UTOPIA TEODOR CURRENTZIS - OKTOBER 2022 LAEISZHALLE GROSSER SA AL - Elbphilharmonie

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UTOPIA TEODOR CURRENTZIS - OKTOBER 2022 LAEISZHALLE GROSSER SA AL - Elbphilharmonie
UTOPIA
     TEODOR
CURRENTZIS

        5. OK TOBER 2022
  L AEISZHALLE GROSSER SA AL
UTOPIA TEODOR CURRENTZIS - OKTOBER 2022 LAEISZHALLE GROSSER SA AL - Elbphilharmonie
MODERNE KULTUR IN
          EINZIGARTIGER GESTALT.

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UTOPIA TEODOR CURRENTZIS - OKTOBER 2022 LAEISZHALLE GROSSER SA AL - Elbphilharmonie
Mi, 5. Oktober 2022 | 20 Uhr | Laeiszhalle Großer Saal

UTOPIA
DIRIGENT TEODOR CURRENTZIS

Igor Strawinsky (1882–1971)
L’oiseau de feu (Der Feuervogel) / Konzertsuite (1911/1945)
Introduktion
Der Feuervogel und sein Tanz
Pantomime I
Pas de deux
Pantomime II
Scherzo: Reigen der Prinzessinnen
Pantomime III
Rundtanz der Prinzessinnen
Höllentanz des Zauberers Kaschtschej
Wiegenlied
Finale
ca. 30 Min.

Pause

Maurice Ravel (1875–1937)
Daphnis et Chloé / Konzertsuite Nr. 2 (1913)
Lever du jour
Pantomime
Danse générale
ca. 15 Min.

Maurice Ravel
La valse / Poème chorégraphique für Orchester (1919)
ca. 15 Min.
UTOPIA TEODOR CURRENTZIS - OKTOBER 2022 LAEISZHALLE GROSSER SA AL - Elbphilharmonie
KAMMERMUSIK
IN DER LAEISZHALLE
13.11. 2022 MARTIN FRÖST | ANTOINE TAMESTIT | SHAI WOSNER
14.01.2023 EMMANUEL PAHUD | AMIHAI GROSZ | ANNELEEN LENAERTS
23.04.2023 SCHUMANN QUARTETT | ANNA VINNITSKAYA

                                                                     © Gilda Fernández-Wiencken
LAEISZHALLE
KLEINER SAAL | 20 UHR
TICKETS 040 357 666 66
WWW.ELBPHILHARMONIE.DE

                                                   Projektförderer
UTOPIA TEODOR CURRENTZIS - OKTOBER 2022 LAEISZHALLE GROSSER SA AL - Elbphilharmonie
WILLKOMMEN

»Ein lang gehegter Traum wird wahr –
nicht nur für mich, sondern für eine große
Gruppe grandiose Musiker aus der ganzen
Welt, die gemeinsam ohne Kompromisse
den perfekten Klang suchen«, schwärmt
der griechische Dirigent Teodor Currentzis
von seinem neuen Orchester »Utopia«.
Mehr als 100 Musikerinnen und Musiker
aus 30 Nationen hat er dafür zusammen­
gebracht. Dass er die altehrwürdige Laeisz­
halle als eine der ersten Tournee-Stationen
ausgesucht hat, darf als Ausweis seiner
engen Beziehung zu Hamburg gelten.
Auf dem »Utopia«-Programm stehen drei
der raffiniertesten Orchesterwerke des
frühen 20. Jahrhunderts, entstanden für
die legendären »Ballets Russes« in Paris.
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Die Tänzer der Premiere: Tamara Karsawina als Feuervogel und Michel Fokine als Prinz Iwan
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DIE MUSIK

IN DER EINGANGSHALLE
DES RUHMES
Igor Strawinsky: L’oiseau de feu

Allmählich wurde es Igor Strawinsky zu dumm. Natürlich war es eine Ehre
für den gerade 26-jährigen Jungkomponisten, vom berühmten Impresario
Sergej Diaghilew eingeladen zu werden. Aber nun saß er bereits seit 20 Mi­
nuten in der Eingangshalle von dessen Sankt Petersburger Domizil und war­
tete vergeblich darauf, vorgelassen zu werden. »Ich stand also auf und ging
zum Ausgang«, berichtete er später. »Als ich die Hand auf die Klinke legte,
hörte ich hinter mir eine Stimme: ›Strawinsky, kommen Sie herein!‹ Wissen
Sie, ich habe mich oft gefragt, wenn ich mich nicht umgedreht hätte, ob ich
jemals Le sacre du printemps geschrieben hätte.«
   Nun, bis zum Sacre war es noch ein weiter Weg, aber tatsächlich sollte sich
diese allererste Begegnung zwischen Strawinsky und Diaghilew als wegwei­
send herausstellen. Schon seit einigen Jahren hatte der rührige Impresario
in Paris russische Kulturevents veranstaltet. Sein letzter Clou war es gewe­
sen, den großen Fjodor Schaljapin an die Pariser Oper zu locken. Nun musste
ein neues Zugpferd her – Ballett! Der gewiefte Diaghilew verpflichtete also
die Stars des Petersburger Mariinski-Theaters für ein Paris-Gastspiel un­
ter dem Titel »Ballets Russes« und sah sich während seines Aufenthaltes
in Sankt Petersburg auch gleich nach dem passenden Komponisten für sein
Projekt um. Anfang 1909 hörte er im Sinfoniekonzert zufällig Igor Strawins­
kys Scherzo fantastique. Diaghilew war begeistert. Spritzig, effektvoll, jung –
so stellte er sich seinen Ballettkomponisten vor.
   Diaghilew bat Strawinsky zunächst testweise um Orchester-Arrange­
ments einiger Chopin-Klavierstücke und gab für die nächste Spielzeit ein
ausgewachsenes Ballett bei ihm in Auftrag: den Feuervogel. Begeistert ließ
Strawinsky die Partitur der Oper Die Nachtigall fallen, an der er gerade feilte
(sie wurde erst sechs Jahre später aufgeführt), und stürzte sich in die Arbeit.
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DIE MUSIK

            Ohnehin hatte er ein Faible für das Ballett – an seinen Lehrer Rimski-Korsa­
            kow schrieb er einmal: »Du nennst das Ballett die geringste der szenischen
            Künste. Ich sehe das ganz anders. Ich liebe das Ballett mehr als alles an­
            dere. Und es ist meine Überzeugung, dass, wenn heute eine Art Michelangelo
            lebte – dieser Gedanke kam mir, als ich seine Fresken der Sixtinischen Ka­
            pelle sah – dann wäre die einzige Sache, die er sich zu eigen machen würde,
            die Choreografie.«
               Im Falle des Feuervogels hieß dieser »Michelangelo« Michel Fokine. Bei
            den Ballets Russes fungierte er als Startänzer, Choreograf und Dramaturg
            in einer Person. Auch das Libretto des Feuervogels stammte von ihm. Fokine
            kombinierte hier zwei bekannte russische Märchen: die Geschichte vom bö­
            sen Zauberer Kaschtschej und die vom wunderbaren Feuervogel, den der
            edle Prinz Iwan fängt und dann doch wieder freilässt. (Die Rolle des Iwan
            übernahm Fokine gleich selbst.) Schon einige Monate später stand Stra­
            winsky auch vor Fokines Tür, unter dem Arm einen Stapel Notenpapier. Fo­
            kine erinnert sich: »Strawinsky spielte mir seine Skizzen am Flügel vor, und
            ich demonstrierte die Szenen. Ich kletterte auf den Flügel, sprang herunter,
            kroch unter ihm hindurch und blickte mit Iwans schreckgeweiteten Augen in
            meinem Wohnzimmer umher.«
               Dass Fokine seine Fantasie so spielen lassen konnte, liegt nicht zuletzt
            an der ungeheuer bildhaften Musik Strawinskys. Noch weit von den wüsten
            Welten des Sacre entfernt, klingen im Feuervogel die Einflüsse von Strawins­
            kys Lehrern und Vorbildern unüberhörbar durch: die »russische« Melodik
            in der Tradition Piotr Tschaikowskys, die Harmonik von Claude Debussy und
            die Tonsprache von Rimski-Korsakow. In der Verbindung dieser Elemente
            aber, in der pfeilschnellen Musik des Feuervogels selbst, zeigt sich das Ge­
            nie Strawinskys, der und von hier seinen Siegeszug durch die Welt antreten
            sollte. »Seht ihn Euch an! Er ist ein Mann am Vorabend seines Ruhmes«, rief
            Diaghilew vor der Premiere am 25. Juni 1910 seiner Compagnie zu. Er sollte
            Recht behalten.
               Nach dem überwältigenden Erfolg des Balletts lag es nahe, die Musik in
            Form einer sinfonischen Suite für den Konzertsaal aufzubereiten. Strawinsky
            erstellte sie bereits wenige Monate nach der geglückten Premiere; später
            legte er zwei weitere Fassungen nach, die sich – aus pragmatischen Grün­
            den der jeweiligen Aufführungssituation – in Dauer und Orchesterbesetzung
            unterscheiden. Dabei gelang es ihm, durch die geschickte Zusammenstel­
            lung einzelner Ballettnummern ein musikalisch schlüssiges Konzertstück
            zu schaffen, ohne mit der Handlung zu brechen.
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»Juckend sagt mein Daumen mir: Et­
                                                         was Böses naht sich hier« – mit diesem
                                                         Shakespeare-Zitat ließe sich die Ein­
                                                         leitung zum Feuervogel beschreiben.
                                                         Dunkle Klangfarben und gruselige Ef­
                                                         fekte künden von unheilvollem Schick­
                                                         sal und der schwarzen Magie des un­
                                                         sterblichen Zauberers Kaschtschej.
                                                         Dreizehn Prinzessinnen hält er in sei­
                                                         nem Garten gefangen, in dem ein Baum
                                                         mit goldenen Äpfeln wächst. Und schon
                                                         viele Helden sind bei dem Versuch, die
                                                         Schönen zu retten, von ihm zu Stein
                                                         verwandelt worden.
Igor Strawinsky                                              Prinz Iwan jagt derweil den Feuer­
                                                         vogel. Flirrende Streicher- und Flöten­-
                                                         kl änge und das Rauschen s      ­ einer
                  (Harfen-)­Flügel stellen das märchenhafte Geschöpf musikalisch dar. Zu über­
                  schäumenden Bläserfiguren braust er durch die Baum­w ipfel, bis es Iwan
                  gelingt, ihn zu fangen. Mit einem klagenden Geigensolo bittet der Vogel um
                  Erbarmen. Schließlich lässt sich der Prinz erweichen und öffnet die Käfigtür;
                  der Feuervogel schwirrt hinaus. Als Dank verspricht er Iwan seine Dienste –
                  und die kann der Nachwuchsheld gut gebrauchen. Alsbald nämlich kommt er
                  zu Kaschtschejs Garten, wo die gefangenen Prinzessinnen kichernd mit den
                  goldenen Äpfeln spielen. Mit einem eleganten Hornsolo stellt er sich den
                  ­Damen vor, die ihn in ihren Rundtanz einbeziehen (zu Harfen- und Streicher­
                   begleitung treten nacheinander Oboe, Cello, Klarinette und Fagott solistisch
                   in Erscheinung).
                      Dann macht Iwan sich auf, in Kaschtschejs Palast einzudringen. Doch der
                   böse Zauberer ist nicht so einfach zu überrumpeln und schickt Iwan in einem
                   Höllentanz seine Blechblas-Monster entgegen. Da kommt ihm der Feuer­
                   vogel zu Hilfe und versetzt die Ungeheuer mit einem Wiegenlied in tiefen
                   Schlaf. Iwan findet in einer Höhle ein Ei, in dem die Seele Kaschtschejs ver­
                   steckt ist, zerstört es und besiegt so den Magier. Mit einem Hornruf tritt er
                   danach zurück ans Licht: Der Zauber ist gebrochen, Iwan und die dreizehn
                   Prinzessinnen sind frei. Allgemeiner Jubel.

                                                                           CLEMENS MATUSCHEK
Daphnis et Chloé: Bühnenbild von Leon Bakst

MUSIKALISCHE
ZAUBERWELTEN
Maurice Ravel: Daphnis et Chloé & La valse

In Paris lösten Sergej Diaghilews Ballets Russes und Igor Strawinskys Mu­
sik eine wahre »Russomanie« aus. Ein Jahr nach dem rauschenden Triumph
des Feuer ­vogels brachte die Truppe seine Puppentheater-Fabel Petruschka
heraus, 1912 dann gleich eine Doppel-Premiere: eine neue Choreografie zu
Debussys älterem Prélude à l’après-midi d’un faune und ein komplett neues
Ballett von ­Maurice Ravel: Daphnis et Chloé.

HIRTENTRÄUME: DAPHNIS ET CHLOÉ
Wieder stammte die Idee vom Tänzer und Choreografen Michael Fokine.
Schon 1904 hatte er in einer Buchhandlung in seiner Geburtsstadt Sankt
Petersburg eine Ausgabe des Hirtenromans entdeckt, verfasst im 2. oder
3. Jahrhundert n. Chr. vom spätantiken Dichter Longos. In mehreren An­
DIE MUSIK

läufen konnte er Diaghilew von seinem Plan über­zeugen, ihn
als Ballett auf die Bühne zu bringen und dafür Ravel zu ver­
pflichten. Und der Komponist, der von jeher ein ausgepräg­
tes Sehnsuchtsbild eines idealisierten Arkadien pflegte, griff
sofort zu.
   Das Ballett erzählt die dramatische Liebesgeschichte der
beiden Titelhelden: Chloé, die Braut des Ziegenhirten Daph­
nis, wird von Piraten entführt. Mit Hilfe des Hirtengottes Pan
kann er sie retten – wobei es sich aber eigentlich nur um eine
Vision des emotional etwas überforderten Daphnis handelt,
die anzeigt, dass die Ehe den Segen der Götter hat. Die Kon­
zertsuite des heutigen Abends umfasst die drei Abschnitte
des letzten Aktes: den Anbruch des Tages, als Daphnis aus
seinem Traum erwacht, eine Pantomine, in der Daphnis und
Chloé die mythische Geschichte von Pan und Syrinx nach­
spielen, und den bacchantischen Abschlusstanz.
   Um die Handlung ging es Ravel aber sowieso nicht, wie er
später einräumte. Vielmehr »war es meine Absicht, ein gro­
ßes musikalisches Fresko zu komponieren, weniger auf Ar­
chaik bedacht als auf die Treue zu dem Griechenland meiner
Träume, wie es die französischen Künstler imaginiert ha­
ben. Das Werk ist sinfonisch gebaut, nach einem strengen
tonalen Plan und mittels einer kleinen Anzahl von Motiven,
die die musikalische Einheit sichern.« Statt eines konventio­
nellen Nummern­balletts in möglichst authentischen Kostü­
men schwebte Ravel eine »symphonie choréo­graphique« (so
der Untertitel) vor, eine choreografierte Sinfonie also, die mit
klanglichem Raffinement in eine eher lose an der Antike ori­
entierte Traumwelt entführt.                                       Spitzentanz auf Ledersandalen:
   Diese Sichtweise löste bei Fokine jedoch wenig Begeiste­        Michel Fokine als Daphnis. Am
                                                                   Ende übernahm Star­t änzer
rung aus. Schließlich hatte dieser sich in den Kopf gesetzt,
                                                                   Vaslav Nijinsky den Part
den Hirtenroman historisierend und in Anlehnung an jene
klassisch-hellenistischen Abbildungen umzusetzen, wie sie
etwa auf antiken Vasen zu finden sind. Kein Wunder, dass die
beiden selbstbewussten Charakter­köpfe Ravel und Fokine
immer wieder aneinandergerieten. »Was die Dinge verkom­
pliziert, ist die Tatsache, dass Fokine kein Wort Französisch
kann«, so Ravel einmal über die gemeinsamen Proben, »ich
aber kann auf Russisch nur fluchen.«
DIE MUSIK

Aber nicht nur solche Streitereien ließen ihn verzweifeln. Hinzu kamen ­hitzige
Diskussionen mit Diaghilew über die Tantiemen. Auch zwischen Fokine und
dem Star­t änzer Vaslav Nijinsky, der den Daphnis verköperte, krachte es,
weil beide um die Gunst Diaghilews buhlten. Der beleidigte Fokine verließ
die Compagnie und kehrte erst zurück, als N   ­ ijinsky heiratete und daraufhin
seinerseits vom eifersüchtigen Diaghilew geschasst wurde. Und auch un­
ter den anderen Tänzern rumorte es, da manche die Musik als zu schwierig
empfanden. »Die Musik zu Daphnis et Chloé barg in sich eine Menge Unter­
wasserriffs«, erklärte die Primaballerina Tamara Karsawina – die erste
Chloé – später, »klangvoll, erhaben und transparent, einem kristallreinen
Quell vergleichbar, war sie gleichzeitig überreich an heimtückischen Fallen.«
Schon erstaunlich, dass dieselbe Truppe, die nur ein Jahr später Strawinskys
barbarisch schweren Coup Le sacre du printemps furios meistern sollte, jetzt
beim 5/4-Takt im finalen Danse générale ihre Mühen hatte. Immerhin wusste
Ravel Rat und erklärte den Tänzern, bei den Proben einfach rhythmisch den
Namen »Ser–gej–Dia–ghi–lew« zu skandieren.
   Bei der Premiere am 8. Juni 1912 im Théâtre du Châtelet, ausverkauft bis
auf den letzten Platz, zeigte sich Ravel Zeitzeugen zufolge dennoch erstaun­
lich entspannt. Obwohl die Aufführung bereits im vollen Gange war, unter­
hielt er sich hinter der Bühne angeregt mit einer alten Freundin. Eine knappe
Stunde später – so lange dauert das komplette Ballett – verspürte Monsieur
wenig Lust, sich zusammen mit den Tänzern dem mäßigen Applaus zu stel­
len. Und als der Direktor der Pariser Opéra einige Monate später ein neues
Bühnenwerk bei ihm bestellen wollte, antwortete Ravel ihm: »Daphnis et
Chloé war eine so ununter­brochene Tortur für mich, dass mir vorerst jede
Lust auf ein ähnliches Unternehmen vergangen ist.«

WALZERTRÄUME: LA VALSE
Volle sieben Jahre dauerte es, bis sich Diaghilew wieder mit einer derart um­
fangreichen Anfrage an Ravel herantraute. Doch als er den Komponisten 1919
mit einem Ballett über Wien und seine Walzer beauftragte, war die Welt eine
andere. Der Erste Weltkrieg hatte die politische Landkarte Europas verän­
dert; ganze Gesellschaftsordnungen zerfielen, an die Stelle der alten Monar­
chien traten Demokratien (und in Russland der Kommunismus). Zudem hin­
terließen der allgegenwärte technische Fortschritt und die Zerstörungen der
industrialisierten Kriegsführung tiefe Spuren in der Lebenswirklichkeit und
der Psyche der Menschen. Ravel, der sich in der anfänglichen allgemeinen
Kriegseuphorie freiwillig zur Armee
gemeldet hatte und als Lastwagenfah­
rer eingesetzt wurde, erlebte das am
eigenen Leibe.
   Und nun sollte er ein hoffnungslos
auf Retro-Idylle gepoltes Ballett kom­
ponieren, eine Hommage an Johann
Strauß und den Wiener Walzer? Den
konnte Richard Strauss in seiner Oper
Der Rosenkavalier vielleicht noch fei­
ern, aber die war ja auch vor dem Krieg
entstanden. Andererseits hatte Ravel
selbst noch ältere Skizzen für ein sol­
ches Projekt in der Schublade, und so
sagte er zu. Wie schon bei Daphnis und
Chloé entzog er sich gleichzeitig der
Vorgabe und schuf mit La Valse kein           Maurice Ravel
Ballett im klassischen Sinne, sondern
ein »poème choréographique«.
   Auf den ersten Blick liest sich seine Beschreibung im Vorwort der Partitur
zwar recht konkret: »Wie durch Wolkenschleier sind Walzer tanzende Paare
zu erkennen. Allmählich lichtet sich der Nebel und gibt den Blick frei auf ei­
nen Festsaal mit einer wirbelnden Menschenmenge. Kronleuchter verströ­
men helles Licht. Ein Kaiserhof um 1855.« Doch die Musik, die Elemente des
Wiener Walzers aufgreift und durch impressionistische Stilmittel erweitert,
spricht eine andere Sprache. Nach und nach weicht die Walzerseligkeit ver­
zerrten Rhythmen und dissonanten Harmonien; das Stück mündet in Chaos
und Gewalt. Die Maske der heilen alten Welt fällt.
   Sergej Diaghilew, wen wundert’s, war nicht zufrieden. Für ihn sei dies kein
Ballett, sondern bloß das »Porträt eines Balletts«, schimpfte er. Ravel zuckte
mit den Schultern und brachte La Valse eben zunächst als reines Orchester­
werk zur Uraufführung. Eine Choreografie konzipierte Bronislava Nijinska,
die ebenfalls in Diaghilews Truppe engagierte Schwester von Vaslav Nijinsky,
erst 1928 – im selben Jahr, in dem sich der Ballett-Skeptiker Ravel mit seinem
Boléro endgültig in die Geschichtsbücher des Balletts eintrug.

                                        GUIDO FISCHER / CLEMENS MATUSCHEK
BIOGR AFIEN

TEODOR CURRENTZIS
DIRIGENT

Teodor Currentzis hat sich weltweit einen Namen als dynamischer Dirigent
und furioser Erneuerer der klassischen Musik gemacht. Sein außergewöhn­
lich breit angelegtes Repertoire reicht von mittel­alterlicher Musik bis zu ein­
drücklichen Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten. Auftritte führen
ihn regelmäßig in wichtige Konzert- und Opernhäuser wie die Berliner Phil­
harmonie, die Philharmonie de Paris und das Festspielhaus Baden-­B aden,
die Mailänder Scala, Bayerische Staatsoper und das Moskauer Bolschoi-
Theater sowie zu den Salzburger Festspielen und dem Lucerne Festival. Mit
Hamburg verbindet ihn eine besonders enge Beziehung: In Laeiszhalle und
Elbphilharmonie war er in den vergangenen sechs Jahren 20 Mal zu Gast.
   1972 in Griechenland geboren, zog Currentzis Anfang der 1990er Jahre
nach Sankt Petersburg, um beim legendären Ilya Musin Dirigieren zu studie­
ren. 2004 gründete er das Orchester musicAeterna, das er bis heute leitet.
Neben Residenzen in Nowosibirsk und Perm gastierte er mit dem Ensemble
auf allen bedeutenden Bühnen der internationalen Musikwelt. Für seine Pro­
duktionen arbeitete er mit so renommierten Regisseuren wie Robert Wilson,
Romeo Castellucci und Peter Sellars zusammen.
   Seit der ­S aison 2018/2019 hat Currentzis zusätzlich das Amt des Chef­
dirigenten beim SWR Symphonie­orchester inne. Seit 2012 kuratiert er das
renommierte Diaghilew-Festival in Perm. ­Bereits einige Jahre zuvor war er
einer der Gründer des Territory-Festivals für moderne Kunst in Moskau.
   2017 kürte das Musik­magazin Opernwelt Currentzis zum Dirigenten des
Jahres. Viele seiner CDs sind mit internationalen Preisen ausgezeichnet
worden, darunter der BBC Music Magazine Award in der Kategorie Oper, ein
Edison Klassiek, ein Echo Klassik und ein J­ apanese Record Academy Award.
UTOPIA
»Ein lang gehegter Traum wird wahr – nicht nur für mich, sondern für eine
große Gruppe grandioser Musiker aus der ganzen Welt, die gemeinsam ohne
Kompromisse den perfekten Klang suchen«, schwärmt ­Teodor Currentzis
von seinem neuen Orchesterprojekt Utopia. »Es ist der Versuch, den Rah­
men jener respektablen altehrwürdigen Institutionen zu verlassen, der ein
Segen sein kann, aber auch ein Fluch, weil er einen gewissen internationalen
Standard-Sound erzeugt. Wir dagegen begeben uns auf ein experimentelles
Feld, um gemeinsam mit vollem Einsatz den perfekten Klang zu suchen. Da­
für möchten wir die Intimität und Intensität der Kammermusik auf ein großes
Sinfonie­orchester übertragen. Also lassen wir hinter uns, was wir kennen,
und wagen den Sprung ins Ungewisse. Natürlich ist das eine utopische Idee.
Aber Träume werden nur wahr, wenn man wagt, das Undenkbare zu denken.«
   Für diese Vision hat Currentzis 116 Musiker:innen aus 30 Ländern der Welt
zusammengetrommelt: aus West- und Osteuropa, Nord- und Südamerika,
Australien, Ostasien und dem Mittelmeerraum. Sie spielen fest in den re­
nommiertesten Orchestern oder Kammermusikformationen oder sind in der
freien Szene aktiv. Kontrabassist Rick Stotijn formuliert es so: »In einer aus­
einanderdriftenden Welt wollen wir einen Raum schaffen, der verbindet an­
statt zu trennen, der hilft, einen Dialog zu schaffen. Wir möchten zeigen, dass
Hoffnung und Licht stärker sind als alle widrigen Umstände.« Utopia hat kei­
nen festen Stammsitz; die Musiker:innen kommen für jedes neue Projekt ei­
gens zusammen.
BIOGR A FIEN

Die Idee zum Projekt entstand bereits vor einigen Jahren.
Ausgangspunkt war die Tatsache, dass das Bedürfnis von
Musiker:innen, sich intensiv mit den Werken auseinander­
zusetzen und einen gemeinsamen Klang zu finden, ebenso
wichtig zum Erreichen visionärer künstlerischer Ziele ist wie
musikalische Expertise. Utopia ist also weniger ein Orches­
ter im herkömmlichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr
eine besondere kreative Gemeinschaft; ein Team von Gleich­      Im Rahmen seiner aktuellen
gesinnten mit einer gemeinsamen Vision. Sie schließen sich      Gründungs-Tournee gastiert das
                                                                Orchester noch in Berlin und
zusammen, um kompromisslos zu gestalten, um ihre musi­
                                                                Wien. Im Juni 2023 folgt eine
kalischen Vorstellungen zusammenzubringen, um den bes­          weitere Reihe von Konzerten mit
ten Klang zu erzielen. Es ist der idealistische Versuch, eine   Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 3.
Herangehensweise zu ent­w ickeln, mit der die innere Essenz
eines musikalischen Textes erreicht wird.
   Utopia versucht, die besten Musiker:innen aus der gan­
zen Welt zusammenzubringen und gleichzeitig strukturell,
finanziell und organisatorisch unabhängig von Institutionen
zu bleiben. Das Orchester finanziert sich aus Konzert­erlösen
und wird von der Kunst und Kultur DM Privatstiftung und ver­
schiedenen anderen europäischen Förderern unterstützt.
VIOLINE I                        VIOLA
Ji Yoon Lee (Konzertmeisterin)   Gilad Karni
Olga Volkova                     Hayaka Komatsu
Nikita Boriso-Glebsky            Orhan Celebi
Julia Igonina                    Mikhail Kovalkov
Stephanie Baubin                 Riikka Repo
Anna Matz                        Alexander Akimov
Lea Schwamm                      Gerald Kakoum
Alexandra Preucil                Florian Peelman
Kseniia Gamaris                  Héloïse Houzé
Mathias Hochweber                Elizaveta Zolotova
Evegenia Pavlova                 Natanael Ferreira dos Santos
Giuseppe Mengoli                 Maya Tal
Martina De Luca                  Rumen Cvetkov
Sornitza Rieß                    Nail Bakiev
Andreas Neufeld                  Giulia Wechsler
Arsenis Selalmazidis             Alejandro Regueira
Irina Chepizhnaya
Esther Augusti                   VIOLONCELLO
                                 Konstantin Pfiz
VIOLINE II                       Cyrille Lacrouts
Christoph Koncz                  Alexey Zhilin
Michael Dinnebier                Miriam Prandi
Anastasia Strelnikova            Flurin Cuonz
Silke Meyer-Eggen                Kaori Yamagami
Ludovica Nardone                 Lev Sivkov
Margarita Sikoeva                Yibai Chen
Christian Heubes                 Thomas Ruge
Lina Vartanova                   Teodor Rusu
Federica Giani                   Dmitry Silvian
Maxime Michaluk                  Christophe Morin
Julia Roudine-Turnovsky          Angela Park
Nazeli Arsenyan                  Noel Wilde
Nanni Malm                       Ivan Sendetskiy
Roberta Verna
Simyon Gavrikov                  KONTRABASS
Martina De Luca                  Rick Stotijn
Nicola Bruzzo                    Lorraine Campet
                                 Artem Chirkov
                                 Antal Racz
BESE TZUNG

Jaquin Arrabal                 HORN
Hayk Khachatryan               Abel Pereira
Hugh Kluger                    Michael Armbruster
William Cravy                  Leonid Voznesensky
                               Tobias Heimann
FLÖTE
Clément Dufour                 TROMPETE
Anna Komarova (Piccolo)        Thomas Hammes
Fanny Morel (Piccolo)          Matthew Sadler
Vicent Morello                 Benedikt Neumann
                               Pavel Kurdakov
OBOE
Nora Cismondi                  POSAUNE
Johanna Stier (Oboe d’amore)   Lars Karlin
                               Jamie Williams
ENGLISCHHORN                   Tomer Maschkowski
Michael Rosenberg
                               TUBA
KLARINETTE                     Jozsef Bazsinka
Spyridon Mourikis
Vicente Alberola Ferrando      PAUKEN
                               Raymond Curfs
ES-KLARINETTE
Manuel Martinez                SCHLAGWERK
                               Jean-Baptiste Leclère
BASSKLARINETTE                 Claudio Estay
Renaud Guy-Rousseau            Carlos Vera Larrucea
                               Ulf Breuer
FAGOTT                         Rosa Montanes
Talgat Sarsembaev              Dirk Wucherpfennig
Mor Biron                      Marcel Morikawa
Jesus Villa Ordóñez            Giacomo Bacchio
                               Edoardo Giachino
KONTRAFAGOTT
Hans Agreda                    HARFE
                               Noelia Cotuna
SAXOFON                        Gaël Gandino
Christoph Enzel
Ties Mellema                   KLAVIER / CELESTA
                               Olga Pashchenko
DAS ALTE WERK
21.11.2022   L’ACHÉRON / VOX LUMINIS
             »REQUIEM«
10.02.2023 ENSEMBLE PYGMALION / RAPHAËL PICHON
           »WEGE ZU BACH: BACHS MEISTER«
21.03.2023 LA CETRA BAROCKORCHESTER BASEL
           »DER FRANZÖSISCHE CORELLI«
06.04.2023 MUSICAETERNA / TEODOR CURRENTZIS
           BACH: MESSE H-MOLL
09.05.2023 IL POMO D’ORO / JAKUB JÓZEF ORLIŃSKI
           HÄNDEL: TOLOMEO, RÈ DI EGITTO

                                                               © Sophie Wolter

ELBPHILHARMONIE & LAEISZHALLE
ELPHI.ME/DASALTEWERK

                                             Projektförderer
TIPP

WOLFGANG RIHM ZUM 70.
Als der Komponist Wolfgang Rihm Mitte der 1970er-Jahre auf
die Bühne trat, sorgte er für großes Erstaunen: So viel Aus­
druck, so starke Emotionen waren in der zeitgenössischen
Musik eigentlich verpönt. Zum Glück haben sich die Zeiten
geändert – und Rihm zählt mit seinen mehr als 600 Werken
zu den renommiertesten und produktivsten Komponisten der
Gegenwart. Im März feierte der gebürtige Karlsruher seinen
70. Geburtstag, zu dem viele Künstler über das Jahr hinweg
klingend gratulieren. So etwa das Ensemble Modern, eine
allseits verehrte Institution der Szene, das unter der Leitung
von Rihms Kollegen Enno Poppe sein »Concerto Séraphin«
in die Elbphilharmonie bringt: ursprünglich eine Art instru­
mentales Theaterstück, nun für den Konzertsaal adaptiert.
Auch der Bariton Georg Nigl, der Rihm in einen romantischen
Liederabend einbettet, schließt sich den Feierlichkeiten an.

Sa, 22.10.2022 | 20:00 Uhr | Ensemble Modern
Mo, 24.10.2022 | 19:30 Uhr | Georg Nigl / Olga Pashchenko

                  Es ist nicht gestattet, während des Konzerts zu filmen oder zu fotografieren.

                  IMPRESSUM
                  Herausgeber: HamburgMusik gGmbH
                  Geschäftsführung: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen Margedant
                  Redaktion: Clemens Matuschek, Simon Chlosta, Laura Etspüler, François Kremer,
                  Julika von Werder, Dominik Bach, Juliane Weigel-Krämer, Janna B. Heider, Nina van Ryn
                  Lektorat: Reinhard Helling
                  Gestaltung: breeder design
                  Druck: Flyer-Druck.de
                  Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier

                  Anzeigen: Antje Sievert, +49 40 450 698 03, antje.sievert@kultur-anzeigen.com

                  BILDNACHWEIS
                  Tamara Karsawina und Michel Fokine (unbezeichnet); Igor Strawinsky (unbezeichnet);
                  Daphnis et Chloé: Bühnenbild von Leon Bakst (The Red List); Michel Fokine (The Red List);
                  Maurice Ravel (private Sammlung); Teodor Currentzis (Nikita Chuntomov); Wolfgang
                  Rihm (Eric Marinitsch / Universal Edition)
WIR DANKEN UNSEREN PARTNERN

PRINCIPAL SPONSORS   CLASSIC SPONSORS          FÖRDERSTIFTUNGEN
SAP                  Aurubis                   Claussen-Simon-Stiftung
Kühne-Stiftung       Bankhaus Berenberg        Cyril & Jutta A. Palmer Stiftung
Julius Bär           Commerzbank AG            Ernst von Siemens Musikstiftung
Deutsche Telekom     Dr. Wolff Group           G. u. L. Powalla Bunny’s Stiftung
Porsche              DZ HYP                    Hans-Otto und
Rolex                Edekabank                    Engelke Schümann Stiftung
                     GALENpharma               Haspa Musik Stiftung
                     Hamburg Commercial Bank   Hubertus Wald Stiftung
                     Hamburger Feuerkasse      Körber-Stiftung
                     HanseMerkur               Mara & Holger Cassens Stiftung
                     KRAVAG-Versicherungen
                     Wall GmbH
                     M.M.Warburg & CO          STIFTUNG
                                               ELBPHILHARMONIE

                     PRODUCT SPONSORS
                     Coca-Cola                 FREUNDESKREIS
                     Hawesko                   ELBPHILHARMONIE
                     Melitta                   LAEISZHALLE E.V.
                     Ricola
                     Störtebeker

                     ELBPHILHARMONIE CIRCLE
Es ist das Besondere,
das Wellen schlägt.
Der offizielle Weinpartner
der Elbphilharmonie

  Mehr Infos unter:
  hawesko.de/elphi
W W W.ELBPHILHARMONIE.DE
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