Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs - Jahrgang 2005 Heft 3
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Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 57. Jahrgang 2005 Heft 3
Für die gewährte Unterstützung dankt der Verlag den Förderern: Vorarlberger Landesregierung Vorarlberger Kraftwerke AG Vorarlberger Illwerke AG Herausgeber und Verleger: Vorarlberger Verlagsanstalt, Aktiengesellschaft, Dornbirn Schriftleitung: Karl Heinz Burmeister, Bregenz und Alois Niederstätter, Bregenz Offenlegung: Landeskundliche Darlegung aller Belange Vorarlbergs in Vergangenheit und Gegenwart Hersteller und Verwaltung: Vorarlberger Verlagsanstalt, Aktiengesellschaft, A-6850 Dornbirn, Schwefel 81, Telefon 05572/24697-0, Fax: 05572/24697-78, Internet: www.vva.at, E-Mail: office@vva.at Bindung: Konzett Buchbinderei, Bludenz Bezugspreise: Jahresabonnement (4 Hefte inkl. Zustellung), Inland s 34,00, Ausland s 54,00. Einzelheft s 14,00. Doppelheft s 28,00 (Schüler und Studenten 15 % ermäßigt). Einzahlungen: Konto-Nr. 0000-044172 bei der Dornbirner Sparkasse Dornbirn, BLZ 20602 Abonnement-Abbestellungen für das folgende Jahr sind spätestens bis 31. Oktober dem Verlag schriftlich bekanntzugeben. Nachdrucke und Auszüge sind nur mit Quellenangabe gestattet. Es wird gebeten, Besprechungsexemplare von Büchern und Zeitschriften an die obige Anschrift der Verwaltung zu senden. Die in der „Montfort“ erscheinenden Aufsätze werden in „Historical Abstracts“, American Bibliographical Center, Santa Barbara, Kalifornien, USA, angezeigt. ISBN 3-85430-328-9
Inhalt Hans Gerd Rötzer Kolumbus kam ihm zuvor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Karl Heinz Burmeister Der Bodensee im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Tomasz Ososi ński Prinzessin Katharina von Montfort (1503 – 1548). Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Polen und den Grafen von Montfort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Ruth Gstach Originalwerke des Barockdichters Laurentius von Schnüffis in deutschsprachigen und ausländischen Bibliotheken . . . . . . . . . . . . 270 Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Anneros Troll [u. a.], Zeitreisen am Bodensee – Von den Rentierjägern zu den Alemannen. Gerhard Pirchl, Geheimnis Adernsterne. Unterirdische Kraft- und Orientierungs- hilfen aus prähistorischer Zeit. Schifffahrt am Bodensee, Vom Einbaum zum Katamaran, hg. vom Vorarlberger Landesmuseum. Der Paulinerorden in Deutschland, Beiträge zu seiner Geschichte und Gegenwart von Elmar L. Kuhn, Magda Fischer und P. Miroslaw Legawiec. Hans Gerd Rötzer, Von Nürnberg nach Santiago, Jakobspilger aus Franken, Ein kleines Vademecum. Wolfgang Weber, (Hg.), Regionalgeschichten – Nationalgeschichten. Festschrift für Gerhard Wanner zum 65. Geburtstag. Manfred Stoppel, „Uns wächst eine herrliche Jugend heran !“ Die Geschichte der Hitlerjugend in Vorarlberg von 1930 – 1945. Vorarlberger Landesmuseum, Bartle Kleber. Malerreise in den Orient 1903 – 1904. Die Verfasser und ihre Anschriften: Univ.-Prof. em. DDr. Karl Heinz Burmeister, Am Stäuben 18, D-88131 Enzisweiler/Post Lindau – Dr. Ruth Gstach, Feld- weg 135, A-6822 Schnifis – ao. Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt, Institut für Geschichte, Universität Wien, Dr.-Karl-Lueger- Ring 1, A-1010 Wien – Priv.-Doz. Dr. Rüdiger Krause, Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin, Altensteinstraße 15, D-14195 Berlin – Tomasz Ososi ński, OBTA, Uniwersytet Warszawski, Nowy Świat 69, PL-00-046 Warszawa – Prof. em. Hans Gerd Rötzer, Krelingstraße 21, D-90408 Nürnberg – Mag. Dr. Andreas Rudigier, Haus Nr. 70b, A-6793 Gaschurn – Mag. Dr. Helmut Tiefenthaler, Kummenweg 8, A-6900 Bregenz.
Der Bodensee im 16. Jahrhundert1 VON KARL HEINZ BURMEISTER Es wird immer wieder bedauert, dass die mehr- Kaiser 1552 oder 1566 ein besonderes kaiserliches bändige Geschichte des Bodenseeraumes von Privileg an, wenn auch ohne Erfolg.7 Otto Feger2 nur bis zum Jahre 1500 reicht. Wenn Die Einheit des Bodenseeraums war empfind- hier vom Bodensee im 16. Jahrhundert die Rede lich gestört, sodass Neuorientierungen nötig wur- ist, dann ist damit nicht eine Geschichte des den. Die in den mittelalterlichen Urfehden Bodenseeraums in dieser Zeit im Anschluss an gebräuchliche Umschreibung des Bannbezirks Feger gemeint; es geht vielmehr hauptsächlich mit den Landmarken Bodensee, Walensee, Arl- um die Frage, wie sich der Bodensee selbst dar- berg und Septimer8, die von einer geographischen stellt. Wie haben die Menschen vor 500 Jahren Einheit Rätiens ausging, war nach 1499 nicht den Bodensee gesehen ? mehr zeitgemäß. Neue Formeln gaben die Idee Der Bodenseeraum, eine „Landschaft im Her- eines einheitlichen Rätiens auf und passten sich zen Europas“3, gilt heute als eine klassische Eu- mehr an die territorialen Herrschaften an. Die regio, in der Menschen verschiedener National- Ansätze dazu liegen schon früher; denn bereits staaten, Bundesländer und Kantone über die 1450 wurde ein Bregenzerwälder aus einem Grenzen hinweg eng mit einander verbunden Bezirk gebannt, dessen Grenzen mit dem Arlberg, sind, auch wenn sie derzeit immer noch durch Bodensee, den Flüssen Ill, Rhein und Argen sowie eine EU-Außengrenze getrennt werden. Jeder der Stadt Isny umschrieben waren9. 1563 wurde Bewohner dieses Raums hat darüber seine Vor- einem Bregenzer Schiffmann verboten, nienn- stellungen und Erfahrungen, über Gemeinsames derth den See hinab zu wanndern und die Leib- und Trennendes. Unsere Fragestellung geht lach, Schwarzach und Fußach nicht zu über- dahin, wie die Menschen den Bodensee wahrge- schreiten.10 nommen haben in einer Zeit, als sich in der Folge Der Schwaben- bzw. Schweizerkrieg von 1499, des Schwaben-/Schweizerkrieges die Unterschie- der sozusagen am Beginn des 16. Jahrhunderts de zwischen Schweizern und Schwaben schärfer steht, bedeutete einen tiefen Einschnitt in der herausgebildet haben4. Geschichte der Beziehungen zwischen der Wenn wir von Grenze sprechen, dürfen wir Schweiz und Deutschland. Der Krieg trieb die nicht von unseren heutigen Vorstellungen ausge- Gegensätze auf die Spitze, die sich in Hasstiraden hen, die wir mit einer politischen Grenzlinie ver- entfalteten. Der Kaiser verwendete die Formel binden. Eine solche Grenze ist im 16. Jahrhundert vnsere vigende (Feinde), die Schwitzer11. Die nur von sekundärer Bedeutung. Am Beispiel des Deutschen sahen in ihren Nachbarn nur mehr Verhältnisses von Tägerwilen zu Konstanz zeigt das „Bubenvolk der Schweizer“12. In einem Brief sich, dass diese Grenze immer ziemlich durchläs- an Luzern führten Vogt und Rat von Klingnau sig blieb; wichtiger ist aber, dass die geistige und Klage gegen die von Waldshut, sie hätten söliche gesinnungsmäßige Trennung zwischen Schwei- schantliche vnd vncristeliche wort gegen die Eid- zern und Schwaben seit 1499, teilweise aber auch genossen geredet, das doch kein fromm mann, schon vorher, ins Gewicht fiel, weniger die äuße- sunder ketzer vnd böswichten zimpt13. Der re Grenzlinie.5 Erschwerend wirkte, dass infolge gegenseitige Hass trieb zuweilen kaum mehr zu der Reformation die konfessionelle Einheit der überbietende Blüten: Eine schwangere Frau, die Region zerfiel. Wie Wolfgang Scheffknecht am um Gnade gebeten hatte, erhielt von einem Beispiel von Lustenau gezeigt hat, entstand die Schwaben zur Antwort, wan er wiste, das sy ein politische Grenze zu dem in der Eidgenossen- Schwytzer tröge, er wölte iro den buch vfhowen schaft liegenden Hof Widnau-Haslach, den späte- vnd den Schwytzer haraussnemen14. ren politischen Gemeinden Au und Widnau, erst Schwaben und Schweizer traten somit nicht 1593, wobei jedoch dieser politischen Grenzbil- gerade als Freunde in das 16. Jahrhundert ein. Auf dung eine mehr als hundertjährige Entfremdung der schwäbischen Seite wurde man plötzlich hell- vorausging.6 Ein anderes Beispiel ist Stein am hörig für die sprachlichen Unterschiede. In der Rhein, wo man an der Anschauung festhielt, dass Fasnacht 1499 wurden in Überlingen zwei Frauen die Stadt zwar eidgenössisch sei, aber auf Reichs- verhaftet, von denen die eine der Aidgenossen boden liege; daher strebte man über die generelle sprach gehebt. Man ließ sie jedoch wieder frei, als Konfirmation der eidgenössischen Orte durch den sich herausstellte, dass es sich bei der einen Frau 228
um eine Ägtlin aus Zürich handelte, die mit Bodensees, dessen Töchter, die Bodenseenym- einem Hutmacher in Konstanz verheiratet war15. phen, die von Minerva das Weben gelernt hatten, Im Anschluss an diesen Vorfall könnte man die auf Geheiß ihres Vaters einen Teppich mit den (vorerst nicht zu beantwortende) Frage stellen, Bildern der 85 Konstanzer Bischöfe bis auf Chris- inwieweit sich der Schwaben-/Schweizerkrieg toph Metzler weben.20 Einer ähnlichen Sprache am Bodensee negativ auf das Konnubium zwi- bediente sich auch Bruschs Vorgänger Kaspar Hel- schen Schweizern und Schwaben ausgewirkt hat. delin, der 1534 seinem Studienfreund Achilles Der Krieg wurde am 22. September 1499 durch Pirmin Gasser in Lindau eines seiner Bücher den Frieden zu Basel beendet. Als im August 1499 zusandte mit dem Bemerken, er solle es bei in Basel die Friedensverhandlungen aufgenom- Nichtgefallen der Meeresgöttin Thetis schenken, men wurden, waren beide Seiten kriegsmüde. d. h. es in den Bodensee werfen.21 Und so konnte es gelegentlich schon vor dem Abschluss des Friedens zu Fraternisierungen kommen. Wie eine Lindau Chronik berichtet, Der Name und seine Herkunft fuhren am 23. August 1499 etliche Kriegsleuthe vom Schwäbischen Bund von hie auß über den Auch die Diskussion über den Namen des Boden- See gen Costentz, sobald sie dahin kommen, war sees22 knüpfte an die Antike an. Kein humanisti- ihnen so noth an die Schweitzer, dass sie von scher Autor kam daran vorbei, die unterschied- stund an vor Essen und Trincken hinaus in die lichen Namen des Bodensees wie Lacus Briganti- Schweitz Lieffen, aber die Eydgnossen grüßten nus, Lacus Potamicus, Lacus Constantiensis, sie also, dass ihr etlich dahinden geblieben.16 Lacus Acronius oder Lacus Venetus zu erwähnen Die Rückkehr zur Normalität ging in Feldkirch und zu deuten. Der Ravensburger Humanist in die Chronik ein: Item an St. Michelsabend (= Michael Hummelberg diskutierte 1523 die 28. September) kam der erst Schweizer in die Namensfrage in zwei Briefen an Beatus Rhena- Statt, mit namen Hanns Ruf von Meyenfeld.17 nus23, in denen er die irrtümliche Meinung von Andererseits mussten Schweizer noch Jahrzehnte Erasmus korrigierte, Konstanz sei früher Bregenz später damit rechnen, dass sie wörtlich oder tät- genannt worden, wie man aus dem Wechsel von lich angegriffen wurden, so wie in Bregenz der Lacus Brigantinus zu Lacus Constantiensis fol- Kriegsmann Jörg Waibel von Bern, den der Bregen- gern könne24. Vadian kam 1509 in einem Brief an zer Bürger Gregor Reiner 1539 aus trunckenhait den Wiener Astronomen Georg Tannstätter auf mutwilligerweiß, auch an alle ursach . . . freven- den bei Pomponius Mela so genannten Lacus lich antascht unnd an seinem leib geschedigt Venetus zu sprechen25. Später nahm Vadian in hatte.18 Der Übeltäter wurde von der Bregenzer seiner Schrift Von dem Oberbodensee, von seiner Obrigkeit ins Gefängnis eingeliefert und musste ard und gelegenheit, lenge, grösse zu den ver- Urfehde schwören. schiedenen Namen des Bodensees ausführlich Stellung.26 Der Tübinger Humanist Heinrich Bebel Im Zeichen der Renaissance erwähnt in seinen Facetien (1508) mehrfach den Bodensee27, den er einmal Lacus Potamius seu Das 16. Jahrhundert stand im Zeichen der Alemannus oder Lacus Alemannus seu Potamius Wiedergeburt der Antike, der von Italien ausge- nennt, an anderer Stelle Lemannus sive Potamius henden Renaissance. Und so haben denn auch Lacus. Offenbar verleitete ihn die Bezeichnung alle Autoren dieses Jahrhunderts den Bodensee für den Genfer See = Lacus Lemannus zu diesem im Lichte der antiken Überlieferung betrachtet: Missverständnis. Am Anfang stehen immer Strabo oder Ptolemäus, Bekanntester Übername ist damals wie heute Plinius oder Ammianus Marcellinus.19 Aber auch Schwäbisches Meer, wobei die Bezeichnung mare antike Dichtung und Mythologie wurden auf den = Meer schon im 8. Jahrhundert bezeugt ist. Der Bodensee übertragen. So trifft man um die Mitte Bodensee ist das Meer der Schwaben, zu denen des Jahrhunderts bei dem Lindauer Lateinschul- man im Mittelalter auch die Schweizer rechnete, meister Kaspar Brusch auf einen Wassergeist des die sich erst später von den Schwaben abgegrenzt 229
haben. Im 16. Jahrhundert vermieden die schwei- Wasserburg. 1524 gab in ungewöhnlicher Weise zerischen Autoren, sich mit den Schwaben zu Johannes Henner aus Wasserburg in der Wiener identifizieren. So nennt Vadian den Bodensee den Matrikel seine Herkunft an mit ex lacu Constan- grösten see teutscher nation28. Sebastian Münster tiensi (aus dem Bodensee)34. Bemerkenswert definiert den Bodensee als des Teutschen Landts erscheint im Zusammenhang mit den Bodensee- Meere, und zwar seiner grösse halb29. Der Über- inseln die in Überlingen verbreitete Meinung, es linger Lateinschulmeister Johannes Tibian be- werde einmal der Tag kommen, wo der See die gründet den Namen das Teutsch Mehr mit der Stadtmauern umflute und die Stadt zu einer Insel Tiefe des Sees30. Auch bei Vadian kommt das wandle.35 deutlich zum Ausdruck; dieser wundert sich Ohne Frage gehören alle am See gelegenen über den Ortsnamen Meersburg, der doch eigent- Städte und Gemeinden zum Bodenseeraum. Heu- lich eher Seesburg lauten müsse. Die Einheimi- te herrscht die Vorstellung, dass alles bis zu einer schen erklärten diesen Namen jedoch damit, dass Entfernung von etwa 50 km vom Ufer in den der See hier so tief wie das Meer sei. Vadian Bodenseeraum einzubeziehen ist, insbesondere jedoch ließ diese Deutung nicht zu; vielmehr hät- auch der Alpenrhein bis Feldkirch oder der ten die alten Franken ohne Unterschied die Wor- Hochrhein bis Schaffhausen. Ähnliche Vorstel- te see und meer gebraucht, wie alle niederlender lungen hatte man im 16. Jahrhundert. Die Karto- noch heut bei tag das groß meer bi inen die see graphen konnten nicht darauf verzichten, die heißend, dass demnach der wechsel dieser wört- nähere oder auch die weitere Umgebung einzube- lin sich zuotragen und man disen see das meer ziehen. Aber auch die Geographen, allen voran genent habe, dan er och merklich groß ist31. Tibian, rechnen zum Bodenseeraum Orte wie Das Teutsche Meer setzte sich als Bezeichnung Engen, Aach, Stockach, Salem, Pfullendorf, durch: So pfleget dieser See, insunderheit von Markdorf, Ravensburg, Tettnang, Wangen, St. dem gemeinen Mann, genennet zu werden32. Gallen oder Schaffhausen hinzu. Vadian zieht die Heute wiederum hat das Schwäbische Meer das Grenzen sehr viel enger, rechnet aber Tettnang, Teutsche Meer verdrängt. Schwäbisches Meer ist das ein ringe meil . . . von dem Bodensee liegt, dazu. aber keine eigentliche Bezeichnung für den Auch andere landeinwärts gelegene Orte wie Berg Bodensee, vielmehr ein poetisch verklärter Über- oder Roggwil gehören für Vadian zum Bodensee- name. Im Unterschied zum 16. Jahrhundert ken- raum im engeren Sinne, nicht aber St.Gallen. Seit nen heute die meisten Bodenseeanwohner das dem späten 16. Jahrhundert nennen sich Studen- Meer aus persönlichem Erleben, sodass sie die ten aus Bregenz oder Bludenz Acronianus (Boden- Gleichsetzung von Bodensee und Meer scheuen. see-Anwohner)36. Auch Bludenz galt damals wie heute als dem Bodenseeraum zugehörig. Mit der Herkunft vom Bodensee Acronianus nennen sich Der Bodenseeraum ohne Unterschied alle: Schwaben, wie etwa der Überlinger Johann Christoph Hager37, der Adlige Es gibt recht unterschiedliche Ansichten dazu, von Wolfgang Heinrich von Syrgenstein38 aus wie der Bodenseeraum zu begreifen ist. Schon die dem Allgäu oder der Schweizer Johann Burkhard verschiedenen Teile des Sees wie Obersee, Unter- Payer39 aus Rorschach. see oder Überlingersee bedingten seit jeher ver- schiedene Sichtweisen. So war schon im Spät- mittelalter das Fahrlehen auf den Obersee Durchbruch der Topographie beschränkt; ihre Inhaber fuhren den Herrn nur auf dem Obersee und waren nicht verpflichtet, Die geographischen Beschreibungen des 16. Jahr- ferro ze farent, denn allain uff dem Bodensee und hunderts gründen sich auf die antiken Autoren. nit in den Rin under Costenz, noch in den Zugleich aber erlebten Geographie und Kartogra- Undersee.33 phie infolge der Entwicklung der Buchdrucker- Zum Bodenseeraum im engsten Sinne zählen kunst einen ungeheuren Aufschwung. Man löste seine Inseln: Lindau, Mainau, Reichenau sowie sich von den topographischen Phantasiedarstel- die seit dem 18. Jahrhundert verlandete Insel lungen und betonte die Wirklichkeitsnähe.40 Aus 230
dem Kreis der zeitgenössischen Geographen seien Die Schönheit der Landschaft Ladislaus Suntheim, Johannes Cochlaeus, Joa- chim Vadian, Ulrich Fabri, Aegidius Tschudi, Ein zeittypisches Element ist das aus der Renais- Sebastian Münster oder Johannes Tibian genannt, sance geborene Empfinden für die landschaftliche aus jenem der Kartographen der Meister PPdW41, Schönheit. Als Erster hatte der Florentiner Leo- Achilles Pirmin Gasser (Allgäukarte 153442) oder nardo Bruni, der 1414 das Konstanzer Konzil Tibian (Bodenseekarte 157843). Sie alle haben im besuchte, die Schönheit der Landschaft gepriesen: Bodensee und der von ihm geprägten Landschaft Lacus est omnium amoenissimus (der See ist der ein geographisch herausragendes Phänomen gese- schönste von allen).59 Erasmus lobte 1523 die hen, das man nicht nur mit nüchternen Worten schöne Lage der Stadt Konstanz.60 Vadian hebt beschrieben hat. Der See ist für sie nicht irgend- heraus, dass am Bodensee rings-weiß harum ein ein Gewässer, er ist vielmehr, wie Vadian sagt, wonderschöne landschaft ligt, . . . ganz gleich verrümbt und weitbekant44. Während die anti- einem lustgarten.61 Kolumban und Gallus, so ken Autoren nur beschreiben, suchen die zeitge- schreibt Sebastian Münster, ließen sich dort nie- nössischen Autoren nach Superlativen und be- der, da man jetztmal das Kloster vnd die schöne geistern sich für den See. Für Strabo war der Statt Sanct Gallen sicht.62 Und Zu vnsern Zeiten Bodensee aus der Distanz ganz einfach η λíμνη hat ein Abt zu Sanct Gallen ein schöne Land- (der Teich), während für Tibian der Acronius λáK- schaft vnd Mannschafft in Ober vnd Nider Thur- KOνς höchster Ehren würdig ist (summo dignus göw.63 Abt Ulrich Rösch wählte 1487 für den honore), sein berühmter Name sich zu den Ster- Neubau des Klosters in Rorschach einen Platz nen erhebt (praeclarum nomen ad astra volat) aus, mit lust zu sechen den gantzen Bodensee und seine Landschaft keineswegs der geringste und alles, das darumb gelegen ist, beide lennder, Teil der Welt (pars non infima mundi) ist. schloss und stett ennet und hie diesent, wyt und Neben den genannten Geographen geben aber prait.64 vielfach auch Reisebeschreibungen wertvolle In dem Brief des Wasserburgers Rudolf Agricola Detailkenntnisse über den Bodensee. Der Venezi- an Vadian aus dem Jahre 1519 nennt dieser die anische Gesandte Andrea de Franceschi (1492)45 ihnen beiden gemeinsame Heimat amoenissima besuchte die „Krone“ (la hosteria de la Corona“) patria nostra (unser so wunderschönes Vater- in Lindau und die „Krone“ (la hosteria de la Coro- land)65. Tibian preist die amoena loca (schönen na“) in Bregenz.46 Der Churer Bischof Heinrich Orte).66 Die Landschaft um Radolfzell nennt Tibi- von Hewen nennt in seinem Reisetagebuch von an ain wunderschönne gegen.67 Und kommt man 1502 mehrfach den „Hecht“ in Konstanz.47 nach Bodman, So sieht man schönne flekhen.68 Rudolf Sailer, der Kanzler des Abtes von St. Gal- Manche Autoren haben den Bodensee in Versen len, gibt uns um 1530 Hinweise auf namhafte besungen; an die Stelle einer wissenschaftlichen Wirtshäuser auf der schwäbischen Seite des Descriptio trat eine Elegia in laudem Acronii Bodensees, die er aus eigenem Erleben kennen lacus69 oder ein Panegyricon super laudibus gelernt hat, so beispielsweise den „Engel“ in Acronii lacus70. Michael Beuther verfasste 1544 Buchhorn48, den „Roten Löwen“ in Meersburg49 eine Ode De Lacu Constantino.71 Kaspar Brusch oder den „Engel“ in Radolfzell50. Für das Jahr dichtete 1547 ein Idyllion de Wasserburgo.72 In 1580 nennt der französische Philosoph Michel de dem um 1575 in deutschen Reimen verfassten Montaigne die „Krone“ in Schaffhausen51, den Lobpreis der Statt Stain wird der Vergleich mit „Adler“ und den „Hecht“ in Konstanz52, den dem Paradies gezogen: „Kölner Hof“ bzw. die „Post“ in Markdorf53 und Wie es so lustig war darynn, die „Krone“ in Lindau54. Gelegentlich werden Dann sie lag zunächst am Rhyn, solche Häuser auch in der offiziellen Korrespon- So wird verglichet sie dem Paradies, denz erwähnt, etwa 1499 das (Wirts-?)Haus „zum Denn darin fint man alle Spys, Swartzen bären“ in Radolfzell55. Des weiteren sei Was doch der Mensch begehren tut, verwiesen auf die Reiseberichte von, Francesco Das fint man da fürwar alls Gut.73 Vettori (1507)56, Luigi dí Aragona (1517/18)57 oder Fines Moryson (1591/95)58. 231
Der Bodenseeraum als einheitliche Landschaft sy vßwendig erschienen sind. Der Rat strafte die beiden Übeltäter zu nachpurlicher frundschafft Die im ausgehenden Mittelalter sich festigenden anders nit als dass sie die Fracht nach Bregenz Grenzen zwischen Deutschland und der zurückführen mussten; zudem wurde dem Bre- Schweiz74 verursachten bei den Geographen eine genzer Rat eine Meldung gemacht, der beide gewisse Unsicherheit, den Bodenseeraum als die Schiffsleute ermahnen sollte, das sy hinfür sich Einheit zu sehen, die er historisch durch viele solchs mer entschlachend vnd nach innhalt der Jahrhunderte gewesen ist. ordnung gut kauffmans war furend.80 In der Konstanzer Bistumsverwaltung wurde Aber auch der Teilung wird man sich immer aber schon immer der Begriff ultralacensis (jen- wieder bewusst. In der Brevis Germanie Descrip- seits des Sees) verwendet75. Auch Abt Ulrich tio von Johannes Cochlaeus von 1512 wird eine Rösch wollte von seiner künftigen Residenz aus Region Constantia (Konstanz) abgehoben von beide lennder . . . ennet und hie diesent ständig einer Region Basilea (Basel) und einer Region vor Augen haben. Als Folge der Trennung durch Rätien, wobei der Bodensee insgesamt der Region den Schwaben-/Schweizerkrieg beobachten wir Konstanz zugeordnet wird81. Die Region Kon- ein Wuchern der Bezeichnung ultra Acronum stanz wird dann noch einmal unter dem Stich- (jenseits des Bodensees), entsprechend auch auf wort Der Konstanzer See aufgegriffen, bleibt aber Deutsch enend Sees und Rins.76 So sagt Michael auf das deutsche Ufer beschränkt: Er nennt als Hummelberg 1522 in einem Brief an Ulrich Städte Lindau, Buchhorn, Meersburg, Überlingen Zwingli, dass dessen Name auch bei uns ultra und Radolfzell82. Cochlaeus stammte aus Nürn- Acromium lacum bekannt geworden sei.77 1529 berg, einer Stadt, die sich im Schwaben-/Schwei- erwähnt Ludwig Leopadius in einem Brief an zerkrieg ungeachtet ihrer weiten geographischen Zwingli die Städte ultra Achronium nostrum78; Entfernung besonders engagiert hatte; er zog der aus Münsterlingen gebürtige Leopadius war daher klare politische Konsequenzen. damals Lehrer für die alten Sprachen in Konstanz. Deutlich wird auch die Teilung im Geographi- Der See bleibt für ihn unser See, der Schwaben ae introductorium des Dornbirner Geographen und Schweizern gemeinsame Bodensee. Die hel- Ulrich Fabri von 1519. Er nennt lediglich die vetischen oder germanischen Länder mögen Städte auf dem schwäbischen Ufer: Bregenz, Lin- getrennt sein, der Bodensee selbst bleibt ihr dau, Wasserburg, Buchhorn, Meersburg und Über- gemeinsamer See. lingen, auf der gegenüberliegenden Seite nur Kon- 1519 beglückwünscht der Wasserburger Ge- stanz, an das sich Helvetien mit vielen Städten lehrte Rudolf Agricola, Professor für Poetik an der anschließt, die aber namentlich nicht genannt Universität Krakau, Vadian zu seiner Rückkehr werden.83 aus Wien in die Heimat St. Gallen. 1520 spielte Die Trennung wird auch deutlich bei Michael Agricola ebenfalls mit dem Gedanken, in ihre Beuther, der 1544 in seiner Ode auf den Bodensee gemeinsame Heimat zurückzukehren (in patriam sagt nostram volens ire); Vadian möge ihm beim Abt Quae Suevos rigidis scindit ab Helvetiis.84 von St.Gallen eine Pfründe verschaffen. Und in (der die Schwaben von den harten Schweizern demselben Brief nennt Agricola die in Krakau trennt) weilenden St.Galler conterranei nostri (unsere Vadian 1546 und ihm folgend Johannes Stumpf Landsleute)79. Fern von ihrer Heimat empfinden 1548 unterscheiden die Orte auf der Germanier sich die Bodenseeanwohner uneingeschränkt als siten von jenen, die auf Helvetier ertrich ge- Landsleute. legen85, wobei Konstanz zu den letzteren gehört. In einem Konstanzer Gerichtsurteil gegen zwei Eine solche Einteilung kannte auch der Ravens- Bregenzer Bürger berücksichtigten die Richter die burger Michael Hummelberg, der 1523 eine durch bestehende freundliche Nachbarschaft beider den Bodensee verlaufende Grenze sieht, der Städte als strafmildernden Umstand: 1507 hatten gemäß es Städte versus Sueviam (nach Schwaben die Bregenzer Konrad Zäsi und Kaspar Kung hin) gibt, nämlich Bregenz, Lindau, Buchhorn, gebündelte Rebstecken auf den Konstanzer Markt Meersburg und Überlingen, andererseits Städte geführt, die jedoch nit Innwendig erfunden wie versus Helvetiam (zur Schweiz hin) wie 232
Rheineck, Arbon und Konstanz86. Diese Grenze Gleichwohl hatte diese Grenze in der Antike ist aber weniger politisch als historisch-geogra- ein Vorbild in der dreifachen Aufteilung des phisch zu sehen. Denn alle humanistischen Bodensees zwischen Helvetien, Vindelizien und Autoren gehen von antiken Vorbildern aus, die Rätien. Der Rhein, einer der bedeutendste Ströme bereits eine helvetische und eine keltisch-vinde- Europas, hat seinen Ursprung in Rätien; er ist lizische Seite, also eine Zweiteilung des Sees, damit ein Bindeglied zwischen Rätien und dem kannten. Nach dieser Vorstellung weist Hum- Bodenseeraum. In seiner Rhetia verfolgt Francis- melberg Konstanz der helvetischen, Bregenz aber cus Niger (1500 – nach 1562) aus Bassano den der vindelizischen Seite zu87. Erst mit der Ein- Rheinlauf bis zu seiner Mündung in den Boden- wanderung der Alemannen trat an die Stelle der see, der dann vindelizischen Seite eine germanische Seite. . . . lässt zur Rechten Vadians Einteilung in die Germanier oder Helve- Dich, trotz`ges Bregenz, liegen, taucht zuletzt tier Seite ist „historisch gesehen „ eine sekundä- In des Acronius flüssígen Fluten unter89. re Erscheinung. Nachdem der Bodensee im Früh- und Hoch- Oder an andere Stelle heißt es vom Rhein: mittelalter als das Herzstück des alemannischen . . . von der Doppelquelle bis Herzogtums Schwaben über Jahrhunderte eine zum Eintritt in den milden Bodensee90. Einheit gebildet hatte, war man zu Beginn des 16. Jahrhundert wieder zu einer Zweiteilung der Rätien hatte bei der Rheinmündung einen Region zurückgekehrt, die aber keineswegs neu, Anteil am See, mag dieser auch nur eine Grenze sondern eben in der Antike vorgegeben war. Das gebildet haben. Das wurde auch aus der entgegen- humanistische Denken mit seiner Anknüpfung gesetzten Richtung genau so gesehen. Die räti- an die Antike förderte die sich seit 1500 abzeich- schen Alpen enden bei Bregenz am Bodensee; ety- nende Teilung des Bodensees in einen schwäbi- mologisch wurde Bregenz bei Münster oder bei schen und in einen schweizerischen Teil. Tibian mit Berg Endt oder Bergletz erklärt91, eine Die deutschen Autoren folgen dieser Linie. Deutung, die Michael Hummelberg allerdings Nicht unumstritten blieb aber die Rolle von Kon- schon 1523 mit der Begründung zurückgewiesen stanz, das auf der helvetischen Seite lag, aber hatte, die Räter hätten bei der Benennung der von auch historisch und politisch immer wieder zur ihnen gegründeten Stadt Bregenz sich wohl kaum Schweiz tendierte. Ganz auffällig datiert Michael einer so exotischen und barbarischen Sprache wie Hummelberg 1520 einen Brief an Beatus Rhena- des Deutschen bedient92. Mit der fortschreiten- nus mit der Ortsangabe Constantia της den Lösung von der These des Rheindurchflusses Γερμανíας, d. h. Konstanz in Deutschland88. stellte sich auch das Problem einer Dreiteilung des Bodensees nicht mehr; denn der Rhein verlor seinen Fluss und seinen Namen und wurde vom Der Anteil Rätiens am Bodensee Bodensee zur Gänze verschluckt.93 Was hier noch auffällt, ist der Hinweis bei Fran- Ein weiteres Problem aus der antiken Geschichte ciscus Niger auf das trotzíge Bregenz. Ähnlich ist die Abgrenzung des Bodensees zu Rätien. Es sagt auch Tibian über Bregenz gibt ja auch heute nicht nur die Teilung nach der Da wont ain volkh von dapffern Leuthen schweizerischen und der schwäbischen Seite, Ganz küen zu stürrmen vnnd zu streyten.94 sondern auch noch eine Teillinie nach Süden hin; denn der Bodensee gehört mit seinen südlichen Oder: Hicque vides Bregenz, quamvis sint Ufern zu Österreich. Im 16. Jahrhundert konnte moenia parva sich eine solche Grenze allerdings nicht bilden; Belligerae tamen haec gloria gentis erunt. ihre Entstehung wurde erst möglich, nachdem Nemo illo major bello est, nemo acrior armis.95 Österreich 1805 im Frieden von Pressburg auf (Hier siehst Du Bregenz, obwohl seine Mauern seine schwäbischen Territorien verzichtet und gering sind Bayern 1814 Vorarlberg wieder an Österreich werden sie doch der Ruhm dieses kriegslusti- zurückgegeben hatte. gen Volkes sein. 233
Dort ist niemand größer im Krieg, niemand 1507 fand in Konstanz der letzte Reichstag am trotziger in den Waffen). Bodensee statt.104 Diese Wahl war getroffen wor- den, weil Maximilian im Venediger Krieg und im Woher diese Vorstellung vom kriegerischen Hinblick auf seine Kaiserkrönung die Hilfe der Bregenz stammt, ist unbekannt. Bregenz war Eidgenossen suchte. Am 21. Mai erschienen denn zwar seit dem frühen 16. Jahrhundert der Sitz der auch 17 Gesandte der Eidgenossen. Sie werden militärischen Führung im Lande. Die Stadt konn- beschrieben als die stärksten und längsten Perso- te sich auch im Schwaben-/Schweizerkrieg be- nen, so zu Costenz auf dem Reichstag gewesen haupten. Spätestens seit die Schweden 1647 die sind. Sie erklärten, dass es auch ihre Politik sei, Stadt schmählich überrumpelt hatten, verlor die dass die kaiserlich Kron Ehr und Würde von der Stadt so gründlich diesen Ruf militärischer teutschen Nation, des Geblüts und Harkommens Tapferkeit, dass man sich seither kaum mehr zu die Eidgenossen auch wären, nicht an die franzö- erklären vermag, wie sie diesen jemals erlangen sische Krone falle. Um die Eidgenossen zu gewin- konnte. nen, wurden die 17 Gesandten in ganz besonderer Weise mit Rheinwein und Malvasier verhät- schelt, wobei es bei einem Aufwand von 2000 Die politische Teilung Gulden die Chur- und Fürsten vast übel verdros- sen hat, dass der römische König so vil Unkosten Der Bodenseeraum hatte nicht zuletzt infolge der auf die groben Bauern und Schwyzer hat gehen Teilung seine politische Bedeutung verloren, wie lassen. Beim festlichen Bankett fielen etliche diese ihm zu Zeiten des Konstanzer Konzils noch Schweizerinnen auf.105 zugekommen war. Im 16. Jahrhundert wurde er Der Schwaben-/Schweizerkrieg bedeutete ja zu einem Nebenschauplatz des Reiches. Zwar letztlich auch nicht, dass die Eidgenossen jede besuchten noch die Kaiser Maximilian I. 150796 Verbindung mit dem Heiligen Römischen Reich oder 151697 und Ferdinand I. 156398 den Bodensee; von heute auf morgen abgesagt haben. Bis ins 17. später kamen die Kaiser nicht mehr.99 Als 1596 Jahrhundert blieb es üblich, dass die Standeswap- Erzherzog Matthias, der spätere Kaiser, Lindau pen aller Kantone mit dem doppelköpfige Reichs- besuchte, hinterließ er im Hinblick auf die Luthe- adler gekrönt wurden106. raner den bissigen Spruch, Lindau sey ein fein Nest, aber es habe böse Vögel darinnen.100 Bei diesen Herrscherbesuchen stand jeweils Rechtliche Regelungen auch der See im Zentrum. Am 17. Juni 1516 fuhr Maximilian von Buchhorn über den Bodensee Eine direkte Folge der politische Teilung war, geen Costnitz. Rait man zwo meil, daran man dass das Zusammenleben der Bodenseeanwohner funf ganntzer Stundt, mit guetem Wetter vnnd jetzt zunehmend rechtlichen Regelungen unter- mit zwen vnnd dreissig starckhen Ruedern worfen wurde. Denn die Teilung verlangte in gefarn ist.101 Als Kaiser Ferdinand am 21. Januar zahlreichen Bereichen eine gegenseitige Abgren- 1563 von Konstanz nach Überlingen fuhr, kamen zung, um Streitigkeiten zuvorzukommen. Dieses ihm zahlreiche Schiffe entgegen. Der Kaiser stieg Thema soll hier nicht näher ausgeführt werden, auf eines der Überlinger Jagschiffe um. Deren nur soviel sei gesagt, dass es erste Grenzverträge Ruderknechte waren in blau-weiße Hosen, dar- gegeben hat, so wie 1554 zwischen dem Bischof über trugen sie ein weißes Hemd, darin an der von Konstanz und den Eidgenossen, wobei im linken Schulter das rote Feldzeichen.102 Beim Bereich des Thurgaus und von Konstanz die Besuch Kaiser Ferdinands in Konstanz wurde Mitte des Sees bzw. des Rheins zur Grenze auch die schweizerische Nachbarschaft einbezo- erklärt wurde107. Überhaupt haben die Eidgenos- gen; denn der Rat veranstaltete am 7. Februar sen mit dem Bischof von Konstanz rechtliche 1563 von den Trinkgeldern, die der Kaiser hinter- Regelungen getroffen wie beispielsweise die lassen hatte, eine gemeinsame Mahlzeit mit den Egnacher Offnung von 1544108 oder den Galgen- Zünften, die teils auf thurgauischem Boden abge- brief für Arbon von 1574109. halten wurde.103 234
Es ist aber keineswegs so, dass diese Mitte-See- mussten, hatten doch beide Seiten jenseits der Grenze allgemeine Anerkennung gefunden hätte. durch den See verlaufenden imaginären Teilungs- Diese mochte entlang des Rheins und auch noch linie weiterhin starke Interessen wie etwa der im Konstanzer Trichter ganz plausibel erschei- Bischof von Konstanz im Thurgau oder der Abt nen. Aber wie sah das etwa im Herrschaftsgebiet von St. Gallen in der Umgebung von Neuravens- des Abtes von St. Gallen aus? Noch im Dreißig- burg; der Abt war auch nach wie vor Lehnsherr jährigen Krieg, als die Schweden den Abt von St. der im heutigen Landkreis Lindau gelegenen Gallen für die Kaperung des Überlinger Markt- Schlösser Degelstein118, Mollenberg119 oder Was- schiffes (Überlingen war damals in der Hand der serburg120. Schweden) durch kaiserliche Soldaten aus Bre- Gelegentlich mochte das Gespräch über den genz bei Horn verantwortlich machten, wies der See auch ins Stocken geraten. So wandten sich Abt die These einer Mitte-See-Grenze weit von Bürgermeister und Rat der Stadt Schaffhausen sich; die Grenze sei nie ausgeschieden worden. 1521 an Hans von Bodman, sie hätten wegen des Man überwies die Angelegenheit an die eidgenös- Schlosses Hohentwiel an die Ritterschaft von sische Tagsatzung, wo sie jedoch infolge des St. Jörgenschild geschrieben, könnten aber keine Abzugs der Schweden nie behandelt wurde.110 Antwort erhalten. Der Freiherr von Bodman Auf grenzüberschreitenden Konferenzen suchte möge sich bei der Rittervereinigung dafür einset- man über Jahrzehnte hinweg dem Problem eines zen, dass die Eidgenossen eine Antwort erhielten, oft überzogenen Freitrunkrechts der Schiffsleute welche die Wahrung freundschaftlicher Bezie- beizukommen, etwa durch die Konstanzer Ord- hungen ermögliche121. nung von 1582. Ein anderes Beispiel ist die durch den Abt von St. Gallen erlassene Holzordnung von 1550, die gleichzeitig Höchst, Fußach und Die Einheit des Bodenseeraums St. Margrethen betraf. Bereits 1505 hatte der Abt den Höchstern erlaubt, zum Bedarf ihrer Kirche Wie lässt sich aber nun angesichts der Teilung der 100 Pfähle in St. Margrethen hauen zu dürfen.111 Bodenseeraum doch noch als einheitliche Land- Seit jeher war es notwendig, in einzelnen Teilbe- schaft begreifen? Gleiches Geblüt und Herkom- reichen den Fischfang zu regeln, so beispielsweise men, eine gemeinsame Geschichte und eine durch die Buchhorner Fischordnung von 1537112 gemeinsame alemannische Sprache blieben im oder durch die Lindauer Fischordnung von 16. Jahrhundert starke Argumente für ein fakti- 1537113, die aber auch für die montfortischen und sches Weiterbestehen der Einheit, so wie denn österreichischen Fanggebiete galt. 1546 beklagten auch der Name Bodensee bis heute geblieben ist. Bregenz und Langenargen, dass Lindau den Tag Ein einigendes Band waren auch die demokrati- des Anfahrens der Gangfische eigenmächtig schen Zunftverfassungen, die in St. Gallen oder bestimme.114 Lindau entschuldigte sich, was den in Schaffhausen ähnlich waren wie in den schwä- Erlass der Langenargener Fischereiordnung von bischen Reichsstädten, auch wenn hier seit dem 1554 beschleunigt hat.115 16. Jahrhundert aristokratische Elemente zunah- Der Bischof von Konstanz und der Abt von men. Eine ausführliche Darstellung von Verfas- St. Gallen erließen 1544 gemeinsam eine Ord- sung und Verwaltung liegt für Meersburg122 oder nung vischens halb im Bodensee.116 Die Stadt für Radolfzell vor.123 Konstanz bemühte sich 1544, zum Schutz der Für die katholischen Bewohner blieb auch die Fischerei alle Anrainer des Bodensees für einen Zugehörigkeit zu demselben Bistum Konstanz. regelmäßigen gemeinsamen Fischertag zu gewin- Im Schwaben-/Schweizerkrieg gab es für manche nen. Überlingen sollte im Hinblick darauf mit Eidgenossen eine Unsicherheit, wie sie sich zum Bodman, Werdenberg, Salem und Arbon verhan- Bischof stellen sollte. So hatte etwa Schaffhausen deln. Eine vage Zusage erhielt Konstanz auch am 14. März 1499 in Luzern angefragt, ob die Eid- vom Landvogt des Rheintals.117 genossen bezüglich ihres Verhaltens gegenüber Diese wenigen Hinweise zeigen, dass Schwei- dem Bischof von Konstanz ichtzit vnderredt zer und Schwaben auch nach 1499 mit einander haben vnd des gemuots sin wellen, dagegen im Gespräch blieben, ja im Gespräch bleiben etwas zuo handeln, es sye ichzit oder nichtzit124. 235
Den Bischof, hebt Kaspar Brusch um die Mitte der Region verdrossen, daß die dri stet Costenz, des 16. Jahrhunderts heraus, verehren der Obersee Lindow und St. Gallen so wol ains warend und und der Untersee und die ganze benachbarte das best ansechen hattend.140 1533 kamen 20 fruchtbare Gegend auf den helvetischen Höhen: Schützen aus Lindau mit ihren Büchsen nach St. Gallen und wetteiferten mit den dortigen Quem lacus Acronius Venetusque colebat et Bürgern.141 omnis Diese Schützenfeste waren für die Betroffenen Vicina Helveticis fertilis ora iugis.125 ein Schlüsselerlebnis, die 1499 verlorene Einheit Aber nicht nur für die Katholiken blieb eine im Geiste wieder zu empfinden. Der St. Galler begrenzte Einheit bestehen. Schon während der Lateinschulmeister Johannes Kessler hat das Anfänge der Reformation orientierte man sich in angesichts des friedlichen und geselligen Aufzugs Lindau oder in Bludenz eher in Richtung Zwingli von 200 Schützen aus St. Gallen, Zürich, Kon- und neigte weniger zu Luther. In den Jahren des stanz, Lindau, Bischofszell, Appenzell und Arbon Bildersturms 1528/29 wetteiferten die schweize- deutlich zum Ausdruck gebracht: es möchte war- rischen und schwäbischen Städte diesseits und lich an froms hertz zuo innerlichem wainen jenseits des Bodensees mit einander, hier Zürich, bewegen, so es betrachtet die mittelwand, so St. Gallen126, Arbon127, Berg128, Güttingen129, bißhar durch fleischlich yfer und zorn gefloch- Romanshorn130 oder Steinach131, dort Konstanz132 ten, zerbrochen und zerstoret sin.142 Entschei- oder Lindau133, die Götzen aus ihren Kirchen und dend für die Überwindung dieser Wand, die zwi- Straßen hinwegzutun. Über Jahre hinweg hörten schen Schweizern und Schwaben stand, war Konstanzer Bürger nach der erzwungenen Reka- letztlich die reformierte Religion: so vil hatt, tholisierung protestantische Predigten im Thur- bemerkt Kessler in Klammern, die ainhellig pre- gau.134 Pfingsten 1553 besuchten über 200 Män- dig des euangelions die erbfigendschafft ußgerut ner und Frauen, heimliche Anhänger der Refor- und fruntliche anmuottigkeit ingepflantz. Die mation aus dem katholischen Konstanz, die evan- Verbrüderung fand ihren Höhepunkt, als nach gelische Predigt im benachbarten thurgauischen dem gleichen Abschneiden von Zürich, Kon- Rickenbach.135 stanz, Lindau und St. Gallen der Preis von 6 Gul- den durch das Los zugeteilt werden sollte, der Vogt von Kyburg den Vorschlag machte, jedem Feste der vier Gewinner den ungeteilten Preis zuzuer- kennen; denn es sollte im Kampf um die Ehre Die Nachbarschaft über den See wurde besonders kein neuer Unmut aufkommen, sondern allein anlässlich großer Festlichkeiten gepflegt. Auf die Geselligkeit Vorrang haben. Allen gefiel die- dem Konstanzer Reichstag von 1507 ließ Maxi- ser Vorschlag, sodass die Stadt St. Gallen ohne milian I. zur Belustigung der Massen von einem Zögern den ausgesetzten Preis vervierfachte.143 vor der Stadt ankernden Schiff ein Feuerwerk 1527 kamen etliche Bürger aus Konstanz nach abschießen136; Helmut Maurer hat darin das erste St. Gallen, um dort die Fasnacht zu feiern, nach- Konstanzer Seenachtsfest gesehen137, das heute dem die St. Galler 14 Tage zuvor Konstanz be- noch für alle Bodenseeanwohner von großer sucht hatten. Die Konstanzer, unter ihnen der Attraktivität ist. Domherr von Bodman, kamen in katzen wis, in In umgekehrter Richtung besuchten 1504 viele grüenen roken, hohen hüeten mit grüenen spie- Hundert schwäbische Bodenseeanwohner das ßen und zwenfachen fendli, rot und wiß, daran. berühmte Freischießen in Zürich.138 1527 fand in Es muss dabei ganz munter zugegangen sein: Da St. Gallen ein Gesellenschießen statt unter gro- schanktend mine herren erlich an der herberg; ßer Beteiligung der Konstanzer und Lindauer, die die geselen ludend si von ainer trinkstuben in die jubelnd von den Schweizern und namentlich ander. Es ward spilen erlobt und ander zitliche durch den Bürgermeister Vadian mit mehreren fröd.144 Reden begrüßt wurden.139 1530 besuchten 20 St. Galler Schützen ein Gesellenschießen in Kon- stanz, wobei es die katholischen Teilnehmer aus 236
Nachbarschaftshilfe einem Brand den Lindauern mit 64 ledernen Feuerkübeln zu Hilfe gekommen.149 Die einheitliche Landschaft zeigt sich auch in der Ein besonders schönes Dokument der Nachbar- Nachbarschaftshilfe. Als 1494 die Stadt Arbon schaftshilfe ist der Brief von Bürgermeister und niederbrannte, waren die von Buchhorn vasthin Rat der Stadt St. Gallen an die Stadt Wangen, wo die ersten, die zu Hilfe kamen, desgleich ein am 2. September 1539 130 Häuser abgebrannt fromme nachpurschaft zuo Egnach, Roggwil und waren. Habend alle nachburen und umbliegende Steinach145. Diese Nachbarschaftshilfe blieb auch stätt groß mittliden getragen und mitt trostli- nach dem Schwaben-/Schweizerkrieg ein Gebot, chem bystand und handraichen die betruebten auch wenn jetzt gewisse Vorbehalte aufkamen. ergetzt, schrieben die St. Galler. Sie hätten, als sie Als 1511 das Konstanzer Münster brannte, eilten die Nachricht aus Wangen überkamen, vast am Helfer von der Reichenau und der Mainau herbei, ersten . . . mitt ainer stur die armen erfröwen las- auch Leute von Allensbach, Meersburg, Immen- sen. Bürgermeister und Rat von Wangen bedank- staad und Hagnau. Ebenso kamen aber auch die ten sich bei den insunder lieben und guotten Thurgauer u. a. aus Tägerwilen, Gottlieben, Kurz- frundten in St. Gallen für deren sunder mittliden rickenbach, Egelshofen oder Münsterlingen. Aber und erboten sich zuo der selben diensten und die Konstanzer ließen die Schweizer nicht in die guotter frundtlicher nachburschafft gantz guott- Stadt; sie sollten vor den Toren warten und erst willig.150 Eine namhafte Hilfe gewährte auch die dann gerufen werden, wenn man sie tatsächlich Reichsstadt Lindau, die neben einem Darlehen brauchte.146 Solche Vorbehalte in der Nachbar- von 1000 Gulden eine Woche lang 200 Personen schaftshilfe konnte es auch innerhalb des schwä- samt Wagen, Pferden und Lebensmitteln zur Ver- bischen Teils infolge der Kirchenspaltung geben. fügung stellte.151 1608 schlug der Blitz in den Turm der Pfarrkirche von Lindau: Drei Bregenzer schiffer voller volckhs sind hinüber gefahren zu löschen, hat Die Verbrechensbekämpfung aber khain löschen helffen wöllen. Poena Dei et Lutheranismi (Strafe Gottes für das Luther- Die Teilung in Schweizer und Schwaben, die ter- tum).147 Man leistete zwar Hilfe, aber eigentlich ritoriale Zerplitterung und die konfessionelle geschah den lutherischen Lindauern ganz recht, Zerrissenheit mussten bei aktuellen Gefahren wenn ihr Gotteshaus abbrannte. zurückstehen, etwa bei der Bekämpfung von Insgesamt aber funktionierte die Nachbar- Gewaltverbrechen. Auch in diesem Fall war die schaftshilfe. 1597 rühmt sich die Stadt Überlin- Nachbarschaftshilfe ein Gebot. Mörder und Bren- gen, über Feuerleitern, Brandhaken, leichte ner, die diesseits und jenseits des Bodensees ihre Wagen, Wassereimer, Schaufeln, Gabeln und Untaten verübten, mussten auf beiden Seiten ver- überhaupt alles, was für solche Not gebraucht folgt werden152. So schickte die Stadt Schaffhau- wird, zu verfügen. Die aus der Bürgerschaft sen 1540 das Verhörprotokoll einer aus Schwaben abgeordneten Feuerwehrleute sind keineswegs und Schweizern zusammengesetzten „Brenner“ säumig, sondern auf den leisesten Wink der gesellschaft um Ulrich Kromer von Sumerau an Hauptleute schnellstens bereit, den Nachbarn Lindau.153 Ein anderes Beispiel ist der berüchtigte oder auch anderen Bedrohten zu Hilfe zu eilen, Galli Küng aus Hard, der für zahlreiche Diebstäh- im Notfalle auch von der Wasserseite her auf le, Morde und Brandstiftungen verantwortlich Kähnen.148 war, u.a. in St. Margrethen, Balgach, Bernang, im 1581 fielen 27 Häuser einem Brand in Bregenz Appenzellerland, bei Chur und im Bad Ems, er zum Opfer. Die Lindauer haben in der Nacht im hatte 1549 auch das Benediktinerinnenklöster- Jag- und Botenschiff Feuerleitern, Feuerhacken, lein in Grimmenstein angezündet und wurde Feuerkübel mit stattlicher Menge der Bürger- schließlich 1552 in Bregenz vor Gericht gestellt schaft hinüber zur großen Lucken hinausgelas- und anschließend auf besonders grausame Weise sen. Auch ist ihnen ein große Anzahl unseres und mit dem Rad gestoßen, gevierteilt und ver- ander Landvolk zu helfen zu Fuß hinüber ge- brannt.154 laufen. Umgekehrt sind die Bregenzer 1603 bei 237
Humanitäre Nachbarschaftshilfe fehlung der Stadt Überlingen, mehrere Kanonen in Langenargen gießen.161 Während des Fürsten- Ein Musterbeispiel grenzüberschreitender huma- krieges, als Karl V. 1552 in Stein am Rhein um nitärer Nachbarschaftshilfe wird aus dem Jahre Waffenlieferung angesucht und zwei Händler 1548 berichtet, als Konstanz seine bisherige damit begonnen hatten, in der Eidgenossenschaft Reichsfreiheit verlor und an Österreich über- Harnische für Österreich aufzukaufen begonnen ging155. Spanische Truppen belagerten Konstanz, hatten, intervenierte allerdings Zürich mit einer zerstörten die Rheinbrücke und brannten Peters- ernsten Mahnung, dass sie kein Harnische weder hausen nieder. Der größte Teil der Frauen floh aufkauften noch über den See und Rhein hinaus mit ihren Kindern nach Staad, um von dort nach den Fremden zuschicken und verkaufen, sondern Meersburg überzusetzen; doch verweigerten gänzlich davon abstehen wollen.162 ihnen die Schiffsleute aus Furcht vor den Spa- niern die Überfahrt. Daraufhin wandten sie sich nach Eck und wateten von dort zur Mainau hin- Das Landjudentum über, wo sie der Komtur mit Essen und Trinken versorgte und sie mit Schiffen nach Unteruhldin- Eidgenossen und Schwaben zeigen nach 1499 gen brachte, Von dort wanderte sie zu Fuß nach auch eine einheitliche Linie in ihrer Politik Meersburg. Dort speiste sie der Bischof im klei- gegenüber den Juden. Die bis zum Ende des nen Spital und brachte sie am folgenden Tag in Mittelalters nachweisbare den Bodensee übergrei- den Thurgau.156 fende Organisation der „Judeschait an dem Bod- mensee“ wurde zerschlagen, die Juden aus den Städten verbannt und auf das Land abgedrängt. Marktbesuche Aus den städtischen Geldverleihern wurden dies- seits und jenseits des Sees die Landjuden, die mit Der seit Jahrhunderten bestehenden wirtschaftli- Vieh, mit landwirtschaftlichen Produkten, Texti- che Austausch über den See wurde fortgesetzt, lien, Lederwaren, Metallen usw. Handel betrie- insbesondere in der Form der gegenseitigen ben oder auch als Hausierer einem Wandergewer- Marktbesuche. Auch wo neue Märkte entstan- be nachgingen. In der Schweiz lebten die Juden den, etwa der Garnmarkt in Langenargen, dort nur mehr in den gemeinen Herrschaften (Thur- stellten sich auch Besucher aus der Schweiz gau, Rheintal, Aargau), viele wanderten aber auch ein.157 Es würde hier zu weit führen, auf den ge- in grenznahe Orte ab (Aach, Engen, Tiengen, samten wirtschaftlichen Austausch zwischen den Stockach, Stühlingen, Meersburg). In den Reichs- beiden Bodenseeufern einzugehen. Das Ge- gebieten fanden sie als Schutzjuden kleiner und schäftsbuch des Konstanzer Tuchhändlers Peter kleinster Herren eine zeitlich limitierte Aufnah- Kintzer aus den Jahren 1554 bis 1566 zeigt, dass me, wo sie ständig der Gefahr der Ausweisung dessen Kunden wohl auch in Konstanz, Allens- oder auch der Erpressung erhöhter Abgaben aus- bach, Reichenau und Meersburg saßen, überwie- gesetzt waren. gend aber im Thurgau zu Hause waren (Steck- Die schwäbischen Reichsstädte sowie viele born, Tägerwilen, Bottighofen, Güttingen, andere Landesherren beschafften sich kaiserliche Romanshorn, Happerswil, Sulgen, Wigoltin- Privilegien, mit denen den nicht nur die Nieder- gen).158 Besonders erwähnt sei noch, dass selbst lassung der Juden in den Städten verboten wur- der Austausch von Kriegsmaterial über den den, sondern auch jeglicher Handel mit den Bodensee keinen Beschränkungen unterlag. Der Untertanen. Solche Handelsverbote erließen die genannte Tuchhändler Peter Kintzer betrieb Reichsstädte Konstanz 1541, Überlingen 1547 nebenbei einen schwunghaften Waffenhandel und 1566, Ravensburg 1559, Lindau 1559, Leut- (Spieße, Hellebarden, Hauben, Hakenbüchsen u. kirch 1559, Biberach 1559, das Land Württem- dgl.) mit eidgenössischen Großkunden in Ossin- berg 1541, die Grafen von Lupfen 1545, die Klös- gen, Wil und Bülach.159 1530 wurde eine große ter Weingarten und Ochsenhausen 1556, die Kanone von Lindau nach St. Gallen geliefert160. Reichsritterschaft in Schwaben 1559, die österrei- Und 1573/74 ließ St. Gallen, und zwar auf Emp- chischen Städte Waldshut 1553 und Bregenz 1559 238
sowie 1577 die österreichischen Donaustädte und regelmäßig fahrenden Marktschiffen. Zahl- Waldsee, Mengen, Riedlingen, Saulgau und Mun- reiche Schifffahrtsordnungen regelten den Ver- derkingen. Das für Bregenz erwähnte Handelsver- kehr, u.a. erließ Bregenz 1569 eine Marktschiff- bot setzte sich auch für die ländliche Gerichte ordnung165. In Überlingen waren 1597 13 Ver- Hofsteig 1570 oder Mittelberg 1588 durch. In der kehrsschiffe stationiert, dazu viele andere mehr, Schweiz erließ die Stadt Schaffhausen 1551 und u.a. auch eigene Transportschiffe für Pferde; an 1558 solche Handelsverbote, die auch dort über Lastschiffen fahren zwei, und zwar segeln die die Offnungen in die ländlichen Gerichte übertra- Schiffer bei günstigem Winde wöchentlich mit gen wurden. Dennoch kam es gelegentlich unge- dem einen nach Lindau, mit dem andern nach achtet dieser restriktiven Politik zu neuen Konstanz.166 Niederlassung von Juden in der Schweiz in Oster- Die Schiffe fuhren das ganze Jahr hindurch, fingen vor 1551, in Thal vor 1558, in Rheineck auch im Winter. So fuhren beispielsweise der Lin- 1570, in Schwaben in Tettnang 1551, Langenar- dauer Schiffsmann Ludwig Riesch im Jahre 1603 gen 1551, Wasserburg vor 1555, Stockach 1567 am 14. April, 24. Mai, 6. Juli, 31. August, 15. Ok- (neu begründet), Hörbranz bei Bregenz 1572, tober und 19. November Schaffhausen an, Hans Buchau 1575, Wangen am Untersee vor 1611. Feurstein aus Lindau am 16. Mai, 2. Juli, 20. Sep- Diese Entwicklung setzte sich dann im 17. Jahr- tember, 7. Oktober, 12. November und 31. hundert fort mit den Gründungen der berühmt Dezember.167 gewordenen jüdischen Gemeinde in Hohenems In der Schifffahrt können wir im 16. Jahrhun- 1617 oder den aargauischen Judendörfern dert das Phänomen der Massengesellschaft beob- Lengnau und Endingen vor 1620.163 achten. Die damaligen Häfen stellen sich wie die Auch wenn das Landjudentum zu einer erheb- Großbahnhöfe unserer Zeit dar. 1547 verfehlte lichen Bedrängnis und auch Verarmung der Juden Kaspar Brusch im Gedränge seinen Freund Georg führte, so bleibt auf der anderen Seite doch fest- Joachim Rhetikus: Und genau an dem Tag und zustellen, dass im 16. Jahrhundert die Pogrome, zu derselben Stunde, als ich bei der Rückkehr wie sie im Mittelalter an der Tagesordnung aus der Schweiz mit dem Schiff in Konstanz ein- waren, ausblieben, und dass die Juden zuneh- lief, kam Rhetikus mit dem Schiff aus Lindau in mend den rechtlichen Schutz durch das Reichs- Konstanz an. Aber durch irgendein Missgeschick kammergericht oder durch die Eidgenössische habe ich in dem Gewühl der Seeleute weder ihn Tagsatzung in Anspruch nehmen konnten. Die gesehen noch er mich.168 Juristen des Bischofs von Konstanz haben 1559 Es gehörte zum Alltag, dass auf den zahlreichen die Grundsätze für das Zusammenleben von Schiffen, die den See befuhren, stets Schweizer Juden und Christen formuliert: Sowohl das römi- und Schwaben anwesend waren. Man redete mit sche als auch das kanonische Recht erlaube es einander, man trank mit einander und man Juden und Christen, dass sie mit einander Handel bestand mit einander die Gefahren eines Föhn- treiben. Es sei den Christen nicht gestattet, den sturms. Gerade auch die Schiffsunglücke bildeten Juden irgendein Leid zuzufügen. Die christliche ein verbindendes Element. Gesellschaft habe die Pflicht, die Juden bei ihrem Am 22. Juli 1515 verloren die Eltern des Ulrich eigenen Privatrecht zu belassen. Und die Juden Bader bei einem Schiffsuntergang ihr Leben, als haben einen rechtlichen Anspruch darauf, dass sie von Lindau her nach St. Gallen fuhren.169 Am sie bei ihren religiösen Lehren, bei ihren Schulen, 4. August 1526 wurden die Schiffe, die vom Lin- bei ihren Synagogen und bei ihren Friedhöfen dauer Markt heimkehrten, aus heiterem Himmel bleiben.164 An den notwendigen Einsichten hat es vom Sturm überrascht. Über das St. Galler demnach nicht gefehlt; doch Theorie und Praxis Marktschiff wird berichtet: hatt diß ungestuom klafften häufig weit aus einander. gwitter umb treit und in see versenckt und ver- wirblet, wobei 25 Menschen ertranken170; nach Schifffahrt der Lindauer Chronik waren sogar 30 Menschen- leben zu beklagen.171 Am 7. März 1576 versanken Ein zentrales Element der Einheit bildete die sieben Schiffe in einem heftigen Gewitter.172 Bodenseeschifffahrt, besonders mit ihren großen Wenige Tage später am 17. März 1576, fiel nach 239
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