder anderen Art kriminell
                                           werden könnte.
                                           Sarah Wirz

denken, dass sie dieses Geld besser in die Familie inves-     Schubladen falsch geöffnet waren. Für ihn war klar: Das ist
tieren, gerade wenn sie bereits einen Hochschulabschluss      konstruiert. Wir Juristen hingegen waren viel zögerlicher,
haben. Deshalb habe ich die Weiterbildung rasch ange-         wir wären nie darauf gekommen. Aus diesen Erfahrungen
packt. Ich wusste: Jetzt bin ich frei, habe keine anderen     kann man sehr viel lernen.
Verpflichtungen.
                                                              Herr Nafzger, Sie blicken auf 20 Jahre Weiterbildung
Herr Nafzger, ist das Geschlechterverhältnis in Ihrem         für Gefängnisseelsorger zurück. Was hat das Nachdi-
Studiengang ausgeglichen? Es gibt ja inzwischen sehr          plomstudium gebracht, hat sich die Qualität der Arbeit
viele Theologinnen ...                                        der Pfarrerinnen und Pfarrer verändert?
Der Frauenanteil liegt bei 45 Prozent.                        Die Erfahrung und Evaluationen zeigen, dass wir inzwi-
                                                              schen ernst genommen werden. In den Kantonen Bern und
Wie bewegen sich Frauen im männerdominierten                  Zürich ist die Absolvierung des Studiengangs heute Bedin-
Umfeld der Strafanstalten?                                    gung, um eine Stelle als Gefängnisseelsorger antreten zu
Das geht gut. Wir legen auch Wert darauf, dass es mehr        können. In anderen Kantonen kommt das noch. Die Latte
Frauen beim Personal hat. Ich war früher skeptisch. Aber      liegt deutlich höher als früher.
nach den ersten Erfahrungen in der Strafanstalt Pöschwies
habe ich meine Meinung geändert. Die Frauen verändern         Frau Wirz, Sie arbeiten heute als Gerichtsschreiberin.
die Gesprächskultur in dieser derben Männerwelt, das ist      War Ihr Nachdiplomstudium bei der Bewerbung ein
sehr positiv.                                                 Thema?
Wirz: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Insassen       Ja. Ich war noch in der Weiterbildung, als ich mich um die
höflich und zuvorkommend sind. Als ich zum ersten Mal im      Stelle bewarb. Eigentlich suchten sie einen Mann, da an
Gefängnis war, sagten sie: Es ist schön, wieder einmal eine   diesem Gericht schon sehr viele Frauen tätig sind. Es
Frauenstimme zu hören. Nicht einmal: Es ist schön, einen      wurden nur Männer zum Vorstellungsgespräch ein-
Frauenkörper zu sehen. Sie waren dankbar für diese            geladen – und ich. Das Nachdiplomstudium war somit ein
Abwechslung. Despektierliche Insassen habe ich selten         Wettbewerbsvorteil.
erlebt.
                                                              Kontakt: Wirz Sarah, sarah.wirz@bd.so.ch;
Der Studiengang «Kriminologie» wird von Personen              Willi Nafzger, w.nafzger@vtxmail.ch
absolviert, die aus unterschiedlichen Fachgebieten wie
den Rechts- und Sozialwissenschaften oder der Psycho-
logie stammen. Wie haben Sie diese Zusammensetzung
erlebt?
Sehr spannend. Ich kann mich an eine Situation erinnern,
in der wir darüber diskutierten, wie man an einen Tatort
heran geht. Der Polizist hat sofort gesehen, dass die

                                                              Weiterbildung                                        UniPress   146/2010   19
20 UniPress 146/2010
 Thomas Hardmeier-Bühlmann, Ececutive Master of Public Administration
Für eine gesunde Gesellschaft

Zu viele übergewichtige Kinder, Gefahr
einer Masern-Epidemie, steigende Kranken-
kassenprämien: Diese Themen aus der
Tagespresse illustrieren die Aktualität von Public
Health – auch öffentliche Gesundheit oder
Gesundheitswissenschaften genannt. Seit 1992
bieten die Universitäten Basel, Bern und Zürich
einen gemeinsamen Studiengang an.

Von Karin Faisst und Lara Modolo

Public Health beziehungsweise «Santé           wesen wie zum Beispiel Spitäler, ärztliche     individuell gestaltet und in zwei bis fünf
Publique» setzt sich für die Schaffung und     Grundversorgende, kantonale Gesundheits-       Jahren berufsbegleitend durchlaufen
Sicherung gesunder Lebensbedingungen für       dienste, Bundesbehörden, Non-Profit-           werden.
die Menschen ein. Während Public Health        Organisationen, Beratungsstellen oder             Das Programm bietet jährlich 36 ver-
in vielen Ländern eine grosse Bedeutung        Forschungsinstitutionen. In den letzten        schiedene 2- bis 10-tägige Module an, die
hat, ist das Thema und damit auch Präven-      Jahren wuchs auch der Anteil von               grundsätzlich allen Public-Health-Interes-
tion und Gesundheitsförderung in den           Personen, die in der Pharmaindustrie und       sierten aus der Schweiz und dem Ausland
deutschsprachigen Ländern eher wenig           bei Versicherern beschäftigt sind. 250         offen stehen. Engagierte Dozierende aus
entwickelt.                                    Personen haben bislang den Titel «Master       dem akademischen und praxisnahen
    Bis Anfang der 90er Jahre war es folg-     of Public Health» im Programm erworben,        Umfeld sichern einen Ausbildungsstandard
lich auch in der Schweiz nicht möglich, die    davon besetzt eine Vielzahl Schlüsselpositi-   auf hohem universitärem Niveau. Insgesamt
Disziplin Public Health zu studieren oder      onen im schweizerischen Gesundheits-           dozieren in den Modulen jährlich rund 150
sich darin weiterzubilden. Mit den «Sonder-    wesen.                                         Public-Health-Expertinnen und -Experten
massnahmen des Bundes zugunsten der                                                           aus dem In- und Ausland. Eine begleitete
universitären Weiterbildung» vom März          Interdisziplinär, flexibel, praxisnah          Projektarbeit mit Master-Thesis am
1990 wurde ein wichtiger Anstoss zur           Der interdisziplinäre Ansatz von Public        Ende des Masterstudiums gibt den Teil-
Schaffung eines Weiterbildungsangebotes        Health ist ein Kernstück der Ausbildung.       nehmenden zudem die Gelegenheit, das
für Public Health in der Schweiz gegeben.      Ziel ist die Vermittlung von gemeinsamen       Gelernte in die Praxis umzusetzen und so
Im Zuge dieser Entwicklung haben die Insti-    Perspektiven und Zielen. Als gemeinsame        den Erwerb einer professionellen Hand-
tute für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM)   Basis dienen konzeptionelles Denken,           lungskompetenz unter Beweis zu stellen.
der Universitäten Basel, Bern und Zürich       methodische Instrumente, Fachkenntnisse
gemeinsam ein breit abgestütztes Public        und -kompetenzen, die in den Disziplinen       Auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet
Health Weiterbildungsprogramm in der           Epidemiologie, Biostatistik, Prävention und    Qualitätsmanagement ist ein integraler
Deutschschweiz entwickelt und kontinuier-      Gesundheitsförderung, Health Policy and        Bestandteil des Weiterbildungsprogramms.
lich weiter ausgebaut. Aktuell besteht die     Health Management sowie in verschie-           Dazu zählen zum Beispiel standardisierte
Möglichkeit, sich gezielt zu Einzelfragen      denen anderen Fächern vermittelt werden.       Modulevaluationen und Monitoring des
weiterzubilden und Einzelmodule zu besu-       Zudem besteht die Möglichkeit des Er-          Studienerfolgs der Teilnehmenden. 2001
chen oder einen universitären Weiterbil-       fahrungsaustausches und der Vernetzung         wurde der Studiengang in einem internati-
dungsabschluss anzustreben und zwischen        mit aktuellen und künftigen Public-Health-     onalen Peer-Review-Prozess durch ASPHER
einem Zertifikats-, einem Diplom- oder         Expertinnen und -Experten.                     (Association of Schools of Public Health in
einem Masterstudiengang zu wählen.                Die modulare und interuniversitäre          the European Region) begutachtet. Die
    Das Weiterbildungsprogramm richtet         Struktur des Programms bietet den Studie-      nationale Akkreditierung folgte 2005. Der
sich an Akademikerinnen und Akademiker         renden maximale Flexibilität in der Planung    Studiengang erhielt damit als einer der
mit einer Vorbildung in Medizin, Natur-,       und Gestaltung ihres Studien- und Berufs-      ersten in der Schweiz im Bereich Gesund-
Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Teil-   lebens. So kann das gesamte MPH-Curri-         heitswesen/Medizin ein Qualitätszertifikat,
nehmenden vertreten zudem ein breites          culum für den Masterabschluss je nach          das international ausgerichtete Qualitäts-
Spektrum an Akteuren im Gesundheits-           persönlichen und beruflichen Ressourcen        standards bescheinigt.

                                                              Weiterbildung                                        UniPress   146/2010   21
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