Kopfschmerzen - Update 2018 - Thieme Connect
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Neurologie up2date 1 · 2018 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Kopfschmerz und andere Schmerzsyndrome 9 Kopfschmerzen – Update 2018 Hans-Christoph Diener Charly Gaul Dagny Holle-Lee Tim P. Jürgens Torsten Kraya Tobias Kurth Steffen Nägel Lars Neeb Andreas Straube VNR: 2760512018154650956 DOI: 10.1055/a-0654-1324 Neurologie up2date 2018; 1 (1): 107–132 ISSN 2511-3453 © 2018 Georg Thieme Verlag KG
CME-Fortbildung Unter dieser Rubrik sind bereits erschienen: Kopfschmerzen – Update 2018 H.-C. Diener, C. Gaul, D. Holle-Lee, T. P. Jürgens, T. Kraya, T. Kurth, S. Nägel, L. Neeb, A. Straube Heft 1/2018 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. A L L ES O NL INE L E SEN J E T ZT F RE I S C HA LT E N Mit der eRef lesen Sie Ihre Zeitschrift: Sie haben Ihre Zeitschrift noch nicht online wie offline, am PC und mobil, alle bereits freigeschaltet? Ein Klick genügt: erschienenen Artikel. Für Abonnenten kostenlos! www.thieme.de/eref-registrierung https://eref.thieme.de/neurologie-u2d
CME-Fortbildung Kopfschmerzen – Update 2018 Hans-Christoph Diener, Charly Gaul, Dagny Holle-Lee, Tim P. Jürgens, Torsten Kraya, Tobias Kurth, Steffen Nägel, Lars Neeb, Andreas Straube Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Die Kopfschmerzforschung macht Fortschritte. Dies zeigt sich an der großen Zahl von Publikationen zur Epidemiologie, Pathophysiologie, Akuttherapie und Prophy- laxe von Kopfschmerzen. Die vorliegende Übersicht referiert die wichtigsten Studien zu Kopfschmerzen aus dem Zeitraum 2017 bis Juni 2018. Die Auswahl der referierten Studien ist subjektiv und erfolgte nach der Einschätzung der Autoren. ONS okzipitale Nervenstimulation A B K Ü R ZU N G E N OTC Over the Counter (rezeptfrei 1 H‑MRS Protonen-Magnetresonanzspektro- verkäuflich) skopie (1H‑MRS) PET Positronenemissionstomografie 95 %-KI 95 %-Konfidenzintervall RLS Restless-Legs-Syndrom ADAM Adhesive dermally-applied Microarray SAE Serious adverse Event CGRP Calcitonin Gene-related Peptide SNSO Stimulation des N. supraorbitalis CM chronische Migräne SPID-30 Schmerzintensitätsdifferenzen CTTH Chronic Tension Type Headache innerhalb der ersten 30 Minuten (chronischer Kopfschmerz vom SSRI selektiver Serotonin-Reuptake- Spannungstyp) Inhibitor DDM 4,4'-Diaminodiphenylmethan SUE schwerwiegendes unerwünschtes DGN Deutsche Gesellschaft für Neurologie Ereignis DMKG Deutsche Migräne- und Kopfschmerz- TN Trigeminusneuralgie gesellschaft TTH Tension Type Headache EM episodische Migräne (Kopfschmerz vom Spannungstyp) ETTH Episodic Tension Type Headache UE unerwünschtes Ereignis (episodischer Kopfschmerz vom WDR Wide dynamic Range Spannungstyp) fMRT funktionelle Magnetresonanz- tomografie GKS Gamma Knife Surgery Migräne HADS Hospital Anxiety and Depression Scale HR Hazard Ratio Epidemiologie ICHD International Classification Zur Rolle von Migränetriggern gibt es Analysen an größe- of Headache Disorders ren Patientenkollektiven. Einen innovativen Ansatz im IHS International Headaches Society Sinne einer sogenannten n = 1-Analyse präsentieren We- IIH idiopathische intrakranielle ber et al. [1]. Methodisch wurde auf papiergebundene Hypertension Fragebögen aus der PAMINA-Studie von 326 Patienten MIDAS-Score Migraine Disability Assessment Score mit Migräne zurückgegriffen, die zu 87 % von Frauen MOH Kopfschmerz bei Medikamenten- stammten, bei durchschnittlich 2,9 Migräneattacken pro übergebrauch Monat. Für jeden Patienten wurden univariate Assoziatio- MVD mikrovaskuläre Dekompression nen dieser Faktoren untereinander individuell mittels NDPH New daily persistent Headache (neu eines Proportional Hazards Model ausgewertet und se- aufgetretener täglicher Kopfschmerz) kundär nach Überlappungen zwischen den einzelnen in- NNT Number needed to treat dividuellen Triggerprofilen gesucht. Bei 285 Patienten NSAID Nonsteroidal anti-inflammatory Drug konnte mindestens ein signifikanter Triggerfaktor nach- (nichtsteroidales Antiphlogistikum) gewiesen werden. Es zeigte sich zudem bei der Auswer- nVNS nichtinvasive N.-vagus-Stimulation tung von insgesamt 28 311 Patiententagen, dass diese Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132 107
CME-Fortbildung Profile hochgradig individualisiert sind und somit eine re- von Ärzten, die in der Praxis tätig sind, und verschriebene levante Heterogenität zwischen den einzelnen Patienten Medikamente erfasst. Für die hier vorliegende Analyse aufweisen. wurden 151 032 Patienten mit Migräne verglichen mit 510 320 Menschen ohne Migräne, die bezüglich Alter, Pro Patient fanden sich durchschnittlich 4 Triggerfakto- Geschlecht und Kalenderjahr vergleichbar waren. Für die ren. Während 73,9 % der Patienten ein individuelles Profil einzelnen vaskulären Erkrankungen wurden adjustierte aufwiesen, hatten nur 13,5 % deckungsgleiche Trigger- Hazard Ratios basierend auf einer Cox-Regressionsana- profile. Eine Auswertung über alle Patienten ergab, dass lyse berechnet. Von den Patienten mit Migräne hatten folgende potenzielle Triggerfaktoren auf der Populations- 16 993 eine Migräne ohne Aura und 13 076 eine Migräne ebene gefunden wurden: mit Aura. Bei den übrigen Patienten war der Migränesta- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ▪ Menstruation, tus nicht bekannt. Insgesamt 70 % der erfassten Patienten ▪ Nackenschmerz, waren Frauen. ▪ Müdigkeit, ▪ helles Licht, Für die folgenden Erkrankungen ergab sich ein signifikant ▪ Lärm, erhöhtes Risiko für Menschen, die eine Migräne hatten: ▪ exzessiver und ruheloser Schlaf, ▪ Myokardinfarkt Hazard Ratio ▪ Gerüche. (HR 1,5, 95 %-Konfidenzintervall [KI] 1,4–1,6) ▪ ischämischer Schlaganfall (HR 2,3, 95 %-KI 2,1–2,4) Dies zeigt, wie wertvoll alternative statistische Ansätze in ▪ zerebrale Blutung (HR 1,9, 95 %-KI 1,7–2,2) der Kopfschmerzforschung sein können, und unter- ▪ venöse Thromboembolien streicht die Bedeutung von individuellen Faktoren in der (HR 1,6, 95 %-KI 1,5–1,7) Migränepathophysiologie, ohne dass der „Rückfall“ in ka- ▪ Vorhofflimmern oder Vorhofflattern suistisches Denken droht. Wie die Autoren kritisch an- (HR 1,3, 95 %-KI 1,2–1,4) merken, erlaubt die Analyse das Identifizieren von Asso- ziationen, nicht jedoch von unbedingt kausalen Zusam- Kein Zusammenhang bestand mit einer peripheren arte- menhängen. riellen Verschlusskrankheit oder einer Herzinsuffizienz. Um eine Abgrenzung von Prodromalsymptomen bzw. ini- Für die Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang zwi- tialen Symptomen der Attacke zu erlauben, wurde eine schen Migräne und der vaskulären Erkrankung bestand, zusätzliche Auswertung mit Ausschluss von Faktoren, die waren die adjustierten Hazard Ratios für eine Migräne am Tag der Attacke auftraten, eingefügt. Grundsätzlich mit Aura höher als für eine Migräne ohne Aura. Der Zu- bleibt dies aber schwierig. Hier sei auch auf eine retro- sammenhang war auch statistisch gesehen ausgeprägter spektive Studie der Arbeitsgruppe um Arne May aus für Frauen als für Männer. Auch wenn für andere Risiko- Hamburg verwiesen, die eine hohe Überlappung von faktoren wie Rauchen oder Übergewicht korrigiert wur- Photo-, Phono- und Osmophobie als Triggerfaktoren de, blieb der Zusammenhang zwischen Migräne und vas- und Prodromalsymptome zeigen konnte [2]. kulären Erkrankungen bestehen. Die Arbeitsgruppe von Tobias Kurth aus Berlin hat darü- Eine Autorengruppe aus den USA führte eine Metaana- ber hinaus gezeigt, dass Frauen, die eine Migräne mit lyse von 16 Kohortenstudien durch, welche kardiovasku- Aura haben, auch ein etwas erhöhtes Risiko für andere läre und zerebrovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit vaskuläre Erkrankungen haben [3]. Eine nationale popula- Migräne und gesunde Kontrollen verglichen [5]. Auf diese tionsbezogene Kohortenstudie aus Dänemark hat den Weise wurden die Daten von 349 942 Patienten mit Mi- möglichen Zusammenhang zwischen Migräne und vasku- gräne und 757 465 Kontrollen erhoben. lären Krankheiten nochmals analysiert [4]. Zeitgleich wurde in BMJ Open eine Metaanalyse aus 16 Kohorten Migräne war mit einem erhöhten Risiko für den kom- mit 1 152 407 Personen zu dieser Thematik publiziert [5]. binierten Endpunkt kardio- und zerebrovaskulärer End- punkte assoziiert (HR 1,42, 95 %-KI 1,26–1,60). Für die Merke einzelnen Endpunkte betrugen die Hazard Ratios (HR) Es gibt in der Zwischenzeit eine Vielzahl von Studien, für Schlaganfall 1,41 (95 %-KI 1,25–1,61) und Myokard- die nahelegen, dass Patienten/innen mit Migräne infarkt 1,23 (95 %-KI 1,03–1,43). Die Gesamtsterblichkeit und insbesondere mit einer Migräne mit Aura ein unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen (HR erhöhtes Risiko für Schlaganfälle haben. 0,93, 95 %-KI 0,78–1,10). Patienten, die unter einer Mi- gräne mit Aura litten, hatten ein höheres Schlaganfall- In Dänemark besteht ein nationales Gesundheitsregister, risiko als Personen, die eine Migräne ohne Aura hatten. in dem alle Menschen, die in Dänemark geboren sind, er- fasst werden. In diesem Register werden Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte, Entlassdiagnosen, Diagnosen 108 Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132
ziiert zu sein. Unklar bleibt, ob diese Befunde nur die ZU SA MMENFAS SUNG „Spitze des Eisbergs“ darstellen und die hypothala- Das Risiko für vaskuläre Erkrankungen ist besonders mischen Vorgänge durch übergeordnete Phänomene ausgeprägt für Frauen, die an einer Migräne mit Aura wie Aktivitätsänderungen in neuronalen Netzen modu- leiden. Neu ist die Beobachtung, dass auch das Risiko liert werden. venöser Thromboembolien und von Vorhofflimmern oder Vorhofflattern bei Migräne erhöht ist. Das vas- Die Ergebnisse haben Konsequenzen für die zukünftige kuläre Risiko ist bei Frauen, die eine Migräne mit Aura Entwicklung von Ansätzen zur Migräneprophylaxe. Es haben und zudem rauchen oder übergewichtig sind, gibt eine Vielzahl von Neurotransmittern und Neuropep- noch weiter erhöht. tiden im Hypothalamus, die potenziell modifiziert wer- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Die Tatsache, dass das erhöhte vaskuläre Risiko auch den könnten. weiterhin besteht, wenn bestimmte Risikofaktoren korrigiert werden, würde sehr dafür sprechen, dass Es wird seit Langem darüber spekuliert, dass vaskuläre es sich bei Patienten mit Migräne um eine generelle Veränderungen im Rahmen der Aura zu einer vermehrten Störung der Endothelfunktion handeln könnte. Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke führen und sekun- Für den klinischen Alltag ist relevant, dass die abso- där durch Übertritt von Entzündungsmediatoren und Rei- lute Risikoerhöhung für vaskuläre Krankheiten bei zung zentraler Nozizeptoren auf den Gefäßwänden der Menschen mit Migräne sehr gering ist. Im Rahmen eigentliche Schmerz ausgelöst wird. Die dänische Ar- der Vorsorgeuntersuchungen sollte allerdings nach beitsgruppe um Messoud Ashina in Kopenhagen unter- einer Migräne gefragt werden, und bestehende suchte deshalb 19 Migränepatienten, die sich durch- vaskuläre Risikofaktoren sollten identifiziert und schnittlich innerhalb von 7,6 Stunden nach Attacken- behandelt werden. beginn mit Auftreten einer visuellen Aura für eine dyna- mische kontrastmittelverstärkte MRT-Untersuchung vor- stellten – ergänzt durch eine Kontrolluntersuchung an einem schmerzfreien Tag [8]. Pathophysiologie Seit vielen Jahren wird basierend auf dem Auftreten von Es konnte eine Zunahme der Perfusion im Hirnstamm typischerweise hypothalamisch vermittelten prodroma- beidseits sowie im kontralateral zu den Aurasymptomen len Symptomen wie Heißhunger eine Rolle des Hypotha- gelegenen visuellen Kortex und dem posterioren Mark- lamus in der Entstehung einer Migräneattacke diskutiert. lager gezeigt werden, während keine Störung der Blut- Bereits 2016 konnte in einer longitudinalen fMRT-Studie Hirn-Schranke zu beobachten war. Damit stützen diese an einer Migränepatientin durch die Arbeitsgruppe um Daten eine PET-Studie aus der Arbeitsgruppe von Peter Arne May in Hamburg gezeigt werden, dass der Hypotha- Goadsby. Diese ergab, dass sich ein Ergotamin-basierter lamus bei der Migräne bereits vor Beginn der Schmerzen Tracer nicht ans Hirnparenchym als Ausdruck einer ge- eine enge Kopplung mit der dorsalen Pons sowie dem spi- störten Blut-Hirn-Schranke bei einer durch Nitroglyzerin nalen Trigeminuskern eingeht und somit eine wichtige ausgelösten Migräneattacke anlagerte [9]. Die Tatsache, Rolle in der Attackengenerierung zu spielen scheint [6] dass die Blut-Hirn-Schranke während einer Migräneatta- (▶ Abb. 1). cke nicht durchlässig wird, ist von Bedeutung für Patien- ten, die zur Migräneprophylaxe Antikörper gegen CGRP In einer weiteren Studie aus derselben Arbeitsgruppe oder den CGRP-Rezeptor erhalten. Diese Antikörper kön- wurde nun mittels derselben Technik die Rolle des Hypo- nen die Blut-Hirn-Schranke nicht oder nur in minimalem thalamus an Patienten mit episodischer Migräne (EM, Umfang überwinden. n = 18), chronischer Migräne (CM, n = 17) sowie gesun- den Kontrollen (n = 19) untersucht [7]. Es konnte gezeigt Die Kollegen aus Leiden um Mark Kruit und Gisela Ter- werden, dass die Patienten mit CM eine deutlich stärkere windt untersuchten interiktale Migränepatienten (n = 23 Aktivierung im anterioren Hypothalamus als Patienten mit visueller Aura und n = 27 ohne Aura) verglichen mit mit EM und Kontrollen aufwiesen. 24 gesunden Kontrollen mittels einer Protonen-MR-Spek- troskopie (1H‑MRS) sowie diffusionsgewichteten Sequen- Im Vergleich von allen Patienten mit akuten Kopfschmer- zen bei einer Feldstärke von 7 Tesla mit einer „Region of zen gegen solche ohne akute Kopfschmerzen fiel zudem Interest“ im primären und sekundären visuellen Kortex eine vermehrte Aktivierung des posterioren Hypothala- [10]. Möglicherweise der geringen Fallzahl geschuldet, mus beidseits auf. Dies deutet auf eine differenzierte Rol- sind die Ergebnisse schwer zu interpretieren. Während in le des Hypothalamus in der Migränepathophysiologie hin: zahlreichen Studien gerade für Migränepatienten mit Während der anteriore Hypothalamus sowohl in der Atta- Aura eine erhöhte Exzitabilität des visuellen Kortex ge- ckengenerierung als auch in der Chronifizierung relevant zeigt wurde, liegt der Glutamatspiegel bei Migränepa- ist, scheinen die posterioren Anteile des Hypothalamus tienten in dieser Region ohne Aura numerisch höher als vor allem mit den Vorgängen in der akuten Attacke asso- bei denjenigen mit Aura, die wiederum numerisch leicht Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132 109
CME-Fortbildung S1/S2/Insel Thalamus Hypothalamus Gyrus cinguli (ACC) Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. PAG LC Trigeminushauptkern RVM Aδ/C Ganglion Dura mater trigeminale C1 – 3 Plasmaextra- vasation spinaler absteigende Trigeminuskern Fasern (RVM) MC- CGRP Degranulation inhibitorisches Vasodilatation Interneuron nozizeptive neurogene Entzündung Transduktion spinothalamisches Glu Neuron Aδ/C CGRP Glu nozizeptive Transmission ▶ Abb. 1 Trigeminale Ganglien und Nervenbahnen. Halbschematische Darstellung des trigeminovaskulären Systems als morphologische Basis der Kopfschmerzentstehung mit den wichtigsten subkortikalen und kortikalen Projektionen. Links sind vergrößert die peripheren Vorgänge in der Dura mater (nozizeptive Transduktion) und neurogene Entzündung mit arterieller Vasodilatation, venöser Plasmaextravasation und Degranulation von Mastzellen (MC) dargestellt. Die Erregung meningealer Aδ- und C-Fasern führt zur Freisetzung von Neuropeptiden wie dem CGRP, das die neurogene Vasodilatation verursacht. Die Erregung wird über das Ganglion trigeminale in den spinalen Trigeminuskern und die zervikalen Seg- mente C1–3 geleitet, wo die synaptische Übertragung auf sekundäre spinothalamische und andere Neurone stattfindet (nozizeptive Transmission); diese ist rechts vergrößert dargestellt. Der erregende Neurotransmitter ist dort Glutamat (Glu), CGRP fördert dabei wahrscheinlich die Neuro- transmitterfreisetzung aus den präsynaptischen Endigungen der nozizeptiven Fasern (Aδ/C). Inhibitorische Interneurone, die von absteigenden Bahnen z. B. aus dem lateralen antinozizeptiven System des periaquäduktalen Grau (PAG) des Mittelhirns über die ventrale rostromediale Medulla (RVM) aktiviert werden, hemmen die nozizeptive Transmission wahrscheinlich prä- und postsynaptisch. Daneben tragen das mediale deszendie- rende System des Locus coeruleus (LC) und weitere antinozizeptive Bahnsysteme in ähnlicher Weise zur Hemmung bei. Die aufsteigende nozizep- tive Information wird über laterale, posteriore and mediale Thalamuskerne an neokortikale Areale (somatosensorischer Kortex S1 und S2, insulärer Kortex) sowie an den anterioren zingulären Kortex (ACC) und an subkortikale Areale wie den Hypothalamus weitergegeben. Alle aktivierten korti- kalen und subkortikalen Areale stehen in Verbindung zu den absteigenden antinozizeptiven Systemen (gepunktete Linien). Quelle: Messlinger K, Neeb L. Neuroanatomie der Migräne, meningeale Nozizeption und Kopfschmerzentstehung. In: Gaul C, Diener H, Hrsg. Kopfschmerzen. 1. Auflage. Thieme; 2016. doi:10.1055/b-004-129985 110 Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132
erhöhte Werte im Vergleich zu den Kontrollen aufweisen, wobei diese beiden Vergleiche statistisch nicht signifikant ZU SA MMENFAS SUNG sind. Lediglich gepoolt weisen die Migränepatienten als Der Hypothalamus spielt eine wichtige Rolle in der Gesamtgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Pathophysiologie der Migräne. grenzwertige Signifikanz auf. Zudem wurde kein Marker Die Blut-Hirn-Schranke bleibt während einer Migrä- erhoben, der eine Hyperexzitabilität bei den Studienteil- neattacke intakt. Dies ist von besonderer Bedeutung nehmern tatsächlich belegt (wie z. B. visuell evozierte Po- für Patienten, die mit monoklonalen Antikörpern tenziale). Es fällt somit schwer, über die interessante Be- behandelt werden. obachtung einer gesteigerten und im Wesentlichen in- Das Ganglion trigeminale ist wahrscheinlich eine trazellulär-neuronal lokalisierten Glutamatkonzentration wichtige Zielstruktur für die monoklonalen Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. im visuellen Kortex hinaus relevante Schlüsse aus dieser Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor. Studie zu ziehen. Antikörpertherapie Mittlerweile befinden sich 3 humanisierte Antikörper ge- Akutbehandlung der Migräne gen das Neuropeptid CGRP als Liganden selbst (Fremane- Merke zumab, Galcanezumab und Eptinezumab) sowie ein voll- Triptane stellen zusammen mit den nichtsteroidalen humaner Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor (Erenu- Antiphlogistika (NSAID) den Goldstandard in der mab) in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung. So Attackentherapie der Migräne dar. umfangreich die Studien zu den klinischen Effekten bei Patienten mit Migräne mittlerweile sind, so überraschend In US-amerikanischen Notaufnahmen werden Neurolep- wenig ist bislang zum eigentlichen Wirkort der Antikör- tika/Dopamin-Antagonisten wesentlich häufiger einge- per bekannt. Hier bringt eine tierexperimentelle Studie setzt als in Europa. In den USA sind NSAID zur i. v. Gabe aus der Gruppe um Rami Burstein möglicherweise Licht und intravenöse Azetylsalizylsäure nicht verfügbar. ins pathophysiologische Dunkel [11]. Dazu wurde ein etabliertes Modell mit männlichen Ratten genutzt, bei Opioide dem eine „Cortical Spreading Depression“ experimentell Friedmann und Kollegen haben im Rahmen einer doppel- ausgelöst wird, um primäre mechanosensitive meningea- blinden Notaufnahmestudie die Wirksamkeit des intrave- le Afferenzen des N. trigeminus zu stimulieren. Als Maß nös applizierten Opioidanalgetikums Hydromorphon für die trigeminale Aktivierung wurden Einzelfaserablei- [1 mg] im Vergleich zum ebenfalls i. v. verabreichten Neu- tungen aus dem trigeminalen Ganglion aufgezeichnet, roleptikum Prochlorperazin [10 mg] (+ Diphenhydramin die eine selektive Hemmung dünn myelinisierter Aδ-Fa- [25 mg]) verglichen. Für diesen aktiven Komparator exis- sern ergaben, während nichtmyelinisierte C-Fasern nicht tieren Daten aus placebokontrollierten Studien. relevant inhibiert wurden. Dies rundet bereits durch die- selbe Arbeitsgruppe erhobenen Studienergebnisse aus Diphenhydramin wird als Komedikation eingesetzt, um dem Vorjahr ab, die eine Hemmung von trigeminalen eine Akathisie zu vermeiden, und greift in den Histamin-, High-Threshold-Neuronen durch Fremanezumab bei zen- Acetylcholin- und Serotoninstoffwechsel ein. Bezüglich tralen Ableitung aus dem jenseits der Bluthirnschranke der anhaltenden Kopfschmerzbesserung innerhalb von liegenden spinalen Trigeminuskern mit einem ähnlichen 2 Stunden und anhaltend für 48 Stunden zeigte sich Hy- experimentellen Setting zeigten, während Wide-dynam- dromorphon deutlich unterlegen, und die Studie wurde ic-Range-Fasern (WDR-Fasern) nicht beeinflusst wurden nach Einschluss von 127 Patienten vorzeitig beendet (60 [12]. versus 31 %, NNT = 4). Zudem spekulieren die Autoren, dass das unterschiedli- Die Wirksamkeit von Opioiden bei akuten Kopfschmer- che Ansprechen auf CGRP-Antikörper in den bisherigen zen ist nicht vergleichend zu Triptanen untersucht, eine klinischen Studien durch eine individuelle Dominanz ent- ganze Reihe von Studien zeigt eine Zunahme der bei der weder der C-Faser- oder der A∂-Faser-vermittelten Antei- Migräne ohnehin häufig bestehenden Übelkeit als opio- le an der Migränepathophysiologie darstellt und somit ei- idtypische Nebenwirkung. Die Rate von Wiederkehrkopf- nen möglichen Ausblick auf eine individualisierte Thera- schmerzen ist unter Opioiden höher als unter anderen pie gibt. Unklar bleibt allerdings, inwieweit die Daten aus Substanzen. Opioide haben das Risiko der Toleranzent- einem CSD-Modell in Ratten auf die Migräneattacke beim wicklung und ein hohes Suchtpotenzial. Darüber hinaus Menschen übertragbar sind. ist das Risiko eines Kopfschmerzes durch Medikamenten- übergebrauch beim Einsatz von Opioiden höher als beim Einsatz von Nichtopioidanalgetika. Letztlich bestätigt sich hierdurch die in Deutschland bestehende Zurückhaltung der Opioidtherapie bei der Behandlung von Migräneatta- cken [13]. Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132 111
CME-Fortbildung waren diesbezüglich dem Placebo nicht deutlich über- FAL L B E I S P I E L legen [15]. Eine 45-jährige Patientin kommt in die Kopfschmerzsprechstunde. Sie leidet seit der Pubertät unter einer Migräne mit 3–4 schweren Die Interpretation dieser Metaanalysen muss mit Vorsicht Migräneattacken im Monat. Sie hat eine arterielle Hypertonie, die erfolgen. Da verschiedene Patienten unterschiedlich auf gut eingestellt ist, raucht 10 Zigaretten am Tag und ist überge- die verschiedene Triptane reagieren, kann man z. B. hie- wichtig. Der Hausarzt weigert sich, Triptan zu verschreiben, da ein raus nicht ableiten, dass die Patienten grundsätzlich alle erhöhtes Risiko für vaskuläre Komplikationen bestünde. Aspirin, mit z. B. Eletriptan oder Rizatriptan behandelt werden Ibuprofen und Paracetamol sind nicht wirksam. sollten. Das Risikoprofil der Patientin stellt keine Kontraindikation für den Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Einsatz eines Triptans dar. Die Patientin erklärt, dass sie an einem Entwöhnungsprogramm für Raucher teilnehmen will. Sie bekommt T I PP ein orales Triptan verschrieben, das gut wirkt und gut vertragen Vielmehr hat es sich in der Praxis bewährt, den wird. Patienten Testdosen, z. B. anfangs zwei verschiedene Triptane, zu verschreiben, um das individuell beste Triptan in Bezug auf Wirksamkeit und Verträglichkeit zu finden. Unerwünschte Wirkungen Regelmäßig berichten Patienten über Nebenwirkungen Periphere Neurostimulation der Akuttherapeutika (NSAID und Triptane). Zur Quantifi- Ganz neue Wege geht eine prospektive, doppelblinde, zierung führte eine in Kanada initiierte Arbeit eine Netz- randomisierte, scheinkontrollierte Crossover-Studie zur werk-Metaanalyse mit Bayesʼschem Wahrscheinlichkeits- peripheren Neurostimulation, in der eine 20-minütige In- modell durch und analysierte 141 Studien mit insgesamt tervention mittels Oberflächenelektroden am Oberarm 15 oralen Behandlungsregimes. Die primären Endpunkte kurz nach Beginn der Migräneattacke getestet wurde. waren unerwünschte Ereignisse (UE), behandlungs- 71 Patienten wurden in der Studie behandelt. Bezüglich bedingte und schwerwiegende UE (SUE). Im Vergleich zu der Schmerzreduktion war die aktive Stimulation der Pla- Placebo zeigte sich sowohl für Sumatriptan (+ Naproxen), cebo-/Scheinstimulation überlegen. Bei Stimulations- Eletriptan, Rizatriptan als auch für Zolmitriptan eine er- beginn bei mindestens mäßigem Schmerz profitierten höhte Rate der UEs und der behandlungsbedingten UEs. 58 % (25/43) der Teilnehmer, während nur 24 % von Place- bostimulation profitierten (p = 0,02). Analog zu den Er- Interessanterweise zeigte sich für die „Nichttriptane“ nur fahrungen in der Pharmakotherapie brachte die frühere bei Paracetamol ein signifikant erhöhtes Risiko. Für keine Anwendung bessere Ergebnisse im Vergleich zu einem Substanz konnte ein erhöhtes Risiko für SUEs gefunden späteren Therapiebeginn. Bei allen geltenden Einschrän- werden. Bezüglich der Sekundärparameter (Müdigkeit, kungen bezüglich Neuromodulationsstudien ist dies ein Schwindel, Brustschmerzen, Schläfrigkeit und Übelkeit, erstaunliches Ergebnis. Die Autoren postulieren als Wirk- aber nicht für Erbrechen) wurde für alle Triptane außer mechanismus eine Aktivierung absteigender Hemmsys- für Almotriptan und Frovatriptan ein erhöhtes Risiko ge- teme. Weitere Studien und der klinische Einsatz werden funden. Die Einnahme von Almotriptan war allerdings zeigen, ob und für welche Patienten dieses nebenwir- mit dem Risiko zu erbrechen assoziiert [14]. kungsarme Verfahren in Frage kommt [16]. Merke Applikationsform der Triptantherapie Letztlich bestätigt diese große Arbeit den klinischen Grundsätzliche Neuentwicklungen zur Triptantherapie Eindruck, dass Triptane zwar Nebenwirkungen ha- existieren nicht, einige Studien beschäftigen sich aber ben, diese aber meist mild und unproblematisch sind. mit neuen Applikationsformen. Dazu passen auch Daten über SUEs der in Deutschland Eine dieser Arbeiten untersuchte in einer randomisierten, verfügbaren OTC-Triptane. Auch hier werden sehr wenige doppelblinden und placebokontrollierten Phase-IIb/III- schwerwiegende vaskuläre Ereignisse pro Jahr gemeldet. Studie die Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen derma- len Zolmitriptan-Applikationssystems (ADAM-System = Eine weitere neue Netzwerk-Metaanalyse zur Behandlung adhesive dermally-applied Microarray) [17] mit verschie- mit NSAIDs und Triptanen fand Signale, dass, in Bezug auf denen Dosierungen. Bezüglich der Schmerzfreiheit nach die Schmerzlinderung, Eletriptan und Rizatriptan den an- 2 Stunden zeigten sich 3,8 mg Zolmitriptan via ADAM sig- deren Substanzen (Sumatriptan, Zolmitriptan, Almotrip- nifikant wirksamer als Placebo (41,5 vs. 14,2 %, tan, Ibuprofen und Aspirin) überlegen seien. Bezüglich p = 0,0001). Auch für Photophobie, Phonophobie und der Übelkeit nach 2 Stunde sei Rizatriptan besser in der Übelkeit zeigte sich eine gute Wirksamkeit. Grundsätzlich Wirksamkeit als Sumatriptan, die anderen Substanzen war das via ADAM applizierte Zolmitriptan gut verträglich. 112 Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132
In einer offenen Studie mit multiplen Anwendungen wur- Eine Studie untersuchte nun an einer kleinen Gruppe de eine neue Formulierung für nasales Sumatriptan ge- (n = 20) im Crossover-Design kontrolliert die Wirkung testet [18]. Sogenanntes DFN-02 besteht aus 10 mg Su- von 6 im Vergleich zu 3 mg Sumatriptan s. c. [20]. In der matriptan plus DDM, einer die Permeation verbessernden Wirksamkeit unterschieden sich beide Dosierungen nicht Substanz. Die resultierende Pharmakokinetik soll mit der signifikant, mit der niedrigeren Triptandosis kam es aber von s. c. Sumatriptan vergleichbar sein. Bei 2211 Migrä- zu weniger triptantypischen Nebenwirkungen wie z. B. neattacken wurden 3292 Dosen appliziert. Die Autoren thorakalem Druckgefühl. Möglicherweis stellt die nied- berichten mit anderen Triptanen vergleichbare Nebenwir- rigere Dosis künftig eine Behandlungsoption für Patien- kungsraten. Alle fünf berichteten, SAEs (serious adverse ten mit triptantypischen Nebenwirkungen dar. Events) seien nicht im Zusammenhang mit der Medika- Neue Substanzklassen Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. tion zu sehen gewesen. Immerhin 22,5 % der Patienten brachen allerdings die Studie verfrüht ab. Wirksamkeits- Möglicherweise wird die Akuttherapie zukünftig um eine daten liefert diese Publikation nicht. neue Substanzklasse erweitert. Laut der Herstellerfirma ist die zweite Phase-III-Studie (SPARTAN) für den ersten Eine weitere neue und innovative nasale Applikations- 5HT1F-Rezeptoragonisten Lasmiditan positiv. Bislang form für Sumatriptan ist ONZETRA Xsail™, welches mit- sind die Daten noch nicht publiziert, es ist aber anzuneh- tels Ausatemluft Sumatriptan als Pulver in den hinteren men, dass neben den Triptanen zukünftig eine weitere oberen Nasenabschnitt zerstäubt. Daten aus der COM- Substanzklasse der Akuttherapeutika zur Verfügung ste- PASS-Studie und einer sekundär/retrospektiven Analyse hen wird. Diese könnte dann wahrscheinlich bei Patien- [19] dieser multizentrischen, randomisierten, doppelblin- ten mit kardiovaskulärem Risikoprofil zum Einsatz kom- den, Doppel-Dummy-Crossover-Studie, in der 100 mg men. Derzeit ist nicht bekannt, ob in der EU ein Zulas- orales Sumatriptan gegen eine neue nasale Applikations- sungsantrag für Lasmiditan gestellt wird. Lasmiditan wür- form geprüft wurde, sind positiv bezüglich des primären de vor allem nur bei Patienten eingesetzt, die Kontraindi- Endpunktes (Summe der Schmerzintensitätsdifferenzen kationen für Triptane wie schwerwiegende vaskuläre Er- innerhalb der ersten 30 Minuten [SPID-30]) für sowohl krankungen haben. milde als auch für moderate bis schwere Attacken. Für die ersten 1,5 Stunden war das Pulver der Tablette in Be- zug auf die „totale Migränefreiheit“ überlegen. Ab der ZU SA MMENFAS SUNG zweiten Stunde ergaben sich aber keine Unterschiede Opioide sollten nicht zur Behandlung akuter mehr. Entgegen theoretischer Überlegungen zeigten sich Migräneattacken eingesetzt werden. systemische Nebenwirkungen für das Pulver nicht signifi- Triptane gehen bei der Behandlung von Migräne- kant seltener. attacken nicht mit einem erhöhten Risiko schwer- wiegender unerwünschter Arzneimittelwirkungen einher. Die neuen Applikationsformen der Triptane ZU SA MMENFAS SUNG (transdermal, nasal) sind in Deutschland noch nicht Die Schwäche all dieser Studien ist der gewählte/teils verfügbar. fehlende aktive Komparator. Im klinischen Alltag Lasmiditan kann bei Patienten eingesetzt werden, werden die neuen Applikationsformen wohl viel eher die vaskuläre Kontraindikationen für den Einsatz von in Konkurrenz zu den bisherigen Nasensprays Triptanen haben. (Sumatriptan und Zolmitriptan) stehen. Ein Vergleich mit diesen wäre sinnvoll, um den möglichen Nutzen besser bewerten zu können. Die neuen Applikationsformen der Triptane sind Prophylaxe der episodischen Migräne derzeit in Deutschland nicht zugelassen und stehen Etwa 30 % alle Migränepatienten haben sehr häufige und daher auch nicht zur Therapie zur Verfügung. schwere Migräneattacken, sodass eine prophylaktische Behandlung notwendig wird. Diese erfolgt nach den Leit- linien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Dosierung der Triptantherapie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesell- Merke schaft (DMKG) mit Betablockern, Antikonvulsiva wie To- Injektionen von Sumatriptan 6 mg s. c. stellen bei Pa- piramat oder Valproinsäure, Flunarizin oder Amitriptylin tienten mit rasch beginnenden und schweren Migrä- [21]. Leider ist die Adhärenz und Persistenz mit der medi- neattacken insbesondere bei ausgeprägter Übelkeit kamentösen Prophylaxe nicht sehr gut, was zum einen an oder Erbrechen den Goldstandard der Behandlung der begrenzten Wirksamkeit und zum anderen an der dar, allerdings treten bei dieser Formulierung auch Vielzahl von unerwünschten Arzneimittelwirkungen liegt. häufiger unerwünschte Nebenwirkungen des Suma- Deswegen war es eine dringende Notwendigkeit, eine triptans auf als bei oralen Formulierungen, da rasch spezifische Migräneprophylaxe zu entwickeln, die bei zu- maximale Wirkspiegel erreicht werden. mindest identischer Wirksamkeit wie bei den klassischen Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132 113
CME-Fortbildung monoklonale AK gegen CGRP oder dessen Rezeptoren duale Orexin- Narkotika Rezeptor- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Antagonisten neue Ansatz- punkte in der medi- kamentösen Migräneprophylaxe nicht selektive neue Phosphodiesterase- Antikonvulsiva Inhibitoren Angiotensin-II- Rezeptor- Antagonisten ▶ Abb. 2 Mögliche neue Ansatzpunkte einer prophylaktischen Therapie der Migräne. Zahlreiche neue Medikamente wurden in der Migräneprophylaxe untersucht. Derzeit liegen nur zu Antikörpern gegen CGRP bzw. dessen Rezeptor sowie zu Angiotensin-II- Rezeptor-Antagonisten vielversprechenden Studiendaten vor. Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten können bereits „off-Label“ eingesetzt werden, wenn die übliche medikamentöse Migräneprophylaxe nicht ausreichend wirksam ist bzw. aufgrund von Ne- benwirkungen bzw. Kontraindikationen nicht eingenommen werden kann. Antikörper gegen CGRP bzw. dessen Rezeptor werden derzeit in großen Phase-III-Studien untersucht. CGRP: Calcitonin Gene-related Peptide; AK: Antikörper Quelle: Holle D, Diener H. Neue medikamentöse und neuromodulatorische Therapieansätze zur Behandlung der Migräne. Aktuel Neurol 2015; 42: 315–322 Substanzen weniger Nebenwirkungen hat und bei der die 140 mg oder Placebo subkutan injiziert bekamen. Der Compliance und Adhärenz gewährleistet werden kann. primäre Endpunkt der Studie war die Änderung der Mig- Aus diesem Grund wurden monoklonale Antikörper ge- ränehäufigkeit zwischen der Baseline und den Monaten gen Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP) oder den 4–6 gemessen mit der mittleren Zahl der Migränetage CGRP-Rezeptor entwickelt. Diese haben in der Zwischen- pro Monat. Sekundäre Endpunkte waren zeit Phase-II- und Phase-III-Studien bei episodischer und ▪ die 50 %-Responder-Rate, chronischer Migräne durchlaufen, von denen einige im ▪ die Zahl der Tage mit Einnahme von Akutmedikation Folgenden dargestellt werden (▶ Abb. 2). und ▪ die Änderung der Lebensqualität gemessen mit dem Erenumab Migraine Physical Function Impact Diary. Eine Studie von Goadsby et al. untersuchte Erenumab, ei- nen monoklonalen Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor In die Studie wurden insgesamt 955 Patienten einge- zur Prophylaxe der episodischen Migräne [22]. Es handel- schlossen. 319 erhielten Placebo, 317 die niedrige und te sich um eine randomisierte placebokontrollierte Pha- 319 die hohe Dosis von Erenumab. Das mittlere Alter der se-III-Studie, in der die Patienten innerhalb von 6 Mona- Patienten betrug 41 Jahre, und 85 % waren Frauen. 60 % ten einmal pro Monat entweder Erenumab 70 mg oder benutzten zur Behandlung der Migräneattacken Triptane 114 Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132
und 78 % Schmerzmittel. 40 % hatten Erfahrung mit ande- in der sie 50 mg Erenumab alle 4 Wochen erhielten. In ren Medikamenten zur Migräneprophylaxe. 40 % gaben einer präspezifierten Interimsanalyse wurden alle Patien- an, dass frühere Migräneprophylaxen entweder nicht ten ausgewertet, die über ein Jahr behandelt worden wa- wirksam waren oder inakzeptable Nebenwirkungen hat- ren. Die Änderung der Migränetage pro Monat sowie eine ten. In der Baseline-Phase hatten die Patienten im Mittel Reduktion der Migränehäufigkeit von über 50, über 75 8,2 Migränetage pro Monat und 9,3 Kopfschmerztage. und über 100 % wurden erfasst. Sie nahmen im Mittel an 3,4 Tagen pro Monat Triptane ein. An der Studie nahmen ursprünglich 472 Patienten in einem mittleren Alter von 41 Jahren teil. 80 % der Teilneh- Die Reduktion der Migränetage pro Monat betrug 3,2 Ta- mer waren Frauen. Bei Eintritt in die Studie hatten die Pa- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ge in der 70-mg-Erenumab-Gruppe und 3,7 Tage in der tienten im Mittel 9 Migränetage pro Monat. An der Lang- 140-mg-Erenumab-Gruppe verglichen mit 1,8 Tagen in zeitstudie nahmen 383 Patienten teil, die über einen me- der Placebogruppe. Dieser Unterschied war statistisch dialen Zeitraum von 575 Tagen behandelt wurden. Die signifikant. Die 50 %-Responder-Rate für Migränetage mittlere Zahl der Migränetage betrug 8,8 Tage pro Monat pro Monat betrug 43,3 % für die niedrige Dosis und 50 % bei Eintritt in die Studie, 6,3 Tage am Ende der doppel- für die hohe Dosis von Erenumab verglichen mit 26,6 % blinden Phase und 3,7 Tage nach 64 Wochen. Nach in der Placebogruppe. Auch dieser Unterschied war sig- 64 Wochen betrugen die Responderraten: nifikant. Signifikante Unterschiede zeigten sich auch für ▪ Responderrate > 50 %: 65 % der Probanden, die Einnahme spezifischer Migränemittel, die um 1,1 Ta- ▪ Responderrate > 75 %: 42 % der Probanden, ge in der Niedrigdosisgruppe und 1,6 Tage in der Hoch- ▪ migränefrei waren 26 % der Patienten. dosisgruppe abnahm verglichen mit 0,2 Tagen in der Pla- cebogruppe. Die Scores auf der Skala, die die körperliche Bei allen Lebensqualitätsinstrumenten kam es zu einer Beeinträchtigung maß, verbesserten sich um 4,2 und 4,8 signifikanten Reduktion der Migränetage in der doppel- Punkte in den Erenumab-Gruppen verglichen mit 2,4 blinden Behandlungsphase, die bis zur Woche 64 anhielt. Punkten in der Placebogruppe. Auch dieser Unterschied Es traten keine unerwarteten und unerwünschten Arznei- war signifikant. Die Häufigkeit unerwünschter Arzneimit- mittelwirkungen auf, und es gab keine Sicherheitsproble- telwirkungen war zwischen Erenumab und Placebo nicht me. Zwei vaskuläre Ereignisse, nämlich ein vaskulärer To- unterschiedlich. desfall und ein Myokardinfarkt, waren nicht mit der Stu- dienmedikation assoziiert. Zusammengefasst zeigte die Studie von Goadsby et al. [22] Folgendes: Merke ▪ Die große Phase-III-Studie zeigt eindeutig die Wirk- Diese Langzeitstudie ergibt keine Hinweise auf einen samkeit von Erenumab in der Prophylaxe der episo- Wirkungsverlust von Erenumab bei einer Anwendung dischen Migräne. In indirekten Vergleichen sind die über 1 Jahr und nur eine geringe Zahl von UAEs. Therapieeffekte mit denen der klassischen Migräne- prophylaktika vergleichbar. Fremanezumab ▪ Der wesentliche Unterschied ist die geringe Zahl von Fremanezumab wurde in zwei Phase-II-Studien bei Pa- unerwünschten Arzneimittelwirkungen und, dadurch tienten mit episodischer Migräne untersucht [25, 26]. In bedingt, die extrem geringe Zahl von Patienten, die einer präspezifizierten Analyse wurden in beiden Studien die Therapie wegen Nebenwirkungen abbricht. die Patienten analysiert, die neben der Behandlung mit ▪ Ein weiterer Vorteil ist, dass die Wirksamkeit offenbar Fremanezumab eine andere Migräneprophylaxe erhiel- bereits innerhalb von 1–4 Wochen einsetzt, sodass ten. Für diese Auswertung standen Daten von 133 Patien- früh entschieden werden kann, ob die Therapie fort- ten zur Verfügung, von denen 67 mit Fremanezumab und geführt oder abgebrochen wird. 66 mit Placebo behandelt wurden. ▪ Die Zulassung von Erenumab in der EU ist erfolgt, und mit der Markteinführung wird im Oktober 2018 ge- Die Reduktion der Migränetage über 3 Monate betrug rechnet. 12,4 Tage für Fremanezumab und 7,4 Tage für Placebo. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Eine signifi- Die Langzeitergebnisse einer Migräneprophylaxe mit Ere- kante Reduktion ergab sich auch für Kopfschmerztage numab wurden nach Ende der Phase-II-Studie erhoben mit mittelschwerer und schwerer Kopfschmerzintensität [23]. Die Patienten wurden ursprünglich in eine 12-wö- und die Tage, an denen eine Akutmedikation für Kopf- chige doppelblinde placebokontrollierte Studie einge- schmerzen notwendig war. Bezüglich der Nebenwirkun- schlossen, in der sie entweder mit 10 mg, 21 mg oder gen ergaben sich keine Unterschiede. Diese Post-hoc- 70 mg Erenumab verglichen mit Placebo behandelt wur- Analyse legt nahe, dass Fremanezumab auch dann wirk- den [24]. Erenumab wurde alle 4 Wochen subkutan appli- sam ist, wenn es zusätzlich zu einer bestehenden Migrä- ziert. Nach dem Ende der doppelblinden Phase wurden neprophylaxe gegeben wird. die Patienten in eine offene Extensionsphase überführt, Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132 115
CME-Fortbildung Fremanezumab wurde auch in einer in einer doppelblin- Zusammengefasst belegt diese große Phase-III-Studie, den, placebokontrollierten Parallelgruppenstudie unter- dass Fremanezumab bei der präventiven Behandlung der sucht, die an 123 Kopfschmerzzentren in 9 Ländern episodischen Migräne gut wirksam ist und ein Nebenwir- durchgeführt wurde [27]. Nach einer 28-tägigen Pre- kungsprofil hat, welches mit Placebo vergleichbar ist. Die treatment-Periode erfolgte die Behandlung über 12 Wo- absolute Reduktion der Migränetage gegenüber Placebo chen mit einer subkutanen Gabe von Fremanezumab. ist gering, die Reduktion der Migränetage verglichen mit Einschlusskriterien waren Alter zwischen 18–70 Jahren der Baseline-Phase mit 3,7 und 3,4 Tagen klinisch rele- und eine episodische Migräne mit 6–14 Kopfschmerz- vant. tagen pro Monat. Es wurden nur Patienten eingeschlos- sen, die in der Vergangenheit auf zwei Klassen einer mig- Die Besonderheit der vorliegenden Studie ist, dass Pa- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ränepräventiven Therapie entweder nicht angesprochen tienten eingeschlossen wurden, die auf 2 Klassen etab- hatten oder diese nicht vertragen hatten oder bei denen lierter Migräneprophylaxe entweder nicht ansprachen die entsprechende Medikamentenklasse kontraindiziert oder bei denen diese Therapie nicht vertragen wurde. In war. indirekten Vergleichen ist die Wirksamkeit von Fremane- zumab mit derjenigen anderer bestehender Migränepro- Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert. phylaktika vergleichbar. Ein wesentlicher Unterschied zu 290 Patienten erhielten 225 mg Fremanezumab alle der gängigen derzeitigen medikamentösen Therapie ist 4 Wochen, 291 Patienten erhielten eine einmalige Dosis die gute Verträglichkeit, was sich in der sehr geringen An- von 675 mg Fremanezumab, und 294 Patienten erhielten zahl von Patienten ausdrückt, die die Behandlung wegen Placebo. Der primäre Endpunkt war die mittlere Ände- Nebenwirkungen abgebrochen hat. Fremanezumab ist rung der Migränetage pro Monat über die 12-wöchige zur Zulassung für die episodische Migräne in Europa ein- Behandlungsphase. Die Patienten waren im Mittel 42 Jah- gereicht, der Zeitpunkt der Zulassung ist jedoch noch re alt, und 85 % waren Frauen. Die Migräne bestand im nicht abzusehen. Mittel seit 20 Jahren. In der Baseline hatten die Patienten im Mittel 9 Migränetage, und an 7,7 Tagen nahmen die Galcanezumab Patienten Medikamente zur Behandlung der Migräne- Die EVOLVE-Studien (Evaluation of LY2951742 in the pre- attacke ein. An 6–7 Tagen erfolgte die Einnahme einer vention of episodic migraine) waren doppelblinde, rando- spezifischen Migränemedikation. misierte, placebokontrollierte Studien [28, 29]. Die Pa- tienten erhielten über einen Zeitraum von 6 Monaten 1 × In der Therapiegruppe, die einmal monatlich Fremane- monatlich eine subkutane Injektion von Galcanezumab zumab erhielt, kam es zu einer Abnahme von 3,7 Migrä- 120 mg, 240 mg oder Placebo. Eingeschlossen wurden netagen verglichen mit 2,2 Migränetagen unter Placebo. Patienten mit 4–14 Migränetagen pro Monat. Der primä- Dieser Unterschied war mit einem p-Wert von < 0,001 re Endpunkt der Studien war die mittlere Reduktion der signifikant. Bei der einmaligen Dosis von Fremanezumab Migränetage während der Studiendauer verglichen mit kam es zu einer Abnahme der Migränetage pro Monat der Baseline. Außerdem wurden die 50 %-, 75 %- und von 3,4 Tagen. Auch hier war der Unterschied zu Placebo 100 %-Responder-Raten berechnet, und die Migränetage (Abnahme um 2,2 Tage) signifikant. Die Responderrate, mit Einnahme von Akutmedikation sowie die Lebensqua- d. h. eine mindestens 50 %ige Reduktion der Migränetage lität und die Einschränkung im Alltag durch die Migräne pro Monat, betrug erhoben. Eine vorbestehende medikamentöse Migräne- ▪ 47,7 % in der Fremanezumab-Gruppe, die 3 × injiziert prophylaxe musste vor Studieneinschluss beendet wer- wurde, den. ▪ 44,4 % bei den Patienten, die nur 1 × mit Fremane- zumab behandelt wurden, In die EVOLVE-1-Studie wurden 1671 Patienten auf- ▪ 27,9 % in der Placebogruppe. genommen. Das mittlere Alter der Patienten betrug 40,7 Jahre, und 84 % waren Frauen. In der Baseline-Pe- Dieser Unterschied war signifikant. Signifikante Unter- riode betrug die mittlere Häufigkeit der Migränetage pro schiede zugunsten von Fremanezumab ergaben sich Monat 9,1. Beide Dosierungen von Galcanezumab waren auch für alle sekundären Endpunkte wie beispielsweise signifikant besser wirksam als Placebo. Die Reduktion der die Einnahmetage von Medikamenten zur Behandlung Migränetage betrug im Mittel 4,7 Tage (120 mg) und von Kopfschmerzen sowie die Beeinträchtigung der Mi- 4,6 Tage (240 mg) für Galcanezumab verglichen mit Pla- gräne gemessen mit dem MIDAS-Score. Bezüglich uner- cebo mit 2,8 Tagen (p < 0,001). Die Studie zeigte auch wünschter Arzneimittelwirkungen ergaben sich keine sig- signifikante Unterschiede für alle sekundären Endpunkte nifikanten Unterschiede zwischen den 3 Gruppen. Am zugunsten von Galcanezumab. häufigsten wurden Schmerzen an der Injektionsstelle und Infektionen der oberen Atemwege beklagt. Die The- In die EVOLVE-2-Studie wurden 915 Patienten aufgenom- rapie wurde von jeweils 5 Patienten in jeder Therapie- men und ebenfalls mit 120 mg (n = 231) oder 240 mg gruppe wegen Nebenwirkungen abgebrochen. (n = 223) Galcanezumab 1× monatlich behandelt. 461 Pa- 116 Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132
tienten erhielten Placebo. Die Patienten waren im Mittel wurden. Wie viele Injektionen angewendet werden müs- 41,9 Jahre alt und 85,4 % waren weiblich. In der Baseline- sen, um über eine Wirksamkeit oder Unwirksamkeit zu Periode betrug die mittlere Häufigkeit der Migränetage entscheiden, ist bisher nicht bekannt. 9,1 pro Monat. Die Reduktion der Migränetage betrug im Mittel 4,3 Tage (120 mg) und 4,2 Tage (240 mg) für Merke Galcanezumab verglichen mit Placebo mit 2,3 Tagen Bei allen neuen Medikamenten ist es wünschenswert (p < 0,01). und notwendig, dass jenseits der meist kurzen dop- pelblinden Behandlungsphase eine Langzeittherapie Auch in dieser Studie zeigte sich eine Überlegenheit von erfolgt, um zu sehen, ob die Therapieeffekte anhalten Galcanezumab gegenüber Placebo für die sekundären und ob es auf längere Sicht Probleme mit der Ver- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Zielparameter. träglichkeit oder Sicherheit gibt. Die Responderraten betrugen in den beiden Studien: Die Reduktion der Migräneattacken, Migränetage pro ▪ 50 %-Responder-Raten: Monat wurde im Beobachtungszeitraum geringer. Die Le- – 62,3 % (EVOLVE 1) und 59,3 % (EVOLVE 2) für die bensqualität verbesserte sich anhaltend, und besonders 120-mg-Dosis Galcanezumab, wichtig war, dass nur wenige unerwünschte Arzneimittel- – 60,9 % (EVOLVE 1) und 56,5 % (EVOLVE 2) für die wirkungen beobachtet wurden. Da die Antikörper gegen 240-mg-Dosis Galcanezumab, CGRP oder den CGRP-Rezeptor subkutan appliziert wer- – 38,6 % (EVOLVE 1) und 36 % (EVOLVE 2) für Placebo. den, sind auch Adhärenz und Compliance besser zu ge- ▪ 100 %-Responder-Raten: währleisten. Es bleibt jetzt abzuwarten, ob die anderen – 15,6 % (EVOLVE 1) und 11,5 % (EVOLVE 2) für die CGRP-Antikörper ähnliche Langzeitergebnisse publizieren 120-mg-Dosis Galcanezumab, können. – 14,6 % (EVOLVE 1) und 13,8 % (EVOLVE 2) für die 240-mg-Dosis Galcanezumab, – 6,2 % (EVOLVE 1) und 5,7 % (EVOLVE 1) für Placebo. ZU SA MMENFAS SUNG Die monoklonalen Antikörper gegen die CGRP Die Therapie mit Galcanezumab wurde sehr gut vertra- Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab gen. Außer Reaktionen an der Injektionsstelle (3,4 und sowie der Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor Ere- 5,5 % vs. 0,9 %) zeigten sich keine Unterschiede in den un- numab sind alle in der Prophylaxe der episodischen erwünschten Arzneimittelwirkungen zwischen Verum Migräne wirksam. Sie haben eine sehr gute Verträg- und Placebo. Nur wenige Patienten brachen die Studie lichkeit. Erenumab wurde in der EU zugelassen. wegen Nebenwirkungen ab. Die Häufigkeiten waren 1,7 % und 2,3 % für Placebo, 2,2 % und 4,2 % für die 120-mg-Do- sis und 4,0 % und 3,3 % für die 240-mg-Dosis von Galcane- zumab. Prophylaxe der chronischen Migräne Merke Die beiden EVOLVE-Studien zeigen zusammengefasst Patienten mit chronischer Migräne benötigen eine gute Wirksamkeit des CGRP-Antikörpers Galcane- grundsätzlich eine medikamentöse oder nicht- zumab in der Prophylaxe der episodischen Migräne. Die medikamentöse Migräneprophylaxe. Ergebnisse sind in den beiden Studien fast identisch. Merke In indirekten Vergleichen mit Daten aus Meta- D E F I N IT I O N analysen für die verfügbaren Migräneprophylaktika Chronische Migräne Betablocker, Topiramat oder Amitriptylin besteht Chronische Migräne ist nach den Kriterien der inter- wahrscheinlich keine Überlegenheit. Der eindeutige nationalen Kopfschmerzgesellschaft definiert als eine Vorteil des CGRP-Antikörpers Galcanezumab ist seine Migräne mit mehr als 15 Kopfschmerztagen im gute Verträglichkeit. Monat, von denen mindestens 8 die Kriterien einer Migräneattacke erfüllen. Weniger als 5 % der Patienten brachen die Prophylaxe we- gen unerwünschter Arzneimittelwirkungen ab. Die Ab- bruchrate ist bei den bisherigen Migräneprophylaktika viel höher. Die subkutane Injektion von Galcanezumab Compliance garantiert darüber hinaus die Compliance. Die Wirksam- Leider sind Persistenz und Adhärenz mit der medikamen- keit von Galcanezumab kann bereits nach 4 Wochen be- tösen Migräneprophylaxe nicht sehr gut. urteilt werden, da zu diesem Zeitpunkt bereits signifikan- te Unterschiede zwischen Verum und Placebo gefunden Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132 117
CME-Fortbildung Eine amerikanische Arbeitsgruppe hat jetzt Versiche- Medikamentöse Prophylaxe rungsdaten von Patienten mit chronischer Migräne ana- Zur Prophylaxe der chronischen Migräne lagen bisher nur lysiert, um die Persistenz der Einnahme der medikamen- positive Studien für Topiramat und Onabotulinumtoxin tösen Migräneprophylaxe zu untersuchen [30]. Zu die- A vor. Die neuen Antikörper gegen CGRP oder den sem Zweck wurden die Versicherungsdaten von CGRP-Rezeptor werden jetzt auch in der Migräneprophy- 121,5 Mio. in den Vereinigten Staaten versicherten Men- laxe bei chronischer Migräne untersucht. schen in den Jahren 2007 bis 2012 analysiert. In dieser Population fanden sich 74 870 Patienten im Alter von Erenumab über 18 Jahren mit einer chronischen Migräne. Im Zeit- Erenumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an den raum zwischen 2008 und 2012 erfolgte bei 36 949 dieser CGRP-Rezeptor bindet. Erenumab wurde in einer rando- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Patienten eine medikamentöse Migräneprophylaxe. Pa- misierten doppelblinden placebokontrollierten multizen- tienten wurden aus der Analyse ausgeschlossen, wenn trischen Studie an Patienten mit chronischer Migräne in sie während des Beobachtungszeitraums die Krankenver- den Vereinigten Staaten und Europa untersucht [31]. sicherung wechselten oder wenn Begleiterkrankungen Die Patienten wurden im Verhältnis 3 : 2 : 2 zu subkuta- keine Zuordnung des entsprechenden Medikamentes zu nem Placebo, Erenumab 70 mg oder Erenumab 140 mg der Diagnose der Migräne oder einer anderen Diagnose alle 4 Wochen für 12 Wochen randomisiert. Der primäre ermöglichte. Auf diese Weise konnten die Daten von Endpunkt war die Änderung der Migränetage pro Monat 8707 Patienten analysiert werden. von der 4-wöchigen Baseline zu den letzten 4 Wochen der doppelblinden Behandlungsphase. Zwischen April Erfasst wurde die Persistenz der Medikamenteneinnahme 2014 und Dezember 2015 wurden 667 Patienten in die über 6 und 12 Monate. Die Patienten waren im Schnitt 40 Studie eingeschlossen. 286 erhielten Placebo, 191 die Jahre alt, und 83 % waren Frauen. Analysiert wurde die niedrige Dosis und 190 die hohe Dosis von Erenumab. Einnahme von Antidepressiva, sowohl trizyklische Antide- pressiva wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Beta- Die monatliche Reduktion der Migränetage betrug für die blocker als auch Antikonvulsiva wie Valproinsäure, Topira- beiden Dosierungen von Erenumab 6,6 Tage, verglichen mat und Gabapentin. Eine regelmäßige Einnahme des mit Placebo mit 4,2 Tagen. Der absolute Unterschied ersten verschriebenen Medikamentes zur Migränepro- von − 2,5 Tagen war mit einem p-Wert von < 0,001 sig- phylaxe erfolgte bei 25 % der Patienten nach 6 Monaten nifikant. Nebenwirkungen berichteten 39 % der Patienten und 14 % nach 12 Monaten. Die meisten Patienten bra- in der Placebogruppe, 44 % bei der niedrigen Dosis und chen die Behandlung innerhalb der ersten 30 Tage ab, 47 % bei der hohen Dosis von Erenumab. Die häufigsten und etwa die Hälfte hatte die Behandlung bereits nach Nebenwirkungen waren Schmerz an der Injektionsstelle, 60 Tagen abgebrochen. Übelkeit und Infektion der oberen Atemwege. Bei 11 Pa- tienten in der Niedrigdosisgruppe und bei 3 Patienten in Verglichen mit Topiramat brachen deutlich mehr Patien- der Hochdosisgruppe ließen sich Autoantikörper gegen ten die Behandlung ab, wenn sie mit Amitriptylin, Gaba- Erenumab nachweisen. Im Bereich der Laborwerte oder pentin oder Nortriptylin behandelt wurden. Von den Pa- des EKGs fanden sich keine Auffälligkeiten. tienten, die die initiale Therapie abbrachen, wechselten 23 % die Medikation und versuchten ein anderes Migräne- Zusammengefasst zeigt diese Studie, dass Erenumab prophylaktikum. In dieser Gruppe betrug die Persistenz nicht nur zur Prophylaxe der episodischen, sondern auch nach einem Jahr nur noch 10–13 %. der chronischen Migräne wirksam ist. Ein besonderer Vor- teil des Antikörpers ist, dass er im Gegensatz zu Topira- Merke mat erheblich weniger Nebenwirkungen aufweist. Im Diese sehr große auf Versicherungsdaten beruhende Moment laufen noch Langzeitsicherheitsstudien zu Ere- Studie aus den Vereinigten Staaten belegt, dass numab mit der Fragestellung, ob die Antikörper auch auf die meisten Patienten mit chronischer Migräne die lange Sicht gut verträglich sind. medikamentöse Migräneprophylaxe abbrechen. Fremanezumab Ob dies aufgrund der Nebenwirkungen oder fehlender Fremanezumab wurde in einer randomisierten placebo- Wirksamkeit erfolgt, kann anhand von Verschreibungs- kontrollierten Studie an Patienten mit chronischer Migrä- daten allerdings nicht analysiert werden. Die praktische ne untersucht. Im Rahmen der Studie wurden die Patien- Konsequenz aus der Studie ist, dass Patienten mit chro- ten in drei Therapiegruppen eingeteilt [32]. Die erste nischer Migräne regelmäßig nachuntersucht werden Therapiegruppe erhielt eine initiale Dosis von 675 mg müssen, um herauszubekommen, warum eine medika- Fremanezumab und Placebo subkutan nach 4 und 8 Wo- mentösen Migräneprophylaxe abgebrochen wurde, und chen. In der zweiten Gruppe erhielten die Patienten initial welche weiteren therapeutischen Möglichkeiten zur Ver- 675 mg Fremanezumab und 225 mg nach 4 und 8 Wo- fügung stehen. chen, in der dritten Gruppe 3 × Placebo. Der primäre End- punkt war die mittlere Änderung der Kopfschmerztage 118 Diener HC et al. Kopfschmerzen – Update … Neurologie up2date 2018; 1: 107–132
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