Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit

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Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Das gesellschaftliche
  Engagement der
 DAX-Unternehmen
      im Check

                        Vergebene Chancen
                            Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen
                            Corporate Citizenship zur Stärkung
                                           ihrer Nachhaltigkeit
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Vorwort
Spätestens seit der Bundestagswahl am 26. September 2021 ist klar: Die nächste Bundes-
regierung wird sich dem 1,5-Grad-Klima-Ziel verpflichtet fühlen. Ob ihre Vorhaben dafür
dann auch wirklich ausreichen, ist die große Frage. Und nicht die einzige: Biodiversi-
tätsverlust, Ungleichheit und Armut, die Bedrohung unserer Demokratie und nicht
zuletzt die Überwindung der COVID -19-Pandemie sind globale Herausforderungen, die
Deutschland nicht im Ansatz allein bewältigen kann. Wir sind davon überzeugt: Selbst
Staat und Zivilgesellschaft zusammen werden das nicht schaffen. Unternehmen können
und müssen ein Teil der Lösung sein. Denn sie sind seit jeher Orte, an denen technische
und soziale Innovationen entwickelt, umgesetzt und skaliert werden. Deswegen braucht
es allen voran auch Unternehmen, wenn der notwendige Wandel gelingen soll.
    Als langjährige Partner setzen wir uns bei Wider Sense und goetzpartners dafür ein,
Unternehmen genau dabei zu begleiten. Unser Anspruch: Unternehmen zukunftsfähig
zu machen, sie nachhaltig aufzustellen und mit dem Wissen und den Instrumenten
auszustatten, um gemeinsam mit anderen Stakeholder*innen positiv in Gesellschaften
mitzuwirken. Glaubwürdigkeit, Partnerschaft und eine klare strategische Ausrichtung
mit nachweisbarer Wirkung sind hierbei zentrale Handlungsprinzipen.
    Die Erweiterung des DAX auf 40 Unternehmen schien uns ein passender Zeitpunkt,
erneut herauszufinden, wie Corporate Citizenship deutscher Unternehmen derzeit
aussieht. In unserer Vorgängerstudie hatten wir das bereits 2017 getan. Seitdem hat sich
vieles verändert. Wir haben uns gefragt: Was braucht es, damit gesellschaftliches Enga-
gement von Unternehmen wirkungsvoller wird? Die Ergebnisse unserer neuen Studie
zeigen, dass Corporate Citizenship in Zeiten von ESG , Purpose und EU -Taxonomie ein
fester Bestandteil unternehmerischen Handelns sein muss. Und die Studie beschreibt
eine Vielzahl guter Unternehmenspraxen. Sie zeigt, dass Unternehmensengagement sehr
ambitioniert sein kann: Merck hat sich zum Ziel gesetzt, eine ganze Krankheit auszu-
rotten, Bayer will bis 2030 100 Millionen Frauen mit Verhütungsmitteln versorgen und
SAP rüstet über 2 Millionen Menschen im Jahr mit digitalem Wissen und Programmier-
kenntnissen aus. Drei Beispiele von vielen, die zeigen, was möglich ist. Unsere Studie
wirft aber auch Fragen auf zur Weiterentwicklung des Feldes. Noch werden zu viele
große Chancen unnötig vergeben. Mit dieser Studie wollen wir einen Beitrag leisten, das
zu ändern.
    An dieser Stelle möchten wir uns bei allen teilnehmenden Unternehmen und ihren
Repräsentant*innen bedanken, ohne die diese Studie in dieser Form nicht möglich
gewesen wäre. Den befragten Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft
Dr. Holger Backhaus-Maul (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Halle-Witten-
berg), Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons (Chair of Sustainable Business, Universität
Mannheim), Nicolas Malmendier (Corporate Initiative Associate, European Venture
Philanthropy Association); Jon Mertz (Purpose Entrepreneur; Gründer von Santa Fe
Innovates), ­Conradin von Nicolai (Spezialist Unternehmenspartnerschaften, UNICEF ),
Maike Röttger (Beraterin für Sozialengagement; ehemals Geschäftsführerin von Plan
International Deutschland) und Jessica Sommer (Director of Corporate Partnerships,
Save the Children) möchten wir hier ebenfalls Danke sagen.

Herzliche Grüße

Michael Alberg-Seberich              Armin Raffalski
Geschäftsführer                      Partner
Wider Sense                          goetzpartners

                                                                                       1
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Inhalt

4        Executive Summary
6        Zum Hintergrund
7          Neue Anforderungen an die Nachhaltigkeit
           von Unternehmen
10         Warum diese Studie?
11         Was ist gutes Corporate Citizenship?
14         Studiendesign
16       Erkenntnisse
18         Erkenntnis 1: Seit 2017 hat sich wenig getan.
22         Erkenntnis 2: In der Pandemie wurden mehr
           Ressourcen mobilisiert.
24         Erkenntnis 3: Corporate Citizenship ist professioneller
           geworden, aber noch wenig digital.
26         Erkenntnis 4: Fehlender Fokus macht Engagement
           ­ineffizient und schwieriger zu vermitteln.
29         Erkenntnis 5: Konzerne engagieren sich stärker
           für ihre eigenen Nachhaltigkeitsthemen.
32         Erkenntnis 6: Unternehmen verknüpfen soziales
           ­Engagement und Kerngeschäft noch selten.
36         Erkenntnis 7: Corporate Volunteering setzt
           noch wenig auf Mitarbeitenden-Know-how.
38         Erkenntnis 8: Partnerschaften sind wichtig,
           ihre Qualität variiert.
40         Erkenntnis 9: Politische Positionierung bleibt
           eine Seltenheit.
42         Erkenntnis 10: Es mangelt an Wirkungsmessung.
46       Fazit
48       Quellen
49       Glossar
32       Wer wir sind
52       Impressum
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Executive Summary
                                                                               des Kerngeschäfts zu mehr
                                                                               Nachhaltigkeit begonnen. Allein
                                                                               Corporate Citizenship – also das
                                                                               gesellschaftliche Engagement
                                                                               von Unternehmen – hat sich
                                                                               bisher noch wenig verändert.
                                                                               Dabei kann Corporate Citizenship
                                                                               zu einem Labor für nachhaltige
                                                                               Geschäftsentwicklung werden. Es
                                                                               kann Impulse setzen, sinnstiftend
                                                                               wirken, Emotionen ansprechen oder
                                                                               in Kooperationen mit Wissenschaft
                                                                               und Zivilgesellschaft Themen adres-
                                                                               sieren, die im Kerngeschäft relevant
                                                                               sind: die Reduktion von Plastik, die
                                                                               Wiederaufforstung von Wäldern oder
                                                                               Menschenrechte entlang der Liefer-
                                                                               kette.
                                                                                   Die vorliegende Studie
                                                                               analysiert die Corporate-
                                                                               Citizenship-Aktivitäten der
                                                                               DAX40-Unternehmen. Sie zeigt,
                                                                               dass Corporate-Citizenship-Praxis
                                                                               aktuell noch viele Chancen vergibt.
                                                                               Sie zeigt aber auch inspirierende
                                                                               Entwicklungen und Beispiele für
                                                                               strategisches Engagement, bei denen
                                                                               Synergien mit dem Kerngeschäft
                                                                               genutzt werden – zum Vorteil der
                                                                               Gesellschaft und des kommerziellen
                                                                               Erfolgs. Die Studie wendet dabei
                                                                               den bewährten Ansatz von Wider
                                                                               Sense und goetzpartners entlang
Seit wir, Wider Sense und goetz-        Übernahme gesellschaftlicher           der Dimensionen Strategie, Res-
partners, 2017 die erste Studie zum     Verantwortung. Ohne sofortigen         sourcen, Umsetzung und Ergebnis
gesellschaftlichen Engagement der       aktiven Beitrag der Wirtschaft         an. Sie stützt sich dabei auf eine
DAX -Unternehmen veröffentlicht         werden unsere Gesellschaften den       umfangreiche Analyse öffentlich
haben, haben sich die Rahmenbedin-      großen Problemen unserer Zeit nicht    verfügbarer Informationen
gungen für Unternehmen fundamen-        begegnen können. Das große Vorha-      sowie qualitative Interviews mit
tal verändert: In nur vier Jahren ist   ben der Weltgemeinschaft – formu-      Expert*innen und Vertreter*innen
Nachhaltigkeit zum obligatorischen      liert in den Sustainable Development   von 28 DAX -Unternehmen.I
Thema für die Vorstandsebene            Goals (SDGs) – droht zu scheitern.
geworden. Die sozialen und öko-             Keine Entwarnung, aber wir
logischen Herausforderungen der         sehen Bewegung: Angespornt durch
Welt haben sich – nicht zuletzt durch   neue Regulatorik wie die EU -Taxo-
die COVID -19-Pandemie – noch           nomie oder das Lieferkettengesetz
einmal dramatisch verschärft. Staat,    sowie steigende Nachfrage nach
Finanzmärkte, Kund*innen und            ESG -Investments und massiven
Mitarbeitende erwarten von              Druck vonseiten der Konsu-
Unternehmen mehr denn je die            ment*innen hat die ­Transformation
                                                                                                                  4
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
E xe c u t i ve Su m m a r y

Die Studie erbringt die folgenden     5. Konzerne engagieren sich              10. Es mangelt an Wirkungs-
zehn Erkenntnisse:                       jedoch stärker für ihre eige-             messung. Nur 44 Prozent der
                                         nen Nachhaltigkeitsthemen.                Unternehmen berichten aggre-
1. Seit 2017 hat sich wenig ge-          75 Prozent der Unternehmen                giert auf der Ebene der ge-
   tan. Einige Unternehmen wie           fokussieren sich zumindest                leisteten Aktivitäten (Output),
   Bayer, Deutsche Post, Deut-           teilweise auf Themen, die für             nur 8 Prozent berichten über
   sche Telekom, Merck und SAP           ihre eigene nachhaltige Ent-              erreichte Wirkung (Outcomes).
   übernehmen eine Führungs-             wicklung wesentlich sind.
   rolle. Andere wie E.ON, Henkel,                                             Corporate Citizenship wird meist
   Munich RE und Siemens haben        6. Unternehmen verknüpfen                noch nicht so professionell ver-
   sich verbessert. Viele andere         soziales Engagement und               folgt wie das Kerngeschäft: Purpose
   haben sich seit 2017 nur wenig        Kerngeschäft noch selten.             und Strategie entwickeln, Ziele
   weiterentwickelt.                     Damit fallen deutsche Konzer-         setzen, Synergien und Kompeten-
                                         ne im internationalen Vergleich       zen im Unternehmen klären, Maß-
2. In der Pandemie wurden                zurück.                               nahmen definieren, Ressourcenbe-
   dennoch mehr Ressourcen                                                     darf ableiten, umsetzen, Fortschritt
   mobilisiert. DAX-Unterneh-         7. Corporate Volunteering setzt          messen und über die Ergebnisse
   men gaben im Jahr 2020 über           noch wenig auf Mitarbeiten-           berichten.
   860 Millionen Euro in Geld-           den-Know-how. 36 Unterneh-                Dies zu ändern ist eine Leader-
   und Sachspenden für gemein-           men unterstützen Mitarbei-            ship-Aufgabe. Sie sollte von der
   nützige Zwecke – ein Großteil         tenden-Engagement. Nur neun           Unternehmensführung ebenso
   davon im Kontext der COVID-           Unternehmen verfügen über             wahrgenommen werden wie von
   19-Pandemie.                          langfristige Programme zum            CSR -Abteilungen. So können sowohl
                                         Skills-based Volunteering.            große als auch kleine Unternehmen
3. Corporate Citizenship ist                                                   die Wirkung ihres gesellschaftlichen
   professioneller geworden,          8. Partnerschaften sind wich-            Engagements erhöhen, Stakehol-
   aber noch wenig digital.              tig, ihre Qualität variiert.          der*innen-Beziehungen verbessern
   77 P
      ­ rozent der Unternehmen           Hierbei stehen vor allem die          und zugleich die nachhaltige Trans-
   verfügen mittlerweile über            großen internationalen NGOs           formation des Unternehmens
   globale Spendenrichtlinien, die       im Vordergrund – aber auch            effektiv und glaubwürdig voran-
   allerdings meist intransparent        gezielte lokale Ansätze können        treiben. Es entsteht eine Win-win-
   bleiben. Nur 14 Unternehmen           viel leisten.                         Situation für Unternehmen und
   berichten über ­digitale Engage-                                            Gesellschaft.
   ment-Plattformen.                  9. Politische Positionierung
                                         bleibt eine Seltenheit. Im
4. Fehlender Fokus macht                 Gegensatz zu anderen Ländern
   Engagement nach wie vor               wie den USA fehlt deutschen
   ineffizient und schwieriger           Konzernen noch der Mut, sich
   zu vermitteln. 90 Prozent             zu gesellschaftlichen Themen
   der Unternehmen engagieren            zu positionieren.
   sich in drei unterschiedlichen
   Themen oder mehr.

                                                         I   Die übrigen DAX-Unternehmen haben entweder nicht auf unse-
                                                             re Anfrage reagiert oder standen für ein Gespräch zu ihrem
                                                             Corporate Citizenship nicht zur Verfügung.
                                                                                                                                   5
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Zum Hintergrund
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Neue Anforderungen
an die Nachhaltigkeit
von Unternehmen
Die COVID-19-Pandemie hat in den vergangenen eineinhalb Jahren
drängendste gesellschaftliche ­Probleme verschärft. Der Weg zur
Lösung dieser Jahrhundertherausforderungen scheint schwieriger
denn je. Umso notwendiger ist es, dass dafür alle gesellschaft-
lichen Ressourcen mobilisiert werden. Unternehmen müssen
jetzt ihren Beitrag leisten. Wollen sie langfristig in ihren Märkten
bestehen, wird dies für sie zunehmend obligatorisch. Es bietet
ihnen aber auch die Chance, sich aktiv zu positionieren.

                  Im Mai 2017 haben wir, Wider Sense und goetzpartners, die erste Studie zum gesell-
                  schaftlichen Engagement der DAX -Unternehmen veröffentlicht. Seitdem ist viel
                  passiert: Me Too, Black Lives Matter, Fridays for Future – drei Stichwörter reichen,
                  um die rasant gewachsenen gesellschaftlichen Herausforderungen zu verdeutlichen.
                  Im Jahr 2015 wurden die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen
                  verabschiedet: 17 Ziele für eine nachhaltigere Welt, die bis 2030 erreicht werden sollen.
                  Einhellige Auffassung ist, dass diese verfehlt werden, wenn sich nicht vieles gra-
                  vierend ändert. Vor diesem Hintergrund sehen sich auch Unternehmen gestiegenen
                  Erwartungen ihrer Stakeholder*innen ausgesetzt:

                  Erwartungen an Unternehmen

                  Gesetzgebung: In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass Legislativen Unter-
                  nehmen zunehmend hinsichtlich ihrer nachhaltigen Entwicklung in die Pflicht neh-
                  men. Beispielsweise hat die EU mit ihrer Direktive 2014/95/EU Konzerne zu bestimmten
                                                                                                              7
Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Ne ue A nforde r un g e n an die Nach h alt ig ke it von Unte r ne hm e n

Aspekten sozialer und ökologischer Berichterstattung verpflichtet. Am 4. Juni 2021
wurde zudem der EU Taxonomy Climate Delegated Act verabschiedet. Dieser definiert
Kriterien für eine europaweit einheitliche Klassifikation von Wirtschaftsaktivitäten, die
einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder Anpassungen vor dem Hintergrund
der Klimakrise leisten.1 Die Kriterien sollen künftig Investitionen für den Klimaschutz
mobilisieren. Erweiterungen zu sozialen sowie weiteren Umweltthemen sind bereits
in Planung.
    Auf nationaler Ebene hat sich mit der Verabschiedung des Lieferkettensorg-
faltspflichtengesetzes 2021 ebenso die Regulatorik verschärft. Länder wie Frankreich,
Südafrika und Indien haben verschiedene Aspekte des sozialen Engagements in den
Bereichen Unternehmensspenden und Corporate Impact Investing mandatiert. Auch
hierzulande könnte es künftig zu gesetzlichen Vorgaben im Bereich Corporate Citi-
zenship kommen.

Rechtsprechung: 2021 hat gezeigt, dass Konzerne auch durch die Rechtsprechung
gezwungen werden können, nachhaltiger zu werden. Ein Beispiel ist das Urteil des
Bezirksgerichts von Den Haag, das Royal Dutch Shell vorschreibt, bis 2030 seine
Treibhausgasemissionen um 45 Prozent zu reduzieren.2 Das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Klimaschutzgesetz der Bundesregierung im April 2021 wirkt sich
ebenso indirekt auf Unternehmen aus und schafft einen wichtigen
Präzedenzfall für die Zukunft.3 So haben verschiedene Umweltver-
bände im September 2021 angekündigt, die Konzerne Volkswagen,
Daimler, BMW und Wintershall Dea per Zivilklage zu weiteren
Klimaschutzmaßnahmen zu zwingen.4 Greenpeace hat seine Klage
gegen Volkswagen mittlerweile eingereicht.5 Was aus diesen Klagen
wird, bleibt abzuwarten. Aber eines ist klar: Die Erwartungen
steigen auch hier.

Finanzmärkte: Die Finanzmärkte beziehen zunehmend Kriterien
in Bezug auf Environment, Social und Governance (ESG ) in Inves-
titionsentscheidungen ein. Allein von 2016 bis 2018 sind nachhaltig
orientierte Assets in Europa und den USA um 25 Prozent auf mehr
als 26 Billionen Dollar angewachsen.6 Bis 2025 könnten sie weltweit
auf 53 Billionen Dollar und damit auf ein Drittel der globalen Assets
under Management steigen.7 Aussagen von Top-Entscheidungs-
tragenden aus der Finanzwirtschaft wie Larry Fink8 (BlackRock)
und Jamie Dimon9 (JP Morgan) bestätigen diese Entwicklung. Eine
Studie von Chief Executives for Corporate Purpose (CECP ), an
der Wider Sense 2020 mitgewirkt hat, verdeutlicht, wie sich dies
zunehmend in den Entscheidungen von großen Unternehmen
niederschlägt.10 Noch hemmen fehlende Harmonisierung, schlechte
Datenqualität und ein Mangel an verpflichtenden Standards die
Effektivität von ESG .11 Mit der EU -Taxonomie wird sich dies aber
ändern.
Ne ue A nforde r un g e n an die Nach h alt ig ke it von Unte r ne hm e n

Kund*innen: Immer mehr Kund*innen lassen sich bei Kaufentscheidungen von sozia-
len und ökologischen Faktoren beeinflussen. So sagen 70 Prozent der Deutschen, dass
ethische Überlegungen für ihre Konsumentscheidungen wichtig sind – für 20 Prozent
sind diese seit der COVID -19-Krise wichtiger geworden.12 Eine Studie, die Wider Sense
gemeinsam mit dem US -amerikanischen Beratungsunternehmen INFLUENCE |SG ver-
öffentlicht hat, bestätigt diesen Trend: So erwartet etwa die Hälfte der darin befragten
deutschen Konsument*innen, dass ein Unternehmen schon bei der Herstellung von
neuen Produkten oder Dienstleistungen prüft, wie diese auf die Umwelt wirken.13

Mitarbeitende: Insbesondere hochqualifizierten Talenten ist immer wichtiger, dass
sie ihre Arbeit als sinnerfüllt empfinden. 49 Prozent der 21- bis 34-Jährigen bevorzugen
es, in einem nachhaltig handelnden Unternehmen zu arbeiten.14 Studien zeigen, dass
sich überzeugende Unternehmensverantwortung positiv auf Mitarbeitendenbindung,
-motivation und -produktivität auswirken.15 Bezüglich der „Employee Experience“
macht die COVID -19-Krise auch hierbei einen Unterschied: 57 Prozent und damit 11
Prozentpunkte mehr als im Vorjahr geben an, dass die Aktivitäten im Bereich Corpo-
rate Social Responsibility (CSR ) ihres Unternehmens ein entscheidender Faktor für die
Motivation am Arbeitsplatz sind.16

                                                                                                                   9
Warum diese Studie?
Wir wollen analysieren, wie umfangreich, professionell
und wirkungsvoll das ­gesellschaftliche ­Engagement
der DAX-Unternehmen derzeit ist. Wir wollen ­hierdurch
Orientierung und Inspiration geben.

                  In unserer Arbeit bei goetzpartners und Wider Sense sehen wir täglich, dass sich das
                  Handeln von Unternehmen verändert. Immer mehr unserer Kund*innen und Part-
                  ner*innen denken darüber nach, wie sie Corporate Citizenship gezielt nutzen können,
                  um die notwendige soziale und ökologische Transformation zu mehr Nachhaltigkeit
                  voranzutreiben. Wir beobachten aber auch: Es bleiben noch viele Potenziale ungenutzt.
                  Mit dieser Studie wollen wir unsere Beobachtungen detaillierter ergründen. Damit
                  wollen wir im Wesentlichen folgende Beiträge leisten:

                  Ɂ Analyse des aktuellen Corporate Citizenship der 40 DAX-Unternehmen als
                    prominentestes Beispiel der deutschen Wirtschaft. Antworten auf die Fragen:
                    - Was ist der Status quo?
                    - Was hat sich seit unserer letzten Studie verändert?
                    - Wie engagieren sich die neu in den DAX aufgestiegenen Unternehmen?

                  Ɂ Identifikation nationaler und internationaler Trends sowie Good Practices in
                    Corporate Citizenship. Wir wollen motivieren und gutes Corporate Citizenship
                    vorantreiben. Antworten auf die Fragen:
                    - Was ist gutes Corporate Citizenship?
                    - Welche Unternehmen sind derzeit führend?

                  Ɂ Ableitung zentraler Handlungsempfehlungen für deutsche Konzerne.
                    Antworten auf die Fragen:
                    - Welche konkreten Schritte können Entscheidungstragende unternehmen,
                      um ihr Corporate Citizenship strategischer aufzustellen?
                    - Was wird dazu benötigt?

                                                                                                      10
Was ist gutes Cor­porate
Citizenship?
Corporate Citizenship ist das gesellschaftliche Engagement
von Unternehmen. Gutes Corporate Citizenship wird mit der
gleichen Ernsthaftigkeit betrieben wie das Kerngeschäft.
Es ist strategisch fokussiert, nutzt einen klugen Mix an
­Ressourcen, wird professionell gemanagt und an seinen
 ­Ergebnissen gemessen.

                 Corporate Citizenship bezeichnet das Engagement eines Unternehmens zum vorran-
                 gigen Nutzen von Umwelt und Gesellschaft. Unsere Definition von Corporate Citi-
                 zenship schließt reine PR und marketingbezogenes Sponsoring, z. B. von kulturellen
                 Veranstaltungen oder Profisport, daher aus. Alle anderen Aktivitäten sind in unserer
                 Analyse enthalten. Konkret handelt es sich dabei zumeist um:

                 Corporate Giving                 Finanzielle oder Sachspenden, z. B. an Vereine,
                                                  ­Stiftungen und gGmbHs

                 Corporate Volunteering           Einbindung der Mitarbeitenden, um gesellschaft-
                                                   liche Wirkung zu erzielen und intern Werte zu
                                                  ­vermitteln

                 Corporate Impact Investing Investitionen in Geschäftsmodelle, die marktbasiert
                                            gesellschaftliche Probleme lösen

                 Corporate Activism               Einwirkung auf Öffentlichkeit und Entscheidungs-
                                                  tragende, um regulatorische Veränderungen
                                                  ­anzustoßen

                                                                                                        11
Was ist g ute s C or p
                                                                               ­ orate C i t i ze ns hi p?

Die primäre Motivation hinter Corporate Citizenship sollte stets das Erreichen
positiver gesellschaftlicher Wirkung sein. Dabei sind die Wirkungsmöglichkeiten so
divers wie die Unternehmen selbst. Im Angesicht der gestiegenen Erwartungen an
Unternehmen kann das Engagement aber auch die Nachhaltigkeitstransformation des
Kerngeschäfts auf drei Ebenen unterstützen:

1. Corporate Citizenship hilft, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Corporate Ci-
   tizenship trägt direkt zur Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen bei,
   die für Unternehmen wichtig sind. Dies gelingt vor allem durch Kooperationen
   mit NGOs, Staat und anderen Unternehmen, die sich für gemeinsame Nachhal-
   tigkeitsziele einsetzen. Die Breite möglicher Engagements reicht dabei von der
   Finanzierung von Technologie-Folgen-Forschung über lokale NGO-Kooperatio-
   nen für Menschenrechte in der Lieferkette bis zu internationalen Multi-Stakehol-
   der-Initiativen für eine verbesserte Governance natürlicher Rohstoffe.

2. Corporate Citizenship hilft, einen nachhaltigen Unternehmens-Purpose
   nach innen und außen zu kommunizieren und in der Organisationskultur
   zu verankern. Management und Mitarbeitende werden so für die nachhaltige
   Transformation des Kerngeschäfts motiviert, gegenüber Stakeholder*innen wird
   sie legitimiert.

3. Corporate Citizenship fördert nachhaltige Innovation in Prozessen, Pro-
   dukten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Es gewährt Unternehmen
   Zugang zu neuen Fragestellungen, Zielgruppen und Märkten. Corporate Citizens-
   hip funktioniert hier wie ein Laboratorium, das neue Ideen aufnehmen, testen
   und ins Kerngeschäft übertragen kann. Beispielsweise kann es den Anstoß geben,
   Produkte für zunächst wirtschaftlich unattraktive Kundschaft zu entwickeln, die
   über die Zeit zahlungskräftiger wird.

Dafür muss Corporate Citizenship fokussiert, nah am Kerngeschäft und gleichzeitig
nah an den Nachhaltigkeitsbemühungen eines Unternehmens angesiedelt sein.
Dies ermöglicht, Nachhaltigkeitsziele auch auf einer anderen – philanthropischen oder
hybriden – Ebene anzugehen. Darüber hinaus ermöglicht es, die Kernkompetenzen
eines Unternehmens für eine bessere Gesellschaft einzusetzen, sei dies nun das
IT -Know-how eines Software-Konzerns, die Reichweite eines Medienhauses oder seien
es die Medikamente eines Pharmaunternehmens. Gutes Corporate Citizenship sollte
außerdem mit substanziellen und diversen Ressourcen ausgestattet sein und profes-
sionell sowie ergebnisorientiert gemanagt werden.

                                                                                                        12
Was ist g ute s C or p
                                                                                                               ­ orate C i t i ze ns hi p?

                            Unsere vier Dimensionen für gutes Corporate Citizenship

                            Der von Wider Sense und goetzpartners entwickelte Ansatz zur Beurteilung des
                            ­Corporate Citizenship analysiert die Performance anhand von zwölf Fragen in
                             vier Dimensionen:

    Strategie

1   Sind die Aktivitäten klar auf wenige Themen
    ­fokussiert?                                               Ressourcen

2                                                         4    Stellt das Unternehmen substanzielle finanzielle
    Ist Corporate Citizenship inhaltlich mit dem
    ­Kerngeschäft verknüpft?                                   Mittel für Corporate Citizenship bereit?

3                                                         5    Werden die Mitarbeitenden und ihre professionel-
    Wird Corporate Citizenship verwendet, um
    ­Probleme innerhalb der oder durch die Wert­               len Fähigkeiten in die Aktivitäten eingebunden?
     schöpfungskette anzugehen?
                                                          6    Stellt das Unternehmen substanzielle und wir-
                                                               kungsorientierte Sachspenden zur Verfügung?
    Umsetzung

7   Ist Corporate Citizenship nah am C-Level und               Ergebnis
    der Nachhaltigkeitsabteilung aufgehängt?
                                                          10   Positioniert sich das Unternehmen öffentlich
8   Sind Prozesse und Verantwortlichkeiten klar                zu seinen Fokusthemen?
    ­definiert?
                                                          11   Bringt sich das Unternehmen aktiv in relevanten
9   Gibt es ein regelmäßiges Reporting in Form klarer          Netzwerken und Kooperationen ein?
    KPIs (gegen definierte Ziele)?
                                                          12   Wird nachweisbare Wirkung erreicht?

                            Wir sind uns bewusst, dass unsere Annahmen darüber, was eine gute Corporate-Citi-
                            zenship-Strategie ausmacht, nicht einstimmig geteilt werden – weder unter Unterneh-
                            men noch in der Zivilgesellschaft. Er leitet sich vor allem aus der Praxis des Corporate-
                            Citizenship-Managements her. Mit dieser Studie wollen wir einen praxisrelevanten
                            Beitrag zu einer dynamischen Debatte leisten.
                                 Bald könnte strategisches Corporate Citizenship allerdings auch von offizieller
                            Stelle eine deutliche Aufwertung erfahren: Es gibt erste Anzeichen dafür, dass es
                            auch in der künftigen sozialen Taxonomie der EU eine wichtige Rolle spielen könn-
                            te.17 Hierbei bleibt abzuwarten, ob die bestehenden gestalterischen Freiräume in Bezug
                            auf Strategie, Ressourcen, Umsetzung und Ergebnis durch die Regulatorik künftig
                            enger werden.

                                                                                                                                      13
Studiendesign
Die Studie stützt sich auf öffentlich zugängliche Informa-
tionen sowie Interviews mit Verantwortlichen in den DAX-
Unternehmen. Bewertet werden die Unternehmen nach
dem von Wider Sense und goetzpartners entwickelten
Framework.

                                   In der Studie wird untersucht, wie strategisch und wirksam die Corporate-Citizenship-
                                   Aktivitäten der DAX -Unternehmen ausgerichtet sind. Um dabei ein möglichst voll­
                                   ständiges Bild zu generieren, stützt sie sich auf die folgenden Methoden:

                                   Ɂ Analyse öffentlich verfügbarer Informationen: Wir haben zunächst die Daten
                                     ­analysiert, welche die DAX40-Unternehmen in ihren Jahres- und Nachhaltig-
                                      keitsberichten sowie auf ihren Websites veröffentlichen.

                                   Ɂ Interviews mit CSR-Verantwortlichen: Für diese Studie haben wir Gespräche
                                     mit Vertreter*innen von 28 der 40 DAX-Unternehmen geführt.II

                                   Ɂ Diskussionen mit Expert*innen aus unserem Netzwerk haben die Ergebnisse
                                     ­kontextualisiert.

                                   Auf Grundlage der Analyse wurden die Unternehmen, wie schon in der vorigen
                                   Studie, in die folgenden fünf Corporate-Citizenship-Typen eingeteilt:

II   Die übrigen DAX-Unternehmen haben entweder nicht auf unsere
     Anfrage reagiert oder standen für ein Gespräch zu ihrem Corpo-
     rate Citizenship nicht zur Verfügung.
                                                                                                                       14
St u d i e nd e s i gn

                             Corporate-Citizenship-Typen

Spontan             Reaktiv              Engagiert             Strategisch          Integriert

Engagiert sich      Leistet regelmäßig   Engagiert sich        Verfolgt eine        Integriert Corpo-
finanziell ohne      finanzielle Spen-     langfristig in        fokussierte          rate Citizenship in
strategische        den, weitgehend      ausgewählten          Strategie mit Syn-   sein Kerngeschäft;
Vorgaben            ohne festgelegte     Bereichen, teil-      ergien zwischen      Aktivitäten zielen
(z. B. spontane     Wirkungsabsicht      weise mit Bezug       Engagement und       auf langfristigen
Spenden an lokale   (z. B. überwiegend   zum Kerngeschäft,     Kerngeschäft und     finanziellen Erfolg
Vereine und NGOs)   lokales Engage-      ist teilweise         orientiert sein      und nachweisbare
                    ment wird mit        wirkungsorientiert,   Engagement an        gesellschaftliche
                    ersten langfristi-   misst die Wirkung     Ergebnissen und      Wirkung gleicher-
                    geren Projekten      allerdings nicht      Wirkung              maßen
                    kombiniert)          „hart“

                                                                                                                  15
Erkenntnisse
E r ke nnt ni s s e

                 17
Erkenntnis 1:
Seit 2017 hat sich
wenig getan.
Die Erwartung an Unternehmen, nachhaltiger zu
werden, steigt rasant – ihr Corporate Citizenship
­entwickelt sich aber nur langsam.

                                    Mit dem gestiegenen gesellschaftlichen Anspruch an Unternehmen ist die Notwendig-
                                    keit für wohlüberlegtes Corporate Citizenship rapide gewachsen. Nach wie vor gehen
                                    aber nur wenige Unternehmen gezielt vor, um positive gesellschaftliche Wirkung zu
                                    entfalten. Unsere Studie zeigt: Die meisten Unternehmen lassen viele Potenziale
                                    ungenutzt.
                                        Von den in der vorigen Studie untersuchten Konzernen sind derzeit noch 25 im
                                    DAX vertreten. 15 Unternehmen sind seit 2017 hinzugekommen, zehn davon seit
                                    September 2021: Airbus, Brenntag, Covestro, Delivery Hero, Deutsche Wohnen, Hel-
                                    loFresh, MTU Aero Engines, Siemens Energy, Siemens Healthineers, Puma, Qiagen,
III Die Porsche SE wurde aus        Sartorius, Symrise und Zalando, die an unterschiedlichen Positionen der Typisierung
     der Untersuchung ausge-        eingestiegen sind.III
     klammert, da es sich hierbei       Viele Unternehmen haben sich seit 2017 weiterentwickelt. Aber: Nur vier Unter-
     um eine Holdinggesellschaft
     ohne eigenes E­ ngagement      nehmen, die 2017 bereits im DAX vertreten waren, haben seitdem ausreichend
     handelt. Außerdem hat Bei-     große Veränderungen angestoßen, um den Schritt in die nächsthöhere Corpo-
     ersdorf Ende Oktober 2021      rate-Citizenship-Kategorie zu gehen. Fünf Unternehmen, die auch 2017 bereits
     Deutsche Wohnen im DAX
     ersetzt, jedoch erst nach      als „strategisch“ bewertet wurden, sind zudem auf einem guten Weg zu einer
    ­Redaktionsschluss.             integrierten Form des Corporate Citizenship.
                                                                                                                          18
E r ke nnt ni s 1

              Scoring der DAX40 in die 5 Corporate-Citizenship-Typen

Spontan                       Reaktiv                  Engagiert                Strategisch     Integriert

                                                       Adidas
                                                       Airbus
                                                       Allianz
                                                       BMW
                                                       Continental
                                                       Daimler
                                                       Delivery Hero
                                                       Deutsche Börse
                                                       Fresenius MC
                                                       Heidelberg
                                                       Cement
                                                                                Bayer ↗
                                                       HelloFresh
                                                                                Deutsche Post ↗
                                                       Infineon
                                                                                Deutsche Telekom ↗
                                                       Linde
                                                                                SAP ↗
                                                       Puma
                                                                                Merck ↗
                                                       Qiagen
                                                       Siemens ↗
                                                       Siemens
                              Brenntag                 Energy
                              Deutsche                 Siemens                  BASF
Fresenius ↘                   Wohnen                   Healthineers             Covestro
RWE ↘                         E.ON ↗                   Volkswagen               Deutsche Bank
Sartorius                     MTU Aero                 Vonovia                  Henkel ↗
Symrise                       Engines                  Zalando                  Munich RE ↗

           4                          4                          21                      10           0
↗ Verbessert gegenüber 2017    ↘ Verschlechtert gegenüber 2017    Neu hinzugekommen seit 2017                            19
E r ke nnt ni s 1

                                   Ein Unternehmen, das sich seit der vorigen Studie deutlich weiterentwickelt hat,
                                   ist Siemens. Das Unternehmen hat seine drei Engagement-Schwerpunkte Zugang
                                   zu Technologie, Zugang zu Bildung sowie nachhaltige Unterstützung sozialer und
                                   kultureller Strukturen klarer definiert und in seiner Strategie-Vision 2020+ mit seinem
                                   Kerngeschäft und seinen Nachhaltigkeitsbestrebungen in Verbindung gesetzt. Einige
                                   Engagements, wie zum Beispiel diverse Stipendien- und Ausbildungsprogramme in
                                   verschiedenen Märkten, finden innerhalb der Wertschöpfungskette des Unternehmens
                                   statt und erhöhen damit ihre Wirksamkeit.
                                        E.ON hat sich ebenso verbessert: Mit einem gesteigerten Fokus auf „Strategic
                                   Involvement“ in den Bereichen Zugang zu Energie, Klimawandel und künftige Gene-
                                   rationen. Zudem tragen ambitioniertere Programme in den Bereichen Energiearmut
                                   und Mieter*innenstrom sowie ein strukturell integrierter Ansatz zwischen Corporate
                                   Citizenship und Nachhaltigkeit zur Verbesserung bei.
                                        Munich RE und Henkel überzeugen ebenfalls. So verfügt Munich RE über einen
                                   weitgehend integrierten Ansatz zwischen Nachhaltigkeit und Corporate Citizenship,
                                   der professionell und transparent umgesetzt wird. Positiv anzumerken sind auch die
                                   Corporate-Activism-Aktivitäten des Konzerns im Bereich Klimaschutz. Auch Henkel
                                   konzentriert sein Engagement zunehmend auf Nachhaltigkeitsthemen und hat zudem
                                   seine Spendensumme deutlich erhöht. Auch Mitarbeitendenengagement wird extensiv
                                   gefördert. Beide Unternehmen verfügen über verhältnismäßig fortgeschrittene Repor-
                                   ting-Praktiken.
                                        Bayer, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Merck und SAP haben ihre gute
                                   Performance der vorigen Studie gestärkt und gefestigt. Diese Unternehmen sind auf
                                   einem guten Weg, sich in den nächsten Jahren zu einem „integrierten“ Ansatz zu
                                   bewegen. Die Unternehmen haben dabei unterschiedliche Entwicklungen priorisiert,

                                   Corporate-Citizenship-Typ-Entwicklung
                                   der 25 „alten“ DAX-Unternehmen

                              70

                              60

                              50
A n g a b e n i n P roze nt

                              40

                              30

                              20

                              10

                              0
                              Spontan                 Reaktiv              Engagiert            Strategisch                Integriert

                                     DAX25 (2017)      DAX25 (2021)

                                                                                                                               20
E r ke nnt ni s 1

                                   z. B. ein deutlich ausgebautes Outcome-Reporting zu Corporate Citizenship als Teil
                                   einer Gesamt-ESG -Berichterstattung (Bayer), die weitere Institutionalisierung und
                                   Bündelung globaler Corporate-Citizenship-Programme in einer zentralen Abteilung
                                   (Deutsche Post) oder verstärkte Bemühungen zur Mobilisierung anderer durch
                                   Advocacy und Netzwerke (Deutsche Telekom, SAP ). Alle genannten und einige weitere
                                   Unternehmen streben überdies zunehmend nach einer weiteren Etablierung von
                                   Wirkungsmessung. Bei den Unternehmen, die bereits 2017 Teil des DAX waren, stellen
                                   wir daher im Scoring eine leichte Verschiebung nach oben fest.
                                       Der direkte Vergleich mit 2017 zeigt: Spontanes und reaktives Engagement ist im
                                   Verhältnis sogar etwas häufiger geworden. Gerade die 15 DAX -Unternehmen, die seit
                                   2017 hinzukamen, sind im Durchschnitt weniger strategisch aufgestellt als die
                                   Konzerne mit einer längeren DAX -Zugehörigkeit. Eine mögliche Erklärung ist, dass mit
                                   der DAX -verbundenen Aufmerksamkeit eine erhöhte Erwartungshaltung verschiedener
                                   Stakeholder*innen einhergeht, welche die Unternehmen über Zeit zu strategischerem
                                   Engagement veranlasst. Ein Effekt größerer Kund*innennähe bei B2C-Unternehmen
                                   bzw. bekannteren Marken kann welche ebenfalls eine Rolle spielen. Insgesamt wird
                                   klar: Es ergibt sich eine breitere Streuung als noch in der vorigen Studie. Während eine
                                   Spitzengruppe ihr Engagement gezielt weiterentwickelt, bleiben andere zurück. Die
                                   meisten DAX -Unternehmen haben Corporate Citizenship jedoch in den vergangenen
                                   Jahren nicht zu einem Hebel für mehr Nachhaltigkeit ausgebaut. Die folgenden
                                   Abschnitte zeigen auf, welche Entwicklungen in den letzten Jahren im Detail statt-
                                   gefunden haben.

                                   Corporate-Citizenship-Typ der 25 „alten“
                                   und der 15 „neuen“ DAX-Unternehmen

                              70

                              60

                              50
A n g a b e n i n P roze nt

                              40

                              30

                              20

                              10

                               0
                              Spontan                Reaktiv               Engagiert            Strategisch                Integriert

                                     DAX25 (2021)      DAX+15 (2021)

                                                                                                                                 21
Erkenntnis 2:
In der Pandemie wurden
mehr Ressourcen
mobilisiert.
Die von Unternehmen eingesetzten Ressourcen für
Corporate Citizenship sind in der COVID-19-Krise
deutlich gestiegen.

                 Auf Grundlage verfügbarer Zahlen von 26 DAX -Unternehmen erge-
                 ben sich für das Jahr 2020 über 860 Millionen Euro in Geld- und
                 Sachspenden für gemeinnützige Zwecke. 2019 lag der Betrag noch
                 bei etwa 515 Millionen Euro (von 23 Unternehmen) – allerdings
                 haben einige Konzerne ihre Reporting-Praktiken seitdem verändert.
                 Es ist weiterhin schwierig, eine Gesamtzahl der Spenden und ande-
                 ren Ressourcen anzugeben, die DAX -Konzerne bereitstellen. Es
                 gibt keine einheitlichen Regeln für das Berichtswesen von sozialem
                 Engagement: So werden Spenden, Sponsoring, Sachspenden und
                 weitere Ausgaben teils aggregiert, teils separat berichtet.
                     Der Anstieg ist maßgeblich auf die Pandemie zurückzu-
                 führen, denn während der Krise haben viele Unternehmen ins-
                 besondere ihre Sachspenden erhöht. Ein gutes Beispiel hierfür
                 ist Henkel, die ihre Spenden von etwa 8 Millionen Euro 2019
E r ke nnt ni s 2

auf etwa 30 Millionen Euro 2020 fast vervierfacht haben. Im Zuge der Pandemie hat
das Unternehmen unter anderem 110.000 Liter Desinfektionsmittel und mehr als
5 Millionen Hygieneartikel gespendet. Ähnliche COVID -19-bedingte Sachspenden
wie Tests, Masken oder medizinisches Equipment finden sich bei etwa der Hälfte der
DAX -­Konzerne.
    Ob dieser Anstieg dauerhaft ist, bleibt abzuwarten, da langfristig und wirkungs-
voll ausgerichtete Sachspendenprogramme bisher vor allem auf die pharmazeu-
tische Industrie und wenige weitere Unternehmen beschränkt sind. Inwiefern die
Sachspenden tatsächlich wirkungsvoll sind, ist von außen nicht immer ersichtlich. Im
besten Fall können Sachspenden wichtige Güter bereitstellen, die für Bedürftige oder
gemeinnützige Organisationen sonst nur zu höheren Kosten oder gar nicht verfügbar
wären. Im ungünstigsten Fall verursachen die Logistik und Koordination von Sach-
spenden mehr Kosten als Nutzen oder die Gaben zerstören lokale Märkte.
    Ein positives Beispiel ist Merck, das in einer Partnerschaft mit der Weltgesund-
heitsorganisation seit 2007 bereits 1,3 Milliarden Schistosomiasis-Tabletten für die
Behandlung der tropischen Infektionskrankheit gespendet hat. BASF , Bayer und
Qiagen verfügen ebenso über langfristige Partnerschaften, durch die medizinische
Güter gespendet oder deutlich kostenreduziert zur Verfügung gestellt werden. Die
Deutsche Telekom spendet in großem Maßstab den Zugang zu Produkten und
Dienstleistungen. Sie hat bisher rund 22.000 Schulen in Deutschland mit kostenfreien
                        Breitbandanschlüssen ausgestattet. In der Pandemie wurden
                        zudem z. B. Internetzugänge für den Fernunterricht in den USA
                        und verschiedene Leistungen für Senior*innen und Gastro-
                        nom*innen angeboten.
                            Die Spendensumme ist zwischen den einzelnen Konzer-
                        nen äußerst ungleich verteilt. Die beiden größten Spender
                        allein – Deutsche Telekom und Bayer – spendeten 2020 mehr
                        als 300 Millionen Euro, über 200 Millionen Euro davon in
                        Sachspenden. Auf der anderen Seite des Spektrums stellte Infi-
                        neon 1,8 Millionen Euro für sein Engagement bereit. Vonovia
                        und Deutsche Wohnen spendeten jeweils weniger als 2 Millio-
                        nen Euro, allerdings zeigt sich hierbei auch die Unschärfe der
                        berichteten Zahlen: Der Gegenwert von Dienstleistungen wie
                        kostenlos oder kostenreduziert bereitgestellten wird von den
                        Immobilienkonzernen nicht veröffentlicht.

                                                                                           23
Erkenntnis 3:
Corporate Citizen­ship ist
professioneller geworden,
aber noch wenig digital.
Viele DAX-Unternehmen haben das Management von
Corporate Citizenship weiterhin professionalisiert – das
Potenzial digitaler Optionen nutzen jedoch nur wenige.

                  Ein effektives Engagement ist nur möglich, wenn es mit der gleichen Stringenz umge-
                  setzt wird wie andere Unternehmensfunktionen. Zentrale Vorgaben müssen entworfen
                  und in Abstimmung mit den lokalen Organisationseinheiten implementiert werden.
                  Wichtig ist hierbei, dass Verantwortlichkeiten geklärt und Prozesse definiert sind.
                  Weitere Wirkungsvehikel wie Unternehmensstiftungen sollten ebenfalls – unter
                  Berücksichtigung rechtlicher Vorgaben – eng mit anderen Aktivitäten koordiniert
                  werden, um Synergien zu erzielen.

                  Prozesse und Strukturen

                  77 Prozent der untersuchten Unternehmen verfügen mittlerweile über globale
                  Richtlinien zum Engagement, allerdings werden dieses von 56 Prozent der Unter-
                  nehmen nicht veröffentlicht. Das bedeutet, dass von außen nur schwierig eine Aus-
                  sage über Inhalte und ihren Detailgrad getroffen werden kann. Gerade gemeinnützige
                  Organisationen, die sich um eine Förderung bewerben, wissen somit oftmals nicht, ob
                  sie dafür infrage kommen oder worauf sie bei ihrer Bewerbung achten müssen. Erhöhte
                  Transparenz könnte der Zivilgesellschaft Ressourcen sparen, die für die programma-
                  tische Arbeit dringend benötigt werden. Trotzdem wird aus diesen Daten klar, dass in
                  den vergangenen Jahren eine Professionalisierung stattgefunden hat.
                                                                                                     24
E r ke nnt ni s 3

                               ��w
                                   Vorhandensein einer globalen Spendenrichtlinie

                                         23 %                21 %

                                                                                           Globale Spendenrichtlinie (Öffentlich)

                                                                                           Globale Spendenrichtlinie (Intern)

                                                   56 %
                                                                                           Keine oder keine Angaben
                                                                                           zu einer globalen Spendenrichtlinie

                                   Ein weiteres wichtiges Tool des Unternehmensengagements bleiben Unternehmens-
                                   stiftungen. Derzeit haben 17 von 40 DAX -Unternehmen eine oder mehrere Unter-
                                   nehmensstiftungen. 2017 waren es noch 20 von 30 DAX -Unternehmen. Während die
                                   Stiftungen in dieser Analyse nur teilweise berücksichtigt werden, sehen wir in unserer
                                   Arbeit auch bei ihnen den Trend, sich stärker an der ESG -Strategie von Unterneh-
                                   men zu orientieren. Nicht zuletzt aufgrund des deutschen Stiftungs- und Gemein-
                                   nützigkeitsrechts müssen diese Stiftungen allerdings sowohl inhaltlich als auch
                                   strukturell unabhängig von ihren Mutterunternehmen bleiben.IV Ein gutes Beispiel
                                   ist die Munich RE Foundation, die sich mit Fokusthemen wie Klimawandel, Inclusive
                                   Insurance und Disaster Risk nah sowohl an den Engagementbereichen als auch am
                                   Kerngeschäft des Konzerns positioniert hat. Auch die E.ON Foundation (früher mit
                                   innogy bzw. RWE verbunden) arbeitet mit Fokus auf die Energiewende in einem für
                                   den Konzern zentralen Thema. Auf diese Weise können die Stiftungen von den Kern-
                                   kompetenzen der Unternehmen profitieren und selbst unternehmensrelevante
                                   Expertise aufbauen. Gleichzeitig wird durch ihre teilweise Autonomie und gemein-
                                   nützige Rechtsform eine gewisse Flexibilität und Kontinuität des Engagements
                                   gewährleistet, teilweise isoliert von den Erwartungen des Tagesgeschäfts. Damit
                                   können Unternehmensstiftungen insbesondere gegenüber der Zivilgesellschaft als
                                   glaubwürdige, inhaltlich kompetente und legitime gesellschaftliche Akteur*innen
                                   auftreten.

                                   Digitalisierung

                                   Bei der Digitalisierung von Corporate Citizenship haben DAX -Konzerne aus unse-
                                   rer Sicht noch Nachholbedarf. So gibt es mittlerweile eine große Anzahl an Platt-
                                   formen von Providern wie Alaya, Benevity, Blackbaud, CyberGrants oder Optimy, über
                                   die Corporate Giving, Corporate Volunteering und andere Aspekte des Engagements
                                   zentral gesteuert werden können. Sie erleichtern Verantwortlichen das Management
                                   und das Monitoring von Corporate-Citizenship-Aktivitäten und gestalten damit zahl-
                                   reiche vormals zeitaufwändige Prozesse erheblich effizienter. In unseren Gesprä-
IV Ein längerer Exkurs zu          chen haben uns nur 14 Unternehmen berichtet, dass sie derartige Plattformen bereits
   Unternehmensstiftungen
   findet sich in unserer Studie   nutzen oder derzeit aufbauen. Allerdings beschränken sich die Plattformen gerade
   von 2017.                       häufig noch auf einzelne Aspekte des Engagements, z. B. die Spendenabwicklung oder
                                                                                                                                     25
Erkenntnis 4:
Fehlender Fokus macht
­Engagement ineffizient
 und schwieriger zu
 ­vermitteln.
Dem Engagement der meisten Unternehmen fehlt
der Fokus – und damit der Bezug zu einem über-
geordneten Purpose.

                                                                                      „Ich kann von der Zentrale aus
                                                                                      nicht abschätzen, was tatsächlich
                                        90 Prozent der DAX -Unternehmen haben
                                                                                      an den ganzen Standorten wich-
                                        keinen Fokus für ihr gesellschaftliches
                                        Engagement artikuliert oder fokussieren       tig ist. Das können die lokal am
                                        sich auf drei oder mehr Themen, die nicht     besten abschätzen.“*
                                        in unmittelbarem Zusammenhang mitein-
                                        ander stehen. Damit hat die Fokussierung des Engagements seit 2017 sogar abgenom-
                                        men. Zwar ist der Fokus auf mehrere Themenfelder nicht notwendigerweise negativ zu
                                        bewerten, jedoch erschwert er es unserer Erfahrung nach, klare Ziele zu formulieren
* Im Rahmen unserer Interviews          und riskiert, dass viele einzelne Bemühungen wenig effektiv bleiben.
haben wir besonders prägnante               Dabei bietet Corporate Citizenship die einzigartige Möglichkeit, einen gesell-
Aussagen von DAX-Corporate
Citizenship-­Verantwortlichen mit-      schaftlichen „Purpose“ voranzutreiben. Viele Unternehmen fragen sich: Was ist der
geschrieben. Diese werden an rele-
vanten Textstellen in ­anonymisierter
                                        gesellschaftliche Wert, den sie mit ihrem Produkt oder ihrer Dienstleistung schaffen?
Form angeführt.                         Gesellschaftliches Engagement wird zu einem Vehikel, diesen Wert zu steigern. Es
                                                                                                                            26
E r ke nnt ni s 4

                   �+�+w �+�+w
                        Fokus des gesellschaftlichen Engagements

                                            3%                                                   2%
                                                                                                       8%
                                                 13 %

                                       2017                                                 2021

                                       84 %                                                     90 %

                           Ein Fokusthema        Zwei Fokusthemen   Drei und mehr Fokusthemen

„Unser Engagement rückt            erlaubt, eine Vision zu kommunizieren, die Management, Angestellte,
immer näher ans Kerngeschäft       Investor*innen und Konsument*innen für nachhaltige Unternehmens-
                                   entwicklung begeistert und damit positive Wirkung auf die Gesellschaft
heran. Gleichzeitig bleiben        entfaltet. Glaubwürdigkeit und Legitimität werden gestärkt. Beispiele einer
wir subsidiär. Wir wissen          besonders klaren „Story“ in diesem Sinn sind SAP mit seinem Engagement-
nicht alles. Wir lernen, indem     Fokus „Durch Digitale Inklusion Neue Chancen Schaffen“ und die Deutsche
wir uns auf lokaler Ebene auf      Telekom, die sich – in ähnlichem Wortlaut, aber anderen Herangehenswei-
                                   sen – „Digitale Teilhabe“ zum zentralen Ziel gesetzt hat.
Situationen anpassen.“                  Bei fast allen DAX -Unternehmen gibt es weiterhin das lokale, ungerich-
                                   tete Engagement im Sinne einer guten Nachbarschaft, das grundsätzlich
                        sinnvoll ist, aber bei den betrachteten Unternehmen unterschiedlich viel Raum ein-
                        nimmt. In den Gesprächen wurde insbesondere darauf verwiesen, dass die lokalen
                        Organisationseinheiten und Mitarbeitenden das beste Verständnis für die Probleme
                        und Lösungen auf lokaler Ebene haben. Damit einher geht, dass die Organisations-
                        einheiten nach wie vor große Autonomie in der Wahl ihrer lokalen Projekte haben.
                        Dies kann sowohl die Effektivität als auch die Legitimität der Maßnahmen erhöhen.
                        Allerdings wird damit auch die Chance eingeschränkt, sich in einem wesentlichen
                        Engagementbereich echte Expertise, Netzwerke und Kompetenzen aufzubauen, durch
                        Bündelung Synergien und somit mehr gesellschaftliche Wirkung zu erzielen.
                            Starke Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über das Gesamtnarrativ
                        und ihre Ziele Leitlinien festlegen, innerhalb derer sich das Engagement an ver-
                        schiedene Kontexte anpassen kann. Ein Budget für unvorhergesehene Zwecke vor
                        Ort kann sinnvoll sein – allerdings sollte es sich
                        im Vergleich zu den Gesamtressourcen nicht zu        „Wir setzen nicht voraus,
                        groß ausnehmen.                                      was unsere Nachbarn
                                                                              brauchen. Als guter Nachbar
                                                                              fragen wir sie auch.“

                                                                                                                          27
E r ke nnt ni s 4

Internationale Good Practice:

ESSILORLUXOTTICA
Der Augenoptikkonzern Essilor Luxottica hat sich „See
more, be more and live life to its fullest“ als Mission
gesetzt. Konsequent engagiert er sich für verbessertes
Sehvermögen: durch die Förderung von Augenkliniken,
inklusive Geschäftsmodelle, Public-Private Partners-
hips, Mitarbeitenden-Engagement, Awareness-Kampag-
nen und Produktspenden. Kurzum: durch das ganze
Instrumentarium des Corporate Citizenship. Seit 2013
hat das Unternehmen 420 Millionen Mitgliedern von
benachteiligten Gemeinschaften im Globalen Süden
Zugang zu Augenoptik-Dienstleistungen verschafft.
Trotz der COVID-19-Krise ermöglichten es seine
philanthropischen Programme im Jahr 2020, die
Sehkraft von 1,3 Millionen Menschen zu korrigieren
oder zu bewahren.18

                                                                        28
Erkenntnis 5:
Konzerne engagieren sich
stärker für ihre eigenen
Nachhaltigkeitsthemen.
Das Potenzial der Verknüpfung von Corporate Citi-
zenship mit den eigenen Nachhaltigkeitsbemühungen
wird von Unternehmen zunehmend erkannt – aber nur
in wenigen Fällen voll genutzt.

                Lange war Corporate Citizenship meist eher ungerichtet. Es beschränkte sich auf die
                Unterstützung von Organisationen, z. B. weil diese von Entscheidungstragenden aus
                persönlichen Gründen als förderungswürdig betrachtet wurden. Aus den Ergebnissen
                der Studie und Gesprächen mit Kund*innen geht hervor, dass sich dies langsam ändert.
                75 Prozent der DAX -Unternehmen engagieren sich mittlerweile unter anderem in
                Bereichen, die für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätig-
                keit wesentlich sind.

                Um diese Wesentlichkeit – oder „Materialität“ – in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen
                zu erfassen, sind zwei Fragen ausschlaggebend:

                1. Welche Auswirkungen hat das Unternehmen auf die Gesellschaft? Dies kön-
                   nen negative Auswirkungen sein, z. B. der Ausstoß von Schadstoffen. Dies können
                   auch positive Auswirkungen sein, z. B. ein Zugewinn von Mobilität oder Gesund-
                   heit durch die Produkte eines Unternehmens.

                2. Welche Auswirkungen haben gesellschaftliche Herausforderungen auf das
                   Unternehmen? Ein schlechtes Bildungssystem beschränkt beispielsweise die
                   Verfügbarkeit von Fachkräften und fehlende Rechtsstaatlichkeit bedroht die
                   Sicherheit von Investitionen.

                                                                                                     29
E r ke nnt ni s 5

                         Oft überschneiden sich die Antworten auf beide Fragen – z. B. wenn Schadstoffaus-
                         stoß Regulierung nach sich zieht oder wenn Menschenrechtsverletzungen in der Liefer-
                         kette die Kaufentscheidungen von Konsument*innen negativ beeinflussen. Beinahe alle
                         DAX -Unternehmen führen mittlerweile Wesentlichkeitsanalysen durch, weil diese in
                         allen wichtigen ESG -Standards (GRI , SASB , TCFD etc.) eine zentrale Rolle spielen.
                             Ein Beispiel für ein Unternehmen, das sich in seinem gesellschaftlichen Engage-
                         ment maßgeblich auf wesentliche Environmental-Themen fokussiert hat, ist Covestro.
                         Von der Teilnahme an verschiedenen Foren über die Finanzierung universitärer und
                         schulischer Programme bis hin zum Mitarbeitenden-Engagement findet ein großer Teil
                         von Covestros Corporate Citizenship im Bereich der zirkulären Wirtschaft statt, die
                         sich das Unternehmen in seinem Kerngeschäft wie seinen Nachhaltigkeitsbemühungen
                         zum Ziel gesetzt hat.
„Ich stelle fest, dass       Im Social-Bereich setzen manche DAX -Unternehmen ebenfalls zunehmend auf
Corporate Citizen-       die Instrumente des Corporate Citizenship, um ihre Externalitäten abzufedern. Eine
ship nicht mehr so       wichtige Rolle spielt dies vor allem in der Debatte um Menschenrechte und Arbeits-
                         bedingungen in der Lieferkette. Hierbei ist die Partnerschaft von Daimler mit der
phi­lanthropisch         NGO Bon Pasteur ein Beispiel, die sich darauf fokussiert, die Lebensbedingungen,
getrieben ist, sondern   insbesondere von Frauen und Kindern, im Kontext des Kobaltabbaus in der Demo-
eher von den Kern-       kratischen Republik Kongo zu verbessern. Weitere materielle S-Fokussierungen sind
kompetenzen: Wir         beispielsweise der medizinische Fokus von Bayer, Merck und Fresenius Medical
                         Care, der Fokus auf Risikobewusstsein und Gesundheitsversicherung der Munich RE ,
fragen uns häufig:       der Textillieferketten-Fokus von Zalando oder der Fokus auf Technologiezugang von
Was ist unser Wert?“     Siemens und Siemens Energy.
                             Der Fokus auf wesentliche Themen schafft wesentliche Lösungen für eigene
                         Nachhaltigkeitsprobleme. Er erhöht die Resilienz von Wertschöpfungsketten und
                         Geschäftsmodellen, verringert Reputationsrisiken durch Schadensfälle, verbessert
                         Stakeholder*innen-Beziehungen und bringt Unternehmen gegenüber staatlicher
                         Ordnungspolitik in Stellung. Als Testlabor kann Corporate Citizenship Unternehmen
                         Expertise und Erkenntnisse in relevanten Nachhaltigkeitsfragen bringen. Der Fokus
                         auf wesentliche Themen nützt auch der Gesellschaft: Er sichert die langfristige

                         13+59+28w
                         Fokus auf wesentliche Themen

                                                 13 %
                               28 %

                                                                            Exklusiver Fokus auf wesentliche Themen

                                          59 %                              Teilweiser Fokus auf wesentliche Themen

                                                                            Kein Fokus auf wesentliche Themen

                                                                                                                       30
E r ke nnt ni s 5

                      Finanzierung des Engagements, weil er die Argumentationsgrundlage für die interne
                      Ressourcenverteilung stärkt. Er erlaubt es auch, die Kernkompetenzen des Unter-
                      nehmens anzuwenden – und das Engagement somit effektiver zu machen. Unsere
                      Analyse zeigt, dass drei Viertel der Unternehmen einen Teil ihres Engagements auf
                      Themen fokussieren, die sie selbst als wesentlich definieren. Sie zeigt aber auch:
                      Ein exklusiver Fokus auf wesentliche Themen ist weiterhin selten.

                      Organisationsstruktur

                      Eine engere Verknüpfung mit der Konzern-Nachhaltigkeit ist auch an der Organi-
                      sationsstruktur von Corporate Citizenship abzulesen: Bei 38 Prozent der DAX -
                      Unternehmen ist Corporate Citizenship auf globaler Ebene strukturell eng mit
                      Nachhaltigkeit verknüpft. Zum Zeitpunkt unserer vorigen Studie waren die meisten
                      Corporate-Citizenship-Teams noch Teil der Personal- oder Kommunikationsabtei-
                      lung. Nur noch bei jedem vierten Unternehmen ist die globale Organisation auf
                      mehrere Funktionen aufgeteilt oder gar nicht zu erkennen. Im Detail gibt es bei
                      der Organisation von Corporate Citizenship unterschiedliche Modelle: Bei Bayer wird
                      der Großteil der strategischen Aktivitäten in den Bereichen Gesundheit und Landwirt-
                      schaft über die Bayer-Stiftungen abgewickelt, die eng mit der Konzern-Nachhaltigkeit
                      verbunden sind. Die Deutsche Post organisiert Corporate Citizenship in der Abteilung
                      Kommunikation, Nachhaltigkeit und Marke. Dort steuert ein eigenes Social-Impact-
                      Team die vier zentralen Engagement-Programme des Konzerns (GoHelp, GoTeach,
„Wo hat man eine      GoGreen und GoTrade) sowie das Mitarbeitenden-Engagement.
Authentizität, weil
wir die Kapazitä-
ten in dem Bereich
haben?“

                      38++w20351321
                      Aufhängung von Corporate Citizenship nach Unternehmensabteilung

                              21 %

                                                                         Nachhaltigkeit, inkl. wo Nachhaltigkeit Teil
                                                   38 %                  einer anderen Abteilung ist

                          13 %                                           Kommunikation

                                                                         Personal
                            5%                                           Vorstand
                               3%       20 %
                                                                         Divers

                                                                         keine Angaben

                                                                                                                          31
Erkenntnis 6:
Unternehmen verknüp-
fen soziales Engagement
und Kerngeschäft noch
selten.
Eine Reihe von DAX-Unternehmen fördert soziales
Unternehmertum – die Einbindung von sozia-
len Innovationen in die eigene Wertschöpfung
geschieht bisher aber nur in wenigen Fällen.

                 Viele Entscheidungstragende fragen sich, wo die Grenze zwischen Kerngeschäft und
                 sozialem Engagement verläuft und welche Bedeutung diese heute überhaupt noch
                 hat. Im Rahmen von Nachhaltigkeitsstrategien werden ökologische und soziale Fakto-
                 ren wie Schadstoffemissionen, Geschlechtergerechtigkeit oder Menschenrechte auch
                 im Kerngeschäft wichtiger. Zudem setzt eine zunehmende Anzahl von Unternehmen
                 auf „Shared Value“-Ansätze, welche „die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens
                 erhöhen und gleichzeitig die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den
                 Gemeinschaften fördern, in denen es tätig ist.“19 Beispiele für solche Geschäftsmodelle
                 finden sich auch im DAX , z. B. bei sozial und ökologisch orientierten Versicherungs-
                 dienstleistungen von Munich RE und Allianz, die sich insbesondere an Kund*innen
                 in Ländern des Globalen Südens richten. Diese sind allerdings klar im Kerngeschäft
                 verortet.
                                                                                                       32
E r ke nnt ni s 6

„Gutes Engagement ist
eigentlich kein Enga-
gement mehr. Gutes       Darüber hinaus nimmt die geschäftliche Zusammenarbeit mit Sozialunternehmen
Engagement findet        zu. Dies geschieht einerseits im Sourcing: Adidas kooperiert mit Parley for the Oceans,
                         um Sportartikel aus recyceltem Plastik herzustellen, das sonst in vielen Fällen im
direkt im Kerngeschäft
                         Meer gelandet wäre. SAP hat mit der „5 & 5 by ‘25“-Initiative eine Bewegung ins Leben
statt.“                  gerufen, in der Organisationen sich bereiterklären, bis 2025 fünf Prozent ihres Procu-
                         rements von Social Enterprises und diversen Unternehmen zu tätigen. Zalando hat
                         gemeinsam mit anderen Akteur*innen in einen Fonds investiert, der technische und
                         soziale Innovationen im Management von Textillieferketten fördert.20
                             Auf der anderen Seite gibt es Programme, mit denen Konzerne durch die Finan-
                         zierung sozialer Unternehmungen benachteiligte Gruppen ansprechen – mit dem
                         möglichen Vorteil, sie für die Zukunft als Kund*innen zu gewinnen. Beispielweise
                         wurde 2019 der Bayer Social Innovation Ecosystem Fund aufgelegt, um landwirt-
                         schaftliche und Gesundheitsdienstleistungen für afrikanische Kleinbäuer*innen zu
                         finanzieren. Die Mittel werden Intermediärorganisationen bereitgestellt, die damit
                         verschiedene lokale Dienstleistungen anbieten und unternehmerische Lösungen der
                         Ackerbaubetreibenden selbst fördern können. Covestro arbeitet mit verschiedenen
                         staatlichen Organisationen und NGOs im globalen Süden, um mithilfe seiner Produkte
                         inklusive Geschäftsmodelle in den Bereichen Wohnen, Sanitär und Ernährungssicher-
                         heit zu verwirklichen.
                             Darüber hinaus bleiben vorranging sozialorientierte Geschäftsmodelle in
                         deutschen Konzernen die Ausnahme. Wenn sie sich nahe ihrer Wertschöpfungskette
                         engagieren, liegt der Fokus in den meisten Fällen auf der Förderung potenzieller
                         zukünftiger Fachkräfte oder dem Wohlergehen von Gemeinschaften an Geschäfts-
                         standorten. Zuliefer*innen und potenzielle Kund*innen spielen bisher noch selten
                         eine Rolle. Sozialunternehmen werden tendenziell eher unabhängig von der Wert-
                         schöpfungskette unterstützt, z. B. indem Mitarbeitende ihre Expertise bereitstellen wie
                         bei der Deutschen Bank und SAP oder durch die Impact-Investing-/Venture-Philan-
                         thropy-Programme der BMW Foundation. Obwohl
                         solche Initiativen aus unserer Sicht sinnvoll sind, wird     „Alle unsere Produkte
                         das kreative Potenzial sozialer Innovationen für das         können sozial sein,
                         Kerngeschäft bisher noch meist unterschätzt. Gerade im
                         Vergleich zu französischen und niederländischen Groß-
                                                                                      wenn sie richtig ver-
                         konzernen, in denen Corporate Impact Investing schon         wendet werden. Das
                         deutlich verbreiteter ist, kann sich daraus mittelfristig    müssen wir direkt
                         ein Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen             bei der Entwicklung
                         ergeben.
                                                                                    mitdenken.“

        „Die Grenze, ob etwas soziales Enga-
        gement ist, wird über die Aufhängung
        gezogen: Hängt es in der Unterneh-
        menskommunikation oder eben eher in
        der Geschäftsfeldentwicklung?“

                                                                                                                    33
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