Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs - Jahrgang 2005 Heft 3

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Vierteljahresschrift
für Geschichte
und Gegenwart
Vorarlbergs

57. Jahrgang
2005 Heft 3
Für die gewährte Unterstützung dankt der Verlag den Förderern:
Vorarlberger Landesregierung
Vorarlberger Kraftwerke AG
Vorarlberger Illwerke AG

Herausgeber und Verleger: Vorarlberger Verlagsanstalt, Aktiengesellschaft, Dornbirn
Schriftleitung: Karl Heinz Burmeister, Bregenz und Alois Niederstätter, Bregenz
Offenlegung: Landeskundliche Darlegung aller Belange Vorarlbergs in Vergangenheit und Gegenwart
Hersteller und Verwaltung:
Vorarlberger Verlagsanstalt, Aktiengesellschaft, A-6850 Dornbirn, Schwefel 81, Telefon 05572/24697-0,
Fax: 05572/24697-78, Internet: www.vva.at, E-Mail: office@vva.at
Bindung: Konzett Buchbinderei, Bludenz
Bezugspreise: Jahresabonnement (4 Hefte inkl. Zustellung), Inland s 34,00, Ausland s 54,00. Einzelheft s 14,00.
Doppelheft s 28,00 (Schüler und Studenten 15 % ermäßigt).
Einzahlungen: Konto-Nr. 0000-044172 bei der Dornbirner Sparkasse Dornbirn, BLZ 20602
Abonnement-Abbestellungen für das folgende Jahr sind spätestens bis 31. Oktober
dem Verlag schriftlich bekanntzugeben.
Nachdrucke und Auszüge sind nur mit Quellenangabe gestattet.
Es wird gebeten, Besprechungsexemplare von Büchern und Zeitschriften an die
obige Anschrift der Verwaltung zu senden.
Die in der „Montfort“ erscheinenden Aufsätze werden in „Historical Abstracts“,
American Bibliographical Center, Santa Barbara, Kalifornien, USA, angezeigt.

ISBN 3-85430-328-9
Inhalt

Hans Gerd Rötzer                   Kolumbus kam ihm zuvor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Karl Heinz Burmeister              Der Bodensee im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

Tomasz Ososi ński                 Prinzessin Katharina von Montfort (1503 – 1548).
                                   Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen
                                   Polen und den Grafen von Montfort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Ruth Gstach                        Originalwerke des Barockdichters Laurentius von Schnüffis
                                   in deutschsprachigen und ausländischen Bibliotheken . . . . . . . . . . . . 270

                                   Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
                                   Anneros Troll [u. a.], Zeitreisen am Bodensee – Von den Rentierjägern zu den
                                     Alemannen.
                                   Gerhard Pirchl, Geheimnis Adernsterne. Unterirdische Kraft- und Orientierungs-
                                     hilfen aus prähistorischer Zeit.
                                   Schifffahrt am Bodensee, Vom Einbaum zum Katamaran, hg. vom Vorarlberger
                                     Landesmuseum.
                                   Der Paulinerorden in Deutschland, Beiträge zu seiner Geschichte und Gegenwart
                                     von Elmar L. Kuhn, Magda Fischer und P. Miroslaw Legawiec.
                                   Hans Gerd Rötzer, Von Nürnberg nach Santiago, Jakobspilger aus Franken,
                                     Ein kleines Vademecum.
                                   Wolfgang Weber, (Hg.), Regionalgeschichten – Nationalgeschichten. Festschrift für
                                     Gerhard Wanner zum 65. Geburtstag.
                                   Manfred Stoppel, „Uns wächst eine herrliche Jugend heran !“
                                     Die Geschichte der Hitlerjugend in Vorarlberg von 1930 – 1945.
                                   Vorarlberger Landesmuseum, Bartle Kleber. Malerreise in den Orient 1903 – 1904.

Die Verfasser und ihre Anschriften:
Univ.-Prof. em. DDr. Karl Heinz Burmeister, Am Stäuben 18, D-88131 Enzisweiler/Post Lindau – Dr. Ruth Gstach, Feld-
weg 135, A-6822 Schnifis – ao. Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt, Institut für Geschichte, Universität Wien, Dr.-Karl-Lueger-
Ring 1, A-1010 Wien – Priv.-Doz. Dr. Rüdiger Krause, Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität
Berlin, Altensteinstraße 15, D-14195 Berlin – Tomasz Ososi ński, OBTA, Uniwersytet Warszawski, Nowy Świat 69,
PL-00-046 Warszawa – Prof. em. Hans Gerd Rötzer, Krelingstraße 21, D-90408 Nürnberg – Mag. Dr. Andreas Rudigier,
Haus Nr. 70b, A-6793 Gaschurn – Mag. Dr. Helmut Tiefenthaler, Kummenweg 8, A-6900 Bregenz.
Der Bodensee im 16. Jahrhundert1
VON KARL HEINZ BURMEISTER

Es wird immer wieder bedauert, dass die mehr-          Kaiser 1552 oder 1566 ein besonderes kaiserliches
bändige Geschichte des Bodenseeraumes von              Privileg an, wenn auch ohne Erfolg.7
Otto Feger2 nur bis zum Jahre 1500 reicht. Wenn           Die Einheit des Bodenseeraums war empfind-
hier vom Bodensee im 16. Jahrhundert die Rede          lich gestört, sodass Neuorientierungen nötig wur-
ist, dann ist damit nicht eine Geschichte des          den. Die in den mittelalterlichen Urfehden
Bodenseeraums in dieser Zeit im Anschluss an           gebräuchliche Umschreibung des Bannbezirks
Feger gemeint; es geht vielmehr hauptsächlich          mit den Landmarken Bodensee, Walensee, Arl-
um die Frage, wie sich der Bodensee selbst dar-        berg und Septimer8, die von einer geographischen
stellt. Wie haben die Menschen vor 500 Jahren          Einheit Rätiens ausging, war nach 1499 nicht
den Bodensee gesehen ?                                 mehr zeitgemäß. Neue Formeln gaben die Idee
  Der Bodenseeraum, eine „Landschaft im Her-           eines einheitlichen Rätiens auf und passten sich
zen Europas“3, gilt heute als eine klassische Eu-      mehr an die territorialen Herrschaften an. Die
regio, in der Menschen verschiedener National-         Ansätze dazu liegen schon früher; denn bereits
staaten, Bundesländer und Kantone über die             1450 wurde ein Bregenzerwälder aus einem
Grenzen hinweg eng mit einander verbunden              Bezirk gebannt, dessen Grenzen mit dem Arlberg,
sind, auch wenn sie derzeit immer noch durch           Bodensee, den Flüssen Ill, Rhein und Argen sowie
eine EU-Außengrenze getrennt werden. Jeder             der Stadt Isny umschrieben waren9. 1563 wurde
Bewohner dieses Raums hat darüber seine Vor-           einem Bregenzer Schiffmann verboten, nienn-
stellungen und Erfahrungen, über Gemeinsames           derth den See hinab zu wanndern und die Leib-
und Trennendes. Unsere Fragestellung geht              lach, Schwarzach und Fußach nicht zu über-
dahin, wie die Menschen den Bodensee wahrge-           schreiten.10
nommen haben in einer Zeit, als sich in der Folge         Der Schwaben- bzw. Schweizerkrieg von 1499,
des Schwaben-/Schweizerkrieges die Unterschie-         der sozusagen am Beginn des 16. Jahrhunderts
de zwischen Schweizern und Schwaben schärfer           steht, bedeutete einen tiefen Einschnitt in der
herausgebildet haben4.                                 Geschichte der Beziehungen zwischen der
  Wenn wir von Grenze sprechen, dürfen wir             Schweiz und Deutschland. Der Krieg trieb die
nicht von unseren heutigen Vorstellungen ausge-        Gegensätze auf die Spitze, die sich in Hasstiraden
hen, die wir mit einer politischen Grenzlinie ver-     entfalteten. Der Kaiser verwendete die Formel
binden. Eine solche Grenze ist im 16. Jahrhundert      vnsere vigende (Feinde), die Schwitzer11. Die
nur von sekundärer Bedeutung. Am Beispiel des          Deutschen sahen in ihren Nachbarn nur mehr
Verhältnisses von Tägerwilen zu Konstanz zeigt         das „Bubenvolk der Schweizer“12. In einem Brief
sich, dass diese Grenze immer ziemlich durchläs-       an Luzern führten Vogt und Rat von Klingnau
sig blieb; wichtiger ist aber, dass die geistige und   Klage gegen die von Waldshut, sie hätten söliche
gesinnungsmäßige Trennung zwischen Schwei-             schantliche vnd vncristeliche wort gegen die Eid-
zern und Schwaben seit 1499, teilweise aber auch       genossen geredet, das doch kein fromm mann,
schon vorher, ins Gewicht fiel, weniger die äuße-      sunder ketzer vnd böswichten zimpt13. Der
re Grenzlinie.5 Erschwerend wirkte, dass infolge       gegenseitige Hass trieb zuweilen kaum mehr zu
der Reformation die konfessionelle Einheit der         überbietende Blüten: Eine schwangere Frau, die
Region zerfiel. Wie Wolfgang Scheffknecht am           um Gnade gebeten hatte, erhielt von einem
Beispiel von Lustenau gezeigt hat, entstand die        Schwaben zur Antwort, wan er wiste, das sy ein
politische Grenze zu dem in der Eidgenossen-           Schwytzer tröge, er wölte iro den buch vfhowen
schaft liegenden Hof Widnau-Haslach, den späte-        vnd den Schwytzer haraussnemen14.
ren politischen Gemeinden Au und Widnau, erst             Schwaben und Schweizer traten somit nicht
1593, wobei jedoch dieser politischen Grenzbil-        gerade als Freunde in das 16. Jahrhundert ein. Auf
dung eine mehr als hundertjährige Entfremdung          der schwäbischen Seite wurde man plötzlich hell-
vorausging.6 Ein anderes Beispiel ist Stein am         hörig für die sprachlichen Unterschiede. In der
Rhein, wo man an der Anschauung festhielt, dass        Fasnacht 1499 wurden in Überlingen zwei Frauen
die Stadt zwar eidgenössisch sei, aber auf Reichs-     verhaftet, von denen die eine der Aidgenossen
boden liege; daher strebte man über die generelle      sprach gehebt. Man ließ sie jedoch wieder frei, als
Konfirmation der eidgenössischen Orte durch den        sich herausstellte, dass es sich bei der einen Frau

228
um eine Ägtlin aus Zürich handelte, die mit          Bodensees, dessen Töchter, die Bodenseenym-
einem Hutmacher in Konstanz verheiratet war15.       phen, die von Minerva das Weben gelernt hatten,
Im Anschluss an diesen Vorfall könnte man die        auf Geheiß ihres Vaters einen Teppich mit den
(vorerst nicht zu beantwortende) Frage stellen,      Bildern der 85 Konstanzer Bischöfe bis auf Chris-
inwieweit sich der Schwaben-/Schweizerkrieg          toph Metzler weben.20 Einer ähnlichen Sprache
am Bodensee negativ auf das Konnubium zwi-           bediente sich auch Bruschs Vorgänger Kaspar Hel-
schen Schweizern und Schwaben ausgewirkt hat.        delin, der 1534 seinem Studienfreund Achilles
   Der Krieg wurde am 22. September 1499 durch       Pirmin Gasser in Lindau eines seiner Bücher
den Frieden zu Basel beendet. Als im August 1499     zusandte mit dem Bemerken, er solle es bei
in Basel die Friedensverhandlungen aufgenom-         Nichtgefallen der Meeresgöttin Thetis schenken,
men wurden, waren beide Seiten kriegsmüde.           d. h. es in den Bodensee werfen.21
Und so konnte es gelegentlich schon vor dem
Abschluss des Friedens zu Fraternisierungen
kommen. Wie eine Lindau Chronik berichtet,           Der Name und seine Herkunft
fuhren am 23. August 1499 etliche Kriegsleuthe
vom Schwäbischen Bund von hie auß über den           Auch die Diskussion über den Namen des Boden-
See gen Costentz, sobald sie dahin kommen, war       sees22 knüpfte an die Antike an. Kein humanisti-
ihnen so noth an die Schweitzer, dass sie von        scher Autor kam daran vorbei, die unterschied-
stund an vor Essen und Trincken hinaus in die        lichen Namen des Bodensees wie Lacus Briganti-
Schweitz Lieffen, aber die Eydgnossen grüßten        nus, Lacus Potamicus, Lacus Constantiensis,
sie also, dass ihr etlich dahinden geblieben.16      Lacus Acronius oder Lacus Venetus zu erwähnen
   Die Rückkehr zur Normalität ging in Feldkirch     und zu deuten. Der Ravensburger Humanist
in die Chronik ein: Item an St. Michelsabend (=      Michael Hummelberg diskutierte 1523 die
28. September) kam der erst Schweizer in die         Namensfrage in zwei Briefen an Beatus Rhena-
Statt, mit namen Hanns Ruf von Meyenfeld.17          nus23, in denen er die irrtümliche Meinung von
Andererseits mussten Schweizer noch Jahrzehnte       Erasmus korrigierte, Konstanz sei früher Bregenz
später damit rechnen, dass sie wörtlich oder tät-    genannt worden, wie man aus dem Wechsel von
lich angegriffen wurden, so wie in Bregenz der       Lacus Brigantinus zu Lacus Constantiensis fol-
Kriegsmann Jörg Waibel von Bern, den der Bregen-     gern könne24. Vadian kam 1509 in einem Brief an
zer Bürger Gregor Reiner 1539 aus trunckenhait       den Wiener Astronomen Georg Tannstätter auf
mutwilligerweiß, auch an alle ursach . . . freven-   den bei Pomponius Mela so genannten Lacus
lich antascht unnd an seinem leib geschedigt         Venetus zu sprechen25. Später nahm Vadian in
hatte.18 Der Übeltäter wurde von der Bregenzer       seiner Schrift Von dem Oberbodensee, von seiner
Obrigkeit ins Gefängnis eingeliefert und musste      ard und gelegenheit, lenge, grösse zu den ver-
Urfehde schwören.                                    schiedenen Namen des Bodensees ausführlich
                                                     Stellung.26
                                                        Der Tübinger Humanist Heinrich Bebel
Im Zeichen der Renaissance                           erwähnt in seinen Facetien (1508) mehrfach den
                                                     Bodensee27, den er einmal Lacus Potamius seu
Das 16. Jahrhundert stand im Zeichen der             Alemannus oder Lacus Alemannus seu Potamius
Wiedergeburt der Antike, der von Italien ausge-      nennt, an anderer Stelle Lemannus sive Potamius
henden Renaissance. Und so haben denn auch           Lacus. Offenbar verleitete ihn die Bezeichnung
alle Autoren dieses Jahrhunderts den Bodensee        für den Genfer See = Lacus Lemannus zu diesem
im Lichte der antiken Überlieferung betrachtet:      Missverständnis.
Am Anfang stehen immer Strabo oder Ptolemäus,           Bekanntester Übername ist damals wie heute
Plinius oder Ammianus Marcellinus.19 Aber auch       Schwäbisches Meer, wobei die Bezeichnung mare
antike Dichtung und Mythologie wurden auf den        = Meer schon im 8. Jahrhundert bezeugt ist. Der
Bodensee übertragen. So trifft man um die Mitte      Bodensee ist das Meer der Schwaben, zu denen
des Jahrhunderts bei dem Lindauer Lateinschul-       man im Mittelalter auch die Schweizer rechnete,
meister Kaspar Brusch auf einen Wassergeist des      die sich erst später von den Schwaben abgegrenzt

                                                                                                  229
haben. Im 16. Jahrhundert vermieden die schwei-     Wasserburg. 1524 gab in ungewöhnlicher Weise
zerischen Autoren, sich mit den Schwaben zu         Johannes Henner aus Wasserburg in der Wiener
identifizieren. So nennt Vadian den Bodensee den    Matrikel seine Herkunft an mit ex lacu Constan-
grösten see teutscher nation28. Sebastian Münster   tiensi (aus dem Bodensee)34. Bemerkenswert
definiert den Bodensee als des Teutschen Landts     erscheint im Zusammenhang mit den Bodensee-
Meere, und zwar seiner grösse halb29. Der Über-     inseln die in Überlingen verbreitete Meinung, es
linger Lateinschulmeister Johannes Tibian be-       werde einmal der Tag kommen, wo der See die
gründet den Namen das Teutsch Mehr mit der          Stadtmauern umflute und die Stadt zu einer Insel
Tiefe des Sees30. Auch bei Vadian kommt das         wandle.35
deutlich zum Ausdruck; dieser wundert sich            Ohne Frage gehören alle am See gelegenen
über den Ortsnamen Meersburg, der doch eigent-      Städte und Gemeinden zum Bodenseeraum. Heu-
lich eher Seesburg lauten müsse. Die Einheimi-      te herrscht die Vorstellung, dass alles bis zu einer
schen erklärten diesen Namen jedoch damit, dass     Entfernung von etwa 50 km vom Ufer in den
der See hier so tief wie das Meer sei. Vadian       Bodenseeraum einzubeziehen ist, insbesondere
jedoch ließ diese Deutung nicht zu; vielmehr hät-   auch der Alpenrhein bis Feldkirch oder der
ten die alten Franken ohne Unterschied die Wor-     Hochrhein bis Schaffhausen. Ähnliche Vorstel-
te see und meer gebraucht, wie alle niederlender    lungen hatte man im 16. Jahrhundert. Die Karto-
noch heut bei tag das groß meer bi inen die see     graphen konnten nicht darauf verzichten, die
heißend, dass demnach der wechsel dieser wört-      nähere oder auch die weitere Umgebung einzube-
lin sich zuotragen und man disen see das meer       ziehen. Aber auch die Geographen, allen voran
genent habe, dan er och merklich groß ist31.        Tibian, rechnen zum Bodenseeraum Orte wie
   Das Teutsche Meer setzte sich als Bezeichnung    Engen, Aach, Stockach, Salem, Pfullendorf,
durch: So pfleget dieser See, insunderheit von      Markdorf, Ravensburg, Tettnang, Wangen, St.
dem gemeinen Mann, genennet zu werden32.            Gallen oder Schaffhausen hinzu. Vadian zieht die
Heute wiederum hat das Schwäbische Meer das         Grenzen sehr viel enger, rechnet aber Tettnang,
Teutsche Meer verdrängt. Schwäbisches Meer ist      das ein ringe meil . . . von dem Bodensee liegt, dazu.
aber keine eigentliche Bezeichnung für den          Auch andere landeinwärts gelegene Orte wie Berg
Bodensee, vielmehr ein poetisch verklärter Über-    oder Roggwil gehören für Vadian zum Bodensee-
name. Im Unterschied zum 16. Jahrhundert ken-       raum im engeren Sinne, nicht aber St.Gallen. Seit
nen heute die meisten Bodenseeanwohner das          dem späten 16. Jahrhundert nennen sich Studen-
Meer aus persönlichem Erleben, sodass sie die       ten aus Bregenz oder Bludenz Acronianus (Boden-
Gleichsetzung von Bodensee und Meer scheuen.        see-Anwohner)36. Auch Bludenz galt damals wie
                                                    heute als dem Bodenseeraum zugehörig. Mit der
                                                    Herkunft vom Bodensee Acronianus nennen sich
Der Bodenseeraum                                    ohne Unterschied alle: Schwaben, wie etwa der
                                                    Überlinger Johann Christoph Hager37, der Adlige
Es gibt recht unterschiedliche Ansichten dazu,      von Wolfgang Heinrich von Syrgenstein38 aus
wie der Bodenseeraum zu begreifen ist. Schon die    dem Allgäu oder der Schweizer Johann Burkhard
verschiedenen Teile des Sees wie Obersee, Unter-    Payer39 aus Rorschach.
see oder Überlingersee bedingten seit jeher ver-
schiedene Sichtweisen. So war schon im Spät-
mittelalter das Fahrlehen auf den Obersee           Durchbruch der Topographie
beschränkt; ihre Inhaber fuhren den Herrn nur
auf dem Obersee und waren nicht verpflichtet,       Die geographischen Beschreibungen des 16. Jahr-
ferro ze farent, denn allain uff dem Bodensee und   hunderts gründen sich auf die antiken Autoren.
nit in den Rin under Costenz, noch in den           Zugleich aber erlebten Geographie und Kartogra-
Undersee.33                                         phie infolge der Entwicklung der Buchdrucker-
  Zum Bodenseeraum im engsten Sinne zählen          kunst einen ungeheuren Aufschwung. Man löste
seine Inseln: Lindau, Mainau, Reichenau sowie       sich von den topographischen Phantasiedarstel-
die seit dem 18. Jahrhundert verlandete Insel       lungen und betonte die Wirklichkeitsnähe.40 Aus

230
dem Kreis der zeitgenössischen Geographen seien       Die Schönheit der Landschaft
Ladislaus Suntheim, Johannes Cochlaeus, Joa-
chim Vadian, Ulrich Fabri, Aegidius Tschudi,          Ein zeittypisches Element ist das aus der Renais-
Sebastian Münster oder Johannes Tibian genannt,       sance geborene Empfinden für die landschaftliche
aus jenem der Kartographen der Meister PPdW41,        Schönheit. Als Erster hatte der Florentiner Leo-
Achilles Pirmin Gasser (Allgäukarte 153442) oder      nardo Bruni, der 1414 das Konstanzer Konzil
Tibian (Bodenseekarte 157843). Sie alle haben im      besuchte, die Schönheit der Landschaft gepriesen:
Bodensee und der von ihm geprägten Landschaft         Lacus est omnium amoenissimus (der See ist der
ein geographisch herausragendes Phänomen gese-        schönste von allen).59 Erasmus lobte 1523 die
hen, das man nicht nur mit nüchternen Worten          schöne Lage der Stadt Konstanz.60 Vadian hebt
beschrieben hat. Der See ist für sie nicht irgend-    heraus, dass am Bodensee rings-weiß harum ein
ein Gewässer, er ist vielmehr, wie Vadian sagt,       wonderschöne landschaft ligt, . . . ganz gleich
verrümbt und weitbekant44. Während die anti-          einem lustgarten.61 Kolumban und Gallus, so
ken Autoren nur beschreiben, suchen die zeitge-       schreibt Sebastian Münster, ließen sich dort nie-
nössischen Autoren nach Superlativen und be-          der, da man jetztmal das Kloster vnd die schöne
geistern sich für den See. Für Strabo war der         Statt Sanct Gallen sicht.62 Und Zu vnsern Zeiten
Bodensee aus der Distanz ganz einfach η λíμνη         hat ein Abt zu Sanct Gallen ein schöne Land-
(der Teich), während für Tibian der Acronius λáK-     schaft vnd Mannschafft in Ober vnd Nider Thur-
KOνς höchster Ehren würdig ist (summo dignus          göw.63 Abt Ulrich Rösch wählte 1487 für den
honore), sein berühmter Name sich zu den Ster-        Neubau des Klosters in Rorschach einen Platz
nen erhebt (praeclarum nomen ad astra volat)          aus, mit lust zu sechen den gantzen Bodensee
und seine Landschaft keineswegs der geringste         und alles, das darumb gelegen ist, beide lennder,
Teil der Welt (pars non infima mundi) ist.            schloss und stett ennet und hie diesent, wyt und
  Neben den genannten Geographen geben aber           prait.64
vielfach auch Reisebeschreibungen wertvolle             In dem Brief des Wasserburgers Rudolf Agricola
Detailkenntnisse über den Bodensee. Der Venezi-       an Vadian aus dem Jahre 1519 nennt dieser die
anische Gesandte Andrea de Franceschi (1492)45        ihnen beiden gemeinsame Heimat amoenissima
besuchte die „Krone“ (la hosteria de la Corona“)      patria nostra (unser so wunderschönes Vater-
in Lindau und die „Krone“ (la hosteria de la Coro-    land)65. Tibian preist die amoena loca (schönen
na“) in Bregenz.46 Der Churer Bischof Heinrich        Orte).66 Die Landschaft um Radolfzell nennt Tibi-
von Hewen nennt in seinem Reisetagebuch von           an ain wunderschönne gegen.67 Und kommt man
1502 mehrfach den „Hecht“ in Konstanz.47              nach Bodman, So sieht man schönne flekhen.68
Rudolf Sailer, der Kanzler des Abtes von St. Gal-     Manche Autoren haben den Bodensee in Versen
len, gibt uns um 1530 Hinweise auf namhafte           besungen; an die Stelle einer wissenschaftlichen
Wirtshäuser auf der schwäbischen Seite des            Descriptio trat eine Elegia in laudem Acronii
Bodensees, die er aus eigenem Erleben kennen          lacus69 oder ein Panegyricon super laudibus
gelernt hat, so beispielsweise den „Engel“ in         Acronii lacus70. Michael Beuther verfasste 1544
Buchhorn48, den „Roten Löwen“ in Meersburg49          eine Ode De Lacu Constantino.71 Kaspar Brusch
oder den „Engel“ in Radolfzell50. Für das Jahr        dichtete 1547 ein Idyllion de Wasserburgo.72 In
1580 nennt der französische Philosoph Michel de       dem um 1575 in deutschen Reimen verfassten
Montaigne die „Krone“ in Schaffhausen51, den          Lobpreis der Statt Stain wird der Vergleich mit
„Adler“ und den „Hecht“ in Konstanz52, den            dem Paradies gezogen:
„Kölner Hof“ bzw. die „Post“ in Markdorf53 und
                                                        Wie es so lustig war darynn,
die „Krone“ in Lindau54. Gelegentlich werden
                                                        Dann sie lag zunächst am Rhyn,
solche Häuser auch in der offiziellen Korrespon-
                                                        So wird verglichet sie dem Paradies,
denz erwähnt, etwa 1499 das (Wirts-?)Haus „zum
                                                        Denn darin fint man alle Spys,
Swartzen bären“ in Radolfzell55. Des weiteren sei
                                                        Was doch der Mensch begehren tut,
verwiesen auf die Reiseberichte von, Francesco
                                                        Das fint man da fürwar alls Gut.73
Vettori (1507)56, Luigi dí Aragona (1517/18)57 oder
Fines Moryson (1591/95)58.

                                                                                                   231
Der Bodenseeraum als einheitliche Landschaft          sy vßwendig erschienen sind. Der Rat strafte die
                                                      beiden Übeltäter zu nachpurlicher frundschafft
Die im ausgehenden Mittelalter sich festigenden       anders nit als dass sie die Fracht nach Bregenz
Grenzen zwischen Deutschland und der                  zurückführen mussten; zudem wurde dem Bre-
Schweiz74 verursachten bei den Geographen eine        genzer Rat eine Meldung gemacht, der beide
gewisse Unsicherheit, den Bodenseeraum als die        Schiffsleute ermahnen sollte, das sy hinfür sich
Einheit zu sehen, die er historisch durch viele       solchs mer entschlachend vnd nach innhalt der
Jahrhunderte gewesen ist.                             ordnung gut kauffmans war furend.80
   In der Konstanzer Bistumsverwaltung wurde            Aber auch der Teilung wird man sich immer
aber schon immer der Begriff ultralacensis (jen-      wieder bewusst. In der Brevis Germanie Descrip-
seits des Sees) verwendet75. Auch Abt Ulrich          tio von Johannes Cochlaeus von 1512 wird eine
Rösch wollte von seiner künftigen Residenz aus        Region Constantia (Konstanz) abgehoben von
beide lennder . . . ennet und hie diesent ständig     einer Region Basilea (Basel) und einer Region
vor Augen haben. Als Folge der Trennung durch         Rätien, wobei der Bodensee insgesamt der Region
den Schwaben-/Schweizerkrieg beobachten wir           Konstanz zugeordnet wird81. Die Region Kon-
ein Wuchern der Bezeichnung ultra Acronum             stanz wird dann noch einmal unter dem Stich-
(jenseits des Bodensees), entsprechend auch auf       wort Der Konstanzer See aufgegriffen, bleibt aber
Deutsch enend Sees und Rins.76 So sagt Michael        auf das deutsche Ufer beschränkt: Er nennt als
Hummelberg 1522 in einem Brief an Ulrich              Städte Lindau, Buchhorn, Meersburg, Überlingen
Zwingli, dass dessen Name auch bei uns ultra          und Radolfzell82. Cochlaeus stammte aus Nürn-
Acromium lacum bekannt geworden sei.77 1529           berg, einer Stadt, die sich im Schwaben-/Schwei-
erwähnt Ludwig Leopadius in einem Brief an            zerkrieg ungeachtet ihrer weiten geographischen
Zwingli die Städte ultra Achronium nostrum78;         Entfernung besonders engagiert hatte; er zog
der aus Münsterlingen gebürtige Leopadius war         daher klare politische Konsequenzen.
damals Lehrer für die alten Sprachen in Konstanz.       Deutlich wird auch die Teilung im Geographi-
Der See bleibt für ihn unser See, der Schwaben        ae introductorium des Dornbirner Geographen
und Schweizern gemeinsame Bodensee. Die hel-          Ulrich Fabri von 1519. Er nennt lediglich die
vetischen oder germanischen Länder mögen              Städte auf dem schwäbischen Ufer: Bregenz, Lin-
getrennt sein, der Bodensee selbst bleibt ihr         dau, Wasserburg, Buchhorn, Meersburg und Über-
gemeinsamer See.                                      lingen, auf der gegenüberliegenden Seite nur Kon-
   1519 beglückwünscht der Wasserburger Ge-           stanz, an das sich Helvetien mit vielen Städten
lehrte Rudolf Agricola, Professor für Poetik an der   anschließt, die aber namentlich nicht genannt
Universität Krakau, Vadian zu seiner Rückkehr         werden.83
aus Wien in die Heimat St. Gallen. 1520 spielte         Die Trennung wird auch deutlich bei Michael
Agricola ebenfalls mit dem Gedanken, in ihre          Beuther, der 1544 in seiner Ode auf den Bodensee
gemeinsame Heimat zurückzukehren (in patriam          sagt
nostram volens ire); Vadian möge ihm beim Abt           Quae Suevos rigidis scindit ab Helvetiis.84
von St.Gallen eine Pfründe verschaffen. Und in          (der die Schwaben von den harten Schweizern
demselben Brief nennt Agricola die in Krakau          trennt)
weilenden St.Galler conterranei nostri (unsere          Vadian 1546 und ihm folgend Johannes Stumpf
Landsleute)79. Fern von ihrer Heimat empfinden        1548 unterscheiden die Orte auf der Germanier
sich die Bodenseeanwohner uneingeschränkt als         siten von jenen, die auf Helvetier ertrich ge-
Landsleute.                                           legen85, wobei Konstanz zu den letzteren gehört.
   In einem Konstanzer Gerichtsurteil gegen zwei      Eine solche Einteilung kannte auch der Ravens-
Bregenzer Bürger berücksichtigten die Richter die     burger Michael Hummelberg, der 1523 eine durch
bestehende freundliche Nachbarschaft beider           den Bodensee verlaufende Grenze sieht, der
Städte als strafmildernden Umstand: 1507 hatten       gemäß es Städte versus Sueviam (nach Schwaben
die Bregenzer Konrad Zäsi und Kaspar Kung             hin) gibt, nämlich Bregenz, Lindau, Buchhorn,
gebündelte Rebstecken auf den Konstanzer Markt        Meersburg und Überlingen, andererseits Städte
geführt, die jedoch nit Innwendig erfunden wie        versus Helvetiam (zur Schweiz hin) wie

232
Rheineck, Arbon und Konstanz86. Diese Grenze           Gleichwohl hatte diese Grenze in der Antike
ist aber weniger politisch als historisch-geogra-    ein Vorbild in der dreifachen Aufteilung des
phisch zu sehen. Denn alle humanistischen            Bodensees zwischen Helvetien, Vindelizien und
Autoren gehen von antiken Vorbildern aus, die        Rätien. Der Rhein, einer der bedeutendste Ströme
bereits eine helvetische und eine keltisch-vinde-    Europas, hat seinen Ursprung in Rätien; er ist
lizische Seite, also eine Zweiteilung des Sees,      damit ein Bindeglied zwischen Rätien und dem
kannten. Nach dieser Vorstellung weist Hum-          Bodenseeraum. In seiner Rhetia verfolgt Francis-
melberg Konstanz der helvetischen, Bregenz aber      cus Niger (1500 – nach 1562) aus Bassano den
der vindelizischen Seite zu87. Erst mit der Ein-     Rheinlauf bis zu seiner Mündung in den Boden-
wanderung der Alemannen trat an die Stelle der       see, der dann
vindelizischen Seite eine germanische Seite.
                                                       . . . lässt zur Rechten
Vadians Einteilung in die Germanier oder Helve-
                                                       Dich, trotz`ges Bregenz, liegen, taucht zuletzt
tier Seite ist „historisch gesehen „ eine sekundä-
                                                       In des Acronius flüssígen Fluten unter89.
re Erscheinung.
   Nachdem der Bodensee im Früh- und Hoch-
                                                       Oder an andere Stelle heißt es vom Rhein:
mittelalter als das Herzstück des alemannischen
                                                       . . . von der Doppelquelle bis
Herzogtums Schwaben über Jahrhunderte eine
                                                       zum Eintritt in den milden Bodensee90.
Einheit gebildet hatte, war man zu Beginn des 16.
Jahrhundert wieder zu einer Zweiteilung der            Rätien hatte bei der Rheinmündung einen
Region zurückgekehrt, die aber keineswegs neu,       Anteil am See, mag dieser auch nur eine Grenze
sondern eben in der Antike vorgegeben war. Das       gebildet haben. Das wurde auch aus der entgegen-
humanistische Denken mit seiner Anknüpfung           gesetzten Richtung genau so gesehen. Die räti-
an die Antike förderte die sich seit 1500 abzeich-   schen Alpen enden bei Bregenz am Bodensee; ety-
nende Teilung des Bodensees in einen schwäbi-        mologisch wurde Bregenz bei Münster oder bei
schen und in einen schweizerischen Teil.             Tibian mit Berg Endt oder Bergletz erklärt91, eine
   Die deutschen Autoren folgen dieser Linie.        Deutung, die Michael Hummelberg allerdings
Nicht unumstritten blieb aber die Rolle von Kon-     schon 1523 mit der Begründung zurückgewiesen
stanz, das auf der helvetischen Seite lag, aber      hatte, die Räter hätten bei der Benennung der von
auch historisch und politisch immer wieder zur       ihnen gegründeten Stadt Bregenz sich wohl kaum
Schweiz tendierte. Ganz auffällig datiert Michael    einer so exotischen und barbarischen Sprache wie
Hummelberg 1520 einen Brief an Beatus Rhena-         des Deutschen bedient92. Mit der fortschreiten-
nus mit der Ortsangabe Constantia της                den Lösung von der These des Rheindurchflusses
Γερμανíας, d. h. Konstanz in Deutschland88.          stellte sich auch das Problem einer Dreiteilung
                                                     des Bodensees nicht mehr; denn der Rhein verlor
                                                     seinen Fluss und seinen Namen und wurde vom
Der Anteil Rätiens am Bodensee                       Bodensee zur Gänze verschluckt.93
                                                       Was hier noch auffällt, ist der Hinweis bei Fran-
Ein weiteres Problem aus der antiken Geschichte      ciscus Niger auf das trotzíge Bregenz. Ähnlich
ist die Abgrenzung des Bodensees zu Rätien. Es       sagt auch Tibian über Bregenz
gibt ja auch heute nicht nur die Teilung nach der      Da wont ain volkh von dapffern Leuthen
schweizerischen und der schwäbischen Seite,            Ganz küen zu stürrmen vnnd zu streyten.94
sondern auch noch eine Teillinie nach Süden hin;
denn der Bodensee gehört mit seinen südlichen          Oder: Hicque vides Bregenz, quamvis sint
Ufern zu Österreich. Im 16. Jahrhundert konnte         moenia parva
sich eine solche Grenze allerdings nicht bilden;       Belligerae tamen haec gloria gentis erunt.
ihre Entstehung wurde erst möglich, nachdem            Nemo illo major bello est, nemo acrior armis.95
Österreich 1805 im Frieden von Pressburg auf           (Hier siehst Du Bregenz, obwohl seine Mauern
seine schwäbischen Territorien verzichtet und          gering sind
Bayern 1814 Vorarlberg wieder an Österreich            werden sie doch der Ruhm dieses kriegslusti-
zurückgegeben hatte.                                   gen Volkes sein.

                                                                                                    233
Dort ist niemand größer im Krieg, niemand            1507 fand in Konstanz der letzte Reichstag am
  trotziger in den Waffen).                          Bodensee statt.104 Diese Wahl war getroffen wor-
                                                     den, weil Maximilian im Venediger Krieg und im
  Woher diese Vorstellung vom kriegerischen
                                                     Hinblick auf seine Kaiserkrönung die Hilfe der
Bregenz stammt, ist unbekannt. Bregenz war
                                                     Eidgenossen suchte. Am 21. Mai erschienen denn
zwar seit dem frühen 16. Jahrhundert der Sitz der    auch 17 Gesandte der Eidgenossen. Sie werden
militärischen Führung im Lande. Die Stadt konn-      beschrieben als die stärksten und längsten Perso-
te sich auch im Schwaben-/Schweizerkrieg be-         nen, so zu Costenz auf dem Reichstag gewesen
haupten. Spätestens seit die Schweden 1647 die       sind. Sie erklärten, dass es auch ihre Politik sei,
Stadt schmählich überrumpelt hatten, verlor die      dass die kaiserlich Kron Ehr und Würde von der
Stadt so gründlich diesen Ruf militärischer          teutschen Nation, des Geblüts und Harkommens
Tapferkeit, dass man sich seither kaum mehr zu       die Eidgenossen auch wären, nicht an die franzö-
erklären vermag, wie sie diesen jemals erlangen      sische Krone falle. Um die Eidgenossen zu gewin-
konnte.                                              nen, wurden die 17 Gesandten in ganz besonderer
                                                     Weise mit Rheinwein und Malvasier verhät-
                                                     schelt, wobei es bei einem Aufwand von 2000
Die politische Teilung                               Gulden die Chur- und Fürsten vast übel verdros-
                                                     sen hat, dass der römische König so vil Unkosten
Der Bodenseeraum hatte nicht zuletzt infolge der     auf die groben Bauern und Schwyzer hat gehen
Teilung seine politische Bedeutung verloren, wie     lassen. Beim festlichen Bankett fielen etliche
diese ihm zu Zeiten des Konstanzer Konzils noch      Schweizerinnen auf.105
zugekommen war. Im 16. Jahrhundert wurde er            Der Schwaben-/Schweizerkrieg bedeutete ja
zu einem Nebenschauplatz des Reiches. Zwar           letztlich auch nicht, dass die Eidgenossen jede
besuchten noch die Kaiser Maximilian I. 150796       Verbindung mit dem Heiligen Römischen Reich
oder 151697 und Ferdinand I. 156398 den Bodensee;    von heute auf morgen abgesagt haben. Bis ins 17.
später kamen die Kaiser nicht mehr.99 Als 1596       Jahrhundert blieb es üblich, dass die Standeswap-
Erzherzog Matthias, der spätere Kaiser, Lindau       pen aller Kantone mit dem doppelköpfige Reichs-
besuchte, hinterließ er im Hinblick auf die Luthe-   adler gekrönt wurden106.
raner den bissigen Spruch, Lindau sey ein fein
Nest, aber es habe böse Vögel darinnen.100
  Bei diesen Herrscherbesuchen stand jeweils         Rechtliche Regelungen
auch der See im Zentrum. Am 17. Juni 1516 fuhr
Maximilian von Buchhorn über den Bodensee            Eine direkte Folge der politische Teilung war,
geen Costnitz. Rait man zwo meil, daran man          dass das Zusammenleben der Bodenseeanwohner
funf ganntzer Stundt, mit guetem Wetter vnnd         jetzt zunehmend rechtlichen Regelungen unter-
mit zwen vnnd dreissig starckhen Ruedern             worfen wurde. Denn die Teilung verlangte in
gefarn ist.101 Als Kaiser Ferdinand am 21. Januar    zahlreichen Bereichen eine gegenseitige Abgren-
1563 von Konstanz nach Überlingen fuhr, kamen        zung, um Streitigkeiten zuvorzukommen. Dieses
ihm zahlreiche Schiffe entgegen. Der Kaiser stieg    Thema soll hier nicht näher ausgeführt werden,
auf eines der Überlinger Jagschiffe um. Deren        nur soviel sei gesagt, dass es erste Grenzverträge
Ruderknechte waren in blau-weiße Hosen, dar-         gegeben hat, so wie 1554 zwischen dem Bischof
über trugen sie ein weißes Hemd, darin an der        von Konstanz und den Eidgenossen, wobei im
linken Schulter das rote Feldzeichen.102 Beim        Bereich des Thurgaus und von Konstanz die
Besuch Kaiser Ferdinands in Konstanz wurde           Mitte des Sees bzw. des Rheins zur Grenze
auch die schweizerische Nachbarschaft einbezo-       erklärt wurde107. Überhaupt haben die Eidgenos-
gen; denn der Rat veranstaltete am 7. Februar        sen mit dem Bischof von Konstanz rechtliche
1563 von den Trinkgeldern, die der Kaiser hinter-    Regelungen getroffen wie beispielsweise die
lassen hatte, eine gemeinsame Mahlzeit mit den       Egnacher Offnung von 1544108 oder den Galgen-
Zünften, die teils auf thurgauischem Boden abge-     brief für Arbon von 1574109.
halten wurde.103

234
Es ist aber keineswegs so, dass diese Mitte-See-   mussten, hatten doch beide Seiten jenseits der
Grenze allgemeine Anerkennung gefunden hätte.        durch den See verlaufenden imaginären Teilungs-
Diese mochte entlang des Rheins und auch noch        linie weiterhin starke Interessen wie etwa der
im Konstanzer Trichter ganz plausibel erschei-       Bischof von Konstanz im Thurgau oder der Abt
nen. Aber wie sah das etwa im Herrschaftsgebiet      von St. Gallen in der Umgebung von Neuravens-
des Abtes von St. Gallen aus? Noch im Dreißig-       burg; der Abt war auch nach wie vor Lehnsherr
jährigen Krieg, als die Schweden den Abt von St.     der im heutigen Landkreis Lindau gelegenen
Gallen für die Kaperung des Überlinger Markt-        Schlösser Degelstein118, Mollenberg119 oder Was-
schiffes (Überlingen war damals in der Hand der      serburg120.
Schweden) durch kaiserliche Soldaten aus Bre-          Gelegentlich mochte das Gespräch über den
genz bei Horn verantwortlich machten, wies der       See auch ins Stocken geraten. So wandten sich
Abt die These einer Mitte-See-Grenze weit von        Bürgermeister und Rat der Stadt Schaffhausen
sich; die Grenze sei nie ausgeschieden worden.       1521 an Hans von Bodman, sie hätten wegen des
Man überwies die Angelegenheit an die eidgenös-      Schlosses Hohentwiel an die Ritterschaft von
sische Tagsatzung, wo sie jedoch infolge des         St. Jörgenschild geschrieben, könnten aber keine
Abzugs der Schweden nie behandelt wurde.110          Antwort erhalten. Der Freiherr von Bodman
  Auf grenzüberschreitenden Konferenzen suchte       möge sich bei der Rittervereinigung dafür einset-
man über Jahrzehnte hinweg dem Problem eines         zen, dass die Eidgenossen eine Antwort erhielten,
oft überzogenen Freitrunkrechts der Schiffsleute     welche die Wahrung freundschaftlicher Bezie-
beizukommen, etwa durch die Konstanzer Ord-          hungen ermögliche121.
nung von 1582. Ein anderes Beispiel ist die durch
den Abt von St. Gallen erlassene Holzordnung
von 1550, die gleichzeitig Höchst, Fußach und        Die Einheit des Bodenseeraums
St. Margrethen betraf. Bereits 1505 hatte der Abt
den Höchstern erlaubt, zum Bedarf ihrer Kirche       Wie lässt sich aber nun angesichts der Teilung der
100 Pfähle in St. Margrethen hauen zu dürfen.111     Bodenseeraum doch noch als einheitliche Land-
Seit jeher war es notwendig, in einzelnen Teilbe-    schaft begreifen? Gleiches Geblüt und Herkom-
reichen den Fischfang zu regeln, so beispielsweise   men, eine gemeinsame Geschichte und eine
durch die Buchhorner Fischordnung von 1537112        gemeinsame alemannische Sprache blieben im
oder durch die Lindauer Fischordnung von             16. Jahrhundert starke Argumente für ein fakti-
1537113, die aber auch für die montfortischen und    sches Weiterbestehen der Einheit, so wie denn
österreichischen Fanggebiete galt. 1546 beklagten    auch der Name Bodensee bis heute geblieben ist.
Bregenz und Langenargen, dass Lindau den Tag         Ein einigendes Band waren auch die demokrati-
des Anfahrens der Gangfische eigenmächtig            schen Zunftverfassungen, die in St. Gallen oder
bestimme.114 Lindau entschuldigte sich, was den      in Schaffhausen ähnlich waren wie in den schwä-
Erlass der Langenargener Fischereiordnung von        bischen Reichsstädten, auch wenn hier seit dem
1554 beschleunigt hat.115                            16. Jahrhundert aristokratische Elemente zunah-
  Der Bischof von Konstanz und der Abt von           men. Eine ausführliche Darstellung von Verfas-
St. Gallen erließen 1544 gemeinsam eine Ord-         sung und Verwaltung liegt für Meersburg122 oder
nung vischens halb im Bodensee.116 Die Stadt         für Radolfzell vor.123
Konstanz bemühte sich 1544, zum Schutz der             Für die katholischen Bewohner blieb auch die
Fischerei alle Anrainer des Bodensees für einen      Zugehörigkeit zu demselben Bistum Konstanz.
regelmäßigen gemeinsamen Fischertag zu gewin-        Im Schwaben-/Schweizerkrieg gab es für manche
nen. Überlingen sollte im Hinblick darauf mit        Eidgenossen eine Unsicherheit, wie sie sich zum
Bodman, Werdenberg, Salem und Arbon verhan-          Bischof stellen sollte. So hatte etwa Schaffhausen
deln. Eine vage Zusage erhielt Konstanz auch         am 14. März 1499 in Luzern angefragt, ob die Eid-
vom Landvogt des Rheintals.117                       genossen bezüglich ihres Verhaltens gegenüber
  Diese wenigen Hinweise zeigen, dass Schwei-        dem Bischof von Konstanz ichtzit vnderredt
zer und Schwaben auch nach 1499 mit einander         haben vnd des gemuots sin wellen, dagegen
im Gespräch blieben, ja im Gespräch bleiben          etwas zuo handeln, es sye ichzit oder nichtzit124.

                                                                                                   235
Den Bischof, hebt Kaspar Brusch um die Mitte      der Region verdrossen, daß die dri stet Costenz,
des 16. Jahrhunderts heraus, verehren der Obersee   Lindow und St. Gallen so wol ains warend und
und der Untersee und die ganze benachbarte          das best ansechen hattend.140 1533 kamen 20
fruchtbare Gegend auf den helvetischen Höhen:       Schützen aus Lindau mit ihren Büchsen nach
                                                    St. Gallen und wetteiferten mit den dortigen
  Quem lacus Acronius Venetusque colebat et
                                                    Bürgern.141
  omnis
                                                       Diese Schützenfeste waren für die Betroffenen
  Vicina Helveticis fertilis ora iugis.125
                                                    ein Schlüsselerlebnis, die 1499 verlorene Einheit
   Aber nicht nur für die Katholiken blieb eine     im Geiste wieder zu empfinden. Der St. Galler
begrenzte Einheit bestehen. Schon während der       Lateinschulmeister Johannes Kessler hat das
Anfänge der Reformation orientierte man sich in     angesichts des friedlichen und geselligen Aufzugs
Lindau oder in Bludenz eher in Richtung Zwingli     von 200 Schützen aus St. Gallen, Zürich, Kon-
und neigte weniger zu Luther. In den Jahren des     stanz, Lindau, Bischofszell, Appenzell und Arbon
Bildersturms 1528/29 wetteiferten die schweize-     deutlich zum Ausdruck gebracht: es möchte war-
rischen und schwäbischen Städte diesseits und       lich an froms hertz zuo innerlichem wainen
jenseits des Bodensees mit einander, hier Zürich,   bewegen, so es betrachtet die mittelwand, so
St. Gallen126, Arbon127, Berg128, Güttingen129,     bißhar durch fleischlich yfer und zorn gefloch-
Romanshorn130 oder Steinach131, dort Konstanz132    ten, zerbrochen und zerstoret sin.142 Entschei-
oder Lindau133, die Götzen aus ihren Kirchen und    dend für die Überwindung dieser Wand, die zwi-
Straßen hinwegzutun. Über Jahre hinweg hörten       schen Schweizern und Schwaben stand, war
Konstanzer Bürger nach der erzwungenen Reka-        letztlich die reformierte Religion: so vil hatt,
tholisierung protestantische Predigten im Thur-     bemerkt Kessler in Klammern, die ainhellig pre-
gau.134 Pfingsten 1553 besuchten über 200 Män-      dig des euangelions die erbfigendschafft ußgerut
ner und Frauen, heimliche Anhänger der Refor-       und fruntliche anmuottigkeit ingepflantz. Die
mation aus dem katholischen Konstanz, die evan-     Verbrüderung fand ihren Höhepunkt, als nach
gelische Predigt im benachbarten thurgauischen      dem gleichen Abschneiden von Zürich, Kon-
Rickenbach.135                                      stanz, Lindau und St. Gallen der Preis von 6 Gul-
                                                    den durch das Los zugeteilt werden sollte, der
                                                    Vogt von Kyburg den Vorschlag machte, jedem
Feste                                               der vier Gewinner den ungeteilten Preis zuzuer-
                                                    kennen; denn es sollte im Kampf um die Ehre
Die Nachbarschaft über den See wurde besonders      kein neuer Unmut aufkommen, sondern allein
anlässlich großer Festlichkeiten gepflegt. Auf      die Geselligkeit Vorrang haben. Allen gefiel die-
dem Konstanzer Reichstag von 1507 ließ Maxi-        ser Vorschlag, sodass die Stadt St. Gallen ohne
milian I. zur Belustigung der Massen von einem      Zögern den ausgesetzten Preis vervierfachte.143
vor der Stadt ankernden Schiff ein Feuerwerk           1527 kamen etliche Bürger aus Konstanz nach
abschießen136; Helmut Maurer hat darin das erste    St. Gallen, um dort die Fasnacht zu feiern, nach-
Konstanzer Seenachtsfest gesehen137, das heute      dem die St. Galler 14 Tage zuvor Konstanz be-
noch für alle Bodenseeanwohner von großer           sucht hatten. Die Konstanzer, unter ihnen der
Attraktivität ist.                                  Domherr von Bodman, kamen in katzen wis, in
  In umgekehrter Richtung besuchten 1504 viele      grüenen roken, hohen hüeten mit grüenen spie-
Hundert schwäbische Bodenseeanwohner das            ßen und zwenfachen fendli, rot und wiß, daran.
berühmte Freischießen in Zürich.138 1527 fand in    Es muss dabei ganz munter zugegangen sein: Da
St. Gallen ein Gesellenschießen statt unter gro-    schanktend mine herren erlich an der herberg;
ßer Beteiligung der Konstanzer und Lindauer, die    die geselen ludend si von ainer trinkstuben in die
jubelnd von den Schweizern und namentlich           ander. Es ward spilen erlobt und ander zitliche
durch den Bürgermeister Vadian mit mehreren         fröd.144
Reden begrüßt wurden.139 1530 besuchten 20 St.
Galler Schützen ein Gesellenschießen in Kon-
stanz, wobei es die katholischen Teilnehmer aus

236
Nachbarschaftshilfe                                  einem Brand den Lindauern mit 64 ledernen
                                                     Feuerkübeln zu Hilfe gekommen.149
Die einheitliche Landschaft zeigt sich auch in der     Ein besonders schönes Dokument der Nachbar-
Nachbarschaftshilfe. Als 1494 die Stadt Arbon        schaftshilfe ist der Brief von Bürgermeister und
niederbrannte, waren die von Buchhorn vasthin        Rat der Stadt St. Gallen an die Stadt Wangen, wo
die ersten, die zu Hilfe kamen, desgleich ein        am 2. September 1539 130 Häuser abgebrannt
fromme nachpurschaft zuo Egnach, Roggwil und         waren. Habend alle nachburen und umbliegende
Steinach145. Diese Nachbarschaftshilfe blieb auch    stätt groß mittliden getragen und mitt trostli-
nach dem Schwaben-/Schweizerkrieg ein Gebot,         chem bystand und handraichen die betruebten
auch wenn jetzt gewisse Vorbehalte aufkamen.         ergetzt, schrieben die St. Galler. Sie hätten, als sie
Als 1511 das Konstanzer Münster brannte, eilten      die Nachricht aus Wangen überkamen, vast am
Helfer von der Reichenau und der Mainau herbei,      ersten . . . mitt ainer stur die armen erfröwen las-
auch Leute von Allensbach, Meersburg, Immen-         sen. Bürgermeister und Rat von Wangen bedank-
staad und Hagnau. Ebenso kamen aber auch die         ten sich bei den insunder lieben und guotten
Thurgauer u. a. aus Tägerwilen, Gottlieben, Kurz-    frundten in St. Gallen für deren sunder mittliden
rickenbach, Egelshofen oder Münsterlingen. Aber      und erboten sich zuo der selben diensten und
die Konstanzer ließen die Schweizer nicht in die     guotter frundtlicher nachburschafft gantz guott-
Stadt; sie sollten vor den Toren warten und erst     willig.150 Eine namhafte Hilfe gewährte auch die
dann gerufen werden, wenn man sie tatsächlich        Reichsstadt Lindau, die neben einem Darlehen
brauchte.146 Solche Vorbehalte in der Nachbar-       von 1000 Gulden eine Woche lang 200 Personen
schaftshilfe konnte es auch innerhalb des schwä-     samt Wagen, Pferden und Lebensmitteln zur Ver-
bischen Teils infolge der Kirchenspaltung geben.     fügung stellte.151
1608 schlug der Blitz in den Turm der Pfarrkirche
von Lindau: Drei Bregenzer schiffer voller
volckhs sind hinüber gefahren zu löschen, hat        Die Verbrechensbekämpfung
aber khain löschen helffen wöllen. Poena Dei et
Lutheranismi (Strafe Gottes für das Luther-          Die Teilung in Schweizer und Schwaben, die ter-
tum).147 Man leistete zwar Hilfe, aber eigentlich    ritoriale Zerplitterung und die konfessionelle
geschah den lutherischen Lindauern ganz recht,       Zerrissenheit mussten bei aktuellen Gefahren
wenn ihr Gotteshaus abbrannte.                       zurückstehen, etwa bei der Bekämpfung von
  Insgesamt aber funktionierte die Nachbar-          Gewaltverbrechen. Auch in diesem Fall war die
schaftshilfe. 1597 rühmt sich die Stadt Überlin-     Nachbarschaftshilfe ein Gebot. Mörder und Bren-
gen, über Feuerleitern, Brandhaken, leichte          ner, die diesseits und jenseits des Bodensees ihre
Wagen, Wassereimer, Schaufeln, Gabeln und            Untaten verübten, mussten auf beiden Seiten ver-
überhaupt alles, was für solche Not gebraucht        folgt werden152. So schickte die Stadt Schaffhau-
wird, zu verfügen. Die aus der Bürgerschaft          sen 1540 das Verhörprotokoll einer aus Schwaben
abgeordneten Feuerwehrleute sind keineswegs          und Schweizern zusammengesetzten „Brenner“
säumig, sondern auf den leisesten Wink der           gesellschaft um Ulrich Kromer von Sumerau an
Hauptleute schnellstens bereit, den Nachbarn         Lindau.153 Ein anderes Beispiel ist der berüchtigte
oder auch anderen Bedrohten zu Hilfe zu eilen,       Galli Küng aus Hard, der für zahlreiche Diebstäh-
im Notfalle auch von der Wasserseite her auf         le, Morde und Brandstiftungen verantwortlich
Kähnen.148                                           war, u.a. in St. Margrethen, Balgach, Bernang, im
  1581 fielen 27 Häuser einem Brand in Bregenz       Appenzellerland, bei Chur und im Bad Ems, er
zum Opfer. Die Lindauer haben in der Nacht im        hatte 1549 auch das Benediktinerinnenklöster-
Jag- und Botenschiff Feuerleitern, Feuerhacken,      lein in Grimmenstein angezündet und wurde
Feuerkübel mit stattlicher Menge der Bürger-         schließlich 1552 in Bregenz vor Gericht gestellt
schaft hinüber zur großen Lucken hinausgelas-        und anschließend auf besonders grausame Weise
sen. Auch ist ihnen ein große Anzahl unseres und     mit dem Rad gestoßen, gevierteilt und ver-
ander Landvolk zu helfen zu Fuß hinüber ge-          brannt.154
laufen. Umgekehrt sind die Bregenzer 1603 bei

                                                                                                       237
Humanitäre Nachbarschaftshilfe                      fehlung der Stadt Überlingen, mehrere Kanonen
                                                    in Langenargen gießen.161 Während des Fürsten-
Ein Musterbeispiel grenzüberschreitender huma-      krieges, als Karl V. 1552 in Stein am Rhein um
nitärer Nachbarschaftshilfe wird aus dem Jahre      Waffenlieferung angesucht und zwei Händler
1548 berichtet, als Konstanz seine bisherige        damit begonnen hatten, in der Eidgenossenschaft
Reichsfreiheit verlor und an Österreich über-       Harnische für Österreich aufzukaufen begonnen
ging155. Spanische Truppen belagerten Konstanz,     hatten, intervenierte allerdings Zürich mit einer
zerstörten die Rheinbrücke und brannten Peters-     ernsten Mahnung, dass sie kein Harnische weder
hausen nieder. Der größte Teil der Frauen floh      aufkauften noch über den See und Rhein hinaus
mit ihren Kindern nach Staad, um von dort nach      den Fremden zuschicken und verkaufen, sondern
Meersburg überzusetzen; doch verweigerten           gänzlich davon abstehen wollen.162
ihnen die Schiffsleute aus Furcht vor den Spa-
niern die Überfahrt. Daraufhin wandten sie sich
nach Eck und wateten von dort zur Mainau hin-       Das Landjudentum
über, wo sie der Komtur mit Essen und Trinken
versorgte und sie mit Schiffen nach Unteruhldin-    Eidgenossen und Schwaben zeigen nach 1499
gen brachte, Von dort wanderte sie zu Fuß nach      auch eine einheitliche Linie in ihrer Politik
Meersburg. Dort speiste sie der Bischof im klei-    gegenüber den Juden. Die bis zum Ende des
nen Spital und brachte sie am folgenden Tag in      Mittelalters nachweisbare den Bodensee übergrei-
den Thurgau.156                                     fende Organisation der „Judeschait an dem Bod-
                                                    mensee“ wurde zerschlagen, die Juden aus den
                                                    Städten verbannt und auf das Land abgedrängt.
Marktbesuche                                        Aus den städtischen Geldverleihern wurden dies-
                                                    seits und jenseits des Sees die Landjuden, die mit
Der seit Jahrhunderten bestehenden wirtschaftli-    Vieh, mit landwirtschaftlichen Produkten, Texti-
che Austausch über den See wurde fortgesetzt,       lien, Lederwaren, Metallen usw. Handel betrie-
insbesondere in der Form der gegenseitigen          ben oder auch als Hausierer einem Wandergewer-
Marktbesuche. Auch wo neue Märkte entstan-          be nachgingen. In der Schweiz lebten die Juden
den, etwa der Garnmarkt in Langenargen, dort        nur mehr in den gemeinen Herrschaften (Thur-
stellten sich auch Besucher aus der Schweiz         gau, Rheintal, Aargau), viele wanderten aber auch
ein.157 Es würde hier zu weit führen, auf den ge-   in grenznahe Orte ab (Aach, Engen, Tiengen,
samten wirtschaftlichen Austausch zwischen den      Stockach, Stühlingen, Meersburg). In den Reichs-
beiden Bodenseeufern einzugehen. Das Ge-            gebieten fanden sie als Schutzjuden kleiner und
schäftsbuch des Konstanzer Tuchhändlers Peter       kleinster Herren eine zeitlich limitierte Aufnah-
Kintzer aus den Jahren 1554 bis 1566 zeigt, dass    me, wo sie ständig der Gefahr der Ausweisung
dessen Kunden wohl auch in Konstanz, Allens-        oder auch der Erpressung erhöhter Abgaben aus-
bach, Reichenau und Meersburg saßen, überwie-       gesetzt waren.
gend aber im Thurgau zu Hause waren (Steck-            Die schwäbischen Reichsstädte sowie viele
born, Tägerwilen, Bottighofen, Güttingen,           andere Landesherren beschafften sich kaiserliche
Romanshorn, Happerswil, Sulgen, Wigoltin-           Privilegien, mit denen den nicht nur die Nieder-
gen).158 Besonders erwähnt sei noch, dass selbst    lassung der Juden in den Städten verboten wur-
der Austausch von Kriegsmaterial über den           den, sondern auch jeglicher Handel mit den
Bodensee keinen Beschränkungen unterlag. Der        Untertanen. Solche Handelsverbote erließen die
genannte Tuchhändler Peter Kintzer betrieb          Reichsstädte Konstanz 1541, Überlingen 1547
nebenbei einen schwunghaften Waffenhandel           und 1566, Ravensburg 1559, Lindau 1559, Leut-
(Spieße, Hellebarden, Hauben, Hakenbüchsen u.       kirch 1559, Biberach 1559, das Land Württem-
dgl.) mit eidgenössischen Großkunden in Ossin-      berg 1541, die Grafen von Lupfen 1545, die Klös-
gen, Wil und Bülach.159 1530 wurde eine große       ter Weingarten und Ochsenhausen 1556, die
Kanone von Lindau nach St. Gallen geliefert160.     Reichsritterschaft in Schwaben 1559, die österrei-
Und 1573/74 ließ St. Gallen, und zwar auf Emp-      chischen Städte Waldshut 1553 und Bregenz 1559

238
sowie 1577 die österreichischen Donaustädte           und regelmäßig fahrenden Marktschiffen. Zahl-
Waldsee, Mengen, Riedlingen, Saulgau und Mun-         reiche Schifffahrtsordnungen regelten den Ver-
derkingen. Das für Bregenz erwähnte Handelsver-       kehr, u.a. erließ Bregenz 1569 eine Marktschiff-
bot setzte sich auch für die ländliche Gerichte       ordnung165. In Überlingen waren 1597 13 Ver-
Hofsteig 1570 oder Mittelberg 1588 durch. In der      kehrsschiffe stationiert, dazu viele andere mehr,
Schweiz erließ die Stadt Schaffhausen 1551 und        u.a. auch eigene Transportschiffe für Pferde; an
1558 solche Handelsverbote, die auch dort über        Lastschiffen fahren zwei, und zwar segeln die
die Offnungen in die ländlichen Gerichte übertra-     Schiffer bei günstigem Winde wöchentlich mit
gen wurden. Dennoch kam es gelegentlich unge-         dem einen nach Lindau, mit dem andern nach
achtet dieser restriktiven Politik zu neuen           Konstanz.166
Niederlassung von Juden in der Schweiz in Oster-         Die Schiffe fuhren das ganze Jahr hindurch,
fingen vor 1551, in Thal vor 1558, in Rheineck        auch im Winter. So fuhren beispielsweise der Lin-
1570, in Schwaben in Tettnang 1551, Langenar-         dauer Schiffsmann Ludwig Riesch im Jahre 1603
gen 1551, Wasserburg vor 1555, Stockach 1567          am 14. April, 24. Mai, 6. Juli, 31. August, 15. Ok-
(neu begründet), Hörbranz bei Bregenz 1572,           tober und 19. November Schaffhausen an, Hans
Buchau 1575, Wangen am Untersee vor 1611.             Feurstein aus Lindau am 16. Mai, 2. Juli, 20. Sep-
Diese Entwicklung setzte sich dann im 17. Jahr-       tember, 7. Oktober, 12. November und 31.
hundert fort mit den Gründungen der berühmt           Dezember.167
gewordenen jüdischen Gemeinde in Hohenems                In der Schifffahrt können wir im 16. Jahrhun-
1617 oder den aargauischen Judendörfern               dert das Phänomen der Massengesellschaft beob-
Lengnau und Endingen vor 1620.163                     achten. Die damaligen Häfen stellen sich wie die
   Auch wenn das Landjudentum zu einer erheb-         Großbahnhöfe unserer Zeit dar. 1547 verfehlte
lichen Bedrängnis und auch Verarmung der Juden        Kaspar Brusch im Gedränge seinen Freund Georg
führte, so bleibt auf der anderen Seite doch fest-    Joachim Rhetikus: Und genau an dem Tag und
zustellen, dass im 16. Jahrhundert die Pogrome,       zu derselben Stunde, als ich bei der Rückkehr
wie sie im Mittelalter an der Tagesordnung            aus der Schweiz mit dem Schiff in Konstanz ein-
waren, ausblieben, und dass die Juden zuneh-          lief, kam Rhetikus mit dem Schiff aus Lindau in
mend den rechtlichen Schutz durch das Reichs-         Konstanz an. Aber durch irgendein Missgeschick
kammergericht oder durch die Eidgenössische           habe ich in dem Gewühl der Seeleute weder ihn
Tagsatzung in Anspruch nehmen konnten. Die            gesehen noch er mich.168
Juristen des Bischofs von Konstanz haben 1559            Es gehörte zum Alltag, dass auf den zahlreichen
die Grundsätze für das Zusammenleben von              Schiffen, die den See befuhren, stets Schweizer
Juden und Christen formuliert: Sowohl das römi-       und Schwaben anwesend waren. Man redete mit
sche als auch das kanonische Recht erlaube es         einander, man trank mit einander und man
Juden und Christen, dass sie mit einander Handel      bestand mit einander die Gefahren eines Föhn-
treiben. Es sei den Christen nicht gestattet, den     sturms. Gerade auch die Schiffsunglücke bildeten
Juden irgendein Leid zuzufügen. Die christliche       ein verbindendes Element.
Gesellschaft habe die Pflicht, die Juden bei ihrem       Am 22. Juli 1515 verloren die Eltern des Ulrich
eigenen Privatrecht zu belassen. Und die Juden        Bader bei einem Schiffsuntergang ihr Leben, als
haben einen rechtlichen Anspruch darauf, dass         sie von Lindau her nach St. Gallen fuhren.169 Am
sie bei ihren religiösen Lehren, bei ihren Schulen,   4. August 1526 wurden die Schiffe, die vom Lin-
bei ihren Synagogen und bei ihren Friedhöfen          dauer Markt heimkehrten, aus heiterem Himmel
bleiben.164 An den notwendigen Einsichten hat es      vom Sturm überrascht. Über das St. Galler
demnach nicht gefehlt; doch Theorie und Praxis        Marktschiff wird berichtet: hatt diß ungestuom
klafften häufig weit aus einander.                    gwitter umb treit und in see versenckt und ver-
                                                      wirblet, wobei 25 Menschen ertranken170; nach
Schifffahrt                                           der Lindauer Chronik waren sogar 30 Menschen-
                                                      leben zu beklagen.171 Am 7. März 1576 versanken
Ein zentrales Element der Einheit bildete die         sieben Schiffe in einem heftigen Gewitter.172
Bodenseeschifffahrt, besonders mit ihren großen       Wenige Tage später am 17. März 1576, fiel nach

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