Vier Jahre für die Fairkehrswende - POLITIKPAPIER Empfehlungen für eine Regierungs-Charta mit Kurs auf Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit ...
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Vier Jahre für die Fairkehrswende Empfehlungen für eine Regierungs-Charta mit Kurs auf Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit im Verkehr in der 20. Legislaturperiode (2021–2025) POLITIKPAPIER
Impressum Vier Jahre für die Fairkehrswende Empfehlungen für eine Regierungs-Charta mit Kurs auf Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit im Verkehr in der 20. Legislaturperiode (2021–2025) ERSTELLT VON Agora Verkehrswende Anna-Louisa-Karsch-Str. 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-verkehrswende.de info@agora-verkehrswende.de PROJEKTLEITUNG Christian Hochfeld christian.hochfeld@agora-verkehrswende.de Dr. Philipp Prein philipp.prein@agora-verkehrswende.de DURCHFÜHRUNG Autor:innen: Christian Hochfeld, Dr. Günter Hörmandinger, Wolfgang Aichinger, Dr. Carl-Friedrich Elmer, Benjamin Fischer, Anne Klein-Hitpaß, Philipp Kosok, Dr. Urs Maier, Kerstin Meyer, Marena Pützschler, Ernst-Benedikt Riehle, Maita Schade, Fanny Tausendteufel, Michelle Waltring Redaktion: Dr. Philipp Prein Satz: Juliane Franz und Marica Gehlfuß Titelbild: adobestock.com | draghicich Bitte zitieren als: Agora Verkehrswende (2021): Vier Jahre für die Fair- kehrswende. Empfehlungen für eine Regierungs-Charta mit Kurs auf Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit im Verkehr in der 20. Legislaturperiode (2021–2025). Veröffentlichung: September 2021 65-2021-DE www.agora-verkehrswende.de
Vorwort Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Klimapolitik im Verkehrssektor steht vor einer Zäsur. Wie die Fairkehrswende konkret aussehen kann, zeigen Das Ende 2019 von der Bundesregierung verabschiedete wir mit diesem Politikpapier. Dabei konnten wir auf Klimaschutzprogramm 2030 reicht bei weitem nicht aus, unsere Studien aus den vergangenen Monaten und um die selbst gesteckten Klimaschutzziele im Verkehrs- Jahren und auf den Austausch mit Expert:innen aus sektor zu erreichen. Die wissenschaftlichen Analysen verschiedenen politischen Lagern und wirtschaftlichen im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Branchen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen Bundeswirtschaftsministeriums kommen unabhän- aufbauen. Als Orientierung diente uns insbesondere gig voneinander zu dem Schluss, dass bis 2030 eine die Studie Klimaneutrales Deutschland 2045, die wir Klimaschutzlücke von mehr als 30 Millionen Tonnen zusammen mit führenden wissenschaftlichen Instituten CO2-Äquivalenten im deutschen Verkehrssektor klafft. sowie mit unseren Partnern von Agora Energiewende Durch die Novelle des Klimaschutzgesetzes Ende April und der Stiftung Klimaneutralität entwickelt haben. Sie 2021 wächst diese Lücke automatisch noch einmal um liefert einen technisch und wirtschaftlich realisierbaren weitere 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an. Denn Zielpfad, um Deutschlands Treibhausgasbilanz in den verschärft wurden nur die Ziele, aber nicht die Politik- kommenden rund 25 Jahren auf null zu senken. Politi- instrumente, mit denen die Ziele erreicht werden sollen. sche Handlungsempfehlungen haben wir auch bereits Das kürzlich beschlossene Sofortprogramm 2022 hat im Juni mit den Politikinstrumenten für ein klimaneu daran kaum etwas geändert. trales Deutschland und im August mit dem Klimaschutz- Sofortprogramm vorgelegt. Während wir uns dort für den Es liegt also an der neuen Bundesregierung, die Zäsur Verkehr auf eine Auswahl konzentriert haben, gehen wir zu vollziehen und endlich eine umfassende Strategie in diesem Papier auf alle wesentlichen Hebel, Prinzipien für den Verkehrssektor vorzulegen. Dabei wird es nicht und Instrumente für eine erfolgreiche Fairkehrswende- ausreichen, wie in der Vergangenheit nur einzelne Politik ein. Politikinstrumente mehr oder weniger ambitioniert und unabhängig von anderen anzupassen oder neu zu verab- Ob die Fairkehrswende gelingen wird, hängt von der schieden. Es braucht ein ressortübergreifendes Verständ- Regierungspolitik in der kommenden Legislaturperiode nis dafür, welche Instrumente als Teil eines kohärenten ab. Es ist die letzte Chance, einen Weg zu finden, um die und konsistenten Gesamtkonzepts erforderlich sind, um Klimaschutzziele 2030 zu erreichen. Nutzen wir sie! Mit die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. unserem Politikpapier hoffen wir, einen Beitrag dazu leisten zu können. Unser Dank geht an alle, die uns bei Eine solch umfassende Klimaschutzpolitik im Verkehr der Erarbeitung dieser Empfehlungen unterstützt haben. muss vor allem drei Prinzipien folgen: Effektivität, Sie haben uns viele wichtige Anregungen gegeben. Wir Effizienz und sozialer Ausgewogenheit. Wenn die Politik freuen uns auf die weitere Debatte und wünschen eine diesen Prinzipien folgt, wird die Verkehrswende in drei anregende Lektüre. fachem Sinne zu einer Fairkehrswende, also einer für alle fairen Verkehrswende. Fair, weil sie die Klimaziele Christian Hochfeld im Verkehr effektiv erreicht und so die Freiheit und die für das Team von Agora Verkehrswende Mobilität kommender Generationen sichert; fair, weil sie Berlin, 16. September 2021 die Ressourcen für die Transformation effizient einsetzt und die Kosten für alle dadurch niedrig hält; fair schließ- lich auch, weil sie die verbleibenden Kosten gerecht ver- teilt, soziale Schieflagen beseitigt und zukünftig vermei- det. So, und nur so, wird es gelingen, die Akzeptanz einer breiten Mehrheit für die anstehenden Veränderungen zu gewinnen. Die Alternative hieße: Scheitern! 3
Inhalt Vorwort3 Plädoyer für eine Regierungs-Charta der F airkehrswende 7 Das Paradigma der K limaneutralität 7 Der Zielpfad für ein klimaneutrales Deutschland 2045 8 Vier Hebel: Wo die Klimapolitik im V erkehrssektor ansetzen sollte 9 Drei Prinzipien: Effektivität, Effizienz, soziale Ausgewogenheit 10 Politikinstrumente: Wirksame Mischung statt Allheilmittel 11 Die Hebel in Bewegung setzen 12 Der Weg in der nächsten Legislaturperiode 16 1 | Faire Preise im Straßenverkehr 17 1.1 CO2-Emissionen sozial gerecht bepreisen 18 1.2 Infrastruktur- und Umweltkosten verursachergerecht anrechnen 19 1.3 Anreize für den Kauf klimafreundlicher Fahrzeuge s etzen 19 2 | Gemeinwohl im Stadtverkehr 20 2.1 Autozentrierung im Straßenverkehrsrecht überwinden 21 2.2 Vorteile für emissionsfreie F ahrzeuge ermöglichen 21 2.3 Öffentlichen Raum für alle nutzbar machen 21 2.4 Kommunen als Gestalter der Verkehrswende stärken 22 3 | Mehr Angebote für den ländlichen Raum 23 3.1 Vorteile des ländlichen Raums für Elektromobilität nutzen 24 3.2 Mobilität auch ohne eigenes Auto ermöglichen 24 3.3 Ländliche Kommunen mit R essourcen ausstatten 25 4 | Offensive für den Nahverkehr 26 4.1 Finanzmittel für Betrieb und Ausbau von Bus und Bahn erhöhen 27 4.2 Digitalisierung im öffentlichen Verkehr voranbringen 27 5 | Verdopplung der Fahrgastzahlen im Bahnverkehr 28 5.1 Netz für den Deutschlandtakt ausbauen 29 5.2 Infrastrukturentgelte für fairen Wettbewerb anpassen 29 6 | Schnellhochlauf der Elektromobilität 30 6.1 Antriebswende bei Pkw, leichten Nutzfahrzeugen und Bussen v oranbringen 31 6.2 Ausbau der Ladeinfrastruktur beschleunigen und Finanzierung dauerhaft sichern31 6.3 Digitalisierung und autonomes Fahren als Beitrag zur Verkehrswende nutzen 32 4
Agora Verkehrswende | Inhalt 7|S tärkung der Schiene und Elektrifizierung der Straße im Güterverkehr 33 7.1 Schienengüterverkehr stärken 34 7.2 Straße und Schiene besser miteinander verbinden 34 7.3 Elektromobilität im Straßengüterverkehr voranbringen 34 8 | Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung 36 8.1 Verkehrswegeplanung am Klimaschutz ausrichten 37 8.2 Straßennutzungsgebühren a usweiten und umverteilen 37 9 | Strukturwandel in Industrie und Regionen 38 9.1 Die Transformation vorantreiben 39 9.2 Investitionen für die Transformation erleichtern 39 9.3 Strukturwandel in den Regionen flankieren 39 10 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk 41 10.1 Neue Allianzen für die Verkehrswende schmieden 42 10.2 Kommunen als Orte der Verkehrswende stärken 43 10.3 Internationale Zusammenarbeit für die globale Verkehrswende intensivieren 44 5
Plädoyer für eine Regierungs-Charta der Fairkehrswende Mit diesem Politikpapier plädiert Agora Verkehrswende gen und desto größer sind die Spielräume für deren dafür, dass die neue Bundesregierung zu Beginn der Ausgleich. 20. Legislaturperiode eine Charta der Fairkehrswende • Die verbleibenden Kosten genauso wie die Chancen erarbeitet und verabschiedet, unterzeichnet von allen der Transformation sind, drittens, so gerecht wie relevanten Bundesministerien. 30 Jahre lang ist es möglich zu verteilen. Die Beseitigung von sozialen Deutschland nicht gelungen, die Treibhausgasemissio- Schieflagen der bestehenden Klima- und Verkehrs nen im Verkehrssektor zu senken. Der Ausstoß liegt seit politik sowie die soziale Ausgewogenheit der neuen 1990 kaum verändert bei rund 160 Millionen Tonnen klimapolitischen Instrumente ist nicht nur ein Gebot CO2-Äquivalenten pro Jahr. Nun soll er in den kommen- der Gerechtigkeit, sondern sie ist auch notwendig, um den rund 25 Jahren auf null sinken. Offensichtlich muss die Unterstützung und die Akzeptanz in Gesellschaft sich die Klimapolitik im Verkehrssektor radikal ändern. und Wirtschaft zu sichern. Klimaneutralität wird bis 2045 nur möglich sein, wenn diese politische Wende in den kommenden Monaten Diese Einleitung und die folgenden Kapitel führen aus, beginnt. Eine Charta der Fairkehrswende kann dafür welche Aspekte in einer Charta der Fairkehrswende die Orientierung und Verbindlichkeit gewährleisten, die berücksichtigt werden sollten und mit welchen Inst- bisher gefehlt hat. Sie wäre Karte und Kompass für das rumenten und Maßnahmen die Ziele erreicht werden Handeln der Bundesregierung und somit auch für die können. Bestenfalls kann dieses Politikpapier damit als relevanten Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesell- Orientierung bei den anstehenden Koalitionsverhand- schaft – mindestens für die kommende Legislaturperi- lungen und bei der Erarbeitung einer Charta der Fair- ode, idealerweise auch darüber hinaus. kehrswende dienen. Der Begriff Fairkehrswende steht für eine faire Ver- kehrswende für alle. Der Aspekt der Fairness bezieht sich Das Paradigma der K limaneutralität dabei auf mehrere Dimensionen: • Erstens geht es um die schnelle und umfangreiche Der klimapolitische Diskurs ist in eine neue Phase Minderung des Treibhausgasausstoßes, also die übergegangen. War vorher viele Jahre lang um das ökologische Effektivität. Das Bundesverfassungs- notwendige und machbare Maß an Emissionsverminde- gericht hat dies mit seinem Beschluss vom Frühjahr rung gerungen worden, haben sich die meisten Staaten 2021 sehr deutlich gemacht. Ohne eine effektive mittlerweile verbindlich auf das Ziel der Klimaneutralität Klimapolitik werden junge sowie kommende Gener festgelegt. Damit sind nun alle Sektoren, auch der Ver- ationen übermäßige Belastungen in Form von Klima kehrssektor, durch das Ziel der Netto-Null-Emissionen schäden und Freiheitseinschränkungen erleben. Die in einen neuen Zusammenhang gestellt. Herausforderung, Klimaschäden zu vermeiden und Emissionen zu senken, wird für sie immer größer Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf dem werden, je weniger ältere Generationen heute tun. UN-Klimagipfel 2019 zu dem Ziel der Klimaneutralität • Weitere Verzögerungen beim Klimaschutz würden, bis 2050 bekannt. Ebenso haben dies die europäischen zweitens, nicht nur Ungerechtigkeiten zwischen den Staats- und Regierungschefs getan. Inzwischen haben Generationen mit sich bringen, sondern sie würden sich mit den USA, Japan und Südkorea weitere der größ- überdies zu insgesamt höheren Kosten führen, da ten Volkswirtschaften der Welt zum Ziel der Klimaneu- das Verschleppen von Transformationsschritten die tralität bis Mitte des 21. Jahrhunderts bekannt. China Gefahr von Stranded Assets und kostspieligen Struk- plant für 2060 mit dem Erreichen von Netto-Null-Emis- turbrüchen mit sich bringt. Ökonomische Effizienz ist sionen. Entsprechend der Analyse Net Zero by 2050: A deshalb ein Prinzip der Fairkehrswende: Je kosten Roadmap for the Global Energy Sector der Internationalen effizienter die Verkehrswende gelingt, desto geringer Energieagentur wird – Stand Frühjahr 2021 – das Ziel sind die Risiken unausgewogener Belastungswirkun- der Klimaneutralität bis 2050 in mehr als 40 Ländern 7
Vier Jahre für die Fairkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der Fairkehrswende angestrebt. Diese Länder sind für etwa drei Viertel der Der Zielpfad für ein klimaneutrales weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Deutschland 2045 In Deutschland hat der Beschluss des Bundesverfas- Dass Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 technisch und sungsgerichts zu den Verfassungsbeschwerden gegen das wirtschaftlich realisierbar ist, haben Agora Energie- Bundes-Klimaschutzgesetz im April 2021 eine weitere wende, Agora Verkehrswende und die Stiftung Klima- Tempoverschärfung bei den Emissionsminderungszielen neutralität in der gemeinsamen Studie Klimaneutra- für Treibhausgase erwirkt: Der Bundestag hat im Juni les Deutschland 2045 (KNDE) gezeigt. Dabei wurden 2021 eine Novelle des Klimaschutzgesetzes beschlossen, nicht nur sämtliche Wirtschaftssektoren ausführlich die Klimaneutralität bis 2045 vorgibt und die Ambition modelliert, sondern auch ihre Wechselwirkungen auch bei den jährlichen Emissionsobergrenzen für die untereinander. Ein zentrales Element ist die umfas- einzelnen Sektoren erhöht. Demnach müssen bereits sende Elektrifizierung aller Bereiche einschließlich des bis 2030 die Treibhausgasemissionen um mindestens Verkehrssektors. Gekoppelt ist dies mit einem massiven 65 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken. Für den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung sowie dem Verkehrssektor ist eine Reduktion um 48 Prozent bis Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, deren größter Anteil 2030 vorgesehen. im Elektrizitätssektor liegt zum Zweck der saisonalen Energiespeicherung. Es gilt nun, das Bekenntnis zum Ziel der Netto-Treib- hausgasneutralität bis 2045, in § 3 Absatz 2 des Klima- Im Verkehrssektor rechnet die Studie mit Treibhausgas schutzgesetzes verankert, durch politisches Handeln, emissionen von 89 Millionen Tonnen CO2-Äquivalen- also konkrete Instrumente und Maßnahmen, in die ten im Jahr 2030. Das entspricht einer Minderung um Wirklichkeit umzusetzen. Die Gewissheit des Ziels und etwa 46 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990. Um die Notwendigkeit, einen gangbaren Weg dorthin aufzu- das Minderungsziel zu erreichen, empfiehlt die Studie, zeigen, machen Konzepte erforderlich, die politisch lange einfach formuliert, folgende verkehrsspezifischen Ziele: als unvorstellbar galten. Die Konzeptentwicklung kann Im Jahr 2030 dagegen auf zwei Jahrzehnte Vorarbeit aufbauen. Diese • fährt mehr als jeder vierte Pkw und jedes vierte Vorarbeit ist ein entscheidender Vorteil – besonders dort, leichte Nutzfahrzeug elektrisch; wo es um technologische Entwicklungen geht. Sie schafft • wird ein Drittel der Fahrleistung im Straßengüter jedoch auch Herausforderungen, weil die bestehenden, verkehr elektrisch erbracht; historisch gewachsenen Politikinstrumente Stückwerk • haben sich die Fahrgastzahlen der Bahn verdoppelt; sind. Diese haben ihren Ursprung in einer Frühphase der • sind die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr Klimapolitik, in der vielfältige Ansätze teilweise parallel auf dem Weg zur Verdopplung bis 2035; erarbeitet worden waren. • wird ein Viertel mehr Wegstrecke mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt; In einer Situation grundlegender Neuorientierung der • wird im Güterverkehr jede vierte Tonne auf der Klimapolitik, die alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbe- Schiene bewegt. reiche umfassen wird, ist der Ansatz einer schrittweisen Weiterentwicklung einzelner Klimaschutzinstrumente Das novellierte Klimaschutzgesetz gibt für den deutschen kein zielführender Weg mehr. Die verschiedenen Ansätze Verkehrssektor bis 2030 noch ambitioniertere Ziele als müssen vielmehr in ihren Wirkungsweisen und in ihren die KNDE-Studie vor, da die Lastenverteilung zwischen Wechselwirkungen verstanden und unter dem Para- den Sektoren zur Erreichung des übergreifenden Minde- digma der Klimaneutralität zusammengedacht werden. rungsziels von 65 Prozent – gegenüber 1990 – in anderer Art und Weise vorgenommen wurde. Das Klimaschutz- gesetz sieht bis 2030 eine maximale Treibhausgasemis- sionsmenge von 85 Millionen Tonnen vor. Das Sektorziel liegt damit noch einmal um vier Millionen Tonnen unter dem Zielwert der KNDE-Studie. Zur Veranschaulichung: In weniger als zehn Jahren sind die Emissionen des 8
Agora Verkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der F airkehrswende Verkehrssektors um knapp die Hälfte (gut 48 Prozent) All das bedeutet, dass es einer gut austarierten Instru- zu senken. Das ist nur möglich, wenn auch der Zielpfad mentenarchitektur bedarf, um die Verkehrswende zum im Vergleich zur KNDE-Studie noch anspruchsvoller Erfolg zu führen. Entscheidend sind dabei vor allem vier ausfällt. So müssen beispielsweise 2030 sicherlich noch Hebel: deutlich mehr als die im Rahmen der KNDE-Studie • Verkehrsaktivitäten: Verkehrsteilnehmer:innen und angenommenen 14 Millionen E-Pkw auf der Straße Wirtschaftsakteure sollten dazu angeregt werden, ihr sein – also dann eher jeder dritte als jeder vierte Pkw. Mobilitätsverhalten nachhaltiger zu gestalten. Dies betrifft sowohl Entscheidungen darüber, wie viel und Bis 2045 ist also neben einer vollständigen Dekarboni- wohin gefahren oder transportiert wird (Aktivitäts sierung des Verkehrs auch eine grundlegende Verkehrs niveau), als auch die Verkehrsmittelwahl. verlagerung erforderlich, weg vom motorisierten Indivi- • Innovationen (Angebot): Sowohl der Fahrzeugbestand dualverkehr hin zu Rad-, Fuß- und öffentlichem Verkehr. als auch die Energiebereitstellung müssen auf Klima- Der Anteil des aktiven und öffentlichen Verkehrs an der schutztechnologien umgestellt werden. Anbieter und Personenverkehrsnachfrage wächst im KNDE-Szena- Produzenten müssen dafür entsprechende Innovatio- rio auf über 40 Prozent. Nur so ist die Verringerung des nen und Angebote entwickeln. Endenergiebedarfs, die für eine sektorübergreifende • Flottenmodernisierung (Nachfrage): Bei der klima Klimaneutralität notwendig ist, im Verkehr erreichbar. gerechten Modernisierung der Fahrzeugflotte spielt die Kaufentscheidung eine wichtige Rolle. Deshalb Zusammenfassend gilt es also, sowohl eine Mobilitäts braucht es Politikinstrumente, die den Absatz emis- wende als auch eine Energiewende im Verkehr voran sionsarmer Fahrzeuge sowie deren Zubehör begüns- zutreiben. Die Mobilitätswende sorgt dafür, dass der tigen und CO2-intensive Technologien aus dem Markt Endenergieverbrauch des Verkehrssektors ohne Ein- drängen. schränkung der Mobilität sinkt, indem sich das Ver • Infrastrukturen: Nachhaltigere Verkehrsträger und kehrsangebot erweitert und multimodales Verkehrs Technologien brauchen zum Teil neue Infrastruktu- verhalten erleichtert wird. Die Energiewende im Verkehr ren. Dies betrifft sowohl die Verkehrsinfrastruktur als stellt hingegen sicher, dass der verbleibende Endenergie auch die Energieversorgung, aber auch die Digitali- bedarf des motorisierten Verkehrs mit klimaneutralen sierung. Für die Planung und Bereitstellung sowie für Antriebsenergien gedeckt wird und dass diese Energien die dazugehörige Regulierung ist in der Regel der Staat effizient und sparsam eingesetzt werden. verantwortlich. Eine besondere Herausforderung ist dabei, die Planungen mit der langfristigen Entwick- lung von Märkten und Technologien in Einklang zu Vier Hebel: Wo die Klimapolitik im bringen. Verkehrssektor ansetzen sollte Die Politik muss alle diese vier Hebel gleichermaßen wir- Während sich der Zielpfad für einen nachhaltigen, kungsvoll einsetzen. Oft wird ein und dasselbe Instrument klimaneutralen Verkehrssektor zunehmend klarer an mehreren Hebeln gleichzeitig angreifen. Beispiels- abzeichnet, stellt sich der Politik die Herausforderung, weise beeinflussen Kraftstoffpreise direkt die Kosten pro den Weg dorthin mit geeigneten Instrumenten zu ebnen. gefahrenem Kilometer und damit die Verkehrsaktivität Die Aufgabe ist komplex. Vielfältige technische, ökono- sowie die Wahl des Verkehrsmittels. Sie beeinflussen aber mische und institutionelle Verflechtungen und Wech- auch die Kaufentscheidung bei der Fahrzeuganschaffung, selwirkungen sind zu berücksichtigen und mit Blick auf zumindest in dem Maße, wie Käufer:innen die durch ihre Bedeutung für die langfristigen Entwicklungen zu diese Preise beeinflussten Betriebskosten berücksichti- bewerten. Die Entscheidungen vieler privater und staat- gen. Doch kein einzelnes Politikinstrument wird bei allen licher Akteure sind aufeinander abzustimmen. Zudem vier Hebeln zugleich das erforderliche Maß an Wirksam- sind viele der für die Verkehrswende relevanten Märkte keit erreichen. Es bedarf einer Instrumentenarchitektur, durch Unvollkommenheiten, Hemmnisse und Verzerrun- die auf die jeweiligen Eigenheiten der Hebel zugeschnit- gen gekennzeichnet. ten ist, dabei Synergien zwischen den Instrumenten nutzt und Reibungsverluste minimiert. 9
Vier Jahre für die Fairkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der Fairkehrswende Drei Prinzipien: Effektivität, Effizienz, dem Ziel der Klimaneutralität nicht vereinbar sind, soziale Ausgewogenheit vermieden werden. Schwierig wird das vor allem dann, wenn auf dem Pfad zur Klimaneutralität – Für die Auswahl, Ausgestaltung und Abstimmung der aufgrund verpasster Zwischenziele – Anpassun- Politikinstrumente im Verkehrssektor sind drei Prinzi- gen und Nachsteuerungen vorgenommen werden pien zu berücksichtigen: müssen. • Ökologische Effektivität: Der Instrumentenmix muss • Soziale Ausgewogenheit und Akzeptanz: Nur mit gewährleisten, dass die vorgegebenen Emissionsmin- der Akzeptanz und Unterstützung der Mehrheit der derungsziele im Verkehr verlässlich erreicht werden. Gesellschaft kann die Verkehrswende in einer Demo- Diese leiten sich aus dem völkerrechtlich verbind kratie gelingen. Akzeptanz wird die Verkehrswende lichen Paris-Abkommen sowie dem klimapolitischen wiederum nur finden, wenn der Übergang zu einem Rahmen der EU ab und sind letztendlich im deutschen klimaneutralen Mobilitätssystem sozial ausgewogen Klimaschutzgesetz festgeschrieben. Entscheidend ist erfolgt und die Chancen und Kosten gerecht verteilt hierbei der kumulative Ausstoß von Treibhausgasen werden. Dazu gehören folgende Aspekte: durch den Verkehr, bis das Ziel der Klimaneutralität • Unterstützung beim Übergang in die postfossile erreicht ist. Wird dieses Prinzip nicht eingehalten, Mobilität: Kompensations- und Unterstützungs- geht das vor allem zulasten jüngerer und kommender maßnahmen sind insbesondere für einkommens- Generationen. Sie werden den Folgen der Erderhit- schwache Haushalte unabdingbar, da diese oftmals zung stärker ausgesetzt sein. Ihre Freiheit, Lebens- nicht über die Mittel verfügen, um kurzfristig ihre qualität und Mobilität werden eingeschränkt. Mobilitätsroutinen zu ändern oder klimafreund • Ökonomische Effizienz: Die Emissionsminderungen liche Fahrzeuge anzuschaffen. Auch in den betrof- sind zu möglichst geringen volkswirtschaftlichen fenen Industrien, bei deren Beschäftigten und in Kosten zu erreichen. Davon profitieren sowohl heutige den entsprechenden Regionen wird es gezielter als auch kommende Generationen. Dies kann nur Transformationshilfen bedürfen, um sozialen und gelingen, indem energieeffiziente und ressourcen- wirtschaftlichen Friktionen vorzubeugen. schonende Technologien und Lösungen zum Einsatz • Gerechte Verteilungswirkung: Soziale Ausge- kommen. Dazu gehören folgende Aspekte: wogenheit bedeutet ebenso, dass auf die Vertei- • Kostenwahrheit und Verursacherprinzip: Voraus lungswirkung von Fördermaßnahmen, beispiels- setzung für ein volkswirtschaftlich effizientes weise Kaufprämien, geachtet wird. Diese sollten Wirtschaften in einem marktwirtschaftlichen eine systematische Subventionierung ohnehin System ist, dass die Preise die jeweiligen Kosten wohlhabender Haushalte zulasten der öffent widerspiegeln – inklusive der Schadenskosten lichen Haushalte und damit aller Steuerzahler:in- durch Beanspruchung der Umwelt. Die Einpreisung nen einschließlich der einkommensschwachen (Internalisierung) der vormals externen Schadens- Haushalte vermeiden. Ansonsten könnten Gelder kosten beim Verursacher kann einen Beitrag zur für notwendige Kompensationsmaßnahmen oder effizienten Allokation der Ressourcen leisten. Klimaschutzinvestitionen fehlen. • Kontinuierlicher technologischer Fortschritt • Subsidiaritätsprinzip: Entscheidungen sollten (dynamische Effizienz): Langfristig effizient ist möglichst nah bei den Menschen getroffen werden, Klimapolitik nur dann, wenn sie nicht nur auf den die von ihnen betroffen sind. Dabei ist auf eine Einsatz der heute kostengünstigsten und res- gute Abstimmung zwischen den verschiedenen sourcenschonendsten Technologien ausgerichtet politischen Ebenen von EU, Bund, Ländern und ist, sondern auch den stetigen technologischen Kommunen zu achten. Fortschritt fördert. • Transparenz und klare Kommunikation schafft • Investitions- und Planungssicherheit: Verbind- Verständnis und bildet die Grundlage für Zustim- liche Ziele und ein langfristig klarer politischer mung und Veränderungsbereitschaft in der Gesell- Rahmen sind Voraussetzungen dafür, dass die schaft. notwendigen umfangreichen Investitionen getätigt und Fehlinvestitionen in Technologien, die mit 10
Agora Verkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der F airkehrswende Politikinstrumente: Wirksame öglich, aber zugleich auch so ausdifferenziert wie m Mischung statt Allheilmittel nötig, um den Eigenheiten der jeweiligen Ansatz- punkte und Wirkmechanismen gerecht zu werden. Wenn die Politik das Gesamtkonzept und die Instru- • Handlungsebenen: Der Anspruch an Konsistenz und mente zum Verwirklichen der Fairkehrswende zusam- Kohärenz ist ebenso an das Zusammenwirken der menstellt, sollte sie die genannten Hebel und Prinzipien verschiedenen Handlungsebenen zu legen: von der als Leitplanken verstehen. Gefragt ist ein kohärentes und internationalen Zusammenarbeit und der EU über den konsistentes Bündel an Politikinstrumenten. Die Fokus- Bund bis zu den Ländern und Kommunen. Die natio sierung auf einzelne, vermeintlich allumfassend wirk- nale Klima- und Verkehrspolitik ist eng eingebettet in same Instrumente wie den Emissionshandel ist nicht den europäischen Rahmen. Maßgebliche Weichen zielführend. Zwar ist die Bepreisung von CO2-Emissi- stellungen für Fahrzeuge, Kraftstoffe, Ladeinfra onen ein unverzichtbares Instrument in allen Sektoren, struktur, Preissignale und sozialen Ausgleich finden sie ist aber kein Allheilmittel – eine Schlussfolgerung, zu sich unter anderem im jüngst vorgeschlagenem Fit for der auch die EU-Kommission in ihrer Folgenabschät- 55-Paket der EU-Kommission (siehe Kasten). Die zung (Impact Assessment) zur Reform des europäischen Positionierung der Bundesregierung im Rat wird Emissionshandels kommt. entscheidend beeinflussen, wie diese Instrumente letztlich ausgestaltet sein werden. Auf nationaler Im Verkehrssektor gilt dies sogar noch mehr als in ande- Ebene wird es dann darum gehen, den durch die EU ren Sektoren, weil die Transformation hier gerade auf vorgegebenen Rahmen auszugestalten und bei Bedarf der Nachfrageseite stärker zu spüren ist. Erneuerbarer zu ergänzen. In einigen Fällen wird es möglich sein, Strom kommt weiterhin aus der Steckdose, aber neue über die EU-Vorgaben hinauszugehen. Schließlich Mobilitätstechnologien und -dienstleistungen verändern sollte die Bundesregierung den Bundesländern und den Alltag und die Gewohnheiten der Menschen. Hinzu den Kommunen mehr Handlungsspielraum gewähren. kommen vielschichtige Akteurs-, Kompetenz- und Viele Initiativen „von unten“ scheitern bisher noch Anreizstrukturen im Verkehrssektor. Umso wichtiger ist an restriktiven oder aufwändigen bundespolitischen es, die Politikinstrumente gut aufeinander abzustimmen. Vorgaben. Um die bereits erwähnten Hebel und Prinzipien wirk- • Sektorenkopplung: Der Verkehrssektor ist sowohl sam umzusetzen, stehen verschiedene Kategorien von technisch und ökonomisch als auch regulativ mit ver- Instrumenten auf verschiedenen Handlungsebenen zur schiedenen weiteren Wirtschaftssektoren verfloch- Verfügung. Dabei muss das Zusammenspiel mit anderen ten. Folglich kann die Verkehrswende nicht isoliert Sektoren berücksichtigt werden. vom breiteren klimapolitischen Rahmen gedacht • Instrumentenkategorien: Zur Verfügung stehen vor und instrumentiert werden. Besonders eng sind die allem ökonomische, ordnungsrechtliche und infra- Verflechtungen mit Blick auf die künftige Energie- strukturelle Instrumente. CO2-Bepreisung, Straßen- versorgung. Um erneuerbaren Strom – und ebenso um nutzungsgebühren oder gezielte Förderinstrumente biogene Energieträger – wird es auf absehbare Zeit können zum Beispiel wirtschaftliche Anreize setzen, Nutzungskonkurrenzen geben. Das gilt nicht nur für damit private Akteure Emissionsminderungspoten- die unmittelbare Verwendung des Stroms in Endan- ziale möglichst kostengünstig erschließen. Allerdings wendungen wie Elektromotoren, sondern noch viel sind nicht alle Entscheidungssituationen für Preissig mehr für alle strombasierten chemischen Energie- nale hinreichend zugänglich – sei es aus administra träger wie Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe, tiv-praktischen, sozialen oder entscheidungspsycho- da sie mit hohen Umwandlungsverlusten und folglich logischen Gründen. Ordnungsrechtliche Lösungen einem hohen Primärenergieeinsatz verbunden sind. können dann das Instrument der Wahl sein, um dem Dies wird nicht nur in Deutschland der Fall sein, son- Markt einen Rahmen zu setzen. Bei der Planung dern auch in Drittländern – einschließlich jener, die und Bereitstellung von Infrastruktur ist hingegen als potenzielle Produktionsstandorte für synthetische der Staat oftmals als unmittelbar handelnder Akteur Kraftstoffe gelten. gefragt. Bei der Zusammenstellung der Instrumente sollte gelten: So unbürokratisch und schlank wie 11
Vier Jahre für die Fairkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der Fairkehrswende Das Fit for 55-Paket der Europäischen Kommission • Fahrzeuge: Die CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge werden für das Jahr 2030 deutlich abgesenkt. Für das Jahr 2035 wird eine Reduktion der spezifischen CO2-Emissionen um 100 Prozent festgeschrieben, was einem Ausstieg aus Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bei den Neuzulassungen (Phase out) gleichkommt. Die Standards für Lkw und Busse sind nicht Teil des Fit for 55-Pakets, werden aber nächstes Jahr einer geplanten Revision unterzogen. Auch hier sind weitere Nachschärfungen zu erwarten. Aufgrund von Binnenmarktregeln ist es für einzelne Mit- gliedsstaaten aktuell de facto nicht möglich, ordnungsrechtlich über diese Standards hinauszuge- hen. Nationale Instrumente können zwar die Zielerreichung auf europäischer Ebene unterstützen, aber es ist fraglich, ob sie das Ambitionsniveau insgesamt anheben können. • Kraftstoffe: In der Regelung von Kraftstoffen durch die Richtlinie über erneuerbare Energien wer- den die Ziele erhöht sowie neue quantitative Mindestanforderungen an die Beimischung erneuer- barer Kraftstoffe im Luftverkehr (ReFuelEU Aviation) und an die Treibhausgasintensität der Kraft- stoffe im Seeverkehr (FuelEU Maritime) gestellt. • Ladeinfrastruktur: Die Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe wird in eine Verordnung umgewandelt. Es werden deutlich konkretere Mindestanforderungen an das Ladenetz und das Tankstellennetz für Wasserstoff formuliert. • Preissignale: Das neu zu schaffende Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr etabliert einen EU-weiten CO2-Preis im Straßenverkehr, während die Anpassung der rein auf den Energie gehalt abzielenden Energiebesteuerungs-Richtlinie zu Veränderungen in der Steuerstruktur führt, die unter anderem das Ende des Dieselprivilegs bedeuten. • Sozialer Ausgleich: Ein neuer Klima-Sozialfonds soll geschaffen werden, um soziale Härten abzu federn, die durch die Preisinstrumente entstehen. Diese Konkurrenzsituation bekräftigt einmal mehr Kenntnisstand auch langfristig keine Antriebsalter- das schon erwähnte Effizienzgebot in allen Formen nativen zur Verfügung stehen – das heißt insbeson- der Endenergienutzung. Auch bei hohem Ausbaugrad dere im Langstreckenflugverkehr. Mithin sollten die der erneuerbaren Energien bleibt es unverzichtbar, Planung und Förderung des Aufbaus neuer Produkti- Energie so effizient zu nutzen wie möglich, nicht onskapazitäten und Infrastrukturen für synthetische zuletzt deshalb, weil auch diese Form der Elektrizi- Energieträger von Beginn an auf diese Anwendungen tätserzeugung Umweltauswirkungen verursacht und ausgerichtet werden. zum Rohstoffverbrauch beiträgt. Ferner ergibt sich aus der Knappheit der erneuerbaren Energien, dass die Verwendung synthetischer Energieträger auf Die Hebel in Bewegung setzen jene Bereiche beschränkt wird, in denen sie weitge- hend unverzichtbar sind. Für den Verkehr bedeutet Die bisherigen Ausführungen haben die Leitgedanken dies eine weitgehende Einschränkung der Nutzung der Bündelung von Politikinstrumenten für eine Charta alternativer Kraftstoffe. Sie sollte auf jene Verkehrs der Fairkehrswende skizziert. Die folgenden Abschnitte bereiche begrenzt werden, für die nach heutigem illustrieren anhand ausgewählter Instrumentenbeispiele, 12
Agora Verkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der F airkehrswende wie aus den jeweiligen Eigenheiten der vier klimapoli- Indem sie den Nutzer:innen die Kosten (Klimawirkung, tischen Hebel im Verkehr die Notwendigkeit erwächst, weitere externe Kosten, Infrastruktur) unmittelbar in eine darauf zugeschnittene, hinreichend ausdifferen- Rechnung stellen, können beide Arten der Aktivitäts- zierte Politik zu entwickeln. Umfassende und konkrete bepreisung, nach CO2-Ausstoß und Fahrleistung, das Empfehlungen für die Gestaltung der Politikinstrumente Verkehrsverhalten wirksam, effizient und verursacher- in der kommenden Legislaturperiode folgen nach der gerecht in Richtung nachhaltigerer Mobilitätsmuster Einleitung in den zehn Themenkapiteln. lenken. Werden die Einnahmen sozial ausgewogen verwendet beziehungsweise zurückverteilt, kann das Verkehrsaktivität gestalten eine hohe Akzeptanz für die Instrumente schaffen. Die Mobilitätswende steht für ein verändertes Verkehrs Zugleich gilt es, verkehrsinduzierende, umweltschädliche verhalten der Menschen und ein verändertes Mobilitäts- und oftmals auch verteilungspolitisch problematische angebot. Dies geht einher mit einem neuen Verständnis Subventionen – wie zum Beispiel bei der Dienstwagen- der Rolle des privaten Pkw, der lange als Verkehrsmittel nutzung – abzubauen. der Wahl für alle Zwecke galt, egal ob auf der Kurz- oder Langstrecke. Der Wandel wird zuerst vor allem in den Gerade mit Blick auf die Verkehrsverlagerung würde Städten kommen, während neue Ansätze in der Vernet- eine Strategie einzig über Preise aber zu kurz greifen. zung öffentlicher und flexibel genutzter und geteilter Neben dem Veränderungsdruck durch höhere Preise Verkehrsmittel ausgebaut werden. (Push-Instrumente) bedarf es auch gezielter Instrumente zur Stärkung klimaverträglicher Mobilitätsoptionen Verkehrsaktivitäten können auf verschiedene Art und im Personen- und Güterverkehr (Pull-Instrumente). So Weise angereizt werden. Entscheidend sind sowohl die gilt es, Alternativen zum privaten Pkw attraktiver zu Fahrtentscheidung und damit die Verkehrsleistung selbst gestalten. Dazu gehören, neben einem quantitativ und als auch die Wahl des Verkehrsmittels. Zu den finanzi- qualitativ verbesserten Angebot im öffentlichen Verkehr, ellen Instrumenten, die darauf Einfluss nehmen, zählen auch ordnungsrechtliche Eingriffe, um beispielsweise alle Formen der Bepreisung von CO2-Emissionen. Mit den Radverkehr schneller und sicherer zu machen. Hinzu steigenden CO2-Preisen nimmt der Anreiz zu, unnötige kommen weitere Instrumente, die die Verkehrsaktivi- Fahrten zu vermeiden, aber auch Fahrten zu bündeln tät auf nichtfinanzielle Art beeinflussen. Dazu zählen oder auf klimafreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen. Mobilitätsberatung und Mobilitätsmanagement sowie Das bestehende Abgabensystem ist in dieser Hinsicht alle Aktivitäten, die auf einen Wandel der persönlichen nicht zielkonform, denn die Steuern und sonstigen Einstellung der Menschen zur Mobilität und speziell zur Abgaben auf die verschiedenen im Verkehr eingesetzten Pkw-Nutzung abzielen. Im Güterverkehr steht eine – vor Energieträger sind extrem heterogen und weisen keinen allem infrastrukturelle – Stärkung der Schiene als Alter- systematischen Bezug zum Kohlenstoffgehalt bezie- native zum Lkw im Vordergrund. hungsweise zur Klimawirkung auf. Die Zielgruppe der genannten Instrumente umfasst alle Auch eine fahrleistungsabhängige Maut würde Verkehrs Akteure, die sich für einen bestimmten Weg oder eine aktivität einen Preis geben, anders als ein Vignetten- bestimmte Warensendung entscheiden. Sie ist daher system, das über einen bestimmten Zeitraum gilt und äußerst heterogen und reicht von Privatpersonen aller unabhängig von der gefahrenen Distanz ist. In einem Altersklassen und Lebenssituationen bis hin zu Dispo- kapitalintensiven und zunehmend CO2-freien Verkehrs- nenten großer Logistikfirmen. Dementsprechend diversi- system entfaltet die Nutzungsbepreisung öffentlich fiziert und spezifiziert müssen auch die Instrumente sein. finanzierter Infrastrukturen nicht nur eine Lenkungs- wirkung, sondern sie übernimmt auch zunehmend eine Innovationen anreizen (Angebot) wichtige Finanzierungsfunktion für die Infrastruktur. Ein zentraler Ansatzpunkt zur Erreichung der Klimaziele Je geringer die Einnahmen aus Steuern und Abgaben auf im Verkehr ist die Minderung des spezifischen Energie- fossile Technologien, desto wichtiger wird es, der Fahr- verbrauchs und damit des CO2-Ausstoßes der genutzten leistung einen Preis zu geben. Fahrzeuge. Hierdurch kann die Verkehrsaktivität zuneh- mend vom Treibhausgas-Ausstoß entkoppelt werden. 13
Vier Jahre für die Fairkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der Fairkehrswende Die Antriebstechnologie beim Pkw befindet sich am sich hier für ambitionierte Regelungen einzusetzen. Per- Anfang einer grundlegenden Transformation weg vom spektivisch sind die europäischen Flottengrenzwerte ein Verbrennungsmotor hin zum Elektroantrieb. Zwar ist geeignetes Instrument um ab 2030 auch die spezifische damit zu rechnen, dass es noch etwas mehr als ein Jahr- Energieeffizienz von Elektrofahrzeugen zu fördern. zehnt dauern wird, bis tatsächlich alle neu zugelassenen Pkw in Deutschland elektrisch angetrieben werden (und Auf nationaler Ebene können insbesondere gezielte die Bestandsflotte wird noch länger hohe Anteile an finanzielle Förderungen – so beispielsweise im Rahmen Verbrennern umfassen), doch die Richtungsentschei- eines Investitionsfonds Neue Mobilität – zur Entwick- dung für den batterieelektrischen Antrieb ist weitgehend lung innovativer Technologien und Geschäftsmodelle getroffen. Auch bei schweren Nutzfahrzeugen ist eine beitragen. Damit wird die Verkehrswende nicht nur Transformation hin zu elektrifizierten Antrieben zu in ihrer umweltpolitischen Dimension unterstützt, erwarten, obgleich noch nicht klar ist, welche Anteile sondern es wird auch ein Beitrag zur sozialverträg Lkw mit batterieelektrischem Antrieb, Oberleitung lichen Transformation der Mobilitätsbranche geleistet, oder Wasserstoff-Brennstoffzelle haben werden und ob indem zukunftsorientierte Arbeitsplätze in Deutschland diese Anteile regional unterschiedlich ausfallen werden. geschaffen werden. Gerade im Bereich des Langstrecken-Lkw ist noch nicht entschieden, ob sich eine Antriebstechnologie als domi- Flottenmodernisierung steuern (Nachfrage) nant erweisen wird. Dem Angebot an emissionsarmen Fahrzeugen muss auch eine entsprechende Nachfrage gegenüberstehen. Primärer Adressat der Politikinstrumente in diesem Die europäischen CO2-Grenzwerte allein werden kaum Bereich ist die Autoindustrie. Sie wird die erforderlichen ausreichen, damit Deutschland das zur Einhaltung verbrauchs- und emissionsarmen Fahrzeuge entwi- seiner Klimaziele notwendige Tempo bei der Flotten- ckeln und produzieren müssen. Das wirksamste etab- transformation erreicht – auch weil die Grenzwerte lierte angebotsseitige Instrument sind die europäischen Schwächen aufweisen, wie beispielsweise das Fehlen CO2-Flottengrenzwerte. Diese existieren sowohl für Pkw von Zwischenzielen für die Jahre zwischen 2025 und und leichte Nutzfahrzeuge als auch für schwere Nutz- 2030. Daher müssen Instrumente auch gezielt auf fahrzeuge. Indem sie die durchschnittlichen Emissionen die Fahrzeuganschaffung einwirken. Angesichts der der neu verkauften Fahrzeuge begrenzen, bestimmen langen Nutzungsdauer und hohen Bandbreite an mög- sie maßgeblich, welche Fahrzeuge überhaupt zum Kauf lichen Emissionswerten haben heutige Kauf- oder angeboten werden. Zwar werden auch hochemittierende Leasing-Entscheidungen langfristige Konsequenzen bis Fahrzeuge dadurch nicht ausgeschlossen, aber die Her- weit in die 2030er Jahre für die Treibhausgasemissionen. steller stehen unter dem Zwang, diese durch entsprech ende Mehrverkäufe niedrig emittierender Fahrzeuge Anders als bei den angebotsseitigen CO2-Flotten- auszugleichen. grenzwerten sind nachfrageorientierte Instrumente vornehmlich fiskalischer Natur und somit primär auf Auf diese Weise wirkt die Verordnung bei zuneh- nationaler Ebene angesiedelt. Sie sind deshalb von mender Absenkung des Grenzwertes auch als eine Art besonderer Bedeutung für die Klimastrategie einer implizite Quote für Nullemissionsfahrzeuge und damit nationalen Regierung. Zu diesen Instrumenten zählen als Innovationstreiber und Technologiepfad-Mecha- beispielsweise die Ausgestaltung der Kfz-Steuer sowie nismus. Insbesondere die von der Kommission vorge- temporäre Kaufprämien für emissionsfreie Fahrzeuge. schlagene Reduktion des CO2-Ausstoßes neuer Pkw Das von der Energiesteuer beziehungsweise dem Emissi- auf null bis zum Jahr 2035 – de facto ein Ausstieg aus onshandel ausgehende CO2-Preissignal allein wirkt nicht dem Verbrennungsmotor bei Neuzulassungen – ist ein hinreichend stark, um die Verbesserung der Flotten wichtiges Signal und bietet den Unternehmen langfris- effizienz im notwendigen Maße anzureizen. Zwar macht tige Investitions- und Planungssicherheit. Aufgrund des die CO2-Bepreisung emissionsarme Fahrzeuge finanziell europäischen Binnenmarktes, der auf EU-Ebene geregelt attraktiver, jedoch wird ihre Effektivität hinsichtlich der werden muss, sind angebotsseitige Instrumente häufig Fahrzeugwahl durch verschiedene Verzerrungen und europäisch geregelt. Die Bundesregierung ist gefordert, Wirkungsbrüche (zum Beispiel fehlende Transparenz 14
Agora Verkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der F airkehrswende im Gebrauchtwagenmarkt) abgeschwächt, die zu einer Infrastrukturen planen und bereitstellen Unterbewertung künftiger Kraftstoffkosten bei der Die Transformation bei den Antriebstechnologien geht Kaufentscheidung führen. Eine reformierte Kfz-Steuer mit enormen Herausforderungen mit Blick auf die erfor- kann insbesondere dann effektiv sein, wenn sie zum derliche klimaneutrale, nachhaltige Energieversorgung Zeitpunkt der Erstregistrierung ansetzt, weil sie dann einher. Der Auf- und Ausbau der Energieversorgungs- solche Verzerrungen und Wirkungsbrüche überwinden infrastrukturen und der Infrastrukturen für die Digita- kann. Setzt die Politik allein auf Fördermaßnahmen, dann lisierung muss in technischer, räumlicher und zeitlicher ließen sich die notwendigen Emissionsminderungen – Hinsicht im Einklang mit der fahrzeugseitigen Entwick- so zeigen verschiedene Projektionen – nicht erreichen; lung stehen; gleichzeitig bedingt er diese auch. Für Pkw zudem würde dies die öffentlichen Finanzen überfordern und Lkw ist vor allem die fahrzeugnahe Infrastruktur und Haushaltsmittel regressiv beziehungsweise sozial relevant, insbesondere die Ladeinfrastruktur. Neben unausgewogen verteilen. Investitionen in die Infrastruktur der Energieversor- gungskette sind Investitionen in die Verkehrsinfrastruk- Zu den fiskalischen Instrumenten kommen nichtfinan tur der verschiedenen Verkehrsträger essenzieller Teil zielle Instrumente hinzu, zum Beispiel, um für Trans- dieses Hebels. Nur mit einer – auch infrastrukturellen – parenz und adäquate Kundeninformation zu sorgen. Stärkung der Bahn, des ÖPNV und auch des nicht-moto- In Deutschland kommt jedoch die Umsetzung der risierten Verkehrs gelingt die Mobilitätswende und damit EU-Richtlinie zum Energieeffizienz-Label seit Jahren auch die Verkehrswende insgesamt. nicht voran. Instrumente wie die EU-Richtlinie über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahr- Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Mit Blick zeuge beeinflussen das öffentliche Beschaffungswesen auf Infrastrukturmaßnahmen ist das eine sehr kurze auch bei Nutzfahrzeugen und Bussen. Zeit. Von der Planung bis zur Verwirklichung vergehen oft viele Jahre. Aufgrund der hohen Kapitalintensität und Begleitend zur Umstellung auf neue Antriebe ist die der langen Investitionszyklen können einmal getroffene Energieversorgung anzupassen. So sind neben finan- Entscheidungen Strukturen für Jahrzehnte festlegen. ziellen Anreizen wie die Förderung der Einrichtung Deshalb ist nicht nur das langfristige Steuerungspoten- von Wandladestationen (Wallboxes) ordnungsrecht- zial besonders hoch, sondern auch das Risiko, bestimmte liche Instrumente essenziell, um (privaten) Akteuren Verkehrs- oder Energiestrukturen in eine falsche Rich- die Anschaffung von Ladepunkten für E-Fahrzeuge zu tung zu lenken und problematische Lock-in-Effekte zu erleichtern. Hier ist unter anderem die Richtlinie über erzeugen. Umso mehr kommt es darauf an, Infrastruktu- die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden relevant, für ren – auch digitale - vorausschauend und an den Klima- deren Anpassung die Europäische Kommission Ende zielen orientiert zu planen, um fehlgeleitete Investitionen 2021 Vorschläge vorlegen wird, denn sie schreibt für (Stranded Assets) oder eine Verfehlung dieser Ziele zu bestimmte Gebäudekategorien Mindestausstattungen vermeiden. zur Verkabelung von Ladepunkten vor. Infrastrukturplanung und -regulierung umfassen Die Instrumente in diesem Bereich zielen auf alle Akteure regelmäßig hoheitliche Bereiche und implizieren mithin ab, die Fahrzeuge – insbesondere Neufahrzeuge – und zwingend eine aktive staatliche Rolle. Zudem ist ein fahrzeugnahe Ausrüstung wie Wallboxes per Kauf oder Großteil der Infrastruktur öffentliches Eigentum, direkt Leasing anschaffen. Die Zielgruppe ist somit etwas enger oder indirekt durch Unternehmen im Staatsbesitz. gefasst als bei der Verkehrsaktivität, aber noch immer Überdies ist der Staat aufgrund seiner günstigen Finan- sehr breit gestreut und heterogen. Sie umfasst sowohl zierungsbedingungen und hohen Risikotragfähigkeit in Privatpersonen als auch gewerbliche Fahrzeugkäufer: Im der Lage, umfangreiche, langfristige und risikobehaftete Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Krise, wurden Infrastrukturen bereitzustellen. 2,2 Millionen Pkw gewerblich neu zugelassen, während die Zahl der privaten Pkw-Neukäufe bei 1,4 Millionen lag. Wichtige Akteure sind insbesondere Behörden, Unter- nehmen im öffentlichen Eigentum und staatlich regulierte private Infrastrukturunternehmen. Soweit 15
Vier Jahre für die Fairkehrswende | Plädoyer für eine Regierungs-Charta der Fairkehrswende private Investoren in diesem Handlungsfeld erhebliche instrumenten an den richtigen Hebelpunkten ansetzt Investitionen tätigen sollen, sind möglichst langfristige und dabei auf eine gerechte Verteilung der Lasten und und möglichst verbindliche klimapolitische Vorgaben Chancen achtet. bedeutsam, um ihnen Planungssicherheit zu bieten. Räumlich ist zu unterscheiden zwischen lokalen oder Eine solche Charta der Fairkehrswende würde Orientie- kleinräumigen Infrastrukturen (zum Beispiel auf städ- rung und langfristig verbindlich Rahmenbedingungen tischer Ebene), großräumigen innerhalb Deutschlands für alle relevanten Akteure bieten. Die Bundesregierung sowie großräumigen auf internationaler Ebene (zum mit ihren Ministerien und Behörden hätte einen klaren Beispiel für Wasserstoff). Kurs vor Augen, um den Wandel zu gestalten. Unterneh- men und Investoren hätten Planungs- und Investitions- Relevante Instrumente im Bereich der Verkehrsinfra- sicherheit, um die Transformation anzugehen und neue strukturen umfassen unter anderem die Bundesver- Märkte zu erschließen. Länder und Kommunen könnten kehrswegeplanung und die dazugehörige Verteilung der ihren Handlungsspielraum nutzen, Konzepte für die Finanzmittel für Verkehrsinfrastruktur; auf europäischer Menschen in ihrer Region entwickeln und Mobilitäts Ebene die Trans-Europäischen Netze mit ihren nachge- angebote ausbauen. Die Öffentlichkeit hätte die Möglich- schalteten Finanzierungsinstrumenten. Auf kommunaler keit, ein besseres Verständnis für die Herausforderungen Ebene sind Infrastrukturinvestitionen und Entscheidun- zu entwickeln, sich auf den Wandel einzustellen und gen über die Nutzung des öffentlichen Raums wichtig Mobilität ohne schlechtes Gewissen zu genießen. für Fortschritte bei der Mobilitätswende, zum Beispiel beim Bau beziehungsweise bei der Ausweisung von Die folgenden Kapitel geben eine Übersicht über die Ins- leistungsfähigen Busspuren, Tramspuren oder neuen, trumente und Maßnahmen, die die Bundesregierung in sicheren und bequemen Radwegen. der kommenden Legislaturperiode für den Klimaschutz im Verkehr in Angriff nehmen sollte. Damit bieten sie, Im Bereich der Energieversorgungsinfrastrukturen sind zusammen mit diesem einleitenden Plädoyer, auch eine beispielhaft Planungsinstrumente wie der Masterplan Grundlage für die Erarbeitung einer Charta der Fair- Ladeinfrastruktur oder direkte Investitionsentscheidun- kehrswende. gen wie der Aufbau eines Pilotnetzes an Oberleitungs- infrastruktur auf Autobahnen für elektrische Lkw zu nennen. Aber auch ordnungsrechtliche Instrumente wie die CO2-Flottengrenzewerte können für Infrastrukturen relevant sind, da sie ein Signal für die Elektrifizierung der Antriebe geben und damit die Planungssicherheit für private Investitionen in Ladeinfrastruktur erhöhen. Der Weg in der nächsten Legislaturperiode Es gibt keine einfachen Universallösungen für einen kli- maneutralen Verkehr in Deutschland. Seit 1990 scheitert die Politik an der Aufgabe, die Treibhausgasemissio- nen im Verkehrssektor zu reduzieren. Ein schlüssiges Gesamtkonzept der Bundesregierung, wie der Verkehr bis 2045 klimaneutral werden soll, ist bisher nicht in Sicht. Eilig aufgelegte Spontanaktionen und Einzelmaßnahmen werden an der Lage kaum etwas ändern. Es braucht ein bis zum Ende gedachtes, kohärentes und konsistentes Gesamtkonzept, das mit einem breiten Bündel an Politik 16
Bild: adobestock.com | ehrenberg-bilder 01 Faire Preise im Straßenverkehr Herausforderung Ziel Das über Jahrzehnte im Verkehrssektor gewachsene Eine faire und verursachergerechte Bepreisung von System aus Abgaben und Subventionen setzt falsche klimaschädlichen Emissionen im Verkehrssektor setzt Anreize. Es führt noch nicht konsequent aus dem Ver- wirkungsvolle finanzielle Anreize: zur Anschaffung brauch fossiler Energieträger heraus und verschärft die effizienter Fahrzeuge und zur Verlagerung vom moto- soziale Ungleichheit. Die jüngsten Schritte zur Wei- risierten Individualverkehr hin zu klimaverträglichen terentwicklung der fiskalischen Instrumente – wie die Verkehrsmitteln. Der Straßenverkehr finanziert seine Einführung einer CO2-Bepreisung von Kraftstoffen und Infrastrukturkosten selbst. Weitere Kosten des Straßen- zusätzliche Fördermaßnahmen für Elektromobilität – verkehrs, die bisher nicht angerechnet wurden, etwa greifen angesichts der Emissionsminderungsziele zu für Umwelt- und Klimaschäden, werden den Verursa- kurz. Beim Abbau klimaschädlicher Subventionen wur- cher:innen angelastet. Klimaschädliche Subventionen den zuletzt keine Fortschritte erzielt, was zugleich den werden aufgelöst, der fiskalische Spielraum für Klima- wenig sozialverträglichen Status quo im Verkehrssektor schutzinvestitionen wächst. Die Fairkehrswende sorgt zementiert. für sozialen Ausgleich. Wirtschaftlich Schlechtergestellte werden durch Ausgleichsmechanismen unterstützt. 17
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