Viva! Das Magazin - Viva Luzern

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Viva! Das Magazin - Viva Luzern
viva!
                                                               November 2019

                           Das Magazin
                           für Lebensfreude.
                           Herausgegeben von der
                           Viva Luzern AG.

                                       Dossier
                                       Wertvolle Entlastung für Angehörige.

                                       Entdecken
Hochaltrigkeit.                        Generativität – was bleibt von uns?

                                       Frag viva!
     Die vierte Lebensphase.
                                       Palliative Care – was bedeutet das?
Viva! Das Magazin - Viva Luzern
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viva!
                                                                           Liebe Luzernerinnen
                                                                           und Luzerner

Beat Däppeler, Verwaltungsratspräsident Viva Luzern AG,
und Beat Demarmels, Geschäftsführer Viva Luzern AG.

                      Wenn Sie im Internet nach dem etwas                  Eine zentrale Herausforderung der
                      nüchternen Begriff der «Hochaltrigkeit»              ­Arbeit mit sehr alten Menschen besteht
                      suchen, wird Ihnen zum Beispiel Wiki­                 darin, dass jüngere Personen verständ­
                      pedia mitteilen, dass damit – pragma­                 nisvoll und kompetent mit Menschen
                      tisch gesehen – Menschen gemeint sind,                umgehen, die einen komplett anderen
                                       die älter als 80 Jahre               soziokulturellen Erlebnishintergrund
                                       alt sind. Für uns alle bei           aufweisen. Auch können Generationen­
                                       Viva Luzern, die wir Tag             differenzen im hohen Lebensalter oft
                                       für Tag fast ausschliess­            nicht mehr von den älteren Menschen
 «Altwerden ist wie auf einen          lich mit hochaltrigen                selbst aktiv bewältigt werden, sondern
  Berg steigen. Je höher man           Menschen zu tun haben,               zentral ist eine Anpassung der jüngeren
  kommt, desto mehr Kräfte             hat dieser Begriff aber              Generation – etwa des Pflegepersonals –
                                       natürlich weit mehr                  an die Lebensgeschichte und Wert­
 sind verbraucht, aber umso            ­Facetten als diese ratio­           haltungen der Vertreterinnen alter Ge­
      weiter sieht man.»                nale Altersgrenze.                  nerationen.
             Ingmar Bergman
                                                An unserer Redakti­        Ohne die Realität vieler kleinerer und
                                                onssitzung für die vor­    grösserer Schicksalsschläge und Ge­
                                                liegende Ausgabe des       brechen ausser Acht zu lassen, welche
                                                neusten viva!-Magazins     die Hochaltrigkeit zwangsläufig mit sich
                              war somit schnell klar, dass wir Ihnen,      bringen, soll die grundlegende Botschaft
                              liebe Leserinnen und Leser, gerne einen      sein: Auch im «vierten Lebensalter» ist
                              vertieften Einblick in diese immer aktu­     das Leben lebenswert. Wir wünschen
                              eller werdende Thematik der Hochaltrig­      ­Ihnen eine bereichernde Lektüre.
                              keit geben möchten. Denn Fakt ist: Im­
                              mer mehr Menschen werden heutzutage          Herzlich,
                              weit über 80 Jahre alt. Dieser Umstand
                              ist Herausforderung und Chance zugleich
                              – für die Gesellschaft, aber auch für jede
                              und jeden Einzelnen.                         Beat Däppeler          Beat Demarmels

                                                                                                                      3
Viva! Das Magazin - Viva Luzern
Marie Fürst, geboren 1918.
Bewohnende im Viva Luzern Eichhof
Viva! Das Magazin - Viva Luzern
INHALT

                                                                              Hochaltrigkeit
                                                                              Einen Menschen zu Hause zu pflegen,
                                                                              stellt meist hohe körperliche und seelische
                                                                              An­forderungen an die Angehörigen.
                                                                              Um diese zu entlasten, bietet Viva Luzern
                                                                              flexible Entlastungsangebote für pflege­
                                                                              bedürftige Menschen und ihre Angehörigen
                                                                              an. Dies der Fokus in unserem Dossier.

Wissen9                                            Technik18                                               Entdecken21
Essen – viel mehr als nur                           Smart Aging – mehr Selbst­                               Generativität –
Nahrungsaufnahme.                                   bestimmung im hohen Alter.                               was bleibt von uns?

Wohlfühlen24                                       Frag viva!                                  33         Standpunkt40
Mode und Schönheit –                                Palliative Care –                                       Mein eigenes hohes Alter –
in allen Facetten.                                  was bedeutet das eigentlich?                            ein paar Gedanken zur Zukunft.

Impressum
Herausgeberin       Kontakt                   Redaktionelle Mitarbeit       Artdirektion und Grafik    Korrektorat        viva! abonnieren
Viva Luzern AG      redaktion@vivaluzern.ch   Beat Däppeler, Beat           vonwartburg.ch             korrigiert.ch      Telefon 041 612 70 00
Schützenstrasse 4   Telefon 041 612 70 00     ­Demarmels, Gabriela                                                        kommunikation@vivaluzern.ch
                                                                            Fotos                      Auflage
6003 Luzern                                    Murer, ­Reto von Wartburg,                                                 www.vivaluzern.ch
                    Anzeigen                                                iStock, Thomas Lien­       6300 Exemplare
                                               Jeannine Hegelbach, Sonia
Redaktion           Ramona Helfenberger                                     hard © tl/hslu, R. v. W.
                                               Baumann, Marlies Keck,
Ramona                                                                                                 Erscheinung
                                               Luigi Riberzani, Thomas      Druck
Helfenberger                                                                                           Zweimal jährlich
                                               Wirth, Daniel Schriber       Brunner Medien AG

                                                                                                                                                             5
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     «Meinen Elektro-Rollstuhl
     nenne ich Porsche.»
      Irena Pechous (87) und Ernst Fellmann (96) nutzen das Angebot «Wohnen
      mit Dienstleistungen» von Viva Luzern. Wir haben die beiden Bekannten
      in ihrem Wohnhaus im Maihofquartier besucht und mit ihnen über das Leben,
      den Tod sowie ihre Freuden und Sorgen gesprochen.

                       Was bedeutet es, alt zu sein?                 Wie zum Beispiel?
                       Ernst Fellmann: Das Alter zeigt sich auf      Irena Pechous: Ich liebe es, an schönen
                       ganz unterschiedliche Weise. Mein Kopf        Tagen an den Rotsee zu gehen! Vor eini­
                       funktioniert zum Glück noch gut, mit dem      ger Zeit habe ich mir einen elektrischen
                       Körper verhält es sich leider anders. Irena   Rollstuhl angeschafft. Ich nenne das Ding
                       Pechous: Zum Alter gehört für mich, dass      nur noch Porsche. (lacht) Bei gutem
                       man immer Abschied nehmen muss. Je            Wetter fahre ich damit fast täglich an
                       älter man selber wird, desto mehr Men­        den Rotsee.
                       schen um einen herum sterben. Natürlich
                       spürt man auch selber, dass man alt ist.      Wie aktiv sind Sie noch unterwegs,
                       Der Körper tut nicht mehr, was der Kopf       Herr Fellmann?
                       möchte. Meine Lebensfreude habe ich           Ich kann nur noch kürzere Strecken zu
                       trotzdem nicht verloren.                      Fuss absolvieren. Da ich aber noch selber
                                                                     koche, bin ich «gezwungen», regelmässig
                       Wie ist das bei Ihnen, Herr Fellmann?         die Wohnung zu verlassen, um Lebens­
                       Ernst Fellmann: Auch ich erlebe noch          mittel einzukaufen. Das tut mir gut.
                       schöne Momente. Was mir aber zu schaf­
                       fen macht, ist die Einsamkeit. Wenn man       Welches sind die schönen Seiten am
                       so alt ist wie ich, bleiben irgendwann        Alter?
                       nicht mehr viele übrig. Von meinen frü­       Irena Pechous: Die gibt es nicht! (lacht)
                       heren Freunden sind mittlerweile fast         Im Ernst: Natürlich ist es viel angeneh­
                       alle verstorben. Da meine Familien- und       mer, jung zu sein. Trotzdem habe ich
                       Verwandtenkreise alle weit weg und zum        noch immer jeden Tag Dinge, über die
                       Teil sogar im Ausland leben, sind Besuche     ich mich freuen kann. Ein gutes Essen
                       nicht an der Tagesordnung. An das Allein­     zum Beispiel, eine schöne Blume, ein
                       sein habe ich mich bisher nicht gewöhnt,      ­netter Besuch. Ich lebe wirklich gern,
                       auch wenn die Betreuerinnen im Rank 14         auch wenn das Alter viele Unannehm­
                       alle sehr nett und bei Bedarf hilfsbereit      lichkeiten mit sich bringt.
                       sind. Irena Pechous: Bei mir ist das an­
                       ders. Ich komme aus einer grossen Fami­       Macht Ihnen das Alter manchmal
                       lie und war mein ganzes Leben lang von        auch Angst?
                       vielen Menschen umgeben. Jetzt geniesse       Ernst Fellmann: Ich fürchte nichts mehr
                       ich es, meine Ruhe zu haben und tun und       als zu stürzen. Denn ich weiss: Sollte das
                       lassen zu können, was ich möchte.             einmal passieren, ist die Gefahr gross,

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                                                                      Sie befinden sich im letzten Abschnitt
                                                                      Ihres Lebens: Haben Sie noch Ziele
                                                                      und Träume?
                                                                      Irena Pechous: Die habe ich tatsächlich.
                                                                      Bei der Erfüllung dieser Träume bin ich
                                                                      aber auf meine Kinder angewiesen. So
                                                                      war es zum Beispiel lange Zeit mein
                                                                      grösster Wunsch, bei Vollmond auf
                                                                      dem Pilatus zu übernachten. Im letzten
                                                                      Herbst wurde mir dieser Wunsch erfüllt.
                                                                      Als Nächstes träumte ich davon, einmal
                                                                      Zeppelin zu fahren – und siehe da: Vor
                                                                      wenigen Wochen war es so weit!

                                                                      Haben Sie bereits ein neues Ziel
                                                                      gefunden?
                                                                      Irena Pechous: Ich schreibe leidenschaft­
                                                                      lich gerne und möchte die Geschichte
                                                                      der Bewohnerinnen und Bewohner hier
                                                                      aufschreiben. Diese Menschen haben so
                                                                      viele spannende Geschichten zu erzäh­
                                                                      len. Bis jetzt habe ich mich aber noch
                                                                      nicht getraut, die Leute für mein Projekt
                                                                      anzufragen …

                                                                      Möchten Sie das Rad der Zeit
                          dass ich mir Knochenbrüche zuziehe und      manchmal zurückdrehen können?
                          nie wieder gehen kann. Auch deshalb         Ernst Fellmann: Ich wüsste nicht,
                          gehe ich zum Beispiel nicht mehr an den     weshalb ich das tun sollte. Natürlich:
                          Quai. Ich meide bewusst Plätze mit vielen   Mit dem Wissen von heute hätte man
                          Menschen und Velos auf dem Trottoir, um     manche Entscheidungen vielleicht
                          die Sturzgefahr zu minimieren.              anders getroffen. Zum jeweiligen
                                                                      Zeitpunkt aber fühlten sich die Ent­
                       Machen Sie sich Gedanken über                  scheide richtig an. Irena Pechous: Das
                       Ihren eigenen Tod?                             sehe ich genau gleich. Viel lieber als
                       Irena Pechous: Ich bin seit 25 Jahren bei      in die Vergangenheit möchte ich in die
                       der Sterbehilfeorganisation Exit dabei.        Zukunft blicken. Es würde mich sehr
                       Ich habe dies bewusst schon vor vielen         interessieren, zu erfahren, wie die Welt
                       Jahren organisiert, denn für mich ist          in 50 oder 100 Jahren aussieht.
                                  klar: Wenn ich irgendwann von
                                  anderen Menschen abhängig           Welche Beziehung haben Sie zum
                                  bin, will ich nicht mehr leben.     Tod?
«Heute bin ich per Du             Ernst Fellmann: Diese drohende      Irena Pechous: Ich habe als Kranken­
   mit dem Tod.»                  Abhängigkeit bereitet auch mir      schwester gearbeitet und hatte jahre­
    Irena Pechous (87)            Sorgen. Ich konnte mein ganzes      lang mit dem Tod zu tun. Ich musste
                                  Leben lang selber entscheiden,      nur schon berufsbedingt eine gewisse
                                  was ich tue oder lasse. Ich kann    Distanz zu dem Thema schaffen, sonst
                                  und will mir nicht vorstellen,      kann man diesen Job nicht ausüben.
                       wie es ist, wenn es einmal nicht mehr so       Natürlich lässt der Tod aber auch mich
                       wäre. Nie im Leben möchte ich wie ein          nicht kalt – dies vor allem auch, weil er
                       Baby gefüttert werden.                         immer näher kommt, je älter man wird.

                                                                                                                    7
Viva! Das Magazin - Viva Luzern
ENTDECKEN

                                       Was meinen Sie damit?                         Kampf muss ich nun aber den jüngeren
                                         Irena Pechous: Wenn man jung ist,           Frauen überlassen.
                                           ist der Tod etwas Abstraktes. Ein
                                            Thema, das einen nur am Rande            Und Ihr Rat, Herr Fellmann?
                                             berührt. Das ändert sich spätes­        Ernst Fellmann: Es ist weniger ein Rat,
                                             tens dann, wenn plötzlich die           sondern mehr ein Wunsch: Seid offen
                                             eigenen Eltern sterben. Und wenn        und ehrlich zueinander – und bleibt trotz
                                             es später den Mann oder den Bru­        allem auf der Hut. Ich wurde in meinem
                                            der trifft, ist er plötzlich ganz nah.   Leben leider öfter enttäuscht, weil ich
                                          Heute bin ich «per Du» mit dem             den falschen Leuten vertraute. Heute
                                        Tod. Jetzt stehe ich in der ersten Rei­      wäre ich wohl nicht mehr so gutgläubig.
                                     he und weiss, dass er jederzeit kommen
    Irena Pechous (86) lebt
                                    kann. Angst habe ich deswegen nicht              Wir alle fragen uns nach dem Sinn
    seit vier Jahren in der Viva    – mein Mann hat es schliesslich auch             des Lebens. Worin liegt er Ihrer
    Luzern-Siedlung Rank 16 im      geschafft. Ernst Fellmann: Meine grosse          Meinung nach?
    Maihofquartier. Frau Pechous    Hoffnung ist jedoch, dass ich eines Tages        Irena Pechous: Es ist purer Zufall, ob
    flüchtete 1968 gemeinsam
    mit ihrem Mann und ihren
                                    rasch und ohne Schmerzen von dieser              wir hier sind oder nicht. Zudem sterben
    beiden Töchtern aus Tsche­      Welt gehen kann. Meine Mutter zum                jeden Tag so viele Menschen, dass die
    chien in die Schweiz. In        Beispiel lag ein halbes Jahr mit grossen         einzelne Existenz im grossen Ganzen
    Luzern arbeitete sie 14 Jahre   Schmerzen im Spital, bevor sie endlich           doch gar keine Rolle spielt. Der Sinn des
    als Krankenschwester im
    Luzerner Kantonsspital.         erlöst wurde. Davor fürchte ich mich.            Lebens ist aus meiner Sicht das Leben an
                                                                                     sich. Und im Leben spielt die Liebe eine
                                    Und was passiert nach dem Tod?                   ganz grosse Rolle. Liebe führt dazu, dass
                                    Irena Pechous: Ich bin überzeugte Athe­          etwas von uns bleibt – und sei es nur in
                                      istin und bin mir ziemlich sicher: Wenn        den Genen unserer Nachkommen.
                                         ich mal sterbe, dann ist da nichts
                                           mehr. Dieser Gedanke stimmt mich          Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf
                                            traurig. Ernst Fellmann: Ich sehe        Ihres Lebens?
                                             es aber etwas anders als Irena: Ich     Ernst Fellmann: Ja, ich denke, das kann
                                             bin gläubig und bin überzeugt,          ich so bestätigen. Ich habe niemandem
                                             dass da noch etwas kommt. Wie           wissentlich geschadet. Zudem hatte ich
                                             dieser Ort genau aussehen wird,         immer wieder Gelegenheit, positiven
                                            weiss ich nicht. Aber ich hoffe,         Einfluss auf das Leben anderer Leute
                                           dass es ein angenehmer Ort wird,          zu nehmen und für Freude zu sorgen.
                                          so wie vom Herrgott versprochen.           Dies zum Beispiel als Jugendlicher in
                                                                                     der Pfadi, später beim Theaterspielen
                                    Welchen Ratschlag würden Sie einer               oder beim Organisieren von zahlreichen
    Ernst Fellmann (96) lebt        jüngeren Person geben?                           Festen. Ich habe nicht nur für mich allein
    seit eineinhalb Jahren in der   Irena Perchous: Ich möchte vor allem den         gelebt, sondern immer versucht, andere
    Viva Luzern-Siedlung. Der
    gelernte Eisenwarenhändler      jungen Frauen sagen: Lasst euch nicht            einzubinden und der Gesellschaft etwas
    verbrachte den grössten         von Männern unterdrücken! Mir selber             zurückzugeben.
    Teil seiner Berufskarriere      blieben viele Möglichkeiten verwehrt,
    im Bereich «Medizin» bei
                                    weil ich eine Frau bin. Statt nach meinem        Und Sie, Frau Pechous?
    der Suva. Während und nach
    dem Zweiten Weltkrieg           Studium (Psychologie und Krankenpfle­            Irena Perchous: Ich habe lange und gut
    leistete er rund 800 Dienst-    ge) als wissenschaftliche Mitarbeiterin          gelebt. Ich war glücklich und bin es auch
    tage als Feldweibel und         an der Universität weiterzuarbeiten, blieb       heute noch. Wenn nun irgendwann mei­
    Fähndrich für die Schweizer
                                    ich jahrelang zu Hause und erzog meine           ne Zeit gekommen ist, so soll es so sein.
    Armee.
                                    Kinder. Das ging einfach nicht anders
                                    damals. Heute ist bezüglich Gleichbe­            Herzlichen Dank für das interessante
                                    rechtigung zwar schon einiges passiert           Gespräch.
                                    – aber noch längst nicht genug. Diesen                                       Daniel Schriber

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Viva! Das Magazin - Viva Luzern
WISSEN

Zu Tisch!                                                    und Macharten geht.» Zangger, bereits
                                                             seit zehn Jahren im Staffelnhof, kennt
                                                             und schätzt seine Stammgäste. «Gerade
                                                             der direkte Kontakt und Austausch mit
                                                             den Bewohnenden – oftmals regelrechte
                                                             Kochprofis! – bereichert meinen Alltag.
Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Das                     Mittels Umfragen und regelmässigen
erlebt Urs Zangger, Teamleiter Küche im                      Küchen-Apéros holen wir aber auch
                                                             gezielt Meinungen ein, und bei meinen
Viva Luzern Staffelnhof, Tag für Tag. Essen                  Rundgängen durch die Abteilungen fra­
ist auch Kontakt, Lust und Freude am Leben.                  ge ich gerne persönlich nach speziellen
                                                             Wünschen.»
Ein Blick über den Tellerrand.
                                                             Angebot und Nachfrage
                                                             Ob Kochprofi oder nicht: Tatsache ist,
                  «Bald gibt es wieder Wild, Kürbis und      dass sich mit zunehmendem Alter die
                  Marroni», freut sich Urs Zangger, der      Bedürfnisse des Körpers ändern. Ent­
                  sich im Viva Luzern Staffelnhof unter      sprechend weiss Urs Zangger genau,
                  anderem um die Menüplanung kümmert.        worauf beim Kochen zu achten ist. «Die
                  Schliesslich bringe die saisonale Küche    altersbedingte Abnahme der Muskel­
                  nicht nur Abwechslung und Qualität,        masse bewirkt, dass der tägliche Ka­
                  sondern auch ein Stück Tradition auf den   lorienbedarf sinkt. Jener an Proteinen
                  Tisch. «Oft verbinden unsere Gäste ganz    und Vitaminen bleibt jedoch gleich oder
                  bestimmte Erinnerungen mit den Gerich­     steigt sogar leicht an.» Wichtig sei also
                  ten und erzählen dann davon. Da höre       neben kleineren Portionen auch ein
                  ich immer gerne zu. Insbesondere, wenn     ausgewogenes Speisenangebot. Und
                  es dabei auch um andere Zubereitungs-      dafür ist gesorgt. Neben Themenbuffets

                                                                                                              9
Viva! Das Magazin - Viva Luzern
Was geschieht
 bei einer Man-
 gelernährung
 im Alter?                    und dem wöchent­
                              lich wechselnden
                                                                                                Vorteil.» Und beim
                                                                                                 Salz? «Tatsächlich
 Ein Nährstoffmangel wirkt    «Dienstags-Hit»                                                    ist es so, dass ältere
 sich auf alle Organe aus.    haben die 172 Be­                                                  Menschen zwei bis
 Die Folgen: Instabiler       wohnerinnen und                                                    drei Mal so viel Salz
 Kreislauf, Haarausfall,      Bewohner täglich die                                             bräuchten, um die
 Knochenbrüche oder auch      Wahl zwischen unter­                                            Salzigkeit des Essens
 psychische Probleme. Ein     schiedlichen Menüs. Da­                                       gleich wahrzunehmen
 geschwächtes Immunsys­       runter auch vegetarische                                  wie früher. Da dies für
 tem kann sich schlechter     Gerichte, doch: «Fleisch ist                          die Gesundheit aber nicht
 gegen Krankheiten weh­       hoch im Kurs», weiss Zangger, «gerade        förderlich ist, salzen wir ganz normal
 ren und man benötigt         bei Hochaltrigen.» Die etwas jüngeren      und versuchen, den Geschmacksverlust
 mehr Zeit, um sich zu        Bewohnerinnen und Bewohner seien da        durch Kräuter auszugleichen.»
 erholen. Appetitlosigkeit    offener und liessen sich gerne auch mal
 und fehlende Lust zu ko­     von einem neuen Geschmack oder einer       Lustvoller Einkauf von hochwertigen
 chen sind die Hauptursa­     neuen Speisenkombination überraschen.      Produkten
 chen für Mangelernährung                                                Was soll man tun, wenn man auch im
 im Alter. Also: Sorgen Sie   Nur ein Klischee: Salzarm und              hohen Alter nicht auf selbst gekochtes
 vor und unterstützen Sie     bissweich                                  Essen verzichten will? «Lustvoll einkau­
 Ihre Gesundheit mit der      Vermutlich ist das Essen generell salz­    fen und gezielt auf Qualität achten. Da
 richtigen Ernährung.         arm und bissweich gekocht? «Na ja, das     man nicht mehr so viel braucht, liegt
                              ist eher ein Klischee», so Zangger. «Wir   das meist auch vom Budget her drin.»
                              unterscheiden uns im Grunde nicht von      Und hinsichtlich Würze? «Da empfehle
                              herkömmlichen Restaurants. Schliess­       ich, möglichst viele frische Kräuter zu
                              lich sind bei uns auch externe Gäste       verwenden. Petersilie, Schnittlauch, Basi­
                              willkommen, gerade auch im Aquarello.      likum, Dill, Bärlauch, Thymian oder Ros­
                              Allerdings nehmen wir Rücksicht darauf,    marin eignen sich bestens. Beim ­Gemüse
                              wenn es Probleme beim Kauen gibt, und      oder bei Beilagen wie Reis, ­Nudeln oder
                              passen die Gar- und Regenerierstufen je    Kartoffeln macht ein bisschen Butter
                              nach Abteilung bzw. Speisesaal an. Un­     oder ein feines Olivenöl als Geschmacks­
                              sere Nähe zum Gast ist hier ein grosser    träger den Unterschied, da damit der Ei­

10
WISSEN

Das 1 × 1 des Geschmacks.
• Es muss nicht immer Salz sein. Gerade frische Kräuter wie
  Petersilie, Schnittlauch, Basilikum, Dill, Bärlauch, Thymian oder
  Rosmarin geben Gerichten Pfiff und Würze.                                nur die Lust und Freude an der Nah­
• Ein Schuss Sauce, etwas Butter oder feines Olivenöl: So lässt            rungsaufnahme verlieren, sondern damit
  sich das Aroma von Gemüse, Beilagen und Fleisch stärker                  gleich auch viele Sozialkontakte. Denn
  heraus­kitzeln. Öle verstärken den Geschmack, weil sich Aroma­           essen ist in der menschlichen Natur ein
  stoffe in Fett besser lösen als in Wasser.                               wesentlicher sozialer Faktor. «Genau
• Das Auge isst bekanntlich mit. Das Anrichten muss aber nicht             deshalb ist es für uns sehr wichtig,
  kompliziert sein. Kleinigkeiten – wie beispielsweise eine kleine         immer mal wieder ein Highlight zu set­
  Garnitur mit Nüssen oder nur schon die Farbe des Tellers –               zen, das die Bewohnenden gemeinsam
  verändern bereits das Genusserlebnis. Oder wie wäre es mit               geniessen können – ob das Grillieren,
  Blumen oder einer Kerze auf dem Tisch?                                   ein Raclette- oder Fondue-Abend oder
• Wer lange kaut, hat mehr vom Essen. Denn je angeregter der               eine Metzgete ist.» Auffallend dabei sei,
  Speichelfluss, desto mehr Geschmacksmoleküle kommen in                   dass gute Gesellschaft beim Essen den
  Kontakt mit den Geschmacksrezeptoren.                                    Appetit anrege. «Das zeigt sich an den
• Abwechslung bereichert das Leben. Das gilt für unterschiedliche          Mengen», so Zangger.
  Speisen, aber auch für die Komponenten auf dem Teller. Das
  heisst: Wer Biss für Biss ein anderes Lebensmittel auf dem Teller        Ein Fest der Sinne
  wählt, intensiviert den Effekt.                                          Eigentlich sollte also jede Mahlzeit ein
                                                                           kleines Fest sein und bei Zangger klingt
                                                                           es auch fast so: «Wir sind jeden Tag mit
                                                                           Herz dabei. Wir haben Leidenschaft
                                                                           zu den Produkten, kochen liebevoll,
                                 gengeschmack noch verstärkt wird. Aber    nehmen uns dafür Zeit und schmecken
                                 wem das alles zu kompliziert ist, nutzt   lustvoll mit Gewürzen und Kräutern ab.»
                                 vielleicht lieber den Mahlzeitendienst    So mache das Essen nicht nur dem Gast
                                 von Pro Senectute – oder kommt einfach    Spass, sondern auch dem Koch. Und was
                                 zu uns. Schliesslich macht essen in der   gebe es Schöneres als der Genuss eines
                                 Gemeinschaft auch viel mehr Freude.»      geschmackvoll angerichteten Essens in
                                                                           guter Gesellschaft? Wir widersprechen
                                 Essen als sozialer Faktor                 nicht und sagen «En Guete!».
                                 Tatsächlich ist es so, dass mit dem Ge­
                                 schmacksverlust Hochaltrige oft nicht                                    Marlies Keck

                                                                                                                              11
DOSSIER

         Zu Hause pflegen: Ganz
         schön herausfordernd.
         Die meisten älteren Menschen gelangen irgendwann an einen Punkt, an dem
         sie zunehmend Begleitung, Unterstützung oder Pflege benötigen. In der Regel
         werden sie dabei von Angehörigen betreut. So schön der Gedanke auch ist:
         Die Pflege zu Hause kann für beide Seiten sowohl bereichernd als auch heraus­
         fordernd oder gar überfordernd sein. Welche Faktoren gilt es für betreuende
         Personen zu beachten?

                                  Eines haben praktisch alle älteren Men­    Immer wieder Klarheit schaffen
                                  schen gemeinsam: Sie möchten so lange      Dies alles kann die Beziehung verändern:
                                  es geht in ihren eigenen vier Wänden le­   Die betreuende Person kann körperlich
                                  ben, selbstbestimmt und im angestamm­      und seelisch an ihre Grenzen stossen.
                                  ten Umfeld. Auch wenn es immer mehr        Oder der betreuten Person kann es
                                  Betreuungsangebote gibt, die auf ver­      schwerfallen, die zunehmende Hilfe an­
                                  schiedenste Arten Unterstützung bieten:    zunehmen. Gerade weil dieser Prozess
                                  Ohne Angehörige, die diesen Wunsch         von einfachen Hilfestellungen bis hin zur
                                  ermöglichen, geht es in der Regel nicht.   regelmässigen Pflege und zur möglichen
                                                                             Selbstüberforderung fliessend ist, lohnt
                                          Das Leben ändert sich              es sich, die Situation zu reflektieren –
                                          Die Betreuung einer älteren,       bevor mit der regelmässigen Pflege
                                          kranken oder behinderten           begonnen wird.
                                          Person beeinflusst sowohl die
       Eine bewusste Entschei−
                                          eigene Gesundheit als auch         Warum übernehme ich die Pflege?
     dung hilft allen Beteiligten.        das Sozialleben, die Familie        Aus Zuneigung oder langjähriger
        Ein Gespräch mit einer            und je nachdem auch das Ein­        Freundschaft?
      Fachperson, zum Beispiel            kommen. Oft ist es nur eine         Aus Verantwortungs- und Pflicht­
      mit einer Sozialberaterin,          Frage der Zeit, bis die Betreu­     gefühl?
      kann helfen, die Situation          ung anspruchsvoller wird und        Weil ich gerne mit Menschen in
                                          noch mehr Einsatz erfordert.        Kontakt bin?
      realistisch einzuschätzen.
                                          Was mit der Unterstützung           Um Schuldgefühle zu vermeiden
                                          bei Raumpflege, administrati­       oder «abzuhalten»?
                                          ven Aufgaben, Arztbesuchen          Um etwas Sinnvolles zu tun, einen
                                          oder Einkäufen beginnt, kann        Lebensinhalt zu haben?
                                          allmählich zeitintensiver und       Aus religiösen Gründen oder aufgrund
                                anspruchsvoller werden – wenn bei­            einer Tradition in meiner Familie?
                                spielsweise die tägliche Unterstützung        Weil ich es mir zutraue und die
                                im Haushalt und in der Körperpflege hin­      Herausforderung annehmen will?
                                zukommt. Und selbst wird man ja auch          Weil ich gerne jemanden begleite
                                nicht jünger …                                und pflege?

12
DOSSIER

                                                                   Weil ich mir dadurch Impulse für
                                                                   die eigene Lebensentwicklung erhoffe
                                                                   und das Ganze als Bereicherung an­
                                                                   sehe?

                                                                  Kann ich die Pflege gewährleisten?
                                                                   Welche Art von Betreuung und Pflege
                                                                   wünscht die Person?
                                                                   Wie wird sich diese Aufgabe auf
                                                                   Ihren Alltag und Ihr Familienleben
                                                                   auswirken?
                                                                   Welche Möglichkeiten und Grenzen
                                                                   haben Sie?
                                                                   Wer löst Sie während den Ferien
                                                                   und in der Freizeit ab?
                                                                   Welche Vereinbarungen lassen sich
                                                                   treffen, um Sie finanziell zu entschä­
                                                                   digen?
                                                                   Überlegen Sie auch, welche anderen
                                                                   Aufgaben Sie neben der Betreuung
                                                                   haben. Wie organisieren Sie den Tag?
                                                                   Auf welche finanziellen Mittel hat die
                                                                   betreute Person Anspruch: Beteiligung
                                                                   Krankenkasse, Hilflosenentschädigung
                                                                   oder Ergänzungsleistungen?
                                                                   Wie lässt sich die Wohnung umgestal­
                                                                   ten?

                                                                  Welche Schwierigkeiten kann es
                                                                  geben?
                                                                   Haben Sie als pflegende Person weitere
                                                                   Verpflichtungen (z. B. kleine Kinder,
                                                                   Berufstätigkeit)?
                                                                   Übersteigt die Aufgabe Ihre Kräfte
                                                                   (gesundheitliche Probleme, psychische
                                                                   Instabilität, grosse geografische
                                                                   Distanz, zu kleine Wohnung usw.)?
Unterstützung für Unterstützende.                                  Ist die Beziehung zur älteren Person
                                                                   bereits angespannt oder kann sie
Sie interessieren sich für das Thema «zu Hause pflegen»? Auf       schwieriger werden?
der Website www.pflege-entlastung.ch vom Schweizerischen           Sind finanzielle Interessen im Spiel?
Roten Kreuz finden Sie weitere Informationen – von grund­          Fühlen Sie sich als pflegende Person
sätzlichen Fragen bis hin zu weiteren Themen (pflegen lernen,      verpflichtet, eine Zusage einzuhalten,
Wohnung einrichten, Umgang mit Aggressivität, finanzielle          die unter anderen Umständen abge­
Unterstützung, Umgang mit Demenz, rechtliche Aspekte etc.).        geben wurde?
Auch Rotkreuz-Kantonalverbände, Pro Senectute oder                 Werden Sie von Verwandten und
Pro Infirmis bieten wertvolle Unterstützung. Selbstverständlich    Freunden dazu gedrängt?
können Sie sich bei Fragen auch jederzeit an Ihre Ansprech­        Löst der Gedanke an vermehrte Nähe
partner bei Viva Luzern wenden – wir helfen gerne weiter.          und Intimität Unbehagen aus?

                                                                                               Thomas Wirth

                                                                                                                  13
DOSSIER

     Wertvolle Entlastung
     für pflegende Angehörige.
      Das Wohlergehen der betreuenden Person ist auch für das Wohlbefinden der
      betreuten Person entscheidend. Denn wenn Menschen an ihre Grenzen stossen,
      kann der physische Druck zu Spannungen, Vernachlässigungen oder seelischen
      Verletzungen führen. Verschiedenste Entlastungsangebote helfen, die Situation
      abzufedern und den Alltag besser zu meistern. Auch wir bei Viva Luzern bieten
      Unterstützung – und verhelfen betreuenden Personen zu einer Auszeit.

                        Sich selbst helfen zu lassen, ist – wie
                        überall im Leben – ein wichtiger Schlüs­
                                                                       Ob tage- oder wochenweise:
                        sel. Roger Federer wäre nicht dort,
                        wo er heute ist, hätte er sich nicht von      Ergänzungsangebote entlasten
                        Anfang an von einem Stab an Trainern,           nicht nur Angehörige. Sie
                        Coaches und Therapeuten professionell         ermöglichen auch ein «Probe­
                        unterstützen lassen.                             wohnen» im Alters- und
                                                                      Pflegeheim. Sollte eines Tages
                        Hilfe annehmen ist kein Zeichen von
                                                                       der Übertritt unausweichlich
                        Schwäche, sondern im Gegenteil: Es
                        zeugt von Stärke, eine Situation nicht       sein, sind Menschen, Umgebung
                        zu verklären oder zu beschönigen und           und Abläufe bereits vertraut.
                        die eigenen Grenzen zu respektieren.
                        Das gilt auch für Menschen, die Ange­
                        hörige pflegend begleiten. Denn letzt­
                        endlich profitiert auch die betreute        nell betreut. Sie kann am regulären Frei­
                        Person davon.                               zeitangebot teilhaben, neue Menschen
                                                                    treffen und dabei auch unser Zentrum
                        Entlastungsangebote von Viva Luzern         näher kennenlernen. Diese temporären
                        Die überwiegende Mehrheit der älteren       Besuche ermöglichen der pflegenden
                        Menschen möchte so lange es geht zu         Person eine Auszeit, sodass sie wieder
                        Hause wohnen. Viva Luzern unterstützt       neue Kraft schöpfen kann.
                        diesen Wunsch mit flexiblen Entlas­
                        tungsangeboten. So bieten wir in unse­      Seit neun Jahren nutzen auch Frau
                        ren Zentren temporäre Plätze für pfle­      Mezzadri und ihr Mann dieses Angebot
                        gebedürftige Menschen an. Ob tagsüber       von Viva Luzern. Sie erzählt uns von
                        für einzelne Stunden, über Nacht, für       ihren Erfahrungen.
                        mehrere Tage oder für ganze Ferienwo­
                        chen: Die betreute Person wird von uns      Frau Mezzadri, Ihr Mann ist heute regel-
                        in dieser Zeit fürsorglich und professio­   mässig im Zentrum Viva Luzern Eichhof

14
DOSSIER

«Nach ‹lieben› ist ‹helfen›
das schönste Zeitwort der Welt.»
               Bertha von Suttner, 1843–1914

                                                     15
DOSSIER

                                                                                                                 als Tagesbesucher zu Gast. Können Sie        Ja, das ist es. Genauso wie sich das
lieben» ist «helfen»
 önste Zeitwort der Welt.                                                                                        uns kurz den Hintergrund schildern?          Leben meines Mannes nach seinem
 von Suttner, 1843–1914
                                                                                                                 Mein Mann erlitt vor neun Jahren nachts      Schlaganfall komplett verändert hat, ist
                                                                                                                 einen Schlaganfall. Seither ist er links­    auch mein Leben heute ein anderes. Wir
                                                                                                                 seitig gelähmt. Gemeinsam mit meinen         schaffen es gemeinsam, gleichzeitig ist
                                                                                                                 zwei Töchtern haben wir damals be­           es auch eine ziemliche Herausforderung.
AG
sse 4 · 6003 Luzern
 12 70 00
                                                                            Entlastungsangebote
                                                                                                                 schlossen, ihn so gut es geht zu Hause       Man muss sich einfach dem Leben an­
                                                                                                                 zu pflegen. Mit der Hilfe meiner Töchter,    passen.
ern.ch · www.vivaluzern.ch
                                                             Juni 2018

                                                                                          Im Alter zuhause.

                                                                                                                 der Spitex und auch dank Ergänzungs­
                                                                                                                 angeboten ist es uns möglich, ihm das        Wir sind zum Glück im Spital, in dem
Kosten für Pflegeleistungen
          Anteil Wohn­       Anteil Kranken­ Total Pflege­
 ner/in   gemeinde           versicherer*    leistungen
                0              9.00            14.20

                                                                                                                 Leben in den eigenen vier Wänden ge­         mein Mann nach seinem Schlaganfall zur
             1.00             18.00            40.60
            18.20             27.00            66.80
            35.40             36.00            93.00
            52.60             45.00           119.20
            69.80             54.00           145.40

                                                                                                                 meinsam zu ermöglichen.                      Pflege war, sehr gut beraten worden. Wir
            87.00             63.00           171.60
           104.20             72.00           197.80
           121.40             81.00           224.00
           138.60             90.00           250.20
           155.80             99.00           276.40

                                                                                                                                                              haben die verschiedenen Ergänzungs­
           173.00            108.00           302.60
 erson und Tag.

 euung                5. Inkrafttreten

                                                                                                                 Was bedeutet das konkret, ihn zu Hause       angebote von Anfang an kennengelernt
 uung erfolgt         Diese Preisliste tritt am
 elnden Hausarzt.     1. Januar 2019 in Kraft.
kamente müssen
men werden.           Luzern, im Dezember 2018
urch die Heim­        Verwaltungsrat Viva Luzern AG

                                                                                                                 zu pflegen?                                  und auch in Anspruch genommen.
d abgerechnet.

gebühren *
ervierter Termine
ebühren erhoben:
                         Viva Luzern AG
                                                                            Entlastungsangebote
                                                                                                                 Er braucht eigentlich für alles Hilfe. Das
Vorabend des
                         Schützenstrasse 4 6003 Luzern
 : CHF 18.00/Tag

 : CHF 30.00/Tag
                         Telefon 041 612 70 00
                         info@vivaluzern.ch                                 Preisliste 2019
                         www.vivaluzern.ch

                                                                                                                 beginnt morgens im Bett mit Übungen          Welche Ergänzungsangebote sind
                                                                                             Im Alter zuhause.

                                                                         Mehr Informationen                      machen, waschen, anziehen, und dann          das heute?
                                                                         zu den Entlastungs-                     kommt die gesamte Betreuung tags­            An drei Tagen pro Woche übernimmt die
                                                                         angeboten von Viva                      über dazu. Ich helfe ihm auch bei seinen     Spitex das Aufnehmen am Morgen und
                                                                         Luzern finden Sie
                                                                         auf unserer Website
                                                                                                                 Übungen. Und dann natürlich wieder           bringt ihn abends zu Bett. Das entlastet
                                                                         (auch als PDF zum                       beim zu Bett gehen.                          nicht nur mich, es ist auch eine schöne
                                                                         Herunterladen).                                                                      Abwechslung für uns beide, uns mit den
                                                                                                                 Das klingt nach einem vollen                 Spitex-Frauen zu unterhalten. Zusätzlich
                                                                                                                 Programm …                                   ist er an drei Tagen pro Woche tagsüber

                     16
DOSSIER

Entlastungs­
angebote von
Viva Luzern.
                             im Viva Luzern Eichhof zu Gast. Und an
Ob einzelne Stunden,         insgesamt drei Wochen im Jahr ist er als
Tage oder für Ferien­        Feriengast im Eichhof. Das ermöglicht es         «Wenn die Pflege zu Hause
wochen: Die Entlastungs-     mir, mit meinen Töchtern eine Winterwo­     i­ rgendwann einmal nicht mehr
angebote von Viva Luzern     che in den Bergen zu verbringen und im     möglich ist, dann möchte er ins
können flexibel genutzt      Sommer für zwei Wochen nach Italien
                                                                        Zentrum Eichhof. Es ist auch für
werden.                      zu fahren.
                                                                          ihn eine Entlastung, zu wissen,
Der Tagesaufenthalt von 8    Er ist also an drei Tagen in der Woche          dass er sich hier wohlfühlt.»
bis 17 Uhr kann verlängert   zu Gast im Eichhof?                                       Hanni Mezzadri
werden, zur Übernach­        Ja, an diesen Tagen nehme ich ihn am
tung stehen Einzelzimmer     Morgen auf und dann kommt das Taxi
oder Mehrbettzimmer          und bringt ihn ins Viva Luzern Eichhof.
zur Verfügung. Weitere       Dort verbringt er dann den Tag und
Informationen finden Sie     kommt um 17 Uhr wieder nach Hause.         Klar, es ist am Anfang nicht einfach, sich
auf unserer Website unter    Während dieser Zeit kann ich dann          an eine neue Umgebung, an neue Men­
«Entlastungsangebote».       meinen Besorgungen nachgehen, zum          schen und andere Abläufe zu gewöhnen.
Bei Interesse oder Fragen    Arzt gehen, einkaufen oder einfach         Zu Beginn hatte er dann auch etwas
stehen wir Ihnen gerne zur   auch Pause machen und abschalten.          lange Zeit, wenn er im Alterszentrum zu
Verfügung unter Telefon      Auch um wieder fit zu sein, denn an        Besuch war. Zum Glück ist er ein offener
041 612 70 40 oder E-Mail    den restlichen vier Wochentagen be­        Mensch und kann auch auf Menschen
beratung@vivaluzern.ch.      treue ich ihn ja wieder.                   zugehen. Unterdessen kennt er die Leu­
                                                                        te, geht ins Café, schaut beim Jassen zu
Weitere Unterstützung        Viele Menschen tun sich schwer             oder spielt mit und fühlt sich ganz wohl.
Treppenlift, Pflegebett,     damit, Hilfe von aussen anzunehmen         Er bekommt praktisch immer das gleiche
Duschstuhl, WC-Aufsatz,      oder sich selbst etwas Zeit zu gönnen.     Zimmer, das hilft auch. Das ist eben auch
Notruf-Uhr: Eine ganze       Wie ergeht es Ihnen dabei?                 ein grosser Vorteil am Entlastungsange­
Reihe von Hilfsmitteln er­   Ich habe schon früh gemerkt, dass ich      bot: Die Menschen können sich Schritt
leichtert heute die Pflege   das nur schaffen kann, wenn ich auch       für Schritt mit der neuen Umgebung
zu Hause und erhöht die      zu mir selbst Sorge trage. Es ist schon    anfreunden. Zum Glück bin ich ja noch
Sicherheit. Weitere Unter­   intensiv, einen Menschen fast nonstop      fit genug, um die Betreuung zu Hause
stützung bieten Hilfsange­   zu betreuen. Trotz der Hilfe durch Spi­    ermöglichen zu können. Auch mein Rü­
bote wie Besuchs-, Fahr-     tex und Viva Luzern Eichhof komme ich      cken spielt noch gut mit. Aber auch ich
oder Mahlzeitendienste,      ab und zu an meine Grenzen. Wenn ich       werde ja älter.
aber auch Selbsthilfegrup­   dann Zeit habe, um zum Beispiel laufen
pen, Pflegekurse oder        zu gehen, kann ich abschalten und neue     Können Sie das Angebot von
Fachpersonen. Wenn Sie       Energie tanken. Auch die drei Wochen       Viva Luzern weiterempfehlen?
hierzu Fragen haben, hel­    Ferien im Jahr tragen dazu bei. Nach       Auf jeden Fall, ja. Mein Mann fühlt sich
fen wir Ihnen gerne weiter   diesen Pausen bin ich jeweils wieder       wohl, ich vertraue Viva Luzern Eichhof
oder vermitteln Ihnen die    frisch, ich kann ausgeruht und gelas­      und kann für eine kurze Zeit loslassen
Kontakte zu Sozialdiens­     sener für meinen Mann da sein. Das ist     und abschalten. Mein Mann erzählt mir
ten oder Verbänden wie       letztlich für beide die bessere Lösung.    immer wieder, dass noch Plätze frei wa­
Spitex, Pro Senectute,                                                  ren für Tages- oder Feriengäste. Da frage
Rotkreuz-Kantonalverband     Und wie ergeht es Ihrem Mann               ich mich schon, ob die Leute vielleicht
oder Pro Infirmis.           dabei? Kann er Ihnen Ihre Auszeit          nicht wissen, dass es dieses Angebot
                             auch gönnen?                               gibt? Ich würde allen empfehlen, es mal
                             Es war ein Prozess. Natürlich ist es am    einen Tag auszuprobieren. Klar, letztlich
                             schönsten, zu Hause von seiner Frau um­    ist es auch mit Kosten verbunden und es
                             sorgt zu sein – das kann ich verstehen.    ist auch für uns ein schöner Batzen. Aber
                             Aber ich glaube schon, dass er mir mei­    es lohnt sich – für beide.
                             ne Auszeit gönnt.                                                          Thomas Wirth

                                                                                                                         17
TECHNIK

      Technolo­gien für ein
      selbstbestimmteres
      Leben im Alter.
      Die Digitalisierung und der technische Fortschritt haben auch bei den Hoch­
      altrigen Einzug gehalten. Viva-Luzern-IT-Leiter Rolf Kistler arbeitete lange an
      der Entwicklung von smarten Technologien für die hochaltrige Zielgruppe.

                                  Es gibt einen grossen Mangel an Pflege-      In unserer Forschungsgruppe haben
                                  personal in der Schweiz. Werden wir in       wir auch an durch Technik unterstützten
                                  Zukunft bald von Robotern gepflegt?          Mobilitätslösungen gearbeitet, um zum
                                  Das wird sicher noch ganz lange nicht        Beispiel eine Art E-Bike-Rollator zu er­
                                  passieren. Roboter sind noch nicht so weit   schaffen. Kleine Motoren unterstützen
                                  entwickelt, dass sie individuell genug auf   situationsabhängig die Menschen beim
                                  die nötigen Situationen in der Pflege re­    Stossen. Wenn es bergauf geht oder die
                                  agieren könnten. Ganz gezielt können sie     Person einkaufen war und der Rollator
                                  aber für gewisse, spezifische Aufgaben       schwerer beladen ist, helfen diese mit
      Rolf Kistler hat Elektro­   eingesetzt werden. Ein Beispiel ist Paro,    oder sie wirken als Bremse beim Berg­
      technik studiert und        die Roboter-Robbe, die bei der Betreuung     abgehen. Solche Geräte gibt es bereits
      war 13 Jahre lang an        von Demenzpatienten eingesetzt wird.         auf dem Markt, aber sie sind noch nicht
      der Hochschule Luzern
      am iHomeLab tätig. Er
                                  Es ist eine Art Kuscheltier, das von einem   sehr weit verbreitet.
      leitete 8 Jahre lang eine   Japaner entwickelt wurde, um an Demenz
      Forschungsgruppe zum        erkrankte Menschen zu aktivieren. Das ist    Nutzen viele Hochaltrige auch
      Thema «Active Assisted      bis jetzt etwas vom wenigen, was ich bis     Smartphones und das Internet?
      Living», die untersucht,
      wie die Technik Men-
                                  heute sehe, das in der Pflege an Robotik     Immer mehr Hochaltrige haben Smart­
      schen darin unterstützen    zur Anwendung kommt.                         phones oder Tablets. Oft kaufen sie sich
      kann, möglichst lange                                                    diese nicht selber, sondern bekommen
      selbstbestimmt zu woh-      Was gibt es an Technik, die im Feld der      sie von Angehörigen geschenkt. Dabei
      nen. Heute ist er Leiter
      der Informatik bei Viva     Hochaltrigkeit bereits genutzt wird?         kommt es aber gar nicht so sehr auf das
      Luzern.                     Da gibt es einiges. Was sicher am häu­       Alter der Menschen an, sondern eher da­
                                  figsten genutzt wird, sind Produkte im       rauf, wie offen und bereit sie sind, Neues
                                  Kommunikationsbereich, mit denen man         zu lernen.
                                  mit Angehörigen in Kontakt bleiben kann,
                                  oder Sicherheitsanwendungen wie ver­         Was sind die Herausforderungen bei
                                  schiedene Notrufsysteme. Essenziell sind     der Entwicklung eines Produktes für
                                  sicher auch Hörgeräte, die immer kleiner     die hochaltrige Zielgruppe?
                                  und raffinierter werden und die nun über     Je älter wir werden, desto genauer wis­
                                  Bluetooth direkt mit einem Mobil- oder       sen wir, was wir wollen oder eben auch
                                  Funktelefon verbunden werden können.         nicht mehr wollen. Deswegen haben wir

18
iHomeLab.
                                                                                      Das iHomeLab in Luzern ist das Schweize­
                                                                                      rische Forschungszentrum für Gebäudein­
                                                                                      telligenz. Das Team der Forschungsgruppe
                                                                                      Active Assisted Living (AAL) erforscht und
                                                                                      testet Technologien, welche die Lebensqua­
                                                                                      lität von älteren Menschen verbessern und
                                                                                      deren Autonomie möglichst lange erhalten
                                                                                      sollen. Interessierte können das iHomeLab
                                                                                      in einer öffentlichen oder privaten Führung
                                                                                      besichtigen. Mehr Informationen auf der
                                                                                      Website der Hochschule Luzern: hslu.ch.

Am iHomeLab der Hoch-
schule Luzern wurde
an einem Prototypen                es bei den Hochaltrigen mit einer sehr        auffälligen Notfallknopf am Handgelenk
für einen motorisierten
Rollator getüftelt.                hetero­genen Zielgruppe mit extrem un­        auch nicht tragen. Sie ziehen ihn nur an,
(Bild Thomas Lienhard © tl/hslu)   terschiedlichen Bedürfnissen zu tun. Die      wenn die Angehörigen zu Besuch kom­
                                   grösste Herausforderung ist nicht unbe­       men bzw. ziehen ihn aus, wenn Freunde
                                   dingt eine technische. Die meisten wollen     kommen.
                                   keine Produkte kaufen, die mit hohem
                                   Alter in Verbindung gebracht werden. Das      Im iHomeLab haben Sie Ihre Ent­
                                    hat viel damit zu tun, was unsere Gesell­    wicklungen auch gemeinsam mit
                                       schaft für ein Bild vom hohen Alter       der Zielgruppe getestet. Was waren
                                         hat. Wir assoziieren das Alter immer    da die Schwierigkeiten?
                                          noch mit vielen negativen Dingen       Ein Problem war, dass wenn wir Leute
                                           wie Krankheit, Gebrechlichkeit,       über 85 zum Testen der Produkte ge­
                                            Tod usw. Niemand gibt gerne zu,      sucht haben, sich immer nur sehr tech­
                                            dass er alt ist und gewisse Fähig­   nikaffine Hochaltrige gemeldet haben.
                                            keiten wie Sehkraft abnehmen.        Diese konnten mir zum Teil Tricks oder
                                           Deswegen wurden auch «extra für       Apps auf dem Smartphone zeigen, die
                                          alte Menschen» konzipierte Senio­      nicht einmal ich gekannt habe. Wenn
                                        renhandys selten gekauft.                jemand ein Interesse an Technik mit­
                                                                                 bringt, sind sie trotz des hohen Alters
                                   Das stigmatisiert natürlich.                  sehr geschickt, da sie ja auch viel Zeit
Neue Hörgeräte können
                                   Genau. Deswegen wurden die Smart­             haben, um sich damit auseinanderzu­
sich über Bluetooth
direkt mit dem Mobil-              phones und Tablets von den Älteren sehr       setzen. Wir hätten natürlich auch Leute
oder Festnetztelefon               schnell akzeptiert, denn es ist modern,       testen wollen, die einsam zu Hause sitzen
verbinden.                         und die Jungen nutzen es auch. Die meis­      und keine Technik benutzen. Aber die
(Bild Thomas Lienhard © tl/hslu)
                                   ten wollen sich erst auf gewisse Produkte     haben sich natürlich auf solche Testaus­
                                   einlassen, wenn etwas passiert. Ein Bei­      schreibungen nicht gemeldet. So oder
                                   spiel sind die Notrufsysteme. Erst wenn       so geht es den Hochaltrigen weniger
                                   die Mutter zweimal hingefallen ist, wird      um die Technik an sich, sondern um
                                   über ein Sicherheitssystem nachgedacht.       deren direkten Nutzen in ihrem Alltag.
                                   Oft wird der Kauf von den Angehörigen
                                   initiiert, und das, ob es der Betroffene      Wie wird die Zukunft in 10 Jahren in
                                   nun will oder nicht. Viele wollen den oft     diesem Bereich aussehen?

                                                                                                                                19
TECHNIK

                                             Es ist sicher so, dass ge­           ständig, was bei dieser Person ein norma­
                                             wisse Dienstleistungen               ler Tagesablauf ist. Natürlich könnte man
                                             wie zum Beispiel von der             anstatt Sensoren auch Kameras installie­
                                             Gemeinde oder von Banken             ren, aber das ist heikel, weil man damit in
                                             praktisch nur noch online            die Privatsphäre der Personen eindringt.
                                             verfügbar sein werden.               Wenn jemand den Nutzen hinter einem
                                             Sprich, wenn jemand das              solchen Sensorensystem im Haus erkennt,
                                             Internet nicht bedienen              ist er eher bereit, eine Einschränkung der
                                             kann, wird dies zunehmend            Privatsphäre zu akzeptieren. Aber ich hät­
                                             zur Einschränkung. Das               te persönlich damit ein Problem, wenn ich
                                             geht bis zu dem Punkt, dass          jederzeit per Kamera bei meiner Mutter in
                                             man nicht mehr selbststän­           die Wohnung schauen könnte.
                                             dig leben kann, weil man
                                             jemanden braucht, der zum            Wie haben Sie es denn für sich und
                                             Beispiel die Finanzen online         Ihre Mutter gelöst?
                                             für einen macht. Zudem               Zu dem Sensorensystem haben wir ver­
                                             nehme ich an, dass gewisse           sucht, eine Art Ampel zu entwickeln. Ich
                                             Konsultationen wie Arztbe­           hatte auf meinem Smartphone eine App
                                             suche vermehrt übers In­             und gleichzeitig einen Farbwürfel in der
                                             ternet laufen werden. Oder           Wohnung. Wenn ich abends nach Hause
                                             autonome Fahrzeuge, die              gekommen bin und der Würfel war grün,
                                             Hochaltrige transportieren,          dann wusste ich, dass das System heute
                                             die ihren Führerausweis              nichts Auffälliges oder Ungewöhnliches
                                             bereits abgeben mussten,             bemerkt hat. Wenn der Würfel oran­
                                             fände ich ebenfalls nützlich.        ge leuchtete, hiess es, per Telefon mal
                                                                                  nachzufragen. Beim roten Würfel habe
                                             Durch die zunehmende                 ich gleichzeitig auf das Smartphone eine
                                             ­Digitalisierung fühlen sich         Warnung erhalten, weil das System ver­
                                              ja viele «überwacht».               mutete, dass etwas passiert sein könnte
                                              Könnte man dies bei den             und jemand vor Ort nachschauen sollte.
                                              Hochaltrigen nicht auch
                                              positiv nutzen?                     Beim Testen haben wir festgestellt, dass
                                              Das ist natürlich ein gros­         aber meine Mutter auch wissen will, wie
                                              ses Thema. Es gibt bereits          es mir geht. Deswegen haben wir einen
                                              solche Monitoring-Systeme,          zweiten Würfel entwickelt, der bei ihr zu
                                              die man kaufen kann. Der            Hause steht. Wenn ich an sie denke, kann
                                              Hauptanwendungsfall ist             ich in der App auf einen Knopf drücken
                                              die Sturzerkennung. Das             und dann macht der Würfel bei ihr etwas.
                                              ist die grösste Angst der           Er tönt oder leuchtet. Dann haben wir
                                              Leute, dass sie stürzen             kleine Gegenstände mit Symbolen darauf
                                              und es niemand bemerkt.             entwickelt. Zum Beispiel ein Herz oder
                                              In diesem Bereich wird              ein Telefon. Wenn sie möchte, dass ich sie
                                              man sicher auch weitere             anrufe, dann kann sie einfach das Telefon­
                                              Fortschritte machen, mit            symbol auf den Würfel legen und auf mei­
                                              der künstlichen Intelligenz         ner App zeigt es an, dass sie mit mir spre­
          Alleine zu Hause zu stür-           die Muster zu erkennen,             chen möchte. Gerade weil das System in
          zen, ist eine der grössten          wann es sich um eine nor­           beide Richtungen kommunizieren konnte
          Ängste, die Hochaltrige             male Aktivität handelt und          bzw. ich mit meiner Mutter auf gleicher
          haben. Die Hochschule
                                              wann es wirklich ein Sturz          Augenhöhe war, kam es sehr gut an.
          Luzern entwickelte Sen­
          soren zur Sturzerkennung.           ist. Nachdem das System
          (Bild Thomas Lienhard © tl/hslu)    installiert ist, lernt es selbst­                             Jeannine Hegelbach

20
ENTDECKEN

Generativität –
was bleibt von uns?
Was bleibt von mir, wenn ich einmal nicht mehr auf dieser Welt bin? Diese oder
ähnliche Fragen haben Sie sich sicher auch schon gestellt. Über den Austausch
mit den nachkommenden Generationen lässt sich mit relativ wenig Aufwand
eine bleibende Erinnerung schaffen.

                                                                    kationsmittel noch topaktuell. Sowohl
                                                                    die Ä
                                                                        ­ lteren als auch die Jungen, beide
                                                                    können voneinander lernen. Doch was
                                                                    bedeutet der Begriff Generativität genau?

                                                                    Geprägt wurde der Begriff in der Psycho­
                                                                    logie von Erik H. Erikson (1902 – 1994),
                                                                    einem deutsch-amerikanischen Psycho­
                                                                    analytiker. Er verwendet den Begriff in
                                                                    seinem Stufenmodell der psychosozialen
                                                                    Entwicklung. Hier bedeutet Generati­
                                                                    vität die Liebe in die Zukunft, sich um
                                                                    zukünftige Generationen zu kümmern
                                                                    und Kinder grosszuziehen. Generativität
                                                                    wird als bedeutsam bis zum Lebensende
                                                                    angesehen. Gemeint sind die Vermittlung
                                                                    und Weitergabe von Erfahrung und Wis­
Sowohl die Älteren                                                  sen, nicht nur als Eltern, sondern auch in
als auch die Jungen –   Erstmals in der Geschichte sind die äl­     Form des Unterrichtens, der Künste und
beide können vonei­     teren Altersgruppen grösser als die jün­    Wissenschaften sowie des sozialen En­
nander lernen.
                        geren. Die Solidarität und der Austausch    gagements. Also alles, was für die nächs­
                        zwischen den Generationen gewinnen          te Generation nützlich sein kann.
                        deshalb in unserer Zeit mit Klimaproble­
                        men, Überbevölkerung, Überalterung und      Es werden vier Bereiche der Generati­
                        steigender Arbeitslosigkeit wieder höhere   vität unterschieden.
                        Bedeutung. Neuere Studien zeigen, dass      1. Familiäre (biologische) Generativität:
                        Generationenbeziehungen unser Leben            Unterstützung, Nachfolge- und Erbfra­
                        sehr stark prägen, nicht nur während der       gen.
                        Kindheit und Jugend, sondern auch in        2. Pädagogische (elterliche) Generativi-
                        späteren Lebensphasen. Die Generativi­         tät: Ältere Menschen sind Träger und
                        tät, also die menschliche Fähigkeit zur        Vermittler von kulturellen Traditionen.
                        Sorge, Fürsorge und Pflege für Menschen     3. Historisch-soziale Generativität: Ak­
                        einer anderen Generation, ist also auch        tives Engagement zugunsten jüngerer
                        in der Zeit der modernsten Kommuni­            Menschen, z. B. im Ehrenamt.

                                                                                                                 21
Wie kann ich generativ wirken?
 Was soll einmal auf meinem Grabstein stehen? Wie möchte ich
 als Mensch in Erinnerung bleiben? Es braucht Raum und Zeit, um
 diese Gedanken zuzulassen. Die Besinnung auf das Wesentliche
 ist der erste Schritt. Die folgenden Fragen können dabei helfen:              sich in steigendem Konfliktpotenzial
                                                                               zwischen den Generationen. Je älter wir
 1. Was kann generativ weitergegeben werden?                                   werden, desto grösser ist der Altersun­
 Die Palette ist, wie das Leben, sehr vielfältig. Erinnerungen, Rezepte,       terschied. Es fehlt oft das Verständnis für
 Fotos, Know-how oder Zeit. Materielle und ideelle Werte. Alles, was           die Jüngeren. Aber mit zunehmendem
 vielleicht für die folgenden Generationen interessant oder brauchbar ist.     Alter entstehen durch körperliche und
                                                                               geistige Einschränkungen Abhängigkei­
 2. Wer profitiert davon?                                                      ten in Bezug auf Hilfe und Pflege. Die
 Ein Profit kann sowohl für die kommende Generation (Kinder, Enkel,            traditionelle Eltern-Kinder-Rolle wird
 Urenkel etc.) als auch für die älteren Menschen entstehen. Kurz- und          umgekehrt. Wurde diese Rolle früher
 langfristig. Seien dies alte Hausmittel oder Computerkenntnisse.              von den eigenen Angehörigen, haupt­
                                                                               sächlich von den Frauen, übernommen,
 3. Wie kann ich vorgehen?                                                     so verlagert sich diese Unterstützung
 Es gilt sich zu überlegen, was wir weitergeben wollen und können,             durch die Selbstständigkeit der Frauen
 sich zu fragen, was die anderen interessiert. Wichtig ist der gegensei­       auf externe Fachpersonen oder wie in
 tige Austausch. Ob dieser über das Erzählen, das Schreiben oder               einigen Zukunftsszenarien dargestellt
 Bilder und Fotos erfolgt, spielt keine Rolle.                                 auf die jungen Alten.

                                                                               Waren die Älteren früher Vorbild, Auto­
                                                                               rität, Wissensträger und Vermittler von
                                   4. Wohlfahrtsstaatliche Generativität:      Erfahrungen und Erkenntnissen, so ver­
                                      Ältere unterstützen die gesellschaft­    schieben die neueren Kommunikations­
                                      lichen Interessen der nachfolgenden      mittel auch das Know-how in Richtung
                                      Generationen.                            Jüngere. Praktisch alle Informationen
                                                                               sind im Internet verfügbar, sodass die
                                   Demografische und gesellschaftliche         Jugend, die mit diesem Medium auf­
                                   Entwicklung                                 wächst, stets auf dem neuesten Stand
                                   Gegenwärtig ist ein Fünftel der Schwei­     der Entwicklung ist. Dadurch verändert
                                   zer Bevölkerung über 65 Jahre alt. 1900     sich das Verhältnis der Generationen. Ak­
                                   waren es knapp 6 %. Prognosen sehen         tives Altern verlangt deshalb eine hohe
                                   einen Anstieg des Anteils der älteren Ge­   Solidarität zwischen den Generationen.
                                               neration in der Bevölkerung
                                               von 18 % (2016) auf knapp       Weitergeben erzeugt Lebenssinn
                                               27 % in 30 Jahren.              Die Psychologin und Sinnforscherin
     «Mein Grossvater weiss zu fast                                            Tatjana Schnell (Universität Innsbruck)
      jedem Thema eine Geschichte               Die Alterung der Bevölke­      fand in ihren Studien einen Grund für ein
         zu erzählen. Die sind oft              rung und die Veränderung       sinnhaftes Leben: Generativität. Wer sein
     spannender als viele Bücher.»              der Altersstruktur gewinnen    Wissen und seine Werte weitergibt und
                  Enkel (15)
                                                in den nächsten Jahrzehn­      Verantwortung übernimmt, der findet Er­
                                                ten stark an Bedeutung         füllung. Das Gefühl, einen Platz in dieser
                                                und stellen sowohl die Vor­    Gesellschaft zu haben, spielt dabei eine
                                                sorgesysteme, die sozialen     wichtige Rolle. In verschiedenen Studien
                                   Institutionen als auch die Wirtschaft       konnten über 20 Quellen ermittelt wer­
                                   vor grosse Herausforderungen. Auch          den, aus denen Menschen den Sinn in
                                   neue Lebenskonzepte (Singlehaushalte,       ihrem Leben schöpfen. Die Generativität
                                   Patchworkfamilien) und die zunehmende       steht dabei an erster Stelle.
                                   Individualisierung werden die Beziehung
                                   zwischen den Generationen beträchtlich      Forschungen haben ferner gezeigt, dass
                                   prägen. Die traditionellen Formen ha­       es für ältere Menschen sinnvoll und
                                   ben sich enorm verändert. Dies äussert      wichtig ist, wenn sie sich aktiv um nach­

22
ENTDECKEN

«Ich geniesse die Zeit
mit meinen Enkelkin-
dern. Durch die neuen
Kommunikationsmittel
                            folgende Generationen kümmern. Zum           wird vieles als Bedrohung empfunden,
bin ich trotz örtlicher
­Distanz fast jederzeit     Beispiel durch ein Engagement in der Po­     dies erzeugt einen chronischen Stress.
 mit ihnen in Kontakt.      litik, im Umweltschutz oder in einem Eh­     Ein Mensch mit einem Lebenssinn gehe
 Sie haben mir die Angst    renamt. Diese Tätigkeiten ergeben einen      mit schwierigen Situationen besser um,
 vor dieser neuen Technik
 genommen und den
                            Lebenssinn, man kann seinen Erfahrungs­      der Stresspegel liegt höher. Wichtig sei,
 Umgang mit diesen          schatz weitergeben. Mit dem Wissen,          zu erkennen, dass es uns nicht gut geht,
 Mitteln beigebracht»,      etwas zu hinterlassen, so die Psychologin,   wenn wir uns nur um uns selbst küm­
 sagt eine Grossmutter      lasse sich auch die eigene Sterblichkeit     mern. Wir verlangen immer mehr nach
 (75).
                            besser verstehen. Generativität trägt        Sicherheit und Kontrolle. Aber Sicherheit
                            dabei als wichtiges Element zur Lebens­      ist nichts, was Sinn stiftet – ebenso we­
                            gestaltung und Sinnfindung im höheren        nig wie die Konzentration auf das eigene
                            Lebensalter bei.                             Glück. Sich in den Hintergrund stellen
                                                                         und für andere etwas tun, das macht uns
                            Lebenssinn macht gesund                      glücklich. Das merkt man allerdings erst,
                            In ihren Untersuchungen stellte Tatjana      wenn man es auch tut.
                            Schnell fest, dass Menschen mit einem
                            sinnerfüllten Leben gesünder sind. Heute                                  Luigi Riberzani

Welche Möglichkeiten gibt es?
Die Politik hat im Zusammenhang mit der Genera­             Zusammenarbeit mit dem «Forum Luzern60plus»
tivität einen klaren Bedarf erkannt. So hat die             weitergeführt. Auch hier gilt: Beginnen Sie, nehmen
Stadt Luzern 2011 ein Entwicklungskonzept «Altern           Sie an solchen Veranstaltungen teil und geben Sie Ihre
in Luzern» ins Leben gerufen.                               Erfahrung weiter! Ihr «Erbe» kann mithelfen, die Welt
                                                            zu verbessern und den kommenden Generationen in
Von 2012 bis 2016 wurden zahlreiche Projekte und            Zukunft die Schönheiten zu erhalten.
Veranstaltungen durchgeführt. Erzählcafés, generati­
onenübergreifende Tanzprojekte, Generationenpark,           Wertvolle Links zum Thema
Jungbrunnen im Altersheim, Querbeet (Gärtnern mit            www.luzern60plus.ch/altern-luzern/
Kindern) sind nur ein paar Beispiele. Einige werden          projekte-veranstaltungen/
heute durch die Abteilung Alter und Gesundheit in            www.vivaluzern.ch/de/viva-luzern/events

                                                                                                                        23
WOHLFÜHLEN

     Die Schönheit
     in allen Facetten.
     Die Gesellschaft ist sich einig, was schön ist. Die Industrie setzt den Massstab,
     wie schöne Menschen aussehen. Das führt dazu, dass Schönheit oft nicht das
     Ungewöhnliche, sondern das Durchschnittliche ist. Und dabei hat doch jede
     Lebensstufe ihre eigenen Werte und ihren eigenen Zauber. Was Schönheit im
     hohen Alter bedeutet und wie sich die Beziehung zur eigenen Erscheinung
     im Lauf der Zeit verändert, erfahren Sie aus den Gesprächen mit vier wunder-
     schönen Frauen im Betagtenzentrum Dreilinden.

                                                                    ziehen – ich war gross und hatte schöne
                                                                    Beine. Ich erinnere mich an ein spezielles
                                                                    Kleidungsstück: ein rotes Deuxpièces.
                                                                    Dieses Kleid trug ich jeweils, wenn wir
                                                                    im Kursaal ausgingen. Ich wurde jedoch
                                                                    nicht so oft zum Tanzen aufgefordert.
                                                                    Vielleicht lag das auch an meiner Aus­
                                                                    strahlung – die Herren erkannten, dass
                                                                    ich mich nicht so einfach führen liess.

                          «Ich überlege mir schon kurz              Ich machte eine Karriere im Militär und
                            nach dem Erwachen, was                  schaffte es bis zum Unteroffizier. In der
                               ich heute anziehe.»                  Uniform fühlte ich mich schön. Sie erfüll­
                                Lucia Haering (1929), 90 Jahre
                                                                    te mich mit Freude und Stolz. Als eine
                                                                    der wenigen Frauen genoss ich es, unter
                                                                    den vielen Offizieren im Mittelpunkt zu
                        Lucia Haering: «Schönheit ist für mich      stehen und Komplimente zu erhalten.
                        ein stimmiges Ganzes. Sie umfasst das       Das suche ich heute nicht mehr.
                        Äussere von Kopf bis Fuss und die innere
                        Zufriedenheit, die nach aussen strahlt.     Heute mache ich mich jeden Morgen
                        Ich habe mich selber nie als ‹schön› be­    zurecht und besuche einmal pro Woche
                        schrieben. Vielmehr empfand ich mich        den Coiffeur. Zur Maniküre und Pediküre
                        als ‹ein Rassiges›. Im Vergleich zu etwas   gehe ich auch regelmässig. Dann fühle
                        Schönem hängt etwas Rassiges mit dem        ich mich hübsch und wohl. Zwar sind mir
                        Auftreten zusammen. Vielleicht redete ich   die Modeströmungen inzwischen nicht
                        früher ein wenig viel, war auch ein biss­   mehr so wichtig. Ich überlege mir aber
                        chen frech – aber darauf war ich stolz.     immer schon beim Erwachen, was ich
                                                                    heute anziehe. Je nachdem, was auf dem
                        In ganz jungen Jahren wagte ich es so­      Tagesprogramm steht, ziehe ich eher et­
                        gar, Mini-Jupes und hohe Schuhe anzu­       was Sportliches oder Elegantes an.»

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