HOSPIZ- UND PALLIATIVVERSORGUNG IN KRISENZEITEN - Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Juli 2020 Ausgabe 84 HOSPIZ- UND PALLIATIVVERSORGUNG IN KRISENZEITEN
Liebe Leserinnen und Leser, Menschen, die mit Sterbenden und Trauernden arbeiten, haben Erfahrung mit Krisen. Die Corona Krise hat sie nun aber auf andere Weise berührt. Da war eine große Unsicherheit, die Angst vor dem Unbekannten, die veränderte Kommunikation oder die Sorge um die Vereinsamung besonders der alten Menschen. Und da gab es noch weitere Themen wie die Bedenken der ambulanten Hospizdienste wegen geringer Begleitungszahlen oder der stationären Hospize wegen der zunächst unklaren Rahmenbedingungen. In den Anfängen waren alle zutiefst verun- sichert. Vorsicht bleibt geboten, denn wir sehen, wohin Unbekümmertheit und Nachlässigkeit führen. In der Zwischenzeit haben wir bei aller Fragilität etwas mehr Routine im Umgang mit dem Virus bekommen. Wir gewöhnen uns an Abstände und finden alternative Formen zwischenmenschlichen Umgangs. Neben den kreativen und alltagspraktischen Fertigkeiten kann die Hospiz- und Palliativ- versorgung in dieser Krise Werte nutzen, die Grundlage ihrer Identität darstellen, wie Zuversicht, Geduld, Solidarität, Demut oder Vertrauen. Beide Qualitäten finden sich in den Beiträgen unserer Autorinnen und Autoren wieder. Eine gute Lektüre wünscht Ihnen Ihre Dr. Gerlinde Dingerkus INHALT 4 Solidarität in der Krise 15 Die ambulante Hans-Werner Bierhoff palliativmedizinische Begleitung unter Coronabedingungen 6 Kreativ durch die Corona-Krise Interview mit Jan Everts und Dietmar Susanne Schübel Schlewing 8 „PandeMimik“-Tipps 17 Die Palliativ-Ampel Gute Kommunikation trotz Thomas Sitte Maskenpflicht Mareike Neumayer 20 Bestattungen in Zeiten der Krise Christian Jäger 10 Wir sehen uns! Dieter Lange-Lagemann 23 Hospiz- und Palliativversorgung in Corona-Zeiten – 13 Ganzheitlichkeit in der Krise ein Perspektivwechsel Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Susanne Kiepke-Ziemes, Jürgen Goldmann Andrea von Schmude, Martina Kern 26 Veranstaltungen 27 Impressum
4 SOLIDARITÄT IN DER KRISE HANS-WERNER BIERHOFF S olidarität stellt eine wichtige gesell- Die Grundlage dafür ist die Perspektivenübernah- schaftliche Grundlage dar. Das gilt gera- me bezogen auf die Interessen anderer. de auch für moderne Gesellschaften. Eine Gesellschaft ohne Solidarität ist Beide Formen der Solidarität beruhen auf unter- schwer vorstellbar. Trotzdem wird Solidarität immer schiedlichen Werten. Während die erste auf Werten wieder in Frage gestellt und neu etabliert. Einerseits der Selbst-Erhöhung beruht (es geht um die Ver- haben Hilfsorganisationen wie die Hospizbewegung besserung der eigenen Situation in Kooperation es übernommen, Solidarität mit Menschen, die sich mit anderen, die sich in einer ähnlichen Situation in einer Notlage befinden, zu organisieren. Ande- befinden), beruht die zweite auf Werten der Selbst- rerseits wird die Solidarität durch gesellschaftliche Überwindung (es geht darum, eigene Leistungen und kulturelle Veränderungen bedroht. Ein Beispiel zugunsten anderer Menschen zu erbringen). Mit ist die Globalisierung, die in ihren Auswirkungen Selbst-Erhöhung sind eigene Zielsetzungen verbun- auf die Solidarität noch nicht hinreichend erforscht den, die möglicherweise besser erreicht werden ist. können, wenn sich die Betroffenen zusammen- schließen, weil durch den Zusammenschluss das Der Begriff der Solidarität hat mehrere Bedeutun- Gewicht erhöht wird, das dem gemeinsamen Anlie- gen. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei gen verliehen wird. Mit Selbst-Überwindung rücken zu nennen. Die eine Bedeutung ist die der Koope- Zielsetzungen anderer Menschen, die sich die Ak- ration auf der Grundlage gemeinsamer Interessen teure gewissermaßen zu ihren eigenen Zielsetzun- der beteiligten Personen, die einer Binnengruppe gen machen, in den Mittelpunkt. angehören. Ein Beispiel dafür ist die Gewerkschafts- bewegung. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass sich individuelle Die zweite Bedeutung ist die des Eintretens der Werte nach Selbst-Erhöhung und Selbst-Überwin- Stärkeren für die Schwächeren, das durch eine dung unterscheiden lassen. Das bestätigt indirekt, altruistische Orientierung gekennzeichnet ist. Ein dass die Gegenüberstellung der zwei Formen der Beispiel ist die Solidarität mit der Dritten Welt, für Solidarität sinnvoll ist, weil sie auf der allgemeinen die sich zahlreiche Hilfsorganisationen engagieren. Wertestruktur beruht. Werte der Selbst-Überwin- dung sind Wohlwollen, Toleranz, Gerechtigkeit und Schutz der Menschen und der Natur. Werte der Selbst-Erhöhung sind Macht, sozialer Status, Dominanz und persönlicher Erfolg. Selbst-Erhö- hung und Selbst-Überwindung schließen sich gegenseitig aus. Wie schon erwähnt, stehen sie mit © Gerd Altmann auf Pixabay Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 unterschiedlichen Formen der So- lidarität im Zusammenhang. Im Folgenden wenden wir uns der Solidarität mit den Interessen an- derer zu, die eine Bereitschaft beinhaltet, unterprivilegierte und
5 Am meisten Sorge hat mir bereitet, dass Angehörige und Freunde der sich im Sterben befindlichen Bewohner falsch Zweck zu beteiligen und die Rückbesinnung informiert waren und glaubten, sie dürften die Einrichtung auf freiwilliges soziales Engagement zuge- nicht betreten. Eine weitere Sorge war jedoch, dass wir auf- nommen. Die Verwirklichung der Solidarität grund der Coronaschutzverordnung und dem körperlichen hat sich an unterschiedliche soziale Kon- Abstand, den wir alle einhalten müssen, den Trauernden die texte angepasst. So lassen sich politische gebotene Fürsorge nicht zuteil werden lassen können. Verantwortung einschließlich der Verantwor- Einrichtungsleitung, Pflegeeinrichtung in privater Trägerschaft, tung für die Dritte Welt, Familiensolidarität, 80 Bewohnerinnen und Bewohner gewerkschaftliche Solidarität, Solidarität in bestimmten Berufsgruppen und Solidarität mit den Kranken und Schwachen nennen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hin- zuweisen, dass viele Formen der Solidarität hilfsbedürftige Personen zu unterstützen. Das so- von der internetbasierten Vernetzung der Beteilig- ziale Lernen und die Entwicklung des Gewissens ten profitieren. stellen die Voraussetzung dafür dar, die Interessen des Selbst zu überwinden. Das Gewissen beinhal- Die Sorge wegen einer möglichen Krise der Solida- tet Verpflichtungsgefühle dafür Gutes zu tun, um rität ist berechtigt. Die Ergebnisse repräsentativer der sozialen Verantwortung zu entsprechen. Diese Umfragen, die im Deutschen Freiwilligensurvey des Verantwortung hängt mit dem Eintreten füreinan- Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen der in Zusammenhang, das durch die Fürsorge für und Jugend aus dem Jahre 2014 zusammengefasst Familienangehörige untereinander verdeutlicht sind, machen aber Hoffnung. Danach gehen 18.1 % wird. Aus diesem prosozialen Engagement in der der ehrenamtlichen Mitarbeitenden der freiwilligen Familie kann sich ein weiter gefasstes Engagement Tätigkeit mit einem Zeitaufwand von mehr als entwickeln, das dem gesellschaftlichen Zusammen- sechs Stunden nach und 58.1 % mit bis zu zwei halt dient. Familiensolidarität ist eine Vorstufe für Stunden. Das spricht dafür, dass das Engagement eine weiter gefasste Überwindung des Eigeninte- der Freiwilligen sich auf einem hohen Niveau be- resses, die es ermöglicht, auf die Bedürfnisse an- findet. Der Schwerpunkt der Freiwilligentätigkeit derer Menschen einzugehen. liegt auf den Bereichen „Sport und Bewegung“, „Kindergarten und Schule“, „Kultur und Musik“ Solidarität begegnet aber immer neuen Herausfor- und im Sozialen. Bemerkenswert ist auch, dass der derungen. In diesem Zusammenhang ist die Indivi- relative Anteil der Befragten, die sich freiwillig en- dualisierung der Gesellschaft zu nennen, die eine gagieren, zwischen 1999 und 2014 kontinuierlich Ich-Orientierung fördert. Außerdem besteht ein angestiegen ist. Dieser Anteil liegt in der neuesten erheblicher Wettbewerbsdruck, der sich im ökono- Erhebung bei beachtlichen 43.6 %. Solidarität ist mischen Bereich verschärft hat, der auch den definitiv kein Auslaufmodell, auch wenn die Gesell- Gesundheitsbereich erfasst hat. Betriebswirt- schaft durch aktuelle Krisenerscheinungen gekenn- schaftliche Denkweise kann solidarisches Handeln zeichnet ist. erschweren, wie etwa der Wettbewerbsdruck im Gesundheitsbereich zeigt. Die Globalisierung kann ebenfalls eine Krise der Solidarität auslösen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die internationalen Kontrollmechanismen langsamer entstehen, als die Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Globalisierung voranschreitet. Dann kann es zu Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff einem internationalen Standortwettbewerb kom- Fakultät für Psychologie IB, Postfach 35 men, der auf Kosten der Rechte der beteiligten Ruhr-Universität Bochum Arbeitnehmer ausgetragen wird. Universitätsstr. 150 44801 Bochum Gleichzeitig hat aber auch die Bereitschaft der Men- schen sich an Freiwilligenarbeit zu einem guten
6 KREATIV DURCH DIE CORONA-KRISE SUSANNE SCHÜBEL D er Terminkalender für 2020 war durch- personen nicht ausreichend mit Schutzmaterialien geplant, der Einführungskurs in die am- versorgt werden konnten. Lange vor Einführung der bulante Sterbebegleitung gut besetzt. Maskenpflicht begann der Verein, gemeinsam mit Tischgespräche, Trauerspaziergänge, Näherinnen der Kreativgruppe des Fördervereins Beratungsgruppen, Supervision und als Höhepunkt Stoffmasken herzustellen – aus hochwertigem eine Kunstausstellung mit Zeitschenker-Lesung Material, bis zu 90 Grad waschbar. „Von Anfang an und ein Tag der offenen Tür standen an. Doch dann war uns wichtig, die Masken kostenlos an jene zu kam Corona und machte allen Planungen des Am- verteilen, die sie am dringendsten brauchen“, sagt bulanten Hospizdienstes Herne einen Strich durch die Koordinatorin Annegret Müller. Bis Anfang Juni die Rechnung. Von einem auf den anderen Tag ging konnten auf diese Weise mehr als 2.000 Community der Verein in den Lockdown. Dem Schock der ersten Masken abgegeben werden. Müller: „Wir haben in Tage folgte rasch ein kreativer Aufbruch in Neuland. den Medien aktiv auf unser Angebot aufmerksam gemacht und zum Beispiel auf Facebook eine Rie- Ambulante Sterbebegleitung ohne menschliche senresonanz erzielt. Das führte nicht nur zu Geld- Nähe ist eigentlich nicht möglich, sagt die Koordi- und Materialspenden sowie einer Flut von Anrufen natorin Karin Leutbecher. Zudem gehörten viele der und Mails, manche auch aus anderen Städten und Ehrenamtlichen selbst einer Risikogruppe an und Bundesländern, wir konnten auch drei weitere mussten schweren Herzens ihre Begleitungen aus- Näherinnen gewinnen, die uns bienenfleißig unter- setzen. „Am Anfang blieb uns nur das Telefon, um stützt haben. Das hat uns besonders erfreut.“ mit den Betroffenen und ihren Angehörigen, aber auch mit den Ehrenamtlichen in Kontakt zu bleiben“, Über ambulante Hospizarbeit ins Gespräch kommen so Karin Leutbecher. Das neue Diensthandy stand Gleichzeitig wirkte sich die Aktion positiv auf die selten still. Parallel sorgten die Koordinatorinnen Wahrnehmung der ambulanten Hospizarbeit ins- dafür, dass die Hotline des Palliativ-Netzwerkes gesamt aus. Annegret Müller: „Die Verteilung der Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel immer Masken gab uns Gelegenheit, mit Anrufern und Ab- besetzt und mindestens eine Ansprechpartnerin holenden über ambulante Hospizarbeit ins Ge- vor Ort erreichbar war. spräch zu kommen. Jeder ausgehändigten Maske legten wir nicht nur eine Pflege-Anleitung bei, son- 2.000 Community Masken dern auch unseren aktuellen Infobrief. Betroffene, Schon sehr früh in der Corona-Krise fiel den Herne- aber auch Einrichtungs- und Teamleitungen von rinnen auf, dass beruflich Pflegende und Betreu- Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten schütteten ende, aber auch pflegende Angehörige und Risiko- uns bei der kontaktlosen Übergabe ihr Herz aus. Wir führten unzählige Gespräche über unsere Ar- beit — draußen vor der Tür, im Hausflur, auf dem Parkplatz oder auch direkt an der Nähmaschine.“ Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 © Ambulanter Hospizdienst Herne Während Besuchsverbot Da-Sein und Zeit- Schenken am Krankenbett Als Angehörige und Ehrenamtliche ab 20. März kei- nen Zugang mehr zu den evangelischen Kranken- häusern erhielten, ließ sich die Koordinatorin und Krankenhausseelsorgerin Karola Rehrmann häufi- ger auf Stationen entsenden, um dort vermehrt
7 Besuche zu machen. Die dortigen Pflegekräfte zeig- schenker haben wir gefilmt und hochgeladen.“ Da- ten sich dankbar für Unterstützung, waren sehr bei erhielt der Hospizdienst viel Zuspruch und hilfsbereit und aufgeschlossen. Patientinnen und Unterstützung. Die bekannte Bochumer Schauspie- Patienten reagierten freudig überrascht auf Rehr- lerin Maria Wolf stellte honorarfrei Texte für Online- manns Anwesenheit. Bereitwillig erzählten sie von Lesungen zur Verfügung. Wolfgang Flunkert, ihren persönlichen Sorgen, Ängsten und Unsicher- Kreiskantor des Kirchenkreises Herne, zeichnete heiten in Bezug auf die eigene Erkrankung und die ausgewählte Orgel-Stücke auf, die er sogar mit Pandemie. Der fehlende Besuch, insbesondere von einer kleinen Erläuterung versah. Karin Leutbecher: nahen Angehörigen, stimmte sie traurig und ver- „Das hat uns wirklich viel bedeutet.“ Die Zahlen stärkte ihr Gefühl des Allein- und Ausgeliefertseins. können sich sehen lassen: Seit dem Kickoff Ende Ihr wichtigstes Kontaktmittel nach draußen war das April schauten sich dort mehr als 2.000 Nutzer die Telefon. Karola Rehrmann: „Mein persönliches Fazit Videos an, 85 feste Abonnenten möchten informiert aus diesen Begegnungen ist: Begleitung und Unter- werden, wenn es beim Hospizdienst etwas Neues stützung mit Nase-Mund-Schutz, ohne körperliche gibt. Die Community auf Facebook stieg während Berührung und mit weitem Abstand sind gewöh- der Lockdown-Zeit auf fast 1.000 Freudinnen und nungsbedürftig. Überraschenderweise kann trotzdem Freunde an. ganz viel Nähe im Gespräch entstehen. Das Da-Sein und das Zeit-Schenken werden dankbar angenom- Kontakt halten mit modernsten technischen Mitteln men und als hilfreich erlebt.“ Im Rückblick zählen die Koordinatorinnen das Gefühl des Abgeschnittenseins von allem zu den Kunstausstellung und Lesungen im eigenen You- größten Herausforderungen während der Pande- Tube-Kanal mie-Hochphase. „Dabei war es uns so wichtig, in Zu den Höhepunkten des Hospizdienst-Jahres 2020 Kontakt zu kommen und zu bleiben. Das hat uns sollte die lange geplante Kunstausstellung „Ren- alle viel Kraft gekostet: Wo muss ich mich melden? dezvous mit dem Leben“ der Malerin Inge Weber Wen muss ich erinnern? Wie kann ich den Austausch gehören, kombiniert mit der Lesung „Zeitschenker im Fluss halten?“, sagen Leutbecher, Rehrmann und lesen Lieblingstexte“ und einem Tag der offenen Müller übereinstimmend. Um den Informations- Tür als Finissage im Juni. Die Vernissage im Februar fluss zu erhalten, mussten sie sich auf für den Ver- konnte der Verein noch wie geplant durchführen, ein bis dato ungewohnte Technikformen einlassen. doch bereits wenige Tage später wurden die Räum- Sie machten sich mit den Videokonferenz-Program- lichkeiten für Gäste geschlossen. Die Koordinato- men „Zoom“ und „Teams“ vertraut und übten viel rinnen machten aus der Not eine Tugend und wag- privat zuhause. Damit verbunden war die Nachrüs- ten mit professionel- tung der Büro-IT mit ler Unterstützung Webcams, eine neue den Aufbau eines ei- Telefonanlage tat ihr genen Videokanals übriges. Auch wenn auf YouTube. Karin seit Anfang Juni Leutbecher: „Wir ha- durch die Lockerung ben alle Bilder der der Corona-Regeln Ausstellung abfoto- die Arbeit ganz lang- © Ambulanter Hospizdienst Herne grafiert, ein Video sam wieder beginnen aus den Bildern zu- kann, so ist die Zeit Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 sammengestellt und der Anpassung und unseren Freundin- des Lernens noch nen und Freunden so lange nicht vorüber, ein Online-„Rendez- sagen die Koordina- vous mit dem Leben“ torinnen: „Wir richten ermöglicht. Auch die Gruß vom Balkon: Viele Mieterinnen und Mieter von Seniorenwohnanlagen uns darauf ein, dass Lesungen der Zeit- in Herne wurden mit Community-Masken versorgt wir noch über länge-
8 re Zeit „Kontakt auf Abstand“ halten müssen. Wir Ambulanter Hospizdienst Herne haben aber gelernt, dass wir gemeinsam gute Karin Leutbecher, Karola Rehrmann, und kreative Wege finden können, um diese „neue Annegret Müller Normalität“ gelingen zu lassen.“ Bahnhofstraße 137, 44623 Herne Tel.: 0 23 23 - 98 82 90 info@hospizdienst-herne.de www.hospizdienst-herne.de www.facebook.com/DIEZEITSCHENKER https://bit.ly/ambulanter-hospizdienst-herne © Bettina Engel-Albustin Susanne Schübel „PANDEMIMIK“-TIPPS GUTE KOMMUNIKATION TROTZ MASKENPFLICHT MAREIKE NEUMAYER I st da ein Lächeln hinter der Maske? Meint je- ne Corona-Pandemie – vor, dass die von uns sonst mand, was er sagt? Wie reagiert mein Gegen- als üblich empfundenen Kommunikationswege nicht über auf mich? Im Kontakt mit anderen Men- mehr so gut funktionieren. Begleitung findet manch- schen wünschen wir uns eine Rückmeldung mal auch ohne Worte statt. Wir üben uns darin, durch und ein Vergewissern. Auch über Worte hinaus ver- Dasein, Haltung und aufmerksames Beobachten ei- suchen wir unbewusst im Gesicht des anderen zu nen Zugang zueinander zu finden. Bereits im Hospiz- lesen, was er fühlt. Doch nun ist oft als Corona- kurs nimmt das Thema Kommunikation einen großen Schutzmaßnahme ein großer Teil der Gesichter mit Stellenwert im Lehrplan ein. Zum Beispiel lernen die einem Mund-Nasen-Schutz verdeckt. Viele Men- Teilnehmenden, dass 93 Prozent der Kommunikation schen fühlen sich dadurch im Miteinander verunsi- sowieso ohne Worte stattfindet. chert. Was passiert hinter der Maske? Auch im Hospiz tragen wir Masken. Macht es etwas „Man kann nicht nicht kommunizieren“ mit den Begegnungen hier, wenn Gesichter nicht Mit diesem Grundsatz hat der Kommunikationswis- Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 wie sonst aussehen? Darüber haben wir nachge- senschaftler Paul Watzlawick verdeutlicht, dass dacht. Und vielleicht können wir allen ein bisschen Kommunikation nicht immer sprachlich ausgedrückt Mut machen, dass es viele Möglichkeiten gibt, wird. Auch nichts zu sagen, kann eine Antwort sein. trotzdem gut miteinander zu kommunizieren. Oder unser Verhalten, unser Ausdruck über Körper- sprache, Gestik und Mimik. Aufmerksamkeit und Haltung Letzteres wird in der Tat durch den Mund-Nasen- In der Sterbebegleitung kommt es häufig – ganz oh- Schutz eingeschränkt. Aber so wie sich ein Fluss
9 bei Hindernissen neue Wege für das Wasser zum an. Das ist in Zeiten eingeschränkter Mimik Fließen sucht, können wir auch mit Maske weiter- wichtiger denn je. hin Wege zu einer funktionierenden Kommunika- 4. Nehmen Sie das Gesamtbild wahr: Auch wenn tion finden. ein kleiner Teil der Mimik hinter einer Maske verschwindet, so bleibt noch sehr viel erkenn- Fünf praktische Tipps für gute Verständigung bare Körpersprache übrig. Lässt jemand die trotz Maske Schultern hängen oder sitzt sehr starr? Was sa- 1. Mit Worten fehlende Mimik ersetzen: Denken gen die Gesten der Hände? Der Kopf ist geneigt? Sie im Gespräch manchmal daran, dass der an- Unbewusst senden und empfangen wir über die dere Ihren Gesichtsausdruck vielleicht schlech- Körpersprache unzählige Signale. ter deuten kann. Sagen Sie konkret und zusätz- 5. Ton und Stimme: 38 Prozent der Signale, die wir lich zur Information, die Sie überbringen, was aussenden, werden über den Tonfall und die eigentlich Ihr Gesicht dabei ausgedrückt hätte: Stimme transportiert (und nur 7 Prozent über Ich freue mich darüber. Das macht mich traurig. den Inhalt!). Dessen können wir uns bewusst Ich bin etwas ratlos. sein, wenn wir durch die Maske zu jemandem Fragen Sie ganz direkt nach, wenn Sie umge- sprechen. kehrt unsicher sind, welche Gefühle bei Ihrem Schärfen wir unsere Sinne für die vielen Möglich- Gegenüber mit dem Gesagten einhergehen. keiten und Ebenen, auf denen Kommunikation statt- 2. Achten Sie auf die Augen: Oft kann man im Blick findet, dann kann zumindest die Botschaft, die wir des anderen viel ablesen. Ein echtes Lächeln senden oder empfangen, unmaskiert ankommen. lässt meist auch die Augen strahlen. Auch ob jemand Augenkontakt hält oder wegschaut, uns Mareike Neumayer mit seinem Blick fixiert oder mit den Augen rollt, Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Fort- und Weiterbildung & Social Media kann ein wichtiges Signal sein. Probieren Sie Leitung Hospiz- und Palliativ-Akademie vielleicht einmal bei sich selbst vor dem Spiegel Gütersloh im Hospiz- und Palliativ-Verein aus, ob und wie Ihre Augen Ihre Emotionen sig- Gütersloh e.V. nalisieren. Hochstr. 19 3. Fragen Sie nach: Wenn Sie sich unsicher sind, 33332 Gütersloh Tel.: 0 52 41 - 7 08 90 44 wie Ihr Gegenüber etwas gemeint hat oder ob Mobil: 01 79 - 9 10 51 04 Sie richtig verstanden wurden, sprechen Sie es
10 Ich bin schon lange in diesem Bereich tätig, aber ich muss sagen, das war bisher das schrecklichste Jahr, das ich erlebt habe. Es gibt viele verschiedene Gründe, aber Corona hat zu einem großen Teil dazu beigetragen. Die große Unsicherheit und die große Angst sind schlimm. Und ich muss sagen, dass die verschlossenen Türen für viele eine seelische Qual waren. Auf der anderen Seite nutze ich jetzt die Zeit viel mehr für die Kontakte mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Ich gehe zu ihnen und biete Gespräche, Gebete oder auch einmal ein Spiel an. Dafür habe ich ein altes Köfferchen dabei, in dem z. B. Malstifte, Mandalas, eine Miniharfe, Liedertexte, ein Holzkreuz und ein Buch zum Vorlesen liegen, die ich dafür verwende. Und was wir für eine Vielfalt an Mu- sikern im Haus hatten, die sich z. T. freiwillig gemeldet haben, das war schon toll: Posaunenchor, Gitarrist, Posaunistin, Akkordeonspielerin … sogar eine bekannte Cellistin hat sich Zeit genommen. Ein Angehöriger hat zum 90. Geburtstag seiner Mutter einen Zirkus eingeladen, der draußen gastierte und ein Lächeln auf alle © RitaE auf Pixabay Gesichter zauberte. Dipl.-Sozialarbeiterin und Altenseelsorgerin, 53 Jahre, Pflegeeinrichtung in privater Trägerschaft mit 148 Bewohnern und Bewohnerinnen WIR SEHEN UNS! Internetgestützte Kommunikation der Hospizvereine in Corona-Zeiten DIETER LANGE-LAGEMANN D ie Digitalisierung der Dienstleistungsge- Verfügung: Messenger Dienste (z. B. WhatsApp, Te- sellschaft schreitet auch in der Hospizar- legram), Videotelefon-Dienste (Skype, facetime), beit fort. Die Mehrzahl der Hospizdienste Videokonferenz-Programme (z. B. Zoom), Webinare betreibt eine Homepage. Eine Minderheit (z. B. edudip, GoToWebinar), gemeinsame Doku- nutzt Facebook, Instagram und YouTube-Channels. mentenbearbeitung (z. B. Nextcloud, Dropbox), Der ambulante Hospizdienst Oberhausen stellt seit Teamarbeit und Projektmanagement-Programme einem halben Jahr auf Facebook unter dem Titel (Trello, Slack) sowie Learning Management Syste- „Gib dem Hospiz (D)ein Gesicht“ wöchentlich einen me (BigBlueButton, Senf ). Ehrenamtlichen in einem Videofilm vor. Der ambu- lante Hospizdienst in Herne verknüpft auf seinem In der hospizlichen Praxis finden sich aktuell zahl- Facebook-Account die regelmäßigen Videofilm- reiche Beispiele für deren Einsatz: Die Kursleiterin- Reihen „Zeitschenker lesen online“, die wiederum nenschulung für das Konzept der „Letzte Hilfe Kur- auf einem eigenen YouTube-Kanal hinterlegt sind. se“ wurde erstmalig auf „Zoom“ durchgeführt. Der Auf YouTube-Kanälen finden sich auch Beiträge der Hospizverein Landshut plant „Letzte Hilfe Kurse“ Palliativstiftung sowie die „Sarggeschichten“. für Interessierte ebenfalls via „Zoom“. Die ambu- lante Hospizarbeit Bochum nutzt „Zoom“ für die Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Das konkrete hospizliche Handeln in Begleitung, Supervision kleiner Gruppen mit 4-6 ehrenamt- Beratung, Befähigungskursen, Bildung und Bespre- lichen Begleitungskräften. In Erftstadt verwendet chungen findet überwiegend analog zur gleichen der ambulante Hospizverein dieses Tool in der Fort- Zeit am selben Ort statt. Um aktuell Corona beding- bildung von Trauerbegleitern im Ehrenamt und für te Kontaktsperren im „Home-Office“ und „social eine neue Trauergruppe Jugendlicher. Hierbei zeigte distance“ zu überwinden, stehen unterschiedliche sich, dass nicht alle Jugendlichen über die notwen- internetgestützte Kommunikationswerkzeuge zur dige Hard- und Software verfügen, bzw. dass sie
11 von der Möglichkeit Gebrauch machen, „anonym“ unter Ausschalten der Kamera teilzunehmen. Der Exkurs: Alter stellt kein Ausschlusskriterium für die digitale ambulante Hospizverein Gießen setzt ebenfalls Teilhabe dar. Der kommende achte Altenbericht der Bundes- „Zoom“ ein für den Kursabschnitt Trauer innerhalb regierung wird sich schwerpunktmäßig mit diesem Thema dessen Befähigungskurses. Zur Implementierung befassen. Im Kursabschnitt wurde ein Methodenmix aus gehörte eine erfolgreich verlaufene Pilotphase. Selbstlernphase durch vorab versandte Texte, die eigentli- che Video-Konferenz, gefolgt von Partner-Arbeit in Zweier- ALPHA NRW setzte Ende Mai erstmalig Zoom für Telefonaten eingesetzt. die Supervision von Koordinatorenkräften in Grup- pen von 6 bis 10 Personen ein. Die Hospizakade- mien in Bamberg und Nürnberg bieten zahlreiche kostenpflichtige Webinare zu hospizlichen Themen an. Die Vorträge der ausgefallenen Messe „Leben freundlichkeit. Das große Manko des mangelhaften und Tod“ in Bremen wurden per Livestream ausge- Datenschutzes kann über die kostenpflichtige Ver- strahlt und sind auf der Internetseite des Veran- sion mit wählbarem Serverstandort ausgeglichen stalters weiterhin zugänglich. Auf verschiedenen werden. Ebenen finden Überlegungen zu Online-Befähi- gungskursen statt. Videokonferenzprogramme bieten unterschiedli- che Funktionen an: die eigentliche Videokonferenz Werkzeuge für Videokonferenzen gibt es in großer in Bild und Ton, eine Menüleiste zur Steuerung, Zahl (Zoom, Microsoft Teams, Slack, Clickmeeting, Chatraum für Textnachrichten, „Break out Räume“ Jitsi Meet, Nextcloud, Skype, OpenMeetings, Go- für Untergruppen oder Kaffeepause, virtuelles ToMeetings) und sie lassen sich vielfältig einset- Whiteboard zum Schreiben und Zeichnen, die Mög- zen: für Besprechungen, Bildungsmaßnahmen, Be- lichkeit, Präsentationen, Texte und Bilder hochzu- ratungen oder Supervision. Für „Zoom“ spricht, laden, die Möglichkeit, den Bildschirm zu teilen, um dass es bereits in der kostenlosen Version zahlrei- gemeinsam Texte online in Echtzeit zu bearbeiten che Features bereitstellt sowie seine Benutzer- oder Umfragen zu erstellen. Zusatzfunktionen © Dieter Lange-Lagermann Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Supervisionsrunde bei ALPHA
12 die Corona Zeit hinaus stellen sich: Wie verändert die Nutzung Anwender, Nutzer und Inhalte? Wie wird der Datenschutz gewährleistet? Wie wird die Zugangsgerechtigkeit für sozial benachteiligte Gruppen und nicht internet-affine Einzelne herge- stellt? Wie wird Medienkompetenz zu einem Teil hospizlicher Kommunikationskompetenz? © Gerd Altmann auf Pixabay Mein persönliches Zwischenfazit ist positiv: In mei- ner Familie machen meine Frau, meine Tochter, mei- ne Söhne und ich medienmäßig neue Erfahrungen, z. B. mit Videoandachten, Onlinecoaching, Strea- ming-TV und Zoom-Konferenzen. Beruflich freue ich mich und bin erleichtert, die an- einiger Tools: Verschriftlichung und Archivierung deren Koordinationskräfte und Supervisionsteil- der Konferenz. nehmenden, die ich coronabedingt nicht treffen kann, in Videokonferenzen wiederzusehen. Insge- Die Programme können auf dem PC auch häufig samt erlebe ich in der Hospizbewegung zwar noch ohne Download der Software direkt online genutzt viele Vorbehalte gegen neue Medien, aber ich werden. Bei der Nutzung über Smartphones ist in schätze, dass uns einiges an Online-Konferenzen, jedem Fall eine APP zu installieren. Als Technische Fortbildungen und Beratungsangeboten auch in Voraussetzungen müssen bei dem Endgerät Kame- dieser Arbeit zukünftig erhalten bleibt. ra-, Kopfhörer- und Mikrophon-Funktion vorhanden sein. Optimal wäre ein Headset. Des Weiteren sind eine stabile Internetverbindung und ein ruhiger, un- Literatur gestörter Raum erforderlich. Baacke, D. (1997, 2007). Medienpädagogik. Grundlagen der Medienkommunikation 1, Tübingen: Max Niemeyer Verlag. Best, L. (2020). Nähe und Distanz in der Beratung, Wiesbaden: Video-Konferenzen laufen folgendermaßen ab: Vor- VS Verlag für Sozialwissenschaften. ab erhalten die angemeldeten Teilnehmenden vom Dufft, N. et al. (2017). Digitalisierung in Non-Profit-Organisa- Veranstalter bzw. Moderator/Moderatorin eine tionen. Berlin/Vallendar. Edinger-Schons, L.M. et. al. (2020). DIGITAL-REPORT 2020 E-Mail mit einem Link für den Zugang, einem Pass- München: Haus des Stiftens. wort und einem kurzen Einführungstext. Zum https://zoom.us/de-de/meetings.html (Zugriff: 26.05.2020). angegebenen Zeitpunkt wählen die Teilnehmenden Kaiser, H. (2016). Hospizarbeit und Social Media – geht das zu- sich über den Link in die konkrete Videokonferenz sammen? Hospiz-Dialog NRW, 67 (6). ein. Moderator oder Moderatorin empfangen die Müller, M. (2005). Handreichung für Multiplikatoren, Bonn: Pallia Med Verlag. Teilnehmenden in einem virtuellen Vorraum und lassen diese dann in den Konferenzraum. Dort können sich Moderatoren und Teilnehmende per Bildschirm in sogenannten Kacheln sehen. Ablauf, Gesprächsbeiträge, Arbeitsformen steuert die Dieter Lange-Lagemann Hospizkoordinator Hospizverein Moderation. Video-Konferenzen erfordern wie Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Ochtrup-Metelen Besprechungen eine eigene „Netiquette“ als kontakt@hospizverein- Umgangsform. Beispielhaft sei genannt: virtuelles ochtrup.de Melden für einen Wort Beitrag, Ausschalten des Mikrofons in Redepausen. Folgende offene Fragen zum Einsatz internetge- stützter Kommunikation in der Hospizarbeit über
13 GANZHEITLICHKEIT IN DER KRISE Stellungnahme des Landesarbeitskreises Soziale Arbeit im Hospiz- und Palliativbereich in NRW zur Corona-Pandemie SUSANNE KIEPKE-ZIEMES, JÜRGEN GOLDMANN D ie Erfahrungen der Mitglieder des Lan- essiert. Er ist ein geselliger Mensch. Er genießt gu- desarbeitskreises mit den Herausforde- tes Essen, guten Wein, klassische Musik und liebt rungen der Corona-Krise werfen viele Konzert- und Kirchenbesuche. Er ist seit 46 Jahren Fragen auf, insbesondere mit Blick auf verheiratet, seine Frau lebt in dem ehemals gemein- die psychosoziale Ebene, auf der auch die Soziale samen Haus im gleichen Ort. Zusammen haben sie Arbeit agiert. Gerade die Bereiche Hospiz und zwei verheiratete Söhne und fünf erwachsene En- Palliative Care mit ihrem ganzheitlichen Ansatz, in kelkinder, zu denen ein intensiver Kontakt besteht, denen Unterstützung für die psychischen, sozialen obschon diese berufsbedingt mit ihren Familien in und spirituellen Bedarfe von Patientinnen und weiter entfernten Städten leben. Seine Frau ist in Patienten und An-/Zugehörigen zum Begleitungs- den letzten Jahren aufgrund von Arthritis und de- standard gehört, sind von den Maßnahmen des pressiven Phasen oft sehr eingeschränkt und ver- „Social Distancing“ stark und negativ betroffen. lässt ungern das Haus. Wie wichtig menschliche Nähe in existenziellen Krisen für die Betroffenen ist, bedarf grundsätzlich Vor ca. acht Jahren wurde bei Herrn S. eine Parkin- keiner weiteren Erklärung. Dazu gehören auch sonerkrankung diagnostiziert. Die Erkrankung mit Beratung, Begleitung und Krisenintervention, die diversen Symptomen wurde gut eingestellt und in diesen Arbeitsfeldern eine zentrale und wesent- schritt nur langsam voran. Doch vor vier Monaten liche Rolle spielen. Dies bezieht sich neben der wurde er aufgrund psychischer Ausnahmezustän- medizinisch-pflegerischen in gleichem Maße auch de, Halluzinationen, Angst und aggressiven Verhal- auf die psychosoziale Ebene, welche Lebensqua- tens in die Psychiatrische Abteilung des örtlichen lität von Menschen kurz vor ihrem Tod bestimmt. Krankenhauses verlegt. Nach dem Abklingen der Symptome und einem Kurz- Der notwendige Schutz vor Infektionen von Patien- zeitpflegeaufenthalt in einem Altenstift hat Herr S. tinnen und Patienten, An-/Zugehörigen sowie von sich entschlossen, ganz in die Einrichtung zu ziehen, haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden steht au- um hier eine zuverlässige medizinisch-pflegerische ßer Frage. Allerdings wirkt es im Sinne des Prinzips Versorgung in Anspruch zu nehmen. Er hat sich gut von Ganzheitlichkeit befremdlich, wenn Qualität in eingelebt und fährt täglich mit dem Bus zu seiner der Versorgung von Patienten, gerade auch der von Ehefrau, um diese zu besuchen. An den Wochenen- Sterbenden, über geringe Infektionszahlen und den trifft sich dort die ganze Familie, soweit es mög- Sterberaten aufgrund entsprechend durchgeführter lich ist. Musik, Essen, Austausch und gemeinsame Hygienemaßnahmen, zu der letztendlich auch Be- Fürsorge bestimmen hier das Familienleben. suchs- und Kontakteinschränkungen gehören, de- finiert wird. Wünsche zum Lebensende, wie sie in Herr S. hatte eine Vorsorgevollmacht erstellt und Patientenverfügungen und Notfallplänen häufig vor- wünscht sich keinerlei lebensverlängernden Maß- Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 lagen, wurden im Rahmen des dynamischen Pan- nahmen bei einer körperlichen Verschlechterung demiegeschehens vielerorts nicht berücksichtigt. oder Krise. Ein authentisches Fallbeispiel (anonymisiert): Durch die COVID-19-Maßnahmen hat sich im Se- Herr S. ist 74 Jahre alt und lebt seit vier Monaten in niorenstift jedoch einiges verändert. Es herrscht einer Senioreneinrichtung. Herr S. ist pensioniert, Besuchsverbot und Herr S. darf somit nicht mehr war von Beruf Jurist, ist religiös und kulturell inter- seine Familie besuchen. Nach einem Kliniktermin
14 © Sabine van Erp auf Pixabay muss er zusätzlich 14 Tage in seinem Zimmer den Kontakt zu anderen Bewohnern vermeiden und ei- ne Schutzmaske tragen. Seine Physiotherapie fällt aus, seine körperlichen Beschwerden nehmen zu und er wird unbeweglicher. Die Telefonate mit seiner Familie erlebt er nicht als Besuchersatz. Er hat große Angst vor einem neuen Anfall. Bezüglich seiner Vorsorgebestimmungen es ermöglichen, psychosoziale Beratung und müsste er bei einer akuten Erkrankung von Covid-19 Begleitung anzubieten eine Änderung seiner Verfügung veranlassen, da er - adäquate Ausstattung mit technischen Kommu- in einem solchen Notfall durch evtl. Intensivbehand- nikationsmitteln lung gute Überlebenschancen vermutet. Er denkt, - adäquate Schutzkleidung wie FFP-Schutzmasken dass er das in diesem Fall tun sollte, empfindet an- auch für psychosoziale Berufsgruppen, die auf dererseits sein Leben aber auch als immer sinnloser. Wunsch physische Kontakte ermöglichen können Die Sozialarbeiterin, mit der er an der Gesundheit- - Aktualisierung von Patientenverfügungen lichen Versorgungsplanung gearbeitet hat, ist durch bezüglich Klärung der Frage nach Beatmung die Vorsichtsmaßnahmen um Corona einer anderen oder Intensivmedizin, die in Zusammenhang mit Abteilung zugeordnet worden und kommt nicht mehr Corona verstärkt auftreten in seinen Wohnbereich. Auch die Seelsorge darf nicht - stärkere Berücksichtigung der Bedarfe von Be- mehr ins Haus. Er ist appetitlos und antriebs- wohnerinnen und Bewohnern und Mitarbeiten- schwach. Er verlässt immer seltener das Bett. den von Einrichtungen der Eingliederungshilfe Die Reaktionen vieler Betroffener auf die einschrän- Dies alles kann nur gelingen, wenn sich Gesell- kenden Corona-Maßnahmen zeigen, wie wichtig schaft, Politik und Träger von Organisationen und direkte Kommunikation, Beratung oder Nähe ge- Einrichtungen dem ganzheitlichen Menschenbild wesen sind bzw. gewesen wären. Diese Aussagen (wieder) mehr öffnen. Dazu gehört auch die multi- erfolgen von schwerstkranken, sterbenden und professionelle Zusammenarbeit diverser Berufs- trauernden Menschen ebenso wie von An- und gruppen, in denen die Soziale Arbeit eine zentrale Zugehörigen. Sei es in ambulanten oder stationären Disziplin darstellt. Hospizen, in der Kinderhospizarbeit, auf Palliativ- stationen, im Bereich der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung oder der Trauerbegleitung. In nahezu allen Fällen wurde der Kontakt am Fenster, per Video oder Telefon im Sinne von „besser als Susanne Kiepke-Ziemes Dipl.-Sozialpädagogin nichts“ als hilfreiche Unterstützung gegen Verein- Caritasverband für die Region samung, Todesangst, familiäre Belastungen, mate- Kempen-Viersen e. V. rielle Existenzsorgen oder für Selbstbestimmung Projekt: „Würdige Sterbebegleitung“ beschrieben. Dies alles sind Themen, in denen die Soziale Arbeit u. a. mit ihrer systemischen Ausrich- tung und Lebensweltorientierung sowie der Kenntnis von Methoden von Empowerment, Kriseninterven- Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 tion als auch sensibler und lösungsorientierter Jürgen Goldmann Beratung Kernkompetenzen besitzt. Dipl.-Sozialpädagoge Bonn Lighthouse-Verein für Zentrale Forderungen auf Grundlage der geschil- Hospizarbeit e.V. derten Erfahrungen für den Umgang mit ähnlichen Koordination ambulanter Hospizdienst/Trauerbegleiter Pandemie-Situationen in der Zukunft sind: - politische und institutionelle Notfallpläne, die
15 Wer hätte Anfang des Jahres gedacht, dass sich weltweit eine Pandemie mit dem Corona Virus entwickelt und wir dadurch massive Einschnitte in unserem Alltag erleben. Als ,,hochsensibel“ gelten nach wie vor die älteren und kranken Mitmenschen. Die Maßnahme des Betretungsverbotes betraf uns im Altenheim rund 7 Wochen, das heißt, die Besuche der Liebsten konnten nicht mehr stattfinden. Wir haben dieses Thema täglich in unsere Gespräche mit den Bewohnern aufgenommen, um die Situation zu erklären. Häufig äußerten die Bewohner: ,,Damals im Krieg war es schlimmer, uns geht es doch gut hier!“ Dennoch haben wir trotz allem ver- sucht, eine größtmögliche Normalität im Ablauf beizubehalten! Das ist uns gut gelungen: Unser Rezept war und ist Ruhe und Humor! Allerdings hatten wir auch immer Grund dazu, da wir bis heute keinen positiven Fall haben! Jetzt schauen wir etwas beunruhigt in die Zukunft und warten ab, was die Lockerungen mit sich bringen. Wir freuen uns darüber, dass unsere Bewohner wieder Besuche bekom- © RitaE auf Pixabay men dürfen, allerdings werden die Hygiene-/Abstandsregeln teilweise nicht ernst genommen und das birgt ein Risiko für unsere Bewohner und unsere Einrichtung! Pflegedienstleitung, vollstationäre Pflegeeinrichtung in christlicher Trägerschaft, 52 Bewohnerinnen und Bewohner DIE AMBULANTE PALLIATIVMEDIZINISCHE BEGLEITUNG UNTER CORONABEDINGUNGEN Interview mit Jan Everts und Dietmar Schlewing D r. Dietmar Schlewing, Internist, Palliativ- an eine Pandemie bewegte mich schon sehr. Aus arzt, ist 1962 geboren, lebt mit seiner persönlichen Gründen betraf meine Sorge auch Afri- Familie in Verl und arbeitet seit 1996 als ka: Mein Sohn studiert in Südafrika; er ist bis heute hausärztlicher Internist. 2009 gründete im Lockdown und kommt vorerst nicht aus dem Land er das Palliativnetz Gütersloh mit aktuell fünf heraus. Ich sehe dort die deutlich schlechtere medi- Palliativärzten, fünf Krankenschwestern als Koor- zinische Versorgung für große Bevölkerungsteile, dinatorinnen und einer MFA als Sekretärin, alle mit dazu zu befürchtende soziale Unruhen. Palliativ-Care-Zusatzausbildung. Jan Everts: Ja, ziemlich genau. Ein Freund von mir, Jan Everts, Internist, Palliativarzt, ist 1977 geboren, welcher als leitender Notarzt arbeitet, schickte mir lebt mit seiner Familie in Lohmar bei Köln. 2013 hat Ende März einen Bericht vom Deutschen Institut er beim Aufbau des SAPV-Teams am Vinzenz- für Katastrophenmedizin. Dort wurde sehr detail- Pallotti-Hospital in Bergisch Gladbach-Bensberg liert die aktuelle Lage im benachbarten Straßburg mitgewirkt, arbeitete zuletzt als Oberarzt in der beschrieben. Es war zu einer völligen Überlastung Internistischen Abteilung der GFO-Kliniken Troisdorf- der Krankenhäuser gekommen, so dass der Ret- Sieglar. Seit 2019 ist er Ärztlicher Leiter des Pallia- tungsdienst gezwungen war, erkrankte Patienten tive-Care Teams an den GFO Kliniken Troisdorf. zuhause und in Pflegeheimen zu triagieren. Bei Multimorbidität und schlechter Prognose erfolgte Erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie eine Symptomkontrolle und Sterbebegleitung vor zum ersten Mal den Eindruck hatten, dass das Ort durch das Rettungsdienstpersonal. Als ich das Corona-Virus eine Bedeutung für Sie als Pallia- las, wurde mir schlagartig bewusst, dass wir bei ei- tivmediziner haben könnte? nem Ausbruch, beispielsweise in einem Pflege- Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 Dietmar Schlewing: Ja, ich weiß das noch sehr ge- heim, gefordert sein könnten. nau. Es war Anfang März, mein Geburtstag, und meine Frau und ich sind noch „ganz normal“ Essen gegangen. Welche Bedeutung hatte die Krise auf Ihre prak- Bereits zu diesem Zeitpunkt fragte ich mich, was tische Arbeit? wohl geschehen wird. Am 13.März habe ich dann die Jan Everts: Zunächst bestand viel Verunsicherung, erste Dienstanweisung sowohl für meine Praxis als sowohl bei mir selbst als auch im Team. Es hat sich auch für das Palliativteam geschrieben. Der Gedanke aber gezeigt, dass gerade in der Krise vieles möglich
16 © Gerd Altmann auf Pixabay ist. Wir mussten neue Wege suchen, um unsere Pa- vatfahrzeug zu dienstlichen Zwecken einsetzen tienten weiterhin engmaschig versorgen zu können, kann. So konnten viele Touren so geplant werden, ohne sie zu gefährden. Viele Besuche wurden durch dass der Mitarbeitende überhaupt nicht im Büro Telefonate ersetzt, Rezepte wurden verschickt. erscheinen musste. Gleichzeitig sind wir Anfang April trotz der ange- spannten Situation auf ein neues Dokumentations- Hat sich Ihrer Meinung nach in der gesellschaft- system umgestiegen. Dies ermöglichte uns gerade lichen Haltung zu sterbenden alten Menschen in der Krise, einen besseren Informationsaustausch etwas verändert? auch ohne große Besprechungen abzuhalten. Jan Everts: Ich glaube schon. Bei Covid-19 hat sich gezeigt, wie verletzlich gerade diese Gruppe der Dietmar Schlewing: Ich befinde mich in der Doppel- Menschen ist. Zu Beginn der Krise wurde auch in rolle als Hausarzt und als Leiter des PKD Gütersloh. den Medien viel über ethische Aspekte diskutiert. In beiden Institutionen gab es seit Mitte März ständig Insbesondere kam zur Sprache, dass wir in Deutsch- aktualisierte Dienstanweisungen in Abhängigkeit land im Gegensatz zu anderen Ländern keine Alters- von den Vorgaben des Robert-Koch-Institutes. Die- grenze als Entscheidungskriterium für oder gegen se betrafen vor allen Dingen Verhaltensregeln im eine Krankenhaus- bzw. Intensivbehandlung haben. Umgang mit Patienten, Angehörigen und potenziell Die Palliativversorgung wurde immer wieder als ein Infizierten, Hygiene- und Schutzmaßnahmen und fester Bestandteil der Gesamtstrategie genannt. weitere Umstrukturierungen/Anpassungen von Ar- Dennoch sind wahrscheinlich gerade in Pflegehei- beitsabläufen. Zunächst wurden Hausbesuche men viele Menschen einsam gestorben, weil es durch Koordinatorinnen und MFAs eingestellt und strenge Besuchsauflagen gab. Dies hat wiederum von Ärzten übernommen, auch wegen des Fehlens eine sehr wertvolle Diskussion über das Selbstbe- ausreichender Schutzkleidung. Die Koordinatorinnen stimmungsrecht alter Menschen ausgelöst. haben ihre Aufgaben aus dem Netzbüro, räumlich getrennt und in 2 separaten Schichten umgesetzt. Wie empfanden alle Beteiligten die Kontaktsperre? Der direkte Patientenkontakt durch die Koordinato- Dietmar Schlewing: In der Palliativversorgung ist rinnen hat in dieser Phase sehr gefehlt. Nähe und direkter Kontakt ein wesentlicher Bestand- Die Frage des Umgangs mit COVID-19-assoziierten teil unserer Arbeit. Dementsprechend wurde die Todesfällen war zunächst ungeklärt, sodass wir ei- Kontaktsperre von allen Beteiligten – Patienten, An- gene Standards entwickelt haben, die sich in den gehörigen und Palliativteam – als besonders belastend späteren Regelungen des Robert-Koch-Instituts empfunden. Das Leid der Vereinsamung angesichts wiederfanden. Wir haben mit allen Heimen im Kreis des nahen Todes war oft größer als die Angst vor An- Kontakt aufgenommen und die Zuständigkeit von steckung. Die aktuelle Entwicklung hat uns die Mög- Ärzten für Pflegeheime organisiert. lichkeit gegeben, unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln schrittweise unsere Hausbesuchs- Wie haben Sie sich und Ihre Mitarbeitenden tätigkeit durch die Koordinatorinnen wieder aufzu- geschützt? nehmen – zur großen Erleichterung aller Beteiligten. Jan Everts: Wir haben zunächst damit angefangen, Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 dass alle einen Mundschutz tragen. Büroräume so- Jan Everts: Die Wirkung der Kontaktsperre war wie Fahrzeuge wurden regelmäßig desinfiziert. deutlich spürbar. Bei vielen hat das eine ohnehin Gleichzeitig versuchten wir, so viel wie möglich von traurige Grundstimmung noch deutlich verstärkt. zuhause zu arbeiten, so dass sich nicht unnötig vie- Insbesondere wenn Enkelkinder nicht mehr zu Be- le Mitarbeitende gleichzeitig in den Büroräumen such kamen. Eine Patientin formulierte das so, dass treffen. Es wurden auch die rechtlichen Rahmen- man ihr die letzte Freude genommen habe. bedingungen geschaffen, dass man auch sein Pri-
17 Waren Sie mit der Frage konfrontiert, ob ein der Betroffenen teilhaben zu dürfen und sie auf Patient nun schneller sterben muss, weil seine ihrem letzten Weg zu begleiten. Behandlung nicht mehr gewährleistet ist? Jan Everts: Genau davor hatte ich Angst. Zusätzlich Jan Everts: Ich bilde mir ein, dass ich meine Prio- hatte ich Sorge, dass ich im Katastrophenfall ge- ritäten im Leben richtig setze. Aber das ist eher eine zwungen sein werde, selbst zu triagieren, wer ins Einbildung, nicht selten muss ich mich leider selbst Krankenhaus kommt und wer nicht, beispielsweise vom Gegenteil überzeugen. Diese Situation hat in in einem Pflegeheim. Zum Glück ist nichts davon mir den Drang verstärkt, Wichtiges vom Unwichti- eingetreten, wir konnten unsere Patienten bislang gen zu unterscheiden. weitgehend unverändert versorgen. Was wünschen Sie sich, wenn Sie an das Ende der Krise denken? Jan Everts Dietmar Schlewing: Wir wünschen uns sehr, wieder Ärztlicher Leiter Palliative- Care Team zurückzugehen zu dem, wie wir es vorher hatten, GFO Kliniken Troisdorf zu dieser wirklich persönlichen, engen Patientenbe- Viktoriastr. 5 ziehung zurückzukehren und diese noch auszubauen. 53840 Troisdorf Der Bedarf an Koordination wächst, die Präsenz der Tel.: 0 22 41 - 2 66 - 33 40 Koordinatorinnen gibt Sicherheit, und die steht für janmilan.everts@gfo-klini- unsere Patienten ganz oben. Dabei steht nicht ken-troisdorf.de immer das Fachlich-Medizinische im Vordergrund. Es ist wichtig, dass jemand da ist – jemand, der Dr. Dietmar Schlewing sich kümmert – jemand, der kommt, wenn Bedarf Leiter des Palliativmedi- ist – das allein gibt schon Sicherheit. zinischen Konsiliardienstes für den Kreis Gütersloh Gibt es für Sie persönlich eine Lehre, die Sie aus Facharzt für Innere Medizin, dieser Zeit ziehen? Palliativmedizin Dietmar Schlewing: Für mich hat sich bestätigt, Marktstr.10 33415 Verl dass ich als Palliativmediziner im direkten Kontakt Tel.: 0 52 46 - 93 09 09 mit den Patienten und Angehörigen meinen Platz dr.schlewing@t-online.de habe. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit, am Schicksal DIE PALLIATIV-AMPEL THOMAS SITTE D er Gedanke für Pflegeheimbewohner ei- Ziel mehrerer Projekte der Deutschen PalliativStif- nen bestmöglich erfassbaren Hinweis tung war die Optimierung der palliativen Versor- Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 für den Rettungsdienst zu erarbeiten, gung in Pflegeheimen und zugleich die Vermeidung damit im Notfall der Behandlungswille unerwünschter bzw. unnötiger Krankenhausaufent- sofort erfassbar ist, entstand in hunderten von halte. Wichtigster Baustein war es dabei, dass jeder Gesprächen von Praktikerinnen und Praktikern aus Beteiligte für sich einen Mehrwert daraus ziehen Altenpflege, Rettungsdienst, Palliativversorgung kann. Ein Mehrwert und Allgemeinmedizin. … für die Bewohner durch das Wissen, dass ihre Behandlungswünsche umgesetzt werden, auch
18 wenn sie sich dazu nicht mehr äußern können, Aus den Erfahrungen der täglichen Arbeit in Pflege- die größere Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit. einrichtungen wurde dieses Ampelsystem mit den … für die Angehörigen durch die Gewissheit, dass beteiligten Einrichtungen entwickelt. Es erlaubt in ihre Verwandten bis zum Lebensende in dieser Ein- Notsituationen, Bewohnerinnen und Bewohnern richtung angemessen versorgt werden können. angemessen schnell und effektiv die Hilfe und die … für die Verwaltung, dass die Arbeitsabläufe rei- Maßnahmen zukommen zu lassen, die sie wünschen, bungsärmer gelingen. selbst wenn die Beteiligten den Betroffenen kaum … für die versorgenden Hausärzte, dass ihre Pa- kennen. Es ist nicht für den Gebrauch zuhause ge- tientinnen und Patienten mit größerer Kompe- dacht oder gar als Ersatz einer Patientenverfügung, tenz gepflegt und die Symptome angemessen sondern speziell für bettlägerige oder wenig mobile gelindert werden. Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrich- tungen geeignet. Das Ziel: - Optimierung der palliativen Versorgung in Pflegeheimen Ampeln haben einen eindeutigen Symbolcharakter. - Vermeidung unerwünschter bzw. unnö- Rot bedeutet „Halt“, grün „Freie Fahrt“. Wobei je- tiger Krankenhausaufenthalte dem Führerscheininhaber klar sein sollte, dass man - (jetzt unter SARS-CoV-2 zusätzlich): auch bei grün darauf achten muss, dass kein an- Vermeidung von Triage derer widerrechtlich die Vorfahrt nimmt und es zu einem Unfall kommen kann. Immer wieder zeigte es sich, dass darin ein enormes Potential zur verbesserten Versorgung in Pflegeein- rot für „bitte innehalten, richtungen besteht. Ein Teil der Mitarbeitenden muss primäres Ziel ist die reine Linderung“. in den Grundlagen der Palliativversorgung geschult und parallel die bestehenden Strukturen der palli- gelb für „erst handeln, dann schnell ativen Versorgung besser in die Heimversorgung orientieren“, was gewünscht ist. eingebunden werden. Gerade jetzt unter der SARS-CoV-2-Pandemie steht grün für „Freie Fahrt“ oder die Beratung von hochbetagten Menschen unter „Volles Programm“. einem besonderen Vorzeichen, denn es erscheint als relativ unstrittig, dass eine Intensivtherapie bei In einem Notfall kann man bei jedem/jeder auch einem respiratorischen Versagen bei über 80jährigen unbekannten Patienten/Patientin auf einen Blick Patientinnen und Patienten in den Ergebnissen noch die notwendigen bzw. erwünschten Erstmaßnah- schlechter ist als bei „normalen“ Pneumonien. men erfassen. Von grün für Freie Fahrt oder „Volles Auch wenn in Pflegeeinrichtungen ohnehin immer Programm“ über gelb, „erst handeln, dann schnell eine gute Dokumentation mit einer einfachen Er- orientieren“, was gewünscht ist, bis rot „bitte kennbarkeit des Patientenwillens wichtig wäre, so innehalten, primäres Ziel ist die reine Linderung“. wird unter Quarantänebedingungen diese Erkenn- barkeit doch ganz entscheidend. Insbesondere hilft Im Notfall ist es nicht sinnvoll, erst nach einem die schnelle Identifizierung des Behandlungswil- orientierenden Aktenstudium zu entscheiden, was lens der Patientinnen und Patienten mit, dass es getan werden soll, ohne einen Schaden für den Pa- erst gar nicht zu den jetzt breit diskutierten, ethisch tienten/die Patientin in Kauf zu nehmen. Lebens- hoch problematischen und kaum erträglichen Be- rettende oder lebenserhaltende Erstmaßnahmen Hospiz-Dialog NRW - Juli 2020/84 lastungen einer möglichen Triage kommen muss. müssen sofort erfolgen können. Mit der Palliativ-Ampel kann im Notfall die belas- Die Palliativ-Ampel tende Suche in der Dokumentation entfallen und Als ein Teilergebnis aus der Projektarbeit wird hier eine letztlich lebensgefährliche Behandlungsver- ein so einfaches wie effizientes Ampel-System vor- zögerung wie auch eine vielleicht unerwünschte gestellt. Dieses wurde kontinuierlich in der Praxis Über- und Fehltherapie wirkungsvoll vermieden angepasst. werden.
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