LINZER PARKBANKTEST - 2 Euro - Arge für Obdachlose

Die Seite wird erstellt Philipp Freitag
 
WEITER LESEN
Arge für Obdachlose                                   Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten

JUNI 2022 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis                           2 Euro

                                                                   LINZER PARKBANKTEST
IMPRESSUM                      LESERBRIEFE UND REAKTIONEN

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur
Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder    Wohnen ist ein Menschenrecht!
unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich
als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen.       Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher          UNO auch 2015 – da sind wir eigentlich zeit-
Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben      Selbstverständlichkeit auch Vertreter der »lin-     lich schon lange im »Zeitalter des Neolibera-
dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge-
                                                         ken Reichshälfte«, also der Sozialdemokratie,       lismus« – fortgeführt, wie sie die 17 »Sustai-
schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene
bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach-    ja oft sogar Kommunisten, die – meines Er-          nable Developement Goals«, die 17 SDGs
lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion.   achtens viel zu zahme Forderung nach »Leist-        festgeschrieben hat. Da ist auch wiederum der
                                                         barem Wohnen« erheben. Was passiert, wenn           Kampf gegen Armut und Obdachlosigkeit
Redaktion
Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020        ein Politiker die Forderung in den Raum stellt,     oder umgekehrt ausgedrückt: die Bereitstel-
Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob-          Wohnen sollte leistbar, also erschwinglich          lung von allen wichtigen Lebensressourcen
dachlose.at, www.kupfermuckn.at                          sein? Jemand, der sagt: »Wohnen soll leistbar       »sauberes Wasser, Nahrung, gesunde Umwelt,
Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:             sein«, hat sich bereits auf den Boden des Ka-       Bildung, medizinische Versorgung« und eben
Heinz Zauner (hz), Chefredakteur                         pitalismus gestellt, ist der neoliberalen Ideolo-   auch geeignete Wohnmöglichkeit festge-
Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion                   gie des »Wohnungs-Marktes« schon auf den            schrieben: Ein lebenswertes Leben mit allen
Christian Wögerbauer (cw), Redaktion
Katharina Krizsanits (kk), Vertrieb, Layout, Redaktion   Leim gegangen im Sinn von: »Der Markt be-           erforderlichen Ressourcen ist den Menschen
                                                         stimmt alles.« »Der Markt wird alles richten.«      bereitzustellen. Armut, Unterernährung und
                                                         »Der Markt, der Markt, der Markt«, er, der im       eben auch Obdachlosigkeit sind zu verhin-
Redakteure: Anna Maria, August, Christine, Claudia,
Helmut, Heinz, Hermann, Johannes, Leo, Manfred F.,       Neoliberalismus schon fast als Gott angebetet       dern. Wagen wir also umzudenken! Geben wir
Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Walter;           und dem auch schon fast göttliche Allmacht          dem Gott, dem Götzen »Markt« das, was er
                                                         zugesprochen wird. Da sage ich: »Nein, halt,        verdient: den Fußtritt. Der Gott der Bibel sagt
Titelfoto (hz): Markus auf der Parkbank
Auflage: 25.000 Exemplare                                stopp! Beten wir den Gott »Markt« nicht an!         etwas Anderes (ich darf das als Theologe sa-
                                                         Er ist kein Gott! Hören wir auf damit! Das ist      gen). Dort geht Jesus im Evangelium so weit
Bankverbindung und Spendenkonto                          Unsinn! Gehen wir einen Schritt zurück: Nach        zu sagen: »Ich war fremd und obdachlos und
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz
IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L                dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Welt-/           Ihr habt mir (nicht) geholfen.« Er, der Gott-
                                                         Staatengemeinschaft neu zusammengefun-              Mensch identifiziert sich sogar mit den Ärms-
Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck             den. Sie hat die »Vereinten Nationen«, also         ten, Ausgeschlossenen, mit den Obdachlosen.
Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel-
punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis    die UNO, gegründet, und als eine der ersten         Das ist ein radikaler Ansatz. Hören wir das
Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen     Handlungen die »Allgemeine Erklärung der            noch? In Graz gibt es seit Kurzem eine kom-
melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro-      Menschenrechte« erlassen. Und die allermeis-        munistische Bürgermeisterin, Elke Kahr. Sie
zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern.
                                                         ten UNO-Staaten (wenn nicht alle), auch Ös-         und ihr politischer Ziehvater Ernest Kalteneg-
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel.,   terreich, haben diese Erklärung unterschrie-        ger vertraten und vertreten eine neue Politik,
0732/770805-19                                           ben und für sich auch in den Verfassungsrang        den Typus eines Politikers, der nicht abgeho-
Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46,
4600 Wels, Tel. 07242/290663                             erhoben im Sinn von: »Das sind unsere               ben von den Nöten des »gemeinen Volkes«
Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr,    Grundrechte. Das ist nicht verhandelbar.«           agiert, sondern gerade dort, bei den Armen,
Tel. 07252/50 211                                        Und eines dieser unverhandelbaren Grund-            Bedürftigen ihr Ohr haben und auch gern ei-
Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße
102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145
                                                         rechte für alle Menschen, die auf dem jeweili-      nen großen Teil ihrer Politiker-Gage verwen-
                                                         gen Staatsgebiet leben, ist eben das Grund-         den, um die Nöte von armen Menschen abzu-
Medieninhaber und Herausgeber                            recht auf Wohnen. Da steht nichts von »leist-       wenden. Also: Weg von der scheinheiligen
Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit-
zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11,
                                                         barem Wohnen«, nein, schlicht und einfach:          Forderung nach »leistbarem Wohnen«. Woh-
4020 Linz, www.arge-obdachlose.at                        Grundrecht Wohnen! Und diese Linie hat die          nen ist ein Menschenrecht für Alle. Johannes

                       International
                       Die Kupfermuckn ist Mitglied
                       beim »International Network
                       of Street Papers« INSP
                                                         Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis
                       www.street-papers.com
                                                                                                                        Liebe Leserinnen und Leser!

                                                                                                                        Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn
                                                                                                                        ausschließlich bei Verkäuferinnen
                                                                                                                        und Verkäufern mit sichtbar getra-
                                                                                                                        genem und aktuellem Ausweis.
                                                                                                                        Nur so können Sie sicher sein,
                                                                                 Stadlbauer                             dass auch wirklich die Hälfte des
                                                                                                                        Ertrages der Zielgruppe zu Gute
                                                                                 Claudia                                kommt: Wohnungslosen und
                                                                                                                        Menschen, die in Armut leben und
                                                                                 Verkäuferausweis 2022                  ihren Lebensmittelpunkt in Ober­
                                                                                                                        österreich haben.
2                      06/2022
Wenn die Beziehung am Ende ist
Betroffene berichten darüber, wie schmerzhaft Trennungen sein können

Dann brannten bei ihr                               es so weit gekommen ist. Meine Frau hatte        durchbrannten. Erst rief sie bei Gericht an und
                                                    dann keine Nerven mehr. Und so rieb sie mir      informierte das Gericht, dass der bereits anbe-
alle Sicherungen durch                              eines Tages einen Antrag unter die Nase. Sie     raumte Scheidungstermin hinfällig sei. Am
                                                    bat mich, diesen auszufüllen und zu unter-       Tag darauf nahm sie eine Überdosis Schlaftab-
Meine Frau und ich haben im Jahr 2009 gehei-        schreiben. Ich fing gerade an, meine Daten in    letten. Als ich sie sah, rief ich die Polizei. Diese
ratet. Wir machten viele Höhen und Tiefen           das Formular einzutragen, da riss sie mir das    verständigte die Rettung. Im Rettungsauto lie-
durch. Es war eine wunderschöne und auch            Formular aus der Hand und vernichtet es. Sie     gend, musste sie mit der Fahrt ins Kranken-
sehr herausfordernde Zeit. Meine Frau unter-        war – genauso wie ich – hin- und hergerissen.    haus noch warten. Es kam auch noch der Not-
stützte mich, als ich vor gut zwei Jahren an        Auf meine Frage, was das soll, erhielt ich       arzt. Ich beobachtete das Ganze vom Balkon
Parkinson erkrankte, und auch ich war für sie       keine Antwort. Kurze Zeit später hatte sie ei-   aus. Am darauffolgenden Montag wurde sie
da. Vor allem in der Zeit, als sie in stationärer   nen Termin bei einer Rechtsanwältin. Danach      wieder entlassen. Sie vereinbarte bei einer
Behandlung war und ihre traumatischen Kind-         kam sie mit einem Antrag auf Scheidung nach      Psychologin eine Therapie, die sie möglichst
heitserlebnisse aufarbeitete. Einmal kriselte es    Hause. Dieses Mal musste ich nichts mehr         bald beginnen wollte. In der Zwischenzeit
so sehr, dass wir uns fast trennten. Doch wir       ausfüllen, sondern nur noch unterschreiben.      herrscht so was wie Friede. Ich suche dringend
fanden wieder zusammen. Im letzten Jahr ha-         Mit den erforderlichen Unterlagen wurde der      eine Wohnung, da eine Widerherstellung der
ben gab es jedoch immer öfter Streit zwischen       Antrag eingereicht. Zwischendurch gab es         Ehe sinnlos ist. Lieber ein Ende ohne Schre-
uns, auch schon wegen Kleinigkeiten. Wir tru-       wieder versöhnliche Phasen. Bis zu jenem         cken als ein Schrecken ohne Ende. Autor der
gen wohl beide gleichermaßen dazu bei, dass         Freitag, an denen bei ihr alle Sicherungen       Redaktion bekannt, Foto: Walter Hartl
                                                                                                                            06/2022                    3
Alles, was wir angeschafft haben,
                                                                                                           wurde brüderlich geteilt
                                                                                                           Ich habe zwei Scheidungen hinter mir. Die
                                                                                                           erste erfolgte nach 21 Jahren Ehe. Das war für
                                                                                                           mich dann, als würde ich ein vollkommen
                                                                                                           neues Leben beginnen. Obwohl die Trennung
                                                                                                           ohne große Probleme vollzogen wurde. Ich
                                                                                                           bekam die Wohnung und das Sorgerecht für
                                                                                                           unseren gemeinsamen Sohn zugesprochen.
                                                                                                           Alles, was wir gemeinsam angeschafft haben,
                                                                                                           wurde brüderlich geteilt. Nach einiger Zeit
                                                                                                           lernte ich dann einen neuen Freund kennen. Er
                                                                                                           bot mir an, zu ihm ins Haus zu ziehen, was ich
                                                                                                           nicht machen hätte sollen. Denn innerhalb von
                                                                                                           zwei Jahren Beziehung entpuppte er sich als
                                                                                                           bösartiger Mensch. Doch, da ich meinem Ex-
                                                                                                           Mann die Wohnung überschrieben habe, gab
                                                                                                           es leider kein Zurück mehr. Nach einiger Zeit
                                                                                                           wollte auch mein Sohn nicht mehr bei mir
                                                                                                           wohnen, weil er sich mit meinem neuen Le-
                                                                                                           bensgefährten nicht vertragen hatte. Also ging
                                                                                                           er zu meinem Ex-Mann zurück. Nach vier
                                                                                                           Jahren kam es zur Trennung. Ich blieb einige
                                                                                                           Zeit alleine, denn ich hatte wirklich genug.
                                                                                                           Außerdem war ich froh, dass ich endlich wie-
                    Helmut kennt das schmerzhafte Gefühl, wenn man verlassen wird. Foto: dw
                                                                                                           der Ruhe hatte. Doch dann lernte ich wieder
                                                                                                           einen Mann kennen und heiratete ihn. Ich
                                                                                                           brachte zwei Kinder in die zweite Ehe mit.
Die negative Energie zu Hause                            war dann etwas ungemütlich. Als mein              Mein neuer Mann adoptierte sie. Wir waren
                                                         Freund dann das Bundesheer hinter sich            zehn Jahre verheiratet. Doch auch diese Be-
wirkte sich auf die Beziehung aus                        brachte, beschlossen wir, eine eigene Woh-        ziehung ging dann schief. Leider hatte er ein
                                                         nung zu suchen. Wir taten das eigentlich sehr     großes Alkohol-Problem. Er trank und war
Meine erste große Liebe dauerte nicht länger             widerwillig, da es uns ja gut ging. Doch dann     dann nicht mehr der liebe Mann, den ich ge-
als vier Jahre. Aber in diesen vier Jahren hat           fanden wir eine Wohnung. Bedauerlicher-           heiratet hatte. Da wir einen Kredit für die
sich einiges getan. Ich war 17 und mein                  weise fühlte ich mich in dieser sehr unwohl.      Wohnung aufgenommen hatten, wurden un-
Freund 18. Er hatte kein Auto, dafür aber                Ich reagiere auf negative Energien leider sehr    sere Schulden aufgeteilt. Auch ein Kind war
eine große, flotte Vespa, mit welcher wir zu             stark. Das wirkte sich auch auf unsere Bezie-     noch da. Mein Ex-Mann musste für mich und
jeder Jahreszeit, also auch im Winter, unter-            hung aus. Immer öfter kriselte es zwischen        die drei Kinder Unterhalt zahlen. Nach zwei
wegs waren. Wir fuhren überall hin, auch ins             uns beiden. Trotzdem glaubten wir beide da-       Scheidungen habe ich jetzt genug von der Ehe
Ausland nach Italien, Frankreich und oftmals             ran, dass wir es gemeinsam schaffen könn-         und bleibe bis auf Weiteres allein. Meine Kin-
quer durch Deutschland. Das hat uns beide                ten. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Mein         der besuchen mich oft, und das freut mich,
sehr zusammen geschweißt. Wir waren ein                  Freund fing mit der Schichtarbeit an. An-         denn so bin ich nicht alleine. Anna Maria
Herz und eine Seele. Ich werde nie verges-               fangs war ich froh, dass er einen ziemlich gut
sen, als er beim Bundesheer war. Da hat er               bezahlten Job hatte, doch ich war dann
mir so dermaßen gefehlt, es war fürchterlich.            Abends bis in die Nacht hinein alleine in der
                                                                                                           Sie ließ mich dann immer
Ich konnte kaum ohne ihn leben. Und ausge-               Wohnung. Das behagte mir gar nicht. So fing       wieder im Regen stehen
rechnet in diese Zeit fiel dann auch mein 18.            ich an, auch unter der Woche fortzugehen.
Geburtstag, ein Tag, der für mich eine ganz              Das war meinem Freund dann gar nicht recht.       Man wird im Leben viel verarscht, vor allem
große Bedeutung hatte. Mein Freund hätte                 Und von da an stritten wir nur noch. Mir          von Menschen, die es vermeintlich gut mit
eigentlich nicht weggehen dürfen. Doch dann              wurde es dann zu viel. Ich lernte neue Leute      einen meinen. Auch ich bin in diese Falle ge-
klingelte es an meinem Geburtstag an der                 kennen, mit anderen Ansichten. Und natür-         tappt. Es liegt schon einige Zeit zurück. Je-
Tür. Ich wohnte noch zu Hause bei meinen                 lich kam dann auch bald ein neuer Mann in         denfalls lernte ich eine Frau kennen und lie-
Eltern. Und da stand er vor mir mit einer Fla-           mein Leben. Leider gingen mein Freund und         ben. Sie machte mir große Hoffnungen. Doch
sche Sekt und einem bunten Blumenstrauß in               ich in einem großen Streit auseinander. Heute     dann gab es schon bald die ersten Enttäu-
seiner Hand. Ich konnte es kaum glauben und              sind wir zum Glück wieder gute Freunde.           schungen. Sobald wir vereinbarten, uns zu
habe mich selbstverständlich wahnsinnig                  Das ist nun schon zwanzig Jahre aus. Was          treffen, sagte sie mir kurz davor einfach ab.
über diesen Besuch gefreut. Zum Glück hatte              mich am meisten freut, ist, dass er mir seither   Manches Mal hielt sie sich an das Verspre-
auch meine Mutter mit ihm eine Freude. Sie               jedes Jahr zum Geburtstag gratuliert. Würde       chen. Dann war die Welt wieder in Ordnung.
konnten gut miteinander. Leider musste ich               er das plötzlich nicht mehr tun, dann würde       Ich war so verliebt und vergaß meinen Ärger,
mein Zimmer mit meinem Bruder teilen. Das                mir das sehr fehlen! Maria                        den ich wegen ihr schon hatte. Bei solchen
4                06/2022
Treffen war die Welt für mich in Ordnung.          dagegensprechen, die Ehe als ganz und gar         Wir beide haben zwei – sehr liebe, sehr wert-
Wir plauderten viel, ich hatte das Gefühl, dass    beendet, als geschieden und sonst nichts zu       volle – Kinder miteinander. Die lebenslange
ich mit ihr über alles reden konnte. Doch dann     betrachten, wiewohl natürlich der Wille (in       gemeinsame Elternschaft für die gemeinsamen
hielt sie sich wieder nicht an die Vereinbarung    dem Fall) meiner – geschiedenen – Frau, die       Kinder, die jetzt schon lange erwachsen sind,
und ließ mich einfach im Regen stehen. Das         eheliche Gemeinschaft nicht fortzuführen, voll    ist auch etwas, was uns immer verbinden wird,
setzte mir dann ordentlich zu. So sehr ich         anzuerkennen und dem voll Rechnung zu tra-        unser ganzes Leben und (wenn man an Stamm-
diese Frau liebte, so groß war auch meine Ver-     gen ist. Wir beide haben einander nicht nur am    bäume, Ahnentafeln denkt) vielleicht noch
zweiflung und mein Ärger. Irgendwann hielt         Standesamt, sondern auch in der Kirche feier-     lang darüber hinaus. Was gilt also nun: Sind
ich das nicht mehr aus und machte Schluss.         lich das »Ja-Wort« gegeben. Die kirchlich         wir geschieden? – Ja (im Sinne des Staates).
Danach litt ich noch lange Zeit über das Ende      (gültig) geschlossene und vollzogene Ehe ist      Sind wir (noch) verheiratet? – Auch ja (im
dieser Beziehung. Hermann                          nach katholischem Kirchenrecht »unauflös-         Sinne der Kirche). Sind wir ein Leben lang
                                                   lich«. Für die Kirche – und diese ist für mich    füreinander verantwortlich, miteinander ver-
Das Eheband ist aufrecht.                          als treuen Katholiken, so wie ich sozialisiert    bunden? – Ja (im Sinne von Saint-Exupery und
Die Ehe ist unauflöslich                           wurde – ein sehr, sehr wichtiger Handlungs-       im Sinne der gemeinsamen Elternschaft). Das
                                                   und Bezugs-Rahmen, viel mehr, als es der          Leben ist eben nicht immer ganz einfach, nicht
Ich bin schon lange geschieden, es werden          Staat ist. Somit gilt für mich beides: Ich muss   immer nur: schwarz oder weiß. Manchmal
heuer schon zwanzig Jahre, schon länger, ja        die Gültigkeit der vom Richter »im Namen der      auch schwarz und weiß, manchmal müssen wir
um einiges länger als es mir vergönnt war,         Republik« ausgesprochenen Scheidung aner-         auch mit Gegensätzen und Widersprüchen le-
diese Zeitung, für die ich jetzt schreiben darf,   kennen – und: ich muss damit leben, dass          ben. Johannes
kennenzulernen (und dann auch später Mit-          gleichzeitig die Kirche sagt: »Das Eheband ist
glied der Redaktion werden zu dürfen). »Ge-        aufrecht. Die Ehe ist noch gültig. Die Ehe ist
schieden« – das ist auch mein offizieller Sta-     unauflöslich.« Wie verspricht man es sich vor
                                                                                                     Der plötzliche Liebesentzug
tus, das, was ich in amtliche Dokumente/An-        dem Altar? Ja, genau, richtig: »Bis der Tod uns   machte psychisch fertig
träge reinschreiben muss, und es muss auch         scheidet.« Niemand anderer hat nach kirchli-
                                                                                                     Als ich vor vielen Jahren noch Hilfsarbeiter
»Du bist ein Leben lang für das verantwortlich, was du dir                                           in einem Schlachthof war, verliebte ich mich
                                                                                                     unsterblich in eine Frau. Immer nach der Ar-
vertraut gemacht hast.« Saint-Exupery – »Der kleine Prinz«                                           beit traf ich mich mit meinem Freund und
                                                                                                     seiner damaligen Freundin. Es war für mich
                                                                                                     ein einzigartiges Gefühl. Ich war regelrecht
fast immer vorkommen, wenn ich mich ir-            chem (katholischen) Verständnis das Recht,        von ihr besessen, sie war faszinierend. Nach
gendwo vorstelle. Ich lebe mit Annemarie,          die Ehe zu scheiden, nur der Tod. Antoine de      der Arbeit wurde ich von den beiden immer
meiner geschiedenen Frau, schon seit bald 21       Saint-Exupery hat vor vielen Jahrzehnten die-     abgeholt. Dann verbrachten wir die Zeit in
Jahren in Trennung. Ein Jahr später hat dann       sen Klassiker »Der kleine Prinz« geschrieben.     einem Café. Und so verging Woche für Wo-
der Richter feierlich »im Namen der Repub-         Jeder kennt dieses Buch, ein wunderbares          che, Monat für Monat und schließlich waren
lik« verkündet, dass unsere Ehe »unheilbar         Buch über die Freundschaft, die Freundschaft      zwei Jahre vorüber. Wenn ich heute zurück-
zerrüttet« und infolgedessen aufgelöst, also       des »Kleinen Prinzen« mit seiner Rose, um die     blicke, waren es die schönsten zwei Jahre
eben geschieden ist. Somit sind wir beiden, die    er sich kümmert, und über die mit dem Fuchs.      meines Lebens. Meine heimliche Geliebte
einmal geheiratet haben, von da an »geschie-       Und dieser ist es auch, der ihm dann eines Ta-    und ich versprachen einander, dass wir uns
dene Leute«. »Geschieden« – das ist seither        ges diese wichtige Lebensweisheit mitgibt:        immer und ewig lieben und eines Tages zwei
die Realität, unsere Realität: die eheliche Ge-    »Du bist ein Leben lang verantwortlich für        Kinder haben würden. Mit ihr war es nie
meinschaft, die »Gemeinschaft von Tisch und        das, was du dir vertraut gemacht hast.« Wenn      langweilig. Ganz im Gegenteil. Die Zeit, die
Bett« aufgelöst, beendet, die Güter aufgeteilt     das stimmt, würde das dann nicht auch (ganz       wir miteinander verbrachten, war immer viel
(und eben nicht mehr gemeinsam). Geschie-          abseits von Religion und Kirche) für eine le-     zu schnell vorüber. Oft blieben wir die ganze
den: Punkt – aus – basta! Doch, ist das wirk-      benslange Treue von Menschen sprechen, die        Nacht über wach, redeten und redeten, was
lich die Realität? Es gibt ein paar Punkte, die    einmal den Bund der Ehe eingegangen sind?         das Zeug hielt. Ihrem Freund muss es sicher

                                                                                                                         06/2022                 5
DAS LE
                                               komisch vorgekommen sein, dass ich mehr           Magisches an sich. Seit dieser Nacht mussten
                                               Zeit mit seiner Freundin verbrachte als er.       wir uns wieder täglich sehen, da wir zu dem
      A
 SOZI
                                               Wenn wir bei ihm Zuhause waren, schlief er        Entschluss kamen, dass wir einfach zusam-
                                               meistens gleich ein. Um nicht erwischt zu         men sein müssen und ohne den anderen nicht

    ECK
                                               werden, flüchteten wir auch oft ins Auto und      sein können. Bevor wir uns wieder regelmä-
                                               drehten die Musik an. Wir flüsterten uns liebe    ßig trafen, hatte ich große Angst, dass es wie-
                                               Worte in die Ohren. Eines Tages bemerkte          der wie früher werden könnte, dass wir aus
                                               unser Freund jedoch, dass da irgendetwas          irgendeinem Grund wieder getrennt werden
                                               nicht stimmte. Das änderte nun alles. Sie hol-    sollten. »Wird es wieder genauso schön sein«,
                                               ten mich nicht mehr von der Arbeit ab. Diese      dachte ich mir kurz und hatte Bedenken. Es
An diesen Merkmalen erkennst                   Trennung traf mich hart. Alles, was übrig-        wurde jedoch noch viel besser und schöner,
                                               blieb, waren meine Erinnerungen an eine           als ich es mir hätte erträumen können. Mit ihr
du eine toxische Beziehung                     wunderbare Frau. Ich konnte mich nicht mehr       war ich wieder der Mensch, der ich früher
                                               konzentrieren, verlor mein seelisches Gleich-     war. Ich war wieder glücklich und konnte la-

1  Du steckst sehr viel Liebe und Energie
   in die Partnerschaft, bekommst jedoch
nur wenig zurück.
                                               gewicht, konnte kaum mehr essen. Die ganze
                                               Zeit dachte ich nur an sie. Meine Kollegen
                                               bemerkten meine schlimme Veränderung.
                                                                                                 chen. Vor allem konnte ich wieder schlafen.
                                                                                                 Sie war die fehlende Hälfte in meinem Leben.
                                                                                                 Jetzt bin ich zum Glück nicht mehr von ihr
                                               Selbst mir war klar, dass mit mir etwas nicht     besessen. Inzwischen haben wir uns öfters

2   Du tust alles für deinen Partner, kannst
    es ihm aber einfach nicht recht machen.
                                               in Ordnung war. Ich konnte nicht mehr schla-
                                               fen, weil ich Tag und Nacht an sie dachte.
                                               Früher galt ich als »bester Arbeiter« der
                                                                                                 getrennt und kamen immer wieder zusam-
                                                                                                 men. Sie wird immer die eine wichtige Hälfte
                                                                                                 meines Lebens bleiben. Misel (Steyr)

3   Du verteidigst sein inakzeptables Ver-
    halten vor anderen Menschen.
                                               Firma. Diesem Ruf konnte ich nicht mehr
                                               gerecht werden. Ich hatte komplett versagt,
                                               war am Boden zerstört. Ich wusste oft nicht
                                                                                                 Dann wurde mir alles zu viel,
                                                                                                 sodass ich Schlaftabletten nahm
4  Dein Partner isoliert dich zunehmend
   von Freunden und Familie und redet
schlecht über sie.
                                               einmal, mit wem ich mich gerade unterhielt.
                                               Meistens sagten die Leute zu mir: »Hallo,
                                               hörst du überhaupt zu?« Immer wieder              Seit 2009 bin ich verheiratet. Zuvor hatte ich
                                               schweifte ich mit meinen Gedanken ab. Ei-         zwar auch Beziehungen, doch diese waren nie

5  Dein Partner wirkt nach außen hin sehr
   charmant, wird zu Hause jedoch zum
wahren Ekelpaket.
                                               nige meinten, ich sei psychisch labil und
                                               dachten, ich hätte einen Nervenzusammen-
                                               bruch gehabt. Wahrscheinlich war ich auch
                                                                                                 von langer Dauer. Bis ich bei einer Weih-
                                                                                                 nachtsfeier der Arge für Obdachlose meinen
                                                                                                 zukünftigen Mann kennenlernte. Es war Liebe

6   Dein Partner macht dich oft völlig
    grundlos nieder.
                                               »Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, verlor mein
                                               seelisches Geleichgewicht, konnte kaum mehr essen.« Misel

7   Dein Partner verletzt dich bewusst ver-
    bal oder sogar körperlich.
                                               nicht mehr weit davon entfernt, einen zu ha-      auf den ersten Blick. Wir heirateten. Ich war

8   Dein Partner erniedrigt dich vor ande-
    ren Menschen.
                                               ben. Ich verging beinahe vor lauter Kummer
                                               und Schmerz. Der plötzliche Liebesentzug
                                               machte mich zu einem völlig anderen Men-
                                                                                                 mit ihm viele Jahre glücklich. Klar, wir hatten
                                                                                                 zwischendurch auch hin und wieder Streit,
                                                                                                 doch das kommt in jeder Beziehung vor. Die

9  Dein Partner gibt dir ständig die Schuld
   für dein eigenes Unglück, bis du
schließlich selbst davon überzeugt bist.
                                               schen. Immer nur träumte ich davon, wie sie
                                               mit dem Auto auftauchen und mich abholen
                                               würde. Das blieb aber nur ein Wunschdenken.
                                                                                                 Corona-Zeit mit ihren Lockdowns mussten
                                                                                                 wir auf engstem Raum miteinander verbrin-
                                                                                                 gen. Wir stritten uns immer öfter. Anfangs
                                               Irgendwann war ich arbeitsunfähig und kün-        nahm ich noch Rücksicht, denn er leidet seit

10    Dein Partner lässt seine schlechte
      Laune immer an dir aus, hat ext-
reme Gefühlsschwankungen und ist unbe-
                                               digte. Ein paar Monate später arbeitete ich
                                               dann als Autowäscher auf einer Tankstelle.
                                               Eines Tages sah ich sie wieder. Eine lange
                                                                                                 über einem Jahr an der Krankheit Parkinson.
                                                                                                 So hielten wir durch. Letztes Jahr wurde es
                                                                                                 dann aber heftig. Im November hatte ich keine
rechenbar.                                     Zeit war inzwischen verstrichen. Ich habe         Nerven mehr. In meiner Verzweiflung nahm
                                               mich darüber irrsinnig gefreut. Wir hatten uns    ich dann eine Überdosis an Schlaftabletten.

11    Er versucht, dich durch Liebesent-
      zug zu manipulieren.
                                               so viel zu erzählen. Ich musste gleichzeitig
                                               weinen und lachen. Noch nie habe ich so viel
                                               Glück verspürt. »Wir müssen uns heute
                                                                                                 Zum Glück war mein Mann in der Wohnung.
                                                                                                 Er rief die Rettung und Polizei. So wurde ich
                                                                                                 ins Krankenhaus gebracht. Da meine ältere

12     Dein Partner kennt deine Schwä-
       chen ganz genau und weiß, womit
er dich am meisten verletzen kann.
                                               Abend unbedingt treffen«, sagte ich zu ihr.
                                               Am Abend wartete ich voller Hoffnung auf
                                               sie. Und als es dunkel wurde, stand sie vor
                                                                                                 Tochter gerade den Schulabschluss nachholte,
                                                                                                 wurde der Termin für die Scheidung gestri-
                                                                                                 chen. Im Januar merkte ich, dass es nicht bes-
                                               meiner Tür. Die Engel waren auf meiner            ser wird. Ich warf ihn dann aus der Wohnung.

13    Dein Partner gibt sich bei Diskussi-
      onen nicht einmal die Mühe, deinen
Standpunkt zu verstehen.
                                               Seite. Es fühlte sich so an, als hätten wir uns
                                               nie getrennt. Die ganze Nacht haben wir gere-
                                               det und alles nachgeholt. Es war so ein wun-
                                                                                                 Er schläft zwar noch ab und zu bei mir, aber
                                                                                                 ich merke, dass es uns nicht gut tut. Ich habe
                                                                                                 mit dieser Beziehung abgeschlossen. Er ist
                                               derschöner Abend, den wir zwei bestimmt           sehr oft bei mir und bringt immer etwas mit,
Weitere Infos unter: www.sinnsucher.de         niemals vergessen werden. Er hatte etwas          wenn er kommt. Von Ende März bis Ende Ap-
6                 06/2022
ril war er auf Reha und dann noch Woche bei
meiner Schwester. Er half ihr beim Renovie-      Trennung als Chance auf Wachstum
ren der Wohnung. Die fünf Wochen Abstand
haben uns beiden sehr gut getan. Er ist nun
auch bei Genossenschaften gemeldet. Hof-
                                                 Im Gespräch mit dem Beziehungsexperten Richard Schneebauer
fentlich bekommt er bald seine eigene Woh-
nung. Ich muss jetzt wieder auf mich schauen.    Scheiden tut weh. Das hat wohl jeder
Ich habe meine wahren Bedürfnisse viel zu        schon erfahren. Der Weg bis zur Tren-
lange vernachlässigt. Wir können am Papier       nung ist oft mit quälender Verunsiche-
verheiratet bleiben, aber wir wohnen nun ge-     rung und Ängsten gepflastert. Richard
trennt, und auch auf der Herzensebene hat        Schneebauer, Autor und stellvertreten-
sich eine Trennung vollzogen. Das tut uns        der Leiter des Zentrums für Familien-
beiden gut. Claudia                              therapie und Männerberatung (www.
                                                 zentrum-fm.at), hat schon viele Männer
                                                 in Trennungskrisen begleitet. Er zeigt
Nach der zweiten Scheidung                       Wege aus diesen Krisen auf.
wurde ich zum Zahlen verpflichtet
                                                 Die Grundproblematik partnerschaftlicher
Ich war zweimal in meinem Leben verheira-        Probleme sieht Schneebauer darin, dass
tet. Beide Ehen wurden geschieden. Die erste     jeder die Fehler nur beim anderen sieht.
Scheidung war ziemlich unkompliziert, da         Gerade in Trennungssituationen neigen die
keine Kinder da waren und es aus materieller     Menschen oft dazu, die wahre Ursache der
Sicht untereinander nichts zum Aufteilen gab.    Probleme nicht bei sich selbst zu suchen,
Wir waren beide sozusagen besitzlos. So          sondern diese auf den Partner zu projizie-
brauchten wir keine Unterstützung bei unserer    ren. »Schuldzuweisungen können jedoch
Trennung. Bei der zweiten Scheidung jedoch       das Problem niemals lösen«, meint der Be-      lingen ihrer Partnerschaft verantwortlich.
war es dann anders. Meine Ex-Frau und ich        ziehungsexperte. Auch das Konzept der          »Trennung besteht immer aus zwei Men-
hatten drei Kinder und bereits einen kleinen     »Opfer- und Täter-Rolle« sieht Schnee-         schen«, betont Schneebauer.
Schuldenberg angehäuft. Da lagen unsere          bauer sehr problematisch.
Nerven schon blank. Bei der Verhandlung ver-                                                    Krise als Chance
pflichtete mich die Richterin zu einer Unter-    Opfer und Täter
haltszahlung von 500 Euro für die Kinder und                                                    Für Schneebauer sind Ehe-Krisen letztlich
275 Euro für meine Ex-Frau. Ich erklärte der     Studien zeigen: Tendenziell starten Frauen     wertvolle Lernprozesse, die zu einer heilsa-
Richterin, dass sich das nicht ausgehe mit       die Trennung. Genauer gesagt: 60 Prozent       men Entdeckungsreise zu sich selbst werden
meinem Verdienst. Wenn ich so viel hätte ab-     der Trennungen gehen von ihnen aus.            können. Dazu müssen die Betroffenen jedoch
geben müssen, dann hätte ich mir das Leben
nicht mehr leisten können. Außerdem hatte
ich nach der Scheidung kein Dach mehr über       »Der Zurückgelassene ist nicht allein das Opfer. Trennung
dem Kopf. Die Wohnung überließ ich meiner        besteht immer aus zwei Menschen.« Richard Schneebauer
Ex-Frau und meinen Kindern. Ich war also
auch noch in der verzweifelten Lage, dass ich
mir eine eine neue Wohnung suchen musste.
Dazu brauchte ich auch noch Geld für die         Männer würden das Ehe-Aus erst nach und        nicht nur zur Selbstverantwortung bereit sein,
Kaution. Die Anwältin meiner Frau meinte         nach realisieren. Als Männerkenner und         sondern auch zur Selbstreflexion. »Was ist
dann, der Unterhalt sei ja nur für drei Jahre    Autor des Bestsellers »Männerherz« kennt       mein Anliegen? Wie geht es mir? Was ist
einzuzahlen, denn danach bekäme meine Frau       Richard Schneebauer die Abgründe des           meine innere Wahrheit?«, solchen Fragen gilt
ja ohnehin die Pension. So habe ich einer ein-   »harten Geschlechts«: »Männer sind Welt-       es auf den Grund zu kommen. Sich und seine
vernehmlichen Scheidung zugestimmt. Meine        meister im Aushalten«, weiß der Experte.       eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und
Zustimmung erfolgte jedoch erst nach einer       Das sei zwar eine gute Qualität auf der        diese zu artikulieren, seien erste Schritte, die
zweiten Verhandlung. Nun bin ich seit 15 Jah-    Baustelle, jedoch eine schlechte in Sachen     aus der Krise führen. Johannes S. litt vor vie-
ren geschieden. Im Nachhinein gesehen bin        Beziehung. Bekommen die Frauen deswe-          len Jahren sehr, als seine Ehe in die Brüche
froh, dass ich nun mit meinen Unterhalts-        gen nun den schwarzen Peter? Ist die Ex-       ging. In der Männergruppe mit Richard
schulden endlich fertig bin. Auch wenn ich       Partnerin die böse Täterin, nur weil sie ihn   Schneebauer konnte er erstmals trauern: »Als
geschieden bin, muss ich sagen, dass sich        verlassen hat? »Der Zurückgelassene ist        Mann unter Männern weinen und schwach
meine Frau immer fair mir gegenüber verhal-      keineswegs das alleinige Opfer«, sagt          sein zu dürfen, das war für mich irrsinnig heil-
ten hat und ich froh bin, dass ich mit ihr und   Schneebauer und konstatiert: »Auch derje-      sam«, erzählt er. Schneebauer dazu: »Wenn
den Kindern immer noch Kontakt habe. Ans         nige, der die Beziehung beendet, leidet        Betroffene den Schmerz durchleiden, entsteht
Heiraten habe ich seither nie wieder gedacht.    und hat innere Kämpfe zu führen.« Mit          Wachstum. Dann bietet die Krise die Chancen
Heute lebe ich in einer leistbaren Wohnung,      Begriffen wie »gut« und »böse«, »Opfer«        zur Veränderung.« Und: »Je mehr man sich
die ich über das WIEWO (Projekt der Arge für     und »Täter« müsse man sehr vorsichtig          darüber im Klaren ist, was man will und was
Obdachlose, Anm.) bekommen habe und bin          umgehen. Beide Partner seien miteinander       nicht, umso liebevoller gestalten sich die Be-
glücklicher Single. Helmut                       verstrickt und für das Gelingen oder Miss-     ziehungen.« Foto: privat, Text: dw
                                                                                                                     06/2022                  7
Parkbank am OK-Platz

Das öffentliche Wohnzimmer
                                                                                               Kupfermuckn-Verkäufer Johannes,
                                                                                               der bereits unzählige Schlafplätze im
                                                                                               Freien während seiner Weit-Wande-

der Wohnungslosen                                                                              rungen quer durch Europa kennen
                                                                                               gelernt hat, lebt derzeit in der Not-
                                                                                               schlafstelle in Linz. Da er untertags
                                                                                               nicht in sein Schlafzimmer darf,
Kupfermuckn testest Linzer Parkbänke                                                           macht er eben auf einem der Park-
                                                                                               bänke am OK-Platz sein Mittags-
Da wohnungslose Menschen keinen privaten Rückzugsraum haben, leben viele von ihnen             schläfchen. Danach gönnt er sich ein
unterm freien Himmel in ihrem »öffentlichen Wohnzimmer«. Die Redakteure der Kupfer-            Essen um fünf Euro nebenan im Pas-
muckn nahmen die Linzer Parkbänke genauer unter die Lupe. Wesentliche Kriterien wie            sage-Kaufhaus. Sein Resümee: Die
etwa der Komfort, das Design oder der Standort der Bänke wurden einer kritischen Beur-         Bank hat eine ordentliche Länge (ca.
teilung unterzogen. Wir gingen unter anderem den Fragen nach: »Wo gibt es Metallnop-           drei Meter) und Breite (ca. einen Me-
pen oder Armlehnen mitten drinnen, die ein Liegen verhindern? Wo ist es besonders ge-          ter) zum Liegen. Das Holz als Mate-
mütlich? Gibt es einen Nahversorger in der Nähe? Die Bilanz fällt nicht nur positiv aus.       rial sei angenehm. Hier könne man
                                                                                               sich ungestört ausruhen. Auch die
                                                                                               notwendige Infrastruktur rundherum
                                                                                               sei gegeben. Foto und Text: dw

                                                                         Nischen mit Holzbänken
                                                                         bei der Eisenbahnbrücke
                                                                         Die Neue Donaubrücke ist sehr großzügig und breit ausgefal-
                                                                         len. Die Nischen mit Bänken sind direkt ein Luxus, sie laden
                                                                         zu längerem Verweilen auf der Brücke ein. Das Hinunter-
                                                                         schauen auf die Donau oder auch der Blick in Richtung Stadt
                                                                         sind vor allem am Abend und in lauen Sommernächten sehr
                                                                         empfehlenswert, da kommt man schon ein bisschen ins Träu-
                                                                         men. Erreichbarkeit: entweder über die Busstation Parkbad
                                                                         oder auf der Urfahraner Seite mit der Straßenbahn oder dem
                                                                         Bus. Einkaufsmöglichkeit gibt es beim HOFER in Urfahr,
                                                                         der leider etwas entfernt liegt. Foto: dw, Text: Johannes
Viel Platz für alle im Volksgarten
Vorne bei der Straßenbahn ist die lange Bank ohne Lehne »die Fun- und Party-
Zone« und eher nichts für mich. Dort kommt auch oft die Polizei wegen dem Al-
koholverbot. Aber es ist für alle Platz, für die Kinder und Eltern am Kinderspiel-
platz und die Schachspieler gleich daneben. Ich sitze gerne auf der Rundbank um
den ganzen Baum in der Mitte des Parkes oder auf den Parkbänken am Weg. Die
Bänke sind sehr bequem mit den Holzlatten. Es gibt im Park ein öffentliches WC,
Geschäfte gleich in der Nähe und bei der Arbeiterkammer auch einen Würstel-
stand. Es ist der größte Innenstadtpark. So findet jeder seinen Platz, an dem er sich
wohlfühlen kann. Foto: hz, Text: Markus

                                                       Abgefuckte Akzeptanz am Busbahnhof
                                                       Gleich neben dem schönen, neuen Bahnhof schließt auch der Busbahnhof an. Die
                                                       Bänke sind aus Holz und mit Glaswänden an drei Seiten begrenzt. Eigentlich recht
                                                       brauchbar und windgeschützt für wartende Fahrgäste. In zahlreichen dieser Kobel
                                                       haben es sich Obdachlose mehr oder weniger wohnlich eingerichtet. Beim Besuch
                                                       kamen wir mit ihnen ins Gespräch. Das sind Leute, die in vielen Organisationen
                                                       schon angeeckt sind oder die einfach nicht in die Notschlafstelle gehen wollen.
                                                       Fotos wollten wir von den Menschen keine machen. Was in Linz noch fehlt, ist ein
                                                       noch niederschwelligeres Nächtigungs-Angebot für Obdachlose, etwa eine Unter-
                                                       kunft für sogenannte »Non-Clompliance-Klienten«, wie es diese bereits in Steyr,
                                                       Wels und Vöcklabruck schon gibt. Foto: hz, Text: Manfred

Reisende soll man nicht aufhalten
Ein Bahnhof ist nicht zum Verweilen. Das wollen einem die Bänke in
der Halle mitteilen. Die wenigen Bänke im Eingangsbereich sind aus
Metall, ohne Lehne aber dafür mit Stahlbügeln zwischen den Sitzen.
Man will nicht, dass es sich Besucher allzu gemütlich machen. Eine
Ebene tiefer gibt es doch Rückenlehnen. Bahnhöfe sind traditionell
Treffpunkte für Menschen, die kein Zuhause haben: Obdachlose Flücht-
linge und andere, die leider ihr Ziel aus den Augen verloren haben und
daher hierbleiben müssen. Neuere Bahnhöfe wollen auch als Shopping-
und Gastronomiecenter wahrgenommen werden, wird der Linzer Bahn-
hof ja von 40.000 Reisenden täglich frequentiert. Foto und Text: hz

                                                                                                                  06/2022                 9
Erholungsoase im Schillerpark
                                                                 Einer unserer Lieblingsplätze ist der Schillerpark. Immer, wenn wir mit
                                                                 unserer Kupfermuckn unterwegs sind und Andreas und auch meine Füße
                                                                 etwas Ruhe brauchen, das ist mit unseren Wehwehchen gar nicht so sel-
                                                                 ten, und das Wetter es erlaubt, suchen wir uns eine freie Parkbank. Es ist
                                                                 immer etwas los und wir treffen jedes Mal Bekannte oder Freunde. Panys
                                                                 Imbissstand ist auch in der Nähe, da gibt’s manchmal eine Bosna oder wir
                                                                 haben von zu Hause eine Jause mit. Obwohl in der letzten Zeit immer
                                                                 wieder geschimpft wird, dass zu viel gesoffen und Radau gemacht wird,
                                                                 ist es ein sehr schöner Platz. Ich denke, es wird ziemlich übertrieben. Für
                                                                 uns ist der Park eine sehr schöne Erholungsoase. Foto: cw, Text: Hermann

Warum nicht gleich eine Hängematte
»Ich kam wegen der Liebe und dem guten Essen von Köln nach Linz. Ich spreche
fünf Sprachen und komme gerne mit den Menschen ins Gespräch. Das funktioniert
am besten auf einer Parkbank oder in einer Hängematte wie etwa vor dem Museum
Nordico«, sagt Mario. Der Platz wurde neu gestaltet. Wichtig sind da die neuen –
und hoffentlich bald – schattenspendenden Bäume. Am Rand des Platzes steht ein
großer Baum, daneben eine schattige, gemütliche Bank und eben eine Hängematte.
Durch die Neugestaltung wird der Platz vor dem Museum aufgewertet. Man hält
sich gerne dort auf. Zurzeit gibt es die Initiative, den Platz in Simon Wiesenthalpatz
umzubenennen. Das würde auch zum Museum und der Geschichte von Linz – nur
einige Schritte von der Synagoge entfernt – passen. Foto und Text: hz

                                                                 Schwungvolle Schlafbänke an der Donau
                                                                 An der Donau unter der Eisenbahnbrücke gibt es viele Liegen. Die meis-
                                                                 ten sind relativ groß und breit (circa 4x2 m) und aus Holz. Hier kann man
                                                                 herrlich in der Sonne liegen, von der Lage her am besten vom Nachmittag
                                                                 bis zum Sonnenuntergang. Ich habe hier schon viele zärtliche Stunden mit
                                                                 meiner lieben Freundin verbracht. Daneben sind auch noch die langen,
                                                                 schmäleren, wellenförmig gestalteten Liegen/Bänke (auch aus Holz), die
                                                                 eher für Einzelpersonen zum Liegen oder für Kinder zum Spielen, mit
                                                                 Blick auf den Pöstlingberg. Auf den Liegen könnte man als Obdachloser
                                                                 bei Schönwetter wahrscheinlich auch gut übernachten. Ich glaube nicht,
                                                                 dass da wer was dagegen hat. Foto: dw, Text: Johannes
Freie Bänke im sandlerbefreiten Hessenpark
Das waren noch Zeiten, als im Sommer im Brunnen gebadet
wurde und der Hessenpark ein beliebter Treffpunkt für wohnungs-
lose Menschen war. Leo erinnert sich noch, als man Tag und Nacht
auf den Bankerln im Hessenpark verbringen durfte. Leider ist die
Sache dann etwas eskaliert, und es hagelte Verbote. Damit alles
seine Ordnung hat, sind die durchaus bequemen Bänke jetzt am
Boden festgeschraubt. Der Spielplatz wurde erweitert. Es herrscht
eine gemütliche Atmosphäre. Menschen trifft man nicht mehr so
viele, gibt es ja – neben dem Alkoholverbot – auch die Befugnis
für die Polizei, Menschen schon wegweisen zu dürfen, wenn nur
der Verdacht einer zukünftigen, ungesetzlichen Handlung befürch-
tet werden könnte. Foto: hz, Text: Leo

                                                                            Regenbogenfarben als Zeichen der Toleranz
                                                                            Man findet sie nun in vielen Linzer Parks. Die Regenbogen-
                                                                            bänke, die aus der schwarz-weißen Kupfermuckn nicht so her-
                                                                            ausleuchtet wie im zentralen neuen City Park. Dieser befindet
                                                                            sich im Hof zwischen dem Vereinshaus, dem Park Inn Hotel und
                                                                            der Martin Luther Kirche. Ein ruhiger Park, in dem man es sich
                                                                            in der Blumenwiese bequem machen. Die gemütlichen Bänke
                                                                            aus Holzlatten laden zum Verweilen ein. Ein Schild erklärt in
                                                                            rätselhafter Abkürzung den Sinn der Regenbogen-Farben. Es
                                                                            geht um Gleichberichtigung der »LGBTIQ-Community«. Ab-
                                                                            kürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (lesbisch,
                                                                            schwul, bisexuell und transgender) Intersexuelle (mit Merkma-
                                                                            len beider Geschlechter geboren) also Queer (zusammenfassen-
                                                                            der Überbegriff). Foto: hz, Text: Christine

Zerstreuung, um sich das Leben schön zu machen
Mein Lieblingsbankerl steht im Schillerpark. Dort lasse ich mich gerne
nieder, wenn es mir nicht so gut geht oder der Alltagsstress zu viel
wird. Es ist für mich eine Ruheoase, wo ich meinen zerstreuten Gedan-
ken nachgehen kann. Inspiriert werde ich als überzeugter Pazifist, der
Gewalt verabscheut, von der Skulptur »Das andere Buch« von Theo
Blaickner. Dass der Platz nicht begrünt ist, stört mich dabei weniger,
als dass ich hier ohnehin nur meinen Gedanken folge. Dass die Bank
aus Kunststoff ist, bemängle ich als gelernter Tischler, wenngleich der
Sitzkomfort durchaus gegeben ist. Die auffällig pinke Farbe begrüße
ich dagegen, als dass ich für alles offen bin und für alle unterschiedli-
chen Menschen Verständnis zeige. Das Leben ist einfach schön – man
muss es sich eben schön machen. Foto: cw, Text: Gerald

                                                                                                                   06/2022                   11
Ich halte dieses Leben kaum mehr aus
Herr J. aus Steyr schreibt über sein bedrückendes Dasein

                                                                                                               und deswegen schiebt sie alles
                                                                                                               auf das Rauchen! Sie meinte, dass
                                                                                                               meine Medikamente nicht wirken
                                                                                                               können, weil ich rauche! Worauf-
                                                                                                               hin ich sie mehr oder weniger ge-
                                                                                                               feuert habe und mich schon auf
                                                                                                               den Termin bei einem anderen
                                                                                                               Arzt »freue«.

                                                                                                               Psychiater entscheidet
                                                                                                               über mein Leben
                                                                                                               Das ist meiner Meinung nach die
                                                                                                               letzte Chance, die ich diesem Ge-
                                                                                                               sundheitssystem gebe. Wenn man
                                                                                                               das hier liest, ist das für den Leser
                                                                                                               an und für sich nichts Besonde-
                                                                                                               res. Nach spätestens zehn Minu-
In den letzten Jahren und Mo-        fast jede Stunde überkommen,        gedauert, in denen ich fast vor       ten hat er das alles schon wieder
naten verschlimmerte sich mein       immer schlimmer. Ich fühle mich     lauter Panik gestorben wäre. Und      vergessen. Aber ich sitze jeden
Zustand zunehmend, was man           so machtlos, dass ich wirklich      jeder, der so etwas schon erlebt      Tag Zuhause. Alleine. Und ob-
mir auch deswegen ansieht, da        wünschte, ich wäre nie geboren      hat, betet, dass es schnell wieder    wohl ich nicht an Gott glaube,
ich 40 Kilogramm an Körper-          worden. Jeden Tag stehe ich um      vorbei sein möge. Naja, wenn          bete ich doch jede Nacht, dass ich
fett zugelegt habe. Das ist wahr-    8:00 Uhr auf, mache Katzenwä-       dies dann endlich erledigt, ist ma-   nicht mehr aufwachen muss. Die-
scheinlich auch kein Zufall, da      sche, danach ziehe ich mich an      che ich mich schnurstracks zu         sen Monat habe ich außerdem
ich mich den gesamten Tag            und gehe noch im Schutz der         Fuß auf den Nachhauseweg,             noch einen Termin bei der PVA,
über in meiner Wohnung ver-          Dämmerung zu meiner Apotheke,       manchmal allerdings mit einem         bei dem ein Psychiater über den
krieche und meine Lebenszeit         mein persönliches »Gomorrha«.       kleinen Umweg zum Lebensmit-          Rest meines Lebens entscheidet.
nur auf der Couch absitze.                                                                                     Und das in nicht einmal einer
                                                                                                               Stunde. Seit einiger Zeit überlege
Oft denke ich: Warum soll ich mir
                                     »Obwohl ich nicht gläubig bin, bete ich jede                              ich, mir einen Hund zuzulegen,
diese Qualen noch einen Tag län-     Nacht, dass ich nicht mehr aufwachen muss «                               damit ich wenigstens einen
ger antun? Ich habe keinen                                                                                     Freund habe, der mich nicht ent-
Freund, kein Auto, weder Haus                                                                                  täuscht oder verlässt. Nur bei der
noch eine Beziehung. Was heißt:      Denn kaum betrete ich den Bahn-     telmarkt, um mich für die nächs-      Rasse bin ich mir noch nicht si-
Ich bin nur noch am Leben, weil      hof, fühle ich, wie mir innerlich   ten Tage einzudecken. Und nun         cher. Vielleicht könnt Ihr mir bei
mein Vater da ist. Würde er von      so heiß wird, sodass ich komplett   raten Sie mal: Menschenmassen,        der Suche helfen. Es tut mir leid,
uns gehen, bliebe mir nichts mehr.   durchgeschwitzt in der Apotheke     zusammengepfercht an einer            das sagen zu müssen, aber noch
                                     ankomme.                            Kassa Schlange stehend. Da            weitere ein bis zwei Jahre halte
Gefühl der Machtlosigkeit                                                brenne ich innerlich fast lichter-    ich dieses Leben nicht mehr aus.
                                     Mein persönliches Gomorrha          loh. So geht es mir immer, wenn       Und mal ganz ehrlich, wenn ir-
Und, nein, da würden auch keine                                          ich auf eine größere Anzahl von       gendjemand an meiner Stelle
Gruppengespräche oder Thera-         Wenn ich Glück habe, sind keine     Menschen treffe. Je mehr Leute,       wäre, würdet ihr euch wahr-
pien helfen, denn ich fühle mich     anderen Kunden da und ich           desto katastrophaler wird das         scheinlich genauso verhalten, wie
jetzt schon so allein und das wird   komme sofort dran. Das Ganze        Ganze für mich. Meiner Psychia-       ich mich jetzt. Foto: dw, Text:
durch die Panikattacken, die mich    hat aber auch schon 15 Minuten      terin fällt auch nichts mehr ein      J. J. (Steyr)
12                 06/2022
Zeigt her eure Füße
Gratis-Behandlung im Massage-Institut Linsbod für Menschen, die sich keine Pediküre leisten können

                                                                                                   Bild links: Sonja (Kupfermuckn), Geschäftsführer Christian
                                                                                                   Linsbod, Claudia (Kupfermuckn). Bilder unten: Cornelia
                                                                                                   Schmuck (Praktikantin, angehende Fußpflegerin)

                                                                                                   46-Jährige hat bereits mit einem eigenen Na-
                                                                                                   gelstudio den Sprung in die Selbstständigkeit
                                                                                                   geschafft. Nach dem Praktikum darf sie sich
                                                                                                   »professionelle Fußpflegerin« nennen.

                                                                                                   Tipps für zu Hause
                                                                                                   Während Sonjas Hornhaut weniger wird, er-
                                                                                                   zählt Conny, was man zu Hause selbst ma-
                                                                                                   chen kann, sofern man noch bis zu den Füßen
Eingewachsene Nägel, Hornhaut, Nagel-           Zange, Schaber, Skalpell                           kommt: Einmal im Monat sollte man die Nä-
pilze oder Hühneraugen – viele Füße brau-                                                          gel kürzen und die Hornhaut nach dem Ba-
chen eine professionelle Behandlung. Der        Während Sonja das Fußbad genießt, schreitet        den oder Duschen mit einer Feile oder einem
Geschäftsführer des Massageinstituts            Conny zur Tat: Sie begutachtet die Instru-         Bimsstein entfernen. Auch regelmäßiges
Christian Linsbod am Hauptplatz in Haid         mente, die zuvor gründlich sterilisiert und        Fußpeeling mildere die Bildung von Horn-
lud schon öfters Kupfermuckn-Redakteure         desinfiziert wurden, und legt diese der Reihe      haut ab. Um die Füße dann noch so richtig zu
zu einer Gratis-Behandlung ein. Dieses Mal      nach auf: Zange, Schaber, Fräse und Skalpell.      verwöhnen und diese nachhaltig zu pflegen,
werden sie von seiner derzeitigen Prakti-       »Das ist ja wie in einem OP-Saal«, zeigt sich      könne man diese mit einem Nagelöl oder ei-
kantin Cornelia Schmuck, die Conny ge-          Sonja etwas verstört. »Ja, dort sieht es ähnlich   ner Creme einmassieren. Wichtig sei auch
nannt werden möchte, behandelt.                 aus«, meint Conny augenzwinkernd und be-           das Schuhwerk. Vom Tragen von High-Heels
                                                ginnt mit der Arbeit. Sie schmirgelt, feilt und    rät die Expertin ab, aber auch zu flache
Mit einem fröhlichen »Hallo und hereinspa-      poliert hingebungsvoll und wechselt dann zu        Schuhe seien nicht empfehlenswert. »Meine
ziert«, wird Sonja von der Praktikantin Conny   größeren Skalpellen, um die Schichten auf          Güte, ist das fein«, äußert sich Sonja sicht-
zu einem bequemen Behandlungsstuhl ge-          Sonjas Fersen und Ballen freizulegen. Wäh-         lich zufrieden. Den Abschluss der Behand-
führt. Das warme Fußbad ist bereits angerich-   renddessen erzählt sie von ihrem beruflichen       lung bildet eine entspannende Fußmassage
tet. Mit einer gewissen Neugier und Vorfreude   Werdegang. »Eigentlich bin ich gelernte Me-        mit einer hochwertigen Pflege-Creme. Clau-
lässt sich Sonja auf die bevorstehende Be-      tallerin«, sagt sie. »Nach drei Bandscheiben-      dia ist die Nächste. Sie freut sich schon auf
handlung ein. »Ich habe so etwas noch nie       vorfällen ging dann nichts mehr.« Im neuen         die Behandlung. Sonja wird danach von Anja
gemacht«, sagt sie. »Wie denn auch? Mit mei-    Job habe sie zum Glück auch wieder mit ähn-        mit einer Rückenmassage verwöhnt. Chris-
nem mickrigen Einkommen könnte ich mir so       lichem Werkzeug zu tun. »Es ist nur etwas          tian Linsbod und seinem Team ein herzliches
etwas ja gar nicht leisten.«                    kleiner und feiner«, schmunzelt sie. Die           Danke! Fotos und Text: dw

                                                                                                                             06/2022                            13
MOSAIK als regionaler Tausendsassa
Neueröffnung der Notschlafstelle in Vöcklabruck in der Gmundner Straße 69

Mit der Eröffnung der neuen Vöcklabru-                                                        Dies ist aber nicht der einzige Unterschied, den
cker Notschlafstelle in der Gmundner Straße                                                   man bei Mosaik im Vergleich zu anderen Woh-
69 haben von Wohnungslosigkeit betroffene                                                     nungslosenhilfeeinrichtungen des Landes her-
Menschen aus der Region nicht nur einen                                                       ausstreichen kann. Auch die vielen Kooperatio-
neuen Zufluchtsort gefunden, sondern fin-                                                     nen mit regionalen Firmen wie etwa Banken,
den dort auch die vielschichtigen Beratungs-                                                  mit deren Unterstützung Mosaik Mikrokredite
und Betreuungsangebote in der nun in »Mo-                                                     zum Wohnungseinstieg vergeben kann. »Das
saik – Wohnungssicherung / Notschlafstelle /                                                  ist das Ergebnis jahrzehntelanger Zusammen-
Integration« umbenannten Einrichtung vor.                                                     arbeit, wo wir und unsere Partner gemeinsam
                                                                                              etwas aufgebaut haben«, erklärt Stefan Hindin-
Dabei wurde das Bestandgebäude, das früher                                                    ger, der jedoch den größten Unterschied bei
Übergangswohnungen der Sozialeinrichtung                                                      den Betroffenen selbst sieht: »Die Leute kom-
beherbergte, von Grund auf saniert und um ei-                                                 men weit früher zu uns als ewta zum Vergleich
nen Zubau erweitert. Während im »Altbau«                                                      in Linz. Somit ist die Phase der Wohnungslo-
                                                        Mosaik-Leiter Stefan Hindinger und
nun hauptsächlich die Büros und die Verwal-                                                   sigkeit kürzer.«
                                                           Sozialarbeiter Rene Wieland
tungsräume untergebracht sind, finden sich im                                                 Eine Erfahrung, die auch die vereinsinterne
Neubau die neuen Räumlichkeiten der Not-                                                      Wohnsicherung macht. Die Delogierungsprä-
schlafstelle. Durch das räumliche Zusammen-       Angebote von MOSAIK                         ventionsstelle greift bei Weitem nicht nur erst
fassen der unterschiedlichen Mosaik-Angebote                                                  dann, wenn schon eine Räumungsklage im
ergeben sich Synergieeffekte, die wohlwollend       ohnsicherung: Beratung bei
                                                   W                                          Raum steht, sondern die Betroffenen wenden
aufgenommen werden.                                Miet-, Betriebs- oder Energie-             sich schon weit früher an die Mitarbeiter, die –
Aber nicht alle Leistungsangebote wurden un-       kostenrückständen                          in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Ju-
ter (ein) Dach und Fach gebracht. »Anfangs         Notschlafstelle: Schlafplätze für         gendhilfe – auch eine Finanzcoaching-Betreu-
haben wir uns überlegt, auch den Mittagstisch       akut wohnungslose Menschen                ung anbietet.
in die Planung miteinzubinden, aber wir haben       Wohnen: Auf ein Jahr befristete          Dies ist nicht die einzige Schnittstelle zwischen
uns dagegen entschieden. Schließlich ist es für      Wohnplätze in Übergangs-                 Mosaik und der Kinder- und Jugendhilfe. Denn
die Tagesstruktur der Betroffenen wichtig, dass      wohnungen                                mit dem Neubau der Notschlafstelle wurden
nicht alles im gleichen Haus ist. Auch haben         Mittagstisch: Warmes Mittagessen        auch zwei Zimmer für Jugendliche ab 14 Jah-
wir dadurch den Hotelcharakter vermieden«,            für von Armut betroffene Menschen       ren realisiert: entweder als eine Art von Ju-
sagt Mosaik-Leiter Stefan Hindinger.                  Integration: Wohnungsagentur/          gendnotschlafstelle oder als Krisenunterbrin-
Somit wird der Mittagstisch nach wie vor im            Einzugsbegleitung +                    gung für Jugendliche. In beiden Fällen jedoch
»Elisabethstüberl« in der Stelzhamer Straße 17         Intergrationshelfer:innen für Kinder   in Absprache mit der Kinder- und Jugendhilfe.
angeboten, wo von Armut betroffene Men-                mit nicht-deutscher Muttersprache      Diese Einzigartigkeit der Krisenunterbringung
schen für 50 Cent ein warmes Mittagessen er-                                                  für Jugendliche im Haus einer Notschlafstelle
halten. Dort wird im Übrigen auch der Verkauf                                                 war dabei ebenso ein Auftrag vom Land Ober-
der Kupfermuckn organisiert.                                                                  österreich, wie die Errichtung zweier Non-
Die »ausgesiedelten« Übergangswohnungen                                                       Compliance-Zimmer, die über einen gesonder-
finden sich an unterschiedlichen Standorten                                                   ten Eingang zu erreichen sind. Diese sind für
wieder, wobei am Standort der alten Notschlaf-                                                Personen, die aufgrund von psychischen Prob-
stelle weitere Übergangswohnungen entstehen                                                   lemen und sozialen Ängsten sonst nirgendwo
werden. Durch über Jahrzehnte gewachsene                                                      hingehen würden, weil das bestehende und
Kooperationen und Vertrauensverhältnisse zu                                                   »klassische« Angebot für sie (vorerst) nicht in
(regionalen) Wohnbauträgern können etwaige        Notschlafstelle des »Mosaik«                Frage kommt. Damit ist im Übrigen die Lan-
Engpässe besser als andernorts vermieden wer-     15 Plätze (8 Männer, 3 Frauen,              deshauptstadt Linz die einzig verbliebene
den. Auch für das Auffinden von Finalwohnun-      2 Jugendliche, 2 Non-Compliance)            Stadt, deren Notschlafstelle über kein Non-
gen sind diese Kooperationen Goldes wert, als     Preis 125,20 Euro/Monat                     Compliance-Zimmer verfügt.
dass Mosaik als eine der wenigen oberösterrei-    Aufnahmezeiten täglich 19–22 Uhr &          Das nunmehrige Vorhandensein von Non-
chischen Sozialeinrichtungen etwa auch Dritt-     Montag bis Freitag 8–13 Uhr                 Compliance-Zimmern sei sowohl für die Be-
staatsangehörige, ohne entsprechend beschei-      Gmundner Straße 69                          troffenen als auch für die Mitarbeiter ein (not-
nigten Deutsch-Kenntnissen oder Versiche-         4840 Vöcklabruck                            wendiger) Segen. Auch die Neugestaltung der
rungsmonaten den Zugang zu leistbarem             www.sozialzentrum.org/mosaik                Notschlafstelle mit ihrer vorbildlichen Raum-
Wohnraum ermöglichen kann.                                                                    gestaltung an sich. »Früher hatten wir in der
14                 06/2022
Die neue Vöcklabrucker Notschlafstelle in der
                                                                                                                   Gmundner Straße 69 kommt sowohl bei den
                                                                                                                   Mosaik-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als
                                                                                                                       auch bei den Betroffenen sehr gut an.

alten Notschlafstelle 5-Bett-Zimmer – da wa-
ren Konflikte an der Tagesordnung, weil jeder      Das sagen Betroffene zur neuen Notschlafstelle
schon gestresst war«, erinnert sich Sozialarbei-
ter Rene Wieland. »Jetzt hat jeder Bewohner        Volkan, der auch die alte Notschlafstelle kannte, ist von
ein Einzelzimmer – was für eine Notschlaf-         der neuen Notschlafstelle begeistert. »Alles hier ist schön
stelle in Oberösterreich auch einzigartig sein     und neu und immer sauber. Der größte Unterschied ist
dürfte – und wir können viel besser mit den        aber, dass jeder ein eigenes Zimmer hat.« Doch nicht nur
Betroffenen arbeiten.«                             die Räumlichkeiten haben es Volkan angetan, auch die
Und das ist auch gut so, als dass die Arbeit in    Zusammenarbeit mit der Betreuung. »Das fängt dabei an,
den vergangenen Jahren herausfordernder ge-        dass man Shampoo und Handtücher bekommt, wenn man
worden sei. »Wir stellen fest, dass die psychi-    das nicht hat, und hört bei der großen Unterstützung bei
schen Erkrankungen in der Wohnungslosen-           der Arbeits- und Wohnungssuche auf. Alle sind so hilfsbe-
hilfe stark zunehmen«, meinen Hindinger und        reit und schauen, dass man wieder auf den eigenen Füßen
Wieland unisono. Erschwerend hinzu kommt           zu stehen kommt.« Als besonders hilfreich empfindet es
die fehlende Krankheitseinsicht. Über die Jahr-    Volkan, dass er, nachdem er um 8:30 Uhr die Notschlaf-                   Volkan begrüßt es sehr, dass er auch
                                                                                                                              den Nachmittag in der Notschlaf-
zehnte sei zudem die Anzahl der gefährdeten        stelle verlassen muss, bereits um 13:00 Uhr wieder Eintritt
                                                                                                                              stelle für Beratung nutzen kann.
Personen stark gestiegen, weshalb man sich bei     findet. »Da habe ich dann oft einen Termin mit den Betreu-
Mosaik in Sachen Angebotsvielfalt über die         ern, um auch normal über meine Sorgen sprechen zu kön-
Jahre hinweg breiter aufgestellt hat.              nen.« Dazwischen besucht Volkan gerne das Elisabeth–
Für die Realisierung des Neubaus der Not-          stüberl, wo er günstig essen und einen Kaffee für zehn
schlafstelle gab es vom Land OÖ 1,2 Millionen      Cent trinken kann, oder geht in den »Korb«, eine weitere
Euro. Um keine baulichen Abstriche in Sachen       Einrichtung des Sozialzentrums Vöcklabruck, einkaufen.
Nachhaltigkeit betreiben zu müssen, sah man
sich nach weiteren Finanzierungsmöglichkei-
ten um, wodurch die Bausteinaktion ins Leben                                               Ivan, der nach Arbeitsverlust in Geldnöten geriet und
gerufen wurde. Dadurch konnten weitere                                                     dadurch die Wohnung verloren hatte, verbringt seine Zeit
115.000 Euro investiert werden – unter ande-                                               außerhalb der Öffnungszeiten der Notschlafstelle vorran-
rem eben auch in die angesprochene nachhal-                                                gig mit der Suche nach neuen Arbeitsstellen. Aber auch
tige Bauweise. »Nur weil wir ein Sozialverein                                              dem Stadtpark stattet er für Spaziergänge einen Besuch
sind, heißt es noch lange nicht, dass wir das                                              ab. Die neue Notschlafstelle empfindet er ebenso viel
Billigste verwenden müssen. Sozialpolitik ist                                              besser als die alte. »Hier kann man es aushalten – auch
auch Umweltpolitik und umgekehrt«, ortet Ste-                                              länger«, meint er. Doch ein Dauerwohnplatz ist es nicht
fan Hindinger universellen Handlungsbedarf,                                                und das will Ivan auch nicht, der bereit ist für einen Neu-
wodurch sich der Kreis schließt: Schließlich ist                                           start mit Arbeit, Wohnung, Frau, um dann »wieder ein
das Mosaik, als Teil des Sozialzentrums Vöck-                                              gutes Leben zu haben.«
                                                     »Hier kann man es aushalten«,
labruck, ebenso eine Einrichtung, die ihren Fo-
                                                   meint Ivan zur neuen Notschlafstelle.
kus weit über den Notschlafstellen-Bettenrand
hinaus ausrichtet. (Fotos und Text: cw)
                                                                                                                            06/2022                          15
Sie können auch lesen