Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus

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Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
SoSe 2019

     Unser Profil

    GESUNDHEIT    M AT E R I A L I E N V E R S T E H E N –
       LEBEN       RE SSOURCEN SCHONEN

 Der Mensch ist     Picknick
keine Labormaus   auf Bagasse
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
↖ Titelbild: Annika Wesbuer studiert zu neuen
   Werkstoffen, die unser Leben erleichtern,
   Ressourcen schonen und der Gesundheit
   dienen. Mehr dazu auf den Seiten 12 / 13.

   Foto   Martina Weiland
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Editorial

Unser Profil
für die Zukunft ist
längst Gegenwart
                               Worin unterscheiden wir uns von anderen
                               Hochschulen, was macht uns erfolgreich für
                               Förderprogramme und zukunftsfähig? Mit
                               diesen Fragen haben wir uns vor einigen Jahren
                               bei einem Innovationsworkshop mit Exter-
                               nen und bei mehreren Open-Space-Veranstal-
                               tungen beschäftigt. Zwei Themenfelder
                               machten das Rennen: „Materialien verstehen –
                               Ressourcen schonen“ und „Gesundheit leben“.

                                Diesen beiden Profillinien, als Entwicklungsfeld
    Kontakt
 Prof. Dr. Ute von Lojewski
                               „Inhaltliche Profilierung“ im aktuellen Hoch-
 praesidentin@fh-muenster.de
                                schulentwicklungsplan verankert, widmet sich
Foto Thorsten Arendt            die aktuelle Ausgabe der fhocus. Dass es in
                                den beiden Profillinien Überschneidungen gibt,
                                ist typisch für unsere Hochschule – und
                                passt gut zu unserem Jahresmotto für 2019
                               „gemeinsam weiter denken“.

                               Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen

                               Prof. Dr. Ute von Lojewski
                               Präsidentin der FH Münster

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Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
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              fhocus Ausgabe 34
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Inhaltsverzeichnis

                                                                 SoSe 2019
                                                               Schwerpunkt
                                                          Inhaltliche Profilierung

                               Editorial                                        Materialien verstehen –                       Gesundheit leben
                                                                                 Ressourcen schonen
                     03	Unser Profil für                                                                               24	Ein neuer Ansatz
                         die Zukunft ist längst                          08     Kostbar und knapp                           in der Krebstherapie
                         Gegenwart
                                                                         10	Nährstoffe                                 26	Eine Brücke zwischen
                               Inhaltliche Profilierung                      zurückgewinnen –                               zwei Welten
                     06	Zwei mit einem Ziel                                 Regionen entlasten
                                                                                                                        28	Vertrauen ist gut,
                                                                         12	Werkstoffe der                                 Sicherheit ist besser
                                                                             Zukunft
                                                                                                                        30	Auf die Augen ist nicht
                                                                         14     Sensoren im Ofen                            immer Verlass

                                                                         16     Picknick auf Bagasse                    32	Der Mensch ist keine
                                                                                                                            Labormaus
                                                                         18	Wachstum: Weniger
                                                                             ist mehr                                   34	Der Ratsuchende ist
                                                                                                                            Experte für sich selbst
                                                                         20	Update für
                                                                             Plattenbauten

                                                                         22	Forschung für                                     Berufungen
                                                                             sicheres Spielzeug                         36	Willkommen an der
                                                                                                                            FH Münster
                                                                                                                            Prof. Cornelia Haas
                                                                                                                            Prof. Dr. Eik-Henning Tappe
                                                                                                                            Prof. Dr. Carmen-Maria Albrecht
                                                                                                                            Prof. Dr. Julian Löhe
                                                                                                                            Prof. Dr. Markus Gregor
                                                                                                                            Prof. Dr. Anke Kohmäscher

                                                                                                                        38     FH Münster im Profil

                                                                                                                        39     FH-Storys

  Hinweis zur geschlechter­-                                                                 Impressum
  gerechten Sprache
                                                                                             fhocus Ausgabe 34
                                                                                             www.fh-muenster.de
Die Gleichberechtigung aller Geschlech-
ter ist im Leitbild der FH Münster ver-
ankert. Nach Möglichkeit verwenden wir                                                   Herausgeber Die Präsidentin der FH Münster
geschlechtsneutrale Formulierungen.                                                      Redaktion Pressestelle der FH Münster: Katharina Kipp (V. i . S. d. P.), Anne Holtkötter
                                                                                         Gestaltung BOK + Gärtner GmbH, Münster, www.bokundgaertner.de
Wo sich dies nicht umsetzen lässt, be-                                                   Korrektorat Lektorat Schreibweise, Hamm
nutzen wir aus Gründen der besseren                                                      Druck Blömeke Druck SRS GmbH, Herne
Lesbarkeit das generische Maskulinum.                                                    Papier Umschlag MultiOffset 190 g/m², Innenteil MultiOffset 100 g/m²
Selbstverständlich sind dabei alle Ge-                                                   Auflage 1.400 Stück
schlechter eingeschlossen.                                                               ISSN 1610-2592

                                                                                         5
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Zukunftsfähig bleiben! Dieser Anspruch
            war der Grund dafür, eine inhaltliche
            Profilierung als Entwicklungsfeld im aktu-
            ellen Hochschulentwicklungsplan zu
            definieren.

    Kontakt
    Prof. Dr. Gernot Bauer
    gernot.bauer@fh-muenster.de

    Carsten Schröder
    schroeder@fh-muenster.de

            Warum sich „Materialien verstehen –
            Ressourcen schonen“ und „Gesund-
            heit leben“ als Profillinien dafür beson-
            ders eignen, dazu sprach fhocus mit
            Prof. Dr. Gernot Bauer, Vizepräsident für

Zwei
            Forschung und Hochschulplanung,
            und Carsten Schröder, Vizepräsident für
            Transfer, Kooperation und Innovation.

mit einem Ziel
             Text und Foto Anne Holtkötter

                                  6           fhocus Ausgabe 34
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Inhaltliche Profilierung

                                                         „Wir verstehen die
                                                          Hochschule als Innovations-
                                                          motor für die Region.“
                                                          Carsten Schröder
                           fhocus: Warum wurden

                     es gerade diese beiden Pro-
                     fillinien?
                         Bauer:  In den Workshops
                     und Open-Space-Veranstaltun-             Bauer:Wir sind jetzt „Inno-    anderen Kompetenzfelder                Info

                     gen wurde bewusst darauf ge-         vative Hochschule“, haben die      unserer Hochschule. Unsere          Die FH Münster
                                                                                                                                 ist drittmittel-
                     achtet, den Bogen weit zu span-      grenzüberschreitende Zusam-        große Stärke liegt ja in der        stärkste Fach-
                     nen – vielseitig und fächerüber-     menarbeit mit den Niederlan-       enormen fachlichen Band-            hochschule. Im
                                                                                                                                 vergangenen
                     greifend zu denken, aber nicht       den gestärkt und bekommen          breite. Ich sehe weiterhin          Jahrzehnt ha-
                     beliebig. So bindet „Gesundheit      ein neues Optikzentrum. Diese      meine Aufgabe vor allem da-         ben wir die
                                                                                                                                 Drittmittel ver-
                     leben“ unter anderem Kompe-          und viele weitere Bewilligun-      rin, leistungsfähige Prozesse       doppelt.
                     tenzen des Fachbereichs Phy-         gen gehen mit einer Finanzie-      und Strukturen für Forschung
                                                                                                                                 Aktuell punkten
                     sikalische Technik im Bereich        rung von Personal einher. Auch     und Transfer gemeinsam mit          können wir mit
                     der Medizintechnik wie auch          die Profilierung funktioniert.     unseren Wissenschaftlerin-          neu bewilligten
↖ Haben                                                                                                                          Projekten, dank
strategische Ent-    des Fachbereichs Gesundheit          Die FH Münster wird noch           nen und Wissenschaftlern            EFRE-Förderung,
scheidungen in                                                                                                                   ZIM, FHprofUnt,
Forschung und
                     in den Rehabilitationswissen-        stärker als Expertin in diesen     zu entwickeln und Koopera-
                                                                                                                                 Interreg-VA-Pro-
Transfer im Blick:   schaften ein. „Materialien ver-      Themenfeldern wahrgenom-           tionen auf- und auszubauen.         gramm „Deutsch-
Carsten Schröder
                     stehen – Ressourcen schonen“         men und angesprochen.              Unsere Gesellschaft ist auf         land-Nederland“,
(l.) und Prof. Dr.
Gernot Bauer.                                                                                                                    Innovative Hoch-
                     lässt sich mit vielfältigen The-                                        Innovationen angewiesen.            schule, münster.
                     men füllen: von der nachhal-             fhocus: Wie
                                                                       wichtig ist die            Bauer: Ich widme mich vor      land.leben
                                                                                                                                 und FH Invest
                     tigen Produktentwicklung bei         FH Münster in der Region?          allem der akademischen Seite,       des BMBF.
                     den Designern bis zur Rückge-             Schröder: Unbescheiden for-   unterstütze kooperative Pro-
                     winnung von Spurenmetallen           muliert: sehr. Wir verstehen       motionen und versuche, An-
                     bei den Bauingenieuren.              die Hochschule weiter als In-      reize dafür zu setzen, dass die
                          Carsten Schröder: Eine Such-    novationsmotor für die Region.     Hochschule neue Forschungs-
                     spur bei der Strategieentwick-       Eine gute Gesundheitsversor-       felder erschließt. Letztendlich
                     lung war damals unter anderem,       gung, Teilhabe und Wohlbe-         haben wir beide ein Ziel: die
                     welche gesellschaftlichen oder       finden sind schöne Beispiele       Forschung an unserer Hoch-
                     technologischen Herausfor-           hierfür. Sie sind sehr harte       schule weiter zu intensivieren
                     derungen auf nationaler und          Faktoren bei der Fachkräftege-     und ihre Resultate breit ver-
                     europäischer Ebene definiert         winnung. Im Wettbewerb der         fügbar zu machen.
                     wurden.                              Regionen setzen wir aktuell
                                                          viele Impulse und kommen              fhocus: Was braucht es

                              Ist uns das
                         fhocus:                          unserer gesellschaftlichen         denn gerade momentan?
                     gelungen?                            Verpflichtung nach. Digitali-          Schröder:  Wie gesagt, stra-
                         Schröder:Ja. Unsere beste-       sierung, Personalentwicklung,      tegische Entscheidungen grei-
                     henden Institute haben sich          Ressourceneffizienz – all dies     fen manchmal erst mittel- bis
                     neu ausgerichtet, neue sind ent-     sind entscheidende Kriterien       langfristig. Somit könnte ich
                     standen. Und wir haben unser         für den Erfolg unserer mittel-     flapsig sagen: „einen langen
                     Marketing noch strategischer         ständischen Unternehmen.           Atem“. Die beeindruckenden
                     ausgerichtet. Manche unserer                                            Erfolge unserer Wissenschaft-
                     Bemühungen tragen erst jetzt                   Was ist Ihre per-
                                                              fhocus:                        ler in den letzten Jahren zeigen,
                     Früchte, was aber eine Bestä-        sönliche Rolle dabei?              dass wir alle zusammen einen
                     tigung dafür ist, sich immer             Schröder: Die inhaltliche      guten Riecher bei der Themen-
                     frühzeitig über die Zukunft          Profilbildung geschieht aus-       setzung hatten. •
                     Gedanken zu machen.                  drücklich nicht zulasten der

                                                                        7
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Kostbar und
knapp

Endlose Weite und vor allem eine schier nicht enden wollende
Menge an Sand – diesen Eindruck gewinnen Reisehungrige
in einer Wüste. Doch der Eindruck täuscht. Denn Sandvorräte
sind endlich und hierzulande vor allem eins: knapp. Diese
Tatsache macht Sand zu einem kostbaren Rohstoff.
Text und Fotos Katharina Kipp

                                8                      fhocus Ausgabe 34
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

                                                                            „Jedes Kind kennt
                                                                             Sand, aber man irrt
                                                                             sich schnell: Die
                                                                            Vorräte sind endlich!“
   Info              „Wir verbrauchen sehr viel Sand, vor allem zum          Prof. Dr. Frank Heimbecher
Sand ist kostbar,     Bauen“, sagt Prof. Dr. Frank Heimbecher von un-
und seit Jahren
steigt der Preis.     serem Fachbereich Bauingenieurwesen. Für ein
Die Preissteige-      klassisches Einfamilienhaus benötigt man circa
rung in Deutsch-
land liegt aktuell    200 Tonnen dieses Rohstoffs, weltweit sind es         Das gilt auch für die Einfuhr von Sand aus fer-
bei 31 Prozent        schätzungsweise 15 Milliarden Tonnen für ver-         nen Ländern. „Die langen Transportwege sind
gegenüber dem
Jahr 2000.            schiedenste Bauvorhaben. Doch Sand ist nicht          aus Gründen der Nachhaltigkeit eigentlich schon
                      gleich Sand. „Er ist ein natürlich vorkommendes,      ein Tabu. Stattdessen sollte man lieber bestehende
                      unverfestigtes Sediment, entstanden im Laufe von      Sandvorkommen in der Region nutzen.“ Doch das
                      Millionen von Jahren durch Verwitterungsprozesse      ist nicht so einfach: Eine Sandgrube darf nicht
                      an Festgesteinen. Sand besteht aus Mineralkör-        überall aufmachen. „Man muss ein Genehmigungs-
                      nern, vorwiegend Quarzkörnern, von 0,063 bis          verfahren durchlaufen, die Auflagen sind sehr hoch,
                      2,0 Millimeter. Vor allem der Quarzsand ist ein       die Besiedelungen reduzieren die Möglichkeiten er-
                      bedeutender Rohstoff für das Bauwesen – und           heblich. Und auch das ist keine dauerhafte Lösung.“
                      das ist das Problem“, erklärt der Wissenschaftler.    Heimbecher versucht daher, seine Studierenden für
                      In der Sahara gibt es zwar Sand ohne Ende. Für        den gewissenhaften Umgang mit der kostbaren
                      Bauvorhaben aber ist er nicht zu gebrauchen. Der      Ressource zu sensibilisieren. „Wir haben hohe
                      Grund: „Er ist zu fein und rundgeschliffen. Durch     Anforderungen an zukünftige Bauwerke, machen
                      die fehlenden Kanten und glatten Oberflächen          uns aber keinen Kopf um die Sandvorräte. Das
                      verzahnen sich die Körner schlecht.“ Genau das        müssen wir dringend ändern.“
↖ Grob- oder          ist aber wichtig. Denn der ideale Baugrund besteht
feinkörnig – nicht
jeder Sand eignet     aus einem Sand-Kies-Gemisch. Es ist frostsicher             Bauwerke ressourcenschonend planen
sich zum Bauen.       und lässt sich gut verdichten. Der Kies hat eine       Deshalb hat Heimbecher zusammen mit seiner
                      gröbere Struktur, die Sandkörner dazwischen            Kollegin Prof. Dr. Sabine Flamme ein Mastermo-
                      füllen die Hohlräume und verzahnen sich mit            dul zum Thema Ressourcenschonung aufgebaut.
                      den umgebenen Körnern. „Wenn man so will, ist         „Wir müssen bereits während der Planung der
                      Sand ein verbindender Lückenfüller.“ Die Böden         Bauwerke noch stärker als bislang den gesam-
                      müssen tragfähig und belastbar sein. Ohne Sand         ten Lebenszyklus der Bauwerke berücksichtigen.
↖ Prof. Dr. Frank
Heimbecher
                      wird das schwierig! Und er ist nicht nur wichtig       Vor allem auch den Rückbau und die Wiederver-
lehrt am Fach-        im Haus- oder Straßenbau, sondern zum Beispiel         wendung der eingesetzten Materialien“, sagt der
bereich Bau-
ingenieurwesen        auch bei Brücken oder Tunnelbauwerken. Hier wird       Hochschullehrer. „Abreißen und neu bauen wird
unserer Hoch-
schule.
                      viel Stahlbeton verbaut. Dieser besteht zu einem       zukünftig nur noch unter ressourcenschonenden
                      Drittel aus Zement und zu zwei Dritteln aus Sand       Gesichtspunkten funktionieren.“ Das Thema der
                      und groben Gesteinskörnungen.                          Ressourcenschonung betreffe alle, und auch des-
                                                                             halb werde in der Vorlesung mit den Masterstu-
                          Altes Material recyceln                            dierenden eifrig diskutiert. Sie alle haben bereits
                     Richtige Alternativen gibt es aktuell nicht, und        erste Berufserfahrungen gesammelt, sei es als
                     Sand künstlich herzustellen ist keine Option – zu       Planer, Mitarbeiter in Behörden oder ausführenden
                     aufwendig und zu teuer. Stattdessen lässt sich altes    Bauunternehmen. Durch ihre Verknüpfung mit
                     Material etwa zu Brechsand recyceln. Der Preis          der Praxis wissen sie genau, worum es geht. „Jedes
                     liegt hier aber deutlich höher als bei natürlichem      Kind kennt Sand, aber man irrt sich schnell: Die
                     Sand. Auch muss die Qualität beachtet werden.           Vorräte sind endlich!“ •

                                                                                                 Kontakt
                                                                                                 Prof. Dr. Frank Heimbecher
                                                                                                 heimbecher@fh-muenster.de

                                                     9
Unser Profil - Der Mensch ist keine Labormaus
Nährstoffe
zurückgewinnen –
In Gülle steckt viel drin. Phosphor,
Stickstoff und Kalium etwa –
lebenswichtige Bausteine für alle
Lebewesen.

Regionen entlasten
                                 Prof. Dr.- Ing. Christof Wetter
                                 und sein Team konzentrieren
                                 die Nährstoffe aus der Gülle.
                                 Text Maxi Krähling  Fotos Theresa Gerks (rechts), Juliana Rolf

                                    10                                                            fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

„Zukünftig könnte man maßge-                                                 Kontakt

 schneiderte Düngemittel anbieten.“
                                                                             Prof. Dr. Christof Wetter
                                                                             christof.wetter@fh-muenster.de

Elmar Brügging

                                                                          „Mithilfe des Separators lässt sich die Hälfte des
                                                                           Gesamtphosphors aus der Gülle konzentrieren“, sagt
                                                                           Prof. Wetter. „Je feiner die Siebe, desto besser ist der
                                                                           Abscheidegrad der Nährstoffe“, ergänzt Brügging.

                                                                           Schwieriger ist die Aufbereitung der flüssigen
                                                                           Phase. Darin stecken die restlichen 50 Prozent des
                                                                           Phosphors. Dazu haben die Forscher Versuche mit
                                                      ↖ Lukas Wettwer
                                                                           Flockungsmitteln durchgeführt. Diese bündeln in
                                                      fügt das Flo-        der flüssigen Phase besonders feine Partikel, die
                                                      ckungsmittel den
                                                      Gülleproben zu.      sich dann besser abscheiden lassen.

                                                                          „Unsere Flockungsmittel bestehen aus Kartoffel-
                 200 Millionen Tonnen Gülle und über 82 Millionen          und Erbsenstärke. Der Clou an der Geschichte
                 Tonnen an Gärresten – so viel fällt jährlich von          ist, dass sie biologisch abbaubar sind und bis zu
                 diesem natürlichen Dünger in Deutschland an.              100 Prozent des Phosphors abscheiden“, erklärt
                 Dadurch entsteht ein Überschuss an Nährstoffen,           Prof. Wetter. Weil sie biologisch unbedenklich
                 der in manchen Regionen überdüngte Böden und              sind, dürfen sie ohne Probleme als Düngemittel
                 eine erhöhte Nitratbelastung des Grundwassers             genutzt werden – und die Pflanzen erhalten den
↖ Flockungs-     zur Folge hat. Die aktuelle Düngeverordnung ver-          wichtigen Phosphor. „Da die ersten Versuche sehr
ergebnis nach
der Zugabe       schärft diese Lage zusätzlich. Denn sie regelt, wie       positiv verlaufen sind und auf ein großes Poten-
unterschiedli-   der Wirtschaftsdünger gelagert und ausgebracht            zial hindeuten, werden wir ein Anschlussprojekt
cher Mengen
an Flockungs-    werden soll: Ein größerer Teil der Gülle muss             beantragen“, sagt Brügging.
mitteln
                 deswegen länger auf den Höfen verbleiben.
                                                                           Ein weiterer Vorteil: Nach mehreren Filtrations-
                 Landwirte und Biogasanlagenbetreiber müssen die           stufen mit den Flockungsmitteln bleibt von der
                 Gülle und Gärreste aber loswerden. „Allerdings            Gülle nicht viel übrig – nur noch Wasser sowie
                 kostet der Abtransport je nach Region und Jah-            Phosphor, Stickstoff und Kali. „Das sind die drei
                 reszeit zwischen 10 und 20 Euro pro Kubikmeter            Nährstoffe, die im Ackerbau ohnehin als Haupt-
                 Dünger“, erklärt Elmar Brügging, Koordinator              düngemittel eingesetzt werden. Zukünftig könnte
                 des Forschungsteams von Prof. Wetter. Das ist             man damit maßgeschneiderte Düngemittel an-
                 kostenintensiv – und eigentlich lässt sich die Gülle      bieten, je nach Bodenbeschaffenheit und Bedarf
                 wesentlich effektiver nutzen. Deshalb haben die           der Landwirte, ohne die Gülle auf die Felder zu
                 Forscher in Zusammenarbeit mit der BETEBE                 fahren“, erklärt Brügging.
                 GmbH aus Vreden einen Separator entwickelt und
                 optimiert. Der kann Schweine- und Rindergülle             Die Arbeit am Separator hat sich gelohnt, das Pro-
                 sowie Gärreste hochwertig aufbereiten.                    jekt ist abgeschlossen. „Das Interesse der Landwirte
                                                                           ist da, die Maschine ist wirtschaftlich einsetzbar
                 Dieser Separator trennt die Gülle mithilfe feiner         und wird auch schon von BETEBE vertrieben“, so
                 Siebe in eine feste und eine flüssige Phase und           Prof. Wetter zum Erfolg. Ein großer Betrieb habe
                 konzentriert die vorhandenen Nährstoffe. Einer            bereits eine Anlage mit 20 Fördersäulen bestellt –
                 davon ist Phosphor – ein essenziell wichtiger Nähr-       ein normaler Separator hat zwei. „Das ist denkbar
                 stoff für Pflanzen, Tiere und Menschen. Ohne              günstig. Die Anlage verarbeitet die Gülle direkt
                 Phosphor wäre kein Leben möglich, denn er ist             beim Betrieb und kann kontinuierlich laufen“,
                 elementar für das Pflanzenwachstum und Teil der           sagt Lukas Wettwer. Als zuständiger Ingenieur
                 menschlichen DNA. Darüber hinaus ist Phosphor             für dieses Projekt hat er seine Masterarbeit über
                 ein endlicher Rohstoff.                                   die Optimierung des Separators geschrieben. •

                                                                     11
Werkstoffe
der Zukunft

Auf dem Steinfurter Campus ist
der neue Master Materials Science
and Engineering gestartet.
Zukünftige Absolventen können
sich auf exzellente Berufsaus-
sichten freuen.
Text und Foto Martina Weiland

                                    „Ich studiere Materialwis-
                                     senschaft, weil dieses Fach
                                     eine gute Mischung aus
    Kontakt
 Prof. Dr. Hans-Christoph Mertins
                                     Chemie und Physik bietet
 mertins@fh-muenster.de
                                     und man anwendungs-
                                     bezogenes Forschen lernt.“
 Prof. Dr. Thomas Jüstel
 tj@fh-muenster.de

 Ruth Kühn
 kuehn@fh-muenster.de
                                     Annika Wesbuer

                                    12                    fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

                  Ob Elektroauto oder Touchscreen-Handy, Leicht-        „Ich studiere Materialwissenschaft, weil dieses Fach
                  bau-Airbus oder Bio-Implantat: Ohne neue Werk-         eine gute Mischung aus Chemie und Physik bietet
                  stoffe und Materialien geht heute gar nichts mehr.     und man anwendungsbezogenes Forschen lernt“,
                  Die Materialwissenschaft gilt als eine der Schlüs-     sagt Annika Wesbuer, die zuvor ihre Bachelorar-
                  seldisziplinen des 21. Jahrhunderts. Aktuellen Stu-    beit in Physikalischer Technik und Praktika in der
                  dien zufolge sind auf deren Entwicklung rund           Sensortechnik absolviert hat. „Ich bin mit meinen
                  70 Prozent aller Innovationen zurückzuführen.          Interessen hier sehr gut aufgehoben.“ Ebenfalls
                  Mit dem neuen Masterprogramm bildet die                bringen Studierende, die zuvor einen Bachelor
 ↙ Annika         FH Münster genau diese Experten aus, die neue          Chemieingenieurwesen abgeschlossen haben,
 Wesbuer (l.)
 und Wen Yao
                  Materialien und Werkstoffe für industrielle Ver-       das nötige Wissen für die Einschreibung mit. In
 Lim aus Ma-      fahren sowie moderne Produkte entwickeln und           Brückenkursen zur jeweils anderen Fachdisziplin
 laysia studie-
 ren im Master-
                  Probleme in der Energie- oder der Informations-        können die Studierenden ihr Grundlagenwissen
 programm.        technologie lösen können.                              im ersten Semester erweitern.

                                                                              Synergien im Studium
                                                                        „Neue Materialien sind die Basis für fast alle techni-
                                                                         schen Innovationen“, beschreibt Prof. Dr. Thomas
                                                                         Jüstel vom Fachbereich Chemieingenieurwesen
                                                                         die hohe zukünftige Bedeutung. Der Studiengang

„Neue Materialien
                                                                         kombiniert Materialwissenschaften mit Werkstoff-
                                                                         technik und vermittelt Wissen von der Festkörper-

sind die Basis für
                                                                         physik bis hin zur Polymerwissenschaft. „Physiker
                                                                         verstehen es gut, neue Materialien zu designen,
                                                                         aber beim Herstellen, da haben die Chemiker

fast alle technischen                                                    die Krone auf“, erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph
                                                                         Mertins vom Fachbereich Physikalische Technik

Innovationen.“
                                                                         die Synergieeffekte. Denn durch die interdiszipli-
                                                                         näre Zusammenarbeit einzelner Forschungslabore
                                                                         gelinge es, ganz spezielle Materialeigenschaften
                                                                         auf mikroskopischer und makroskopischer Ebene
Prof. Dr. Thomas Jüstel
                                                                         zu modellieren.

                                                                              Viele offene Türen für Absolventen
                                                                         In Deutschland erzielen material- und werkstoff-
                       Start des Masterprogramms                         basierte Branchen laut Aussage der Deutschen
                  Seit dem Wintersemester 2018/19 gibt es das neue       Gesellschaft für Materialkunde e.V. einen Um-
                  Masterprogramm an unserer Hochschule. Und              satz von rund einer Billion Euro im Jahr – und
                  die Nachfrage ist enorm. „Rund 120 Studieninte-        sichern auf diese Weise fünf Millionen Arbeits-
                  ressierte aus aller Welt hatten sich für einen der     plätze. Denn das Wissen von Materialwissenschaft-
                  20 Studienplätze beworben“, erklärt Ruth Kühn          lern ist in zahlreichen Branchen gefragt: etwa in
                  vom Institut für Technische Betriebswirtschaft.        der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie,
                  Die ersten Studierenden des englischsprachigen         Kraftwerkstechnik, Elektroindustrie, chemischen
                  Programms, das vorwiegend physikalisches und           Industrie, Mikroelektronik, Glas-, Kunststoff- und
                  chemisches Wissen verknüpft, kommen aus Ma-            Metallverarbeitung, Optik, Laser- und Lichttech-
                  laysia, Pakistan, Thailand, der Türkei und Deutsch-    nik, Medizin- und Umwelttechnik und natürlich im
                  land. Und nach wie vor landen wöchentlich              Maschinenbau. Außerdem forschen sie in staatli-
                  zwei bis drei neue Anfragen im E-Mail-Konto            chen Institutionen sowie Forschungseinrichtungen.
                  der Studienberaterin.                                  Insgesamt also hervorragende Aussichten. •

                                                                   13
Wie gut Wärme auf Gipsplatten wirkt und
 diese trocknet, hat das Team vom Labor
 für Strömungstechnik zusammen mit dem
 Projektpartner trilogik untersucht. Statt
 Gipskarton kam dafür eine Platte mit Sen-
 sorik in den Ofen.
  Text Theresa Gerks  Fotos Theresa Gerks (rechts), Nico Volbert

 Sensoren im
        Ofen
↘ Weil die Platte
nur sehr flach
sein darf, hat das
Team mit winzi-
ger Sensorik gear-                                                 Kontakt
beitet. Das ist                                                    Prof. Dr.-Ing. Hans-Arno Jantzen
die Nahaufnahme                                                    jantzen@fh-muenster.de
eines Wärme-
übergangssensors
                                                                   Dennis Borgmann
mit einem Milli-
meter Durchmesser.
                                                                   dborgmann@trilogik.de

                                                                       14                             fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

 Der Apfelkuchen backt vor sich hin. Und während          Info                    Gipsplatte simulieren
 sein Duft schon verführerisch durch die Küche          Die Abkürzung        So weit, so gut. Das Ziel steht, und Projektpartner
                                                        ZIM steht für
 tanzt, blinzelt der Hobbybäcker auf die Eieruhr       „Zentrales            trilogik aus Emsdetten sieht in der Idee großes
 und fragt sich: Ist der Kuchen wohl schon überall      Innovations-         Potenzial, ein innovatives Messverfahren für die
                                                        programm
 gar? Zeit für die Stäbchenprobe.                       Mittelstand“.        Gipsplattenproduktion anbieten zu können. Um
                                                        Unterneh-            aber die Heißluftanpassung im Ofen richtig ein-
                                                        men und
 Manche Ingenieure backen sogar beruflich – Gips-       Forschungsein-       zustellen, muss man wissen: Wie gut wirkt die
 platten. Sie sind zum Beispiel beim Häuserbau nö-      richtungen           Wärme auf die Gipsplatte? Jantzens Team mit den
                                                        erhalten dabei
 tig, viele Wände bestehen aus ihnen. In der Produk-    Förderungen          wissenschaftlichen Mitarbeitern Nico Volbert und
 tion wird der Gips flüssig in Formen gegossen, da-     vom Bundes-          Marek Kapitz entwickelte deshalb eine komplexe
                                                        ministerium
 rauf kommt robuste Pappe. Das Ganze wird dann          für Wirtschaft       Sensorikeinheit. „Eigentlich simulieren wir damit
 in einen 100 Meter langen Ofen geschoben. Die          und Energie.         eine Gipsplatte“, erklärt Volbert. Der Kasten aus
                                                                             Stahl ist flach genug gebaut, die Platten auf ihrer
                                                                             Fahrt durch den Ofen zu begleiten. In seinem Inne-

  „Das ist ein echter
                                                                             ren ist jede Menge Technik verbaut. „Und die muss
                                                                             einiges aushalten, denn die Temperaturen können

    Mindblower!“                                                             deutlich über 200 Grad liegen. Je nach Prozess dau-
                                                                             ert die Trocknung mehrere Stunden“, sagt Frederik
                                                                             Grote von trilogik. Darum muss das Equipment
             Dennis Borgmann
                                                                             hitzebeständig sein. Die Sensoren sind deshalb
                                                                             mit geschweißten Kontakten verbaut – gelötete
 heiße Luft strömt durch viele schlitzförmige Dü-                            Kontakte würden bei sehr hohen Temperaturen
 sen direkt auf die Gipsplatten, damit diese schnell                         schmelzen. Auch die Elektronik muss aus tem-
„gar“ werden, also trocknen können. „Und genau da                            peraturstabilen und energiesparenden Bauteilen
 liegt das Problem“, sagt Prof. Dr.-Ing. Hans-Arno                           wie Spannungsreglern und Mikroprozessoren
 Jantzen vom Fachbereich Maschinenbau. „Die                                  sein, da es innerhalb des Stahlgehäuses 90 Grad
 heiße Luft kommt unkontrolliert aus dem Schlitz,                            heiß werden kann. Und fällt die Elektronik aus,
 und so trocknet der Gips nur ungleichmäßig.“ Bes-                           würde das im schlimmsten Fall einen totalen
 ser müsste die heiße Luft exakt gleich auf die kom-                         Datenverlust der Messung bedeuten.
 plette Gipskartonplatte herausgeblasen werden.
„Das verkürzt die Trocknungszeit, und die Anlage                                  In der realen Anlage
 lässt sich deutlich kleiner bauen. Das wiederum                             Das Team vom Strömungstechniklabor legte los:
 spart Geld und Energie – sowohl in der Anschaf-                             Erst mit Handberechnungen und theoretischen
 fung als auch im Betrieb.“                                                  Betrachtungen, dann mit professioneller Simulati-
                                                                             onssoftware. In den letzten eineinhalb Jahren ent-
                                                                             stand so die Gipsplatte 2.0. Und jetzt ging es zum
                                                                             Projektabschluss in die Anlage, um Laborwerte
                                                                             und Realität abzugleichen. Das war ein großer
                                                                             Erfolg – denn die Simulationen stimmten, die Sen-
                                                       ↖ Die Experten        sorik-Gipsplatte hielt der Hitze stand und zeichnete
                                                       checken die
                                                       Sensorikplatte,       die gesuchten Werte der Wärmeübertragung auf.
                                                       die die Echt-         Obendrein hat das Team in diesem ZIM-Projekt
                                                       zeitmessung
                                                       überstanden hat       nicht nur dafür gesorgt, dass die Chips mit den
                                                       (v. l.): Prof. Dr.
                                                       Hans-Arno             Sensordaten überleben. Zur Sicherheit haben die
                                                       Jantzen, Dennis       Entwickler auch noch eine Funkstrecke eingebaut,
                                                       Borgmann,
                                                       Max Filor (beide      die die Daten praktisch wie beim WLAN direkt
                                                       trilogik),
                                                       Nico Volbert,         in Echtzeit an einen Laptop weiterleitet.
                                                       Frederik Grote
                                                       (trilogik) und
                                                       Marek Kapitz.        „Meines Wissens nach sind wir die Ersten, die das in
                                                                             dieser flachen Bauweise über so viele Stunden hin-
                                                                             gekriegt haben“, sagt Jantzen. Das freut auch den
                                                                             Projektpartner. „Das ist ein echter Mindblower!“,
                                                                             sagt Dennis Borgmann von trilogik begeistert. •

                                                  15
Picknick
auf
Bagasse
       16   fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

                         Studierende unserer Hochschule haben kom-
                         postierbarem Einweggeschirr ein neues
                         Design verpasst. Für das Projekt „Esskultur“
                         kooperierte Prof. Steffen Schulz mit
                         einem Unternehmen in Norddeutschland.
                         Text Anne Holtkötter   Fotos Larissa Schmidt (links), Team „Sharing is caring“

                                                Ein Projekt mit Haltung sei das, nachhaltig und           Auch wenn „Sharing is caring“ vielleicht nie den
                                                zukunftweisend. Deshalb habe sich Pia Willing             Weg auf Picknickwiesen schafft, weil bei Bionatic
                                                für den Kurs bei Prof. Steffen Schulz angemeldet.         die „Genusswellen“ eines anderen Teams hoch im
                           Info                 Die Aufgabe: für die Bionatic GmbH & Co. KG               Kurs stehen – Willing war begeistert: vom Thema,
                         Bionatic-Gründer       in kleinen Teams eine zum Rohstoff adäquate               dem Austausch in der studentischen Projektgruppe,
                         Robert Czichos
                         ist Absolvent unse-    Gestaltung für Einweggeschirr und die Umver-              dem experimentellen Ausprobieren. Und auch
                         rer Hochschule:        packung zu entwerfen. „Das mittelständische Un-           von der praxisnahen Erfahrung, dass nicht alles
                         Am Fachbereich
                         Wirtschaft hat         ternehmen in Bremen beliefert Gastronomen und             wie gewünscht glattgeht. „Wir mussten für die
                         er sein BWL-Dip-       Einzelhändler mit Lebensmittelverpackungen und            Prototypen Kunststoff verwenden und haben ver-
                         lom gemacht.
                                                Einweggeschirr aus nachwachsenden und recycel-            sucht, die grobkörnige Struktur von Bagasse mit
                                                ten Rohstoffen“, erklärt der Hochschullehrer für          Granitspray nachzustellen, Pannen gab es beim
                                                Produktdesign. Beim „Budenzauber“ in Münster,             Kleben von Einzelteilen.“ Bei der Präsentation im
                                                wo die Studierenden ihre Kleinserien zum Advent           Unternehmen lief alles wie am Schnürchen. „Für
 ↖ „Sharing“ ist
 eine der beiden                                verkaufen, wurde Schulz von einem Mitarbeiter             uns war das Projekt eine Premiere. Wir hatten eine
 Produktlinien von
„Sharing is caring“:
                                                der Firma angesprochen: Mit dem Design ihres              grobe Idee, wie es laufen könnte, keine konkreten
 Der dreiteilige                                Einweggeschirrs aus Bagasse, das sind faserige,           Erwartungen. Am Ende waren die präsentierten
 Teller ist eher für
 den privaten Ge-                               gemahlene Überreste aus der Zuckerrohrfabrika-            Konzepte und das Engagement der Studierenden
 brauch gedacht –
 einer füllt auf
                                                tion, seien sie nicht zufrieden. Schulz war sofort        sehr beeindruckend“, so das Fazit von Firmen-
 und teilt mit den                              begeistert. „Wäre es um Plastik gegangen, hätte           gründer Robert Czichos. Und auch Willings Bilanz
 anderen. „Caring“
 besteht aus ei-                                ich abgelehnt, hier habe ich sofort zugesagt.“            fällt gut aus: Sie kann sich vorstellen, beruflich
 nem stapelbaren
 Behältnis in zwei
                                                                                                          im Produktdesign Fuß zu fassen. •
 Größen mit teilba-                             Für Pia Willing und ihre Kommilitonen begann
 rem Aufsatz zum
 Essen und eignet                               es, wie immer bei Schulz’ Projekten, mit der Re-
 sich für Food-
 trucks und den Trans-
                                                cherche: zur Esskultur, zu Einweggeschirr und
 port zum Tisch.                                Verpackungen. „Für mich war das eine Premiere,
 Eine Perforation
 zum Teilen ha-                                 damit hatte ich mich noch nie so intensiv beschäf-
 ben beide Linien.
                                                tigt“, erzählt die 21-Jährige. Sie und ihr Team über-
                                                legten sich dann als Erstes, welche Botschaft ihr
                                                Entwurf vermitteln sollte. Der Name des Geschirrs
                                               „Sharing is caring“ ist also auch Programm. Dank
                                                einer Perforation lassen sich die Teller halbieren
                                                oder dritteln, auch die Servietten und das Besteck
                                                passen jeweils für zwei – das unterstreiche den Ge-
                                                meinschaftsgedanken. Der Name des Sets könnte
                                                aber auch fürs gesamte Projekt gelten. Denn es
                                                unterstützt jene, mit denen wir uns die Erde teilen.                                           ↖ Eines von fünf
                                                Die Bagasse wird in Indien gewonnen und das bis-                                               Teams: Larissa
                                                                                                                                               Schmidt, Pia
                                                herige Einweggeschirr auch dort produziert. „Im            Kontakt                             Willing, Amanda
                                                                                                                                               Kock und Rebecca
                                                Übrigen unter zertifizierten Arbeitsbedingungen“,          Prof. Steffen Schulz
                                                                                                                                               Arnold (v.l.) mit
                                                                                                           steffen-schulz@fh-muenster.de
                                                wie Schulz weiß.                                                                              „Sharing is caring“.

                                                                                  17
Wachstum:
Weniger
ist mehr!
Was haben Hamster mit dem
Wirtschaftswachstum zu tun?
Jede Menge! Denn das Tier
dient in einem Video als Beispiel
für den Irrsinn endlosen                                                                                    Kontakt

exponentiellen Wachstums.                                                                                   Prof. Dr. Nina V. Michaelis
                                                                                                            michaelis@fh-muenster.de

Dass das nicht sein muss,
zeigt Prof. Dr. Nina Michaelis
von unserem Fachbereich
Wirtschaft, der Münster School
of Business (MSB).
Text und Foto Susanne Lüdeling

Ein Hamster verdoppelt ab der Geburt jede Wo-             Ressourcenschonend konsumieren
che sein Gewicht. Würde sein Wachstum bis zu        „In der traditionellen BWL wird Studierenden ver-
seinem ersten Lebensjahr so weitergehen, wöge        mittelt, Gewinne zu maximieren und Produkte so
das Tier neun Milliarden Tonnen und fräße die        effizient wie möglich zu produzieren. Effizienz
jährliche weltweite Getreideernte an einem Tag       ist gut, aber oft geht die rein wirtschaftliche Aus-
auf – und wäre immer noch hungrig. Das Beispiel      richtung auf Kosten zukünftiger Generationen –
aus dem Video „The Impossible Hamster“ der „New      denn Ressourcen sind endlich“, so Michaelis. „Ein
Economics Foundation“ zeigt: Jedes Wachstum in       Mehrverbrauch der kostbaren Rohstoffe führt dazu,
der Natur hat seine Grenzen. Beim Wirtschafts-       dass die Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit
wachstum gehen Ökonomen aber davon aus, dass         überschritten werden“, berichtet die VWL-Expertin
dieses immer weitergeht und ein endloser Anstieg     weiter, die gemeinsam mit Prof. Dr. Bert Kiel, Hoch-
theoretisch möglich sei. Aber nicht alle Ökonomen    schullehrer für International Marketing and Sales,
ticken so. Die Volkswirtin Michaelis plädiert für    und Dr. Therese Kirsch, Lehrkraft für Logistik und
eine nachhaltige Wirtschaft als einen wichtigen      Nachhaltiges Wirtschaften, ein neues Aufbau- und
Schritt hin zu einem gesunden Wachstum.              Erweiterungsmodul zu der Thematik entwickelt
                                                     hat. Dieses heißt „Nachhaltiges Wirtschaften“ und
                                                     wird bereits seit zweieinhalb Jahren angeboten.
                                                     Bei den Studierenden stößt es auf großes Interesse.

                                                                     18                                                      fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

                                                          „Die Transformation zu
                                                         einer ökologisch-sozialen
                                                           Marktwirtschaft muss
                                                         von der gesamten Gesell-
                                                            schaft beschleunigt
                                                          werden – damit können
                                                              wir schon heute
                                                           im Hörsaal beginnen.“
                                                                        Prof. Dr. Nina Michaelis

                    ↗ Brennt für das
                    Thema Nachhaltig-
                    keit in der Öko-
                    nomie: Prof. Dr. Nina
                    Michaelis in der
                    Ringvorlesung „Ak-
                    tuelles Wirtschafts-
                    geschehen – ver-                                     Wurzel des Umdenkens, und darüber kann Nach-
                    ständlich und kom-                                   haltigkeit beeinflusst werden. Wir können Werte
                    pakt“ am Fach-
                    bereich Wirtschaft.                                  nur in einem Diskurs vermitteln“, weiß Michaelis,
                                                                         die seit zehn Jahren an unserer Hochschule lehrt.
                                                                        „Wir debattieren viel in unserem Modul“, fügt sie
                                                                         lächelnd hinzu.

  Info             Wenn man VWL oder BWL studiert, muss man             Dabei darf aber natürlich nicht der Praxisbezug
Der AStA der FH    sich auch mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinan-     fehlen. Großunternehmen sind mittlerweile dazu
Münster hat
im November        dersetzen, fordern die Dozenten, denen das Thema     verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte über ökono-
und Dezember       sehr am Herzen liegt. „Wir leben in einem kapi-      mische, ökologische und soziale Entwicklungen zu
2018 eine fach-
bereichsüber-      talistischen Wirtschaftssystem, und der Konsum       führen. Die Studierenden erlernen, solche Berichte
greifende Ring-    spielt dabei eine wichtige Rolle. Wir regen unsere   zu verstehen und zu bewerten.
vorlesung zu
Umwelt und         Studierenden dazu an, darüber nachzudenken, ob
Nachhaltigkeit     mehr Konsum auch glücklicher macht“, so Kirsch.            Kein Wandel ohne Change Agents
organisiert, bei
der auch Prof.     Ziel des Moduls sei es, die Art des Wirtschaftens    Aus Sicht der Wissenschaftler wäre es wünschens-
Michaelis über     und Konsumierens zu hinterfragen und Anre-           wert, das Thema Nachhaltigkeit hochschulweit in
nachhaltige
Entwicklungen      gungen zu bewusstem Konsum und bewusstem             den Modulen zu integrieren. Denn Nachhaltigkeit
im Wirtschafts-    Nicht-Konsum zu geben.                               betrifft alle Bereiche – nicht nur die BWL. Die
system ge-
sprochen hat.                                                           VWL-Professorin Michaelis regt dazu an, Stu-
                          Anders über Werte nachdenken                  dierende zu Change Agents für Nachhaltigkeit
                   „Ein anderer Blick auf die BWL“, „Augenöffner“ –     auszubilden: „Die Transformation zu einer ökolo-
                    das ist regelmäßig das Feedback zu dem Modul,       gisch-sozialen Marktwirtschaft muss von der ge-
                    welches die Lehrenden von den Teilnehmern be-       samten Gesellschaft beschleunigt werden – damit
                    kommen. „Eine neue Wertevermittlung ist die         können wir schon heute im Hörsaal beginnen.“ •

                                                 19
Kontakt
                                                               Klaus Dömer
                                                               doemer@fh-muenster.de

Hochhaussiedlungen
eilt kein guter Ruf
voraus. Sie gelten als
soziale Brennpunkte                                   Update
                                                      für Platten-
mit hoher Kriminali-
tät. So auch der von
Plattenbauten geprägte

                                                      bauten
Stadtteil Erfurt-Rieth.
Studierende entwickeln
nun Sanierungsideen,
um die Wohnqualität
dort zu verbessern.
Text Stefanie Gosejohann   
Fotos Stefanie Gosejohann (rechts), Stefanie Kaindl

                                                        20              fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

                    „Meet-and-gRieth“-Zonen möchten etwa Anna Okon
                     und Angelina Orsagosch in einem Elf-Geschossbau
                     mit Y-förmiger Grundfläche einrichten, indem sie
                     verschiedene Durchbrüche vornehmen. Das bringt        Mit geeigneten Konzepten lassen sich seiner
                     Platz für Gemeinschaftsbereiche, in denen sich die    Meinung nach Hochhaussiedlungen durchaus
                     Nachbarn begegnen können. Auch ihre beiden            an heutige Wohnanforderungen anpassen und
                     Kommilitonen Beniamin Richter und Eunkue              auch von ihrem Stigma als sozialer Brennpunkt
                     Park setzen auf die Stärkung sozialer Kontakte. Sie   befreien. „Denn nicht die städtebauliche Großform
                     planen, an einen 16-geschossigen Hochhausturm         oder die Größe der Gebäude stoßen per se auf
                     Gemeinschaftsflächen anzubauen: für zwei Etagen       Ablehnung, sondern eher andere Randbedingun-
                     je einen Garten und einen überdachten Raum.           gen wie ein Mangel an sozialem Zusammenhalt
                     Damit die Bewohner dann trotzdem beides nutzen        und Nachbarschaftsgefühl, Vernachlässigung des
                     können, teilen die angehenden Architekten die         Wohnumfelds oder fehlende kulturelle Angebote“,
                     Doppeletage in zweigeschossige Maisonettewoh-         so der Architekt.
                     nungen auf. Die Dachflächen sollen ebenfalls ge-
                     meinschaftlich genutzt werden, etwa als Sportplatz.

                     Die vier Studierenden des Fachbereichs Architek-
                     tur, der Münster School of Architecture (MSA),
                     nehmen am Entwurfsseminar „Schöne Aussicht –                                                                 ↖ Beniamin
                                                                                                                                  Richter (l.) und
                     Plattenbau-Update in Erfurt-Rieth“ teil. Das Ko-                                                             Eunkue Park (M.)
                     operationsprojekt der Fachhochschulen Münster                                                                besprechen
                                                                                                                                  während einer
                     und Erfurt leiten Klaus Dömer, Lehrbeauftragter                                                              Korrektur mit
                                                                                                                                  ihrem Dozenten
↖ Der Stadtteil      an der MSA, und Prof. Stefanie Kaindl, Leiterin                                                              Klaus Dömer den
Erfurt-Rieth ist                                                                                                                  aktuellen Stand
von Plattenbau-      des Lehrgebiets Entwerfen und Bauen im Bestand
                                                                                                                                  ihres Entwurfs.
ten geprägt.         an der Fachhochschule Erfurt. „Bestehende Hoch-
Ein gemeinsames
Entwurfspro-         häuser durch geeignete Sanierungsstrategien an         Um sich ein wirklichkeitsgetreues Bild von der tat-
jekt der Fach-
hochschulen          moderne Wohnbedürfnisse anzupassen, ist extrem         sächlichen Lebenssituation der Anwohner machen
Erfurt und Müns-     wertvoll für die Gesamtressourcenbilanz“, erklärt      zu können, reisten die Studierenden zu Beginn
ter soll diese an
moderne Wohn-        Dömer. Denn für die Errichtung von Hochhäusern         des Entwurfsprojekts selbst nach Erfurt-Rieth.
bedürfnisse
anpassen.            werde insgesamt so viel Energie verbraucht, dass       Während der fünftägigen Exkursion wohnten
                     es sowohl aus ökologischen als auch aus wirtschaft-    sie in einem Plattenbau und erkundeten so das
                     lichen Gründen sinnvoller sei, sie zu erhalten und     Stadtviertel aus nächster Nähe. Durch Gespräche
                     entsprechend zu modernisieren – anstatt sie abzu-      mit den Anwohnern, Vor-Ort-Recherchen und In-
                     reißen, um anschließend Neubauten zu errichten.        formationen, die ihnen die Kommunale Wohnungs
                                                                            GmbH Erfurt zur Verfügung stellte, analysierten
                                                                            sie die Stärken und Schwächen des Wohnviertels
                                                                            und spürten Potenziale für eine zukunftsweisende
                    „Bestehende Hochhäuser                                  Weiterentwicklung auf. In Kleingruppen erarbei-

                         durch geeignete                                    teten sie anschließend prototypische Umbauvor-
                                                                            schläge für zwei verschiedene Hochhaustypen, die
                     Sanierungsstrategien an                                nicht nur in Erfurt weit verbreitet sind.

                        moderne Wohnbe-                                     Seminarleiter Dömer ist überzeugt, dass die Ar-
                     dürfnisse anzupassen, ist                              beiten der Studierenden für zukünftige städte-

                      extrem wertvoll für die                               bauliche Planungen eine hohe Relevanz besitzen:
                                                                           „Es braucht Entwurfsbeispiele, die zeigen, was in
                    Gesamtressourcenbilanz.“                                Plattenbauten für Möglichkeiten stecken. Vielleicht
                                                                            stoßen unsere Ideen auf offene Ohren und werden
                                      Klaus Dömer                           tatsächlich irgendwann umgesetzt.“ •

                                                                      21
Forschung
für sicheres
Spielzeug
Prof. Dr. Martin Kreyenschmidt entwickelte
für die Europäische Norm spezielle Kunst-
stoffe, um den Nachweis aus Spielsachen
austretender Giftstoffe zu vereinheitlichen
und zu verbessern.
Text und Fotos Martina Weiland

                                              Kunterbunte Knete, Kreide oder Fingerfarben
                                              lassen die Kreativität vieler kleiner Künstler er-
                                              blühen. Doch immer wieder gerät Spielzeug in die
                                              Schlagzeilen, weil es Giftstoffe enthält. Blei, Chrom,
                                              Nickel oder Zinn sind nur einige der potenziell
                                              toxischen Elemente, die im Kinderspielzeug vor-
                                              kommen können.

                                              Völlig unkritisch, wenn sie sich nicht aus den Spiel-
                                              sachen herauslösen. Gefährlich und problematisch
                                              hingegen, wenn sie durch Verschlucken, Ablecken,
                                              Daraufbeißen in den Körper von Kindern gelangen.

„Wir mussten Verfahren und Kunst-
 stoffe entwickeln, die europaweit
 oder sogar weltweit vergleichbare
 Messungen ermöglichen.“                                      Kontakt
                                                              Prof. Dr. Martin Kreyenschmidt
                                                              martin.kreyenschmidt@fh-muenster.de
Prof. Dr. Martin Kreyenschmidt

                                     22                                            fhocus Ausgabe 34
Materialien verstehen – Ressourcen schonen

                           Die Norm
                     Die Europäische Norm DIN 71-3 zur Sicherheit            „Einerseits mussten wir Referenzmaterialien entwi-
                     von Spielzeug legt Prüfverfahren und Grenzwerte          ckeln und andererseits ging es um die Analytik für
                     hinsichtlich der Migration von Schadstoffen fest.        die jeweiligen Giftstoffe, die im Labor etabliert wer-
                     Zum besseren Schutz der Kinder wurde diese               den musste.“ Die hochgenaue Probenvorbereitung
                     überarbeitet und die Grenzwerte verschärft. Um zu        ist gerade bei diesen Materialien für eine repro-
                     klären, inwieweit die in der Norm vorgeschlagenen        duzierbare Messung zwingend erforderlich. „Wir
                     Messverfahren geeignet sind, in verschiedenen            mussten Verfahren und Kunststoffe entwickeln,
                     Prüflaboren bei identischen Proben vergleich-            die europaweit oder sogar weltweit vergleichbare
                     bare Werte zu generieren, bedarf es geeigneter           Messungen ermöglichen.“
                     Referenzmaterialien. Auf die Ausschreibung zur
                     Entwicklung dieser Materialien, die für die vorge-            Neue Grenzwerte und Prüfverfahren
                     schlagenen Analyseverfahren notwendig sind, um           Insgesamt fand das Team vier Materialien, die sich
                     trockene, brüchige und abschabbare Spielzeugma-          für die Prüfverfahren von elf verschiedenen Gift-
                     terialien sowie Kunststoffe mit zinnorganischen          stoffen im Kinderspielzeug eignen. Mittlerweile
↖ Prof. Dr. Martin   Verbindungen zu beurteilen, hatte sich das Insti-        wurden diese in europäischen Ringversuchen
Kreyenschmidt
begutachtet die      tut für Konstruktions- und Funktionsmaterialien          erfolgreich getestet. Auch international sind die
Proben.              (IKFM) beworben und bekam den Zuschlag.                  Ergebnisse von großem Interesse. Kreyenschmidt
                                                                              präsentierte die Thematik auf einem internationa-
                           Schwieriger als gedacht                            len Fachkongress für Standardisierung in China –
                     Vor rund drei Jahren begann unter Leitung von            dem Land mit der weltweit größten Spielzeug-
                     Prof. Dr. Martin Kreyenschmidt ein Team aus              produktion.
                     Bachelor- und Masterstudierenden, einem Dok-
                     toranden und einer Laboringenieurin mit der Ent-        „Es war ein spannendes Projekt, diese Referenzma-
                     wicklung der neuen Referenzmaterialien, die in           terialien zu entwickeln und gleichzeitig an der Re-
                     einem europaweit geplanten Ringversuch zum               vision der Europäischen Norm in einem Gremium
                     Einsatz kommen sollten. Damit mussten sich die           mitzuarbeiten“, sagt Kreyenschmidt rückblickend.
                     Wissenschaftler in einer kurzen Zeitspanne zahl-         Im Juni 2018 hat das Europäische Komitee eine
                     reichen Herausforderungen stellen.                       überarbeitete Fassung der DIN 71-3 veröffentlicht,
                                                                              die mit geänderten Migrationsgrenzwerten seit
                     So sollten sie Kunststoffe entwickeln, die die gifti-    Oktober 2018 in Kraft ist. •
                     gen Elemente bei festgelegter Probenvorbereitung
                     und -behandlung in vorgegebenen Konzentrati-
                     onsbereichen freisetzen. Der Test sieht vor, dass
                     die Proben eine Stunde lang bei 37 Grad Celsius
↖ Als Granulat       in einer wässrigen Salzsäurelösung – wie im Ma-
oder in Form
von Pucks liegen     gen – geschüttelt und eine weitere Stunde darin
die Referenz-        belassen werden, bevor die Konzentration der
kunststoffe mit
den Giftstof-        Giftstoffe in der Lösung gemessen wird.                   Die DIN EN 71-3 …
fen vor.
                                                                               … legt Anforderungen an und Prüfverfahren für die
                      Aufgrund der sehr hohen Konzentrationen eini-            Migration von Aluminium, Antimon, Arsen, Barium, Bor,
                      ger Gifte, die freigesetzt werden sollten, waren         Cadmium, Chrom (III), Chrom (VI), Cobalt, Kupfer,
                      Kunststoffe notwendig, die in salzsaurem Wasser          Blei, Mangan, Quecksilber, Nickel, Selen, Strontium, Zinn,
                      stark quellen. Herkömmlich verwendete nehmen             Organozinnverbindungen und Zink aus Spielzeugma-
                      gewöhnlich weniger als 1 Prozent Wasser auf.             terialien und Spielzeugteilen fest.
                     „Wir benötigten jedoch Kunststoffe, die mehr als          Diese Norm enthält Anforderungen an die Migration
                      100 Prozent Wasser aufnehmen können“, erklärt            bestimmter Elemente aus den folgenden Kategorien von
                      Kreyenschmidt. Weiterhin war die Suche nach              Spielzeugmaterialien:
                      einem Trägermaterial manchmal schwierig, bei-            • Kategorie I: trockene, brüchige, staubförmige
                      spielsweise für Chrom (VI), das ausgesprochen               oder geschmeidige Materialien;
                      stark oxidiert und unter den Herstellungsbedin-          • Kategorie II: flüssige oder haftende Materialien;
                      gungen der Standards sehr instabil ist.                  • Kategorie III: abgeschabte Materialien.

                                                                        23
Ein neuer
Ansatz in
der
         „Ich habe die richtigen
          Partikel gefunden,
          Versuche mit Krebs-
          zellen aus der Haut
          wurden schon gemacht.“

Krebs-
         Sara Espinoza

therapie
    24                             fhocus Ausgabe 34
Gesundheit leben

                     Haarausfall, Übelkeit, Müdigkeit und Erschöpfung – wer
                     an Krebs erkrankt ist und eine Strahlentherapie
                     machen muss, leidet etwa unter diesen Nebenwirkungen.
                     Die Krankheit besser zu bekämpfen, ist ein großes
                     Ziel vieler Wissenschaftler. Zu ihnen gehört Sara Espinoza
                     von unserem Fachbereich Chemieingenieurwesen.
                      Text und Foto Katharina Kipp

                     „UV-C Strahlung kann Krebszellen töten“, sagt die
                      Doktorandin. Die Idee: winzige Nanopartikel in
                      den menschlichen Körper einbringen und darauf
                      Röntgenstrahlung einwirken lassen. „Dadurch er-
                      zeugen Nanopartikel UV-C Strahlung und greifen
                      damit das Erbgut der umgebenden Krebszellen an.“        ↗ Die 30-Jäh-
                                                                              rige erforscht,
                      Herkömmliche Strahlentherapien könnten so sehr          wie sich Krebs
                      viel zielgerichteter und effektiver sein – und das      besser bekämp-
                                                                              fen lässt.
                      mit geringerer Strahlendosis und somit weniger
                      Nebenwirkungen. In der Theorie klingt das ein-                              Kontakt
                      fach, praktisch ist es das aber nicht. Denn wie sich                        Sara Espinoza
                                                                                                  sara.espinoza@fh-muenster.de
  Info                ein Partikel im Menschen verhält, ist abhängig von
Die Wissenschaft-     der Größe und seiner Oberfläche. „Sind die Parti-
ler in Steinfurt
und in Boston tau-    kel zu groß, passen sie nicht durch die Blutbahn.       seit Ende 2016 zusammenarbeitet. „Die Kollegen
schen sich re-        Haben sie die falschen Oberflächeneigenschaften,        sind auf uns aufmerksam geworden, weil wir 2004
gelmäßig aus. Alle
zwei Wochen           erkennt der Körper sie als fremd und stößt sie ab.      gemeinsam mit Philips ein Patent zu dieser Idee
bringen sie sich      Je winziger sie sind, desto toxischer können sie        angemeldet haben“, so Jüstel. „Dr. Martin Purschke
im Rahmen einer
Skype-Konfe-          wirken. Das müssen sie auch, aber eben nur in           hat uns kontaktiert, und seitdem arbeiten wir
renz auf den          Kombination mit Röntgenstrahlung.“ Die Partikel         zusammen.“ Schließlich sei die Radioonkologie
neuesten Stand
ihrer Forschung.      müssen wasserstabil sein, UV-C Strahlung effizient      der Medizinbereich, dessen Therapieformen bei
                      abgeben, und sie dürfen nur in Verbindung mit           mehr als 50 Prozent aller Krebserkrankungen zum
                      Röntgenstrahlung toxisch sein, nicht ohne sie. Es       Einsatz kommen. „Wenn sie noch besser werden
                      galt also das richtige Maß zu finden.                   kann, wäre das ein Riesenschritt.“

                           Kooperation mit Harvard Medical School                   Doppelter Effekt der Strahlentherapie
                     Und das ging nur durch Dutzende Versuche. „Ich           Durch die von den Forschern entwickelten Partikel
                     habe Partikel hergestellt mit verschiedenen Verfah-      wäre der toxische Effekt der Strahlentherapie min-
                     ren und unterschiedliche Materialien ausprobiert.        destens doppelt so groß bei geringeren Nebenwir-
                     Neben der Größe war auch der Anteil der Rönt-            kungen – weil die Strahlendosis nur halb so hoch
                     genstrahlung entscheidend. Es war ein ständiges          sein müsste. „Das menschliche Gewebe absorbiert
                     Ausprobieren, bis ich endlich das richtige Mate-         UV-C sehr effizient. Deshalb werden nur die Zellen
                     rial und die Synthesemethode gefunden habe.“             ringsherum bestrahlt. Die Therapie wäre dadurch
                     Schließlich schaffte Sara Espinoza den Durch-            sehr punktuell und effizient“, erklärt die 30-Jäh-
                     bruch – zumindest im Labor. „Ich habe die richti-        rige. Dass sie einmal Krankheiten erforschen und
                     gen Partikel gefunden, Versuche mit Krebszellen          bekämpfen möchte, war schon immer ihr Traum.
                     aus der Haut wurden schon gemacht. Jetzt folgen         „Und den habe ich mir erfüllt, wenngleich ich na-
                     präklinische Tests mit anderen Zellen und weitere        türlich nur einen winzigen Beitrag leiste.“ Dafür
                     Krebsmodelle.“ Das übernimmt die Harvard Me-             hat sie sogar ihre Heimat Ecuador verlassen und
                     dical School in Boston, mit der Prof. Dr. Thomas         in Norddeutschland Biotechnologie studiert. •
                     Jüstel vom Fachbereich Chemieingenieurwesen

                                                                        25
Eine Brücke

zwischen zwei
Welten
Einen Großteil unseres Alltags verbringen wir bei der Arbeit.
Dort sind wir mit physischen und psychischen Belastungen
konfrontiert. Welche technischen Lösungen können helfen,
dass wir trotzdem gesund bleiben?
Text Victoria Liesche  Foto Anne Holtkötter

                                              26                fhocus Ausgabe 34
Gesundheit leben

   Info               Forschungsprojekte zu diesem Thema haben seit           Auch die Stimmen aus der Praxis haben im IGTA
Am IGTA betei-
ligt sind die
                      Sommer 2018 ein neues Zuhause: das Institut für In-     einen hohen Stellenwert: Durch Workshops, Inter-
Fachbereiche          terdisziplinarität in Gesundheit – Technik – Arbeits-   views und andere Beteiligungsformen sollen die
Gesundheit,
Elektrotechnik
                      fähigkeit (IGTA), an dem sich verschiedene Fach-        Arbeitnehmer ihre Bedürfnisse konkret benennen,
und Informatik        bereiche unserer Hochschule beteiligen.                 sodass die Wissenschaftler ihre Entwicklungen
sowie Physi-
kalische Technik,
                                                                              mit ihnen gemeinsam darauf abstimmen können.
assoziiert sind      „Es ist sehr selten, dass sich Forschende aus so
Sozialwesen und                                                                     Eigene Ideen entwickeln
Oecotropholo-
                      vielen unterschiedlichen Bereichen zusammen-
gie ∙ Facility        schließen“, sagt IGTA-Sprecherin Prof. Dr. Anke         Bereits gestartet ist das Lehrprojekt „Mensch(lich-
Management.
                      Menzel-Begemann vom Fachbereich Gesundheit.             keit) und Technik“. Bachelorstudierende des
                      Diese Vielfalt der Kompetenzen biete die Chance,        Fachbereichs Gesundheit setzen sich mit den
                      das Schwerpunktthema, den Erhalt der Arbeitsfä-         verschiedenen Perspektiven und Herangehens-
                      higkeit, von vielen Seiten zu betrachten.               weisen bei der Entwicklung technischer Lösungen
                                                                              auseinander – gemeinsam mit Studierenden der
                      Das Ziel des Instituts: Ergebnisse hervorzubrin-        Fachrichtungen Mechatronik und Wirtschafts-
                      gen, die sowohl technisch realisierbar sind als         ingenieurwesen von der FH Bielefeld.
                      auch von Nutzern akzeptiert werden. Daran sei
                      nämlich in der Vergangenheit so manches Pro-            Geplant sind weitere Lehrprojekte, Masterstudie-             Info
                                                                                                                                        Das Projekt
                      jekt gescheitert, weiß Prof. Dr. David Hochmann.        rende des Studiengangs Lehramt am Berufskol-             „münster.land.
                     „Es gab schon einige geniale Ideen, zum Beispiel         leg werden sich beispielsweise mit technischen            leben“ geht
                                                                                                                                        eine große
                      eine Apparatur, die Pflegende beim Waschen der          Potenzialen zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit               gesellschaftli-
↖ Instituts-          Patienten unterstützt. Aber sie war so kompliziert      von Lehrenden beschäftigen. „Sie reflektieren             che Heraus-
sprecherin                                                                                                                              forderung an:
Prof. Dr. Anke        zu reinigen, dass sie einfach nicht zu den realen       dadurch ihren späteren Beruf und entwickeln               Gesundheits-
Menzel-               Arbeitsbedingungen in Kliniken und bei Pflege-          eigene Ideen, wie das Arbeiten erleichtert und            versorgung,
Begemann sieht
                                                                                                                                        Teilhabe und
die fachliche         diensten passte“, berichtet der Experte für Tech-       ein Burnout verhindert werden könnte“, erläutert          Wohlbefinden
Vielfalt der IGTA-
Mitglieder als        nische Orthopädie am Fachbereich Physikalische          Menzel-Begemann.                                          im ländlichen
große Chance.                                                                                                                           Raum. Wir
                      Technik. Gemeinsam mit Menzel-Begemann und                                                                        kooperieren
                      Prof. Dr. Dirk Fischer vom Fachbereich Elektrotech-      Forschungsprojekte sind darüber hinaus zu The-           dafür seit
                                                                                                                                        Frühjahr 2018
                      nik und Informatik bildet er den Institutsvorstand.      men wie Telerehabilitation und Ergonomie am              mit über
                                                                               Arbeitsplatz geplant. Und es mangelt nicht an            70 regionalen
                           Ein Forschungsmiteinander schaffen                                                                           Partnern.
                                                                               weiteren Ideen. Die Verankerung des Instituts
                      Damit technische Innovationen in Zukunft nicht           im großen strategischen Projekt „münster.land.
                      als Konzept in der Schublade verschwinden,               leben“ eröffnet viele Spielräume, vor allem für
                      sondern tatsächlich den Arbeitsalltag oder die           die Zusammenarbeit mit Partnern in der Region.
                      berufliche Wiedereingliederung von Menschen             „Das IGTA wird die Aktivitäten auch über den
                      erleichtern, setzt das Institut von Anfang an auf        Projektzeitraum hinaus fortführen und ist so-
                      enge Zusammenarbeit und gute Kommunikation.              mit ein wichtiger Garant der Nachhaltigkeit“, so
                     „Wir merken immer wieder, dass wir unterschiedli-         Menzel-Begemann. •
                      che ‚Sprachen‘ sprechen“, sagt Menzel-Begemann.
                     „Unter Begriffen wie zum Beispiel ‚Toleranz‘ und
                     ‚Passung‘ verstehen wir Wissenschaftler mit ge-
                      sundheitsprofessionellen Wurzeln etwas ganz
                      anderes als Ingenieure.“ Umso wichtiger sei es,
                      bei neuen Projekten genügend Zeit einzuplanen,
                      um sich gegenseitig zuzuhören und so ein echtes
                     „Forschungsmiteinander“ zu schaffen.
                                                                                Kontakt
                                                                                Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann (Institutssprecherin)
                                                                                Thilo Künnemann (Leiter Koordination)
                                                                                igta@fh-muenster.de

                                                                         27
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