Unterwelt Kultur in der - Kulturmanagement Network

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Unterwelt Kultur in der - Kulturmanagement Network
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                                           Kultur Management Network
                                           Nr. 140 | Januar 2019

Kultur in der
Unterwelt
Kunst und Kultur sind Kompass morali-
schen Denkens und Handelns. Doch hat
auch der Kulturbetrieb seine dunkle Sei-
te, über die man weniger gerne spricht.
Schwerpunkt ab Seite 13
Unterwelt Kultur in der - Kulturmanagement Network
Editorial

Kunst und Gier
Überall wo unstillbare Begehrlichkeiten und viel Geld
aufeinandertreffen, scheint der Schritt zu zweifelhaften
Geschäften nicht sonderlich groß. So ist der Handel mit il-
legalen Antiken und Kunstschätzen nach dem Drogenhan-
del und dem Handel mit Waffen der profitabelste „Wirt-
schaftszweig” mit einem Umsatz in Milliardenhöhe. Was
bis ins 20. Jahrhundert hinein unter dem Deckmäntelchen
des „Forschergeistes” auf anderen Kontinenten gerafft
und nach Europa verschifft wurde, ist nach nationaler und
internationaler Gesetzgebung heute schlicht illegal. (Das
war es im Übrigen allein in den Ländern des ehemaligen
Osmanischen Reiches bereits seit 1864.) Wie kann es dann
doch sein, dass in Deutschland immer wieder Gegenstän-
de zweifelhafter Herkunft ungeniert gehandelt werden
können? Und bei der Auseinandersetzung mit dem Thema
Kolonialismus und Kunstraub begibt man sich in zähe
Untiefen. Dennoch wird es etliche Museen und Samm-
lungen viele Jahre intensiv beschäftigen – die Zeit ist reif.
Über den Kulturbetrieb und seine dunklen Seiten lässt sich
sicher noch weiter ausholen, aber eigentlich gibt es diesen
Schwerpunkt aus einem ganz anderen Grund: Haben die
Menschen und vor allem die Landwirtschaft enorm unter
dem extrem trockenen Sommer 2018 gelitten, tat sich für
eine andere Disziplin ein Eldorado auf: die Luftbildarchäo-
logie. Ist es nicht fantastisch, was sich in Unterwelten an
verborgener Vergangenheit entdecken lässt? Und das ganz
ohne mühevolle Ausgrabungen und ungeahnter Zerstö-
rung! Wäre es nicht wunderbar, auch einmal die Vogel-
perspektive einnehmen zu können und Verborgenes zu
entdecken? In dieser Vorstellung wünschen wir Ihnen ein
entdeckungsreiches Jahr 2019!

Ihr Dirk Schütz         Ihre Veronika Schuster
(Herausgeber)           (Chefredakteurin)
Unterwelt Kultur in der - Kulturmanagement Network
Inhalt

     Kaleidoscope
02   Editorial
04   Rundschau
40   Impressum

     Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
13   Wir sind mehr als Kunstdetektive! Ein Appell zur Stärkung
     der Provenienzforschung – von Meike Hopp
21   Der Blick aus der Luft in den Boden. Warum Archäologen nicht nur
     mit Spaten und Schaufel arbeiten – von Axel G. Posluschny
28   Psst! Geheim – Ein Interview mit dem Verschlüsselungsexperten
     Klaus Schmeh
34   Berlin von unten. Stadtgeschichte aus einer ungewöhnlichen
     Perspektive – von Holger Happel

     … weiter denken
05   Kultur politisch … Das Pferd in Galopp bringen – Ein Interview mit dem
Präsidenten der Klassik Stiftung Weimar, Hellmut Seemann

                              Berlin von unten 35            Aus der Luft 21
Unterwelt Kultur in der - Kulturmanagement Network
Kaleidoscope
                                                                Rundschau

  LEBENSLANGES LERNEN                                             STELLENMARKT KULTURMANAGEMENT
Lernt gutes neues Arbeiten!
Wir leben in einer VUCA-Zeit – volatil, unsich-                   Die größte Stellenauswahl für Fach- und
er, komplex und mehrdeutig. Das Arbeiten auch                     Führungskräfte im deutschsprachigen Kultur-
im Kultur- und Kreativbereich ist nicht einfacher                 betrieb mit mehr als 300 Stellen täglich.
geworden. Wir schaffen wir also ein gutes und
zukunftssicheres Miteinander und was braucht                      UND: Börse für Jobgelegenheiten.
das für Kompetenzen – gerade mit Blick auf einen
wahrscheinlich nächsten technologischen Sprung?                   Finden Sie Ihre neue Stelle unter:
von Marion King                                                   stellenmarkt.kulturmanagement.net
http://bit.ly/Neue_Kompetenzen_Kultur

  PRAKTIKA FINDEN
                                                                  JAHRESRÜCKBLICK 2018
                                                                Lindnern oder wie Ehrenmänner*innen den
                                                                künftigen Kulturbetrieb gestalten?
                                                                2018 war das Jahr des Dieselskandals, des
                                                                Jahrhundertsommers (schon jetzt!), des er-
                                 Foto: Nathan Dumlao/Unsplash   sten WM-Vorrundenaus in der Geschichte der
Die eigenen Interessen im Mittelpunkt                           DFB-Elf und des Jugendwortes „Ehrenmann/
Bei der Karriereplanung können Praktika eine                    Ehrenfrau“. Welche Themen darüber hinaus im
entscheidende Rolle spielen, denn damit heben                   Kulturmanagement diskutiert wurden, reflek-
sich Absolvent*innen von der Konkurrenz auf                     tieren wir in diesem Jahresrückblick.
dem Arbeitsmarkt ab. Worauf Studierende bei                     von Julia Jakob
der Praktiukumswahl achten sollten, erklärt Anke                http://bit.ly/Jahresrueckblick2018
Bohne vom Career Center der Universität Bonn.
Interview von Kristin Oswald
http://bit.ly/Praktika_Kultur                                     BUCHREZENSION
                                                                Karriere mit Sinn. Wie du dein (Arbeits-)Leben
                                                                so gestaltest, dass es dir gut tut
  NEUES AUS DEN SOZIALEN MEDIEN                                 Was, wenn prekäre Beschäftigungen oder sink-
                                                                ende Besucherzahlen Zweifel an der Berufswahl
                                                                aufkommen lassen? In ihrem Karrierereiseführer
                                                                weist Tina Röbel auf die Notwendigkeit neuer
                                                                Wege hin, wenn man sich auf eine Sinn-Suche
                                                                beruflicher Art begeben möchte.
                                                                von Regina Stöberl
                                                                http://bit.ly/Rez_Karriere_Sinn

                                                                                                                 4
                            JANUAR 2019 | NR. 140 |
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Kultur politisch …
                               Das Pferd in Galopp bringen

                               Wir unterhalten uns mit dem Präsidenten der Klas-
                               sik Stiftung Weimar, Hellmut Seemann, der 2019 in
                               den Ruhestand gehen wird, darüber, wie man eine
                               der größten Kultureinrichtungen in Deutschland
                               auf Kurs hält.

Das Pferd in
Galopp bringen
Das Gespräch führte Veronika Schuster

Lieber Herr Seemann, in diesem Jahr werden Sie nach 18 Jahren die Klassik
Stiftung Weimar verlassen. Das ist eine sehr lange Zeit ...
18 Jahre hat bisher nur Helmut Holtzhauer überboten. Das war mein halbes
Berufsleben und bei der Volatilität des heutigen Führungspersonal ist das
sicher eine sehr lange Zeit.

Wie waren diese fast zwei Jahrzehnte?
Insgesamt gesehen, war meine Tätigkeit hier in Weimar geprägt von einem
Wettlauf mit der Zeit und das deswegen, weil die Klassik Stiftung die 90er
Jahre konzeptionell, strukturell und personell schlicht verschlafen hat. Ich
kam mit der Vorstellung nach Weimar, die man 2001 durchaus von einer
solchen Einrichtung haben durfte, und war überrascht, feststellen zu müs-
sen, in welch desolatem Zustand viele Dinge waren. Ab diesem Zeitpunkt
hatte ich immer das Gefühl, den verpassten Möglichkeiten, die die 90er
Jahre geboten haben, hinterherlaufen zu müssen. Ein dramatisches Beispiel:
Wenn man 1993, oder spätestens 1995, angefangen hätte, die Herzogin Anna
Amalia Bibliothek zu erweitern, und das mit ihr zu tun, was seit 50, wenn
nicht sogar 150 Jahren offensichtlich notwendig gewesen wäre, dann wäre es
nicht zum 2. September 2004 gekommen.

War der ruinöse Zustand der Bibliothek als solcher symptomatisch und war
es reines Glück, dass nicht noch mehr abgebrannt ist?
Es ist kein Geheimnis, dass die Sammlungen der Klassik Stiftung in ka-
tastrophalen Verhältnissen untergebracht waren. Man hätte bereits vor
dem ersten Tag der neu gegründeten Stiftung einen Notfallplan mit allen
dringend nötigen Maßnahmen erstellen müssen. Das ist damals aber nicht
passiert. Wissen Sie, es ist deshalb so unverständlich, da man in Weimar so

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unfassbar viel erreicht hat. Gerade im Vorlauf zum Kulturhauptstadt-Jahr
1999 hat man die ganze Stadt umgekrempelt, was ja bis heute nachwirkt. Aber
dass man auch bei der Klassik Stiftung die Depots hätte räumen, die Klima-
situation hätte verbessern und die Sicherheit hätte herstellen müssen, auf die
Idee ist man nicht gekommen. Man hat diese Themen offenbar nicht ernst
genommen. Es war eine stille, scheinbar vernünftige Übereinkunft derer, die
aus dem Westen hinzugekommen waren, den hiesigen Mitarbeitern und den
Menschen in den jeweiligen Ministerien, es schlicht etwas ruhiger angehen zu
lassen. Es sind ja „nur“ Museen und Sammlungen gewesen. Die Infrastruktur,
wie Straßen und Kanalisation, ging damals einfach vor. Doch das war sehr
unvernünftig, und was mit der Herzogin Anna Amalia Bibliothek passiert ist,
hätte auch mit dem Wittumspalais oder dem Goethehaus passieren können.

War dieses Ereignis für Sie eine – wenn auch tragische – Möglichkeit zu
zeigen, wie ruinös der Allgemeinzustand war?
Für mich war dieses Ereignis ganz furchtbar, denn ich konnte meiner Ver-
antwortung, das Kulturgut zu schützen, nicht in dem Maße nachkommen,
wie es hätte geschehen müssen. Tatsächlich stand plötzlich in hellem Licht,
welche Vernachlässigung bei der Klassik Stiftung in vielerlei Hinsicht statt-
gefunden hatte. Faktisch war es tatsächlich so, dass die Gespräche, in denen
wir uns seit Jahren befanden, nach dem Brand in einem anderen Klima statt-
fanden. Es hatte sich spürbar etwas verändert. Viele Dinge waren zwar schon
vorher auf den Weg gebracht, wie etwa ein Masterplan und eine Strukturde-
batte, doch sie wurden durch dieses Ereignis in ihrer Dramatik und Dring-
lichkeit sehr viel deutlicher. Und es war vielleicht auch ganz gut, dass nicht
nach einem Schuldigen gesucht wurde, sondern endlich die entscheidenden
Schritte getan wurde, die Dinge anzugehen.

Sie haben es hier und da angedeutet: In der Klassik Stiftung Weimar bün-
deln sich zahlreiche – nennen wir es Interessen und Ansprüche von außen:
Stadt, Land, Bund, Bürgerschaft, Medien … Welche Ansprüche haben diese
„Diskursräume“ an Sie, an Ihr Verhandlungsgeschick, Ihre Moderationsfä-
higkeiten und auch an Ihre Durchsetzungskraft gestellt?
Die Klassik Stiftung ist zunächst ein ganz seltsam anmutendes kulturpoliti-
sches Konglomerat. Da sind zuerst einmal die Interessen der Stadt Weimar. In
der Stadt darf man jederzeit sagen, dass man die Weimarer Kulturgeschichte
liebe und ganz wunderbar finde, was hier kulturell passiert. Aber man darf
gleichzeitig auch sagen, dass die Klassik Stiftung still vor sich hin schläft und
dass man sie nie in Galopp versetzt bekommt. Beim Land darf man gewiss da-
von ausgehen, dass sich alle besonders bewusst sind, etwas so Schönes wie ein

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solches Welterbe im eigenen Land zu haben, das könne man gar nicht hoch
genug schätzen. Gleichzeitig darf aber jeder im Land sagen, diese Weimarer
seien unersättlich und kein anderer Ort auf der Welt mit einer vergleichbaren
Einwohnerzahl bekomme so viel Kulturfinanzierung. Trotzdem beklage man
sich ständig und nie sei es genug. Und dann ist da noch der Bund. Natürlich
weiß man hier, dass Weimar das vornehmste deutsche Kulturerbe ist! Man
möchte auch eine Einladung zu allen wichtigen Ereignissen bekommen,
aber kommen tut man dann doch nicht. So wichtig ist das, was irgendwo in
der Provinz passiert, wo die Barbaren aufeinanderschlagen, dann eben doch
nicht. Es ist diese große Disparatheit zwischen echt empfundener Liebe zu
dem kulturellen Schatz und der strikten Unterscheidung der Bewertung des
Finanzbedarfs, der konzeptionellen Aufstellung und der Würdigung der Auf-
gaben der Klassik Stiftung, die die Situation hier sehr spezifisch macht.

Und was hieß das nun für Ihre Arbeit?
Man muss immer dranbleiben. Man muss diese große ideelle Liebe stark er-
halten und gleichzeitig in pragmatischer Hinsicht belastbar machen. Damit
man versteht, von welchen Widersprüchen ich spreche: Das Nationaltheater
in Mannheim – um ein beliebiges aktuelles Beispiel zu nennen – wird für
eine unfassbar hohe Summe renoviert, allein der Bund engagiert sich dort
mit 200 Millionen Euro! Bei der Klassik Stiftung hingegen haben wir kein
Geld, um die Bastille – selbstverständlich Weltkulturerbe – zu sanieren.
Prinz Michael, der im Stiftungsrat sitzt und unsere finanziellen Möglich-
keiten kennt und in Mannheim wohnt, fragt dann zurecht mit sehr sarkas-
tischem Unterton nach, ob Weimar einfach nicht wichtig genug sei. Es geht
mir nicht um Mannheim, sondern um all die Bauvorhaben, die nicht nur
vom Bund sondern auch von den Ländern mit unfassbar hohen Summen fi-
nanziert werden. Das passiert in Weimar nicht. Nun werden die Verantwort-
lichen in Erfurt und Berlin widersprechen und sagen: Die Stiftung hat ja das
Geld, und sie müsste doch bitte erst einmal zusehen, dass die bewilligten
Mittel endlich abfließen, also von der Stiftung in längst bewilligte Projek-
te umgesetzt werden, bevor es neue Gelder geben könne. Tja, da ist etwas
Richtiges dran. Doch letztendlich ist es falsch. Denn bei einer solchen Auf-
gabe, wie etwa der Sanierung des Stadtschlosses in Weimar, müsste eigent-
lich eine durchdachte Gesamtfinanzierung vorliegen, und das bevor man
mit den Baumaßnahmen beginnt! Das heißt, erst wenn eine Finanzierung
steht, werden die Mittel bewilligt und auch zur Verfügung gestellt. Wir hin-
gegen sollen mit Mitteln arbeiten, die vor 10 Jahren und somit vor jeglicher
Planung bewilligt wurden. Und natürlich reicht diese Summe nicht und die
Mittel müssen ergänzt werden.

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Aber was haben Sie falsch gemacht, dass Sie nun nicht ausreichend Mittel
zur Verfügung stehen?
Ich habe nichts falsch gemacht. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir das
Stadtschloss endlich erhalten. Das ist ja auch passiert und zeitgleich gab es
die vollmundige Zusage einer Summe, die zur Verfügung gestellt werde.
Doch wir hätten zuvor den Auftrag als öffentlich-rechtliche Einrichtung
erhalten müssen, eine Planung zu erstellen, welche Kosten mit Sanierung,
Erhalt und Betrieb auf uns zukommen. Dann hätte man klar sagen können,
dass für ein solches Projekt mindestens 100 Millionen Euro notwendig sind.
Das hätte aber seine Zeit gedauert und ist nicht im Interesse der Geldgeber.
Die möchten eine schnelle, grandiose Presse und damit zeigen, welche um-
fangreichen Mittel bewilligt werden. Die Botschaft ist „Wir kümmern uns
um Weimar!“ Das tun sie ja auch. Aber auf welcher Grundlage, auf Grund
welcher Erkenntnisse und mit welchen Informationen das passiert, das ist
völlig egal. Nun gab es für das Schloss 40 Millionen Euro. 2007 mag das
ein immenser Betrag gewesen sein, aber selbst damals hätte er nicht aus-
gereicht. Man steckt in der vertrackten Situation, dass Maßnahmen auf den
Weg gebracht wurden, bei denen keiner wusste, welche Kosten diese ver-
ursachen würden. Als dann immer deutlicher wurde, dass die Summe nicht
einmal die Hälfte der benötigten Mittel ausmacht, hat es nochmal zwei
Jahre gedauert, bis auch die Zuwendungsgeber das akzeptiert hatten.

Aber denken Sie, Sie sind ein Don Quichote?
Nein, ganz und gar nicht. Das ist ja nicht nur in Weimar eine Gegebenheit. So
wird nun einmal in Deutschland investiert. Man muss aber erst einmal viel Geld
in die Hand nehmen, um seriöse Angaben dazu zu machen, wie viel Geld man
für diesen oder jenen Zweck in die Hand nehmen muss. Und das wird nicht
gemacht. In Deutschland wird Investitionspolitik in irgendwelchen Hinterzim-
mern bei einem Backgammonspiel betrieben und dabei werden enorme Sum-
men unter irgendwelchen Verbandelten mit irgendwelchen Projekten verteilt.
Keiner weiß auf welcher Grundlage das passiert, und das führt oft genug dazu,
dass man mit dem bewilligten Geld eben nicht hinkommt. Dann müssen die
Zuwendungsempfänger erklären, warum das viele Geld nicht gereicht hat. Und
dann kommen die unsäglichen Debatten darüber, ob es einen Nachtrag gibt
oder doch einen zweiten Bauabschnitt mit neuen Geldern und und und. Die
Öffentlichkeit hat oft genug das berechtigte Gefühl, dass hier totaler Dilettantis-
mus waltet. Dabei ist es schlicht und einfach unstrukturierte Investitionspolitik.

Aber es ist doch Ihre Aufgabe, darüber aufzuklären und mit Nachdruck dar-
auf hinzuweisen, dass die Mittel nicht reichen?

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Ich bin weiterhin dankbar, wenn mir 30 Millionen bereitgestellt werden,
obwohl ich ganz genau weiß, dass das ganze Projekt 50 Millionen kosten
wird. Was bitte soll man denn anderes tun? Soll ich sagen, ich will das Geld
nur, wenn es eine realistische Gesamtsumme ist? Herr Lammert hat vor ein
paar Jahren den Vorschlag gemacht, dass bauliche Investitionen in Museen,
er meinte damals Neubauten, nur dann bewilligt werden dürften, wenn zu-
gleich die für den Betrieb des Museums notwendigen Mittel bereits in dem
Investitionsbescheid abgesichert werden. Viel zu oft werden schöne Häuser
gebaut, weil man gerade ein oder zwei wunderbare Zustiftungen erhalten
hat, und dann gibt es in ebenso schöner Regelmäßigkeit die Fälle, dass ein
Jahr nach der glanzvollen Eröffnung des Museums ein großes „Huch! Wer
zahlt denn nun die Klimaanlage und die Bewachung?“ kommt.

Aber ist das nicht ihr Job, sich darum zu kümmern, dass dann die Gelder zur
Verfügung stehen?
Nein, das ist es nicht. Das ist der Job der Zuwendungsgeber, die verantwort-
lich nur dann Zuwendungen geben dürften, wenn sie sicherstellen können,
dass im Haushalt die Mittel für den folgenden Betrieb ebenfalls zur Verfügung
stehen. Sonst darf man die Mittel nicht bewilligen. Beim Bauhaus-Museum in
Weimar wurde tatsächlich in der Fünf-Jahres-Vereinbarung der drei Zuwen-
dungsgeber ein Aufwuchs der Mittel in die sogenannte mittelfristige Haus-
haltsplanung aufgenommen. Das ist aber eine Ausnahme, nicht die Regel …

Ihr Vorwurf an die öffentliche Hand ist, dass man nur gerne zu den Eröff-
nungen erscheint, sich ein Denkmal baut, aber nicht nachhaltig denkt?
Grundsätzlich ist es so, dass der Bundesfinanzminister zwei ganz unter-
schiedliche Welten belebt und bewohnt. Er bewohnt zum einen die Welt der
Investitionen und zum anderen die des Verwaltungshaushaltes. Die Welt
der Investitionen liebt der Finanzminister sehr. Da kann man regionale In-
teressen befriedigen; da kann man auch mal Personen oder Gruppen etwas
Gutes tun; damit kann man gestalten und man kann damit eben Politik ma-
chen. Mit Investitionen erreicht man immer wieder schöne Effekte. Dann
gibt es diesen ekelhaften Verwaltungshaushalt, der immer weiterwächst,
nie sinkt und zu allem Überfluss mit jeder weiteren Investition einen kleinen
Sprung nach oben macht. Den liebt der Finanzminister gar nicht, denn das
sind die Mittel, die versickern, ohne dass man irgendeinen Fortschritt sieht.
Deshalb sind die betrieblichen Mittel eine sehr unattraktive ‚Investition‘.

Die Öffentlichkeit sieht ja aber nur diesen finanziellen Mehraufwand für den
Betrieb. Fühlen Sie sich manchmal ungerecht behandelt, wenn Sie und die

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Klassik Stiftung als lahmes Pferd, das nicht in den Galopp kommt, verstan-
den werden?
Ach nein, damit muss man leben. Denn jeder weiß, dass das Agieren im
haushaltsrechtlichen Bereich schwierig ist und es nie so läuft, wie man es
eigentlich bräuchte. In der Klassik Stiftung sind wir ja noch begünstigt: Wir
haben als einer der wenigen im Reigen der öffentlichen Zuwendungsemp-
fänger so etwas wie eine mittelfristige Finanzplanung in Form einer Ver-
pflichtung von Stadt, Land und Bund. Da gibt es andere Einrichtungen, die
je nach Haushaltlage hoffen müssen, dass ausreichend Mittel zur Verfügung
stehen werden. Aber letztlich kommt man mit dem Strukturproblem öffent-
licher Kulturfinanzierung nicht wirklich zurande. Das ist einfach so.

Wenden wir uns doch noch zum Schluss dem „Innenleben“ zu und sprechen
über Ihr Konzept des „Kosmos Weimar“. War Kosmos Weimar Ihre Antwort
auf die inhaltlichen, konzeptionellen Zustände?
Bei dem Konzept „Kosmos Weimar“ ging es um zweierlei: Zum einen ging
es bei dieser Entwicklung 2006/2007 darum, zu klären, wo die wesentlichen
Aufgabenfelder der Klassik Stiftung für die nächsten zehn Jahre liegen. Zum
anderen ging es darum – und deshalb ist der Begriff Kosmos auch so geeig-
net gewesen – aufzuzeigen, was das „Umfassende“ ist und wo durchaus noch
eine „ordnende“ Hand nötig ist. Das meint der Begriff Kosmos: das Ganze
und die Ordnung. Viele wichtige Dinge sind in den letzten zehn Jahren auf
den Weg gebracht worden. Aber viele virulente Themen sind nach wie vor
stark entwicklungsbedürftig und -fähig.

Welche sind das zum Beispiel?
Da ist zum Beispiel die Frage, wie sich Stiftung und Institute der Stiftung
zueinander verhalten. Die Klassik Stiftung wird von einem Präsidenten ge-
leitet. Unter ihrem Dach arbeitet eine Vielzahl von Instituten, die jeweils von
Fachdirektoren geleitet werden. Die Kunst ist es, diese Institute dort, wo sie
miteinander kooperierend mehr erreichen als alleine, zu verbinden, und
dort, wo sie ihre spezifischen Unterscheidungen in ihrer fachlichen Arbeit
haben, derart autonom zu stellen, dass sie nach fachspezifischen Erwägun-
gen entscheiden können. Diese Herausforderung stellt sich immer wieder in
neuen Konstellationen und Situationen; sie kann nicht ein für allemal gelöst
werden. Es geht vielmehr darum, eine für die Aufgaben der Stiftung geeig-
nete Stiftungskultur zu entwickeln und zu leben.

Sie deuten es damit an: Die Klassik Stiftung Weimar hat ja mehrere Hundert Mit-
arbeiter aus allen kulturellen Disziplinen und darüber hinaus. Ein wilder Haufen?

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Kultur politisch …
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Die schiere Zahl der Mitarbeiter bringt einen nicht in Bedrängnis. Die
Diversität der vielen fachlich definierten Aufgaben immer wieder an der
Gesamtaufgabe der Klassik Stiftung auszurichten, ist dagegen eine Heraus-
forderung. Die Klassik Stiftung ist mit wirklich sehr vielen Aufgaben und
Themen befasst; ein vergleichbares Spektrum werden Sie in Deutschland
kaum noch einmal finden. Ich wundere mich bei meiner Arbeit in Gremien
außerhalb der Klassik Stiftung immer wieder darüber, bei wie vielen The-
men ich mitreden kann - ob es nun um Literaturhäuser oder Parkanlagen
geht. Es gibt zudem keinen anderen Ort in Deutschland, wo sie die Kulturge-
schichte unseres Landes von der Reformation bis in die aktuellste Moderne
hinein derart kompakt nachvollziehen können. Und dabei zählen zu diesem
Kosmos die Gartenskulpturen im Belvedere ebenso dazu wie die Bilder-
sammlungen im Schloss oder die Anna Amalia Bibliothek. Das ist natürlich
wunderbar insofern, als die Klassik Stiftung bei unfassbar vielen Themen
anschlussfähig ist. Aber genau darin liegt nicht selten auch die Krux.

Hat die Klassik Stiftung dann das richtige Format? Gehen die singulären Be-
deutungen durch diesen Überbau unter?
Wir sind ein sammlungsgestütztes Kulturinstitut. Unsere Aufgabe ist die
Erhaltung und Erschließung dieses „Kosmos“ als Ganzes. Aber beim Thema
Digitalisierung kann man die genannte Krux aufzeigen. Es geht ja bei der Di-
gitalisierung nicht nur darum, Fotos von den Exponaten zu machen und diese
dann als „Bilderkiste“ zugänglich zu halten. Es muss vielmehr darum gehen, die
Sammlungen in ihren engen kulturgeschichtlichen Bezügen zueinander neu zu
denken und übergreifend digital verfügbar zu machen. Sonst ist das Ganze nur
eine Ansammlung von sprachlosen Informationen. Auch kann erst dann eine
sinnvolle Vernetzung mit anderen nationalen und internationalen Instituten
funktionieren. Außenstehende machen sich kaum eine Vorstellung, welch kom-
plexe Aufgabe das ist! Dafür braucht es hochspezialisierte Fachkräfte in Arbeits-
feldern, die zwischen Informatik und Geisteswissenschaften liegen, für die es
oft noch gar keine Studiengänge gibt. Damit komme ich auf Ihre Frage zurück:
Was haben diese Digitalisierungsspezialisten mit den Gärtnern im Belvedere zu
tun? Auf den ersten Blick nichts. Aber wenn man genauer hinsieht, können doch
nur die auf historische Gärten spezialisierten Gärtner den historischen Pflan-
zenbestand für diese digitale Aufbereitung nachvollziehbar machen.

Das hört sich nach Spannungen an? Waren Sie da auch Moderator zwischen
den vielen Ansprüchen? Verstehen sich Ihre Mitarbeiter als Einheit?
Ja unbedingt. Man vergisst natürlich im Alltag hin und wieder, irgendjeman-
den cc zu setzen, um es mal banal auszudrücken. Die Probleme, die es gibt, sind

                                                                                    11
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Kultur politisch …
                           Das Pferd in Galopp bringen

die gleichen wie in jeder anderen Organisation auch. Dass der eine oder andere
sich nicht als wichtig wahrgenommen sieht, es vielleicht Eifersüchteleien gibt,
das kommt regelmäßig vor, aber es ist keine unlösbare Aufgabe. Dafür setzt
man sich immer wieder gemeinsam an einen Tisch. Dafür muss ein Chef Zeit
aufwenden. Aber der Stolz darauf, in einer sehr wichtigen und besonderen,
eigentlich singulären Einrichtung zu arbeiten, die weltweit hohe Anerkennung
genießt, das ist ein sehr verbreitetes Gefühl unter unseren MitarbeiterInnen.
Die Aufgabe, die Stiftung zu einer Identität zu führen, hat mir immer Spaß
gemacht und hat mich auch niemals gelangweilt. Manchmal waren neue
MitarbeiterInnen, wie ich immer wieder bemerkte, ehrlich überrascht, dass die
Stiftung kein verschlafener Haufen ist, wie viele immer noch annehmen.

Vieles mehr könnten wir nun besprechen, doch lassen Sie uns mit der Frage
enden, was mit der Stiftung in Zukunft noch passieren muss?
Ich glaube, dass die Stiftung wirklich große Schritte gehen muss und gehen
wird. Vieles ist angelegt. Aber vieles braucht auch noch viel Zeit und großen
Aufwand, um wirklich sichtbar und wirksam zu werden, denken Sie nur an
die umfassende digitale Erschließung der Sammlungen. Ganz sicher bin ich,
dass die Klassik Stiftung und ihre Einrichtungen, Museen, Bibliotheken,
Archive, auch in 50 Jahren für die Gesellschaft ein wichtiges, nützliches und
als schön wahrgenommenes „Reiseziel“ sein werden. In der Phase, in der sich
die Gesellschaft gerade befindet, unsere Gegenwart also, die durch das Her-
austreten aus der Epoche der Moderne in eine neue Epoche gekennzeichnet
ist, in dieser Phase verändert sich die Vorstellung davon, was wir unter Wirk-
lichkeit verstehen, tiefgreifend. Für Weimar ist das keine beängstigende Per-
spektive, denn das letzte Zeitalter, das eine vergleichbare tiefe Umwälzung
erlebte, war eben das, das mit dem Kulturphänomen der „Klassik“ begonnen
hat. Das von mir erwartete nach-moderne Zeitalter wird den „Kosmos Wei-
mar“ als eine ebenso herausfordernde wie spannende Erfahrung erleben.

                           Hellmut Seemann ist seit 2001 Präsident der
                           Klassik Stiftung Weimar. Der Jurist war zuvor Ver-
                           waltungsdirektor der Kulturgesellschaft Frankfurt
                           mbH und Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt.
                           Im Jahr 2019 wird er in den Ruhestand gehen. Ihm
                           folgt die bisherige Direktorin der Kunsthalle Mann-
                           heim, Ulrike Lorenz, als Präsidentin.

                                                                                12
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Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
                                                             Wir sind mehr als Kunstdetektive!

                              Wir sind mehr als
                              Kunstdetektive!
                              Ein Appell zur Stärkung der Provenienz-
                              forschung
                              Ein Beitrag von Meike Hopp

                              Seit 2016 folge ich auf diversen Social-Media-Kanälen den Hashtags zu
                              #raubkunst, #provenienzforschung, #kolonialesErbe und #restitution.
                              In den vergangenen Wochen gingen die Nachrichten zu diesen Themen
                              viral. Die Berichterstattung zu entsprechenden Ausstellungen bzw. – me-
                              dienwirksam inszenierten – Restitutionen überschlägt sich und es wäre
                              selbst bei kontinuierlicher Online-Präsenz kaum möglich, allen interna-
                              tionalen Posts und Positionen zu folgen. Nicht nur die Veranstaltungen
                              zum 20. Jubiläum der Washingtoner Erklärung zum Umgang mit den
                              von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstwerken und deren
                              erneute Bekräftigung durch eine Gemeinsame Erklärung zwischen der
                              Bundesregierung und Vertretern des US-Außenministeriums im ver-
                              gangenen November in Berlin haben hierzu beigetragen.1 Auch der als
                              „Tabubruch“ bezeichnete und jüngst publizierte, von Staatspräsident
                              Emmanuel Macron in Auftrag gegebene Bericht zur Restitution von Kul-
                              turgütern aus der Kolonialzeit in Frankreich von Bénédicte Savoy und
                              Felwine Sarr hat das öffentliche Interesse enorm katalysiert.2

“You know my methods, Watson. […] And it ended by my
discovering traces, but very different ones from those which
I had expected.”
The Memoirs of Sherlock Holmes, Adventure VII, The Crooked Man

                              Erst vor ein paar Tagen gelangte schließlich die Nachricht von der Rück-
                              forderung eines 1944 aus dem Bestand der Uffizien gestohlenen Ge-
                              mäldes aus einer deutschen Privatsammlung unmittelbar in die Tages-
                              schau.3 Ein Hype um Provenienzforschung, wie es ihn wahrscheinlich

                                                                                                         13
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Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
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1
    Gemeinsame Erklärung            das letzte Mal mit dem „Schwabinger Kunstfund“, d. h. der 2013 bekannt
    zwischen der Beauftragten
    der Bundesregierung für
                                    gewordenen, umstrittenen Beschlagnahme der Sammlung von Corne-
    Kultur und Medien, dem          lius Gurlitt in München, gegeben hat.
    Abteilungsleiter für Kultur
    und Kommunikation im Aus-
    wärtigen Amt und dem            Ein ForscherInnen-Netzwerk im internationalen Aus-
    Berater des US-Außen-
    ministeriums für Angelegen-
                                    tausch
    heiten der Zeit des Holocaust
    und dem Sondergesandten
    für Holocaust-Angelegen-        Das breite Medienecho ist nicht nur begrüßenswert für die öffentliche
    heiten im US-Außenminis-        Wahrnehmung von Provenienzforschung, sondern von elementarer
    terium, Berlin, 26. Novem-
    ber 2018. Mehr unter www.       Bedeutung für ihr Gebot nach Transparenz. Doch haften der Bericht-
    bundesregierung.de              erstattung oftmals Klischees an, von „detektivischem“ Spürsinn und
2
    In französischer und engli-     mühsamer, forensischer Ermittlungs- oder Puzzlearbeit. Nun bin ich
    scher Version online abrufbar   selbst Fan von Sir Arthur Conan Doyles Adventures of Sherlock Holmes
    unter: http://restitutionre-
    port2018.com/.                  und fühle mich durchaus geehrt, wenn unsere analytisch-methodischen
3                                   Fähigkeiten mitunter mit den seinen verglichen werden. Aber Prove-
    Vgl. https://www.tagesschau.
    de/ausland/uffizien-101.html.   nienzforscherInnen – die in den aktuellen Debatten übrigens eher selten
                                    zu Wort kommen – sind keine „Museumsdetektive“, so romantisch diese
                                    Vorstellung auch sein mag. Ja, sicherlich, es gibt sie, diese Ausnahme-
                                    fälle, in denen kleinste, auch nur zufällig entdeckte Hinweise zur Lösung
                                    eines „Falls“ beitragen, dennoch propagieren und perpetuieren diese
                                    Vergleiche ein Bild, das der Realität der ProvenienzforscherInnen (nicht
                                    nur) in Deutschland und (nicht nur) an öffentlichen Einrichtungen in
                                    keiner Weise entspricht.

“We must look for consistency. Where there is a want of it
we must suspect deception.”
The Case-Book of Sherlock Holmes, Adventure VII, The Problem of Thor Bridge

                                    Ohne weiter auf die Genese der Provenienzforschung (Provenienz von lat.
                                    provenire „herkommen“) einzugehen, sei angemerkt, dass sie natürlich seit
                                    jeher zur Aufgabe kulturgutbewahrender oder -distribuierender Einrich-
                                    tungen gehört, denn die (Herkunfts-)Geschichte eines kulturellen Objekts
                                    ist in der Regel Teil einer Expertise, sei es nun zu dessen Authentizität oder
                                    zu dessen kulturhistorischem oder pekuniärem Wert. Mit den Washing-
                                    toner Prinzipien von 1998 hat sich allerdings ein virulenter Forschungs-
                                    zweig etabliert, der Objekte und ihre Herkunft vor allem in Hinblick auf
                                    sogenanntes NS-Raubgut untersucht und Fragen nach der Legitimität oder
                                    Illegitimität vergangener Eigentums- oder Besitzwechsel fokussiert.

                                                                                                                 14
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4
    Siehe: https://www.arbeits   Dennoch sind wir keine „Kunstdetektive“. Warum? Zunächst einmal
    kreis-provenienzforschung.
    org/.
                                 arbeiten wir in der Provenienzforschung – und dazu gehört heute neben
                                 der NS-Raubgutforschung ebenso die Erforschung der Herkunft von
.
                                 in der Kolonialzeit, unter Militärdiktaturen oder sozialistischen bzw.
                                 kommunistischen Regimen enteigneten, konfiszierten, erpressten
                                 oder geplünderten Objekte – nicht als EinzelkämpferInnen, sondern in
                                 einem professionell agierenden Netzwerk. Der im Jahr 2000 von vier
                                 Forscherinnen in Eigeninitiative begründete und 2014 in einen gemein-
                                 nützigen Verein übergegangene Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.
                                 zählt inzwischen über 270 internationale Mitglieder aus Deutschland,
                                 Österreich, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden
                                 und den USA.4 Dieses Netzwerk – weltweit bisher das einzige seiner Art –
                                 fördert den Austausch und damit die Professionalisierung der Forscher-
                                 Innen und basiert bis heute auf ehrenamtlicher Arbeit. Der Arbeitskreis
                                 setzt sich dabei nicht nur international, sondern auch interdisziplinär
                                 zusammen. Zu den Mitgliedern zählen keineswegs nur Kunsthistoriker-
                                 Innen, sondern u.a. ArchivarInnen, ArchäologInnen, AnthropologIn-
                                 nen, BibliothekarInnen, EthnologInnen, HistorikerInnen oder JuristIn-
                                 nen. Sie beschäftigen sich entweder freiberuflich, projektgebunden oder
                                 angestellt zumeist an Archiven, Bibliotheken, Museen, Universitäten,
                                 an Forschungseinrichtungen oder im Kunsthandel mit der Erforschung
                                 von Kulturgut und arbeiten sparten- und gattungsübergreifend, d.h. zu
                                 kunst- und kulturhistorischen ebenso wie zu historischen, naturwissen-
                                 schaftlichen, technischen oder archivalischen Sammlungen. Und sie
                                 arbeiten in der Regel nicht nur am Einzelfall, sondern an einer systema-
                                 tischen Erschließung von hunderten oder gar tausenden Sammlungsob-
                                 jekten unbekannter Herkunft, die aus den unterschiedlichsten Kontex-
                                 ten stammen können.

                                 Keine Hilfswissenschaft sondern wichtige Grund-
                                 lagenforschung

                                 Was mich jedoch am Bild des Detektivs am meisten stört, ist, dass es die
                                 Vorstellung von Provenienzforschung als einer rein positivistischen,
                                 gleichsam interessengeleiteten Hilfswissenschaft fortschreibt. Wir be-
                                 treiben aber nicht nur „Restitutionsforschung“, sondern wir erforschen
                                 als professionelles Netzwerk neben Kunstmarkt- und Sammlungsge-
                                 schichte(n) vor allem historische Mechanismen von Kulturguttransfers,
                                 der massenhaften Appropriation, Translokation oder auch Vernichtung
                                 von Kulturgütern in Unrechtsregimen bzw. unter ungleichen Macht-

                                                                                                            15
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5
    Vgl. Christiane Fricke: Warum   verhältnissen in Besatzungs- oder Kriegszeiten. Wir arbeiten an der
     die Suche nach NS-Raub-
    kunst in Deutschland so
                                    Aufdeckung von vergangenen bis gegenwärtigen Maschinerien illegaler
    schwierig ist, in: Handels-     Enteignung, Verlagerung, Plünderung, von Raubzügen und Diebstählen,
    blatt, 22. Novemer 2018;
    https://www.handelsblatt.       deren tatsächliche Dimensionen wir noch längst nicht greifen können,
    com/arts_und_style/kunst        weil deren Spuren nicht nur in den Unrechtskontexten selbst, sondern
    markt/provenienzforschung-
    warum-die-suche-nach-           z.B. durch Kontinuitäten in Nachkriegsgesellschaften verwischt wurden
    ns-raubkunst-in-                oder, etwa durch Unwissenheit, Ignoranz und Intoleranz, noch immer
    deutschland-so-schwie
    rig-ist/23665804.html?ti        verwischt werden.
    cket=ST-645718-2ELLCEFSk
    FyQb5RKvsPl-ap5.
                                    Und gerade auf dieser Ebene hat die Provenienzforschung in den vergan-
                                    genen Jahren einen enormen Wissenszuwachs generiert, der nicht nur
                                    breite (mitunter außergewöhnliche) Recherchekompetenz voraussetzt,
                                    sondern auch Fachkenntnis zu historischen, militärischen oder (kultur)
                                    politischen Ereignissen, zu marktwirtschaftlichen Entwicklungen, zu
                                    verwaltungsökonomischem bzw. juristischem Handeln oder aber zu
                                    (kunst)technologischen und restauratorischen Fragestellungen, um nur
                                    einige wenige Facetten zu benennen. Diese Form der gemeinschaftlichen
                                    – vorausschauenden – Kontexterschließung, der Quelleninterpretation
                                    und -kritik ist nur in einem effizienten Forschungsverbund möglich, zu
                                    dem alle ProvenienzforscherInnen unschätzbar wertvolle Beiträge leis-
                                    ten. Erst durch diese Annäherung können Opfer unrechtmäßiger Ent-
                                    eignungen identifiziert und diesen (bzw. ihre Nachfahren) zu „gerechten
                                    und fairen“ Lösungen verholfen werden. Dabei agieren wir nicht selten
                                    als Schnittstelle zwischen den Interessen von öffentlichen Einrichtungen
                                    und Privatpersonen.

                                    Mühsames Aufholen mit wenigen Mitteln

                                    Dass sich das längst überholte Bild von separierten „Spürnasen“, die
                                    in den Kellern ihrer Einrichtungen nach staubigen Hinweisen zur Her-
                                    kunft von Kunstwerken suchen, so hartnäckig hält, hängt auch mit den
                                    vielfach suboptimalen Arbeitsbedingungen zusammen. Ein erheblicher
                                    Teil der ProvenienzforscherInnen in Deutschland arbeitet in Projekten
                                    mit befristeten Drittmittelverträgen, die meisten davon gefördert von
                                    der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. 5
                                    Ich möchte an dieser Stelle nicht auf das allgemeine Prekariat in den
                                    Wissenschaften eingehen, denn hiervon ist bei Weitem nicht nur die
                                    Provenienzforschung betroffen. Doch ließe man selbst die Komplexität
                                    der Aufgabe, das dafür erforderliche Fachwissen und die damit einherge-
                                    hende – ob nun moralische, ethische oder auch juristische – Verantwor-

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Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
                          Wir sind mehr als Kunstdetektive!

tung einmal gänzlich außer acht und betrachte man schlicht die Zahl der
von den einzelnen ForscherInnen zu bearbeitenden Objekte und damit
auch „Fälle“, dann ist zu überdenken, ob Einzelprojekte mit Förderhöch-
stdauern von drei Jahren überhaupt zielführend sein können. Viele der
ForscherInnen kämpfen an ihren Häusern noch immer mit massiven
strukturellen Problemen, von nicht adäquat erschlossenen hauseigenen
Archiven, über die unzureichende Erfassung (geschweige denn Digita-
lisierung) von Objekten in Sammlungsdatenbanken bis hin zu gänzlich
uninventarisierten Bestandsgruppen.

Nachhaltiger Mehrwert braucht funktionierende
Strukturen

Statt zum strukturellen Aufbau führen kurzfristige Beschäftigungsver-
hältnisse eher zum „Nomadentum“ und – in unmittelbarer Konsequenz
– tatsächlich zur Isolierung einzelner ForscherInnen. Durch mangelnde
personelle Kapazitäten und permanent abwanderndes Knowhow ist
außerdem die nachhaltige Dokumentation und Publikation von Resul-
taten der befristeten Recherchen über die Projektlaufzeit hinaus oft
nicht gewährleistet. Die vielfältigen Informationen und Daten, die in
den letzten Jahrzehnten angesammelt wurden, sind daher heute nur in
Ansätzen projekt- oder gar länderübergreifend nutzbar. Der Mangel an
effizienten (digitalen) Forschungsinfrastrukturen führt des Weiteren zu
Insellösungen, wodurch die geleistete Arbeit keinen Mehrwert entfalten
kann. Auf diese Weise bleibt die Provenienzforschung und ihr maßgeb-
licher Beitrag zu den Fragestellungen der Translokation von Kulturgü-
tern und damit ihre Bedeutung für alle kulturhistorischen Fachbereiche
letztlich weitestgehend unsichtbar, weshalb sie kaum als eigenständige
Forschungsdisziplin wahrgenommen wird.

Trotz der seit 2017 an den kunsthistorischen und juristischen Fakultäten
der Universitäten in Hamburg, Bonn, München und Berlin mit diesem
Schwerpunkt eingerichteten (Junior-)Professuren wird eine solche
Emanzipation kaum nachträglich – und nachhaltig – möglich sein, so-
lange der wissenschaftliche Mehrwert der (oft zu) kurzfristigen Projekte
intransparent bleibt und die Provenienzforschung sich in der öffentli-
chen Wahrnehmung weiterhin mit dem Vorurteil konfrontiert sieht,
einseitig und interessengeleitet zu sein, in politischer Abhängigkeit zu
stehen, oder aber ihr Erfolg letztlich nur an Restitutionsquoten gemes-
sen wird.

                                                                           17
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6
    Auch die von Stuart Eizen-        Transdisziplinär gerechte Lösungen finden
    stat jüngst genannte Zahl
    von 100.000 von den Nazis
    geraubten und noch nicht          Doch es geht nicht nur um die Nennung von Zahlen, zumal diejenigen
    restituieren Kunstwerke
    berücksichtigt diese Prozesse
                                      Zahlen, die genannt werden, ohnehin nicht zu belegen sind – wie allein
    nicht. Stuart E. Eizenstat: Art   wollten wir z.B. die durch fiskalische Diskriminierung erpressten und
    stolen by the Nazis is
    still missing. Here’s how         unüberschaubaren, da kaum dokumentierten Zwangsverkäufe der als
    we can recover it, in: The        „jüdisch“ verfolgten Eigentümer von Kulturgütern ab 1933 beziffern?6 Es
    Washington Post, 2.
    Januar 2019; https://www.         geht um mehr als das. Wenn wir den Opfern von Verfolgung und Enteig-
    washingtonpost.com/opini          nung tatsächlich zu „gerechten und fairen“ Lösungen verhelfen wollen,
    ons/no-one-should-
    trade-in-or-possess-              wie sie seit 1998 nicht nur mit der Washingtoner Erklärung gefordert
    art-stolen-by-the-na              werden, müssen wir die Provenienzforschung auf allen Ebenen stärken,
    zis/2019/01/02/01990232-
    0ed3-11e9-831f-3aa2c              im Bereich der Grundlagenforschung, im wissenschaftstheoretischen
    2be4cbd_story.html?utm_           Diskurs und bei der Entwicklung von (auch interdisziplinär anwendba-
    term=.ec94ca199c15.
                                      ren) Methoden.

“It is of the highest importance in the art of detection to be
able to recognize, out of a number of facts, which are inci-
dental and which vital. Otherwise your energy and attention
must be dissipated instead of being concentrated.”
The Memoirs of Sherlock Holmes, Adventure VI, The Reigate Puzzle

                                      Die NS-Raukunstforschung ist zum Beispiel eng verbunden mit den
                                      Holocaust Studies, der Exilforschung, der Kunstmarktforschung. Wir
                                      benötigen den Dialog mit HistorikerInnen, mit RestauratorInnen, mit
                                      SammlerInnen oder mit den KollegInnen aus dem Handel. Wir brauchen
                                      die enge Kooperation mit den Data Sciences bzw. Digital Humanities.

                                      Neue kulturpolitische Relevanz

                                      Die Berichterstattung, insbesondere diejenige zum Umgang mit Kultur-
                                      gütern aus kolonialen Kontexten – so etwa das „Streitgespräch“ um das
                                      Humboldt Forum in Berlin7 –, offenbart aber auch, dass sich die Proveni-
                                      enzforschung künftig mit neuen Herausforderungen konfrontiert sieht,
                                      sich womöglich gänzlich neu positionieren muss. Mehr denn zuvor ist
                                      sie nun verknüpft mit Debatten um museum ethics, um die Definition
                                      vom (global) cultural heritage und seiner identitätsstiftenden Bedeu-
                                      tung, um Sammlungsgeschichte(n), Eurozentrismen, Rassismen und
                                      um die Dekolonialisierung musealer Einrichtungen8, mit der Forderung

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7
     War Humboldt Kolonialist?          nach alternativen Sammlungsphilosophien oder Leihkonzepten bzw.
     Streitgespräch über Beute-
     kunst mit Horst Bredekamp
                                        ganz generell nach der Allgemeinzugänglichkeit von Kulturgut und da-
     und Jürgen Zimmerer, in:           durch – sowie in ihrem Bestreben nach Transparenz – unweigerlich auch
     Frankfurter Allgemeine
     Zeitung, 3. Januar 2019;
                                        mit der digitalen Transformation kulturgutbewahrender Institutionen.
     https://www.faz.net/
     aktuell/feuilleton/debat
     ten/streitgespraech-ue             Sind wir all diesen neuen Herausforderungen gewachsen? Ich bin mir
     ber-raubkunst-mit-bre              noch nicht sicher, denn die jüngsten Nachrichten zeigen doch immer
     dekamp-und-zimm
     rer-15969024.html.                 wieder erschreckend deutlich, wo die Grenzen liegen, auf politscher,
8
                                        auf legislativer und exekutiver Ebene oder in den (infra)strukturellen
     Vgl. u.a. Z. S Strother: Euro-
     centrism still sets the terms of   Bereichen. Dennoch müssen wir es als Chance sehen, im Verbund die-
      restitution of African Art, in:   se Grenzen zu überwinden und die Provenienzforschung vor allem im
     The Art Newspaper, 8. Januar
     2019; https://www.theart           geisteswissenschaftlichen Diskurs stärker zu verankern und zu positio-
     newspaper.com/comment/             nieren. Hierbei hilft keine Detektivarbeit. Denn langfristig können wir
     eurocentrism-still-defi
     nes-african-art.                   nur auf einer breiten Basis zugänglicher Quellen und wissenschaftsme-
9                                       thodischer Kompetenzen die dringend benötigten Rechercheinstrumen-
     Patrick Föhl, Yvonne Pröbstle:
      Vielfalt als Einfalt? Vom         te (auch für den Einzelfall) entwickeln. Wir brauchen keine Dogmen, die
     Suchen und Ringen nach
     Narrativen im Feld der
                                        Verunsicherung stiften, sondern verlässliche Methoden und adäquate
     Kultur, in: KMN Magazin            transparente, transnationale digitale Forschungsinfrastrukturen. Hieran
     (138), November 2018,
     S. 34-44.
                                        arbeiten wir und dafür benötigen wir Rückhalt, nicht nur finanziell, son-
                                        dern auch in Form der vorbehaltlosen Unterstützung unserer jeweiligen
10
     Vgl. u. a. http://www.jg1.at/
     index.php/beratung/metho
                                        Fachcommunities!
     den.html.

                                        Ziel muss ein verantworungsbewussten Umgang mit
                                        Kulturgut sein

                                        Es geht um ein Umdenken: Provenienzforschung sollte Kulturpolitik
                                        prägen und nicht anders herum! Überall dort wo Objekte und Inventare
                                        schweigen, wird ihre Expertise benötigt! Diese Herausforderung müssen
                                        wir annehmen, das sind wir nicht nur den Opfern der brutalen Verfol-
                                        gung, Entrechtung und Enteignung und deren Nachfahren schuldig,
                                        sondern auch künftigen Generationen, denen wir das „schwere Erbe“
                                        nicht weitervererben sollten – zumindest nicht, ohne ihnen auch Model-
                                        le für Lösungswege an die Hand zu geben. Und zuletzt sind wir es sogar
                                        den Objekten schuldig, über deren Identität und Wert wir diskutieren.
                                        Veraltete Narrative oder gar „Parolen des Bewahrens“9 funktionieren
                                        nicht mehr, wenn es um den verantwortungsbewussten Umgang mit
                                        Kulturgut heute geht.

                                        Ein gern auf deutsch zitierter Satz von Sir Arthur Conan Doyle besagt
                                        „Eine höhere Intelligenz beweist die Torheit veralteter Methoden“10–

                                                                                                                19
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11
     Sir Arthur Conan Doyle: The    wohl kaum einer macht sich die Mühe der eigentlichen Provenienz dieses
     crime of the Congo, London:
     London: Hutchinson (3. ed.),
                                    Zitats auf den Grund zu gehen. Das Original lautet: “The land is taken,
     1909, S. 81.                   the produce is taken, the labour is taken. In old days the African slave
                                    was exported, but we progress with the ages and now a higher intelligen-
                                    ce has shown the folly of the old-fashioned methods when it is to easy
                                    to enslave him in his own home.”11 Es stammt nicht aus den Abenteuern
                                    des Sherlock Holmes, es stammt aus einer Streitschrift, die Doyle 1909
                                    gegen die die systematische und brutale Ausplünderung des Kongo-Frei-
                                    staats durch die Belgier verfasst hat. Vielleicht sollten wir doch hin und
                                    wieder Doyle lesen – nur sollten wir nicht bei seinen Detektivgeschichten
                                    hängenbleiben.

                                                              Dr. Meike Hopp arbeitet als wissenschaftliche
                                                              Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte
                                                              (ZI) München im Rahmen verschiedener
                                                              Forschungs- und Erschließungsprojekte im Bereich
                                                              der Provenienz- und Kunstmarktforschung. Seit
                                                              November 2018 ist sie Vorsitzende des Arbeitskreis
                                                              Provenienzforschung e. V. Mehr auf https://www.
                                                              zikg.eu/personen/mhopp.

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Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
                                Der Blick aus der Luft in den Boden

Der Blick aus der
Luft in den Boden
Warum Archäologen nicht nur mit Spaten und
Schaufel arbeiten
Ein Beitrag von Axel G. Posluschny

Der Sommer 2018 war nicht nur in Deutschland durch große Hitze und vor
allem in vielen Regionen auch von Trockenheit geprägt. Was für hungrige
Sonnenanbeter den Urlaub am Mittelmeer fast überflüssig machte, hatte
für die Landwirtschaft ernsthafte negative Auswirkungen auf die Ernte.
Auch für die im Feld tätigen Archäologen machte die anhaltende Hitze das
Arbeiten auf Ausgrabungen nicht immer zu einem Vergnügen. Aber wie
immer hat Alles seine zwei Seiten - die lange Trockenheit bescherte den
Archäologen von Irland über Deutschland bis nach Polen und Tschechien
zahlreiche, zum Teil sensationelle archäologische Neuentdeckungen auf
Luftbildern.

Archäologie aus der Luft?

Schon früh versuchten Menschen, sich im wahrsten Sinne des Wortes
einen Überblick zu verschaffen. Von Hügeln, Bäumen und anderen Erhe-
bungen aus lässt sich das Umfeld besser einsehen, als von der sonst dem
Menschen eigenen, eher bodennahen Position. Sobald sich der Mensch
mittels Ballons, Luftschiffen und Flugzeugen in die Luft erheben könnte,
nutzte er diese Position auch für den besseren Überblick. Gegen Anfang
des 20. Jahrhunderts fiel Archäologen auf, dass dieser Überblick auch
sehr gut geeignet war, um unübersichtliche Strukturen, wie die Mauern
antiker Ruinen, besser erfassen zu können - die Luftbildarchäologie war
geboren. Ihre explorative Qualität entwickelte sich aber erst, als Archäo-
logen erkannten, dass auch im Boden verborgene Strukturen, wie ver-
schüttete Mauern oder seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden wieder
verfüllte Gruben und Gräben ihre Spuren hinterlassen haben, die aus der
Luft besonders gut zu sehen sind1.

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Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
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1
    Eine hervorragende Ein-              Warum kann man aus der Luft in den Boden schauen?
    führung in die Luftbildar-
    chäologie und ihre Ge-
    schichte bietet die unter            Eine wesentliche Grundlage für die Erkennbarkeit dieser Strukturen ist
    https://itunes.apple.com/
    de/book/flights-into-the-
                                         die Tatsache, dass selbst 7500 Jahre alte Vorratsgruben heute noch im
    past/id773596917?mt=11               Boden ihre Spuren hinterlassen haben (Abb. 1). Meist sind Gruben, Pfos-
    verfügbare Publikation Chris
     Musson/Rog Palmer/Stefa-            tenstandspuren, Gräben usw. mit einem anderen Erdmaterial verfüllt
    no Campana, Flights Into the         worden, als der umgebende Boden. Diese Verfüllung ist oft humoser und
     Past. Aerial photography,
    photo interpretation and             lockerer, sie unterscheidet sich somit in ihren chemischen und physika-
    mapping for archaeology              lischen Eigenschaften von ihrem Umfeld. Wird nun ein Acker gepflügt,
    (2012).
                                         fördert der Pflug oft Reste dieser Verfüllung an die Oberfläche. Meist ist
                                         diese dunkler als der umgebende Boden und zeichnet sich somit als so-
                                         genannten Bodenmerkmal an der Oberfläche ab, besonders gut sichtbar
                                         natürlich aus der Luft. Wichtiger ist aber die Eigenschaft dieser Verfüllung
                                         hinsichtlich ihrer Feuchtigkeit. Meistens ist eine Verfüllung in einer Grube
                                         lockerer und kann daher mehr Feuchtigkeit aufnehmen und speichern.
                                         Als Resultat wächst über solchen Strukturen z.B. Getreide besser, es wird
                                         höher als das umgebende Getreide und wird auch später reif. Aus der Luft
                                         ist dann sowohl (bei Schräglicht) die Schattenwirkung des höher gewach-
                                         senen Getreides als auch dessen grünere, „frischere“ Farbe im Acker zu
                                         erkennen - diese sogenannten Bewuchsmerkmale zeichnen im Idealfall
                                         den Verlauf von Strukturen nach, die vor Jahrtausenden in den Boden ein-
                                         gegraben wurden (Abb. 2).

                                         Im Boden verlaufende Mauern haben den gegenteiligen Effekt: beim Pflü-
                                         gen gelangen immer wieder Mauersteine an die Ackeroberfläche, wo sie
                                         ebenfalls aus der Luft erkannt werden können. Wächst Getreide über einer
                                         vergrabenen Mauer, so kann es nicht so tief wurzeln und bekommt aus
                                         dem ohnehin meist trockeneren Mauerbereich weniger Wasser und Nähr-

                                                                                             Abb. 1: Der Schnitt durch
                                                                                             ein Getreidefeld erklärt die
                                                                                             Grundlagen für die Ent-
                                                                                             stehung von im Luftbild
                                                                                             erkennbaren archäologi-
                                                                                             schen Befunden. So wächst
                                                                                             Getreide über ehemaligen
                                                                                             Gruben und Gräben wegen
                                                                                             der dort höheren Feuchtigkeit
                                                                                             höher und bleibt länger grün,
                                                                                             im Bereich von Mauerresten
                                                                                             ist der Boden dagegen meist
                                                                                             trockener was zu einem ver-
                                                                                             minderten Getreidewachs-
                                                                                             tum mit verfrühter Reife führt.

Grafik: The Discovery Programme, Dublin/IE

                                                                                                                          22
                                         JANUAR 2019 | NR. 140 |
Schwerpunkt: Kultur in der Unterwelt
                                                                     Der Blick aus der Luft in den Boden

2
    Thomas Becker/Andy Klee-              stoffe. Als Bewuchsmerkmale lassen sich so niedrigere und weniger grüne
    berg, Luftbildarchäologie
    am Kastellplatz Inheiden.
                                          Bereiche erkennen, die dann z.B. die vergrabenen Mauern eines ehemali-
    Der Limes 2, 2012/Heft 2.             gen römischen Kastells nachzeichnen (Abb. 3)2.
    Nachrichtenblatt der Deut-
    schen Limeskommission.
    S. 8–11 (http://www.deut              Wo Licht ist, da ist auch Schatten
    sche-limeskommission.de/
    fileadmin/dlk/images/dlk/
    pdfs/Der_Limes_02_2012.               Auch wenn die Luftbildarchäologie heute für die zerstörungsfreie Er-
    pdf).
                                          fassung und Erforschung von archäologischen Fundstellen sowie für die
                                          Untersuchung der Siedlungsgeschichte ganzer Landschaften unverzicht-
                                          bar ist, so ist sie auch kein Allheilmittel. Nicht in jeder Landschaft führt sie
                                          zu befriedigenden Ergebnissen. So sind im Weideland nur selten Bewuchs-
                                          merkmale aus der Luft zu erkennen. Dazu wurzelt das Gras meist nicht tief
                                          genug, so dass die Feuchtigkeitsunterschiede hier kaum eine Rolle spielen.
                                          Zudem sind Wiesenflächen auch meist an ohnehin feuchteren Standorten
                                          zu finden. Im Wald versagt die Luftbildarchäologie ebenfalls - die Überde-
                                          ckung durch Bäume erlaubt hier schlicht keinen Blick auf den Boden.

                                          Um archäologische Befunde erkennen und deuten zu können, benötigt
                                          man Erfahrung und ein geschultes Auge. Aber auch dann lässt sich eine
                                          bronzezeitliche Vorratsgrube nicht immer zweifelsfrei von einem Bom-
                                          bentrichter oder einer neuzeitlichen Lehmentnahmegrube unterscheiden.
                                          Auch die Frage nach dem Alter der Befunde ist nicht immer über Luftbil-
                                          der zu klären. Ein römischer Gutshof ist oft recht gut ansprechbar, da seine
                                          Mauerstrukturen relativ eindeutig sind und fast wie genormt wirken. Ob
                                          aber ein runder Fleck im Acker eine Grube aus der Jungsteinzeit oder aus
                                          der keltischen Eisenzeit markiert, ist eben meistens nicht eindeutig zu
                                          klären.

                                                                                                 Abb. 2: Auf diesem Getrei-
                                                                                                 deacker sind die im Boden
                                                                                                 verborgenen Reste ehe-
                                                                                                 maliger Gruben, Gräben
                                                                                                 und Pfostenstandspuren
                                                                                                 einer keltischen Siedlung
                                                                                                 in Böhmen besonders gut
                                                                                                 als Bewuchsmerkmale zu
                                                                                                 erkennen.

Foto: Martin Gojda, Universität von Westböhmen, Pilsen/CZ

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