VERKÄUFER IM WINTER - 2 Euro - Arge für Obdachlose

Die Seite wird erstellt Louis-Stefan Jost
 
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VERKÄUFER IM WINTER - 2 Euro - Arge für Obdachlose
Arge für Obdachlose                                  Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten

FEBRUAR 2021 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis                       2 Euro

                                                                   VERKÄUFER IM WINTER
IMPRESSUM                      LESERBRIEFE UND REAKTIONEN

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur
Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder
unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich
als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen.
                                                                                                           Danke, liebe Dagmar Huber!
Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben
dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge-
schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene
                                                                                                           Vielen herzlichen Dank für deine großar-
bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach-                                                      tige Arbeit im Tageszentrum des Vereines
lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion.                                                     Wohnen Steyr. Dort warst du auch für die
                                                                                                           Ausgabe der Kupfermuckn zuständig und
Redaktion
Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020                                                          hast uns unzählige Texte von Betroffenen
Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob-                                                            eures Vereines gesandt. Durch dein Enga-
dachlose.at, www.kupfermuckn.at                                                                            gement und den immer wertschätzenden
Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:                                                               Umgang mit wohnungslosen Menschen in
Heinz Zauner (hz), Chefredakteur                                                                           Steyr wirst du vielen noch lange in positi-
Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion                                                                     ver Erinnerung bleiben. Die Kupfermuckn-
Daniel Egger (de), Redaktion
Katharina Krizsanits (kk), Vertrieb                                                                        Familie sagt »Danke!« und wünscht dir
Walter Hartl (wh), Technik                                                                                 alles Gute in der wohlverdienten Pension.
Redakteure: Anna Maria, August, Christine, Claudia,
Helmut, Heinz, Hermann, Johannes, Leo, Manfred F.,
Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Walter,

Titelfoto (hz): Verkäufer im Winter
Auflage: 45.000 Exemplare                                Treue Leserinnnen der Kupfermuckn                 herrscht, immer mehr Menschen unter der Ar-
                                                                                                           mutsgrenze leben, ja viele kein Dach mehr
Bankverbindung und Spendenkonto                          Liebes Kupfermuckn-Team, ich bin schon seit       über dem Kopf haben. Vor einigen Jahren er-
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz
IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L                Jahren Leserin der Kupfermuckn. Ich kann          zählte mir eine gut situierte Frau von einem
                                                         auch keine versäumen, da der Verkäufer im-        Fall, den sie erlebt hat. Sie schämte sich, weil
Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck             mer bei uns in Waizenkirchen beim SPAR            sie nicht den Mut hatte, mehr zu unternehmen,
Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel-
punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis    steht. Ich finde diese Zeitung sehr gut, da man   nicht laut auf dem Sozialamt oder beim Bür-
Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen     dann manches auch besser versteht. Ich bleibe     germeister eingetreten ist, um zu helfen. Sie
melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro-      weiterhin Leserin der Zeitung. Viele liebe        brachte nur eine kleine Linderung. Später
zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern.
                                                         Grüße und alles Gute! Heidi Humer                 tröstete sie sich damit, dass dieser Mann viel-
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel.,                                                     leicht gar keine Hilfe annehmen wollte. Da
0732/770805-19
                                                         Wünsche Ihnen Leser und Spender                   ich gerne schreibe, machte ich aus dieser Er-
Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46,
4600 Wels, Tel. 07242/290663                                                                               zählung eine Geschichte. Ich wünsche Ihnen
Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr,    Liebes Redaktionsteam, Ihre Arbeit bewun-         von ganzen Herzen, dass Sie weiterhin Ihre
Tel. 07252/50 211                                        dere ich sehr. Ich kaufe mir immer ein Exem-      hilfreiche Tätigkeit ausführen können, wün-
Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße
102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145                  plar Ihrer Zeitung, wenn ich vor meinem Ge-       sche Ihren Verkäufern eine gute Zeit, viele
                                                         schäft die freundliche junge Frau sehe oder       Leser und Spender. Möge die Zeit die Herzen
Medieninhaber und Herausgeber                            am Markt den netten Herrn. Mich macht es          der Geber berühren und öffnen für die Men-
Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit-
zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11,
                                                         sehr traurig, dass in unserem Land, wo so viel    schen, die es nicht so gut haben. Mit den aller-
4020 Linz, www.arge-obdachlose.at                        weggeworfen wird, wo viel Wohlstand               besten Wünschen, Valy F.

                       International
                       Die Kupfermuckn ist Mitglied
                       beim »International Network
                       of Street Papers« INSP
                                                         Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis
                       www.street-papers.com
                                                                                                                   Liebe Leserinnen und Leser!

                                                                                                                   Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn
                                                                                                                   ausschließlich bei Verkäuferinnen
                                                                                                                   und Verkäufern mit sichtbar getrage-
                                                                                                                   nem und aktuellem Ausweis. Nur so
                                                                                                                   können Sie sicher sein, dass auch
                                                                                                                   wirklich die Hälfte des Ertrages der
                                                                                                                   Zielgruppe zugute kommt: Woh-
                                                                                                                   nungslose und Menschen, die in Ar-
                                                                                                                   mut leben und ihren Lebensmittel-
                                                                                                                   punkt in Ober­österreich haben.
2                      03/2020
Trotz Arbeitswilligkeit keine Chance auf Job
Betroffene berichten über ihre Erfahrungen beim AMS

Das endlose Bewerbungsschreiben                   beim AMS Linz immer dieselbe Betreuerin.          »Mach eine Therapie«, sagte er. »Dann darfst
                                                  Sie kannte meinen schwierigen Lebensver-          du wieder bei uns arbeiten.« Er mochte mich
wurde mir erspart                                 lauf, wusste Bescheid über meine Drogenge-        gerne. Auch ich fühlte mich wohl dort. Jedes
                                                  schichte und reagierte sehr sensibel und zu-      Monat bekam ich eine Prämie, weil ich Voll-
Ich bin 36 Jahre alt und habe Koch und Kell-      vorkommend darauf. Ohne große Probleme            gas gab. So war ich erneut AMS-Kunde. Zwei
ner gelernt. In einem Restaurant am Pleschin-     bekam ich das Arbeitslosengeld. Sie drängte       Monate später arbeitete ich dann im tiefsten
gersee machte ich im Alter von 15 Jahren          mich nicht. Sie wusste, dass ich nicht in mei-    Mühlviertel als zweiter Küchenchef. Ein hal-
meine Lehre. Lehrabschlussprüfung habe ich        ner Kraft war. Das endlose Bewerbungen-           bes Jahr hatte ich dort eine Fixanstellung.
keine gemacht – es gab Probleme mit der           Schreiben wurde mir dadurch erspart. Damit        Dann kam Corona. Seither hänge ich in der
Schule, ich war auch schon drogensüchtig zu       fielen auch die Vorstellungsgespräche weg. So     Luft. Die Termine beim AMS erfolgen per
dieser Zeit. Leider habe ich mir bereits mit 14   lief es in meiner Vergangenheit. Vor einiger      Telefon. Offene Stellen bekomme ich derzeit
Jahren den ersten Schuss Heroin gesetzt. Was      Zeit arbeitete ich nochmals als Monteur. Ich      keine geschickt. Psychisch geht es mir misera-
die Dauer meiner Berufstätigkeit betrifft, habe   arbeitete fast ein Jahr durch. Dank des Substi-   bel. Ich lebe momentan auf der Straße. Mit
ich in meinem erlernten Beruf knapp zwei          tols (Drogenersatz von der Apotheke, Anm.)        dem Kupfermuckn-Verkauf halte ich mich
Jahre gearbeitet. Zwischendurch war ich auf       funktionierte ich relativ gut. Der Chef wusste,   über Wasser. Meine liebe AMS-Betreuerin
Baustellen als Maurer und bei Montagen im         dass ich im Programm war. Er wusste jedoch        gibt es zwar noch, doch sie ist leider nicht
In- und Ausland tätig. Es gab immer wieder        nicht, dass ich mir das Zeug spritzte. Er kam     mehr für mich zuständig. Ich wünsche mir
Phasen der Arbeitslosigkeit. Früher hatte ich     mir auf die Schliche. Ich wurde gekündigt.        vom AMS mehr Toleranz und Akzeptanz. Die
                                                                                                                        03/2020                 3
in einem Pub, aber nur für acht Monate. Dann
                                                                                                                        war ich mehr oder weniger über Leasing-Fir-
                                                                                                                        men tätig. Zwischendurch war ich in Haft.
                                                                                                                        Jahrelang bin ich sozusagen AMS-Kunde. Ich
                                                                                                                        habe schon seit vielen Jahren ein und dieselbe
                                                                                                                        Betreuerin. Mittlerweile sind wir per du. Pro-
                                                                                                                        bleme hatte ich nie, da ich mich immer an die
                                                                                                                        Regeln gehalten habe. Sogar im Vollrausch
                                                                                                                        habe ich die Termine eingehalten. Ich war
                                                                                                                        dann über einen längeren Zeitraum obdachlos
                                                                                                                        und alkoholkrank. Damals half ich im »Tröd-
                                                                                                                        lerladen« der »Arge für Obdachlose« beim
                                                                                                                        Wohnungsräumen mit und konnte mir ein we-
                                                                                                                        nig Taschengeld dazuverdienen. Auch bei der
                                                                                                                        Kupfermuckn habe ich damals als Verkäufer
                                                                                                                        begonnen. Nach einem erfolgreichen Alko-
                                                                                                                        holentzug in Kärnten konnte ich in der Ar-
                                                                                                                        beitswelt wieder Fuß fassen. Die letzten vier
                                                                                                                        Jahre war ich dann in Linz Staplerfahrer und
                                                                                                                        Lagermitarbeiter. Aufgrund der Corona-Krise
                                                                                                                        habe ich diese Arbeit jedoch verloren. Überall
                                                                                                                        wird abgebaut. Da trifft es Leasing-Arbeiter
                                                                                                                        wie mich als erstes. Außerdem bin ich 56
                                                                                                                        Jahre alt – da habe ich ohnehin kein Leiberl
                                                                                                                        mehr. Nun ist das AMS wieder für mich zu-
                                                                                                                        ständig. Ich bekam von meiner Hausärztin ei-
                                                                                                                        nen Bescheid, dass ich zu der Risikogruppe
                                                                                                                        gehöre. Das gibt mir einen gewissen Freiraum.
                                                                                                                        Sollte es für mich überhaupt noch einmal ein
      Johannes, der bereits zum »Alten Eisen« zählt, steht dem Arbeitsmarkt nur noch begrenzt zur Verfügung. Foto: dw
                                                                                                                        Jobangebot geben, dann muss für mich alles
                                                                                                                        passen. Wenn ich mich unsicher fühle, darf ich
                                                                                                                        das sogar ablehnen, ohne Konsequenzen in
vorige Betreuerin hatte kein Verständnis für                   Zwei von diesen drei Eigenbewerbungen (bei               Bezug auf die Arbeitslosen-Unterstützung. So
meine Situation. Bevor ich in der Arbeitswelt                  der Caritas, wo ich dankenswerterweise im                bin ich zum Glück befreit von irgendwelchen
wieder Fuß fasse, bin ich am Überlegen, ob                     Verteiler bin) habe ich jetzt auch schon durch-          Kursen. Einmal im Monat muss ich mich beim
ich eine Reha mache. Ich muss den Kopf wie-                    geführt. Ich bin neugierig, ob irgendeine von            »Stand-Up« – wo man einem beim Bewer-
der klar kriegen. Dann möchte ich wieder als                   diesen meine Bewerbungstätigkeiten irgend-               bungs-Schreiben und Lebenslauf-Verfassen
Monteur oder Kellner arbeiten. Danijel                         wann einmal auch von Erfolg gekrönt sein                 hilft – melden. Ich gehe dort zwar hin, aber
                                                               wird, obwohl ich ja erstens mit fast 57 schon            aufgrund der derzeitigen Corona-Situation
                                                               ziemlich zum »Alten Eisen« gehöre und ja                 muss ich dort nicht aktiv sein. Es wird nur
Obwohl ich zum »Alten Eisen«                                   auch zweitens – wie schon angedeutet – dem               über meine derzeitige Situation geredet. Ich
gehöre, gebe ich nicht auf                                     AMS und somit dem Arbeitsmarkt zeitlich                  beziehe die Notstandshilfe von ungefähr 600
                                                               doch nur sehr eingeschränkt zur Verfügung                Euro, bekomme aber noch knapp 200 Euro
Es ist jetzt, wo ich diesen Artikel schreibe,                  stehe? Ich bin ein guter Österreicher. Ich sage:         Mindestsicherung. Hoffentlich wird diese
Oktober, wir stehen also vor dem Winter. So                    »Schauma moi, daun seng ma scho.« Ich habe               nicht abgeschafft, sonst wird es eng, sehr eng
ist es nicht verwunderlich, dass bei den Stel-                 die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, das             sogar. Zum Glück wohne ich in einer betreu-
lenausscheibungen, die mir das AMS freund-                     AMS anscheinend auch nicht. Diese, die                   ten Wohngemeinschaft. Mit knapp 300 Euro
licherweise anlässlich meiner Wieder-Anmel-                    Hoffnung, stirbt bekanntlich zuletzt. Johannes           Wohnkosten komme ich über die Runden.
dung weitergeleitet hat, auch zwei dabei sind,                                                                          Wenn ich einen Laptop hätte, könnte ich von
die mit »Winterdienst«, also beispielsweise:                                                                            zu Hause aus Bewerbungen schreiben. Auch
Schnee-Räumen zu tun haben. Bei diesen Fir-
                                                               Jahrelang bin ich nun schon AMS-                         E-Banking wäre möglich. So würde mir auch
men habe ich mich ebenso beworben wie bei                      Kunde mit derselben Betreuerin                           der Weg zur Bank erspart bleiben. Mein
der Post, die für´s Vorsortieren in ihrem Ser-                                                                          Wunsch wäre es, dass ich nochmals in die
vice-Center in Haid bei Ansfelden jemanden                     Über den Winter hatte ich immer schon mit                Firma, in der ich vor Corona beschäftigt war,
sucht/gesucht hat. Eine Stelle als Küchen-                     dem AMS zu tun. Über zwanzig Jahre war ich               zurückkönnte. Günther
Hilfskraft im Altenheim in Gramastetten war                    Schaustellergehilfe. In den Zwischensaisonen
ursprünglich auch dabei, diese wurde aller-                    habe ich immer gestempelt. Eigentlich bin ich
dings dann wegen der etwas schwierigen Er-                     gelernter Fliesenleger, habe aber nie in diesem
                                                                                                                        Viele Arbeitgeber schrecken davor
reichbarkeit fallengelassen. Darüberhinaus                     Beruf Fuß gefasst. Nach der Lehre war ich als            zurück, dass ich behindert sei
muss ich mich jedes Mal, wenn ich angemel-                     Tellerwäscher in einem Hotel tätig. Im Jahr
det bin, auch selbst bei zwei bis drei Firmen,                 1984 kam ich dann nach Linz. Da war ich                  Ich, 49 Jahre alt, bin leider darauf angewiesen,
die Stellen ausgeschrieben haben, bewerben.                    kurze Zeit der sogenannte »Schank-Bursche«               jeden Monat vom AMS Geld zu bekommen.
4                    03/2020
Seitdem ich ein zweites Mal den Krebs be-          hende Mutter eines mittlerweile 13-jährigen       gung. Alle sechs Monate sage ich einmal
siegt habe und keinen Anspruch auf Reha-           Sohnes bin. Für das AMS ist das kein Hinder-      »Hallo« am AMS und danach habe ich wieder
Geld mehr habe, ist nun das Arbeitsamt für         nis, so wie man letztes Jahr in den Ferien ge-    meine Ruhe. Was ich nicht ganz verstehe, ist,
mich zuständig. Die mir zugeteilte Dame hat        sehen hat. Ich musste in den Kurs fahren und      warum ich Notstandshilfe bekomme, obwohl
immer einen Grund, mich herunterzumachen.          meinen Sohn den ganzen Tag alleine lassen,        ich nicht arbeitsfähig bin. Eigentlich müsste
Ich wohne in einer ländlichen Gegend, wo es        da es für dieses Alter und noch dazu in meiner    ich eine Berufsunfähigkeits-Pension bekom-
natürlich von Vorteil ist, wenn man ein Auto       abgeschiedenen Wohngegend keine Möglich-          men, die mir 14 anstatt zwölf Mal im Jahr zu-
hat, ich habe aber meinen Führerschein schon       keit gibt, eine Aufsicht zu bekommen. Meine       stehen würde. Im Jahr 2015 versuchte ich das
vor einer Weile zurückgegeben, da ich körper-      Betreuerin meinte nur, dass mein Sohn zu den      letzte Mal, diese zu bekommen. Ich wurde
lich und auch psychisch schwer angeschlagen        Großeltern fahren könne. Doch meiner Mutter       aber von der Psychologin gleich an der Tür
bin. Daraufhin meinte die Dame: »Wie dumm          kann ich das nicht antun, da sie meinen schwer    abgewimmelt, weil ich drei Minuten zu spät
kann man nur sein, um dies zu machen?« Nun         kranken Vater pflegen muss. Außerdem fühlt        war. Naja, sie hatte vermutlich nicht ihren
bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel ange-       sich mein Sohn dort ohne mich nicht sehr          besten Tag. Ich frage mich aber schon, was
wiesen und kann nicht überall hingeschickt         wohl. Bei diesem Kurs, den ich jetzt mache,       meine Berufsunfähigkeit mit einer dreiminüti-
werden. Zwei Kurs-Maßnahmen habe ich auf-          wurde mir geraten, mich an den Ombudsmann         gen Verspätung zu tun hat. Früher hatte ich
grund dessen, dass ich krank wurde, aufhören       zu wenden. Auch der Chef der AMS-Landes-          schon öfter Probleme mit dem AMS, weil
müssen. Es heißt, ich hätte sie bewusst abge-      geschäftsstelle wurde schon eingeschaltet. Ich    mich mein Betreuer in irgendwelche sinnlo-
brochen. Dies war jedoch nicht in meinem           kann nur froh sein, dass mir meine Fahrtkos-      sen Kurse schicken wollten, nur damit ich aus
Sinn. Ich hätte ja von besagter Dame meine         ten ersetzt werden. Die Notstandshilfe, wel-      der Arbeitslosen-Statistik herausfalle. Seit ein
Ruhe gehabt. Das eine Mal konnte ich meine         che ich kurz vor dem Kurs-Ende wieder bean-       paar Jahren habe ich aber einen neuen Be-
Hand nicht mehr bewegen und war somit              tragen musste, wurde mir nur deshalb wieder       treuer, mit dem ich mich sehr gut arrangiert
nicht imstande, mich anzuziehen. Meine Kin-        gewährt, weil ich ihnen mit einem Anwalt ge-      habe. Ich sage ihm einfach die Wahrheit und
der konnten mir dabei nicht behilflich sein, da    droht habe, der mir in Sachen Privatkonkurs       fahre somit am besten. Auch über die Sonder-
sie in der Schule waren. Und das zweite Mal        zur Seite steht. Auf die Pension kann ich noch    zahlung von knapp 450 Euro wegen Corona
war ich an Grippe erkrankt. Hätte ich etwa         länger warten, weil ich in deren Augen noch       habe ich mich sehr gefreut. Diese soll es ja
meine Kollegen anstecken oder gar nackt zum        »zu gesund« bin. Hoffentlich ändert sich in       nun noch einmal geben. Hoffentlich stimmt
Kurs gehen sollen? Mittlerweile bin ich wie-       Zukunft etwas für mich, sonst werde ich noch      das auch. Dominic
der in einem Kurs. Von Anfang an hieß es,          wahnsinnig. Frau S.
wenn ich diesen wieder wegen einer Krank-
heit abbrechen sollte, würde ich vom AMS
                                                                                                     Maximal ein schmuddeliges Zim-
aus dem System geschmissen, da ich dann als
                                                   Lange AMS-Historie aufgrund                       mer kann sich einer wie ich leisten
nicht arbeitswillig und -fähig gelte und sie       eines Bandscheibenvorfalls
nicht mehr für mich zuständig wären. Außer-                                                          Wenn man, so wie ich, nach einer Haftstrafe
dem wurde mir mitgeteilt, dass es so einen         Im Alter von 17 Jahren hatte ich einen doppel-    versucht wieder, auf den geraden Weg zu
ähnlichen Fall schon einmal gegeben hat, die-      ten Bandscheibenvorfall, den ich mir bei der      kommen, so beginnt der Stress und Ärger
ser aber nicht überlebt hätte. Ich war aber auch   Arbeit im Lager zugezogen hatte. Ich habe         schon am ersten Tag der sogenannten »Frei-
vorher nicht untätig und versuchte mein Bes-       mich danach noch als Bodenleger versucht,         heit«. Wenn man nichts hat, ist man nämlich
tes, um eine Arbeit zu bekommen. In meiner         was ich nur mit Schmerzmitteln schaffte. Ei-      nicht frei. Es beginnt schon mit den Proble-
Umgebung gibt es Arbeit leider nicht wie           gentlich hätte mir die Arbeit sehr gefallen,      men bei der Wohnungssuche. Die Freiheit der
Sand am Meer. Meinen Beruf als Masseurin           aber leider sperrte der Betrieb nach der Pensi-   Wahl ist gering. Maximal ein schmuddeliges
und Kosmetikerin kann ich nicht mehr aus-          onierung des Chefs zu. So landete ich in der      Zimmer kann sich so einer wie ich leisten.
üben. Ich habe kein Problem, als ungelernte        Invaliditätspension, die allerdings nach einem    Egal was man bekommt, man muss es neh-
Kraft irgendwo einzusteigen. Chancen dafür         Jahr auslief. Seit dem Alter von 19 Jahren bin    men, damit man auf das AMS und zum Mel-
habe ich bis jetzt kaum welche bekommen.           ich Dauergast beim AMS. Aufgrund meiner           deamt gehen kann. Ohne Wohnung hat man
Viele Arbeitgeber schrecken davor zurück,          Epilepsie stehe ich aber weder dem ersten         nämlich keine Chance auf einen Job. Heute
dass ich behindert und vor allem alleinerzie-      noch dem zweiten Arbeitsmarkt zur Verfü-          kostet ein einfaches Zimmer 300 bis 400 Euro.

                                                                                                                          03/2020                  5
täglich in meine Stammkneipe bis morgens in
                                                                                                                  der Früh und suchte mir immer einen Platz
                                                                                                                  zum Schlafen. Irgendwo fand ich immer et-
                                                                                                                  was, ob bei einem Freund, auf der Parkbank
                                                                                                                  oder im Treppenhaus. Und wenn ich um 4:00
                                                                                                                  Uhr früh aus einem Lokal ging, ein paar Tage
                                                                                                                  durchgemacht habe und noch dazu besoffen
                                                                                                                  war, juckte es mich gar nicht mehr, wo ich
                                                                                                                  mich hinlegte. Hauptsache, ich konnte ein
                                                                                                                  paar Stunden pennen. Da ich dann auch noch
                                                                                                                  so klug war und nicht gleich zum AMS gegan-
                                                                                                                  gen bin, um wieder an Geld zu kommen, hing
                                                                                                                  ich ordentlich in der Luft. Ein ganzes Monat
                                                                                                                  lang ließ ich mich nicht beim AMS blicken.
                                                                                                                  Jeden Tag immer dasselbe. Am Vormittag
                                                                                                                  ging ich ins Tageszentrum auf einen Kaffee.
                                                                                                                  Ab und zu fuhr ich auch mit, um Sachen aus
                                                                                                                  den Geschäften abzuholen. So bekam ich je-
                                                                                                                  den Tag mein Mittagessen gratis. So hatte ich
                                                                                                                  wenigsten täglich etwas Warmes im Magen.
                                                                                                                  Nach dem Essen traf ich meine Freunde beim
                                                                                                                  SPAR-Parkplatz. Einer von uns hatte immer
                                                                                                                  ein wenig Geld eingesteckt. Dann hieß es nur
                                                                                                                  noch: Ab ins Geschäft und ein paar Bier holen.
       Während der Corona-Zeit gestaltet sich die Jobsuche schwierig, vor allem für Langzeitarbeitslose.
                                                                                                                  Das war billiger als im Lokal. So kam es, dass
                                                                                                                  wir stundenlang dastanden, Bier und Schnaps
                                                                                                                  tranken und uns lustig unterhielten. Nachmit-
Ich aber habe, wenn es gut geht, gerade mal                     sack, aber bei Regen und wenn es kälter wird      tags ging ich dann immer in meine Stamm-
500 bis 700 Euro auf der Seite. Und ich be-                     oder gar Winter? Das ist das Ende. So lange       kneipe. Dort ging es dann weiter mit der Sau-
sitze nur das, was ich am Leib trage. Wenn                      man noch Geld vom AMS bekommt, kann               ferei. Obwohl ich fast nie Geld eingesteckt
man Glück hat, bekommt man beim Sozialamt                       man mit etwas Glück in die Notschlafstelle        hatte, bekam ich immer etwas zu trinken. So
etwas Geld. Ohne Papiere gibt es aber nur                       gehen. Im »Sozialen Wohnservice« bekommt          saß ich meistens die ganze Nacht im Lokal,
Probleme und Ärger. Ohne Geld bekommt                           man um einen Euro ein warmes Essen mit            hatte keinen Job, kein Geld, keine Zigaretten.
man aber auch keine Papiere. Ferner braucht                     Kaffee oder Tee. Aber mit einer Perspektive       In der Früh hatte ich dann keinen Plan, woher
man ein Konto. Auch das bekommt man nicht                       sieht es schlecht aus. Herr M. (Steyr)            ich die Dinge für meinen Alltag bekommen
ohne Ausweis. So geht es dahin. Da haut so                                                                        könnte. Nach ein paar Wochen ging mir das
manch einer wieder alles hin und macht gleich                                                                     auf die Nerven. Jeden Tag besoffen und un-
wieder ein krummes Ding, damit er zu Geld
                                                                So saß ich meistens im Lokal,                     ausgeschlafen, das war nicht mehr lebenswert.
kommt. Doch es gibt einige Wenige, die sich                     hatte keinen Job, kein Geld                       Also beschloss ich, mich wieder beim AMS
durchbeißen, den geraden Weg nehmen und                                                                           zu melden, damit ich Geld bekäme. So ging
straffrei bleiben. Weitere Hürden gilt es dann                  Nach einem blödsinnigen Monat, wo mir wie-        ich am nächsten Tag hin und meldete mich
zu überwinden: Die Arbeitssuche beispiels-                      der einmal alles egal war, hielt ich wieder       arbeitslos. Nun bekam ich zwar wieder Geld,
weise. Dazu braucht man in den meisten Fäl-                     einmal meine AMS-Termine nicht ein. Da-           aber ich hatte noch keine Unterkunft. Im In-
len ein Leumundszeugnis. Wenn man, so wie                       durch wurde für ein paar Wochen mein Geld         ternet und in der Zeitung suchte ich nach ei-
ich, vorbestraft ist, wird es schwierig, wieder                 gesperrt. Es war April, also noch kalt draußen,   nem Monatszimmer. Kurz bevor das AMS
einen Job zu bekommen. Es gibt nicht viele                      als mein Geld dann endlich kam. Ich war auch      Geld eintraf, rief ich bei einer billigen Pension
Firmen, die dich nehmen. Falls man großes                       wieder so dermaßen »klug«: Anstatt meine          an. Ich hatte da schon vorher nachgefragt, ob
Glück hat, bekommt man Arbeit bei einer                         Miete zu bezahlen, habe ich das ganze Geld        sie ein Zimmer frei hätten. Zu meiner Überra-
Leasing-Firma. Einmal hier, einmal dort. Ein                    versoffen. So kam es, wie es kommen musste.       schung war eines frei. Dieses schaute ich mir
Zigeuner-Leben. Nebenbei braucht man eine                       Ein paar Wochen ging es gut, bis die Vermie-      an. Es war ein kleines Zimmer für 280 Euro
Wohnung, etwas Fixes und Ordentliches.                          terin meines Zimmers fragte, wo denn die          mit Bad und WC im Zimmer. Ich überlegte
Beim Magistrat, der Heimstätte, bei der La-                     Miete sei. Ich versprach ihr, nächste Woche zu    nicht lange und war sehr erleichtert darüber.
wog – überall heißt es: »Bitte warten.« Miet-                   zahlen, obwohl ich schon wusste, dass ich         Am nächsten Tag gelangte dann endlich mein
kosten um 500 Euro, dann noch die Kaution                       kein Geld mehr habe. Also stand ich immer in      Geld auf mein Konto. Sehr bald in der Früh
2.000 bis 2.500 Euro. Woher sollte man auf                      der Früh bei Zeiten auf und schlich mich aus      marschierte ich dorthin und bezahlte die Miete
einmal so viel Geld hernehmen? So versucht                      dem Haus, damit ich ihr nicht über den Weg        und Kaution. Ich war mehr als erleichtert dar-
man es mit einem kleinen Zimmer. Es kostet                      rannte. Zwei Wochen später war dann mein          über, endlich wieder ein Dach über dem Kopf
im Schnitt im Monat zwischen 300 bis 400                        Schloss an der Tür ausgetauscht. Ich hatte        zu haben. Jetzt kann ich zum ersten Mal wie-
Euro. In dieser Situation beginnen viele Men-                   auch keine Lust, mit der Vermieterin zu reden.    der richtig durchschlafen und ich kann mich
schen zu trinken, verlieren die Arbeit, falls sie               Also saß ich durch Selbstverschulden auf der      – wann immer ich Ruhe brauche – zurückzie-
eine haben, oder landen auf der Straße. Im                      Straße. Nun ging das Ganze wieder von vorne       hen. (Name der Redaktion bekannt); Foto
Sommer geht es ja noch mit einem Schlaf-                        los. Wo sollte ich schlafen? Ich ging wieder      S..3: wh
6                    03/2020
Das Arbeitslosengeld ist zu niedrig!
Im Gespräch mit Gerhard Straßer, dem Landesgeschäftsführer des AMS Oberösterreich

                                                  Wie wird diesem Umstand von Seiten des AMS         Vorstellungen entspricht. Oder sich eben wei-
                                                  begegnet?                                          terbilden und qualifizieren.
                                                  Wir haben mittlerweile größtenteils auf digi-
                                                  tale Kommunikation umgestellt. Es gibt das         Wie stehen Sie persönlich zum »Bedingungs-
                                                  eAMS-Konto, wir haben Kontakt über Mail,           losen Grundeinkommen«?
                                                  telefonieren viel und schicken auch Anträge        Da ändert sich meine Position öfters. Wenn
                                                  per Post zu. Wir haben für Qualifikationen         ich jetzt zum Beispiel das Jahr 2019 her-
                                                  viel Geld bekommen und können nun Schu-            nehme: Da wäre das »Bedingungslose Grund-
                                                  lungen ermöglichen. Eine abgeschlossene            einkommen« kontraproduktiv gewesen, weil
                                                  Lehre zum Beispiel reduziert die Wahrschein-       wir überall Leute gesucht haben und weniger
                                                  lichkeit einer Arbeitslosigkeit auf ein Viertel.   Arbeitslose hatten. Jetzt haben wir die Situa-
                                                  Die Pandemie erschwert unsere Beratung             tion, dass wir mehr Arbeitslose als Jobs haben.
                                                  aber. Es ist schwieriger, die Menschen zu er-      In solchen Phasen sollte das Arbeitslosengeld
                                                  reichen, wenn der direkte Kontakt fehlt. Wir       höher sein. Sobald ich arbeitslos bin, be-
Die Corona-Pandemie hat deutliche Spu-            müssen auch die Kurzarbeit abwickeln. Diese        komme ich nur 55 Prozent meines vorherigen
ren am Arbeitsmarkt hinterlassen. Welche          hat uns vor allem letztes Frühjahr ziemlich        Netto-Einkommens. So kann es schnell ein-
Möglichkeiten das AMS hat, um Arbeits-            beschäftigt. Über das Jahr haben wir 1,1 Mil-      mal eng werden mit dem Haushaltsbudget.
lose zu unterstützen, erklärt Gerhard Stra-       liarden Euro für die Kurzarbeit ausbezahlt.        Die Zahl der Langzeitarbeitslosen wird heuer
ßer. Auch das »Bedingungslose Grundein-           Für Qualifikationen haben wir heuer 195 Mil-       noch steigen. Dadurch wird es vermehrt zu
kommen« war Thema der Unterhaltung.               lionen Euro zur Verfügung – um 44 Millionen        Zahlungsschwierigkeiten kommen – die Bo-
                                                  mehr als 2020.                                     nuszahlungen sind da nur ein Tropfen auf dem
Wie viele Menschen sind durch die Corona-                                                            heißen Stein. Sie sind eine Kompromisslö-
Pandemie arbeitslos geworden?                     Meine nächste Frage betrifft das Thema             sung, weil man auf politischer Ebene befürch-
Im Juni letzten Jahres hatten wir 292.000 Men-    »AMS-Sperren«. Es gibt Personen, die von           tet, zu viel Arbeitslosengeld halte die Men-
schen in Kurzarbeit, was mit einem Einkom-        jeglichen Leistungen ausgeschlossen werden         schen davon ab, wieder eine Arbeit aufzuneh-
men von 80 bis 90 Prozent des Nettoverdiens-      und kein Geld bekommen. Was erhofft man            men.
tes noch ganz erträglich ist. Zur selben Zeit     sich dadurch?
hatten wir 60.000 arbeitslose Menschen, die als   Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sind an        Die Menschen müssen nicht
Arbeitslosengeld nur 55 Prozent des Netto-        Bedingungen geknüpft. Eine davon ist die Ar-
lohns erhalten haben. Wenn ich diese beiden       beitswilligkeit, wobei es Zumutbarkeitsgren-
                                                                                                     nur leben, sondern auch
Gruppen zusammenzähle, dann komme ich un-         zen und anfangs auch einen Berufsschutz gibt.      konsumieren können.
gefähr auf die Hälfte aller dem Arbeitsmarkt in   Wenn ich Personen berate, die schon lange
Oberösterreich zur Verfügung stehenden Perso-     arbeitslos sind und die keine Ausbildung ha-
nen. Im November 2020 hatten wir 30 Prozent       ben, dann muss ich auch diesen Personen Stel-      Meine Meinung dazu ist, dass man kurze Pha-
mehr Arbeitslose als im Jahr davor. Das Bun-      len vermitteln. Wenn sie dann eine Stelle ohne     sen der Arbeitslosigkeit wahrscheinlich noch
desland Oberösterreich hat einen großen Vor-      besondere Begründung ausschlagen, dann             ganz gut übersteht, aber längere Zeiten der
teil: Wir haben landesweit die meisten Men-       müssen wir das Geld sperren in der Hoffnung,       Erwerbslosigkeit zu Problemen führen. Und
schen in der Kurzarbeit. Mit Jahresende hatten    dass die Person doch noch eine Arbeit auf-         diese stehen nun vielen Menschen bevor. Auch
wir eine Arbeitslosenquote von 6,7 Prozent und    nimmt, bevor sie kein Geld zur Verfügung hat.      vielen, die davor noch nie arbeitslos waren.
somit die niedrigste in Österreich: leider auf    Wir als AMS Oberösterreich fordern aber eine       Deshalb muss man sich mit der Höhe des Ar-
hohem Niveau. Viele Menschen, die im Herbst       Verkürzung der Sperre von sechs auf drei Wo-       beitslosengeldes etwas überlegen. Die Men-
2019 ihre Arbeit verloren haben, haben ge-        chen, was bisher bei der Regierung noch nicht      schen müssen nicht nur leben, sondern auch
glaubt, spätestens im Frühjahr wieder eine        auf Gehör gestoßen ist. Wenn jemand drei           konsumieren können, sonst ist das für den
Stelle zu bekommen. Dann kamen aber Lock-         Sperren hintereinander veranlasst, dann sper-      Wirtschaftsstandort schlecht. Es wäre auch
down und Kurzarbeit. Das bedeutet, die Zahl       ren wir ihm das Geld dauerhaft, bis er wieder      wichtig, Berufe aufzuwerten, die ein niedriges
der Langzeitarbeitslosen steigt jeden Monat.      eine Arbeit aufnimmt. Manche Menschen ha-          Lohnniveau aufweisen. Man muss aber darauf
Wir haben aber trotz der Krise relativ viel Be-   ben vielleicht auch zu hohe Erwartungen an         achten, dass die internationale Wettbewerbsfä-
wegung am Arbeitsmarkt und es gibt auch of-       eine potentielle Arbeit. Man muss vielleicht       higkeit nicht eingebüßt wird. Beim Grundein-
fene Stellen. Wichtig ist, dass sich die Men-     vorübergehend auch einmal etwas annehmen,          kommen müsste es eine EU-weite Regelung
schen bewerben oder sich qualifizieren.           das nicht so hundertprozentig den eigenen          geben. Foto und Text: de
                                                                                                                         03/2020                  7
Kupfermuckn Verkäufer
25 Jahre Verkauf
bei jedem Wetter

                                                                        Verkäufer Ilija
                                                                        »Seit vielen Jahren verkaufe ich fast täglich an der
                                                                        Mozartkreuzung. Ich liebe meinen Job. Dank mei-
                                                                        ner Stammkunden kann ich überleben.«

    Verkäufer Manfred
    »Ein harter Job, ob bei Wind, Regen,
    Schneefall oder bei starken Minus-
    graden. Bei jedem Wetter sind wir im
    Einsatz. Wir sind abgehärtet.«

                    Verkäufer Leo
                    »Ich trotze den kalten Temperaturen und versuche,
                    wenn möglich, beim Schillerpark mit einem Lä-
                    cheln im Gesicht die Zeitung anzubringen. So ein
                    Lächeln kommt dann auch oft wieder zurück.«

8                03/2020
Verkäufer Johannes
            »Ich bin immer gut angezogen – bin in mehrere Schich-
            ten eingwickelt wie eine Zwiebel. So halte ich es auch
            bei Kälte bis zu fünf Stunden aus. Es macht mir immer
            große Freude, mit meiner Kundschaft zu plaudern.«

                                                 Verkäuferin Sonja
                                                 »Es gibt kein schlechtes Wetter, nur eine
                                                 schlechte Ausrüstung. In der kalten Jahres-
                                                 zeit ziehe ich mir einfach drei oder meh-
                                                 rere Schichten an, damit die Körpertempe-
                                                 ratur nicht so leicht entweichen kann. Das
                                                 einzige Problem, das ich dann habe, ist das
                                                 Klo-Gehen. Es dauert eine halbe Ewigkeit,
                                                 bis man aus- und wieder angezogen ist.
                                                 Aber das nehme ich gerne in Kauf.«

Verkäuferin Akiro
»Im Dezember ist das Verkaufen meistens noch kein Problem, weil es
noch nicht so kalt ist. Nach einer gewissen Zeit gehe ich mich einfach
für zehn Minuten in einem Geschäft aufwärmen. Im Jänner und Feb-
ruar ist mir oft so kalt, dass mir das Aufwärmen nichts mehr nützt.«

                                                                         03/2020               9
82 Prozent sagen: »Die Kupfermuckn bietet
                                               Kupfermuckn Leserbefragung gemeinsam mit dem Market Institut 2020

Anlässlich des 25-Jahres-Jubiläums haben wir die Leser mit Unterstützung des renom-                    monatlich 21.000 im Jahr 2011 auf 30.000
mierten Market Instituts um ihre Meinung zur Straßenzeitung Kupfermuckn gebeten.                       Zeitungen im Jahr 2020 möglich.
Dass die Kupfermuckn auch gelesen wird, zeigte alleine schon die Beteiligung von 731
Lesern. Der Vergleich mit der schon einmal vor zehn Jahren durchgeführten Befragung
zeigt sehr stabile Motivwelten. Der unverfälschte Einblick in das Leben der Randgruppen
                                                                                                       Top-Kaufmotiv: »Ich bekomme
und die Solidarität mit diesen bewegen zum Kupfermuckn-Kauf. Die Akzeptanz unserer                     einen unverfälschten Einblick in
Verkäufer im Straßenbild hat sich sogar noch verbessert. Mit der Note »1« beurteilten 85               der Leben von Randgruppen.«
Prozent der Leser die Freundlichkeit der Verkäufer. Sehr erfreulich ist auch, dass die
Kupfermuckn den Verkauf im ländlichen Raum steigern konnte. Schon ein Drittel der
Leser kommen aus Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern.                                           Warum aber wird die Kupfermuckn gekauft?
                                                                                                       Das Alleinstellungsmerkmal der Zeitung ist,
                                                                                                       dass überwiegend Betroffene zu Wort kom-
WARUM KAUFEN SIE DIE KUPFERMUCKN?                                                                      men. Das wird von 91 Prozent der Leser als
                                                                                                       größtes Kaufargument gesehen. Diese beson-
 Noten von 1 (=sehr wichtig) bis 5 (=nicht
                                                     1 bis 2      1 bis 2       3         4 bis 5      dere Stärke unterstreicht auch die hohe Zu-
 wichtig) – Ergebnisse in Prozent, Differenz                                                           stimmung zur Aussage: »Ich bekomme einen
                                                      2020         2011        2020        2020
 auf 100 jeweils keine Angaben
                                                                                                       unverfälschten Einblick in das Leben von
 Die Betroffenen selber kommen in der                  91           91          6            3         Randgruppen«, mit 82 Prozent. Sehr wichtig
 Zeitung zu Wort                                                                                       ist den Lesern auch, dass Obdachlose eine
 Obdachlose haben eine sinnvolle Beschäfti-            83           84          12           3         sinnvolle Beschäftigung haben, und dass
 gung                                                                                                  man selbst bestimmen kann, wem das Geld
                                                                                                       zu Gute kommt (71 Prozent). Sie können bei
 Ich bekomme einen unverfälschten Einblick             82           82          12           5         der Straßenzeitungen auch sicher sein, dass
 in das Leben von Randgruppen
                                                                                                       mindestens die Hälfte des Verkaufspreises
 Ich kann selbst bestimmen, wem mein Geld              71           74          16          12         stets den Betroffenen gehört. Bei der Abfrage
 direkt zu Gute kommt                                                                                  nach dem Hauptmotiv für den Kauf werden
 Die Verkäufer beeindrucken mich, weil sie             75           78          16           6         sowohl die Unterstützung der Verkäufer als
 ihr Leben in die Hand nehmen                                                                          auch die Inhalte der Zeitung als Kaufargu-
                                                                                                       ment genannt, wenn auch das soziale Motiv
 Die Zeitung enthält Themen, die mich interessie-      72           75          19           6         etwas überwiegt.
 ren

 Ich kaufe die Zeitung, weil ich dankbar bin, dass
 es mir so gut geht
                                                        55          51          16          28
                                                                                                       Frauen können sich eher vorstel-
 Ich weiß, dass ich auch in eine ähnliche Situa-        34          36          23          40
                                                                                                       len in eine ähnliche Situation zu
 tion kommen könnte wie die Straßenverkäufer                                                           geraten wie die Verkäufer

Die Kupfermuckn konnte in länd-                      der Unterschied sogar noch größer. Um jün-        Bei den in der Grafik links eher durchmisch-
                                                     gere Leser verstärkt zu gewinnen, rät David       ten Antworten fällt bei näherer Analyse ein
lichen Gebieten Leser gewinnen                       Pfarrhofer vom Market-Institut etwa, den So-      starker Unterschied zwischen den Geschlech-
und so die Auflage steigern.                         cial-Media-Auftritt der Kupfermuckn zu ver-       tern auf. Beim Argument: »Ich weiß, dass ich
                                                     stärken. Mit Hilfe der nun um Vöcklabruck         auch in eine ähnliche Situation kommen
Geht man nach den beantworteten Fragebö-             erweiterten Ausgabestellen in Wels und Steyr      könnte wie die Straßenverkäufer«, überwiegt
gen, dann wird die Kupfermuckn zu 61 Pro-            durch den Anstieg der Kupfermucknverkäufer        die Zustimmung der Leserinnen. Auch ein
zent von Frauen gelesen. Allerdings holen die        erreichen wir ländliche Gebiete viel besser. So   Drittel der Leser, die als Bildungsabschluss
Männer auf. In den letzten zehn Jahren ist ihr       wohnt ein Drittel der Leser in Gemeinden mit      »Pflichtschule« angegeben haben, kann sich
Anteil um neun Prozent gestiegen. Kupfer-            weniger als 5.000 Einwohnern, 27 Prozent le-      einen solchen sozialen Abstieg vorstellen. Mit
muckn-Leser sind treu – fast durchwegs liegt         ben in der Landeshauptstadt Linz. Bei der         zunehmendem Bildungsstatus nimmt dieses
der erste Kontakt mit der Kupfermuckn schon          letzten Befragung vor zehn Jahren waren es        Argument stark ab. Der Aussage: »Ich kaufe
mehr als fünf Jahre zurück. Die Altersgruppen        noch 45 Prozent der Leser. Der Schritt von der    die Zeitung, weil ich dankbar bin, dass es mir
ab 45 Jahren kaufen die Zeitung öfter als Jün-       Linzer zur Oberösterreichischen Straßenzei-       so gut geht«, stimmen Männer stärker zu als
gere. Bei denen, die sie tatsächlich lesen, ist      tung machte auch eine Auflagenerhöhung von        Frauen.
10                   03/2020
unabhängige, authentische Berichterstattung«
Ist die Straßenzeitung nach 25 Jahren noch auf dem richtigen Weg?

Ich finde es wichtig, dass die Be-                   INHALTE UND GESTALTUNG DER KUPFERMUCKN
troffenen selbst zu Wort kommen
                                                      Noten von 1 (=trifft großteils zu) bis 5 (=trifft
                                                                                                          1 bis 2     1 bis 2       3         4 bis 5
                                                      nicht zu) – Ergebnisse in Prozent, Differenz
Die Frage nach den Zeitungsinhalten zeigte                                                                 2020        2011        2020        2020
                                                      auf 100 jeweils keine Angaben
viele interessante Fakten auf. 82 Prozent der
Leser sind der Meinung, »die Kupfermuckn              ich finde es wichtig, dass die Betroffenen selbst     92          94           3           2
biete unabhängige, authentische Berichterstat-        zu Wort kommen
tung«. Das ist – laut Aussage des Market Ins-         hat beeindruckende Lebensgeschichten                  91          92           4           2
tituts – ein »Wahnsinnswert«, um den uns an-
dere Medien sicher beneiden würden. Die               bietet unabhängige, authentische Berichterstat-       82          79           9           3
                                                      tung
Glaubwürdigkeit der Kupfermuckn ist in den
letzten zehn Jahren sogar noch um drei Pro-           hat aktuelle Themen                                   79          75          11           4
zent angestiegen. Bei der Frage, welche In-
                                                      Ich schätze den Druck in Schwarz/Gelb auf Re-         81          84           8           4
halte gelesen werden, erfährt man, dass Lese-
                                                      cyclingpapier
rinnen und Ältere die Kupfermuckn sehr de-
tailliert lesen, während jüngere Leser eher da-       ist übersichtlich gestaltet                           85          83           9           3
hin tendieren, selektiv zu lesen. Wie zu erwar-
                                                      bietet ein ansprechendes Layout                       77          75          14           4
ten, werden Lebensgeschichten (83 Prozent)
und Storys über die Verkäufer (79 Prozent)
besonders häufig gelesen. Sozialreportagen           Das Image der Kupfermuckn-Ver-                       ist ihr Stammverkäufer schon ans Herz ge-
werden von 60 Prozent und Interviews von 55                                                               wachsen. 61 Prozent der Leser geben an, ei-
Prozent der Kupfermucknkäufer wahrgenom-             käufer ist unser Aushängeschild                      nen Stammverkäufer zu haben und meist bei
men. Jeder vierte Leser versucht, auch die                                                                ihm oder ihr zu kaufen. Waren vor zehn Jahren
Sudokus zu lösen. Der Zeitungsdruck in               Die höchste Zustimmung der Befragung hat             nur 17 Prozent der Meinung, die Verkäufer
Schwarz/Gelb auf Recyclingpapier macht die           mit 96 Prozent (Note 1 und 2) die Aussage, die       würden eine gute Laune vermitteln, so ver-
Kupfermuckn unverwechselbar und wurde bei            Kupfermucknverkäufer seien »freundlich«.             doppelte sich dieser Wert auf 33 Prozent. Da-
der Frage nach der Zufriedenheit mit der Ge-         Dieser Wert ist in den letzten zehn Jahren s um      vid Pfarrhofer von Market meint, dies sei ein
staltung am besten bewertet. Mithilfe einer          zwei Prozent angestiegen. Positiv gesehen            Indiz dafür, dass die Verkäufer allmählich von
detaillierten Auswertung der Befragung wer-          wird auch, dass man die Verkäufer an densel-         der Rolle des Bittstellers wegkommen. Die
den wir im Jahr 2021 einen Relaunch (Überar-         ben Plätzen wiederfindet (71 Prozent). Drei          Ergebnisse der Befragung zur Einstellung der
beitung) durchführen, um den Erwartungen             Viertel der Leser wechseln zumindest ab und          Leser und Oberösterreicher zu sozialen Rand-
unserer Leser noch mehr entgegenzukommen.            zu ein paar Worte mit den Verkäufern. Vielen         gruppen folgt im März. Text (hz)

IMAGE DER KUPFERMUCKN-VERKÄUFER
 Noten von 1 (=trifft großteils zu) bis 5 (=trifft
                                                     1 bis 2       1 bis 2           3        4 bis 5
 nicht zu) – Ergebnisse in Prozent, Differenz
                                                      2020          2011            2020       2020
 auf 100 jeweils keine Angaben

 sind freundlich                                        96           94              1          1

 sind nüchtern, haben keinen Alkohol                    89           86              2          2
 getrunken

 sind unaufdringlich                                    88           86              4          5

 stehen immer an denselben Plätzen,                     86            78             4          2
 man findet sie leicht wieder

 wirken sauber und gepflegt                             86            72             10         1

 muntern einen auf, vermitteln gute Laune               67            46             21         4
Johannes vor einem Jahr im Krankenzimmer der Caritas,
                                                                                                     das für Wohnungslose zur Verfügung steht. Foto: hz

Niederschmetternde Diagnose
Beiträge über unheilbare Erkrankungen aus erster Hand

So grauslich es klingt, irgend-                  urplötzlich. Ich dankte Gott für diese Gnade    unter Vollnarkose. Ich muss das Gefühl mit
                                                 und dachte bei mir, das Problem hätte sich      Schlauch im Hintern nicht noch einmal haben.
wann werde ich ersticken                         verzogen. Doch ich täuschte mich schwer. Es     Wo ist das nächste Klo? Mein Körper war
                                                 ging wieder los – bis heute, nur noch unbere-   überhaupt oft sehr krank, teilweise auch durch
Kurz nachdem mein erster Mann verstorben         chenbarer. Ich weiß, dass meine kranke Seele    mein eigenes Verschulden. Jahrelanger Alko-
war, ging es los – und das ohne irgendwelche     sich körperlich outet (Schmerzen und Durch-     hol-Missbrauch, Substitution und ganz früher
Vorzeichen. Ich hatte urplötzlich Dauerdurch-    fall sind an der Tagesordnung). Trotzdem        Heroinsucht haben meinen Körper und mein
fall. Mein Leidensweg begann. Ich muss Pants     komme ich mit meinem Alltag halbwegs klar.      Gesicht schwer gezeichnet. Früher hatte ich
tragen, denn es kann sein, dass es irgendwann    Es ist der Verlust meines Geliebten, der sich   zu wenig Gewicht, »epi-artige« Anfälle und
und irgendwie los rinnt. Unberechenbar! Tab-     wohl auch körperlich auswirkt. Er fehlt mir,    Ohnmacht. Oft genug bin ich im Krankenhaus
letten wirken nur selten. Nachdem ich die gru-   und zwar nicht nur im Haushalt, sondern auch    aufgewacht. Heute habe ich durch Psycho-
selige Untersuchung (es waren deren drei)        als Mensch. Ein »Häferl«, aber mit einem be-    pharmaka eine Unmenge an Kilos mehr – eine
hinter mir hatte und keine Ergebnisse vorla-     sonders gutem Herzen. Ich weiß nicht, ob ich    Nebenwirkung, die mir sehr zu schaffen
gen, hieß es, das wäre wohl seelisch bedingt.    die eventuelle Untersuchung noch einmal         macht. Vor circa vier Jahren wurde bei mir
Dann hörte es für drei Monate auf – ebenfalls    über mich ergehen lasse – wenn, dann nur        COPD festgestellt. Das ist eine sackartige Er-
12                 03/2020
weiterung der Lungenbläschen, die dann kei-       Der anfängliche Verdacht auf                       ter Muhamed Ali werden. Bei meiner Abreise
nen Sauerstoff mehr aufnehmen können.                                                                versprach ich: »Wenn ich wieder in Innsbruck
Atemnot und Enge-Gefühl im Brustbereich           »Parkinson« wurde bestätigt                        bin, wird weiter geboxt.« Walter
sind die Folgen. Und ja, man macht es mit je-
der Zigarette schlimmer. Ich weiß das und         Wir schreiben das Jahr 2016. Mit Zittern –
rauche trotzdem viel zu viel. Bewegung an der     Fachausdruck »Tremor« – fing alles an. Bei
                                                                                                     Der Arzt sagte, meine Schilddrüse
frischen Luft wäre sehr wichtig, aber mein        einer Fahrt mit dem Auto vom Flughafen             sei nicht mehr vorhanden
Bein, das im März operiert wurde, schmerzt        Salzburg bekam ich im linken Fuß wie aus
noch immer wie verrückt und vermiest mir die      heiterem Himmel diesen Tremor. Der Schmerz         Ich habe eine Krankheit, die nicht heilbar ist,
Freude am Gehen. 30 bis 50 Meter kann ich         wurde immer stärker, je länger ich fuhr. Es        zumindest bis jetzt. Schauen wir, ob es in Zu-
gehen, dann muss ich mich auf meinen Rolla-       steigerte sich in die Unerträglichkeit. An einer   kunft möglich sein wird. Ich werde es wahr-
tor setzen, weil mich entweder Atemnot oder       Raststation pausierte ich deshalb längere Zeit.    scheinlich nicht mehr erleben. 2008 überlebte
Schmerzen quälen. Die Physiotherapie macht        Zigaretten und Kaffee sollten mich ablenken.       ich Gott sei Dank den Krebs. Was dieser mir
trotz allem Freude, endet aber leider bald. Ein   Eine Dreiviertelstunde später fuhr ich weiter.     jedoch alles zurücklassen würde, das ahnte ich
Fitnessstudio wäre toll, aber es entstehen Kos-   Auf der Höhe von Wels glaubte ich durchzu-         nicht. In den kommenden Jahren zeigte sich
ten, die ich nicht tragen kann. Wegen meiner      drehen. Der Schmerz wurde größer. Ich              das Ausmaß. Während eines weiteren Aufent-
Lunge möchte ich eine höhere Pflegestufe. Ir-     glaubte es nicht mehr bis Linz zu schaffen. Ich    haltes im Krankenhaus fanden die Ärzte im-
gendwann wird Sauerstoff nötig sein. Irgend-      biss die Zähne zusammen. Irgendwie schaffte        mer mehr Dinge, die eigentlich vorher schon
wann werde ich ersticken, hoffentlich im          ich es, ohne Schaden nach Hause zu kommen.         auffallen hätten müssen. Auf die Frage, ob
Schlaf. Ursula                                    Ich pausierte drei Wochen. Dann probierte ich      man bei mir schon einmal die Schilddrüse an-
                                                  es nochmals. Nach einer kurzen Fahrt merkte        gesehen habe, musste ich »Nein« sagen. Alle
                                                  ich, dass es sinnlos war. Wieder litt ich an       sahen mich etwas verblüfft an. Ich hatte keine
Bis zu meinem Lebensende                          diesen unerträglichen Schmerzen. Es folgte         Ahnung, was sie meinten. So ließ ich die Un-
bin ich nun Diabetiker                            ein wochenlanges Pausieren. Diese Zeit nutzte      tersuchung über mich ergehen. Nachher wurde
                                                  ich für Kontrollen und Untersuchungen. Im          ich gefragt, ob ich schon einmal operiert
Mein Leben mit Diabetes ist nicht immer so        März 2017 kam ich ins Krankenhaus. Der an-         wurde. Ich verneinte. Daraufhin erklärte mir
einfach. Ich soll mich von Kalorienbomben         fängliche Verdacht auf »Parkinson« wurde           der Arzt, meine Schilddrüse sei nicht mehr
wie Schokolade und anderem fernhalten. Das        bestätigt. Es folgten Reha- und Krankenaus-        vorhanden. Seit diesem Zeitpunkt muss ich
mache ich auch. Doch in vielen Speisen ist        aufenthalte. Kurzfristig trat Besserung ein. Im    täglich vor dem Frühstück eine Tablette neh-
Zucker drin, was man nicht immer weglassen        Juni des letzten Jahres war es wieder beson-       men. Später kam noch ein Tinnitus dazu. Als
kann. Irgendwas muss man ja essen. Dadurch        ders schlimm. Ich konnte mich nicht mehr           ich dann auch noch erfuhr, dass ich taub werde
vermeide ich weitestgehend die Fertigge-          bewegen. Panik machte sich breit. Ich hatte        beziehungsweise das auf dem einen Ohr schon
richte. Wir kochen meist selber und meine         nicht einmal die Kraft, mich in die Höhe zu        geworden bin, nahm ich das zur Kenntnis.
Lebensgefährtin, die meistens kocht, bereitet     stemmen, geschweige denn, einen Schritt zu         Was sollte ich denn auch tun? Der Krebs und
schon solche Sachen zu, die ich auch ohne         gehen. Ich sah als letzten Ausweg nur noch         die anschließenden Behandlungen sind nicht
Bedenken essen darf. Doch es bleibt nicht aus,    die Rettung. Diese holte mich dann auch ab
dass man auch Kartoffeln oder Nudeln in ei-       und brachte mich wieder ins Spital. Von ei-
nem Gericht hat. Dann heißt es für mich:          nem Bekannten hörte ich nach meiner Entlas-
»Friss die Hälfte.« Auch bei den Getränken        sung zum ersten Mal von einem Hirn-Schritt-
trinke ich nur zuckerfrei. Schwieriger ist es,    macher. Ich wurde neugierig. Nach einem
wenn ich in einem Gasthaus sitze. Da trinke       Gespräch mit meiner Neurologin begann sich
ich schon mal meine Bierchen. Naja, ich habe      Hoffnung breit zu machen. Und diese heißt
es satt, mich überall einzuschränken. Aber        Uniklinik Innsbruck. Im Juni fuhr ich das
was soll´s, ich muss schließlich damit leben.     erste Mal dorthin. Ich wurde über die Opera-
Nur glaube ich, die Ärzte schieben bei einem      tion aufgeklärt. Dann ging es am selben Tag
Patienten mit Diabetes auch gleich alles auf      wieder nach Linz. Im August begab ich mich
den Zucker. Irgendwie glaube ich es bei mir       wieder nach Innsbruck, diesmal stationär.
nicht. Es kann doch nicht sein, dass ich inner-   EEG-Untersuchung, Blutabnahme,
halb von eineinhalb Jahren immer wieder eine      Schädel-MRT, Konzentrations- und
Geschwulst in der Blase bekomme. Ich wurde        Geruchstest, ein Gehirn-MRT und
schon zweimal operiert und jetzt stünde die       eine neuen Art von Bewegungsthera-                                           »Obdachlose Men-
dritte Operation an. Ob da nicht irgendwas        pie – diese hieß ganz einfach- Boxen.
anderes der Grund ist? Naja, natürlich weiß       Ich dachte vorerst, mich verhört zu haben.                                   schen haben im
ich, welche Auswirkungen Diabetes haben           Doch als mich die Trainerin tags darauf und                                  Schnitt eine um
kann. Aber so ist es doch besser, denn meine      dann jeden Tag abholte wusste ich – es war                                   zehn Jahre kürzere
Augen sind in Ordnung und meine Füße auch.        kein Scherz. Mit Box-Handschuhen ausge-                                      Lebenserwartung.«
Und das ist doch ein Leben, wo ich nicht ein-     stattet schlug ich auf den Sack ein. Ich lernte
geschränkt bin. Aber Jammern nützt in diesem      jeden Tag etwas dazu: Grundstellung, Schlag-                                 Heinz Zauner, Arge
Fall überhaupt nichts. So muss ich mich halt      ausführung, Bein- und Körperhaltung,                                         für Obdachlose.
einschränken und diszipliniert bleiben. Nur so    kurzes Aufwärmen, Laufen und immer
man kann ich mit Diabetes vielleicht noch ein     in Bewegung bleiben. Die Trainerin
langes Leben führen. Manfred R.                   sagte mir, ich könnte ein zwei-
                                                                                                                        03/2020                  13
ganz spurlos an mir vorbeigegangen. Gegen
                                                den Tinnitus kann ich nichts machen. Gegen
                                                das Taub-Sein auch nicht. Da hilft nicht ein-
                                                mal mehr ein Hörgerät, so wurde mir das je-
                                                denfalls erklärt. Gegen die Erkrankung der
                                                Schilddrüse muss ich nun lebenslang Tablet-
                                                ten einnehmen, damit mein Verdauungs-Sys-
                                                tem funktioniert. Eines ist mir nun bewusst
                                                geworden: Ohne Gesundheit ist alles andere
                                                nichts. Das ist wohl das höchste Gut in unse-
                                                rem Leben. Sonja

                                                Ich konnte dem Tod fast
                                                schon die Hände reichen
                                                Es war am 28. September in der Früh, als ich
                                                den Notruf 144 wählte, da ich die Schmerzen
                                                im Bauch und im Wirbelsäulenbereich nicht
                                                mehr ertragen konnte, doch der Herr am ande-
                                                ren Ende sagte mir, er würde mir den Ärzte-
                                                notdienst schicken, der dann auch schnell da
                                                war. Ich bekam eine Spritze in den rechten
                                                Oberschenkel und zwei Packungen Tabletten.
                                                Er sagte, sollte es nicht besser werden, dann
                                                müsste ich sowieso ins Krankenhaus gehen.
                                                Am nächsten Morgen war ich schon so
                                                schwach, dass ich kaum noch Stiegen steigen
                                                beziehungsweise mich bewegen konnte. Also
                                                rief ich wieder 144, aber leider erst am Abend.
                                                Dieses Mal kam das »Rote Kreuz« und brachte
                                                mich zu den »Barmherzigen Schwestern«, wo
                                                der Ernst der Lage sofort erkannt wurde. An-
                                                fangs dachte ich an Darmverschluss, doch die
                                                CT-Untersuchung ergab: »Bauchspeicheldrü-
                                                sen-Entzündung im weit fortgeschrittenen
                                                Stadion«. Für mich brach die Welt zusammen,
                                                als ich erfuhr, dass ich dem Tod schon fast die
                                                Hand reichen konnte. Ein herzliches »Danke«
                                                dem Pflege-Team der Station 4A sowie allen,
                                                die mich besucht haben. »Danke« auch an
                                                meinen Freund Alexander, der sich die ganze
                                                Woche liebevoll um meine Katzen geküm-
                                                mert hat. Seit kurzer Zeit habe ich immer wie-
                                                der große Schmerzen in den Knien. Auch die
                                                Wirbelsäule schmerzt immer wieder. Manch-
                                                mal werden die Schmerzen zur Qual. Nun
                                                muss ich mich mit der ständigen Einnahme
                                                von Schmerzmitteln abfinden, was ja auch
                                                keine Dauerlösung ist. Ich weiß ganz genau,
                                                dass es eine Abnützung durch schwere Arbeit
                                                ist, da ich ja früher lange Zeit im Spezialtief-
                                                bau tätig war. Das war sicher kein Honigle-
                                                cken. Aber ich kann es nicht ändern, ich muss
                                                es so nehmen, wie es kommt. Ich hoffe, dass
                                                ich nicht irgendwann im Leben einmal auf den
                Nicht nur Redakteur Manfred,    Rollator oder gar auf den Rollstuhl angewie-
               sondern auch der Kupfermuckn-    sen sein werde. Das wäre für mich momentan
                 Verkäufer Werner leiden an     unvorstellbar und eine fürchterliche Situation.
                  Diabetes 2. Werner wurde      Ich kann nur hoffen, dass es nicht schlimmer
                deswegen bereits ein Bein am-   wird. Heilung wird – so befürchte ich – keine
                       putiert. Foto: hz        möglich sein. Leo
14   03/2020
In meinem Arztbrief stehen
15 verschiedene Krankheiten
Je älter man wird, desto mehr Wehwehchen
bekommt man. Man geht wegen einer Krank-
heit ins Krankenhaus und dann kommt man
bei Untersuchungen drauf, dass man doch
mehr hat als angenommen. So ist es auch bei
mir passiert. Zuerst wurde mir zusätzlich
COPD diagnostiziert. Das ist eine Lungen-
krankheit, die bei mir schon ziemlich ausge-
prägt ist. Ich leide an der Stufe 2. Ein Jahr
später, bei einer neuerlichen Untersuchung,
kam dann auch noch die Krankheit »Osteopo-
rose« dazu. Das heißt meine Knochendichte
ist zu gering. Zudem habe ich große Schmer-
zen an der Halswirbelsäule. Ein Arzt fragte
mich, ob ich denn nie gespürt hätte, dass ich
mir einen Wirbel gebrochen hätte. Ich ver-
neinte. Bei den letzten Untersuchungen, kam
dann noch die »Polyneuropathie« und ein Pro-
                                                  Ärztin mit Herz für Obdachlose
blem mit der Schilddrüse dazu. In meinem
Arztbrief stehen mittlerweile 15 verschiedene     Im Gespräch mit Dr.in Maria Baumgartner
Krankheiten, die aber für meine Pension noch
zu wenig sind. Jetzt bin ich 60 Jahre alt und
habe 40 Jahre lang gearbeitet. Das aber ist der   Für den Normalbürger ist es einfach:          und Verbandsmaterialien mit, horche sie
PVA noch zu wenig. Schließlich sei ich noch       Ist man krank, ruft man den Arzt.             mit dem Stethoskop ab oder messe ihren
kein Invalide. Helmut                             Nicht so für Obdachlose: Sie haben            Blutdruck. Für jene, die versichert sind,
                                                  kein Zuhause, keinen Job, oft auch            stelle ich in den Parks Rezepte aus. Neu-
                                                  keine Versicherung und schon gar kei-         erdings bieten wir auch Zeckenimpfun-
Diagnose »Leberzellenkrebs«                       nen Hausarzt. Genau diese Menschen            gen an.
ließ mich aus den Wolken fallen                   sucht Maria Baumgartner, die Ärztin
                                                  des OBST (Obdachlosen-Streetwork              Erreichen Sie alle, die Hilfe brauchen?
Ich bin dem Herrgott zu großem Dank ver-          des Vereins B37), in den Parks auf und        Ja, im Großen und Ganzen schon. Schwie-
pflichtet, dass ich im Alter von fast 70 Jahren   kümmert sich um deren medizinische            rig ist es bei psychisch Kranken. Der Zu-
noch am Leben bin. Die Tatsache, dass Hans        Grundversorgung.                              gang zu ihnen ist nicht leicht. Da ist meis-
Riesinger, der mich zur Straßenzeitung »Kup-                                                    tens viel Vertrauens-Aufbau durch viele
fermuckn« gebracht hat, nun schon seit eini-      Frau Doktor Baumgartner, seit wann sind       Gespräche notwendig, um sie in eine ad-
ger Zeit verstorben ist, obwohl er jünger war     Sie für die pflegerische und medizinische     äquate Betreuung bringen zu können.
als ich, verleiht diesem Umstand eine beson-      Versorgung Obdachloser im Einsatz?
dere Bedeutung. Bis zu meiner Pensionierung       Seit elf Jahren arbeite ich mit dem profes-   Welche Fälle gehen Ihnen unter die Haut?
im Jahr 1996 war ich durchwegs gesund, was        sionellen Team der Streetworker zusam-        Als fünffache Mutter leide ich immer
ich meinem intakten Immunsystem zu verdan-        men. Drei Mal im Monat drehen wir im-         sehr, wenn sich Familienväter oder -müt-
ken habe. Ein Arbeitsunfall war die Ursache       mer am Mittwoch Vormittag unsere Run-         ter das Leben nehmen. Mich belasten
für meine Frühpensionierung. Ich hatte mir        den. Es gibt auch Patienten, die uns direkt   Kindesabnahmen gleichermaßen wie
bei einem Material-Aufzug die linke Hand          im Streetwork-Büro aufsuchen. Einmal in       Suchtkranke, die unerwartet schwanger
eingequetscht. Das war aber dann noch nicht       der Woche habe ich Ordination im Ob-          werden. Man fühlt sich irgendwie mitver-
so schlimm. Im Jahr 2017 erhielt ich dann je-     dachlosenwohnheim und in der Not-             antwortlich. Das geht mir nahe. So nahe,
doch die Diagnose »Leberzellenkrebs«. An-         schlafstelle des Sozialvereins B37.           dass ich oftmals sogar weinen muss.
fangs fiel ich aus allen Wolken. Das Heimtü-
ckische einer Lebererkrankung ist der Um-         Wo genau trifft man Sie an, wenn Sie mit      Was passiert eigentlich mit sterbenskran-
stand, dass man keinerlei Schmerzen oder          den Streetworkern unterwegs sind?             ken Obdachlosen?
Beschwerden verspürt. Schließlich hat mir der     Hauptsächlich in den Parks der Linzer         Der Arzt Johann Zoidl von der Palliativ-
Operateur erklärt, dass zum Glück nur der         Innenstadt und am Bahnhof.                    station der Barmherzigen Schwestern gab
Rand betroffen sei und man das schadhafte                                                       uns die Zusage, jedem Patienten aus dem
Gewebe durch einen chirurgischen Eingriff         Wie läuft so eine übliche Notversorgung       Obdachlosen-Bereich ein Bett auf seiner
entfernen könne. Gesagt, getan. Bei meiner        im Freien ab?                                 Station zur Verfügung zu stellen. Dieses
letzten Nachkontrolle – dieser wird zweimal       Möglichst unbürokratisch. Jeder, der          Angebot finde ich besonders wertschät-
im Jahr durchgeführt, war zum Glück alles in      Hilfe benötigt, bekommt eine kostenfreie      zend und beruhigend, da es unseren Kli-
Ordnung. Ich hoffe, dass dies auch weiterhin      medizinische Behandlung. Ich versorge         enten ein menschenwürdiges Lebensende
so bleiben wird. August                           ihre Wunden, gebe ihnen Medikamente           ermöglicht. Foto und Text: dw
                                                                                                               03/2020                   15
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