AUSGABE 79 | Winter 2018/19 - Der Projektrat
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Überblick Editorial: Bewegen ...............................................................................................................................5 bewegen #Besetzen – Viel Bewegung hinter einem Hashtag .............................................................................8 9 Politisches und soziales Bewegen..................................................................................................10 11 – Die engagierte Architektur der 1920er Wanderungsbewegungen in Berlin ................................................................................................12 17 Bewegung in der City West...........................................................................................................18 19 Von Nervenschwäche und Neurourbanistik ....................................................................................20 21 Hier bewegt sich nichts mehr ........................................................................................................22 23 raus aus der kiste Die 7. Leerstandskonferenz in Luckenwalde...................................................................................26 29 – Ein Reisebericht Dong-Xuan-Center........................................................................................................................30 33 – Blühende Wiese in der Betonwüste Lichtenbergs Adobe Systems – Gestalte dir dein Monopol .................................................................................34 35 Blockchain und Smart City – Anwendungsmöglichkeiten ................................................................36 37 der Technologie außerhalb von Kryptowährungen 6. Hochschultag der nationalen Stadtentwicklungspolitik ................................................................38 39 Literaturempfehlungen...................................................................................................................40 41 projektrückschau sose 18 Bachelorprojekte...........................................................................................................................44 47 Masterprojekte..............................................................................................................................48 49 campus Upgrade für das Wohnzimmer.......................................................................................................52 53 – Die Neugestaltung des Café Planwirtschaft Leitlinien und Selbstverständnis der PLAWI .........................................................................................54
Editorial: Bewegen Wir sind ständig in Bewegung. Dass Handlungen aktiv in den Wandel unserer dar. Sie wird vermutlich in Zukunft die ge- Menschen ihre Position oder Haltung ver- Städte und Dörfer ein. Im Artikel „Bewe- samte digitale Struktur des Internets ver- ändern – sich also bewegen – liegt in ihrer gung in der City West“ wird dargestellt, ändern. Und die wiederum wird unseren Natur. Aber was bedeutet es eigentlich, wie Stadtplanung ein Quartier neu ge- Alltag in der realen Welt beeinflussen. Wie sich in Bewegung zu befinden? Warum staltet und so immer wieder von Neuem das genau funktionieren und aussehen setzen wir uns in Bewegung? Wohin oder Bewegung in die Stadtentwicklung bringt. soll, beschreibt der Text „Block Chain und wovon weg bewegen wir uns? Und ha- Smart City“ ab Seite 36. ben wir eine Wahl, wenn es darum geht, Gleichzeitig bewegt und beeinflusst die sich oder etwas zu bewegen oder eben gebaute Umwelt mit all ihren Reizen Und was passiert, wenn die Bewegung im Stillstand zu belassen? auch uns. In der erweiterten Literatur- verebbt? Dann tritt Stillstand an ihre Stel- empfehlung „Von Nervenschwäche und le. Sie, die Nicht-Bewegung, ist als Kont- Die offensichtlichste Bewegung ist die Neurourbanistik“ wird aufgezeigt, wie rast zur Bewegung sogar notwendig, um physische Bewegung im Raum. Ob zu psychisch-emotionale Stimulation durch Fortschritt – oder auch eine mangelhafte Fuß, mit dem Rad, dem Zug oder per Stress im städtischen Alltagsleben zu Entwicklung – überhaupt zu erkennen. Im Flugzeug – der Mensch wird immer mobi- Veränderungen in unserem Gehirn und Kunstprojekt „Autowracks“ ab Seite 22 ler. Das belegen statistische Zahlen welt- unserem Verhalten führen und wie die wird uns bildhaft vor Augen geführt, wie weit. Auch in der Region Berlin-Branden- Urban Health Bewegung zukünftig das der Traum von Mobilität und Bewegungs- burg wechseln die Menschen verstärkt Leben in der Stadt gesünder gestalten freiheit schnell zu Immobilität, Chaos und ihren Wohnort. Wir haben ab Seite 12 ein möchte. (Verkehrs-)Stillstand werden kann. paar der harten Fakten dieser Wanderung in Schaubildern verarbeitet. Es gibt aber auch viele Bewegungen, die Viel Spaß beim Lesen (unserer hoffentlich wir rein optisch gar nicht wahrnehmen, bewegenden Texte) wünscht euch die Aber nicht nur Menschen bewegen sich, denn sie passieren in den Sphären un- Planik-Redaktion! auch unsere gebaute Umwelt bewegen serer Gedanken oder dem World Wide und verändern wir stetig. Insbesondere Web. Eine digitale Mammutbewegung die Planungsprofession greift mit ihren stellt die Entwicklung der Block Chain Thema Laura Doyé Julia Felker Tion Kudlek Kathi Nickel Redaktion Lara Danyel Laura Doyé Julia Felker Tion Kudlek Kathi Nickel gefördert durch: Layout Tion Kudlek Euer Planik Team wünscht © Unsplash: Gordron Williams viel Spaß beim Lesen!
© Unsplash: Dan Gold bewegen
8 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 9 Orten in Berlin stattfanden. Alle besetzten nach der sogenannten „Berliner Linie“ so Plädoyer für Hausbesetzungen #Besetzen Häuser wurden innerhalb weniger Stun- schnell wie möglich geräumt. Das Haus Hausbesetzungen aus den 1970er bis den und mit großer Härte von der Polizei hat Nachbar*innen, Aktivist*innen und von 90er Jahren haben einen großen Anteil an geräumt. Jetzt hat die jüngste Bewegung Wohnungslosigkeit betroffene Menschen dem, was die Berliner Innenstadt heute – Viel Bewegung hinter einem Hashtag von Hausbesetzungen in Berlin neuen Schwung bekommen. Was sie eint, ist gleichermaßen angezogen. Plötzlich gab es hier einen Raum, der für gemeinsame ausmacht: Der Erhalt von Altbauten, die zum Abriss verurteilt waren, wurde durch ein Hashtag: Eine Gruppe von Aktivist*in- Aktivitäten und Austausch genutzt wer- sogenannte „Instandbesetzungen“ er- nen hat mit #besetzen, der über Plakate den konnte. von Laura Doyé kämpft; unkommerzielle Kunst und Kultur und Aufkleber in der Stadt verbreitet wur- sowie alternative Lebensentwürfe haben de, dem Kampf um Wohnraum sowie um Mit der „Berliner Linie“ wäre das nicht ihren Platz in den vielerorts entstandenen Das lukrative Geschäft mit Immobilien lässt Wohnraum zum leeren Spekulationsob- gemeinschaftliche Räume durch Beset- möglich gewesen: Die inoffizielle Richtlinie Hausprojekten gefunden. Also: „Warum jekt verkommen. Gleichzeitig wird die Wohnungsnot immer größer. Eine Antwort da- zungen einen Namen gegeben. im Umgang mit Besetzungen sieht eine heute nicht mehr besetzen?“, fragen die rauf heißt: #besetzen. Die Kampagne hat Hausbesetzungen in Berlin wiederbelebt. Räumung innerhalb von 24 Stunden vor. Aktivist*innen von #besetzen zu Recht. #besetzen soll kein symbolischer Hash- „Obwohl die Räumung erst nach Eingang „Massenhafte Besetzungen könnten gar tag sein. Den Aktivist*innen geht es um eines formalen Ersuchens des Eigentü- nicht mehr geräumt werden“, meint Kim. Besetzungen als Praxis, denn „Besetzen mers durchgesetzt werden darf, gebe es Sie wären ein wichtiger Schritt hin zu ei- kann man einfach tun – und damit die Beispiele, wo die Polizei erst räumt und ner solidarischen Stadt, die nicht durch Orte wieder zum Leben erwecken“, sagt dann den Kontakt mit dem Eigentümer die Logik von Eigentum strukturiert wird, Kim, eine Sprecherin des Netzwerks. Die aufnimmt“, berichtet Kim. Der Berliner In- sondern die von ihren Bewohner*innen Räume, die besetzt werden, sollen statt nensenator Geisel (SPD) befürwortet die- selbst gestaltet werden kann. als Ferienwohnungen oder leerstehen- ses Vorgehen ausdrücklich. Widerspruch de Spekulationsobjekte zu bezahlbarem gibt es von den Grünen und von der re- Ein ausführliches Interview im Freien Ra- Wohnraum gemacht werden. Genaue gierungsbeteiligten Linkspartei. Sie schla- dio Berlin mit Kim von #besetzen ist zu Zahlen zum Leerstand in Berlin gibt es gen einen alternativen Umgang mit Haus- hören unter https://www.mixcloud.com/ nur von den kommunalen Wohnungs- besetzungen vor, der sich seit 30 Jahren Frequenzkonsum/frequenzkonsum-48/. baugesellschaften, allerdings nicht für in der Praxis bewährt hat: das „Zür’cher den gesamten Wohnungsmarkt. Nach Modell“. Schätzungen beläuft sich die Anzahl leer- stehender Wohnungen in Berlin auf eine Für alle zugänglich und auf einem einfa- sechsstellige Zahl, so Kim. Auch ein so- chen Merkblatt beschreibt die Stadt Zü- ziales, nachbarschaftliches Zentrum oder rich ihren Umgang mit Hausbesetzungen: Sporträume für den Kiez sollten durch Neben einem gültigen Räumungsersu- Besetzungen in Kreuzberg, Friedrichshain chen muss ein Nachweis vom Eigentü- und Moabit erkämpft werden. mer erbracht werden, dass das Gebäude unmittelbar nach der Räumung abgeris- Die Besetzungen verstehen sich als Ant- sen, neu genutzt oder Baumaßnahmen wort auf die neoliberale Wohnungspolitik durchgeführt werden. Auch in der Stadt- in Berlin. „Es gibt ganz klar eine Logik der forschung wird das Modell als sinnvoll Entmietung“, sagt Kim, um Wohnungen erachtet, weil es einen angemessenen leer stehen zu lassen und auf höhere Umgang mit Hausbesetzungen möglich Einnahmen durch steigende Mietprei- macht – vor allem vor dem Hintergrund se zu spekulieren. Dabei werden Men- eines massiv steigenden Flächendrucks, schen bereits durch aktuelle Mietpreise der den Neubau in Zürich bereits an sei- aus ihren Kiezen verdrängt oder verlieren ne Grenzen bringt und auch in Berlin die im schlimmsten Fall ihr Zuhause durch aktuelle Entwicklung bestimmt. Die Akti- Hausbesetzung (Foto: Oliver Feldhaus // Umbruch Bildarchiv) Zwangsräumungen, weil sie ihre Miete vist*innen von #besetzen kritisieren das nicht mehr bezahlen können. Dabei „ist Modell als „Schönheitsreparatur am Sys- es kein Naturgesetz, dass wir arschteure tem“: Es biete keine Rechtssicherheit für Bei Immobilienverkäufen wurde der gen: 53 Prozent der Berliner*innen finden gesagten) Google Campus in Kreuzberg Mieten zahlen und über die Hälfte unse- Besetzer*innen und nach der Räumung höchste jemals registrierte Geldumsatz das Besetzen von Leerstand laut einer vernetzt. Gemeinsam mit diesen Akteuren res Einkommens fürs Wohnen ausgeben würden an dieser Stelle keine sozialen auf dem Berliner Immobilienmarkt erzielt, FORSA-Umfrage legitim als Mittel ge- bringt #besetzen Hausbesetzungen wie- müssen“, sagt Kim mit Nachdruck. Projekte entstehen, sondern die Ideen Mietwohnhäuser waren im Durchschnitt gen die Wohnungsnot. Das Image von der auf die stadtpolitische Agenda. Das des Eigentümers durchgesetzt werden. 16% teurer als im Jahr zuvor. Das sind Hausbesetzer*innen wandelt sich auch wird von der Politik gehört. Umdenken im Umgang mit Hausbe- Ganz sicher bringt das Zür’cher Modell wenig überraschende Erkenntnisse aus dadurch, dass die Kampagne #beset- setzungen nicht das Ende der neoliberal organisier- dem Immobilienmarktbericht des Gutach- zen sich bewusst mit anderen stadtpoliti- Hausbesetzungen in Berlin 2018 Die Besetzung in der Großbeerenstraße ten Stadt. Aber es kann kurze Atempau- terausschusses für 2017 und das erste schen Initiativen wie Bizim Kiez, Deutsche Im Mai dieses Jahres gab es den selbst- 17a in Kreuzberg ist der große Erfolg des sen schaffen im Kampf gegen den Verlust Quartal 2018. Der Konkurrenzkampf um Wohnen enteignen, Zwangsräumungen ernannten „Frühling der Besetzungen“, im „Herbstes der Besetzungen“: Die besetz- der Kieze, die wichtig sind für das Zusam- (bezahlbaren) Wohnraum ist enorm. Das verhindern, der Schlafplatz-Orga, sowie Zuge dessen koordinierte Besetzungen ten leerstehenden Wohnungen in dem menleben der Berliner*innen. schafft Sympathien für Hausbesetzun- Kampagnen gegen den (inzwischen ab- von mehreren Häusern an verschiedenen Eckhaus wurden nicht, wie sonst üblich,
10 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 11 Politisches und soziales Bewegen – senschaftlichen Bauunternehmen arbeiten und so ihr Lohnniveau selbst kontrollieren können. Ähnliches galt für den Wohnungs- dass durch mangelnde Wohnqualität Verbrechen und Krankheiten entstünden. Dies führe zu Folgekosten, die die Ge- Trotzdem zeigen beide Projekte klar, dass es eine politische Dimension des Bauens gibt und diese gezielt in der Pla- Die engagierte Architektur der 1920er bau und die Miete. Die Hufeisensiedlung hatte in diesem Sinne eine klare „emanzi- sellschaft trage, während der vorherige Mehrgewinn nur den privaten Investoren nung berücksichtigt werden kann. Meiner Meinung nach sind engagierte Planun- patorische Utopie“ im Sinne Nerdingers. zufiele. gen wichtig, da sie eine Alternative zum von Philip Wucher Status Quo bieten. Welche Aspekte sich Von den Planer*innen des Neuen Frankfurt Durch die Gliederung der langen Zeilen in dann langfristig behaupten ist eine Frage Der erste Weltkrieg hinterließ ein ideologisches Vakuum, dem eine enorme Kraft inne- wurden die Arbeiter*innen hingegen als Teil Einfamilienhäuser blieb der Maßstab der des gesellschaftlichen Diskurses, der je- des Problems betrachtet. May wollte den Räume so bemessen, dass sie für den doch nur geführt werden kann, wenn es wohnte. Verschiedenste Gruppierungen versuchten ihre Vorstellung einer besseren Ge- Arbeiter*innen „über die Bedürfnisse eines Menschen erfahrbar und lesbar blieben. eine Vielzahl an Optionen gibt. In diesem sellschaft zu realisieren. Aus der Frage nach einer angemessenen demokratischen Wohn- nur materiell befriedigenden Vegetierens Dadurch sollte den Siedler*innen wieder Sinne kann vielleicht abschließend gesagt und Lebensform gingen das „Neue Frankfurt“ unter der Leitung von Ernst May und die hinaus kulturelle Werte [erschließen]“ und eine Möglichkeit gegeben werden, sich werden, dass Architektur nicht erziehen „Hufeisensiedlung Britz“ von Bruno Taut als zwei der markantesten Projekte hervor. suchte dafür nach einer Wohnform, die selbst im Raum – aber auch im sozialen kann, aber bilden. das bürgerliche Wohnen nicht nur kopiert. Sinne – verorten zu können. Beide Projekte werden im Buch „L’archi- Verbands sozialer Baubetriebe, dem aus- Bauvorhaben und den städtischen Land- Dies drückte sich beispielsweise darin aus, Dass engagierte Architektur auch ge- tecture engagée – Manifeste zur Verän- führenden Unternehmen. Beide waren besitz, führte das Hoch- und Tiefbauamt dass die entwickelten Grundrisse so kom- Zudem war das Reihenhaus auch für bei- genwärtig noch bedeutsam ist, zeigt das derung der Gesellschaft“ genannt. Der genossenschaftlich organisiert. sowie die Baupolizei und einiges mehr. pakt sind, dass sie sich nur mit den eben- de gebautes Manifest ihrer Utopie: Einer- Beispiel der Villa Verde in Chile. Das Büro Herausgeber Winfried Nerdinger unter- falls durch das Planungsteam entworfenen seits die privaten Räume, auch von außen Elemental unter der Leitung von Alejandro scheidet die „engagierte“ von der „nor- Auch in Frankfurt bedurfte es einiger Vor- Wie auch die Hufeisensiedlung wurde Raumsparmöbeln einrichten lassen. Diese als solche ablesbar, die andererseits in Aravena wurde 2002 beauftragt 100 So- malen“ Architektur durch drei Faktoren: arbeit, um die notwendigen Bedingungen das Neue Frankfurt maßgeblich mit Mit- sind in der Formgebung reduziert und der Reihung eine Bauzeile bilden und sich zialwohnungen in der Stadt Iquique zu Die Planenden müssen eine „ethische für die Bauvorhaben zu schaffen. Hier war teln aus der Hauszinssteuer finanziert, wurden seriell produziert. Es entstanden so ergänzen – Individuum und Kollektiv. errichten. Das Budget war knapp, doch Haltung“ einnehmen, diese muss sich in die entscheidende Person der Oberbür- diese wurde auf Immobilienbesitz erho- günstige und effiziente Wohnungen, die Besonders plakativ gestaltete Taut dieses die späteren Nutzer*innen sprachen sich einer „emanzipatorischen Utopie“ ausdrü- germeister Ludwig Landmann, der die ben und genutzt, um öffentlich geförderte jede Form der individuellen Aneignung, Ideal in der namensgebenden Reihen- deutlich gegen den Bau von Geschoss- cken und die Planer*innen müssen über- Vision einer vollständigen Umgestaltung Bauprojekte zu finanzieren. Martin Wag- zum Beispiel mit repräsentativen Möbeln, hauszeile der Britzer Siedlung, die einen wohnungen aus und drohten sogar mit zeugt sein, mit ihrem Werk Einfluss auf die der Stadt hatte. Die damalige Frankfurter ner hatte entscheidend zur Einführung ausschlossen. Teich umschließt. Jede Familie besitzt ei- einem Hungerstreik. Die Antwort von Ele- Nutzer*innen nehmen zu können. Kernstadt war geprägt durch Mietskaser- der Steuer beigetragen. Begründet wurde nen gleichwertigen, privaten Wohnraum mental waren „halbe Häuser“. nen und enge Hinterhöfe mit wenig Licht. sie dadurch, dass die vorangegangene Dennoch setzten sowohl May als auch und ist zudem Teil des Ganzen, der Teich Das sowohl Bruno Taut, als auch Ernst Die Ursache dafür sah Landmann in der Hyperinflation Hypotheken auf Immobili- Taut neue Maßstäbe. Die Errichtung als als gemeinsames Zentrum kann durch Auf kleinen Parzellen wurden tragende May und ihre jeweiligen Teams fest davon profitorientierten Privatwirtschaft, eine enbesitz de facto annulliert hatte. Großsiedlungen ermöglichte die Moderni- niemanden besetzt werden. Wände, Geschossplatten und Dächer er- ausgingen, dass sie mit ihrem Schaffen Ansicht die Ernst May teilte. Landmann sierung des Bauprozesses. In der Hufei- richtet, die die doppelte Wohnfläche des die Gesellschaft prägen oder sogar um- beschloss deshalb, May nach Frankfurt Der grundlegendste Unterschied der sensiedlung kam erstmals ein Schaufel- Um eine Vernetzung innerhalb des Quar- gesetzlichen Minimums für Sozialwoh- gestalten können, scheinen beide nie zu holen und in seiner Person zahlreiche beiden Projekte liegt vielleicht im Selbst- radbagger zum Einsatz, Lasten wurden tiers zu fördern sollten die Siedlungen mit nungen bereitstellten. Die Architekt*innen bezweifelt zu haben. Deutlich wird dies in städtische Ämter zu vereinen. Dieser er- verständnis der Planer*innen. Taut und mit Kränen verhoben. Die Typisierung Wohnfolgeeinrichtungen ergänzt wer- bauten jedoch nur die Hälfte der Fläche den Publikationen, die beide begleitend hielt die Befugnisse, Gestaltungsordnun- Wagner versuchten, die Arbeiter*innen der Grundrisse und der Einbau normier- den. Dies umfasste Kitas, Schulen und aus und übergaben jedes Haus mit einer zu ihren Bautätigkeiten herausgaben. gen und Bebauungspläne zu erstellen, aus ihren prekären Wohn- und Arbeitsver- ter, vorproduzierter Bauteile verkürzte und Waschhäuser, aber auch Räume um sich Anleitung, wie die Bewohner*innen die kontrollierte die Finanzmittel für öffentliche hältnissen zu leiten. Sie sollten in genos- vergünstigte den Bau. Der Wohnstandard zu bilden, zu treffen und zu organisieren andere Hälfte mit günstigen Baustoffen Sowohl in Frankfurt als auch in Berlin war war ebenfalls sehr hoch, alle Wohnungen und sich dann selbstständig um die in- selbst ausbauen konnten. die grundlegende Dynamik die gleiche. verfügten über Zentralheizung, Küche dividuellen und kollektiven Bedürfnisse Einerseits herrschte eine dramatische und Bad. Aus den ganzheitlichen Planun- kümmern zu können. Beschäftigt man Als im Jahr 2010 ein verheerendes Erd- Wohnungsnot, die ganz praktisch neuen gen des Neuen Frankfurt ging auch die sich mit den beiden Projekten einge- beben die Stadt Constitución, Chile Wohnraum erforderte, andererseits gab Frankfurter Küche, der Vorläufer der mo- hend, werfen sie aus heutiger Sicht vie- heimsuchte und 80 % der Bausubstanz es Akteure, die die Ursache für soziale dernen Einbauküche hervor. le Fragen auf. Bei beiden erscheint die vernichtete, gelang es den Architekt*in- Missstände in der Wohnungsnot sahen. Überzeugung der Planer*innen, inwieweit nen mit dem selben Prinzip günstig und Die gedankliche Vorarbeit für die Huf- Die präferierte Wohnform Tauts und Mays ihr Wirken die Gesellschaft prägen kann schnell Abhilfe zu schaffen. 2016 wurde eisensiedlung leistete Martin Wagner, war das Einfamilienhaus, ausgeführt als als vermessen, insbesondere mit dem Alejandro Aravena der Pritzker Preis ver- damals Stadtbaurat von Schöneberg. Reihenhaus mit eigenem Garten. Taut sah Wissen, dass viele ihrer Ideen mit Be- liehen. In der Begründung der Jury wurde Wagners Ziel war die Emanzipation der in ihm die harmonische Verbindung aus geisterung von der Bauindustrie adaptiert deutlich hervorgehoben, dass Aravena Arbeiterschaft, das Mittel dazu sah er in Stadt und Land, May argumentierte mit wurden. Industrielle Fertigung steht heu- für seine Fähigkeit gekürt wurde, soziale der Genossenschaft. Zusammen mit Taut seinem Prinzip der „sozialen Ökonomie“. te weniger im Kontext der Emanzipation Verantwortung, ökonomische Anforde- wollte Wagner mit der Hufeisensiedlung Deren Kernthese ist, dass bei der Pla- der Arbeiter*innenschaft, als im Ruf der rungen und die Gestaltung menschen- beweisen, dass ein Kollektiv von Arbei- nung nicht nur wirtschaftliche Interessen minderwertigen Billigproduktion. Auch die würdigen Wohnraums zu vereinen. Eine ter*innen es mit den mächtigen Großun- berücksichtigt werden dürfen, sondern herablassende, erzieherische Einstellung Entscheidung, die in einer Zeit, in der gro- ternehmern der Bauwirtschaft aufnehmen das Wohl der späteren Bewohner*innen des Frankfurter Teams gegenüber den ße soziale Probleme nicht durch Einzelne, kann. Wagner war Mitbegründer der Ge- eine klare Untergrenze für Sparmaßnah- unteren Einkommensklassen ist proble- sondern durch Alle verursacht werden meinnützigen Heimstätten AG (GEHAG), Hufeisensiedlung, Blick von der Treppe (2013) men darstellt. Neben rein ethischen As- matisch. und gelöst werden müssen, nur allzu ver- die in Britz als Bauherr auftrat, und des (Foto: Wikimedia; https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Hufeisensiedlung_Blick_von_Treppe_2013.jpg) pekten begründete May dies dadurch, ständlich erscheint.
12 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 13 Wanderungsbewegungen in Berlin von Kathi Nickel Wer plant, muss sich mit den relevanten Fakten auseinandersetzen. Das Amt für Sta- tistik Berlin-Brandenburg liefert dazu eine ganze Fülle an verlässlichen Daten. Die nackten Zahlen - meist gut sorrtert in großen Tabellen - sind oft aufschlussreich, aber nicht immer anschaulich. Einige interessante Zahlen haben für diesen Artikel ein paar Accessoires erhalten.
14 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 15
16 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 17
18 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 19 Bewegung in der City West von Jonathan Nissen Die City West Berlins erfährt derzeit einen deutlichen Gewinn an Aufmerksamkeit. Da- mit ist auch auf unserem Campus - in direkter Nachbarschaft zur City West gelegen - Bewegung entstanden. Es geht um Innenentwicklung, Campus-Erweiterung, An- passung an neue Mobilitätsanforderungen und Aufwertung öffentlicher Räume. Wir Studierenden sind gefragt, uns in diesen Prozess einzubringen und mitzugestalten. Städtebaulicher Entwurf Herzallee Nord, Stand 2017 (Visualisierung: yellowz) Bauabschnitt auf dem TU Campus fertig stückstausch zwischen der BVG und platz so umzugestalten, dass dieser so- geworden, für den zweiten Bauabschnitt einem privaten Investor geplant, sodass wohl den neuen Mobilitätsanforderungen sollen bald die Planungen beginnen. Und die Busbetriebsendhaltestelle der BVG (E-Mobilität, potenzielle Tram-Haltestelle, auf dem Gelände nördlich der Hertzallee, an die Gleise der S-Bahn verlegt und „Mobility Hub“) entspricht, als auch Auf- wo noch vor nicht allzu langer Zeit Pläne dort in einer gestapelten Form neu struk- enthaltsqualitäten aufweist, die einem für ein großes Aussichtsrad bestanden, turiert werden kann. Der private Investor städtischem Platz entsprechen. wird derzeit unter Federführung der Se- plant auf den restlichen Flächen ein ge- natsverwaltung für Stadtentwicklung und mischt genutztes Quartier, wo sowohl Für die Entwicklung dieser Bereiche in Wohnen in Kooperation mit dem Bezirk Wohn- als auch Büro-, Hotel- und weitere direkter Nachbarschaft zur TU Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf eine städ- hochschulaffine Nutzungen entwickel- und der Universität der Künste wurden Luftbild City West tebauliche Neuordnung für die Bereiche ten werden sollen. Ergänzend hierzu soll bereits erste Beteiligungs- und Informa- (Foto: Robert Grahn, euroluftbild.de) nördlich und südlich der Hertzallee, sowie der Uferbereich entlang der Müller-Bres- tionsveranstaltungen durchgeführt, teils dem Hardenbergplatz erarbeitet. Gleich- lau-Straße aufgewertet werden. für die breite Öffentlichkeit, teils als spe- Die City West – unter diesem schillernd der Überformung ohne große öffentli- und die Entwicklung anhand acht thema- zeitig wurde im Sommer 2018 der Auf- zielles Angebot für Studierende wie im klingendem Namen wird gemeinhin der che Diskussion stattfand, bekam die tischer Schwerpunkte orientieren sollten. stellungsbeschluss für den Bebauungs- Im Bereich südlich der Hertzallee beste- September dieses Jahres. Seitens der Zentrums-Bereich rund um den Kurfürs- City West letztlich mit der Entwicklung Ein besonderer Fokus wurde auf die Ver- plan 4-69 gefasst, welcher jenen Bereich hen Planungen der BImA (Bundesanstalt Senatsverwaltung ist der Wille erkennbar, tendamm, die Tauentzienstraße, sowie des Zoo-Fensters (Waldorf-Astoria) und zahnung des Campus Charlottenburg mit umfasst. für Immobilienaufgaben) und der Berlino- uns Studierende als Nutzer*innen in den den Bahnhof Zoologischer Garten und dem Upper-West-Hochhaus wieder jene dem umliegenden Stadtstruktur, sowie vo ihren Standort zu erweitern und eine Planungsprozess einzubinden. Dieses den Breitscheidplatz verstanden. Gleich- Aufmerksamkeit zugesprochen, die ihr die Ausbildung von lokalen Netzwerken Basierend auf dem Ergebnis eines städ- Nachverdichtung und Neuordnung unter Angebot sollte weiterhin aktiv genutzt und wohl es keine klare Abgrenzung für die- zusteht. Mit einem Mal schien das ehe- gelegt. Hier hat das Regionalmanage- tebaulichen Wettbewerbs aus dem Jahr Berücksichtigung der Denkmalschutzbe- weiterführend eingefordert werden, denn ses Gebiet gibt, steht die City West doch mals für blühende Kultur bekannte Gebiet ment maßgebliche Arbeit geleistet und 2011 (derzeit in Überarbeitung befindlich) lange anzustreben. Diese Planungen be- es lohnt sich! stellvertretend für den Haupt-Zentrumbe- wieder den damaligen Glanz zu erfahren. viele Kooperationen und Netzwerke etab- wird im Bereich nördlich der Hertzallee die finden sich jedoch noch am Anfang. reich West-Berlins. Damit wurde der Grundstein für weitere liert. Derzeit befinden sich die Leitlinien in TU Berlin ihren Neubau für die Mathema- Projekte gelegt und die City West wieder einem Prozess der Aktualisierung. tik und dem Interdisziplinären Zentrum für Für den Hardenbergplatz gab es ähnlich Nach dem Fall der Mauer war die City in den Fokus der Stadtentwicklung ge- Modellierung und Simulation (IMoS) mit wie für den Bereich Hertzallee Nord bereits West im Vergleich zum Ost-Berliner Zen- schoben. Doch nicht nur im übergeordneten Sinne voraussichtlichem Baubeginn 2019 er- einen Freiraumwettbewerb, den das Büro trum um den Alexanderplatz verstärkt ins bewegt sich etwas in der City West, auch richten, auch wird zurzeit ein Ersatzbau Topotek1 seinerzeit für sich entscheiden Hintertreffen geraten und ihr wurde keine Die Begleitung und Steuerung dieser Pro- in direkter Nachbarschaft zum Hauptge- für die Physik geplant. Ebenso ist durch konnte. Doch auch hier haben sich in aktive Weiterentwicklung zuteil. zesse erfolgte seitens der Stadtplanung lände der TU Berlin ist seit einiger Zeit die TU Berlin und das Studierendenwerk den vergangenen Jahren die Rahmenbe- durch eine Vielzahl an Maßnahmen. We- Bewegung zu spüren. So ist beispiels- studentisches Wohnen geplant. dingungen und Anforderungen gewandelt Während dennoch über die vergangenen sentlich prägend sind die Leitlinien für die weise erst vor kurzem die Aufwertung und eine Überprüfung der Planung erfolgt zwei, drei Jahrzehnte ein steter Prozess City West, die 2009 beschlossen wurden der verlängerten Hertzallee im ersten Ergänzend hierzu wird ein Grund- derzeit. Es ist das Ziel, den Hardenberg-
20 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 21 Von Nervenschwäche und Neurourbanistik von Julia Felker Das Großstadtleben ist laut, aufregend und schnell. Neurologisch gesehen stellen uns diese urbanen Eigenschaften vor große Herausforderungen. Denn die Flut an Eindrü- cken erzeugt Stress und der macht uns krank. Ein neues urbanes Forschungs- und Handlungsfeld untersucht die Zusammenhänge zwischen dem menschlichen Gehirn und seiner urbanen Umgebung. Bis heute prägen Lärm, Geschwindig- fristigen Gewöhnung, was einen die Be- die ersten „Healthy Cities programmes“. keit und hohe Dichte von Reizen unse- lastung bewältigen ließe. Beide Thesen Diese Städteförderung setzt auf eine in- ren Alltag in der Stadt. Wir denken sel- stellten dasselbe fest: Das Leben in der tersektorale Gesundheitsförderung. Sie ten darüber nach, aber unbewusst löst Stadt hat offenbar Einfluss auf das Gehirn geht davon aus, dass Gesundheit nicht jedes Geräusch, jede Bewegung oder des Stadtbewohners. nur allein durch eine gute Gesundheits- jeder Geruch ein Signal im Körper aus, infrastruktur gewährleistet werden kann, welches auf Relevanz und Weiterverar- Ein Jahrhundert später steht dieser Zu- sondern „als ein wesentlicher Bestand- beitung geprüft wird. Die Flut an Informa- sammenhang im Mittelpunkt eines neuen teil des alltäglichen Lebens [verstanden tionen – der wir vornehmlich in urbaner Forschungsfeldes: der Neurourbanistik. werden müsse…]. Gesundheit steht für Umgebung ausgesetzt sind – erzeugt Sie untersucht die Beziehungen zwi- ein positives Konzept, das die Bedeutung Stress. Und Stress macht uns nachweis- schen der Stadt und der Psyche ihrer Be- sozialer und individueller Ressourcen für lich krank. Bereits in den 1880er Jahren wohner*innen: Wie wirkt sich die Gestal- die Gesundheit ebenso betont wie die sprachen Ärzte von umgreifender „Ner- tung der Stadt auf die Lebensqualität des körperlichen Fähigkeiten. Die Verant- Stress im öffentlichen Raum (Foto: Unsplash; User: Timon Studler, https://unsplash.com/photos/ABGaVhJxwDQk) vosität“, „Nervenschwäche“ und „Neu- Menschen aus? Wo und warum empfin- wortung für Gesundheitsförderung liegt rasthenie“ (heute als Burnout bezeichnet) den Menschen in Städten besonderen deshalb nicht nur bei dem Gesundheits- begünstigt. Als Ort gegenseitiger Berei- plexen Zusammenhänge zwischen dem in den Großstädten als Phantom wirkli- Stress? Welche strukturellen und bauli- sektor, sondern bei allen Politikbereichen cherung wurden Städte zum Ursprung menschlichen Gehirn und seiner urbanen cher Leidenserfahrung durch Lärm und chen Gegebenheiten wirken krankheits- und zielt über die Entwicklung gesünderer gesellschaftlicher, technologischer und Umgebung, ohne dabei belehrend oder Reizüberflutung. Die Betroffenen klag- fördernd? Wie kann Stadtplanung und Lebensweisen hinaus auf die Förderung geistiger Entwicklung. Diese Ambivalenz wissenschaftlich überladen das Lesever- ten über Erschöpfungszustände, Ange- Psychologie die psychische Gesundheit von umfassendem Wohlbefinden“ (Otta- der geistigen Stimulation in der Stadt gnügen zu schmählern. Danach leuchtet spanntheit, chronischer Überanstrengung den Menschen in Städten fördern? wa-Charta zur Gesundheitsförderung der gilt es auszutarieren: soziale Begegnung einem wirklich ein, warum die interdiszi- und Geräuschempfindlichkeit. Durch die WHO, 1986). Damit rückt die Gesundheit fördern und Rückzug ermöglichen, Infra- plinäre Umgestaltung unserer Städte zu Industrialisierung der Städte wurde nicht 2015 gründete die Alfred Herrhausen des Menschen auch wieder in den Fo- strukturen für alternde Menschen schaf- lebensfreundlicheren Lebensräumen in nur die Produktion selbst zur unüber- Gesellschaft mit Neurowissenschaftlern, kus der Stadtentwicklung. Ziel ist es nun fen und sie zeitgleich länger fit halten, Bewegung gesetzt werden muss. hörbaren Lärmquelle, vor allem der Ver- Architekten und Stadtplanern das Inter- nicht mehr nur Krankheit zu vermeiden, Mobilität anbieten, aber Verkehrslärm kehrslärm nahm durch Elektrisierung und disziplinäre Forum Neurourbanistik. Das sondern aktiv die Gesundheit zu fördern. reduzieren, Naturräume schützen, sie Stress and the city. Warum Städte Ausbau rasant zu. Außerdem wurde der Forum hat ein konkretes Forschungs- aber auch vielen Menschen zugänglich uns krank machen. Und warum sie Tagesrhythmus schneller, die Menschen programm entwickelt, welches auf die Warum die Gesundheit von Stadtbe- machen... Wer – wenn nicht die Stadtpla- trotzdem gut für uns sind. schauten ständig auf die Uhr und fühlten menschengerechte Entwicklung und wohner*innen so wichtig ist, liegt auf der nung – wäre prädestiniert für eine solche Von Mazda Adli, erschienen 2017 beim sich gehetzt. Die häufige Stimulierung Gestaltung des öffentlichen Raums in Hand: Die Anzahl der Menschen, die in Zukunftsaufgabe. Und um sie zu bewäl- C.Bertelsmann Verlag. der Nerven galt bald als akute Gesund- unseren Städten abzielt. Einer der Mit- städtischen Regionen leben, steigt rapi- tigen, heiratet die Urbanistik die Neuro- heitsgefahr. Auch Georg Simmel spricht begründer des Forums ist der Psychiater de. Heute leben bereits über die Hälfte wissenschaft. Lasst uns hoffen, dass das in „Die Großstädte und das Geistesleben“ und Stressforscher Mazda Adli. 2017 der Weltbevölkerung in der Stadt. Wenn geborene Kind Neurourbanistik den enor- (1903) davon, dass der Großstädter ei- trug Adli mit seinem Sachbuch „Stress diese große Anzahl an Menschen Krank- men Erwartungen gerecht werden kann. ner „Steigerung des Nervenlebens, die and the city“ maßgeblich dazu bei, die heiten entwickelt, können die Gesund- aus dem raschen und ununterbrochenen Stressbelastung in Städten zu einem heitsfolgen der Urbanisierung langfristig Und wer jetzt mehr als diesen kurzen An- Wechsel äußerer und innerer Eindrücke gesellschaftsrelevanten Thema zu ma- genauso dramatisch sein wie die Folgen riss über diese Thematik lesen möchte, hervorgeht“, ausgesetzt ist. Nun gab es chen. Dabei ist nicht nur Lärm ein Aus- des Klimawandels. Außerdem gilt es die dem empfehle ich das bereits oben ge- zwei Thesen, wie das Individuum auf die löser für Stress: Angst, Hektik, soziale Stadt als Wiege der zivilisatorischen Ent- nannte Buch „Stress and the city“. Dort anhaltende Reizüberflutung reagierte: Der Exklusion oder das Fehlen von Grün und wicklung zu sichern. Denn die Vielfalt an wird die volle Bandbreite der Neurour- Großstädter würde sensibel und erkrank- Naturelementen beispielsweise können Stimulierung jeglicher Art ist eigentlich banistik anschaulich, kurzweilig und un- te. Oder aber die Lärmbelastung führte psychisch krank machen. Bereits 1986 das, was den Menschen am Leben in terhaltsam von Mazda Adli beschrieben. zu einem Abstumpfen in Form einer lang- startete die Weltgesundheitsorganisation der Großstadt reizt und seine Entwicklung Er erklärt in einfachen Worten die kom-
22 planik 79 : winter 2018/19 : bewegen bewegen : winter 2018/19 : planik 79 23 Hier bewegt sich nichts mehr von Melana Jäckels & Tabea Enderle (Text und Fotos) Während andernorts liegengebliebene Leihfahrräder den Weg versperren, vermüllen in Bukarest herrenlose Autos den ohnehin schon chaotischen und heillos überforder- ten Straßenraum. Glaubt man Gerüchten, kommen in Bukarest auf 2 Millionen Ein- wohner*innen 3 Millionen Autos. Bucuresti _Hauptstadt Rumäniens _1,8 Mio. Einwohner*innen (2017) _acht größte Stadt in der EU _8.011 Einw./km2 (doppelt so viele wie in Berlin)
raus aus der kiste
26 planik 79 : winter 2018/19 : raus aus der kiste raus aus der kiste : winter 2018/19 : planik 79 27 Die 7. Leerstandskonferenz in Luckenwalde – Ein Reisebericht von Lara Felicia Danyel Die bereits zum siebten Mal ausgetragene Leerstandskonferenz, organisiert vom deutsch-österreichischen Planungsbüro ‘nonconform’, fand diesen Oktober mit dem Themenschwerpunkt ‘Strategien gegen Leerstand von Produktionsstätten’ in Lu- ckenwalde statt. Es ist Mittwochabend - ich steige aus genauso orientierungslose Person, einen Müllner ist Interventionskünstler und für dem RE3, der mich innerhalb einer drei- jungen Mann mit Vollbart und Woll-Ja- die Konferenz tatsächlich aus Mallorca viertel Stunde vom Potsdamer Platz zum ckett, anspreche. Ich bemerke seinen angereist. Bahnhof Luckenwalde gebracht hat. Um starken Akzent und frage, woher er denn gerade mal 19 Uhr ist die Sonne ist bereits angereist sei. Mit einem schiefen Lächeln So machen wir uns gemeinsam auf den untergegangen und die Pendler*innen antwortet er: ‘Aus dem südlichsten Bun- Weg zur neuen Bahnhofsbibliothek, wel- strömen aus dem vollen Zug in Richtung desland Deutschlands, Mallorca’. Was che - wie der Name schon verrät - in die Bahnhofshalle. Um Orientierung bemüht ich zu diesem Zeitpunkt für einen netten ehemalige Bahnhofsvorhalle hineingebaut Die ehemalige Hutfabrik in Luckenwalde lasse ich mich von den aussteigenden Scherz halte, wird sich später als völlig wurde und als teures, aber durchaus gut (Foto: Lara Felicia Danyel) Menschen mitziehen, bis ich endlich eine wahrheitsgemäß herausstellen. Leonhard gelungenes Millionenprojekt das neue, alte Zentrum Luckenwaldes markiert. onsorten und deren Arbeiter*innen be- ware’, also den Produktionsstätten und angedeutet. Außer den Konferenzteilneh- Der Eröffnungsabend hat bereits begon- schäftigen. Die vier bis fünf portraitierten Arbeitsorten geworden ist, rückt die ‘Soft- menden ist der Platz leer, einige Busse nen: Elisabeth Herzog-von der Heide, die ehemaligen Produktionsstätten sind ei- ware’, d.h. die Tradition und Technik der warten auf ihre letzte Fahrt; das ein oder Bürgermeisterin Luckenwaldes, begrüßt nige wenige Positivbeispiele, welche die Produktion, der Wissensschatz der Ar- andere Auto scheppert auf dem Kopf- die Teilnehmenden der Konferenz, sowie Wende überlebt haben. Die interviewten beiter*innen und ihre Geschichten, ins steinpflaster an mir vorbei. interessierte Anwohner*innen, welche Arbeiter*innen sind stolz darauf, dass sie Zentrum der Diskussion. Das Podium ebenfalls zum Eröffnungsabend eingela- die ökonomischen und damit verbunde- bemerkt: Es geht nicht um das Gebäude Zusammen mit einem guten Dutzend den wurden. Woijciech Czaja, Journalist nen sozialen Brüche nach 1989 überwin- und den baulichen Bestand, es geht um Studierender aus Köln, Kassel und Wien und Autor, moderiert den Abend. Ein Film den konnten. den sozialen Bestand. mache ich mich auf den Weg zu unserem mit dem Titel ‘Orte der Arbeit - Der lange Aufenthaltsort: Entsprechend dem The- Weg zum Neuanfang’ wird gezeigt. An- ‚Das Schicksal dieser Räume ist, dass sie Doch wie können Rahmenbedingungen ma der Konferenz handelt es sich dabei schließend diskutiert ein Podium, unter sich verändern müssen.‘ geschaffen werden, damit möglichst viele um eine leerstehende Gewerbeeinheit anderem mit Frau Prof. Dolff-Bonekäm- Menschen (wieder) einen Bezug zu die- eines Wohnhauses aus den 1930er Jah- per. Die Gesichter der Arbeiter*innen, die teils sen Räumen entwickeln können? ren. Wie sich später herausstellt, ist die zum ersten Mal zurück in ihre ehemali- Eigentümerin Architektin und enthusiasti- Ich sehe mich um: Im Eingangsbereich, gen Arbeitsorte kehren, sprechen Bände: Fragen der kulturellen und ästhetischen sche Teilnehmende der Konferenz - am der nun zum Veranstaltungssaal umge- Neugier, Enttäuschung, Erinnerung - ge- Aneignung treffen dabei auf die gegebe- nächsten Morgen versorgt sie uns sogar staltet ist, erinnert wenig an eine Bahn- mischte Gefühle entstehen bei den Be- nen Rahmenbedingungen: Wer ist heute mit frischen Brötchen. hofsvorhalle. Lediglich die Wände, an gehungen der verfallenen Industriehallen. Eigentümer*in? Wie steht es um Altlas- denen früher die Ticketautomaten an- Sie zeigen, welche emotionale Bindung ten und die infrastrukturelle Anbindung? Der erste Konferenztag findet in der Tur- gebracht waren, deuten auf deren ehe- zu den Betrieben bis heute besteht. Wie gehen wir mit Gemengelagen um? binenhalle des ehemaligen Elektrizitäts- malige Nutzung hin. Das Publikum ist Können Grundstücksgrundrisse an neue werks statt. Pablo Wendel, der Eigentü- überraschend jung. Studierende, Anwoh- Auch in Luckenwalde herrscht Leerstand: Nutzungen überhaupt noch angepasst mer des Veranstaltungsortes, ist Gründer ner*innen und Teilnehmer*innen in Anzug Die ehemalige Hutfabrik, entworfen von werden? Und wer trägt die Finanzierung? von Performance Electronics. Wie er uns oder legerer Kleidung hören aufmerksam Erich Mendelsohn, ist nur ein architek- anschaulich erklärt, versucht er mit Kunst zu, während der Filmproduzent Olaf Ja- tonisch herausragendes Beispiel für die Mit einem Getränk in der Hand verlas- Strom zu produzieren. cobs den eben gezeigten Film kritisch Industriegeschichte der Produktionsstadt se ich die Bibliothek und trete auf den einordnet. Luckenwalde, die sich nach der Wende Bahnhofsvorplatz. Es ist angenehm kühl, Unter dem Themenimpuls ‘Zukunft auf ebenfalls mit wirtschaftlichen und sozialen einige Laternen beleuchten den gepflas- dem Land’ sprechen die Vortragenden Bei dem Dokumentarfilm handelt es sich Umbrüchen konfrontiert sah. terten Platz. Ich schaue mich um: Die über Leerstand und Denkmalschutz, die um eine Aneinanderreihung einzelner Plattenbauten, die mir gegenüberstehen, Krux der Zwischennutzungen und Zu- Blick in die Turbinenhalle des ehemaligen Elektrizitätswerks Kurzfilme, die sich mit heute leerste- Bereits der erste Abend macht deutlich: sind grell bemalt; auf dem orangefarbe- kunftsorte für ein neues Landleben. (Foto: Lara Felicia Danyel) henden oder nachgenutzten Produkti- Neben der Frage, was aus der ‘Hard- nen Grund sind mir unbekannte Gebäude
28 planik 79 : winter 2018/19 : raus aus der kiste raus aus der kiste : winter 2018/19 : planik 79 29 Was ist Stadt und was ist Land? wenn jede*r Einwohner*in aus Lucken- walde einen Schlüssel zu dem selben Die Mittagspause ist im ehemaligen leerstehenden Gebäude erhalten würde, Stadtbad angesetzt. Auch dieser Ort und wir sie einfach machen ließen? steht leer. Das Stadtbad hat einen morbi- den Charme: Abgeblätterte Pastellfarben Nach einer großen Runde Pecha-Ku- an den Wänden, handgeschriebene Hin- cha-Vorträgen endet die Konferenz mit weisschilder, alte, teils kaputte Fliesen auf einem gemeinsamen Suppenessen im dem Boden und im leeren Schwimmbe- Stadtbad; uns wird aufgetragen, mit den cken. Der Raum ist lichtdurchflutet - im Buchstaben der Buchstabensuppe eine Becken wurden lange, gedeckte Tafeln Botschaft zu formulieren, mit der wir aus aufgestellt und in den Nischen des Ein- der Konferenz gehen. gangsbereichs stehen kleinere Caféti- Ich habe Hunger, und fasse mich kurz: sche. An den Tischen unterhalten sich ‘Nur Mut’. die Teilnehmenden angeregt, es gibt Schweinebraten mit Rotkohl und Kartof- Ein vorerst letztes Mal laufe ich durch Lu- feln, serviert vom lokalen Cateringservice. ckenwalde, schaue mich um und stelle Ziemlich fasziniert begebe ich mich in fest: So einfach ist es, einen Bezug zu die zweite Etage und genieße den Blick einem Ort zu entwickeln. Nur eine Drei- von oben auf die Mittagsrunde, spaziere viertelstunde von Berlin entfernt, sind die durch die Gänge und lasse den Ort auf Probleme ganz andere. Meine Fingerspit- mich wirken. zen kribbeln. Ich habe Lust bekommen, die lokalen Konflikte kennen zu lernen, zu Im Vorbeigehen schnappe ich Ge- verstehen und mitzugestalten. In diesem sprächsfetzen auf - anscheinend geht es Sinne, danke an das nonconform-Team Betreten verboten! - Situationsaufnahme aus der Konferenz nicht nur mir so, dass laufend Ideen ent- für diese interessante Konferenz! (Foto: Lara Felicia Danyel) stehen, diskutiert oder wieder verworfen werden. Die Workshoprunde beginnt. Eine ganze Bandbreite an Themen wird dabei abge- deckt: Rauminterventionen unter dem Ti- Einer der Mittagstische im ehemaligen Stadtbad tel ‘Stattbad’ im Stadtbad, Diskussionen (Foto: Lara Felicia Danyel) zu den Voraussetzungen für einen Lehr- und Lernraum StadtLand in Luckenwal- de, Immovielien - Immobilien von Vielen Luckenwalde und mündet im Abendes- bisher vermieden hatte - Fehler einzuge- für Viele! und weitere Workshops werden sen im Stadttheater. stehen und sich bei den Betroffenen zu in kleinen Gruppen durchgeführt. entschuldigen. Mit etwas Verspätung beginnt der letz- Ich entscheide mich für den Workshop zu te Konferenztag. Ich trinke zwei Tassen Nach seinem Vortrag frage ich Leonhard ‘Lehr- und Lernraum StadtLand’. Nach- Kaffee und sehe, dass sich Leonhard Müllner, was er mir als Studierende der dem der Workshopleiter Mario Tvrtkovic Müllner für seinen Vortrag bereit macht. Stadtplanung mit auf meinen Weg ge- den Workshopablauf erklärt hat, meldet Er spricht über die Kunstgeschichte des ben könne. Mit einem verschmitzten Ge- sich sofort ein Teilnehmer und fragt, was schlechten Gewissens und stellt einige sichtsausdruck lehnt er sich auf seinem denn StadtLand eigentlich sei. Die ande- seiner Projekte vor, unter anderem ‘Hypo- Stuhl nach vorne und sagt: „Wenn ihr ren Teilnehmenden fangen sofort an zu logy’, eine “nächtlichen Performance”1 in später als Architekt*innen in der Altstadt diskutieren. Wie können wir die zwei Be- Zagreb. Dabei wurden mit einem Außen- Wohnungen zu Luxusapartments um- grifflichkeiten Stadt und Land voneinan- raumbeamer textliche Entschuldigungen wandelt, dann zünde ich eure Autos an!“ der abgrenzen? Was ist ländlich, was ist in drei Sprachen an die Fassade des dor- Ich muss lachen. Er wird jetzt ernster: „Die städtisch? Einige Anwohnende merken tigen Hypobankkomplexes geworfen; ei- einfachste Art und Weise, Gentrifizierung fragend an: Ist der ländliche Raum heute nem Unternehmen, welches dem Künst- zu betreiben, ist, als Stadt die Bestände nicht auch städtisch geprägt? ler zufolge “[ü]ber Immobilienprojekte (...) des sozialen Wohnungsbaus zu verkau- enorme Mengen in Österreich und Kro- fen.“ Nach einer Stunde angeregter Diskus- atien an Schwarzgeld [wusch]. Als Folge sionen nähern wir uns dem letzten Pro- dessen erlitt das Bundesland Kärnten na- Torsten Klafft, der als Teil des noncon- grammschwerpunkt des Abends: Die hezu Bankrott.” (ebd.) Mit seinem Projekt form-Teams die Leerstandskonferenz letzte Vortragsrunde endet mit einem wolle er endlich den Schritt gehen, den mitorganisiert hat, stellt die folgende Fra- Mittagessen im ehemaligen Stadtbad Stadtspaziergang durch das nächtliche die “Hochrisikokapitalgesellschaft” (ebd.) ge in die Raum: Was würde passieren, (Foto: Lara Felicia Danyel)
30 planik 79 : winter 2018/19 : raus aus der kiste raus aus der kiste : winter 2018/19 : planik 79 31 nentum in der Eröffnung erster Ladenge- Dong-Xuan-Center – Blühende Wiese Die Genese einer vietnamesischem Hintergrund in dem Be- migrantischen Ökonomie schäfte und führte schließlich auch zu der zirk, im angrenzenden Marzahn-Hellers- Die Geschichte des Marktes ist eng mit Betätigung einiger Vietnames*innen im dorf weitere 4.400. Ihre Anzahl ist derzeit in der Betonwüste Lichtenbergs der Historie der vietnamesischen Ver- tragsarbeiter*innen in der DDR verbun- den. Ende der Achtziger arbeiteten rund Großhandel. Der Besitzer der Dong-Xu- an GmbH Nguyen van Hien erkannte das daraus resultierende Potential und im Steigen begriffen und wuchs in den letzten Jahren um jeweils rund 5 Prozent. 60.000 Vietnames*innen in den volksei- erwarb 2003 die Flächen, auf denen der Der Stadtraum und seine von Paul Strobel genen Betrieben (VEB) der DDR. Diese Markt im Jahr 2005 seine Türen öffnete. Funktionen Das Dong-Xuan-Center stellt ein überre- Das Dong-Xuan-Center – eine Agglomeration migrantischer Unternehmen in Lichten- gionales Zentrum für diese Community berg – ist augenscheinlich ein besonderer Ort. Stellen ihn verschiedene Medien als dar und erfüllt neben seiner wirtschaftli- chen Rolle zusätzlich soziale und kultu- exotischen Markt dar, der einen Kontrast zur restlichen Stadt darstellt und ein „au- relle Funktionen. Als Paradebeispiel der thentisches Vietnamerlebnis“ verspricht, will folgender Artikel die Konfiguration des Raumaneignung verdeutlicht es die prä- Stadtraums, seine Entstehungsgeschichte und Funktionen näher beleuchten. gende Rolle migrantischer Akteur*innen in der Konstitution von Stadträumen. Doch wie gestaltet sich dieser Stadtraum, wel- Ostberlin, Lichtenberg – hier erstreckt che Funktionen erfüllt er und wie positio- sich auf rund einem 129 ha großen Areal nieren sich lokale Autoritäten gegenüber östlich von Fennpfuhl das Gewerbegebiet den Praktiken der migrantischen Unter- Hertzbergstraße: Schrotthändler*innen nehmer*innen? reihen sich an KFZ Dienstleistungsun- ternehmen und Logistikfirmen, daneben Wirtschaftliche Funktion findet sich der Zentralafrikanische Ver- Als Großhandelszentrum bildet das sandhandel. Auf vielen Grundstücken ist Dong-Xuan-Center einen wirtschaftlichen die Nutzung nicht von außen abzulesen, Hub, der zur Versorgung vietnamesischer einige Hallen scheinen leer zu stehen. Einzelhändler*innen und Dienstleister*in- Produzierendes Gewerbe gibt es hier nen beiträgt. Diese können hier spezifi- bis auf die Pantrac Gmbh nur noch ver- Wirtschaftliche Prosperität: Kürzlich eröffnete mit Halle 18 die bis heute letzten Geschäftsräume (Foto Paul Strobel) sche Waren beziehen. Ein gutes Beispiel einzelt. Mittlerweile finden sich hier auch stellt die Ökonomie der Berliner Nagelstu- kulturell genutzte Gebäude, die mit der sahen sich nach der Wende mit einer Die Wahl der Lokalität ergibt sich aus der dios dar, die häufig von Vietnames*innen im Flächennutzungsplan festgeschriebe- neuen Situation konfrontiert: Die meisten residentiellen Konzentration der vietna- betrieben werden. Sie beziehen auf dem nen Nutzung im Konflikt stehen. Mitten in der VEB schlossen ihre Türen und die mesischen Community in Lichtenberg, Markt die nötige Ausstattung: spezielle dieser Konstellation liegt das Dong-Xu- ehemaligen Fabrikarbeiter*innen waren bereits zu DDR Zeiten waren hier große Stühle und Tische, sowie weiteren Bedarf an-Center (vietnamesisch für „blühende dementsprechend arbeitslos. Obwohl die Teile der Vertragsarbeiter*innen in einem häufig bei Großhandelsbetrieben, die die- Wiese oder Frühlingswiese“) – ein viet- BRD den Migrant*innen eine Summe von Wohnheim untergebracht. Heute leben se günstig in China erwerben. Ähnliches namesischer Großhandel betrieben von Der Bogen markiert den Eingang zu „Vietnamtown“ 3.000 D-Mark im Falle einer freiwilligen rund 8.200 der 26.900 Berliner*innen mit gilt für vietnamesische Imbissbetreiben- der Dong-Xuan GmbH. Auf einem 16 (Foto Paul Strobel) Ausreise anbot, entschieden sich viele ha großen Areal werden hier Ladenge- der Vietnames*innen zu bleiben. Bis ihr schäfte in sechs rund 180 mal 40 Me- Obwohl die Planungen des Landes Ber- das Publikum auch aus Besucher*innen rechtlicher Status in auf einen Beschluss ter großen Hallen an Geschäftstreibende lins klare Vorgaben zur Nutzung des Ge- anderer Nationalitäten zusammen. Ein- der Innenministerkonferenz im Jahr 1994 vermietet. Diese bieten in ihren Geschäf- bietes festlegen – in einem Gewerbege- zelhändler*innen aus Tschechien, Polen mit der Erteilung einer dauerhaften Auf- ten hauptsächlich Textilwaren aber auch biet sind lediglich Großhandelsbetriebe, oder Dänemark; Anwohner*innen und enthalts- und Arbeitserlaubnis konso- Geschenk- und Haushaltsartikel, sowie aber keine Einzelhandelsagglomerationen Tourist*innen halten sich auf dem Ge- lidiert wurde, befanden sie sich in einer Elektronikwaren an. Ergänzt wird das zugelassen – können auf dem Areal dar- lände des Berliner Großhandels auf. Die prekären Situation. Aufgrund schlechter Angebot durch Lebensmittelgeschäfte. über hinaus vielfältige andere Nutzungen Beobachtungen zeigen, wie Händler*in- Deutschkenntnisse und häufig nicht vor- Darüber hinaus haben sich in den Hal- beobachtet werden. Während sich das nen und Besucher*innen einen Raum handener Bildungsabschlüsse standen len unternehmensorientierte Dienstleister Dong-Xuan-Center unter der Woche als konstituieren, der mehr als ein Ort des ihre Chancen auf dem ersten Arbeits- (bspw. vietnamesisch sprachige Steuer- wenig bespielter Ort zeigt – in der Regel Handels ist. Das Dong-Xuan-Center fun- markt denkbar schlecht. Viele betätigten beratung, Rechtsberatung) und kunden- sind nur die Händler*innen und einige giert als Ort der sozialen Interaktionen, sich als Textilhändler*innen, griffen auf orientierte Serviceanbieter (Friseursalons, Kund*innen anzutreffen – wandelt sich als Ausflugs- und Erlebnisort, den Besu- Netzwerke der eigenen Community in Eu- Restaurants, Nagelstudios, Reisebüros, das Bild an beiden Tagen des Wochen- cher*innen in ihrer Freizeit aufsuchen, und ropa zurück und importierten Waren aus sowie Sprach- und Fahrschulen) ange- endes: Auf dem Gelände herrscht ein scheint insbesondere für die vietnamesi- Polen und Tschechien, die sie auf Wo- siedelt. Rund zwei Drittel der 300 Händ- geschäftiges Treiben, die Terrassen der sche Community wichtige Funktionen chenmärkten in Ostdeutschland verkauf- ler*innen haben einen vietnamesischen gastronomischen Betriebe sind überwie- einzunehmen. ten. Das Geschäft lief aufgrund der hohen Hintergrund. Insgesamt arbeiten hier gend voll besetzt und die Hallen gut ge- Nachfrage nach Konsumgütern der ehe- nach Angaben des Betreibers rund 1.000 füllt. Ein Großteil der Anwesenden ist vi- maligen DDR- Bürger*innen überwiegend Menschen. etnamesischer Herkunft, doch setzt sich Gürtelabteilung gut. So mündete das mobile Händler*in- (Foto Paul Strobel)
Sie können auch lesen