Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
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Das gesellschaftliche Engagement der DAX-Unternehmen im Check Vergebene Chancen Zu wenige DAX40-Konzerne nutzen Corporate Citizenship zur Stärkung ihrer Nachhaltigkeit
Vorwort Spätestens seit der Bundestagswahl am 26. September 2021 ist klar: Die nächste Bundes- regierung wird sich dem 1,5-Grad-Klima-Ziel verpflichtet fühlen. Ob ihre Vorhaben dafür dann auch wirklich ausreichen, ist die große Frage. Und nicht die einzige: Biodiversi- tätsverlust, Ungleichheit und Armut, die Bedrohung unserer Demokratie und nicht zuletzt die Überwindung der COVID -19-Pandemie sind globale Herausforderungen, die Deutschland nicht im Ansatz allein bewältigen kann. Wir sind davon überzeugt: Selbst Staat und Zivilgesellschaft zusammen werden das nicht schaffen. Unternehmen können und müssen ein Teil der Lösung sein. Denn sie sind seit jeher Orte, an denen technische und soziale Innovationen entwickelt, umgesetzt und skaliert werden. Deswegen braucht es allen voran auch Unternehmen, wenn der notwendige Wandel gelingen soll. Als langjährige Partner setzen wir uns bei Wider Sense und goetzpartners dafür ein, Unternehmen genau dabei zu begleiten. Unser Anspruch: Unternehmen zukunftsfähig zu machen, sie nachhaltig aufzustellen und mit dem Wissen und den Instrumenten auszustatten, um gemeinsam mit anderen Stakeholder*innen positiv in Gesellschaften mitzuwirken. Glaubwürdigkeit, Partnerschaft und eine klare strategische Ausrichtung mit nachweisbarer Wirkung sind hierbei zentrale Handlungsprinzipen. Die Erweiterung des DAX auf 40 Unternehmen schien uns ein passender Zeitpunkt, erneut herauszufinden, wie Corporate Citizenship deutscher Unternehmen derzeit aussieht. In unserer Vorgängerstudie hatten wir das bereits 2017 getan. Seitdem hat sich vieles verändert. Wir haben uns gefragt: Was braucht es, damit gesellschaftliches Enga- gement von Unternehmen wirkungsvoller wird? Die Ergebnisse unserer neuen Studie zeigen, dass Corporate Citizenship in Zeiten von ESG , Purpose und EU -Taxonomie ein fester Bestandteil unternehmerischen Handelns sein muss. Und die Studie beschreibt eine Vielzahl guter Unternehmenspraxen. Sie zeigt, dass Unternehmensengagement sehr ambitioniert sein kann: Merck hat sich zum Ziel gesetzt, eine ganze Krankheit auszu- rotten, Bayer will bis 2030 100 Millionen Frauen mit Verhütungsmitteln versorgen und SAP rüstet über 2 Millionen Menschen im Jahr mit digitalem Wissen und Programmier- kenntnissen aus. Drei Beispiele von vielen, die zeigen, was möglich ist. Unsere Studie wirft aber auch Fragen auf zur Weiterentwicklung des Feldes. Noch werden zu viele große Chancen unnötig vergeben. Mit dieser Studie wollen wir einen Beitrag leisten, das zu ändern. An dieser Stelle möchten wir uns bei allen teilnehmenden Unternehmen und ihren Repräsentant*innen bedanken, ohne die diese Studie in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Den befragten Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft Dr. Holger Backhaus-Maul (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Halle-Witten- berg), Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons (Chair of Sustainable Business, Universität Mannheim), Nicolas Malmendier (Corporate Initiative Associate, European Venture Philanthropy Association); Jon Mertz (Purpose Entrepreneur; Gründer von Santa Fe Innovates), Conradin von Nicolai (Spezialist Unternehmenspartnerschaften, UNICEF ), Maike Röttger (Beraterin für Sozialengagement; ehemals Geschäftsführerin von Plan International Deutschland) und Jessica Sommer (Director of Corporate Partnerships, Save the Children) möchten wir hier ebenfalls Danke sagen. Herzliche Grüße Michael Alberg-Seberich Armin Raffalski Geschäftsführer Partner Wider Sense goetzpartners 1
Inhalt 4 Executive Summary 6 Zum Hintergrund 7 Neue Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Unternehmen 10 Warum diese Studie? 11 Was ist gutes Corporate Citizenship? 14 Studiendesign 16 Erkenntnisse 18 Erkenntnis 1: Seit 2017 hat sich wenig getan. 22 Erkenntnis 2: In der Pandemie wurden mehr Ressourcen mobilisiert. 24 Erkenntnis 3: Corporate Citizenship ist professioneller geworden, aber noch wenig digital. 26 Erkenntnis 4: Fehlender Fokus macht Engagement ineffizient und schwieriger zu vermitteln. 29 Erkenntnis 5: Konzerne engagieren sich stärker für ihre eigenen Nachhaltigkeitsthemen. 32 Erkenntnis 6: Unternehmen verknüpfen soziales Engagement und Kerngeschäft noch selten. 36 Erkenntnis 7: Corporate Volunteering setzt noch wenig auf Mitarbeitenden-Know-how. 38 Erkenntnis 8: Partnerschaften sind wichtig, ihre Qualität variiert. 40 Erkenntnis 9: Politische Positionierung bleibt eine Seltenheit. 42 Erkenntnis 10: Es mangelt an Wirkungsmessung. 46 Fazit 48 Quellen 49 Glossar 32 Wer wir sind 52 Impressum
Executive Summary des Kerngeschäfts zu mehr Nachhaltigkeit begonnen. Allein Corporate Citizenship – also das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen – hat sich bisher noch wenig verändert. Dabei kann Corporate Citizenship zu einem Labor für nachhaltige Geschäftsentwicklung werden. Es kann Impulse setzen, sinnstiftend wirken, Emotionen ansprechen oder in Kooperationen mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft Themen adres- sieren, die im Kerngeschäft relevant sind: die Reduktion von Plastik, die Wiederaufforstung von Wäldern oder Menschenrechte entlang der Liefer- kette. Die vorliegende Studie analysiert die Corporate- Citizenship-Aktivitäten der DAX40-Unternehmen. Sie zeigt, dass Corporate-Citizenship-Praxis aktuell noch viele Chancen vergibt. Sie zeigt aber auch inspirierende Entwicklungen und Beispiele für strategisches Engagement, bei denen Synergien mit dem Kerngeschäft genutzt werden – zum Vorteil der Gesellschaft und des kommerziellen Erfolgs. Die Studie wendet dabei den bewährten Ansatz von Wider Sense und goetzpartners entlang Seit wir, Wider Sense und goetz- Übernahme gesellschaftlicher der Dimensionen Strategie, Res- partners, 2017 die erste Studie zum Verantwortung. Ohne sofortigen sourcen, Umsetzung und Ergebnis gesellschaftlichen Engagement der aktiven Beitrag der Wirtschaft an. Sie stützt sich dabei auf eine DAX -Unternehmen veröffentlicht werden unsere Gesellschaften den umfangreiche Analyse öffentlich haben, haben sich die Rahmenbedin- großen Problemen unserer Zeit nicht verfügbarer Informationen gungen für Unternehmen fundamen- begegnen können. Das große Vorha- sowie qualitative Interviews mit tal verändert: In nur vier Jahren ist ben der Weltgemeinschaft – formu- Expert*innen und Vertreter*innen Nachhaltigkeit zum obligatorischen liert in den Sustainable Development von 28 DAX -Unternehmen.I Thema für die Vorstandsebene Goals (SDGs) – droht zu scheitern. geworden. Die sozialen und öko- Keine Entwarnung, aber wir logischen Herausforderungen der sehen Bewegung: Angespornt durch Welt haben sich – nicht zuletzt durch neue Regulatorik wie die EU -Taxo- die COVID -19-Pandemie – noch nomie oder das Lieferkettengesetz einmal dramatisch verschärft. Staat, sowie steigende Nachfrage nach Finanzmärkte, Kund*innen und ESG -Investments und massiven Mitarbeitende erwarten von Druck vonseiten der Konsu- Unternehmen mehr denn je die ment*innen hat die Transformation 4
E xe c u t i ve Su m m a r y Die Studie erbringt die folgenden 5. Konzerne engagieren sich 10. Es mangelt an Wirkungs- zehn Erkenntnisse: jedoch stärker für ihre eige- messung. Nur 44 Prozent der nen Nachhaltigkeitsthemen. Unternehmen berichten aggre- 1. Seit 2017 hat sich wenig ge- 75 Prozent der Unternehmen giert auf der Ebene der ge- tan. Einige Unternehmen wie fokussieren sich zumindest leisteten Aktivitäten (Output), Bayer, Deutsche Post, Deut- teilweise auf Themen, die für nur 8 Prozent berichten über sche Telekom, Merck und SAP ihre eigene nachhaltige Ent- erreichte Wirkung (Outcomes). übernehmen eine Führungs- wicklung wesentlich sind. rolle. Andere wie E.ON, Henkel, Corporate Citizenship wird meist Munich RE und Siemens haben 6. Unternehmen verknüpfen noch nicht so professionell ver- sich verbessert. Viele andere soziales Engagement und folgt wie das Kerngeschäft: Purpose haben sich seit 2017 nur wenig Kerngeschäft noch selten. und Strategie entwickeln, Ziele weiterentwickelt. Damit fallen deutsche Konzer- setzen, Synergien und Kompeten- ne im internationalen Vergleich zen im Unternehmen klären, Maß- 2. In der Pandemie wurden zurück. nahmen definieren, Ressourcenbe- dennoch mehr Ressourcen darf ableiten, umsetzen, Fortschritt mobilisiert. DAX-Unterneh- 7. Corporate Volunteering setzt messen und über die Ergebnisse men gaben im Jahr 2020 über noch wenig auf Mitarbeiten- berichten. 860 Millionen Euro in Geld- den-Know-how. 36 Unterneh- Dies zu ändern ist eine Leader- und Sachspenden für gemein- men unterstützen Mitarbei- ship-Aufgabe. Sie sollte von der nützige Zwecke – ein Großteil tenden-Engagement. Nur neun Unternehmensführung ebenso davon im Kontext der COVID- Unternehmen verfügen über wahrgenommen werden wie von 19-Pandemie. langfristige Programme zum CSR -Abteilungen. So können sowohl Skills-based Volunteering. große als auch kleine Unternehmen 3. Corporate Citizenship ist die Wirkung ihres gesellschaftlichen professioneller geworden, 8. Partnerschaften sind wich- Engagements erhöhen, Stakehol- aber noch wenig digital. tig, ihre Qualität variiert. der*innen-Beziehungen verbessern 77 P rozent der Unternehmen Hierbei stehen vor allem die und zugleich die nachhaltige Trans- verfügen mittlerweile über großen internationalen NGOs formation des Unternehmens globale Spendenrichtlinien, die im Vordergrund – aber auch effektiv und glaubwürdig voran- allerdings meist intransparent gezielte lokale Ansätze können treiben. Es entsteht eine Win-win- bleiben. Nur 14 Unternehmen viel leisten. Situation für Unternehmen und berichten über digitale Engage- Gesellschaft. ment-Plattformen. 9. Politische Positionierung bleibt eine Seltenheit. Im 4. Fehlender Fokus macht Gegensatz zu anderen Ländern Engagement nach wie vor wie den USA fehlt deutschen ineffizient und schwieriger Konzernen noch der Mut, sich zu vermitteln. 90 Prozent zu gesellschaftlichen Themen der Unternehmen engagieren zu positionieren. sich in drei unterschiedlichen Themen oder mehr. I Die übrigen DAX-Unternehmen haben entweder nicht auf unse- re Anfrage reagiert oder standen für ein Gespräch zu ihrem Corporate Citizenship nicht zur Verfügung. 5
Neue Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Unternehmen Die COVID-19-Pandemie hat in den vergangenen eineinhalb Jahren drängendste gesellschaftliche Probleme verschärft. Der Weg zur Lösung dieser Jahrhundertherausforderungen scheint schwieriger denn je. Umso notwendiger ist es, dass dafür alle gesellschaft- lichen Ressourcen mobilisiert werden. Unternehmen müssen jetzt ihren Beitrag leisten. Wollen sie langfristig in ihren Märkten bestehen, wird dies für sie zunehmend obligatorisch. Es bietet ihnen aber auch die Chance, sich aktiv zu positionieren. Im Mai 2017 haben wir, Wider Sense und goetzpartners, die erste Studie zum gesell- schaftlichen Engagement der DAX -Unternehmen veröffentlicht. Seitdem ist viel passiert: Me Too, Black Lives Matter, Fridays for Future – drei Stichwörter reichen, um die rasant gewachsenen gesellschaftlichen Herausforderungen zu verdeutlichen. Im Jahr 2015 wurden die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen verabschiedet: 17 Ziele für eine nachhaltigere Welt, die bis 2030 erreicht werden sollen. Einhellige Auffassung ist, dass diese verfehlt werden, wenn sich nicht vieles gra- vierend ändert. Vor diesem Hintergrund sehen sich auch Unternehmen gestiegenen Erwartungen ihrer Stakeholder*innen ausgesetzt: Erwartungen an Unternehmen Gesetzgebung: In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass Legislativen Unter- nehmen zunehmend hinsichtlich ihrer nachhaltigen Entwicklung in die Pflicht neh- men. Beispielsweise hat die EU mit ihrer Direktive 2014/95/EU Konzerne zu bestimmten 7
Ne ue A nforde r un g e n an die Nach h alt ig ke it von Unte r ne hm e n Aspekten sozialer und ökologischer Berichterstattung verpflichtet. Am 4. Juni 2021 wurde zudem der EU Taxonomy Climate Delegated Act verabschiedet. Dieser definiert Kriterien für eine europaweit einheitliche Klassifikation von Wirtschaftsaktivitäten, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder Anpassungen vor dem Hintergrund der Klimakrise leisten.1 Die Kriterien sollen künftig Investitionen für den Klimaschutz mobilisieren. Erweiterungen zu sozialen sowie weiteren Umweltthemen sind bereits in Planung. Auf nationaler Ebene hat sich mit der Verabschiedung des Lieferkettensorg- faltspflichtengesetzes 2021 ebenso die Regulatorik verschärft. Länder wie Frankreich, Südafrika und Indien haben verschiedene Aspekte des sozialen Engagements in den Bereichen Unternehmensspenden und Corporate Impact Investing mandatiert. Auch hierzulande könnte es künftig zu gesetzlichen Vorgaben im Bereich Corporate Citi- zenship kommen. Rechtsprechung: 2021 hat gezeigt, dass Konzerne auch durch die Rechtsprechung gezwungen werden können, nachhaltiger zu werden. Ein Beispiel ist das Urteil des Bezirksgerichts von Den Haag, das Royal Dutch Shell vorschreibt, bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 45 Prozent zu reduzieren.2 Das Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts zum Klimaschutzgesetz der Bundesregierung im April 2021 wirkt sich ebenso indirekt auf Unternehmen aus und schafft einen wichtigen Präzedenzfall für die Zukunft.3 So haben verschiedene Umweltver- bände im September 2021 angekündigt, die Konzerne Volkswagen, Daimler, BMW und Wintershall Dea per Zivilklage zu weiteren Klimaschutzmaßnahmen zu zwingen.4 Greenpeace hat seine Klage gegen Volkswagen mittlerweile eingereicht.5 Was aus diesen Klagen wird, bleibt abzuwarten. Aber eines ist klar: Die Erwartungen steigen auch hier. Finanzmärkte: Die Finanzmärkte beziehen zunehmend Kriterien in Bezug auf Environment, Social und Governance (ESG ) in Inves- titionsentscheidungen ein. Allein von 2016 bis 2018 sind nachhaltig orientierte Assets in Europa und den USA um 25 Prozent auf mehr als 26 Billionen Dollar angewachsen.6 Bis 2025 könnten sie weltweit auf 53 Billionen Dollar und damit auf ein Drittel der globalen Assets under Management steigen.7 Aussagen von Top-Entscheidungs- tragenden aus der Finanzwirtschaft wie Larry Fink8 (BlackRock) und Jamie Dimon9 (JP Morgan) bestätigen diese Entwicklung. Eine Studie von Chief Executives for Corporate Purpose (CECP ), an der Wider Sense 2020 mitgewirkt hat, verdeutlicht, wie sich dies zunehmend in den Entscheidungen von großen Unternehmen niederschlägt.10 Noch hemmen fehlende Harmonisierung, schlechte Datenqualität und ein Mangel an verpflichtenden Standards die Effektivität von ESG .11 Mit der EU -Taxonomie wird sich dies aber ändern.
Ne ue A nforde r un g e n an die Nach h alt ig ke it von Unte r ne hm e n Kund*innen: Immer mehr Kund*innen lassen sich bei Kaufentscheidungen von sozia- len und ökologischen Faktoren beeinflussen. So sagen 70 Prozent der Deutschen, dass ethische Überlegungen für ihre Konsumentscheidungen wichtig sind – für 20 Prozent sind diese seit der COVID -19-Krise wichtiger geworden.12 Eine Studie, die Wider Sense gemeinsam mit dem US -amerikanischen Beratungsunternehmen INFLUENCE |SG ver- öffentlicht hat, bestätigt diesen Trend: So erwartet etwa die Hälfte der darin befragten deutschen Konsument*innen, dass ein Unternehmen schon bei der Herstellung von neuen Produkten oder Dienstleistungen prüft, wie diese auf die Umwelt wirken.13 Mitarbeitende: Insbesondere hochqualifizierten Talenten ist immer wichtiger, dass sie ihre Arbeit als sinnerfüllt empfinden. 49 Prozent der 21- bis 34-Jährigen bevorzugen es, in einem nachhaltig handelnden Unternehmen zu arbeiten.14 Studien zeigen, dass sich überzeugende Unternehmensverantwortung positiv auf Mitarbeitendenbindung, -motivation und -produktivität auswirken.15 Bezüglich der „Employee Experience“ macht die COVID -19-Krise auch hierbei einen Unterschied: 57 Prozent und damit 11 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr geben an, dass die Aktivitäten im Bereich Corpo- rate Social Responsibility (CSR ) ihres Unternehmens ein entscheidender Faktor für die Motivation am Arbeitsplatz sind.16 9
Warum diese Studie? Wir wollen analysieren, wie umfangreich, professionell und wirkungsvoll das gesellschaftliche Engagement der DAX-Unternehmen derzeit ist. Wir wollen hierdurch Orientierung und Inspiration geben. In unserer Arbeit bei goetzpartners und Wider Sense sehen wir täglich, dass sich das Handeln von Unternehmen verändert. Immer mehr unserer Kund*innen und Part- ner*innen denken darüber nach, wie sie Corporate Citizenship gezielt nutzen können, um die notwendige soziale und ökologische Transformation zu mehr Nachhaltigkeit voranzutreiben. Wir beobachten aber auch: Es bleiben noch viele Potenziale ungenutzt. Mit dieser Studie wollen wir unsere Beobachtungen detaillierter ergründen. Damit wollen wir im Wesentlichen folgende Beiträge leisten: Ɂ Analyse des aktuellen Corporate Citizenship der 40 DAX-Unternehmen als prominentestes Beispiel der deutschen Wirtschaft. Antworten auf die Fragen: - Was ist der Status quo? - Was hat sich seit unserer letzten Studie verändert? - Wie engagieren sich die neu in den DAX aufgestiegenen Unternehmen? Ɂ Identifikation nationaler und internationaler Trends sowie Good Practices in Corporate Citizenship. Wir wollen motivieren und gutes Corporate Citizenship vorantreiben. Antworten auf die Fragen: - Was ist gutes Corporate Citizenship? - Welche Unternehmen sind derzeit führend? Ɂ Ableitung zentraler Handlungsempfehlungen für deutsche Konzerne. Antworten auf die Fragen: - Welche konkreten Schritte können Entscheidungstragende unternehmen, um ihr Corporate Citizenship strategischer aufzustellen? - Was wird dazu benötigt? 10
Was ist gutes Corporate Citizenship? Corporate Citizenship ist das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen. Gutes Corporate Citizenship wird mit der gleichen Ernsthaftigkeit betrieben wie das Kerngeschäft. Es ist strategisch fokussiert, nutzt einen klugen Mix an Ressourcen, wird professionell gemanagt und an seinen Ergebnissen gemessen. Corporate Citizenship bezeichnet das Engagement eines Unternehmens zum vorran- gigen Nutzen von Umwelt und Gesellschaft. Unsere Definition von Corporate Citi- zenship schließt reine PR und marketingbezogenes Sponsoring, z. B. von kulturellen Veranstaltungen oder Profisport, daher aus. Alle anderen Aktivitäten sind in unserer Analyse enthalten. Konkret handelt es sich dabei zumeist um: Corporate Giving Finanzielle oder Sachspenden, z. B. an Vereine, Stiftungen und gGmbHs Corporate Volunteering Einbindung der Mitarbeitenden, um gesellschaft- liche Wirkung zu erzielen und intern Werte zu vermitteln Corporate Impact Investing Investitionen in Geschäftsmodelle, die marktbasiert gesellschaftliche Probleme lösen Corporate Activism Einwirkung auf Öffentlichkeit und Entscheidungs- tragende, um regulatorische Veränderungen anzustoßen 11
Was ist g ute s C or p orate C i t i ze ns hi p? Die primäre Motivation hinter Corporate Citizenship sollte stets das Erreichen positiver gesellschaftlicher Wirkung sein. Dabei sind die Wirkungsmöglichkeiten so divers wie die Unternehmen selbst. Im Angesicht der gestiegenen Erwartungen an Unternehmen kann das Engagement aber auch die Nachhaltigkeitstransformation des Kerngeschäfts auf drei Ebenen unterstützen: 1. Corporate Citizenship hilft, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Corporate Ci- tizenship trägt direkt zur Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen bei, die für Unternehmen wichtig sind. Dies gelingt vor allem durch Kooperationen mit NGOs, Staat und anderen Unternehmen, die sich für gemeinsame Nachhal- tigkeitsziele einsetzen. Die Breite möglicher Engagements reicht dabei von der Finanzierung von Technologie-Folgen-Forschung über lokale NGO-Kooperatio- nen für Menschenrechte in der Lieferkette bis zu internationalen Multi-Stakehol- der-Initiativen für eine verbesserte Governance natürlicher Rohstoffe. 2. Corporate Citizenship hilft, einen nachhaltigen Unternehmens-Purpose nach innen und außen zu kommunizieren und in der Organisationskultur zu verankern. Management und Mitarbeitende werden so für die nachhaltige Transformation des Kerngeschäfts motiviert, gegenüber Stakeholder*innen wird sie legitimiert. 3. Corporate Citizenship fördert nachhaltige Innovation in Prozessen, Pro- dukten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Es gewährt Unternehmen Zugang zu neuen Fragestellungen, Zielgruppen und Märkten. Corporate Citizens- hip funktioniert hier wie ein Laboratorium, das neue Ideen aufnehmen, testen und ins Kerngeschäft übertragen kann. Beispielsweise kann es den Anstoß geben, Produkte für zunächst wirtschaftlich unattraktive Kundschaft zu entwickeln, die über die Zeit zahlungskräftiger wird. Dafür muss Corporate Citizenship fokussiert, nah am Kerngeschäft und gleichzeitig nah an den Nachhaltigkeitsbemühungen eines Unternehmens angesiedelt sein. Dies ermöglicht, Nachhaltigkeitsziele auch auf einer anderen – philanthropischen oder hybriden – Ebene anzugehen. Darüber hinaus ermöglicht es, die Kernkompetenzen eines Unternehmens für eine bessere Gesellschaft einzusetzen, sei dies nun das IT -Know-how eines Software-Konzerns, die Reichweite eines Medienhauses oder seien es die Medikamente eines Pharmaunternehmens. Gutes Corporate Citizenship sollte außerdem mit substanziellen und diversen Ressourcen ausgestattet sein und profes- sionell sowie ergebnisorientiert gemanagt werden. 12
Was ist g ute s C or p orate C i t i ze ns hi p? Unsere vier Dimensionen für gutes Corporate Citizenship Der von Wider Sense und goetzpartners entwickelte Ansatz zur Beurteilung des Corporate Citizenship analysiert die Performance anhand von zwölf Fragen in vier Dimensionen: Strategie 1 Sind die Aktivitäten klar auf wenige Themen fokussiert? Ressourcen 2 4 Stellt das Unternehmen substanzielle finanzielle Ist Corporate Citizenship inhaltlich mit dem Kerngeschäft verknüpft? Mittel für Corporate Citizenship bereit? 3 5 Werden die Mitarbeitenden und ihre professionel- Wird Corporate Citizenship verwendet, um Probleme innerhalb der oder durch die Wert len Fähigkeiten in die Aktivitäten eingebunden? schöpfungskette anzugehen? 6 Stellt das Unternehmen substanzielle und wir- kungsorientierte Sachspenden zur Verfügung? Umsetzung 7 Ist Corporate Citizenship nah am C-Level und Ergebnis der Nachhaltigkeitsabteilung aufgehängt? 10 Positioniert sich das Unternehmen öffentlich 8 Sind Prozesse und Verantwortlichkeiten klar zu seinen Fokusthemen? definiert? 11 Bringt sich das Unternehmen aktiv in relevanten 9 Gibt es ein regelmäßiges Reporting in Form klarer Netzwerken und Kooperationen ein? KPIs (gegen definierte Ziele)? 12 Wird nachweisbare Wirkung erreicht? Wir sind uns bewusst, dass unsere Annahmen darüber, was eine gute Corporate-Citi- zenship-Strategie ausmacht, nicht einstimmig geteilt werden – weder unter Unterneh- men noch in der Zivilgesellschaft. Er leitet sich vor allem aus der Praxis des Corporate- Citizenship-Managements her. Mit dieser Studie wollen wir einen praxisrelevanten Beitrag zu einer dynamischen Debatte leisten. Bald könnte strategisches Corporate Citizenship allerdings auch von offizieller Stelle eine deutliche Aufwertung erfahren: Es gibt erste Anzeichen dafür, dass es auch in der künftigen sozialen Taxonomie der EU eine wichtige Rolle spielen könn- te.17 Hierbei bleibt abzuwarten, ob die bestehenden gestalterischen Freiräume in Bezug auf Strategie, Ressourcen, Umsetzung und Ergebnis durch die Regulatorik künftig enger werden. 13
Studiendesign Die Studie stützt sich auf öffentlich zugängliche Informa- tionen sowie Interviews mit Verantwortlichen in den DAX- Unternehmen. Bewertet werden die Unternehmen nach dem von Wider Sense und goetzpartners entwickelten Framework. In der Studie wird untersucht, wie strategisch und wirksam die Corporate-Citizenship- Aktivitäten der DAX -Unternehmen ausgerichtet sind. Um dabei ein möglichst voll ständiges Bild zu generieren, stützt sie sich auf die folgenden Methoden: Ɂ Analyse öffentlich verfügbarer Informationen: Wir haben zunächst die Daten analysiert, welche die DAX40-Unternehmen in ihren Jahres- und Nachhaltig- keitsberichten sowie auf ihren Websites veröffentlichen. Ɂ Interviews mit CSR-Verantwortlichen: Für diese Studie haben wir Gespräche mit Vertreter*innen von 28 der 40 DAX-Unternehmen geführt.II Ɂ Diskussionen mit Expert*innen aus unserem Netzwerk haben die Ergebnisse kontextualisiert. Auf Grundlage der Analyse wurden die Unternehmen, wie schon in der vorigen Studie, in die folgenden fünf Corporate-Citizenship-Typen eingeteilt: II Die übrigen DAX-Unternehmen haben entweder nicht auf unsere Anfrage reagiert oder standen für ein Gespräch zu ihrem Corpo- rate Citizenship nicht zur Verfügung. 14
St u d i e nd e s i gn Corporate-Citizenship-Typen Spontan Reaktiv Engagiert Strategisch Integriert Engagiert sich Leistet regelmäßig Engagiert sich Verfolgt eine Integriert Corpo- finanziell ohne finanzielle Spen- langfristig in fokussierte rate Citizenship in strategische den, weitgehend ausgewählten Strategie mit Syn- sein Kerngeschäft; Vorgaben ohne festgelegte Bereichen, teil- ergien zwischen Aktivitäten zielen (z. B. spontane Wirkungsabsicht weise mit Bezug Engagement und auf langfristigen Spenden an lokale (z. B. überwiegend zum Kerngeschäft, Kerngeschäft und finanziellen Erfolg Vereine und NGOs) lokales Engage- ist teilweise orientiert sein und nachweisbare ment wird mit wirkungsorientiert, Engagement an gesellschaftliche ersten langfristi- misst die Wirkung Ergebnissen und Wirkung gleicher- geren Projekten allerdings nicht Wirkung maßen kombiniert) „hart“ 15
Erkenntnisse
E r ke nnt ni s s e 17
Erkenntnis 1: Seit 2017 hat sich wenig getan. Die Erwartung an Unternehmen, nachhaltiger zu werden, steigt rasant – ihr Corporate Citizenship entwickelt sich aber nur langsam. Mit dem gestiegenen gesellschaftlichen Anspruch an Unternehmen ist die Notwendig- keit für wohlüberlegtes Corporate Citizenship rapide gewachsen. Nach wie vor gehen aber nur wenige Unternehmen gezielt vor, um positive gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Unsere Studie zeigt: Die meisten Unternehmen lassen viele Potenziale ungenutzt. Von den in der vorigen Studie untersuchten Konzernen sind derzeit noch 25 im DAX vertreten. 15 Unternehmen sind seit 2017 hinzugekommen, zehn davon seit September 2021: Airbus, Brenntag, Covestro, Delivery Hero, Deutsche Wohnen, Hel- loFresh, MTU Aero Engines, Siemens Energy, Siemens Healthineers, Puma, Qiagen, III Die Porsche SE wurde aus Sartorius, Symrise und Zalando, die an unterschiedlichen Positionen der Typisierung der Untersuchung ausge- eingestiegen sind.III klammert, da es sich hierbei Viele Unternehmen haben sich seit 2017 weiterentwickelt. Aber: Nur vier Unter- um eine Holdinggesellschaft ohne eigenes E ngagement nehmen, die 2017 bereits im DAX vertreten waren, haben seitdem ausreichend handelt. Außerdem hat Bei- große Veränderungen angestoßen, um den Schritt in die nächsthöhere Corpo- ersdorf Ende Oktober 2021 rate-Citizenship-Kategorie zu gehen. Fünf Unternehmen, die auch 2017 bereits Deutsche Wohnen im DAX ersetzt, jedoch erst nach als „strategisch“ bewertet wurden, sind zudem auf einem guten Weg zu einer Redaktionsschluss. integrierten Form des Corporate Citizenship. 18
E r ke nnt ni s 1 Scoring der DAX40 in die 5 Corporate-Citizenship-Typen Spontan Reaktiv Engagiert Strategisch Integriert Adidas Airbus Allianz BMW Continental Daimler Delivery Hero Deutsche Börse Fresenius MC Heidelberg Cement Bayer ↗ HelloFresh Deutsche Post ↗ Infineon Deutsche Telekom ↗ Linde SAP ↗ Puma Merck ↗ Qiagen Siemens ↗ Siemens Brenntag Energy Deutsche Siemens BASF Fresenius ↘ Wohnen Healthineers Covestro RWE ↘ E.ON ↗ Volkswagen Deutsche Bank Sartorius MTU Aero Vonovia Henkel ↗ Symrise Engines Zalando Munich RE ↗ 4 4 21 10 0 ↗ Verbessert gegenüber 2017 ↘ Verschlechtert gegenüber 2017 Neu hinzugekommen seit 2017 19
E r ke nnt ni s 1 Ein Unternehmen, das sich seit der vorigen Studie deutlich weiterentwickelt hat, ist Siemens. Das Unternehmen hat seine drei Engagement-Schwerpunkte Zugang zu Technologie, Zugang zu Bildung sowie nachhaltige Unterstützung sozialer und kultureller Strukturen klarer definiert und in seiner Strategie-Vision 2020+ mit seinem Kerngeschäft und seinen Nachhaltigkeitsbestrebungen in Verbindung gesetzt. Einige Engagements, wie zum Beispiel diverse Stipendien- und Ausbildungsprogramme in verschiedenen Märkten, finden innerhalb der Wertschöpfungskette des Unternehmens statt und erhöhen damit ihre Wirksamkeit. E.ON hat sich ebenso verbessert: Mit einem gesteigerten Fokus auf „Strategic Involvement“ in den Bereichen Zugang zu Energie, Klimawandel und künftige Gene- rationen. Zudem tragen ambitioniertere Programme in den Bereichen Energiearmut und Mieter*innenstrom sowie ein strukturell integrierter Ansatz zwischen Corporate Citizenship und Nachhaltigkeit zur Verbesserung bei. Munich RE und Henkel überzeugen ebenfalls. So verfügt Munich RE über einen weitgehend integrierten Ansatz zwischen Nachhaltigkeit und Corporate Citizenship, der professionell und transparent umgesetzt wird. Positiv anzumerken sind auch die Corporate-Activism-Aktivitäten des Konzerns im Bereich Klimaschutz. Auch Henkel konzentriert sein Engagement zunehmend auf Nachhaltigkeitsthemen und hat zudem seine Spendensumme deutlich erhöht. Auch Mitarbeitendenengagement wird extensiv gefördert. Beide Unternehmen verfügen über verhältnismäßig fortgeschrittene Repor- ting-Praktiken. Bayer, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Merck und SAP haben ihre gute Performance der vorigen Studie gestärkt und gefestigt. Diese Unternehmen sind auf einem guten Weg, sich in den nächsten Jahren zu einem „integrierten“ Ansatz zu bewegen. Die Unternehmen haben dabei unterschiedliche Entwicklungen priorisiert, Corporate-Citizenship-Typ-Entwicklung der 25 „alten“ DAX-Unternehmen 70 60 50 A n g a b e n i n P roze nt 40 30 20 10 0 Spontan Reaktiv Engagiert Strategisch Integriert DAX25 (2017) DAX25 (2021) 20
E r ke nnt ni s 1 z. B. ein deutlich ausgebautes Outcome-Reporting zu Corporate Citizenship als Teil einer Gesamt-ESG -Berichterstattung (Bayer), die weitere Institutionalisierung und Bündelung globaler Corporate-Citizenship-Programme in einer zentralen Abteilung (Deutsche Post) oder verstärkte Bemühungen zur Mobilisierung anderer durch Advocacy und Netzwerke (Deutsche Telekom, SAP ). Alle genannten und einige weitere Unternehmen streben überdies zunehmend nach einer weiteren Etablierung von Wirkungsmessung. Bei den Unternehmen, die bereits 2017 Teil des DAX waren, stellen wir daher im Scoring eine leichte Verschiebung nach oben fest. Der direkte Vergleich mit 2017 zeigt: Spontanes und reaktives Engagement ist im Verhältnis sogar etwas häufiger geworden. Gerade die 15 DAX -Unternehmen, die seit 2017 hinzukamen, sind im Durchschnitt weniger strategisch aufgestellt als die Konzerne mit einer längeren DAX -Zugehörigkeit. Eine mögliche Erklärung ist, dass mit der DAX -verbundenen Aufmerksamkeit eine erhöhte Erwartungshaltung verschiedener Stakeholder*innen einhergeht, welche die Unternehmen über Zeit zu strategischerem Engagement veranlasst. Ein Effekt größerer Kund*innennähe bei B2C-Unternehmen bzw. bekannteren Marken kann welche ebenfalls eine Rolle spielen. Insgesamt wird klar: Es ergibt sich eine breitere Streuung als noch in der vorigen Studie. Während eine Spitzengruppe ihr Engagement gezielt weiterentwickelt, bleiben andere zurück. Die meisten DAX -Unternehmen haben Corporate Citizenship jedoch in den vergangenen Jahren nicht zu einem Hebel für mehr Nachhaltigkeit ausgebaut. Die folgenden Abschnitte zeigen auf, welche Entwicklungen in den letzten Jahren im Detail statt- gefunden haben. Corporate-Citizenship-Typ der 25 „alten“ und der 15 „neuen“ DAX-Unternehmen 70 60 50 A n g a b e n i n P roze nt 40 30 20 10 0 Spontan Reaktiv Engagiert Strategisch Integriert DAX25 (2021) DAX+15 (2021) 21
Erkenntnis 2: In der Pandemie wurden mehr Ressourcen mobilisiert. Die von Unternehmen eingesetzten Ressourcen für Corporate Citizenship sind in der COVID-19-Krise deutlich gestiegen. Auf Grundlage verfügbarer Zahlen von 26 DAX -Unternehmen erge- ben sich für das Jahr 2020 über 860 Millionen Euro in Geld- und Sachspenden für gemeinnützige Zwecke. 2019 lag der Betrag noch bei etwa 515 Millionen Euro (von 23 Unternehmen) – allerdings haben einige Konzerne ihre Reporting-Praktiken seitdem verändert. Es ist weiterhin schwierig, eine Gesamtzahl der Spenden und ande- ren Ressourcen anzugeben, die DAX -Konzerne bereitstellen. Es gibt keine einheitlichen Regeln für das Berichtswesen von sozialem Engagement: So werden Spenden, Sponsoring, Sachspenden und weitere Ausgaben teils aggregiert, teils separat berichtet. Der Anstieg ist maßgeblich auf die Pandemie zurückzu- führen, denn während der Krise haben viele Unternehmen ins- besondere ihre Sachspenden erhöht. Ein gutes Beispiel hierfür ist Henkel, die ihre Spenden von etwa 8 Millionen Euro 2019
E r ke nnt ni s 2 auf etwa 30 Millionen Euro 2020 fast vervierfacht haben. Im Zuge der Pandemie hat das Unternehmen unter anderem 110.000 Liter Desinfektionsmittel und mehr als 5 Millionen Hygieneartikel gespendet. Ähnliche COVID -19-bedingte Sachspenden wie Tests, Masken oder medizinisches Equipment finden sich bei etwa der Hälfte der DAX -Konzerne. Ob dieser Anstieg dauerhaft ist, bleibt abzuwarten, da langfristig und wirkungs- voll ausgerichtete Sachspendenprogramme bisher vor allem auf die pharmazeu- tische Industrie und wenige weitere Unternehmen beschränkt sind. Inwiefern die Sachspenden tatsächlich wirkungsvoll sind, ist von außen nicht immer ersichtlich. Im besten Fall können Sachspenden wichtige Güter bereitstellen, die für Bedürftige oder gemeinnützige Organisationen sonst nur zu höheren Kosten oder gar nicht verfügbar wären. Im ungünstigsten Fall verursachen die Logistik und Koordination von Sach- spenden mehr Kosten als Nutzen oder die Gaben zerstören lokale Märkte. Ein positives Beispiel ist Merck, das in einer Partnerschaft mit der Weltgesund- heitsorganisation seit 2007 bereits 1,3 Milliarden Schistosomiasis-Tabletten für die Behandlung der tropischen Infektionskrankheit gespendet hat. BASF , Bayer und Qiagen verfügen ebenso über langfristige Partnerschaften, durch die medizinische Güter gespendet oder deutlich kostenreduziert zur Verfügung gestellt werden. Die Deutsche Telekom spendet in großem Maßstab den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen. Sie hat bisher rund 22.000 Schulen in Deutschland mit kostenfreien Breitbandanschlüssen ausgestattet. In der Pandemie wurden zudem z. B. Internetzugänge für den Fernunterricht in den USA und verschiedene Leistungen für Senior*innen und Gastro- nom*innen angeboten. Die Spendensumme ist zwischen den einzelnen Konzer- nen äußerst ungleich verteilt. Die beiden größten Spender allein – Deutsche Telekom und Bayer – spendeten 2020 mehr als 300 Millionen Euro, über 200 Millionen Euro davon in Sachspenden. Auf der anderen Seite des Spektrums stellte Infi- neon 1,8 Millionen Euro für sein Engagement bereit. Vonovia und Deutsche Wohnen spendeten jeweils weniger als 2 Millio- nen Euro, allerdings zeigt sich hierbei auch die Unschärfe der berichteten Zahlen: Der Gegenwert von Dienstleistungen wie kostenlos oder kostenreduziert bereitgestellten wird von den Immobilienkonzernen nicht veröffentlicht. 23
Erkenntnis 3: Corporate Citizenship ist professioneller geworden, aber noch wenig digital. Viele DAX-Unternehmen haben das Management von Corporate Citizenship weiterhin professionalisiert – das Potenzial digitaler Optionen nutzen jedoch nur wenige. Ein effektives Engagement ist nur möglich, wenn es mit der gleichen Stringenz umge- setzt wird wie andere Unternehmensfunktionen. Zentrale Vorgaben müssen entworfen und in Abstimmung mit den lokalen Organisationseinheiten implementiert werden. Wichtig ist hierbei, dass Verantwortlichkeiten geklärt und Prozesse definiert sind. Weitere Wirkungsvehikel wie Unternehmensstiftungen sollten ebenfalls – unter Berücksichtigung rechtlicher Vorgaben – eng mit anderen Aktivitäten koordiniert werden, um Synergien zu erzielen. Prozesse und Strukturen 77 Prozent der untersuchten Unternehmen verfügen mittlerweile über globale Richtlinien zum Engagement, allerdings werden dieses von 56 Prozent der Unter- nehmen nicht veröffentlicht. Das bedeutet, dass von außen nur schwierig eine Aus- sage über Inhalte und ihren Detailgrad getroffen werden kann. Gerade gemeinnützige Organisationen, die sich um eine Förderung bewerben, wissen somit oftmals nicht, ob sie dafür infrage kommen oder worauf sie bei ihrer Bewerbung achten müssen. Erhöhte Transparenz könnte der Zivilgesellschaft Ressourcen sparen, die für die programma- tische Arbeit dringend benötigt werden. Trotzdem wird aus diesen Daten klar, dass in den vergangenen Jahren eine Professionalisierung stattgefunden hat. 24
E r ke nnt ni s 3 ��w Vorhandensein einer globalen Spendenrichtlinie 23 % 21 % Globale Spendenrichtlinie (Öffentlich) Globale Spendenrichtlinie (Intern) 56 % Keine oder keine Angaben zu einer globalen Spendenrichtlinie Ein weiteres wichtiges Tool des Unternehmensengagements bleiben Unternehmens- stiftungen. Derzeit haben 17 von 40 DAX -Unternehmen eine oder mehrere Unter- nehmensstiftungen. 2017 waren es noch 20 von 30 DAX -Unternehmen. Während die Stiftungen in dieser Analyse nur teilweise berücksichtigt werden, sehen wir in unserer Arbeit auch bei ihnen den Trend, sich stärker an der ESG -Strategie von Unterneh- men zu orientieren. Nicht zuletzt aufgrund des deutschen Stiftungs- und Gemein- nützigkeitsrechts müssen diese Stiftungen allerdings sowohl inhaltlich als auch strukturell unabhängig von ihren Mutterunternehmen bleiben.IV Ein gutes Beispiel ist die Munich RE Foundation, die sich mit Fokusthemen wie Klimawandel, Inclusive Insurance und Disaster Risk nah sowohl an den Engagementbereichen als auch am Kerngeschäft des Konzerns positioniert hat. Auch die E.ON Foundation (früher mit innogy bzw. RWE verbunden) arbeitet mit Fokus auf die Energiewende in einem für den Konzern zentralen Thema. Auf diese Weise können die Stiftungen von den Kern- kompetenzen der Unternehmen profitieren und selbst unternehmensrelevante Expertise aufbauen. Gleichzeitig wird durch ihre teilweise Autonomie und gemein- nützige Rechtsform eine gewisse Flexibilität und Kontinuität des Engagements gewährleistet, teilweise isoliert von den Erwartungen des Tagesgeschäfts. Damit können Unternehmensstiftungen insbesondere gegenüber der Zivilgesellschaft als glaubwürdige, inhaltlich kompetente und legitime gesellschaftliche Akteur*innen auftreten. Digitalisierung Bei der Digitalisierung von Corporate Citizenship haben DAX -Konzerne aus unse- rer Sicht noch Nachholbedarf. So gibt es mittlerweile eine große Anzahl an Platt- formen von Providern wie Alaya, Benevity, Blackbaud, CyberGrants oder Optimy, über die Corporate Giving, Corporate Volunteering und andere Aspekte des Engagements zentral gesteuert werden können. Sie erleichtern Verantwortlichen das Management und das Monitoring von Corporate-Citizenship-Aktivitäten und gestalten damit zahl- reiche vormals zeitaufwändige Prozesse erheblich effizienter. In unseren Gesprä- IV Ein längerer Exkurs zu chen haben uns nur 14 Unternehmen berichtet, dass sie derartige Plattformen bereits Unternehmensstiftungen findet sich in unserer Studie nutzen oder derzeit aufbauen. Allerdings beschränken sich die Plattformen gerade von 2017. häufig noch auf einzelne Aspekte des Engagements, z. B. die Spendenabwicklung oder 25
Erkenntnis 4: Fehlender Fokus macht Engagement ineffizient und schwieriger zu vermitteln. Dem Engagement der meisten Unternehmen fehlt der Fokus – und damit der Bezug zu einem über- geordneten Purpose. „Ich kann von der Zentrale aus nicht abschätzen, was tatsächlich 90 Prozent der DAX -Unternehmen haben an den ganzen Standorten wich- keinen Fokus für ihr gesellschaftliches Engagement artikuliert oder fokussieren tig ist. Das können die lokal am sich auf drei oder mehr Themen, die nicht besten abschätzen.“* in unmittelbarem Zusammenhang mitein- ander stehen. Damit hat die Fokussierung des Engagements seit 2017 sogar abgenom- men. Zwar ist der Fokus auf mehrere Themenfelder nicht notwendigerweise negativ zu bewerten, jedoch erschwert er es unserer Erfahrung nach, klare Ziele zu formulieren * Im Rahmen unserer Interviews und riskiert, dass viele einzelne Bemühungen wenig effektiv bleiben. haben wir besonders prägnante Dabei bietet Corporate Citizenship die einzigartige Möglichkeit, einen gesell- Aussagen von DAX-Corporate Citizenship-Verantwortlichen mit- schaftlichen „Purpose“ voranzutreiben. Viele Unternehmen fragen sich: Was ist der geschrieben. Diese werden an rele- vanten Textstellen in anonymisierter gesellschaftliche Wert, den sie mit ihrem Produkt oder ihrer Dienstleistung schaffen? Form angeführt. Gesellschaftliches Engagement wird zu einem Vehikel, diesen Wert zu steigern. Es 26
E r ke nnt ni s 4 �+�+w �+�+w Fokus des gesellschaftlichen Engagements 3% 2% 8% 13 % 2017 2021 84 % 90 % Ein Fokusthema Zwei Fokusthemen Drei und mehr Fokusthemen „Unser Engagement rückt erlaubt, eine Vision zu kommunizieren, die Management, Angestellte, immer näher ans Kerngeschäft Investor*innen und Konsument*innen für nachhaltige Unternehmens- entwicklung begeistert und damit positive Wirkung auf die Gesellschaft heran. Gleichzeitig bleiben entfaltet. Glaubwürdigkeit und Legitimität werden gestärkt. Beispiele einer wir subsidiär. Wir wissen besonders klaren „Story“ in diesem Sinn sind SAP mit seinem Engagement- nicht alles. Wir lernen, indem Fokus „Durch Digitale Inklusion Neue Chancen Schaffen“ und die Deutsche wir uns auf lokaler Ebene auf Telekom, die sich – in ähnlichem Wortlaut, aber anderen Herangehenswei- sen – „Digitale Teilhabe“ zum zentralen Ziel gesetzt hat. Situationen anpassen.“ Bei fast allen DAX -Unternehmen gibt es weiterhin das lokale, ungerich- tete Engagement im Sinne einer guten Nachbarschaft, das grundsätzlich sinnvoll ist, aber bei den betrachteten Unternehmen unterschiedlich viel Raum ein- nimmt. In den Gesprächen wurde insbesondere darauf verwiesen, dass die lokalen Organisationseinheiten und Mitarbeitenden das beste Verständnis für die Probleme und Lösungen auf lokaler Ebene haben. Damit einher geht, dass die Organisations- einheiten nach wie vor große Autonomie in der Wahl ihrer lokalen Projekte haben. Dies kann sowohl die Effektivität als auch die Legitimität der Maßnahmen erhöhen. Allerdings wird damit auch die Chance eingeschränkt, sich in einem wesentlichen Engagementbereich echte Expertise, Netzwerke und Kompetenzen aufzubauen, durch Bündelung Synergien und somit mehr gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. Starke Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über das Gesamtnarrativ und ihre Ziele Leitlinien festlegen, innerhalb derer sich das Engagement an ver- schiedene Kontexte anpassen kann. Ein Budget für unvorhergesehene Zwecke vor Ort kann sinnvoll sein – allerdings sollte es sich im Vergleich zu den Gesamtressourcen nicht zu „Wir setzen nicht voraus, groß ausnehmen. was unsere Nachbarn brauchen. Als guter Nachbar fragen wir sie auch.“ 27
E r ke nnt ni s 4 Internationale Good Practice: ESSILORLUXOTTICA Der Augenoptikkonzern Essilor Luxottica hat sich „See more, be more and live life to its fullest“ als Mission gesetzt. Konsequent engagiert er sich für verbessertes Sehvermögen: durch die Förderung von Augenkliniken, inklusive Geschäftsmodelle, Public-Private Partners- hips, Mitarbeitenden-Engagement, Awareness-Kampag- nen und Produktspenden. Kurzum: durch das ganze Instrumentarium des Corporate Citizenship. Seit 2013 hat das Unternehmen 420 Millionen Mitgliedern von benachteiligten Gemeinschaften im Globalen Süden Zugang zu Augenoptik-Dienstleistungen verschafft. Trotz der COVID-19-Krise ermöglichten es seine philanthropischen Programme im Jahr 2020, die Sehkraft von 1,3 Millionen Menschen zu korrigieren oder zu bewahren.18 28
Erkenntnis 5: Konzerne engagieren sich stärker für ihre eigenen Nachhaltigkeitsthemen. Das Potenzial der Verknüpfung von Corporate Citi- zenship mit den eigenen Nachhaltigkeitsbemühungen wird von Unternehmen zunehmend erkannt – aber nur in wenigen Fällen voll genutzt. Lange war Corporate Citizenship meist eher ungerichtet. Es beschränkte sich auf die Unterstützung von Organisationen, z. B. weil diese von Entscheidungstragenden aus persönlichen Gründen als förderungswürdig betrachtet wurden. Aus den Ergebnissen der Studie und Gesprächen mit Kund*innen geht hervor, dass sich dies langsam ändert. 75 Prozent der DAX -Unternehmen engagieren sich mittlerweile unter anderem in Bereichen, die für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätig- keit wesentlich sind. Um diese Wesentlichkeit – oder „Materialität“ – in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen zu erfassen, sind zwei Fragen ausschlaggebend: 1. Welche Auswirkungen hat das Unternehmen auf die Gesellschaft? Dies kön- nen negative Auswirkungen sein, z. B. der Ausstoß von Schadstoffen. Dies können auch positive Auswirkungen sein, z. B. ein Zugewinn von Mobilität oder Gesund- heit durch die Produkte eines Unternehmens. 2. Welche Auswirkungen haben gesellschaftliche Herausforderungen auf das Unternehmen? Ein schlechtes Bildungssystem beschränkt beispielsweise die Verfügbarkeit von Fachkräften und fehlende Rechtsstaatlichkeit bedroht die Sicherheit von Investitionen. 29
E r ke nnt ni s 5 Oft überschneiden sich die Antworten auf beide Fragen – z. B. wenn Schadstoffaus- stoß Regulierung nach sich zieht oder wenn Menschenrechtsverletzungen in der Liefer- kette die Kaufentscheidungen von Konsument*innen negativ beeinflussen. Beinahe alle DAX -Unternehmen führen mittlerweile Wesentlichkeitsanalysen durch, weil diese in allen wichtigen ESG -Standards (GRI , SASB , TCFD etc.) eine zentrale Rolle spielen. Ein Beispiel für ein Unternehmen, das sich in seinem gesellschaftlichen Engage- ment maßgeblich auf wesentliche Environmental-Themen fokussiert hat, ist Covestro. Von der Teilnahme an verschiedenen Foren über die Finanzierung universitärer und schulischer Programme bis hin zum Mitarbeitenden-Engagement findet ein großer Teil von Covestros Corporate Citizenship im Bereich der zirkulären Wirtschaft statt, die sich das Unternehmen in seinem Kerngeschäft wie seinen Nachhaltigkeitsbemühungen zum Ziel gesetzt hat. „Ich stelle fest, dass Im Social-Bereich setzen manche DAX -Unternehmen ebenfalls zunehmend auf Corporate Citizen- die Instrumente des Corporate Citizenship, um ihre Externalitäten abzufedern. Eine ship nicht mehr so wichtige Rolle spielt dies vor allem in der Debatte um Menschenrechte und Arbeits- bedingungen in der Lieferkette. Hierbei ist die Partnerschaft von Daimler mit der philanthropisch NGO Bon Pasteur ein Beispiel, die sich darauf fokussiert, die Lebensbedingungen, getrieben ist, sondern insbesondere von Frauen und Kindern, im Kontext des Kobaltabbaus in der Demo- eher von den Kern- kratischen Republik Kongo zu verbessern. Weitere materielle S-Fokussierungen sind kompetenzen: Wir beispielsweise der medizinische Fokus von Bayer, Merck und Fresenius Medical Care, der Fokus auf Risikobewusstsein und Gesundheitsversicherung der Munich RE , fragen uns häufig: der Textillieferketten-Fokus von Zalando oder der Fokus auf Technologiezugang von Was ist unser Wert?“ Siemens und Siemens Energy. Der Fokus auf wesentliche Themen schafft wesentliche Lösungen für eigene Nachhaltigkeitsprobleme. Er erhöht die Resilienz von Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodellen, verringert Reputationsrisiken durch Schadensfälle, verbessert Stakeholder*innen-Beziehungen und bringt Unternehmen gegenüber staatlicher Ordnungspolitik in Stellung. Als Testlabor kann Corporate Citizenship Unternehmen Expertise und Erkenntnisse in relevanten Nachhaltigkeitsfragen bringen. Der Fokus auf wesentliche Themen nützt auch der Gesellschaft: Er sichert die langfristige 13+59+28w Fokus auf wesentliche Themen 13 % 28 % Exklusiver Fokus auf wesentliche Themen 59 % Teilweiser Fokus auf wesentliche Themen Kein Fokus auf wesentliche Themen 30
E r ke nnt ni s 5 Finanzierung des Engagements, weil er die Argumentationsgrundlage für die interne Ressourcenverteilung stärkt. Er erlaubt es auch, die Kernkompetenzen des Unter- nehmens anzuwenden – und das Engagement somit effektiver zu machen. Unsere Analyse zeigt, dass drei Viertel der Unternehmen einen Teil ihres Engagements auf Themen fokussieren, die sie selbst als wesentlich definieren. Sie zeigt aber auch: Ein exklusiver Fokus auf wesentliche Themen ist weiterhin selten. Organisationsstruktur Eine engere Verknüpfung mit der Konzern-Nachhaltigkeit ist auch an der Organi- sationsstruktur von Corporate Citizenship abzulesen: Bei 38 Prozent der DAX - Unternehmen ist Corporate Citizenship auf globaler Ebene strukturell eng mit Nachhaltigkeit verknüpft. Zum Zeitpunkt unserer vorigen Studie waren die meisten Corporate-Citizenship-Teams noch Teil der Personal- oder Kommunikationsabtei- lung. Nur noch bei jedem vierten Unternehmen ist die globale Organisation auf mehrere Funktionen aufgeteilt oder gar nicht zu erkennen. Im Detail gibt es bei der Organisation von Corporate Citizenship unterschiedliche Modelle: Bei Bayer wird der Großteil der strategischen Aktivitäten in den Bereichen Gesundheit und Landwirt- schaft über die Bayer-Stiftungen abgewickelt, die eng mit der Konzern-Nachhaltigkeit verbunden sind. Die Deutsche Post organisiert Corporate Citizenship in der Abteilung Kommunikation, Nachhaltigkeit und Marke. Dort steuert ein eigenes Social-Impact- Team die vier zentralen Engagement-Programme des Konzerns (GoHelp, GoTeach, „Wo hat man eine GoGreen und GoTrade) sowie das Mitarbeitenden-Engagement. Authentizität, weil wir die Kapazitä- ten in dem Bereich haben?“ 38++w20351321 Aufhängung von Corporate Citizenship nach Unternehmensabteilung 21 % Nachhaltigkeit, inkl. wo Nachhaltigkeit Teil 38 % einer anderen Abteilung ist 13 % Kommunikation Personal 5% Vorstand 3% 20 % Divers keine Angaben 31
Erkenntnis 6: Unternehmen verknüp- fen soziales Engagement und Kerngeschäft noch selten. Eine Reihe von DAX-Unternehmen fördert soziales Unternehmertum – die Einbindung von sozia- len Innovationen in die eigene Wertschöpfung geschieht bisher aber nur in wenigen Fällen. Viele Entscheidungstragende fragen sich, wo die Grenze zwischen Kerngeschäft und sozialem Engagement verläuft und welche Bedeutung diese heute überhaupt noch hat. Im Rahmen von Nachhaltigkeitsstrategien werden ökologische und soziale Fakto- ren wie Schadstoffemissionen, Geschlechtergerechtigkeit oder Menschenrechte auch im Kerngeschäft wichtiger. Zudem setzt eine zunehmende Anzahl von Unternehmen auf „Shared Value“-Ansätze, welche „die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens erhöhen und gleichzeitig die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Gemeinschaften fördern, in denen es tätig ist.“19 Beispiele für solche Geschäftsmodelle finden sich auch im DAX , z. B. bei sozial und ökologisch orientierten Versicherungs- dienstleistungen von Munich RE und Allianz, die sich insbesondere an Kund*innen in Ländern des Globalen Südens richten. Diese sind allerdings klar im Kerngeschäft verortet. 32
E r ke nnt ni s 6 „Gutes Engagement ist eigentlich kein Enga- gement mehr. Gutes Darüber hinaus nimmt die geschäftliche Zusammenarbeit mit Sozialunternehmen Engagement findet zu. Dies geschieht einerseits im Sourcing: Adidas kooperiert mit Parley for the Oceans, um Sportartikel aus recyceltem Plastik herzustellen, das sonst in vielen Fällen im direkt im Kerngeschäft Meer gelandet wäre. SAP hat mit der „5 & 5 by ‘25“-Initiative eine Bewegung ins Leben statt.“ gerufen, in der Organisationen sich bereiterklären, bis 2025 fünf Prozent ihres Procu- rements von Social Enterprises und diversen Unternehmen zu tätigen. Zalando hat gemeinsam mit anderen Akteur*innen in einen Fonds investiert, der technische und soziale Innovationen im Management von Textillieferketten fördert.20 Auf der anderen Seite gibt es Programme, mit denen Konzerne durch die Finan- zierung sozialer Unternehmungen benachteiligte Gruppen ansprechen – mit dem möglichen Vorteil, sie für die Zukunft als Kund*innen zu gewinnen. Beispielweise wurde 2019 der Bayer Social Innovation Ecosystem Fund aufgelegt, um landwirt- schaftliche und Gesundheitsdienstleistungen für afrikanische Kleinbäuer*innen zu finanzieren. Die Mittel werden Intermediärorganisationen bereitgestellt, die damit verschiedene lokale Dienstleistungen anbieten und unternehmerische Lösungen der Ackerbaubetreibenden selbst fördern können. Covestro arbeitet mit verschiedenen staatlichen Organisationen und NGOs im globalen Süden, um mithilfe seiner Produkte inklusive Geschäftsmodelle in den Bereichen Wohnen, Sanitär und Ernährungssicher- heit zu verwirklichen. Darüber hinaus bleiben vorranging sozialorientierte Geschäftsmodelle in deutschen Konzernen die Ausnahme. Wenn sie sich nahe ihrer Wertschöpfungskette engagieren, liegt der Fokus in den meisten Fällen auf der Förderung potenzieller zukünftiger Fachkräfte oder dem Wohlergehen von Gemeinschaften an Geschäfts- standorten. Zuliefer*innen und potenzielle Kund*innen spielen bisher noch selten eine Rolle. Sozialunternehmen werden tendenziell eher unabhängig von der Wert- schöpfungskette unterstützt, z. B. indem Mitarbeitende ihre Expertise bereitstellen wie bei der Deutschen Bank und SAP oder durch die Impact-Investing-/Venture-Philan- thropy-Programme der BMW Foundation. Obwohl solche Initiativen aus unserer Sicht sinnvoll sind, wird „Alle unsere Produkte das kreative Potenzial sozialer Innovationen für das können sozial sein, Kerngeschäft bisher noch meist unterschätzt. Gerade im Vergleich zu französischen und niederländischen Groß- wenn sie richtig ver- konzernen, in denen Corporate Impact Investing schon wendet werden. Das deutlich verbreiteter ist, kann sich daraus mittelfristig müssen wir direkt ein Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen bei der Entwicklung ergeben. mitdenken.“ „Die Grenze, ob etwas soziales Enga- gement ist, wird über die Aufhängung gezogen: Hängt es in der Unterneh- menskommunikation oder eben eher in der Geschäftsfeldentwicklung?“ 33
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