Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur

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Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
1. Quartal 2016   Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg

                                                            Schwerpunkt
                                            Computerspiele

                                                               FSJ Kultur
                                                       Dahinter stehe ich

                                                          Kulturagenten
                                                      Wie es weiter geht

                                                    Kirschkern & Compes
                                             Geschichten vom Kleiderberg

                                                               WienXtra
                                                  Im Kulturgemüsegarten
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Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Inhalt + Impressum
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                                                                 Herausgeber
03      Computerspiele: Potenziale nutzen                        LAG Kinder- und Jugendkultur e.V.
                                                                 www.kinderundjugendkultur.info
04      Creative Gaming: Neue Levels der Kreativität             Wilhelm-Strauß-Weg 2, 21109 Hamburg
                                                                 Telefon: 040-180 180 44
06      ComputerSpielSchule: Super Marios auf eigenen Wegen      Die LAG Kinder- und Jugendkultur vernetzt die
                                                                 Hamburger Akteure und vertritt die Interessen Ihrer
08      FSJ Kultur: Ich mache das, wohinter ich stehe            Mitglieder gegenüber Politik und Verwaltung.
                                                                 Leserbriefe an
10      Isabella Vértes-Schütter zur Kinder- und Jugendkultur    info@kinderundjugendkultur.info
                                                                 Redaktionsleitung Lutz Wendler
13      News aus der Szene
                                                                 redaktion@kinderundjugendkultur.info
                                                                 Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe:
14      Kritik: Fluchtgeschichten aus der Kleiderkammer          12. Februar 2016; Erscheinungsdatum: März 2016

16      Kulturagenten: Das Programm in der Stadt verstetigen     Der LAG-Newsletter und »kju« als PDF können hier
                                                                 abonniert werden: www.kinderundjugendkultur.info
18      Pro + Kontra: Computerspiele als Kulturgut?              Gefördert von der Kulturbehörde
                                                                 der Freien und Hansestadt Hamburg.
20      Kritik: Ideen liegen überall herum
                                                                 Bildnachweise
22      wienXtra-kinderinfo: Quer durch den Kulturgemüsegarten
                                                                 © Titel: Creative Gaming, S. 3 Lutz Wendler, S. 5 Creative Gaming, S.
                                                                 7 Creative Gaming, S. 8/9 Arne Bachmann (2), S. 11: SPD-Hamburg,
24      Tipps + Termine                                          S. 15 Nino Herrlich, S. 16/17 Iskender Kökce/Kulturagenten, S. 17 Lea
                                                                 Fischer, S. 18 privat, S. 19 privat, S. 21 Max Bartsch/Tanzplan, S. 23
                                                                 Lutz Wendler, S. 24 Chris Lambertsen/Bücherhallen, Bonding/abge-
                                                                 dreht, Sava Hlavacek/Kraut_Produktion und Theater, Christina Körte/
                                                                 Körber-Stiftung, Der Kurzfilmtag, UKL
                                                                                                                                          2
Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Editorial

    Schwerpunkt Computerspiele
    Potenziale erkennen und nutzen

                                                           chen Einfluss das auf die digitale Spielekultur in
                                                           ihrem Facettenreichtum hat, ist unklar. Klar ist
    Eine Kindheit ohne Spiele? Unvorstellbar! Neben        hingegen, dass es – jenseits und diesseits kom-
                                                                                                                              Christiane Schwinge und Andreas Hedrich
    Brettspielen, Puzzles, Lego, Karten- oder Sportspie-   merzieller Strömungen – eine kaum überschau-
    len sind digitale Spiele im 21. Jahrhundert wich-      bare Vielfalt kultureller Praxen mit und rund um
    tiger Bestandteil des Spielerepertoires Heranwach-     digitale Spiele gibt: ob Cosplay, Let’s Play, Indie   Wohlgemerkt – Computerspiele bergen auch die
    sender. Dabei lösen sie »analoge Spiele« mitnich-      Games Szene, Medienkunst, Machinima, You­             Gefahr des Missbrauchs. Deshalb gibt es nicht
    ten ab, sondern stellen vielmehr eine bedeutsame       Tube Channels oder LAN Partys – digitale Spiele       nur für die Spiele, sondern auch für die Spie-
    Ergänzung dar. Digitale Spiele prägen den All-         sind Ausgangspunkt für vielerlei Artikulations-       ler Regeln. Doch wer Regeln aufstellt, sollte wis-
    tag von Kindern und Jugendlichen, sind Bestand-        formen. Gleichzeitig spielen sich viele dieser kul-   sen, wovon er spricht – sonst begegnet er sei-
    teil ihrer Kultur und aus ihrer Lebenswelt kaum        turellen Praxen für Erwachsene quasi im Verbor-       nen Adressaten nicht auf dem gleichen Level.
    noch wegzudenken. Für die einen ist diese Ent-         genen ab, weil denen der Zugang zu diesen For-        Deshalb ist es notwendig, dass auch Eltern und
    wicklung begrüßenswert, für die anderen ein eher       men der aktiven Auseinandersetzung fehlt. Dabei       Lehrer wissen, in welchen virtuellen Welten ihre
    unausweichliches Übel. Obgleich digitale Spiele für    wird, sobald man einen genaueren Blick auf das        Kinder beziehungsweise Schüler unterwegs sind.
    viele Erwachsene ebenfalls zum Alltag gehören,         Medium wirft, schnell deutlich, welche Möglich-       Sie können dabei auch lernen, welche kreativen
    die Generation der ersten Gamer längst erwach-         keiten es bietet, um sich auszudrücken, etwas zu      Abenteuer dort möglich sind. Letztlich ist die-
    sen ist und selbst Kinder hat, gibt es insbesondere    gestalten, kreativ zu werden.                         ses Heft ein Plädoyer, das Wissen von Kindern
    bei Pädagogen und Eltern im Zusammenhang mit                                                                 und Jugendlichen ernst zu nehmen und vielleicht
    digitalen Spielen Vorbehalte, Unsicherheiten und       Spätestens an dieser Stelle werden Überschnei-        sogar gemeinsam mit ihnen kreative Freiräume zu
    Berührungsängste. Dies kann zu Konflikten zwi-         dungen zur kulturellen Arbeit deutlich (egal in       erobern. Denn eine Vernetzung verschiedener kul-
    schen Jung und Alt führen, die sich schlimmsten-       welcher Kunst- oder Mediengattung), bei der ein       tureller Praxen ist möglich – und wünschenswert.
    falls in einer (digitalen) Kluft manifestieren.        zentraler Aspekt im Einnehmen neuer Perspekti-        Digitale Spiele sind Kultur. Sie verbinden und
                                                           ven auf scheinbar Normales beziehungsweise All-       geben Impulse. Sie sind kommunikative Aus-
    Fernab normativer Einordnungen sind digitale           tägliches liegt. Neue Sichtweisen einzunehmen         gangspunkte und greifen auf, was Menschen zu
    Spiele Teil der Kultur beziehungsweise der per-        bedeutet beim digitalen Spiel, dass man Regeln        Menschen macht: das Spiel.
    formativen Praxis Heranwachsender. Gleichzei-          bricht und somit das System (Computer-)Spiel
    tig wird immer wieder darauf verwiesen, dass der       durchdringt, es versteht. Dieser Regelbruch führt     Christiane Schwinge und Andreas Hedrich
    Deutsche Kulturrat im Jahr 2009 Computerspie-          zur Erkenntnis, dass ein scheinbar ebenso kom-
    le als Kulturgut ausgelobt hat, womit vor allem        plexes wie geschlossenes System aufgebrochen           Die Medienpädagogin Christiane Schwin-
    eine wirtschaftliche Förderung von »kulturell wert-    und verändert werden kann. Ein wichtiger Schritt       ge (34) und der Medienpädagoge Andreas
    vollen« digitalen Spielen in Form des Deutschen        hinsichtlich einer kompetenten und mündigen            Hedrich (47) sind Mitgründer der Initiative
    Computerspielpreises einhergeht. Ob und wel-           Mediennutzung.                                         Creative Gaming e.V.

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Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Vorgestellt

Schwerpunkt Computerspiele
Creative Gaming – neue Levels der Kreativität erobern

Als Creative Gaming 2007 startete, war die          Lernen. Also um Erkenntnisgewinn durch die          Schleswig-Holstein und die Joachim-Herz-Stif-
Hamburger Initiative von Medienpädagogen            Förderung individueller Kreativität. Und um den     tung sowie Ersparnisse des jaf e.V. und der
und -künstlern ein Pionierprojekt. Heute gilt       Spaß, den die Beteiligten offensichtlich hatten.    Initiative. Die seriösen Partner und Locations
sie als Erfolgsmodell für den konstruktiven         Alles das ist Programm bei Creative Gaming.         wie das Museum für Kunst und Gewerbe, das
Umgang mit Computerspielen.                         Schon 2007 wurde die Initiative von Medienpä-       Ohnsorg-Theater oder das Nachtasyl im Tha-
                                                    dagogen und Medienkünstlern gegründet, die          lia widerlegen das Vorurteil, bei PLAY handle es
Das erste Standbild des YouTube-Videos zeigt        zweierlei erkannt hatten: dass es notwendig sei,    sich um eine Art Messe-Werbeveranstaltung der
einen Jugendlichen auf seinem Mountainbike.         mit einem Medium, das sich rasant verbreitete,      Spiele-Industrie.
Sobald der Play-Button gedrückt wird, ist klar,     konstruktiv umzugehen; und dass die rasch ver-
wohin die Reise geht – der unmittelbar einset-      teufelten Computerspiele neben Gefahren des         PLAY ist gewissermaßen das Schaufenster von
zende elektronische Sound ist so eckig wie die      Missbrauchs auch ein großes kreatives Potenzial     Creative Gaming, denn das Festival zeigt in
8-Bit-Ästhetik der ersten digitalen Jump’n’Run-     enthielten, das es für die Kinder- und Jugendkul-   Workshops, Performances, Ausstellungen, Vor-
Spiele. Und die Kamera folgt dem 13 Jahre           tur zu nutzen gelte. Mit diesen Einsichten waren    trägen, Podiumsdiskussionen und auf digitalen
alten Ibrahim auf einem Geschicklichkeitspfad,      die Gründer von Creative Gaming, die überwie-       Spielplätzen das Spektrum der vielen Aktivitäten
im Slalomkurs vorbei an Hindernissen oder mit-      gend in Hamburg und Berlin ansässig sind, sehr      und Netzwerke, die über die Jahre entwickelt
ten durch einen Klötzchenturm. Punktgewinne         früh dran.                                          wurden. Ein Festival, das auch für die alltägliche
und -verluste werden laufend eingeblendet. Zwi-                                                         Arbeit der Initiative wirbt.
schendurch beißt Ibrahim in einen Apfel und         Längst ist das rasch wachsende Netzwerk der
lädt seinen Energiebalken auf, bevor er im fina-    Pioniere ein Vorzeigeprojekt. Die rasante Ent-      Christiane Schwinge und Andreas Hedrich, die
len Wettlauf mit dem Endboss auch den letzten       wicklung lässt sich gut am jährlichen Festival      zur Festivalleitung von PLAY gehören, schätzen,
Level bewältigt.                                    PLAY ablesen, das es seit 2007 gibt und bei         dass Creative Gaming übers Jahr verteilt 26 sehr
                                                    dessen Premiere in Bonn die Macher ein über-        verschiedene Angebote in Hamburg und bun-
»Spät dran« heißt das Game-Video in Pixelästhe-     schaubares Grüppchen bildeten – ein Jahr spä-       desweit macht – »alles flach hierarchisch orga-
tik, das Siebtklässler der Nelson-Mandela-Stadt-    ter in Hamburg waren es schon mehr als 200          nisiert«, sagt Hedrich, der unter den zehn Grün-
teilschule in Kirchdorf mit Hilfe von Medien-       Schüler und etwa 30 Lehrer. Nach fünf gut           dern war. Heute sind in dem losen Verbund etwa
pädagogen der Initiative Creative Gaming ent-       geförderten Jahren in Potsdam ist das Festival      100 Menschen bundesweit aktiv, neben Medien-
worfen, gefilmt und vertont haben, als wäre es      für kreatives Computerspielen seit 2013 wie-        pädagogen und -künstlern auch Wissenschaftler
ein Computerspiel. Okay, Ibrahim auf seinem         der in Hamburg zu Hause. PLAY15 im Septem-          und Spiele-Entwickler.
Fahrrad ist nicht Super Mario. Aber um beson-       ber hatte rund 5000 Besucher. Den Großteil des
ders realistische Nachahmung gängiger digitaler     Etats von 200.000 Euro trugen in diesem Jahr        Das Gros ihrer Projekte ist echte Schularbeit, ein-
Geschicklichkeitsspiele ging es in diesem Projekt   die Bundeszentrale für politische Bildung, die      gebettet in Programme wie das Bündnis für Bil-
auch nicht, sondern um das quasi spielerische       Stadt Hamburg, die Medienstiftung Hamburg/          dung »Kultur macht stark« oder die Kultur

                                                                                                                                                              4
Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
agenten. Creative Gaming leistet Lehrerfort-         zum realen Nachbau von Dingen aus digitalen
                                                               bildungen und praktische Arbeit an mehreren          Welten in Pappe, aus Knete und Elektroschrott
                                                               Hamburger Schulen, in denen digitale Spiel-          angeboten.
                                                               welten zum Beispiel den Deutsch-Unterricht oder
                                                               die Mathe-Stunden ergänzen und bereichern            »Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit sind
                                                               – am intensivsten in einem Pilotprojekt in Wil-      handlungsorientierte Projekte, bei denen die
                                                               helmsburg, wo eine Mittelstufenprofilklasse über     Teilnehmer zusammenarbeiten sollten und
                                                               Jahre begleitet wird. Im Juni ist mit der Compu-     über das Medium miteinander kommunizie-
                                                               terSpielSchule Hamburg das erste offene Pro-         ren. Dabei lernen sie, auf die Fähigkeiten von
                                                               gramm in der Bücherhalle Holstenstraße gestar-       anderen zu vertrauen. Jungs lernen von Mäd-
                                                               tet, das an jedem Freitagnachmittag kosten-          chen, Erwachsene von Kindern, Lehrer von
                                                               frei und ohne Anmeldung besucht werden kann          Schülern – und umgekehrt«, sagt Christiane
                                                               (siehe Seite 7). Dort und auch in den verschie-      Schwinge. Andreas Hedrich ergänzt: »Wenn
                                                               denen Ferienworkshops können Spiele mit ein-         wir uns mit anderen verabreden, um zu spie-
                                                               fachen Werkzeugen individuell programmiert           len, dann hat das soziale Konsequenzen. Man
                                                               und so genutzt werden, dass »die Puppen« nicht       muss gemeinsam planen und verhandeln, um
                                                               auf vorgegebenen Bahnen, sondern nach den            zusammenzukommen. Das sind im Grunde
                                                               Wünschen des Spielers tanzen.                        gesellschaftlich relevante Prozesse, die hier
                                                                                                                    gelernt werden. Davon kann auch die große
                                                               Christiane Schwinge und Andreas Hedrich schät-       Politik profitieren.« So gesehen ließe sich das
                                                               zen am kreativ genutzten Computerspiel, dass es      paradoxe Rezept von Creative Gaming für den
                                                               grundsätzlich mit jedem Genre der Kinder- und        Umgang mit digitalen Spielen auch auf andere
                                                               Jugendkultur vernetzt werden kann – vom Pup-         Bereiche übertragen: Feste Strukturen entzau-
                                                               pentheater bis hin zum Konzert, in dem ein Sym-      bern, um mit Hilfe der eigenen Fantasie auf
                                                               phonieorchester Games-Music spielt. Ein beson-       einen höheren Level zu kommen.
                                                               derer Reiz liege in der Übersetzung des Digitalen
                                                               ins Analoge und andersherum, wenn das, was           Lutz Wendler
                                                               sonst virtuell am Bildschirm zu erledigen ist, zur
                                                               Arbeit wird, bei der man sich die Hände schmut-
                                                               zig machen kann. Bei PLAY15 wurden unter dem          www.hamburg.playfestival.de
              Wechsel von der digitalen in die analoge Welt:
        Ein PLAY 15-Workshop-Teilnehmer baut in Übergröße
                                                               Motto »Machen« unter anderem Workshops zum
    das Schwert aus dem Open-World-Spiel »Minecraft« nach      »Gamesbacken« unter Konditoren-Anleitung und

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Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Ortstermin

Schwerpunkt Computerspiele
Super Marios auf eigenen Wegen

Jugendliche lernen, wie sie kreativ und kri-      von Spielen und Levels. Von Angeboten, die mit     Liau: »Es geht zu Beginn um die grundsätzliche
tisch mit einem Medium umgehen, das ihnen         Computerspielen zu tun haben, fühlen sie sich      Frage, was ein Spiel überhaupt ist – und darum
vorgefertigte Spielabläufe anbietet.              aber nur selten angesprochen«, sagt Karin Liau.    zu erkennen, dass Spiele bestimmte Grundele-
                                                  Die 28-Jährige ist selbst begeisterte Gamerin.     mente haben müssen, um zu funktionieren. Ob
Das Marketing für die eigenen Produkte macht      Sie hat Waldhorn studiert und nach ihrem ers-      digital oder analog macht dabei keinen Unter-
den jungen Akteuren sichtlich Spaß. Die Prä-      ten Abschluss an der Hamburger Hochschule          schied.«
sentation der Spiele, die sie gerade entworfen    für Musik und Theater mit Kultur- und Medien-
                                                                                                     Nächster Schritt war die Arbeit mit Twine, einem
haben, wird zur Parodie auf die Verkaufsstrate-   management als Zweitstudium weitergemacht.
                                                                                                     Programm, mit dem sich anschaulich zeigen
gien der Game-Industrie genutzt. Die Jugend-      Beim Festival PLAY13 ist sie auf die Aktivitäten
                                                                                                     lässt, wie verzweigte Geschichten erzählt wer-
lichen zeigen ihre selbst gezeichneten Cover,     von Creative Gaming aufmerksam geworden
                                                                                                     den können. »Damit kann man auf einfache
die so viele Text- und Bildreize enthalten, als   und engagiert sich seither in der medienpäda-
                                                                                                     Weise interaktive Geschichten nach dem »Choose
müssten sie sich im Überangebot eines Elektro-    gogischen Arbeit der Initiative.
                                                                                                     Your Own Adventure«-Prinzip entwickeln. Darin
nik-Kaufhauses behaupten. Dazu gibt es mar-
                                                  Der Workshop, den sie gemeinsam mit Christi-       muss der Leser eigene Entscheidungen treffen,
tialische Titel wie »Mario Castle – der Move
                                                  na Kutscher leitet, folgt einem bewährten Auf-     die den Fortgang des Abenteuers beeinflussen.
des Todes« oder Verballhornungen wie »Kevin
                                                  bau. »Zunächst wollen wir bei den Teilnehmern      Diese Spiele haben ihren Ursprung aber eher in
2.0«. Und bei der Live-Präsentation wird mit
                                                  die Vorstellung aufbrechen, dass digitale Spie-    der analogen Literatur, als in der digitalen Evo-
marktschreierisch-hohlen Slogans ironisch für
                                                  le eigenen digitalen Regeln folgen«, sagt Karin    lution«, sagt Karin Liau.
das eigene Produkt geworben: »Mario hat sich
                                                  Liau. Deshalb seien am ersten Tag gewöhnli-
selbst neu erfunden« und »Der Preis ist heiß,                                                        Nach zwei Tagen war also bereits ein Grundver-
                                                  che Brettspiele analysiert worden. »Die Jungs
aber teuer«.                                                                                         ständnis für Spielstrukturen entwickelt – Vor-
                                                  sollten herausfinden, wie diese analogen Spiele
                                                                                                     aussetzung dafür, dass die Jugendlichen mit
Oder kurz und einprägsam: »Neuer, teurer, bes-    funktio­nieren, nach welchen Regeln sie ablau-
ser.« Und als Vertreter ihres eigenen Produkts    fen und was ihren Reiz ausmacht.« Am glei-
                                                                                                      Die ComputerSpielSchule Hamburg ist ein
zeigen sie ihrem Publikum auch gleich noch,       chen Tag folgte eine körperliche Erfahrung beim
                                                                                                      offenes, wöchentliches Angebot für Jugend-
wie sie sich als Super Mario in einem selbstge-   Streetgame: Der Workshop ging nach drau-
                                                                                                      liche (von 13 bis 17 Jahren) und Erwachsene
stalteten Level bewegen.                          ßen, um einfache digitale Spiele wie das betag-
                                                                                                      zum gemeinsamen Spiel und kreativen Arbei-
                                                  te Video-Tennisspiel »Pong« von Atari zu simu-
14 Jungs im Alter von elf bis 16 Jahren sind                                                          ten mit Spielen; außerhalb der Ferien frei-
                                                  lieren. Ein Teilnehmer wurde zum Spielball, die
Teilnehmer des fünftägigen Herbstferienwork-                                                          tags von 14 bis 18 Uhr, bis Ende 2015 in der
                                                  anderen wurden als Schläger oder Bande ein-
shops der ComputerSpielSchule Hamburg in                                                              Bücherhalle Holstenstraße, ab Januar für ein
                                                  gesetzt.
der Bücherhalle Holstenstraße. »Leider ist kein                                                       halbes Jahr in der Bücherhalle Wandsbek.
Mädchen dabei. Schade, denn Mädchen haben         Was nach Kleinkinderspiel klingt, soll auf sim-
häufig ein besonderes Talent für das Design       ple Weise Erkenntnisprozesse fördern. Karin         www.computerspielschule-hamburg.de

                                                                                                                                                         6
Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Links zu Spielkritiken und Elterntipps:

                                                                                                                       BIU (Bundesverband interaktive Unterhal-
                                                                                                                       tungssoftware):
                                                                                                                       www.biu-online.de

                                                                                                                       Computerprojekt Köln:
                                                                                                                       www.computerprojekt-koeln.de

                                                                                                                       Computerspielemuseum Berlin:
                               Screenshot aus einem Spiel, das ein Teilnehmer mit der Software Kodu programmiert hat   www.computerspielemuseum.de

    simpler Programmiersoftware in einem vorge-             ihrer Vermittlungsarbeit? »Wenn die Teilnehmer             Initiative Creative Gaming:
    gebenen Rahmen eigene Spiele-Ideen umset-               etwas von dem mitnehmen, was wir hier auspro-              www.creative-gaming.eu
    zen konnten. Mit »Super Mario Maker« ließ sich          biert haben. Wenn sie Freude hatten und nicht
    mit einer prominenten Figur erproben, wie ein           das Gefühl, dass sie nur hier waren, weil sie              Spielbar:
    Level-Design spannend gemacht werden kann.              hier sein mussten, um im Auftrag der Eltern ihre           www.spielbar.de
    Und mit dem Icon-basierten, bildhaften Pro-             Freizeit sinnvoll zu nutzen. Und wenn am Ende
    gramm Kodu konnte der kreative Prozess im               Ergebnisse präsentiert werden, die mich erstau-            Spieleratgeber NRW:
    klassischen Gamedesign noch freier auspro-              nen – spannende Ideen und Kniffe, auf die ich              www.spieleratgeber-nrw.de
    biert werden: Als wären sie Spiele-Entwick-             selbst nicht gekommen wäre.«
    ler hatten die Jungs das Handwerkszeug für                                                                         Magazin Kulturelle Bildung, Schwerpunkt-
                                                            Im besten Fall entsteht also die kreative Frei-
    die Erschaffung einer kleinen Welt. Sie konnten                                                                    thema Digitale Medien der Bundesvereini-
                                                            heit, die das Logo der ComputerSpielSchule ver-
    eigene Landschaften als Spielfelder und Akteu-                                                                     gung kulturelle Kinder- und Jugendbildung
                                                            heißt: lauter Gamepads, die wie Fledermäuse
    re erschaffen, deren Bewegungsmöglichkeiten                                                                        (BKJ): www.bkj.de (unter Publikationen,
                                                            oder Schmetterlinge aufsteigen.
    sie vorgaben.                                                                                                      Magazin Nr. 13)
                                                            Lutz Wendler
    »Learning by doing« lautet das didaktische Prin-                                                                   »Games und Bonuslevel« in »Scout. Das

    zip, mit dem spielerisch Bewusstsein und Krea-                                                                     Magazin für Medienkompetenz«:
    tivität der Gamer gefördert werden soll. Woran                                                                     www.scout-magazin.de
    misst die Medienpädagogin Karin Liau den Erfolg

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Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Porträt

FSJ Kultur
»Ich mache lieber das, wohinter ich stehe«

Pauline Barnhusen absolviert ein Freiwilli-         tige Entscheidung getroffen zu haben. »Ich bin
ges Soziales Jahr Kultur in der Jugendbib-          selbstständiger geworden und die neuen Erfah-
liothek Hoeb4U in den Zeisehallen. Sascha           rungen haben mir schon total geholfen in der
Wiersch startete dort vor zehn Jahren die Pio-      Frage, was ich später machen möchte«, sagt
nierarbeit der Bücherhallen in Sachen digita-       sie. Viel mit Menschen zu tun zu haben, das ist
le Medien.                                          auch ein Wunsch für die Zeit nach dem Jahr in
                                                    der Bibliothek.
Pauline Barnhusen ist 18 Jahre jung und hat
gerade ihr Abitur geschnürt. Vor ihr liegt der      Das FSJ sei ein Modell, von dem letztlich alle Sei-
Lebensabschnitt, den viele Menschen als glei-       ten profitierten, findet die Direktorin der Ham-
chermaßen spannende wie schöne Zeit in Erin-        burger Bücherhallen, Hella Schwemer-Martien-                        Sascha Wiersch arbeitet seit 2005 in der
                                                                                                                                      Jugendbibliothek Hoeb4U
nerung behalten. Doch wie vermeintlich kata-        ßen. Sie sagt: »Die Freiwilligen probieren sich
strophal ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt       aus und tun dabei etwas Gutes und Sinnvolles.«
mal sein werden, bekommt die junge Frau mit         Resultat seien oft Projekte, für die es sonst viel-   sich Mittvierziger durch den Musik-Bestand und
den dunkelblonden Haaren schon seit Jahren          leicht keinen Anstoß gegeben hätte. Ralf Clas-        Teenager blättern in roten Sesseln liegend in
zu hören. »Meiner Generation wird schon in der      sen von der KinderKulturKarawane berichtet:           Manga-Comics. An Wochenenden werden hier
Schule oder auf Informationsveranstaltungen         »Erst waren wir unsicher, ob es eine gute Ent-        Workshops zu verschiedensten Themen und im
eingebläut, dass wir es richtig schwer haben        scheidung war, ein FSJ Kultur einzurichten. Kön-      Do-it-yourself-Bereich angeboten oder ein Japa-
werden«, erzählt sie. »Besonders, wenn man sich     nen wir den jungen Menschen eine spannende            nisch-Einführungskursus. Im Internet präsentiert
wie ich eher für den kulturellen Bereich interes-   Einsatzstelle bieten? Müssen wir nicht zu viel Zeit   sich Hoeb4U mit einer eigenen Homepage sowie
siert. Ich weiß wirklich nicht, warum man uns       investieren für Anleitung und Betreuung? Jetzt        auf den sozialen Netzwerken Twitter, Instagram,
immer Angst macht.«                                 sind wir begeistert über die hoch motivierten         Tumblr und natürlich Facebook, wo es offenbar
                                                    jungen Leute, die uns extrem wirkungsvoll unter-      zu einer interessanten Schnittmenge kommt. Von
Um sich gedanklich zu sortieren und prak-           stützen und ein bisschen ‚frischen Wind‘ in unser     den knapp 550 Personen, die dort auf »Gefällt
tische Erfahrungen für ihren späteren Werde-        Projekt bringen.«                                     mir« geklickt haben, interessieren sich laut Face-
gang zu sammeln, absolviert Pauline Barnhu-                                                               book viele auch für die Seite der Bücherhallen
sen seit September ein Freiwilliges Soziales Jahr   Die Jugendbibliothek Hoeb4U ist in den altehr-        Hamburg – und die Trash-TV-Sendungen »Köln
(FSJ) Kultur bei der Jugendbibliothek Hoeb4U in     würdigen Zeisehallen ansässig und eine Biblio-        50667« und »Berlin – Tag & Nacht«.
Ottensen. Kundenkontakt, neue Artikel in den        thek der etwas anderen Art. Läuft man auf die
Bestand aufnehmen – Barnhusen ist in den nor-       geöffnete Eingangstür zu, fällt der erste Blick       Einer der Initiatoren des Projekts ist Sascha
malen Arbeitsalltag voll eingebunden und sich       auf einige jüngere Jugendliche, die sich an einer     Wiersch. Hamburgs erste Jugendbibliothek
schon nach den ersten Monaten sicher, die rich-     Playstation versuchen. Weiter hinten stöbern          wurde vor zehn Jahren eröffnet, Wiersch war

                                                                                                                                                                   8
Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
oder reine Unterhaltung sei oder eben einen
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                                                                das Produkt selbst an, nicht anders als bei         (FSJ Kultur) engagieren sich Jugendliche und
                                                                Büchern.«                                           junge Erwachsene zwischen 16 und 26 Jah-
                                                                                                                    ren für ein Jahr in verschiedenen kulturellen
                                                                So etwas wie ein Paradebeispiel für pädagogisch     Einrichtungen. Die Freiwilligen unterstützen
                                                                verwertbare Videogames ist Minecraft. In dem        das Team in den täglichen Aufgaben, brin-
                                                                von einem schwedischen Programmierer entwi-         gen neue Ideen ein und stellen einen guten
                                                                ckelten Spiel ist der Anwender nicht an eine vor-   Kontakt zur (jungen) Zielgruppe her. Durch
                                                                gegebene Handlung gebunden. Unter anderem           ihren Einsatz unterstützen sie nachhaltig die
                Pauline Barnhusen absolviert ein freiwilliges
                             soziales Jahr im Bereich Kultur
                                                                geht es darum, mit würfelartigen Blöcken etwas      Arbeit der Einrichtungen.
                                                                zu konstruieren. Für Minecraft gibt es Lehr-
                                                                material, in den USA arbeiten Hunderte Schulen      Wer sich vorstellen kann, einem jungen Men-
    einer der drei Festangestellten. Heute sind es              bereits mit dem Spiel.                              schen seinen Kulturbetrieb näher zu brin-
    fünf Angestellte, fünf Auszubildende und Pau-                                                                   gen und ihn in einer Orientierungsphase zu
    line Barnhusen. »Damals«, blickt Wiersch auf                Wenn Pauline Barnhusen ihr FSJ beendet hat,         begleiten, sollte die Gelegenheit nutzen und
    die Anfangszeit zurück, als er erst 24 Jahre alt            möchte sie ein Studium aufnehmen – und              mit seiner Einrichtung eine FSJ Kultur Ein-
    war, »waren wir extremst innovativ.« Das Ange-              zwar allen Unkenrufen zum Trotz im kulturellen      satzstelle werden. Die Kapazitäten dafür
    bot von Hoeb4U richtete sich explizit an 14- bis            Bereich. Von der Panikmache lässt sie sich schon    wachsen. Zum Jahrgang 2016/2017 werden
    24-Jährige, hatte aber keinerlei Schulmaterialien           lange nicht mehr beeindrucken. »Wenn ich spä-       25 neue Plätze eingerichtet.
    im Angebot. Nur die Hälfte des Bestands waren               ter halbherzig etwas anderes studiere, nur weil
    Bücher, die andere Hälfte audiovisuelle Medi-               dort die Berufsaussichten besser sind, macht        Weitere Informationen Katrin Claussen und
    en bis hin zu Spielen für Playstation und X-Box.            mich das doch nicht glücklich«, sagt sie. »Dann     Rebekka Leibbrand 040/180 13 844 oder
    Computerspiele in einer Bibliothek? Damals fast             mache ich lieber etwas, was ich toll finde und      info@fsjk-hamburg.de.
    schon eine Provokation.                                     wohinter ich stehe. Damit werde ich auch mehr
                                                                Erfolg haben.«
    Mittlerweile gibt Wiersch Seminare mit Titeln
    wie »Gaming in Bibliotheken«, und immer                     Arne Bachmann
    mehr Bücherhallen in ganz Deutschland ver-
    leihen auch Videospiele. Wiersch, selbst seit
    vielen Jahren begeisterter Gamer, findet das
    nur logisch. Ob ein Videospiel purer Nonsens

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Computerspiele 1. Quartal 2016 - LAG Kinder- und Jugendkultur
Interview

Im Gespräch mit Isabella Vértes-Schütter
»Kinder- und Jugendkultur bleibt Querschnittsaufgabe«

                                                    Immer wieder in Frage gestellt zu werden,            deutlich, dass das auf viele großartige Akteu-
                                                    tut uns allen gut. Die Arbeit mit Kindern und        re zurückgeht, die schon lange tätig waren,
                                                    Jugendlichen hat im Haus eine große Flexibi-         bevor diese Themen systematisch politisch
                                                    lisierung bewirkt, weil wir uns immer wieder         bewegt wurden. Aber wir sind inzwischen an
                                                    auf neue Gruppen von Jugendlichen mit unter-         einem Punkt, an dem die strukturelle Verknüp-
    Welche Bedeutung hat die Kinder- und            schiedlichen Bedürfnissen einstellen müssen.         fung von Kultur und Schule in der Fläche wei-
Jugendkultur für Sie?                               Die positiven Effekte werden uns besonders           tergebracht werden muss. Deshalb sind sich
Isabella Vértes-Schütter: Ich erlebe immer wie-     bewusst, wenn zum Beispiel John Neumeier,            die Koalitionspartner einig, dass ein gut ausge-
der, was für eine starke Erfahrung es ist, wenn     der am Ernst Deutsch Theater mit seiner »Werk-       statteter Fonds Kultur und Schule auf den Weg
Kinder und Jugendliche sich kreativ ausprobie-      statt der Kreativität« zu Gast ist, uns sagt, dass   gebracht werden muss. In der letzten Legislatur
ren, die eigenen Möglichkeiten ausloten und         hier alles so einfach funktioniere. Weil wir die     sind 500.000 Euro zusätzlich geflossen. Ich bin
Grenzen zu überschreiten versuchen. Krea­           Anforderungen und Wünsche der jungen Tän-            aber sehr zuversichtlich, dass wir in den kom-
tive Prozesse sind entscheidend für die Per-        zer, die mit eigenen Choreographien, Beleuch-        menden Jahren weitere Schritte machen wer-
sönlichkeitsentwicklung. Es geht dabei auch         tungsideen und anderen Konzepten hierher             den. Wir wollen in dieser Legislatur einen sol-
um Fragen der Selbstverwirklichung: Wie stel-       kommen, aufnehmen und unkompliziert umset-           chen Fonds kreieren.
le ich mich dar, wie wirke ich auf andere, was      zen. Die Arbeit mit jungen Menschen empfin-
ist meine Identität? Die Künste eröffnen unter-     den wir an diesem Theater nicht nur als sozi-            Wie könnte der aussehen?
schiedlichste Zugänge. Das Theater ist in die-      al und pädagogisch wertvoll, sondern auch als        Wir haben eine Fülle von hochwertigen Projek-
ser Hinsicht wohl das ursprünglichste Medium,       künstlerisch bereichernd.                            ten in der Stadt. Es wird jedoch beklagt, dass
weil es aufs Spielen zurückgeht, und das ist für                                                         die Verstetigung, die strukturelle Verlässlich-
jedes Kind elementar. Deshalb war es für mich           Stichwort Koalitionsvertrag. Dort ist die Rede   keit nicht ausreichend gegeben ist. Wir haben
von Anfang an klar, dass wir am Ernst Deutsch       davon, dass Hamburg die kinderfreundlichste          immerhin schon erreicht, dass es in jeder Schu-
Theater eine Jugendsparte aufbauen müssten.         deutsche Stadt werden wolle. Wie kinderfreund-       le einen Ansprechpartner für das Thema kul-
Seither ist die theaterpädagogische Arbeit hier     lich ist Hamburg heute? Was ist noch zu tun?         turelle Bildung gibt. Ein zu schaffender Fonds
so ins Zentrum gerückt, dass unser Haus gar         In der letzten Legislatur haben wir zum Beispiel     sollte uns ermöglichen, dass verlässliche Struk-
nicht mehr ohne vorstellbar ist.                    ein großes Kita-Programm realisiert, auf das ich     turen entstehen, damit das Angebot möglichst
                                                    sehr stolz bin. Wir müssen weiter daran arbei-       von allen Kindern und Jugendlichen in der Stadt
    Was bringt die Theaterarbeit mit Jugendlichen   ten, kostenfreie Zugänge zu Bildung zu eröff-        genutzt werden kann.
Ihnen persönlich?                                   nen. Was die kulturelle Bildung anbelangt, hat
Sie hält mich wach und ermöglicht mir, immer        eine Expertenanhörung ergeben, dass wir eine            Wie sollte das organisiert werden?
wieder neu hinzugucken und die Dinge nicht          unglaubliche Vielfalt an Projekten haben, die        So ein Fonds soll selbstverständlich behörden-
für gesetzt und selbstverständlich zu halten.       Kultur und Schule verbinden. Es wurde auch           übergreifend sein. Er muss aber gemeinsam von

                                                                                                                                                            10
der Kultur-, der Schul- und der Sozialbehörde
     angestoßen werden. Und es müssen elementa-
     re Fragen geklärt werden: Wo sollte der Fonds
     aufgesetzt werden? Wie kann er ausgestat-
     tet sein? Wer würde die Mittel vergeben? Ins-
     titutionen wie die LAG Kinder- und Jugendkul-
     tur und der Verein Stadtkultur Hamburg sind für
     uns wichtige Partner, die in diesem Prozess ihr
     Expertenwissen einbringen.

         Wie könnte dieser Fonds ausgestattet sein?
     Ich weiß, dass es die Wunschvorstellung in der
     Szene gibt, dass es zwei Millionen Euro sein
     sollten. Wir haben erst einmal eine halbe Mil-
     lion Euro geschafft, weil die Kultur- und Tou-
     rismustaxe Spielräume für eine Umschichtung
     im Haushalt geschaffen hat. Es stellt sich jetzt
     die Frage, wie sich zusätzliche Mittel generie-
     ren lassen. Die Aufgaben der Stadt werden ja
     nicht kleiner ... Wichtig bleibt aber, dass wir
     weitere Ziele in Angriff nehmen. Und das tun                                               Isabella Vértes-Schütter, Intendantin und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete
     wir. Ich weiß jedoch aus Erfahrung, dass es
     kaum etwas Komplizierteres gibt als behörden-
     übergreifende Abstimmungsprozesse. Ich wün-        nicht enthalten die Fördermittel, die im Rahmen            Der Aufbau neuer Strukturen ist eine
     sche mir, dass wir für den Haushalt 2017/18,       institutioneller Förderansätze von Kultureinrich-       Sache. Wie aber sieht es mit dem Erhalt
     über den Ende 2016 beraten wird, etwas vor-        tungen bereitgestellt werden. Hinzu kommt das           bewährter Einrichtungen aus, deren Existenz
     liegen haben.                                      Engagement von Schulbehörde, Sozialbehör-               zuweilen prekär ist?
                                                        de und Stadtentwicklungsbehörde. Verstärkte             Den Koalitionspartnern ist bewusst, dass
        Wie viel gibt die Stadt jährlich für Kinder-    Investitionen waren über den Sanierungsfonds            wir wichtige Projekte verstetigen müssen,
     und Jugendkultur aus?                              2020 möglich und neue Möglichkeiten erge-               deren Finanzierung nicht gesichert ist, weil
     Die Kulturbehörde finanziert Kinder- und Jugend-   ben sich über den Quartiersfonds. Kinder- und           sonst etwas kaputtzugehen droht, was wert-
     kultur mit rund 2,7 Millionen Euro. Darin sind     Jugendkultur bleibt Querschnittsaufgabe.                voll ist. Mit Buchstart, der HipHop Academy,

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dem Forschungstheater und KIKU in Bergedorf               Wie sehr setzen Sie auf die Unterstützung         nicht nur um kulturelle Leuchttürme gehen soll,
möchte ich hier nur vier Projekte nennen, für         der Kinder- und Jugendkultur durch Stiftungen?        sondern dass Olympia in Hamburg etwas ist, an
die wir behördenübergreifend Lösungen gefun-          Wir waren uns schon in der vergangenen Legis-         dem alle teilhaben, denn die Infrastruktur unse-
den haben, um sie zu stabilisieren. Das war           latur einig, dass man diese Hilfe nicht überstra-     rer Stadt wird sich dadurch verändern. Das eröff-
eine große Kraftanstrengung. Aber es kommt            pazieren darf. Die Stadt wird durch das star-         net große Chancen auch für die Kinder- und
auch immer wieder Kritik aus der Szene, dass          ke private Engagement in Hamburg nicht von            Jugendkultur. Es muss unser Ziel sein, dass ins-
nichts Neues entstehen kann, wenn die Behör-          ihren Aufgaben befreit. Wenn 50 Prozent eines         besondere Basisprojekte davon profitieren.
den darum bemüht sind, nur das Bestehende             Projekts durch private Zuwendungen geschul-
finanziell abzusichern.                               tert werden, dann ist es notwendig, dass die          Interview: Lutz Wendler
                                                      Stadt die andere Hälfte gibt. Wenn Stifter
    Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?          alleingelassen werden, lässt sich deren Bereit-
Bei Fragestellungen der ganztägigen Betreuung,        schaft nicht halten.
der frühkindlichen Bildung, der Inklusion und der
Integration von Flüchtlingen.                             Welche Bedeutung hat ein Projekt wie die
                                                      Kulturagenten?                                         Isabella Vértes-Schütter,
Die Kultur sollte ein wesentlicher Faktor sein,       Das ist sehr wichtige Vermittlungsarbeit an 24         Jahrgang 1962, ist seit 1995 in der Nach-
um diesen Aufgaben gerecht werden zu kön-             Stadtteilschulen, die vielfältige kulturelle Ange-     folge ihres verstorbenen Ehemannes Fried-
nen. Das ist auch im Bewusstsein der beteilig-        bote kennenlernen. Das stärkt Kinder in den            rich Schütter Intendantin des von ihm mit-
ten Behörden. Gerade was die Integration von          Quartieren, und auch die Arbeit der Lehrer. Das        gegründeten Ernst Deutsch Theaters. Für
Flüchtlingen anbelangt, kommen ganz neue              ist ein Programm, das Zeit braucht, um die Mög-        die SPD wurde sie 2011 und 2015 in die
Fragestellungen auf den Plan. Und ich erinne-         lichkeiten auszuschöpfen und zu verstetigen.           Hamburgische Bürgerschaft gewählt. Sie ist
re auch daran, dass die Rahmenzuweisung für           Glücklicherweise wurde es ja gerade bis 2018           Fachsprecherin ihrer Fraktion für Kultur. Die
die Stadtteilkultur, die ja auch viele Projekte der   verlängert. Ein ähnlicher Glücksfall sind die Kul-     Schauspielerin und promovierte Ärztin hat
Kinder- und Jugendkultur betrifft, zuletzt 2009       turLotsen als künstlerische Begleiter an Schulen.      zwei Kinder.
angehoben wurde. Auch das ist eine Aufgabe,
die wir bei der Aufstellung des nächsten Haus-            Sollten Olympische Spiele in Hamburg ein           Die Jugendsparte am Ernst Deutsch Theater
halts vor uns haben. Es bringt jedoch nichts,         Ereignis sein, von dem gerade Kinder und               wurde 2003 gegründet. Jedes Jahr arbeiten
die Mittel zu erhöhen, wenn es keine effektiven       Jugendliche in der Stadt etwas haben?                  sechs Jugendclubs an – oft genreübergrei-
Strukturen gibt. Das Gleichgewicht muss stim-         Selbstverständlich. Ich finde es gut, dass die         fenden – Theaterprojekten. Die Ergebnisse
men. Und es ist sehr wichtig, dass wir in der         Kultur in einer so frühen Phase der Diskussion         werden beim mehrtägigen Plattform-Festival
Fläche mit unserem Angebot weiterkommen,              bereits ein Thema ist. Ich habe von Menschen           vorgestellt. Außerdem ist das Ernst Deutsch
also alle Kinder und Jugendlichen in Hamburg          aus London gehört, dass es dort nicht so war.          Theater regelmäßig an dem Programm
erreichen.                                            Es ist jedenfalls ein gutes Signal, dass es bei uns    »TUSCH – Theater und Schule« beteiligt.

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News

     Krieg und Katastrophen:                                                                                                                  »Seiteneinsteiger«-Lesung
     Kinder brauchen Kunst.
     Wie gehen wir mit Kindern und Familien um, die          buch wurde »Herr Schnuffels« (ab 5 Jahre) von        Stadt in jedem Fall nütze, auch wenn sie nicht
     entwurzelt und traumatisiert hier ankommen?             David Wiesner ausgezeichnet, als bestes Kinder-      erfolgreich sein sollte, weil die Hamburg im Pro-
     Was kann ein ästhetischer Handlungsansatz zur           buch »Der Träumer« (ab 10 Jahre) von Pam             zess darüber nachdenke, wie sie sich sehe und
     Verarbeitung leisten? Wo liegen die Grenzen             Muñoz Ryan (Text) und Peter Sís (Illustration).      wie sie wahrgenommen werden möchte. Ein sol-
     für nicht therapeutisch ausgebildete Kursleiter?        Das beste Jugendbuch 2015 kommt aus dem              cher »Kulturplan« sei in jedem Fall ein Gewinn
     Welche Unterstützung braucht es dazu von Sei-           Carlsen Verlag, »Schneeriese« von Susan Kreller      für die Stadt. Mackenzie: »Hamburg kann nur
     ten der Behörden/Politik? Diesen Fragen gehen           (ab 12 Jahre). Außerdem erhielt die Hamburger        gewinnen.« Skeptisch stimmt allerdings, dass für
     wir in einer Podiumsdiskussion am 18. Februar           Illustratorin Sabine Friedrichson für ihr Lebens-    vier Jahre kulturelle Olympiade (alle Sparten, alle
     um 19.30 Uhr mit Ankerland e.V., stART inter-           werk den Sonderpreis der neunköpfigen Kritiker-      Zielgruppen, internationale Projekte) weniger als
     national e.V., der LichtwarkSchule und anderen          jury. Das Preisgeld pro Sparte beträgt 8000 Euro.    0,3% des Gesamtetats der Spiele – nämlich 30
     nach (Ort wird noch bekannt gegeben, Eintritt 5         Der Sonderpreis ist mit 10.000 Euro dotiert.         Millionen – kalkuliert wurden.
     Euro, um Spenden wird gebeten).
                                                              www.djlp.jugendliteratur.org
     Am 19. Und 20. Februar folgt ein Workshop (wo:                                                               Das Lesefest »Seiteneinsteiger«
     ORT) zur praktisch-künstlerischen Auseinander-                                                               feierte seinen zehnten Geburtstag
     setzung mit Fragen zu den Themen Flucht, Hei-           Londons Kulturbeauftragte lobt                       Was 2005 mit einem Tag im Herbst begann, an
     mat, Trauma, interkulturelle Kompetenz und der          Olympia-Kulturdiskussion                             dem das Lesen gefeiert werden sollte, hat sich
     Bedeutung eines ästhetischen Handlungsansat-            »Brillant, wie das hier läuft«, sagte Ruth MacKen-   zu einem respektablen Festival mit vielseitigen
     zes von stART international e.V. für Einsteiger,        zie kürzlich in einem Interview mit dem Hambur-      Literaturveranstaltungen für Kinder und Jugend-
     bei ausreichender Nachfrage zusätzlich für Fort-        ger Abendblatt. Die Kulturbeauftragte der Olym-      liche entwickelt, das in diesem Jahr seinen zehn-
     geschrittene (Teilnahmegebühr 190 Euro). Der            pischen Spiele in London 2012 lobte den früh         ten Geburtstag feierte. Das von der Kultur- und
     Workshop ist eine Kooperation der LAG Kinder-           angestoßenen Diskussionsprozess: »Mit den füh-       der Schulbehörde geförderte Lesefest »Seitenein-
     und Jugendkultur mit der gemeinnützigen Licht-          renden Köpfen der Kulturszene zu beginnen –          steiger« ging 2015 über neun Tage und bot rund
     warkSchule. Weitere Infos und Anmeldung auf             und dann die anderen Menschen in der Stadt           200 Veranstaltungen in Schulen und an öffentli-
     der LAG-Website.                                        mitzunehmen, das ist ein guter Weg. So war es        chen Orten. Das alles basierend auf dem Grund-
                                                             bei uns in London leider nicht. Wir haben nicht      gedanken, die reiche Vielfalt der Kinder- und
      www.kinderundjugendkultur.info
                                                             Jahre vor dem eigentlichen Event alle Kultur-        Jugendliteraturstadt Hamburg mit ihren zahlrei-
                                                             schaffenden der Stadt zusammengerufen, um            chen Autoren, Illustratoren und wichtigen Verla-
     Hamburger Verlage Nummer 1                              darüber zu sprechen, was man machen könn-            gen in den Fokus zu rücken. Außerdem haben
     bei Kinder- und Jugendliteratur                         te, welche Themen wir setzen wollen. Um zum          die »Seiteneinsteiger«-Gründerinnen Nina Kuhn
     Vier von sechs Preisen bei der Verleihung der           Beispiel sicherzustellen, welches Vermächtnis        (Leitung) und Stefanie Ericke (Programm) 2009
     Jugendliteraturpreise 2015 auf der Frankfurter          wir uns für unsere Bevölkerung, unsere Stadt,        mit dem Lesenetz Hamburg ein Forum initiiert,
     Buchmesse gingen nach Hamburg. Doppelt                  unsere Kulturszene, unsere Künstler wünschen.«       das die Akteure der außerschulischen Leseförde-
     erfolgreich war der Aladin Verlag: Als bestes Bilder-   MacKenzie sagte auch, dass eine Bewerbung der        rung zusammenbringt.

13
Kritik

»Kirschkern & Compes«
Fluchtgeschichten aus der Kleiderkammer

Kirschkern & Compes bringen Joke van Leeu-         bare Vorlage. Die niederländische Autorin und      die Erwachsenen im raschen Wechsel von einer
wens Kinderbuch »Als mein Vater ein Busch          Illustratorin hat Krieg, Vertreibung und Flucht    schrillen Rolle zur anderen (insgesamt 14 Figu-
wurde und ich meinen Namen verlor« in einer        aus der Perspektive eines etwa zehn Jahre          ren) so spielt, wie Toda sie wahrnimmt: immer
virtuosen Bearbeitung auf die Bühne.               alten Mädchens beschrieben – als unterhalt-        ein bisschen verschroben, oft unverständlich
                                                   same und spannende Geschichte, mit vielen          und manchmal gefährlich seltsam. Die verschie-
Es ist ein Bild, das bleibt. Der Berg aus alten    skurrilen (erwachsenen) Figuren und oft gro-       denen Spielarten des Verrücktseins der Erwach-
Kleidern auf der Bühne des Fundus-Theaters         tesk wirkenden Situationen, in denen es einiges    senen in den Zeiten des Krieges sind sozusagen
wirkt als Überhöhung, die sich den Betrachtern     zum Lachen gibt, aber Ängste und Schrecken         die unterhaltsame Begleitmelodie des Stücks.
unmittelbar erschließt. Ganz konkret ist er in     als Subtext stets präsent sind. Diese zwischen
der neuesten Produktion von Kirschkern & Com-      Unterhaltung, Information und einem unter-         Kirschkern & Compes profitieren von Joke van
pes »Als mein Vater ein Busch wurde und ich        schwelligen Gefühl ständiger Bedrohung chan-       Leeuwens besonderer Gabe, komplexe Zusam-
meinen Namen verlor« wandlungsfähiges Büh-         gierende Atmosphäre ins Theater zu übertra-        menhänge in Szenen zu übersetzen, die Kin-
nenbild und Kostümfundus, doch zugleich steht      gen, ist trotz der virtuos gebauten Vorlage kein   der begreifen. Wenn das Mädchen Toda zum
der Berg als Symbol für die instabile und impro-   Selbstgänger. Kirschkern & Compes aber haben       Beispiel mit anderen geflüchteten Kindern im
visationsbedürftige Situation von Flüchtlingen.    es geschafft, die vielfarbige Stationengeschich-   Haus Gemeinwohl landet und mit Geschenken
                                                   te überzeugend in ihren kleinen Bühnenmaß-         beglückt werden soll, die sie nicht haben will,
Judith Compes und Sabine Dahlhaus haben
                                                   stab zu übertragen (Text: Marie Stolze, Regie:     und am Ende für ihre Undankbarkeit beschimpft
ein gutes Händchen dafür, in Kinderbüchern
                                                   Luisa Taraz).                                      wird, dann ahnt man, wie anstrengend es sein
geeignete Stoffe für die Bühne zu entdecken.
                                                                                                      kann, auf Mildtätigkeit angewiesen zu sein. Viel
Ihre Umsetzung der Vorlage ist stets so origi-     Ein Coup ist die überraschende Rollenvertei-
                                                                                                      spontanes Gelächter gibt es für Todas Versuche,
nell, dass etwas Eigenes entsteht, das typisch     lung. Judith Compes, die Ältere der beiden,
                                                                                                      die Sprachbarriere zu überwinden. Das Verstän-
ist für die Arbeit von Kirschkern & Compes. Die    spielt Toda, das Mädchen, das allein auf die
                                                                                                      digungsproblem wird zur komischen Nummer,
Ergebnisse sollen aber nicht Markenzeichen         Reise ins Nachbarland geschickt wird, weil in
                                                                                                      wenn Toda sich mit Vokabeln wie Misselie und
sein, sondern Versuchsanordnungen mit offe-        der Heimat ein Krieg herrscht. Sabine Dahlhaus
                                                                                                      Junselie (Mädchen und Junge), Törsel und Fan-
nem Ergebnis – denn das Kinder- und Jugend­        dagegen wechselt oft die Kleider und schlüpft
                                                                                                      strel (Tür und Fenster) oder der Konjugation von
theater-Duo scheint kontinuierlich einer künst-    vor den Augen des Publikums von einer
                                                                                                      »hubsele« (haben) plagt: ö hubsel, dö hubsel ...
lerischen Maxime zu folgen: risikobereit blei-     Erwachsenen-Rolle in die nächste und baut
                                                                                                      Herzstück der Inszenierung ist aber der Kleider-
ben, sich selbst und das Publikum immer wie-       dabei nach und nach den Kleiderberg ab.
                                                                                                      berg, der so wandlungsfähig ist, wie es Men-
der neu überraschen.
                                                   Aus dieser Aufteilung entsteht eine interessan-    schen auf der Flucht sein müssen. Er dient den
Das 2012 erschienene Kinderbuch »Als mein          te Konstellation. Compes erzählt unaufgeregt       Darstellerinnen als Kleiderkammer, als Haus
Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen         aus der Sicht des Mädchens Toda eine aben-         und Höhle, als Versteck. Nach und nach wer-
verlor« von Joke van Leeuwen ist eine dank-        teuerliche Fluchtgeschichte, während Dahlhaus      den die Kleidungsstücke abgetragen, so dass

                                                                                                                                                         14
Judith Compes und Sabine Dahlhaus
                                                                                                                            gründeten 1998 ihr mobiles Kindertheater
                                                                                                                            Kirschkern & Compes. Seither haben die bei-
                                                                                                                            den 16 Produktionen herausgebracht: Mär-
                                                                                                                            chenadaptionen (»Schneewitte«, »La Frosch-
                                                                                                                            könig«), eine Gedichtrevue (»Ottos Mops«),
                                                                                                                            Kinderbuch-Bearbeitungen (»Anton und die
                                                                                                                            Mädchen«, »Dr. Brumm kommt in Fahrt«),
                                                                                                                            eine preisgekrönte Kasperletheater-Variation
                                                                                                                            (»Tri Tra Trullala – Kasperl, Melchior Baltha-
                                                                                                                            sar«) und Jugendtheater-Stoffe (»Ihr Lieben,
                                                                                                                            viel zu weit entfernten«, »Jinx. Verhext.«).

                                                                                                                            Für Dr. Brumm wurden Kirschkern & Com-
                                                                                                                            pes kürzlich mit dem 2. Hamburger Kin-
                                                                                                                            dertheaterpreis ausgezeichnet. In Hamburg
                                                                                                                            sind die beiden das nächste Mal vom 16.
                                                                                                                            bis 20. Dezember im Fundus-Theater mit
                                                                                                                            dem ebenfalls prämierten »Tri Tra Trullala«
                                                                                                                            zu sehen. Buchungen über www.kirschkern-
                                                                                                                            compes.de.

                                                                                                                            Joke van Leeuwens Kinderbuch »Als mein
                Judith Compes (l.) und Sabine Dahlhaus auf dem Kleiderberg, der im Zentrum ihrer neuen Inszenierung steht   Vater ein Busch wurde und ich meinen
                                                                                                                            Namen verlor« ist mit den Illustrationen der
     ein Skelett von Paletten sichtbar wird, die wie-           Kirschkern & Compes haben sich mit ihrer neu-               Autorin in deutscher Übersetzung von Hanni
     derum zu Häusern und Schaltern für die inqui-              esten Produktion wieder selbst übertroffen.                 Ehlers 2012 im Gerstenberg Verlag erschie-
     sitorische Passkontrolle umfunktioniert werden.            Dusseldödu – Danke schön.                                   nen (6,99 Euro, Altersempfehlung 10-12
     Julia Berndt (Bühne/Kostüm) gelingt ein kleines                                                                        Jahre).
     Gesamtkunstwerk, indem sie das Thema in ein                Lutz Wendler
     für sich sprechendes Bühnenbild übersetzt.

15
Schule & Kita

KWB und die Kulturagenten
Das Programm in der Stadt verstetigen

                                                     Christine Reinhold, Projektleiterin der KWB,
                                                     äußerte sich einige Wochen später gegenüber
Das Modellprogramm »Kulturagenten für kre-           dem Magazin »kju« zur künftigen Arbeit.
ative Schulen« startete zum Schuljahr 2011/12        Man könnte sagen, dass es durchaus Signalwir-
in den fünf Bundesländern Baden-Württem-             kung habe, dass die KWB im »Haus der Wirt-
berg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen           schaft« in Hamburgs City-Nord beheimatet ist
und Thüringen an insgesamt 138 Schulen mit           – auch für die Kulturagenten. Künftig soll in
46 Kulturagenten. In Hamburg leisteten seither       dem Programm die Schnittstelle von Schule, Kul-
acht Kulturagenten an jeweils drei Stadtteilschu-    tur und Wirtschaft mehr in den Fokus rücken.
len wertvolle Arbeit, somit kamen 24 Hamburger       »Diese Schnittstelle wird ja bereits von uns bear-
Schulen in den Genuss der gezielten Vermittlung      beitet. Berufsorientierung, eine Zusammenar-
von Kunst und Kultur. Für die Kulturagenten ging     beit mit Unternehmen und der Bezug zur Wirt-
es in erster Linie darum, gemeinsam mit Schülern,    schaft wurden in den vergangenen vier Jahren
Lehrern, Eltern, Künstlern und Kulturinstitutionen   bei den Kulturagenten nicht so stark behandelt,
ein fächerübergreifendes Angebot an kultureller      aber genau das ist unsere Expertise«, sagt Chris-    vom Know-how und den künstlerischen Netz-
Bildung aufzubauen, das auch nach dem Ende           tine Reinhold.                                       werken aller Kulturagenten profitieren würden.
des Programms bestehen kann und eine langfris-
tige Versorgung der Schulen mit Kunst und Kultur     Alle acht Kulturagenten der vergangenen vier         Bisher hatte die KWB zwar noch kein Programm
gewährleistet.                                       Jahre wurden neu eingestellt, arbeiten nun mit       mit ausschließlich kultureller Ausrichtung unter
                                                     einer deutlich engeren Anbindung an die Ham-         ihrem Dach, doch es gab durchaus Berührungs-
Die erste Phase endete 2015, und im Sommer           burger Landestelle KWB. Dort treffen sie sich        punkte mit Kultur innerhalb der hauseigenen
wurden die Weichen für die kommenden vier            regelmäßig und tauschen sich über Inhalte aus.       Angebote. Auf einer ersten Informations-Veran-
Jahre gestellt. Auf der Grundlage eines Bewer-       Da die KWB nun direkter Arbeitgeber ist, fällt       staltung im laufenden Schuljahr erfuhren die 24
bungsverfahrens wurde die »Koordinierungs-           Verwaltungsarbeit der Agenten weg, die bislang       Stadtteilschulen, die bisher am Programm teil-
stelle Weiterbildung und Beschäftigung e.V.          noch für die vorherige, in Berlin ansässige Koor-    genommen hatten, dass sie weiterhin dabei sein
(KWB)« ab September mit der Organisation             dinierungsstelle zu leisten war.                     werden und wie es weitergeht. Und es wurde eine
der Hamburger Kulturagenten von der Behör-                                                                Erweiterung in Aussicht gestellt: Das Programm
de betraut. KWB hat organisatorische Kompe-          Die Netzwerke sollen künftig flexibler struktu-      könnte sich für weitere Stadtteilschulen öffnen.
tenzen und wird diese für den Bereich kultu-         riert werden, also nicht mehr nur nach Stadttei-
relle Bildung zur Verfügung stellen. Bei einem       len organisiert, sondern an Themen ausgerichtet      24 Schulen bilden ungefähr die Hälfte aller Ham-
gemeinsamen Termin von Schulbehörde, Kultur-         sein. Dann könnte es zum Beispiel ein Netzwerk       burger Stadtteilschulen. Zwei weitere haben Inter-
behörde, KWB und LAG wurde über die Perspek-         zum Theater geben und eines zur Bildenden            esse angemeldet, und diese beiden könnten noch
tiven des Programms gesprochen.                      Kunst, so dass künftig alle beteiligten Schulen      im laufenden Schuljahr ins Programm aufgenom-

                                                                                                                                                               16
Um das Kulturagenten-Programm in Hamburg
                                                                                                                      aber dauerhaft zu etablieren, wird es nötig
                                                                                                                      sein, es breiter und stabil aufzustellen. Chris-
                                                                                                                      tine Reinhold ist zuversichtlich, was die nach-
                                                                                                                      haltige Neustrukturierung betrifft: »Wir haben
                                                                                                                      zusammen mit der Hamburger Kultur- und der
                                                                                                                      Schulbehörde ein Finanzierungskonzept erar-
                                                                                                                      beitet. Planmäßig wird die Stiftung nach und
                                                                                                                      nach die Verantwortung an die Bundesländer
                                                                                                                      übergeben. Zukünftig werden wir zehn Pro-
                                                                                                                      zent des Gesamt­etats erwirtschaften müssen,
                                                                                                                      entweder durch Gewinnung neuer Stiftun-
                                Szene aus dem Video »The Farmsen Fashion Week« an der Erich-Kästner-Stadtteilschule
                                                                                                                      gen oder durch Fundraising oder Sponsoren –
                                                                                                                      die Verantwortung liegt bei uns und der Stadt
     men werden, sagt Christine Reinhold. »Uns ist         Christine Reinhold: »Je mehr Zuspruch wir von              Hamburg.«
     wichtig, dass das Kulturagenten-Programm ein          den Schulen bekommen, desto mehr Zuspruch
     Hamburg-Label bekommt und in der Stadt ver-           wird auch von weiteren Institutionen kommen,               Dagmar Ellen Fischer
     stetigt wird.«                                        die das Potenzial erkennen und es sowohl ideell
                                                           als auch finanziell unterstützen.«
     Das von der KWB eingereichte Konzept wurde                                                                        KWB – 1990 auf Anregung des Hamburger
     von der Behörde für gut befunden und ausge-           In den vergangenen vier Jahren standen für den              Senats und der Agentur für Arbeit gegrün-
     wählt. Christine Reinhold räumt ein, dass es          Start des Modellprogramms in den fünf Bundes-               det – hat sich als oberstes Ziel gesetzt, die
     Punkte gebe, die erst noch entwickelt werden          ländern insgesamt rund 22,8 Millionen Euro zur              Beschäftigung zu fördern und zu diesem
     müssten: »So wollen wir zum Beispiel Veranstal-       Verfügung – eine finanziell sehr gute Ausstattung.          Zweck innovative Strategien zu entwickeln.
     tungsformate erarbeiten. Mit unserem Know-            Hauptgeldgeber waren die Kulturstiftung des Bun-            Christine Reinhold ist Projektleiterin der
     how und den Erfahrungen der Kulturagenten der         des und die Stiftung Mercator mit jeweils zehn Mil-         »Kulturagenten für kreative Schulen«. Sie
     vergangenen vier Jahre haben wir einen ganz           lionen Euro, die beteiligten Bundesländer übernah-          arbeitet seit mehr als vier Jahren für die
     besonderen und wertvollen Erfahrungsschatz.«          men die Kofinanzierung. Nun aber wird das Pro-              KWB. Sie studierte Germanistik, Linguis-
                                                           gramm in die Zuständigkeit der einzelnen Länder             tik und Philosophie, absolvierte eine Aus-
     Mehr Schulen in das Modellprogramm aufzu-             überführt. Klar ist, dass die Länder in der zweiten         bildung zur Medienkauffrau und arbeitete
     nehmen, ist Voraussetzung dafür, dass die »Kul-       Phase mehr Verantwortung übernehmen, organi-                bereits in den Bereichen Projekt-Manage-
     turagenten an kreativen Schulen« zu einem Fak-        satorisch und finanziell. Mit der Folge, dass weni-         ment, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.
     tor werden, den niemand mehr missen möchte.           ger Geld als in der Startphase zur Verfügung steht.         www.kwb.de

17
Pro + Kontra

Pro Computerspiele als Kulturgut
Das spannendste Medium unserer Zeit
Digitale Spiele sind heute unumstrittener Bestand-     telt einen künstlerischen Umgang mit ihrem All-
teil der Jugendkultur. Sie sind für die Heranwach-     tagsmedium. Dabei wird das digitale Spiel zum
senden zum Raum für soziale Begegnungen,               Werkzeug oder Sandkasten für neue Kulturpro-
virtuelle Wettkämpfe und das Erproben neuer            dukte: als Kulisse für den eigenen Animations-                                      Vera Marie Rodewald
Kultur- und Inszenierungspraktiken geworden.           film, als Setting für die digitale Landschaftsfoto-
Knapp die Hälfte aller Jugendlichen ab zwölf Jah-      grafie, als Vorlage für die Reproduktion lebens-
                                                                                                             eigenen Lebenswelt. Deshalb muss ihren ganz
ren spielt mehrmals die Woche oder sogar täglich       großer Computerspielfiguren. Die Jugendlichen
                                                                                                             eigenen kulturellen bzw. ästhetischen Wahrneh-
auf der Konsole, dem Computer, online oder auf         lernen dabei, die typische Ästhetik und charakte-
                                                                                                             mungen und Gestaltungsstrategien Raum gege-
dem Handy (Medienpädagogischer Forschungs-             ristischen Bestandteile digitaler Spiele zu benen-
                                                                                                             ben werden. Kulturelle Bildung entsteht dabei im
verband Südwest: Jugend, Information, (Multi-)         nen und mit ihrer konkreten Wirklichkeit in Bezie-
                                                                                                             Wechselspiel von Rezeption und Produktion, indi-
Media, 2014). Sie schlüpfen in vertraute oder          hung zu setzen. Vor allem erkennen sie durch die
                                                                                                             viduellem und gemeinschaftlichem Lernen, ästhe-
bisher unbekannte Rollen, bewegen sich ohne            gestalterische Auseinandersetzung aber, dass sich
                                                                                                             tischer Wahrnehmung, Erkenntnis und künstle-
Scheu in fiktiven Umgebungen und erzählen dort         Grenzen überschreiten und Regeln in Compu-
                                                                                                             rischem Handeln« (Empfehlung der Kultusminis-
ihre eigenen Geschichten. So werden die digita-        terspielen brechen lassen. Der Regelbruch eröff-
                                                                                                             terkonferenz zur kulturellen Kinder- und Jugend-
len Spielewelten zum Experimentierfeld für das         net neue Ausdrucksmöglichkeiten für die kultu-
                                                                                                             bildung, 2013). Ein medienkritisches Bewusstsein
eigene Probehandeln. Trial and Error, Scheitern        relle Teilhabe.
                                                                                                             lässt sich folglich erst dann aneignen, wenn ein
und Neuanfang. Denn Computerspiele weisen
                                                                                                             Wechsel der Perspektive vorgenommen wurde.
ein besonderes Merkmal auf: Sie eröffnen alter-        Das digitale Spiel zeigt sich also als das womög-
                                                                                                             Um Spielregeln zu brechen und die digitale Spiel-
native Erlebnisräume, in denen das eigene Han-         lich spannendste Medium unserer Zeit. Weil es
                                                                                                             kultur für den Erwerb kognitiver und kreativer
deln nur scheinbar durch programmatische Gren-         interaktiv ist, kommt es ohne die Spielenden nicht
                                                                                                             Kompetenzen nutzen zu können, ist das Spielen
zen bestimmt wird. Damit bilden sie die Grundla-       aus. Diese entscheiden über den Verlauf und
                                                                                                             unerlässlich.
ge für eine kreative Freiheit, die sich insbesondere   das Ende des Spiels, sie bringen die Geschich-
beim zweckfreien Spielen entfalten kann. Das Als-      te des Spiels voran und bestimmen so nicht nur,
ob des Virtuellen birgt ein ungeheures Potenzial       was sie erleben, sondern auch wie sie es erleben
für neue Perspektiven, kreative Umdeutung und          wollen. Spielen fördert selbstbestimmtes Han-          Vera Marie Rodewald (28)
künstlerische Ausdrucksformen.                         deln und ist damit Grundbedingung für die sub-         arbeitet als Medienpädagogin und wissen-
                                                       versive Annäherung an das Kulturgut. Demzufol-         schaftliche Mitarbeiterin an der Hochschu-
Diesen Ansatz zu fördern, hat sich nicht zuletzt       ge trägt der kreative Umgang mit digitalen Spie-       le für angewandte Wissenschaften in Ham-
auch die kulturelle Praxis zur Aufgabe gemacht.        len im Sinne einer kulturellen Bildung zur Persön-     burg. Sie gehört zur künstlerischen Leitung
In Workshops und Projekten in schulischen und          lichkeitsbildung junger Menschen bei. Der Ein-         des Festivals PLAY und hat als Initiatorin der
außerschulischen Kontexten wird auf digitalen          satz von Computerspielen in formalen und infor-        Initiative Creative Gaming zahlreiche Work-
Spielplätzen gebastelt, gelötet, programmiert und      mellen Bildungskontexten darf deshalb nicht als        shops und Projekte, auch im Rahmen der
gefilmt. Kreatives Computerspielen knüpft an das       reine Spielerei zum Selbstzweck verkannt werden.       ComputerSpielSchule Hamburg, konzipiert
Expertenwissen der Jugendlichen an und vermit-         Denn »Kinder und Jugendliche sind Experten ihrer       und geleitet.

                                                                                                                                                                 18
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