VERKEHRT GEWENDET? - WZB - Infas
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ERGEBNISSE AUS BEOBACHTUNGEN PER REPRÄSENTATIVER BEFRAGUNG UND ERGÄNZENDEM MOBILITÄTSTRACKING BIS ENDE JUNI AUSGABE 31.07.2020 02 WZB VERKEHRT GEWENDET? Unsere Alltagsmobilität in der Zeit von Ausgangsbeschränkungen, Maskenpflicht und neuen Routinen
2 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Projekt: 7331 Bonn, Juli 2020 Version 1.0 Text: Robert Follmer und Marc Schelewsky Layout und Grafik: Astrid Blome und Birgit Geisler Folgende Zitierweisen werden empfohlen: Langform: Follmer, Robert, Schelewsky, M. (2020): Mobilitätsreport 02, Ergebnisse aus Beobachtungen per repräsentativer Befragung und ergänzendem Mobilitätstracking bis Ende Juni, Ausgabe 30.07.2020, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF. Kurzform: infas, MOTIONTAG, WZB (2020): Mobilitätsreport 02, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF.
3 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Die Corona-Pandemie ist Alltag geworden. Besonders harte Einschnitte wie Ausgangsbeschränkungen und strikte Kontaktverbote gehören im Augenblick der Vergangenheit an. Stattdessen füllen sich Straßen, Plätze, Parkhäuser und Radwege. Sogar Urlaubspläne werden auf ihre Umsetzbarkeit geprüft und in die Tat umgesetzt. Für viele Bürgerinnen und Bürger geblieben sind nur Mas- kenpflicht und die eine oder andere Unbequemlichkeit. Also gar nichts passiert? Leider nein. Selbst die von uns gesammelten Ant- worten in Sachen Alltagsmobilität zeigen, dass dies nur für einen Teil der Bevölkerung zutrifft. Ein Drittel erwartet in den nächsten sechs Monaten eine Einschränkung des Lebensstandards. Jeder zehnte Bürger oder jede zehn- te Bürgerin sieht ernsthafte Geldprobleme auf sich zukommen. Und neben Kurzarbeit und Homeoffice haben sich zumindest zeitweilig andere Lebens- umstände ergeben, die auch in der Alltagsmobilität Spuren hinterlassen. Der Verzicht auf Aktivitäten, verstärkte Online-Einkäufe und mitunter noch im- mer eine Einschränkung der sozialen Kontakte sind einige der Ursachen. So ist die tägliche Mobilität weiter reduziert. Dies betrifft die Bevölkerung jedoch nicht gleichermaßen. Je besser der individuelle wirtschaftliche Hinter- grund ausfällt, desto eher stellt sich die alte Normalität ein und man gelangt weniger besorgt durch diese schwierige Zeit. Das private Auto hilft dabei. Mehr als das Fahrrad hat es seine Bedeutung ausgebaut. Und je größer die Aktivitätskreise nach dem überwundenen Lockdown wieder werden, desto deutlicher reduziert sich das zwischenzeitliche Fußgängerhoch. Der öffentli- che Verkehr kann davon nicht profitieren. Im Gegenteil. Er hat sich auch im Juni nicht erholen können. Also verkehrt gewendet statt Verkehrswende? Dafür gibt es Anzeichen, aber es ist noch nicht ausgemacht.
4 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 WORUM ES UNS GEHT (BMBF) sowie über zusätzliche Aufträge der Län der Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ha Wir möchten Alltagsmobilität zuverlässig be ben wir ein ambitioniertes Projekt gestartet, in schreiben. Aus der möglichst exakten Messung dessen Rahmen eine elaboriert und exklusiv ge differenziert nach Regionen und Personengruppen wonnene repräsentative Stichprobe aus mehre ergeben sich Schlussfolgerungen und Hand ren Tausend Personen im Längsschnitt zunächst lungsempfehlungen. Daher kombinieren wir zu telefonisch und später auch online befragt wird. verlässige Messungen anhand ausgereifter Be Dies erfolgt in wesentlichen Teilen angelehnt an fragungsverfahren mit Innovation und profunder das Design der Leitstudie „Mobilität in Deutsch sozialwissenschaftlicher Perspektive. Dafür steht land“, die infas 2002, 2008 und 2017 zusammen das Team aus infas, MOTIONTAG und der Arbeits mit Partnern für das Bundesministerium für Ver gruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche kehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie wei Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Ber tere regionale Auftraggeber durchgeführt hat. lin für Sozialforschung (WZB). Unterstützt wer Hinzu kommen innovative Dauerbeobachtungen den wir durch das Geodaten-Know-how von in per Smartphone-App, um mehr über die täglichen fas 360 und die Mobilitätsexpertise von Nuts One Mobilitätsroutinen und ihre Abfolgen innerhalb und dem nexus-Institut. eines längeren Zeitraums zu erfahren. MOBICOR – EIN ANSPRUCHSVOLLES NEUES Die Erhebungen haben Anfang Mai unmittel MOBILITÄTSPANEL bar nach der Mitte April erfolgten vorläufigen Auftragsvergabe begonnen. Sie sind zunächst mit In herausfordernden Zeiten hilft gute Empirie. drei Panelwellen bis Anfang 2021 angelegt. Die MOBICOR als das neue Mobilitätspanel hat sich erste Erhebung wurde in der zweiten Juniwoche dieser Aufgabe verschrieben. Finanziert durch das abgeschlossen und umfasst 1.508 Befragte im Bundesministerium für Bildung und Forschung Alter ab 16 Jahren bundesweit. Hinzu kommen 32% der Erwerbstätigen arbeiteten im Mai/Juni im Homeoffice
5 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 jeweils 1.000 Interviews in den drei beteiligten Bundesländern. Auch dort wurde die erste Welle gerade beendet. Die Auswertung erfolgt getrennt von dem bundesweiten Bericht. Parallel begon nen hat der Aufbau der größeren Tracking-Stich Tracking per mobico probe. Hierzu steht seit wenigen Wochen die App mobico bereit. Mit diesem Instrument können Für die Entwicklung guter Lösungen und neuer die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer auf Angebote für die Alltagsmobilität werden zu freiwilliger Basis in unkomplizierter Form Tag für verlässige Daten benötigt. Zur Erhebung solcher Tag über ihre Mobilität berichten. Daten stellt infas zusammen mit MOTIONTAG die infas-App mobico bereit. Der vorliegende Report stellt die Ergebnisse der bundesweiten Erhebung vor. Nach Zwischener Die App beruht auf der Idee, dass die meisten gebnissen in der Report-Ausgabe Nr. 1 basiert er Menschen ihr Smartphone (fast) immer bei auf der vollständigen Stichprobe von 1.508 be sich tragen und die Sensoren des Smartphones fragten Personen. Zur besseren Einordnung ver zur Bestimmung der Position und Bewegung knüpfen wir diese Resultate mit Referenzergebnis genutzt werden können. Einmal herruntergela sen für einen normalen „Mobilitätsdurchschnitt“ den und aktiviert, können Teilnehmende mit der – aktuell eine Art Durchschnittsfrühsommer für App ihre Mobilität automatisch im Hintergrund alle Personen im Alter ab 16 Jahren. Da die erste aufzeichnen. MOBICOR-Welle ganz überwiegend in den Mai fiel, werden dazu aus der MiD 35.418 Personen Intelligente Algorithmen verwandeln die Posi interviews aus dem Mai 2017 herangezogen. Um tions- und Bewegungsdaten des Smartphones in darüber hinaus die Monate „vor Corona“ im Blick einzelne Abschnitte, die nach genutzten Ver zu haben, nutzen wir zusätzlich eine vorbereiten kehrsmitteln, Tageszeiten, Zielen oder möglichen de Teststichprobe, die MOTIONTAG im Rahmen Alternativen untersucht werden können. So kann der Mobilitäts-App bereits seit längerer Zeit führt. auch die Verbreitung neuer Angebotsformen Diese wird in zukünftigen Berichten durch das ge und ihre Integration in den Alltag nachvollzogen rade begonnene projekteigene Tracking abgelöst. werden. Uns ist jedoch nicht nur die eigene Empirie wich Mit der App können die Teilnehmenden ihre tig, sondern darüber hinaus eine Beurteilung des Mobilität bequem automatisch aufzeichnen. Sie aktuellen Mobilitätsgeschehens anhand weiterer werden dadurch nicht mit dem Ausfüllen von Quellen und insgesamt abzuleitender Schlussfol Fragebögen belastet. In der App können sich die gerungen. Daher enthält der vorliegende Report Teilnehmenden zudem einen Überblick über einen kleinen Überblick über weitere aktuelle Be die ermittelten Daten und Erkenntnisse zu ihrer funde. eigenen Mobilität verschaffen. Last but not least bieten wir ein neues Format für Wenn Sie die App nutzen möchten, können Sie eine einordnende Bewertung. Den Auftakt bildet sie aus dem Google Play Store oder Apple App in dieser Ausgabe ein Gespräch zwischen Profes Store herunterladen. Geben Sie einfach „infas sor Andreas Knie (WZB) und Robert Follmer (in mobico“ in das Suchfenster ein. Weitere fas), die beide für MOBICOR verantwortlich sind, Informationen zur App finden Sie unter mit Henrik Falk, dem Vorstandsvorsitzenden der www.infas.de/mobico.
6 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Hamburger Hochbahn AG. Anlass sind die be der plötzliche Einstieg in die Homeoffice-Situati sonderen Anforderungen, die sich aktuell für den on. Oft beschworen als Lösungsbeitrag für unsere öffentlichen Nahverkehr, seine Fahrgäste und täglichen Verkehrsprobleme wurde sie fast über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergeben. Diese Nacht zur Lebenswirklichkeit. Im „Normal jahr“ Reihe werden wir in den folgenden Ausgaben mit 2017 berichteten im MiD-Interview gut zehn Pro weiteren Gesprächspartnern fortsetzen. zent der Erwerbstätigen, dass sie eine Homeof fice-Option nutzen würden – und dies meist nur VERÄNDERTER ALLTAG für einzelne Tage und nicht dauerhaft. Spätestens Mitte März war nicht mehr zu leug In den bisherigen Corona-Monaten stieg dieser nen, dass wir uns der Pandemie stellen müssen. Anteil auf ein Drittel, allerdings nicht gleicher Neue Verhaltensweisen wurden erforderlich. Der maßen. Für eine Differenzierung haben wir drei Alltag hat sich binnen kürzester Zeit radikal verän Gruppen eines ökonomischen Haushalts status dert. Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf be ermittelt. Diese Klassifizierung erfolgt nach dem währte Routinen, mentale Befindlichkeiten und Pro-Kopf-Äquivalenzeinkommen eines Haushalts nicht zuletzt die tägliche Mobilität. Doch damit mit einer an der Verteilung orientierten Gruppen nicht genug. Mindestens ebenso einschneidend einteilung. In die untere Gruppe mit einem mo und möglicherweise dauerhafter sind wirtschaft natlichen Pro-Kopf-Einkommenswert von bis zu liche Folgen. Dies gilt für einige Bürgerinnen und 1.300,- Euro entfallen 26 Prozent der befragten Bürger in zugespitzter Weise, aber natürlich auch Personen. Die mittlere Gruppe mit einer Grenze für die gesamte Gesellschaft. von 2.200,- Euro umfasst 45 Prozent, das darüber liegende Segment 29 Prozent. Beschäftige, die der Eine viel diskutierte und prägende Erfahrung für unteren dieser drei ökonomischen Statusgruppen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war angehören, berichten zu einem Anteil von 14 Pro Anteile Homeoffice und Kurzarbeit nach ökonomischem Verstärkter Online-Einkauf und Warenlieferung nach Hause Status Angaben in Prozent, nur Erwerbstätige* Angaben in Prozent 14 9 niedrig 24 29 33 mittel 18 76 91 40 hoch Online-Einkauf Warenlieferung 18 Homeoffice Kurzarbeit ja nein *einschließlich Selbständige und Beamte Personen ab 16 Jahren, MOBICOR 1. Welle 2020
7 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 zent davon. In den beiden höheren ökonomischen nach dem Lockdown häufiger zu tun als bisher. Statusgruppen lag der Homeoffice-Anteil zum Be Dies führt zu neuen Erfahrungen und Routinen, fragungszeitpunkt im Mai bei einem Drittel bzw. die unter Umständen erhalten bleiben. Anliefe sogar darüber. Es bestehen nicht überall Beschäf rungen durch einen Händler vor Ort nennen nur tigungsverhältnisse, die diese Möglichkeit zulas zehn Prozent der Befragten. Diese Option dürfte sen oder umsetzen. sich auf wenige Ad-hoc-Angebote von Geschäf ten oder Gaststätten beschränken, die Brücken Noch deutlicher fallen die Unterschiede aus, angebote geschaffen haben. Eher bleibt der Gang wenn nach dem Stichwort „Kurzarbeit“ gefragt in den Supermarkt erzwungene – und vielleicht wird. Diese Erfahrung stellte in den beiden oberen auch willkommene – Notwendigkeit. Ein Grund Einkommensgruppen mit jeweils 18 Prozent eher dafür, warum auch in der Phase der Ausgangs eine Ausnahme dar. Im unteren Einkommens beschränkungen ein beachtliches Mindestniveau segment betrug der Anteil dagegen immerhin unserer Alltagsmobilität erhalten geblieben ist. 29 Prozent. Die Arbeitssituation, ihre Beschrän Für beide Varianten – Online-Bestellung oder Vor- kung und damit auch die Auswirkungen auf die Ort-Anlieferung – fallen die Nutzeranteile mit Alltagsmobilität fallen somit unterschiedlich aus. einem höheren ökonomischen Status um einige Nur ein Teil der Erwerbstätigen kann sich in die Prozentpunkte größer aus. Auch in dieser Frage verhältnismäßig kommode Situation des Heim unterscheiden sich also die C orona-Lebenswelten. arbeitsplatzes zurückziehen. Zumindest kurzfristig und über die Mobilität hi Andere Auswirkungen auf die Mobilität haben naus sind Veränderungen in den sozialen Kon Veränderungen in Sachen Einkauf und Besorgung. takten zu betrachten. Auch dies haben wir er Gefragt nach häufigeren Online-Einkäufen geben fragt. So berichtet die Hälfte unserer Befragten 24 Prozent an, dies während und unmittelbar von vermehrten Online-Treffen mit Familie oder Veränderte Kommunikation Erwartungen für die nächsten sechs Monate nach Angaben in Prozent ökonomischem Status Angaben in Prozent Einschränkung des ernsthafte Lebensstandards Geldprobleme niedrig mittel Online-Treffen Telefonate mit Familie oder Freunden, mit Familie oder Freunden, 18 statt persönlich statt persönlich hoch ja nein Personen ab 16 Jahren, MOBICOR 1. Welle 2020
8 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Freunden als Ersatz für Besuche und gemeinsa Bereits anhand dieser wenigen Indikatoren fällt me Aktivitäten. Noch wichtiger war der bewährte eine Corona-Zwischenbilanz noch vor dem de Telefonanruf. 83 Prozent geben an, häufiger als taillierten Blick auf das Mobilitätsverhalten eher bisher zum Hörer oder Handy gegriffen zu haben. ernüchternd aus. Natürlich haben viele von uns Aufschlussreich ist, dass sich die Intensität dieser die Situation gut ertragen und gehen bisher un Ersatzkontaktpflege kaum nach dem ökonomi beschadet daraus hervor. Aber die MOBICOR- schen Haushaltsstatus unterscheidet. Ergebnisse zeigen, dass nur fünf Prozent der Be völkerung über keinerlei Einschränkungen oder Doch wie steht es um den Ausblick und die kom Veränderungen berichten. Noch nachdenklicher menden Monate? Hier zeichnen sich Ängste und sollte das Resultat stimmten, dass nur ein Drittel Befürchtungen ab, die mit der Alltagsmobilität gar keine Befürchtungen hinsichtlich der kom verbunden sind, aber weit darüber hinausreichen. menden sechs Monate hegt. Sei es, wie dargestellt, Insgesamt ein Drittel sieht eine Einschränkung bezogen auf den Lebensstandard oder finanzielle des Lebensstandards auf sich zukom men. Ein Existenzängste oder durch ebenfalls abgefragte Zehntel erwartet sogar „ernsthafte Geldsorgen“. Befürchtungen, etwa in Sachen Gesundheit: Nur Beides hängt deutlich von der individuellen öko ein Drittel der Bevölkerung zeigt sich sorgenfrei. nomischen Situation ab. Insbesondere die finan Zwei von drei Befragten dagegen sorgen sich in ziellen Sorgen betreffen Personen in den unteren der einen oder anderen Form. Dies betrifft die Einkommensgruppen in besonderem Maß. unteren Einkommensgruppen deutlicher und vielschichtiger, gilt aber in abgeschwächter Form ebenso für gut situierte Bürgerinnen und Bürger. 11% aller Wege wurden 2017 mit dem Fahrrad zurückgelegt. Wie wird sich dies entwickeln?
9 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 SCHON WIEDER UNTERWEGS, ABER NICHT UN- wieder erreicht. Vor allem durch mehr Aktivitäten BEDINGT WIE VORHER zu Fuß und vielleicht manchem Nachholbedarf wird die erbrachte Baseline teilweise sogar über Die inzwischen nicht mehr überraschende Er schritten. Ende Juni ergibt sich eine mittlere Un kenntnis in den Mai- und Juniwochen: Nach ei terwegszeit von gut 1,5 Stunden pro Person und nem auf der Hand liegenden Tief ging es schnell Tag. Die Anzahl der Wegeabschnitte einschließ wieder aufwärts. Dies zeigen Tracking-Ergebnisse, lich aller Fußetappen liegt bei etwas sechs. mit denen wir unsere Analyse der Alltagsmobili tät beginnen möchten. Sie decken einen Zeitraum Zumindest in dieser noch ohne Repräsentativitäts von mehreren Monaten ab. Nach einem Tiefpunkt anspruch zusammengestellten Tracking-Gruppe, vor Ostern gewinnt unsere Alltagsmobilität mehr die gemessen am bekannten Bevölkerungsschnitt und mehr ihr altes Niveau zurück. Bereits unmit ein wenig „zu mobil“ ausfällt, liegt die tägliche telbar mit der ersten Lockerung Anfang Mai ist ein Außer-Haus-Quote zur Mitte des Jahres 2020 wie solcher Sprung zu beobachten. Spätestens Ende der bei der MiD-Baseline von knapp 90 Prozent, Juni ist bei vielen Kennwerten das alte Niveau mitunter sogar darüber. Dies gilt in gleicher Form Unterwegszeit pro Tag und Person Wegeabschnitte pro Tag und Person Angaben in Stunden Angaben in Mittelwerten 04.05. 04.05. deutliche deutliche Reduzierung Reduzierung Shutdown Shutdown 11.04. 11.04. Ostersamstag Ostersamstag 16.03. 16.03. Beginn Beginn Shutdown Shutdown 1,8 8,0 1,6 7,0 1,4 Wegabschnitte pro Person pro Tag 6,0 Stunden pro Person und Tag 1,2 5,0 1,0 4,0 0,8 3,0 0,6 2,0 0,4 0,2 1,0 0,0 0,0 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 Fahrrad zu Fuß ÖPNV Auto Fußabschnitte auf Wegen einzeln ausgewiesen, etwa der Fußweg zur Haltestelle MiD-Baseline Tracking-Ergebnisse Eigenstudie MOTIONTAG
10 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 für die Summe der Tageskilometer sowie die Un de zumindest vorübergehend marginalisiert. Die terwegszeit pro Person, also sowohl für die Zeit, sen „Einschlag“ hat er noch nicht überwunden, die wir täglich mobil sind, als auch die Strecken, aber es ist eine Erholung erkennbar. Das Fahrrad die wir dabei zurücklegen. Unterstellt werden erfreut sich zeitweilig einer deutlich wachsen kann, dass der über mehrere Monate reichende den Beliebtheit, muss aber um die dauerhafte Kurvenverlauf für einen wirklich repräsentativen Stabilität dieses Zuwachses bangen. Der in den Querschnitt ganz ähnlich ausfallen würde, wenn verkehrsmittelbezogenen Abbildungen rot darge auch auf einem etwas geringeren Niveau. stellte Sockel des Autofahrens bleibt beachtlich, insbesondere sein Kilometeranteil. Widmen wir uns der im Tracking automatisch ermittelten Verkehrsmittelverteilung, illustrie Beachtlich ist auch das Geschehen im Fußverkehr. ren alle Indikatoren ebenfalls deutliche Verände Zurückgeworfen auf eine erzwungene Nahmobi rungen. Dies gilt in erster Linie für die Phase der lität haben viele von uns das Zufußgehen wieder gravierendsten Einschränkungen zwischen Mitte entdeckt. Das Tracking misst diese Anteile sensibel März bis Anfang Mai. Der öffentliche Verkehr wur und oft genauer als eine rückblickende persönliche Anteile der pro Person zurückgelegten Tageskilometer Verteilung der Wegeabschnitte pro Tag und Person Angaben in Prozent Angaben in Prozent 04.05. 04.05. deutliche deutliche Reduzierung Reduzierung Shutdown Shutdown 11.04. 11.04. Ostersamstag Ostersamstag 16.03. 16.03. Beginn Beginn Shutdown Shutdown 100 100 90 90 Anteil der zurückgelegten Kilometer 80 80 Wegabschnitte in Prozent 70 70 60 60 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 Fahrrad zu Fuß ÖPNV Auto Fußabschnitte auf Wegen einzeln ausgewiesen, etwa der Fußweg zur Haltestelle Tracking-Ergebnisse Eigenstudie MOTIONTAG
11 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Berichterstattung in einem selbst auszufüllenden So fällt eine erste Zwischenbilanz basierend auf Mobilitätstagebuch. Umso eindrucksvoller stellt den Tracking-Ergebnissen unterschiedlich aus. sich der feststellbare Zuwachs dar. Dies gilt vor al Das „Zurück zur Normalität“ ist unübersehbar. Es lem für die Unterwegszeit. Im Schnitt wird pro Tag gilt sowohl für das Aktivitätsniveau als auch für und Person etwa 20 Minuten gegangen, an Wo die Autonutzung. Für den insbesondere auf mitt chenenden sogar deutlich mehr. Dies ist ähnlich leren und längeren Strecken wichtigen öffentli lange wie die mittlere Zeit in einem Auto. Ein Teil chen Verkehr kann dies bis zur Jahresmitte noch ist natürlich dem fast durchweg schönen Wetter nicht verzeichnet werden. Anders die Nahmobi geschuldet. Aber dies ist nicht die alleinige Erklä lität mit Fuß- und Radverkehr. Sie hat die Mobili rung. Neue Aktivitäten und zeitweilig veränderte tätsroutinen der letzten Wochen und Monate weit Routinen waren entscheidender. über das gewohnte Normalmaß hinaus geprägt. Steigbügelhalter dafür war selbstverständlich das Während sich der Radverkehr nach den Tracking- Wetter, entscheidender aber vermutlich die per Ergebnissen von seinem „Corona-Hoch“ Schritt Verordnung entfallenden Möglichkeiten für Akti für Schritt verabschieden muss, gilt dies nicht vitäten mit größerem Aktionsradius. Schon jetzt für den Fußverkehr. Bis zum bisherigen zeitlichen kehren Urlaubswünsche und andere Reiseakti Ende unserer Auswertung Anfang Juni erfreut vitäten zurück. Je mehr sie sich in die Praxis um sich dieses „Verkehrsmittel“ einer ungebrochenen setzen lassen, desto eindeutiger wird das Mobili Beliebtheit. Ob diese neue Passion länger Bestand tätsgeschehen wieder durch Auto, Bus und Bahn haben wird, bleibt abzuwarten. Noch kann der geprägt sein. Fußverkehr als Gewinner gelten – ein Grund, ihm in der Verkehrsgestaltung künftig erheblich mehr Doch vor einem solchen Ausblick nun zu den Aufmerksamkeit als bisher zu widmen. MOBICOR-Befragungsergebnissen. Sie ermögli Außer-Haus-Quoten Tageskilometer pro Person Angaben in Prozent Angaben in Mittelwerten 16.03. 60 Beginn 100 Shutdown 90 50 80 Kilometer pro Person und Tag 70 40 60 50 30 40 20 30 20 10 10 0 0 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 nicht unterwegs unterwegs Fahrrad zu Fuß ÖPNV Auto MiD-Baseline Tracking-Ergebnisse Eigenstudie MOTIONTAG
12 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 chen eine noch differenzierte Bestandsaufnahme malsituation im Mai 2017 ergibt. Hierfür ziehen des Status quo in diesem Frühsommer. wir das MiD-Ergebnis für diesen Zeitpunkt heran. ALT UND JUNG, ARM UND REICH Dabei zeigen sich nicht in allen Bevölkerungsgrup pen die gleichen Verläufe. Das Minus fällt in den Die Ergebnisse aus der MOBICOR-Befragung von Altersgruppen mit hohen Anteilen von Berufstä 1.500 Personen im Alter ab 16 Jahren bestätigen tigen erwartungsgemäß größer aus als unter den die Tracking-Befunde. Die Erhebung erfolgte auf Seniorinnen und Senioren im Alter ab 65 Jahren. tragsbedingt zwischen Anfang Mai und der zwei Und auch sozio-ökonomische Unterschiede spie ten Juniwoche, also erst nach dem eigentlichen len eine Rolle. Segmente mit schlechter, guter Shutdown. Je weiter sich die Befragung von der oder sehr guter ökonomischer Lage unterschei engeren Lockdown-Phase entfernt, desto höher den sich. Während sich in den beiden statushohen fällt das Mobilitätsniveau aus. Waren Anfang Mai Gruppen bis in die ersten beiden Maiwochen un im Schnitt rund 70 Prozent der Befragten an „ih gewöhnlicherweise niedrigere Unterwegskenn rem“ Berichtstag außer Haus unterwegs, sind es ziffern zeigten als im Segment mit einer schlech Anfang Juni nahezu 90 Prozent. Im Durchschnitt ten Lage, haben sich ab Mitte Mai die gewohnten ergibt sich ein Wert von 79 Prozent. Dies sind je Verhältnisse wieder eingependelt. Je höher die doch noch immer weniger als die 85 Prozent, die ökonomische Lage, desto größer erneut der Mobi unser Vergleich mit der zuletzt gemessenen Nor litätsfußabdruck. Da zudem das mittlere Minus Außer-Haus-Anteile nach Altersgruppen Außer-Haus-Anteile nach ökonomischem Status Angaben in Prozent Angaben in Prozent gesamt 16 -
13 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 in der einkommensstärksten Gruppe am kleins proportional mit den bewältigten Kilometern ten ausfällt, hat die Pandemie diesen Unter wächst, kann auf die andere Verkehrsmittelwahl schied sogar verstärkt. Die kurzfristige Umkehr zurückgeführt werden. Ihre Vertreterinnen oder ist plausibel. Sie ist darauf zurückzuführen, dass Vertreter sitzen wesentlich öfter hinter dem Steu in bestimmten Bevölkerungsgruppen weniger er des eigenen Autos als einkommensschwächere Homeoffice-Möglichkeiten gegeben waren und Personen, die sich eher auf den ÖPNV verlassen so weiterhin die Notwendigkeit bestand, arbeits (müssen). Dazu später mehr. bedingt unterwegs sein zu müssen. Die Befragungsergebnisse lassen den Blick auf die Die wiedergekehrten Unterschiede zwischen Anlässe zu, warum wir unterwegs sind. Zu nor Arm und Reich spiegeln sich in den absoluten malen Zeiten erfolgt rund ein Drittel aller Wege Werten wider. Sowohl die durchschnittliche Ki berufsbedingt. Dies ist weniger, als oft unterstellt. lometersumme pro Person und Tag als auch die Aber in Corona-Zeiten reduziert sich der beruflich Unterwegszeit fallen in der ökonomisch stärks verursachte Anteil verständlicherweise deutlich. ten Gruppe am größten aus. 46 Tageskilometer Er beträgt gemittelt über Mai und Anfang Juni nur und 86 Tagesminuten bei hohem ökonomischen noch – oder immerhin – ein Viertel aller Anlässe, Status stehen 27 Kilometern und 64 Minuten bei aus denen wir aktuell unterwegs sind. Wenn Ar niedrigem Status gegenüber. Dass dabei der Zeit beitswege, dienstliche Wege und Ausbildungs bedarf in der einkommensstarken Gruppe nicht wege zusammengefasst werden, sind dies hoch Mobilitätsrückgänge in Prozent im Corona-Mai gegenüber MiD-Mai, Tageswerte pro Person nach Teilgruppen Mittelwerte und Rückgang in Prozent gegenüber dem MiD-Ausgangswert ökonomischer Status 16 bis 30 bis 50 bis 65 Jahre gesamt niedrig mittel hoch 29 Jahre 49 Jahre 64 Jahre und älter 79% 73% 78% 86% 74% 85% 78% 75% Unterwegsquote 2,4 2,1 2,2 2,8 2,2 2,6 2,6 2,0 Wege pro Tag 34 27 29 46 36 39 37 22 Kilometer pro Tag 75 64 75 86 70 79 85 65 Unterwegszeiten proTag 0 -10 -20 -30 MID-Referenzmonat Mai und Ergebnisse MOBICOR 1. Welle 2020, Personen ab 16 Jahren
14 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 gerechnet 42 von rund 170 Mio. Wegen täglich Effekten zu berücksichtigen, dass das Mobilitäts – in der Altersgruppe ab 16 Jahren. Entsprechend niveau insgesamt nach wie vor reduziert ist, ent nehmen anteilig gesehen andere Wegezwecke zu, standen durch mehr Zeiten zu Hause und die oft wie etwa der Freizeitverkehr. Der Einkaufsverkehr nicht freiwillige Beschränkung auf kurze Wege, hat absolut gesehen sogar schon wieder sein al wenn das Haus verlassen wird. Jedoch bleibt tes Niveau von 39 Mio. Wegen täglich erreicht. hervorzuheben, dass während der gesamten ver schärften Lockdown-Phase eine Grundmobilität Damit einher geht eine Verschiebung der Tages erhalten geblieben ist. ganglinie. Insgesamt liegt hier der aktuelle Verlauf absolut gesehen natürlich deutlich unter dem ur Dies drückt sich in den schon erwähnten, weiter sprünglichen Niveau. Aber auch diese Reduktion hin relativ hohen mittleren Unterwegszeiten aus. ergibt sich nicht linear, sondern plausibel in höhe Sie liegen im Mai/Juni 2020 mit 75 Minuten nicht rem Maß in den Morgen- und Abendstunden. mehr erheblich unter den sonst üblichen rund 80 Minuten. Zeit, die für lange Wege gespart wurde, Dies ist ein Umstand, der bei der Interpretation wurde also offenbar für Ausgänge zu Fuß oder mit der Veränderungen im Verkehrsmittelmix eine dem Fahrrad umgewidmet. wichtige Rolle spielt. Zusätzlich ist bei all diesen Fortsetzung auf Seite 23 Verkehrsaufkommen pro Tag absolut nach Wege pro Tag, ohne Wirtschaftsverkehr Hauptwegezweck Hochrechnung in Millionen Wegen Hochrechnung in Millionen Wegen 05:00- 08:00- 10:00- 13:00- 16:00- 19:00- 22:00- Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung 07:59 09:59 12:59 15:59 18:59 21:59 4:59 Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr MOBICOR MiD MID-Referenzmonat Mai und Ergebnisse MOBICOR 1. Welle 2020, Personen ab 16 Jahren
15 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 34% nutzen zurzeit lieber das Auto, anstatt Bus oder Bahn.
16 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Henrik Falk im Gespräch mit Andreas Knie und Robert Follmer, moderiert von Joachim Scholz Einige MOBICOR-Ergebnisse legen nahe, dass der öffentliche Verkehr zumindest zeitweise zum Verlierer der Pandemie geworden ist. Doch deckt sich dies mit Wahrnehmungen der IM INTERVIEW Betreiber? Und wie kann dem begegnet werden? Haben wir wirklich verkehrt g ewendet? Im Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Hamburger Hochbahn, Henrik Falk, diskutieren die beiden MOBICOR-Studienleiter Andreas Knie (WZB) und Robert Follmer (infas) die Ergebnisse und versuchen einen konstruktiven Ausblick zu geben. Das Gespräch moderierte Joachim Scholz von infas. Herr Falk, welche Auswirkungen hat die Corona-Pan- Angst, dass die Menschen wegen der Sorge einer An demie auf den ÖPNV in Hamburg? steckung nicht mehr U- und S-Bahn fahren, kann man Falk: In der Hochphase der Corona-Pandemie sind für das Kernpublikum nicht bestätigen. Allerdings war wir in Hamburg auf 30 Prozent runtergefahren. Das der ursprüngliche Zustand ja nicht ideal. Wir waren ja ist nicht weiter verwunderlich, viele sind zu Hause auf dem Sprung zur Wende, den öffentlichen Ver geblieben, weil es keine Mobilitätsanlässe gab. Inzwi kehr auszubauen. Diejenigen, die über Wahlfreiheit schen sind wir gesichert wieder bei 70 Prozent, was verfügen, die Autos haben, die alles Mögliche haben, ich so schnell nicht erwartet hatte. Dazu hat sicherlich die wir langsam in Bus und Bahn bringen wollten, das Thema „Masken“, aber auch ein Vertrauen in die haben wir noch nicht zurückgewonnen. In Berlin ist Hochbahn beigetragen. Doch man darf sich keiner jetzt beispielsweise mit der weitgehenden Einstellung Illusion hingeben: 100 Prozent werden erst wieder der E-Bikes von Uber, dem Ende von Clevershuttle und erreicht, wenn wir Corona vollständig im Griff haben. einigen E-Scooter-Anbietern, die Multimodalität erst Was nicht heißt, dass wir, um eine Mobilitätswende einmal verschwunden. Die Vielfalt, von der der ÖPNV zu bewerkstelligen, nicht noch weitere Maßnahmen auch profitiert hat, ist nicht mehr da. Deshalb sitzen benötigen. Der Blick in die Historie lässt aber vermu viele wieder im Auto. Und da müssen wir etwas tun. ten, dass der coronabedingte Einbruch nicht nach haltig ist. Nach der Spanischen Grippe 1918 hat der Bestehen denn Chancen, jetzt etwas für die Verkehrs- ÖPNV in den 20er Jahren in den Metropolen einen wende zu tun? massiven Ausbau erfahren. Falk: Eigentlich sind wir wieder in der Ausgangssitu Follmer: Überraschend sind die Ergebnisse hinsicht ation, die vor der Pandemie ganz gut aussah, wobei lich des Lockdown ja nicht. Ich bin allerdings skeptisch, sich in Hamburg eine besondere Situation ergeben ob die Pandemie einen Fortschritt bringt. Es sind ja hat. Die Bürgerschaftswahl fand ja kurz vor der Pan vor allem diejenigen mit Wahlfreiheit, die wirtschaft demie statt, die Koalitionsverhandlungen folgten mit lich besser Gestellten, die dem ÖPNV möglicherweise Verzögerung und unter dem Eindruck der Pandemie. auch länger den Rücken kehren. Ist nicht zu befürch Und bisher hatte man in Hamburg immer versucht, ten, dass der ÖPNV in ein Imageproblem rutscht? allen, auch den Autofahrern, gerecht zu werden und Knie: Die infas-Daten zeigen ja ein Hochfahren des nicht einzelne Lösungen zu präferieren – beispiels ÖPNVs, was optimistisch stimmt. Die weniger wahl weise Sharing-Systeme. Das hat sich jetzt geändert. freien Stammkunden sind weitgehend wieder da. Das sieht man schon daran, dass wir erstmalig eine Wenn die Verkehrsanlässe wieder hochfahren, die Verkehrsbehörde haben, die das Ziel Mobilitätswende Touristen und die Studenten wiederkommen, dann in ihrem Namen trägt. Politisches Ziel ist, bis 2030 ist man wieder in der Ausgangssituation. Die große den sogenannten Hamburg-Takt umzusetzen, so dass
17 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Hendrik Falk ist seit 2016 Vorstandsvorsitzender der Hamburger IM INTERVIEW Hochbahn AG. Er ist zudem Mitglied der „Nationalen Plattform Zu- kunft der Mobilität“ der Bundesregierung, im Policy Board UITP und im Präsidium des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Der Jurist war zuvor seit 2004 in verschiedenen Positionen bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) tätig, unter anderem als Leiter der Rechtsab- teilung, und seit 2008 als Vorstand für Finanzen und Vertrieb. jeder innerhalb von fünf Minuten ein Mobilitätsan dies nicht, aber der Schwung vor der Pandemie ist gebot zur Verfügung hat – sei es ein öffentliches nicht verloren gegangen, es gibt Grund zur Hoffnung. Verkehrsangebot, ein On-Demand- oder ein Sharing- Follmer: Ich habe im Rahmen der regionalen MOBI System. Das sind sehr ambitionierte Ziele, auf die COR-Aufstockungen in den Bundesländern Hessen, sich der Senat verpflichtet hat, um seine Klimaziele Bayern und Baden-Württemberg die Diskussion zu erreichen. Dazu sind 600 neue Haltestellen, eine geführt. Es gibt trotz allem gerade im Hinblick auf Aufstockung der Busflotte um 50 Prozent und vieles den ÖPNV Aufbruchsstimmung und Zuversicht, aber andere geplant. Über den Hamburg-Takt haben wir einige Zählungen zeigen, dass der Autoverkehr im Ver eine Chance, dass die On-Demand-Angebote auch gleich zum Vorjahreswert jetzt schon gewachsen ist, wirtschaftlich erfolgreich sein können. Ohne die Ein obwohl die anderen Verkehrsmittel eher bei 80 bis 90 bindung in eine gesamtstädtische Strategie wird das Prozent stehen, nur das Fahrrad regional zeitweise da nicht zu schaffen sein. rüber. Ich bin skeptisch, ob dem öffentlichen Verkehr Knie: Es gab bereits vor der Pandemie die Bereitschaft, durch die Pandemie nicht doch für längere Zeit etwas über Bus und Bahnen hinauszudenken. Jetzt ergeben verloren gegangen ist. sich jedoch gute Chancen, etwa durch die Experimen Knie: Es stimmt, insbesondere an der Stadt-Land- tierklausel. Auch gibt es beim Personenbeförderungs Grenze kippt es wieder hin zum Auto. Und man muss gesetz (PBefG) revolutionäre Reformideen. Es muss auch so ehrlich sein, festzustellen, dass die Kfz-Zulas jedoch darauf geachtet werden, dass die Bestellerent sungen in den vergangenen Jahren immer um zwei gelte, die jetzt wegen der Pandemie auf 2,5 Milliarden bis drei Prozent zugelegt haben. Aber es ist tatsächlich Euro aufgestockt wurden, nicht ausschließlich dafür eine positive Grundstimmung feststellbar. Und spezi verwendet werden, Betriebsverluste zu kompensieren. ell die Innenstädte müssen mehr tun. Die guten Dinge Es müsste möglich sein, damit auch neue Geschäfts kommen nicht von alleine. modelle zu fördern, insbesondere für die „letzte Meile“. Ich setze da Hoffnung auf Burkhart Jung (Ober Was muss passieren, um diese positive Grundstim- bürgermeister der Stadt Leipzig und Städtetagspräsi mung zu nutzen? dent), in München wie anderswo passiert einiges und Falk: Bislang fehlte eine Mobilitätsstrategie, die sich wir sind als WZB mit dem Senat in Berlin im Gespräch. politisch auch gut vermitteln lässt. Da herrschte Hier wird zum Beispiel darüber nachgedacht, eine viel Dogmatik links und rechts, es gibt beispielswei City-Maut einzuführen. In jedem Fall hat die leere und se keine systematische Verzahnung zwischen den ruhige Stadt während der ersten Pandemiewelle ein Angeboten der neuen Mobilitätsanbieter und dem Bild davon vermittelt, wie eine Stadt auch aussehen, ÖPNV. Die Hamburger Idee, binnen fünf Minuten ein sich anhören und benehmen könnte. Von alleine geht ÖV- oder Sharing-Angebot machen zu können, zeigt,
18 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 dass es nicht reicht, als ÖPNV-Unternehmen nur über Bahn stark heruntergefahren, VW hat einige Zukunfts den Ausbau von Bussen und Bahnen nachzudenken. produkte gestoppt, bei Share Now sind Ziele gekappt IM INTERVIEW Um die Mobilitätswende zu schaffen, bedarf es einer worden. Damit entfallen verbindende Glieder der strategischen und ernst gemeinten Einbindung sämt Verkehrswende, das integrierte System ist gekündigt. licher Sharing-Formen. Durch die „Nationale Plattform Hier muss nun die Wissenschaft mehr tun, aber auch Zukunft der Mobilität“ haben wir jetzt das Reallabor der Verband deutscher Verkehrsunternehmen und das Hamburg. Damit haben wir die Möglichkeit, dieses Bundesministerium für Verkehr und digitale Infra für Hamburg herauszufinden und es auf der Basis struktur. Wir hoffen ebenso darauf, dass die Zivilge der hier gewonnen Erkenntnisse deutschlandweit sellschaft mehr Druck aufbaut und Städte wie Berlin, zu simulieren. Diese Klarheit in der Vorgehensweise Hamburg oder München enger zusammenarbeiten. schafft die positive Grundstimmung. Wir haben jetzt viel über den städtischen Raum ge- Wie verhält es sich mit dem ländlichen Raum? sprochen. Lassen sie uns noch einmal den ländlichen Falk: Der Hamburg-Takt bezieht sich im ersten Schritt Raum betrachten. auf das Kerngebiet der Metropolregion, also Hamburg Follmer: Die Messungen zeigen, dass das Auto im selbst. Das war auch wichtig, weil wir die Komplexi ländlichen Raum immer schon eine zentrale Rolle tät zunächst nicht noch höher schrauben wollten. In spielte. Die längeren Strecken auf dem Land konnten der weiteren Folge geht es jetzt darum, die weitere auch während der Pandemie nicht auf zu Fuß oder sinnvolle Ausbreitung dieser Strategie zu konzipieren mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Insofern waren und zu erweitern. Das ist besser, als alle Probleme hier Auswirkungen bezogen auf den Verkehrsmix na auf einen Schlag lösen zu wollen, denn das wäre von türlich geringer, obwohl auch dort der ÖPNV zumin vornherein zum Scheitern verurteilt. dest zeitweise erhebliche Einbußen hatte. Knie: Die zentrale Frage wird sein, wie sieht die Stadt Falk: Mit der Konzentration auf Innovation im ländli von morgen aus? Wir müssen den öffentlichen Raum chen Raum wird man die Mobilitätswende aber nicht neu organisieren, was heißt, dem Auto Platz wegzu hinbekommen. Wir müssen, um schneller voranzu nehmen. Die Angebote werden nicht nur in der Tak kommen, gewisse Realitäten anerkennen. Grundsätz tung, sondern in der Betriebsform geändert werden lich wird im ländlichen Raum viel Auto gefahren und müssen. Auch die Finanzierungskomponente, also der ÖPNV ist tendenziell unattraktiver. Die Mobilitäts etwa Bestellerentgelte müssen besprochen werden, wende wird somit nicht vom ländlichen Raum in die so dass wir das Gesamtsystem diskutieren. Aktuell Metropole zu organisieren sein, sondern umgekehrt. konzentrieren sich viele Akteure stattdessen wieder Ich muss mich zunächst also auf die Metropolen auf das Kerngeschäft: Clevershuttle hat die Deutsche konzentrieren. Allerdings werden dabei viele Aspekte Robert Follmer ist bei infas als Bereichsleiter verantwortlich für die Mobilitäts- und Regionalforschung. Seit 30 Jahren befasst er sich als Diplom-Soziologe und Erhebungsexperte mit Fragestellungen rund um die Mobilität, die Stadtentwicklung und deren Zusammenhänge in Deutschland, auch mit internationaler Perspektive. Er verantwortet bei infas zahlreiche Mobilitätsstudien, unter anderem mehrfach die „Mobilität in Deutschland“ und aktuell die MOBICOR-Studie.
19 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Prof. Dr. Andreas Knie ist Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum IM INTERVIEW Berlin für Sozialforschung (WZB) und Hochschullehrer an der Tech- nischen Universität (TU) Berlin. Am WZB leitet er mit Dr. habil. Weert Canzler die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“. Im Juni 2018 übernahm er die Funktion des Head of Scientific Development der Choice GmbH. 2006 gründete er das Inno- vationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH. als gegeben angesehen, bei denen ich Zweifel habe: sen müssen hinterfragt werden, sowohl im ländlichen On-Demand-Angebote – funktionieren die eigentlich? Raum als auch im städtischen Verkehr. Bisher haben alle rote Zahlen geschrieben. Die Idee Follmer: Wenn Moia ins Stocken geraten würde und war immer, dass es sich erst rechnen wird, wenn die weitere Alternativen ebenfalls, muss es dann die Personalkosten der Fahrer wegfallen, also autonom Hochbahn machen? gefahren wird. Das kommt allerdings in frühestens Falk: Moia ist in enger Kooperation mit der Hochbahn zehn Jahren, wenn überhaupt. Anderseits müssen die entwickelt worden. Wir haben überlegt, ob wir uns Städte und Kommunen einsehen, dass eine Mobili auch wirtschaftlich engagieren, sehen aber, dass tätswende nicht funktionieren wird, indem einfach das keinen Sinn macht. Dass das erstmal ein reines nur der ÖPNV ausgebaut wird. Dies haben wir als Verlustgeschäft ist, war allen Akteuren von Anfang an Branche in 100 Jahren nicht geschafft, warum soll das klar. Es gilt aber die Wette, dass es betriebswirtschaft jetzt klappen? Es ist also ein flächendeckendes System lich so zu gestalten ist, dass das Geschäftsmodell nötig - mit einem Mix aus klassischem ÖPNV und au funktioniert. In diesem Fall muss ich diese Angebote toähnlichen Gefäßen, wer auch immer diese betreibt. als öffentliches Unternehmen gar nicht betreiben. Die Menschen sollen nicht auf ihr Auto angewiesen Wenn aber in der Ausschreibung Anforderungen sein, sondern in neue Sharing-Systeme wechseln. hinzukommen, so dass sich kein privatwirtschaftli Knie: Es gilt, die Stärken zu stärken. Nach wie vor wer cher Betreiber findet, es aber gleichzeitig strategisch den Neubaugebiete ohne ÖPNV geplant. Nach wie vor wichtig ist, dann würde ich es mir als Hochbahn gibt es auseinandergezogene Städte, die lange Wege überlegen. Weil klar ist, dass die Mobilitätswende verursachen. Zudem wachsen die Städte an den Rän alleine mit einem Großraum-ÖPNV nicht zu schaffen dern, wo der ÖPNV schwer hinkommt. Wir brauchen ist. Wenn aber private Firmen um den Auftrag pitchen stattdessen ein Hub-and-Spoke-Konzept, bei dem die und öffentliches Geld aufgewendet wird, dann sollte Menschen an kleineren Verteilern abgeholt werden. der Auftrag in diesen Kreis vergeben werden, da muss Denn wenn sie erst einmal im Auto sitzen, bleiben sie ich als Hochbahn nicht mitpitchen und bilde mir auch auch dort. Und da spielen autonome Shuttles sehr nicht ein, dass ich dies effizienter kann. Private Unter wohl eine Rolle. Pilotprojekte zeigen beispielsweise, nehmen haben ihre Berechtigung. Den großen Kriti dass ältere Menschen auf dem Dorf das autonome kern, die fordern, dass der ÖPNV alles selbst betreiben Shuttle, das vor ihrer Tür hält, auch nutzen. Und in soll, muss man sagen: So klappt Innovation nicht, Dörfern sind solche Shuttles jetzt schon technisch das ist angstgetrieben. Die Diskussion hatten wir am möglich. Allerdings gibt es gegenwärtig keine Akteure, Anfang mit Car2go und Drive Now. Am Ende hat nicht keine Industrie, die das umsetzt. Es fehlt der Transmis einmal eine Kannibalisierung stattgefunden. sionsriemen. Das heißt, die ganzen Planungsprämis
20 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Also geht es darum, verschiedene Player an einen Gesprächsrunde in politischer Verantwortung wäre, Tisch zu bekommen? würde das auch keiner von uns probieren. IM INTERVIEW Falk: Der Verkehrsverbund ist nicht nur für den ÖPNV Follmer: Hat die Pandemie die Achillesferse des ÖPNV da. Wenn die Mobilitätswende befeuert werden soll, aufgedeckt? Wie steht es um die Aufenthaltsqualität muss der Verbund separate Unternehmen zusam im ÖPNV mit Blick auf die Autofahrer? Müssen Ihre menbringen. Wenn ich das Bedürfnis habe, Themen geplanten 700 neuen Haltestellen und die Busse nicht wie Radverkehr, Sharing-System, ÖPNV-Zusammen schöner und angenehmer werden als bisher? arbeit zu organisieren, benötige ich eine planerische Falk: Wenn unter Fachleuten über Infrastruktur gere Kompetenz, die heute noch keiner hat. Und niemand det wird, geht es vorrangig um Mengen, also Zahl der kann genau simulieren, wo sich welche Verkehre Haltestellen oder Fahrzeuge. Aber uns ist klar, dass der entwickeln werden oder wo und wann On-Demand- Schlüssel zum Erfolg beim geplanten Hamburg-Takt Angebote Sinn machen. Da sehe ich die öffentliche im Bereich Service liegen wird. Das heißt Durchgän Hand gefordert. Sie muss entwickeln, aber nicht selbst gigkeit und Einheitlichkeit vom Kunden her gedacht. betreiben. Und wir machen einiges bereits gut. Allerdings fällt es Knie: Die ursprüngliche Idee war ja, dass die Konzerne uns hier in Hamburg auch schwer, Dinge zu über die letzte Meile aus unternehmerischer Perspektive nehmen, die die S-Bahn gut macht. Und wenn alle alleine betreiben. Dass das nicht aufgehen kann, ist Shuttle-Betreiber ihr eigenes Geschäftsmodell und heute klar. Deshalb stellt sich die dringende Frage: unterschiedliche Qualitätsstandards haben, wird es Wer kümmert sich um die Finanzierung, wer um die schwierig, eine einheitliche Aufenthaltsqualität zu Planung? Aber das sind nur erste kleine Ansätze. In entwickeln. Eine Zusammenarbeit bis hin zu einer der Diskussion wurden beispielsweise Clevershuttle gemeinsamen Denke zu organisieren, ist eine riesige und Berlkönig betrachtet, als ob es Feinde wären. Was Aufgabe. fehlt, ist eine Koalition der Akteure. Und dazu brau Knie: Wir fangen damit an, Bestellerentgelte nicht in chen wir eine andere Betrachtung von Stadt. Diese klassischen Ausschreibungen von Bus- und Bahnkilo Debatte wird außerhalb von Deutschland bereits metern zu vergeben, sondern dabei auch Zielvereinba massiv geführt, etwa in Belgien, in den Niederlanden rungen über Qualität mit einzufordern. Und Mobi oder in Frankreich – nur in Deutschland nicht. Hier litätsbudgets müssen als großes Thema steuerlich sagen die Kommunen: Wir können die Autoindustrie begünstigt werden. nicht gefährden, sonst sterben Arbeitsplätze und Un ternehmensstandorte. Insofern müssen die Angebote Wird es denn neue Ticketarten geben, etwa für Pend- in Hamburg, Berlin und München gebündelt werden, ler, die aufgrund von Homeoffice nur noch ein paar um gemeinsam neue Akzente zu setzen. Tage pro Woche fahren? Falk: Wir müssen die Projekte der Wissenschaft so Falk: Homeoffice heißt ja nicht, dass ich 24/7 zu transparent machen, dass von dort über den Einzel Hause bin. Die Fahrtanlässe werden sich verschieben. versuch hinaus allgemeingültige Erkenntnisse kom Und in den Nebenzeiten hatte der ÖPNV schon immer men. Und wir lernen: Ich muss vor Ort probieren, was Kapazitäten frei, unsere durchschnittliche Auslastung funktioniert und was nicht. Wir werden in Hamburg in liegt bei 40 Prozent Die große Chance des Homeoffice Kürze die autoarme Innenstadt testen. Es wird einen besteht darin, dass Menschen in den Zeiten den ÖPNV autofreien Jungfernstieg und eine autofreie Möncke nutzen, zu denen wir schon vor Corona massig freie bergstraße geben und wir werden das mit Forschung Kapazitäten hatten. begleiten. Nach allen Diskussionen etwa in Kopenha gen oder Wien zeigt sich, dass Plätze Schritt für Schritt Herr Falk, Herr Knie, Herr Follmer: Herzlichen Dank für wieder zurückzuerobern sind. Dies lässt sich nicht von das Gespräch. heute auf morgen bewerkstelligen - und wenn unsere
21 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 Projekt und Methoden Tracking-Ergebnisse noch auf einem nicht repräsenta tiven Testsample mit etwa 1.000 beteiligten Erwach Das Forschungsvorhaben „MOBICOR“ wurde vom senen. Die auf dieser Grundlage bereits ermittelten Bundesministerium für Bildung und Forschung Eckwerte wie etwa Aktivitätsquoten oder Tagesstre (BMBF) angeregt und wird auch finanziell als ein cken entsprechen in ihrer Ausprägung bekannten Pa Gemeinschaftsprojekt von WZB, infas, MOTIONTAG, rametern aus repräsentativen Studien. Die so erfolgte Nuts One und nexus unterstützt. Gegenstand der externe Validierung über die aus der MiD abgeleiteten Forschung ist es, die Beweglichkeit der Gesellschaft Erwartungswerte zu „Normalzeiten“ sprechen für die vor, während und nach der Corona Pandemie zu Nutzugsmöglichkeit der Tracking-Ergebnisse. Ab Juni vermessen, zu analysieren und hinsichtlich ihrer wird diese Stichprobe erweitert und mit der repräsen Wandelbarkeit zu verstehen. Dabei sollen qualitative, tativen Befragung verknüpft. In Kürze werden damit quantitative sowie neue digitale Erhebungsmethoden auch für diesen Teil repräsentative Ergebnisse zur eingesetzt werden. Verfügung stehen. Wichtige Grundprinzipen sind da bei transparente Information, Freiwilligkeit und eine Die Befragungen Auswertung nach den gültigen Datenschutzkriterien, um die Identifikation von Einzelfällen auszuschließen. MOBICOR ist als Längsschnittbefragung angelegt und damit ein echtes Panel. In drei Wellen beginnend im Die von MOTIONTAG entwickelte App zeichnet Mai 2020 sollen zunächst bis zum Jahresanfang 2021 Bewegungsdaten Smartphone-basiert auf. Gleich in einem repräsentativen Ansatz zufällig ausgewähl zeitig errechnet sie anhand stetig weiterentwickelter te Bürgerinnen und Bürger telefonisch sowie online Algorithmen weitgehend automatisch und in Echtzeit befragt werden. Die bundesweite Ausgangsstichprobe die genutzten Verkehrsmittel. Dabei werden zehn beträgt 1.508 Interviews. Hinzu kommen separat aus Verkehrsmittel unterschieden. Es wird die zurückge gewertete regionale Aufstockungen in den Bundes legte Entfernung bestimmt sowie die Zeit, die man ländern Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Die dafür benötigt hat. Mit Unterstützung der Probanden zugrunde liegenden echten Zufallsstichproben basie ebenfalls möglich ist eine Kategorisierung der Aufent ren bundesweit auf einem Dual-Frame-Verfahren und haltsorte. Hierzu planen wir zurzeit Erweiterungen, regional auf Festnetzstichproben. Grundgesamtheit um auch dies in einem höheren Grad zu automatisie ist die deutschsprachige Bevölkerung im Alter ab 16 ren und so den Aufwand für die Teilnehmerinnen und Jahren. Der Fragebogen orientiert sich an der Vorge Teilnehmer zu reduzieren. hensweise der Studie „Mobilität in Deutschland“, die infas zusammen mit Partnern für das Bundesminis Wie wir fortfahren terium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) durchgeführt hat. Frageformulierungen wurden In weiteren Schritten werden wir die begonnenen übernommen. Damit ist die Anschlussfähigkeit an die Analysen vertiefen und das Panel fortführen. Die Ergebnisse aus dieser Leitstudie gewährleistet. Berichterstattung erfolgt kontinuierlich jeweils nach dem Abschluss einer Erhebungswelle. Unser besonde Die App res Augenmerk gilt dabei der sozialwissenschaftlichen Perspektive. Bei Bedarf werden wir auch Zwischen Zusätzlich setzen wir ab Anfang Juni die Tracking-App auswertungen auf Basis des Trackings zur Verfügung mobico ein. Sie wird ab August Ergebnisse bereit stellen. stellen. Für die Monate Januar bis Juni basieren die
22 MOBILITÄTSREPORT 02 AUSGABE 30.07.2020 DIE VERKEHRSMITTELWAHL – EIN NEUER verteidigt. Hintergrund dafür dürfte die Tatsache MODAL SPLIT? sein, dass die Mehrheit der Fahrgäste außerhalb der Stadtregionen ohnehin nicht wahlfrei ist. Ihr Die Aufteilung der Verkehrsmittel zieht in der steht oft kein Auto zur Verfügung und die ÖV- Regel die größte Aufmerksamkeit auf sich. In der Distanzen sind in der Regel zu groß, um für den aktuellen Situation hat dies eine besondere Be Radverkehr in Betracht zu kommen. rechtigung. Denn während sich abzeichnet, dass Tagesstrecken, Unterwegsquoten und –zeiten Werden Stadt und Land wieder zusammenge eher früher als später wieder das gewohnte Ni fasst und ein weiteres Mal die Unterschiede nach veau erreichen werden, ist dies bei der Verkehrs Einkommensgruppen betrachtet, sticht insbe mittelwahl keine Selbstverständlichkeit. sondere das Verhältnis zwischen MIV und ÖV ins Auge. Im hohen Einkommenssegment verzeich Und tatsächlich lohnt sich der genauere Blick. Der net der ÖV gegenwärtig nur einen Anteil von zwei übliche Wege-Modal-Split, den wir in der Befra Prozent aller Wege. Vor dem Corona-Geschehen gung analog zum bisherigen MiD-Verfahren er waren es acht Prozent. Unter den „oberen Zehn mitteln, zeigt Erstaunliches. Prozentual gesehen, tausend“ fährt gegenwärtig kaum jemand mehr ist vor allem das Zu-Fuß-Segment – wie schon öffentlich. Gestiegen ist dafür der ohnehin schon im Tracking – der große Gewinner. Der Anteil der hohe Autofahreranteil. Er liegt nun bei 58 statt nur zu Fuß zurücklegten Wege steigt für die Be sonst bei 54 Prozent. Dieser Abstand wird sich völkerung ab 16 Jahren von rund 20 Prozent in vergrößern, wenn sich der Zu-Fuß-Anteil wieder einem „Normal-Mai“ auf 27 Prozent in unseren normaleren Verhältnissen annähert, also tech rund sechs Beobachtungswochen im Frühsom nisch ausgedrückt Prozentpunkte abgibt. Anders mer 2020. Zu Beginn dieser Periode konnte er so möglicherweise in der ökonomisch gesehen unte gar die 30-Prozent-Marke überschreiten, um sich ren Gruppe. Der Autoanteil sinkt hier etwas. Der danach wieder langsam zu reduzieren. Trotzdem Fußverkehr hat in diesem Segment mit 30 statt zu hält er nach wie vor ein beachtliches Niveau. normalen Zeiten 22 Prozent im Vergleich zur übri gen Bevölkerung den größten Anteil. In der prozentualen Verteilung ergeben sich da raus rechnerisch Auswirkungen auf die übrigen Verkehrsträger. Wird der Gesamt-Modal-Split nach städtischen und ländlichen Regionen un terschieden, zeigen sich sowohl bei den aktuellen Zu-Fuß-Anteilen als auch den übrigen Verkehrs trägern Unterschiede. In den Stadtregionen neh men Fuß- und Radverkehr zusammen 42 Prozent ein. Der MIV kommt auf 53, der ÖV auf sieben Prozent. Im Vergleich zu den MiD-Werten bedeu tet dies vor allem für Bus und Bahn einen herben Rückschlag. Die Pkw-Anteile sind stabil, wobei die Mitfahreranteile coronabedingt etwas in Mitlei denschaft geraten. Fuß- und Radverkehr legen gemeinsam betrachtet zu. In den ländlichen Regi onen ist dies ähnlich, wobei der ÖV sein dort mit fünf Prozent ohnehin geringes Niveau anteilig
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